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30.12.2012

Memorandum 1917 in den Quellen


Steiner verfasste dieses Memorandum für die deutsche Regierung auf Bitten Otto Graf Lerchenfelds, des Bruders des bayrischen Gesandten in Berlin, im Juni 1917. Es enthält die erste schriftliche Fassung der Idee der Dreigliederung des sozialen Organismus.

»1. Gegenstand einer demokratischen Volksvertretung können nur die rein politischen, die militärischen und die polizeilichen Angelegenheiten sein. Diese sind nur möglich auf Grund des historisch gebildeten Untergrundes. Werden sie vertreten für sich in einer Volksvertretung und verwaltet von einer dieser Volksvertretung verantwortlichen Beamtenschaft, so entwickeln sie sich notwendig konservativ. Ein äußerer Beweis dafür ist, dass seit dem Kriegsausbruche selbst die Sozialdemokratie in diesen Dingen konservativ geworden ist. Und sie wird es noch mehr werden, je mehr sie gezwungen wird, sinn- und sachgemäß dadurch zu denken, dass in den Volksvertretungen wirklich nur politische, militärische und polizeiliche Angelegenheiten der Gegenstand sein können. Innerhalb einer solchen Einrichtung kann sich auch der deutsche Individualismus entfalten mit seinem bundesstaatlichen System, das nicht eine zufällige Sache ist, sondern das im deutschen Volkscharakter enthalten ist.

2. Alle wirtschaftlichen Angelegenheiten werden geordnet in einem besonderen Wirtschaftsparlamente. Wenn dieses entlastet ist von allem Politischen und Militärischen, so wird es seine Angelegenheiten rein so entfalten, wie es diesen einzig und allein angemessen ist, nämlich opportunistisch. Die Verwaltungsbeamtenschaft dieser wirtschaftlichen Angelegenheiten, innerhalb deren Gebiet auch die gesamte Zollgesetzgebung liegt, ist unmittelbar nur dem Wirtschaftsparlamente verantwortlich.

3. Alle juristischen, pädagogischen und geistigen Angelegenheiten werden in die Freiheit der Personen gegeben. Auf diesem Gebiete hat der Staat nur das Polizeirecht, nicht die Initiative. Es ist, was hier gemeint ist, nur scheinbar radikal. In Wirklichkeit kann sich nur derjenige an dem hier gemeinten stoßen, der den Tatsachen nicht unbefangen ins Auge sehen will. Der Staat überläßt es den sach-, berufs- und völkermäßigen Korporationen, ihre Gerichte, ihre Schulen, ihre Kirchen und so weiter zu errichten, und er überläßt es dem einzelnen, sich seine Schule, seine Kirche, seinen Richter zu bestimmen. Natürlich nicht etwa von Fall zu Fall, sondern auf eine gewisse Zeit. Im Anfange wird dies wohl durch die territorialen Grenzen beschränkt werden müssen, doch trägt es die Möglichkeit in sich, auf friedlichem Wege die nationalen Gegensätze - auch andere - auszugleichen. Es trägt sogar die Möglichkeit in sich, etwas Wirkliches zu schaffen an Stelle des schattenhaften Staaten-Schiedsgerichts. Nationalen oder anderweitigen Agitatoren werden dadurch ihre Kräfte ganz genommen. ...

Die politischen Gebilde Europas könnten sich so auf Grundlage eines gesunden Konservativismus entwickeln ...

Die wirtschaftlichen Gebilde würden sich opportunistisch gesund entwickeln ...

Die Kulturangelegenheiten werden von dem Drucke befreit, den auf sie die wirtschaftlichen und politischen Dinge ausüben, und sie hören auf, auf diese einen Druck auszuüben. Alle diese Kulturangelegenheiten werden fortdauernd in gesunder Bewegung erhalten. Eine Art Senat, gewählt aus den drei Körperschaften, welchen die Ordnung der politisch-militärischen, wirtschaftlichen und juristisch-pädagogischen Angelegenheiten obliegt, versieht die gemeinsamen Angelegenheiten, wozu auch zum Beispiel die gemeinsamen Finanzen gehören ...«

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