Das Ereignis von Golgatha | 1909

Rudolf Steiner: Das Ereignis von Golgatha. Vortrag in Köln, Ostersonntag, 11. April 1909 (GA 109)

Ein unmittelbarer Gewinn solcher bedeutsamen Zeitsymbole wie das Osterfest ist der, dass es unsere Herzen und Seelen geeigneter macht, um tiefer und tiefer hineinzuschauen in die Menschenrätsel und das Menschenwesen. Und so sei denn noch einmal die gestern vor unserer Seele aufgeleuchtete morgenländische Legende vor unser geistiges Auge hingestellt, jene Legende, von der wir gestern schon ahnen konnten, was sie von diesem Menschenrätsel und Menschenwesen umschließt: die Legende von Kashyapa, dem großen Weisen, dem erleuchteten Schüler Shakyamunis, der alle Weisheit des Orients zusammengefasst hatte mit großem Überblick und einem riesigen Impuls des Wirkens, und von dem mit Recht gesagt wurde, dass alle seine Nachfolger nicht vermochten, auch nur im entferntesten zu bewahren, was er aus Shakyamunis tiefem Brunnen der Weisheit hervorgeholt hatte und als Letzter - aus der Urweltweisheit - der Menschheit gegeben hatte. Und weiter lautet die Legende: Als sich dann dem Kashyapa der Tod nahte und er sein Nirvana herankommen fühlte, ging er in die Höhle eines Berges. Da starb er bewusst und es blieb unverweslich sein Leib, unauffindbar für die äußere Menschheit, auffindbar nur für die, welche durch Initiation reif geworden waren, solche Geheimnisse zu durchdringen. In der Bergeshöhle ruhte nun geheimnisvoll verborgen des Kashyapa unverweslicher Leib. Und vorausgesagt wurde, dass erscheinen würde als neuer großer Verkünder der Urweltweisheit in neuer Gestalt der Maitreya-Buddha, der, wenn er zum Gipfel seines Erdendaseins emporgestiegen sein wird, gehen wird zu der Höhle, wo der Leichnam des Kashyapa ruht. Berühren wird er ihn mit seiner rechten Hand, und ein wunderbares Feuer wird aus dem Universum herabkommen, und der unverwesliche Leib des Kashyapa wird davon ergriffen werden und entrückt werden in die höheren, geistigen Welten.

So erwartet der Morgenländer, der solche Weisheit versteht, das Wiedererscheinen des Maitreya-Buddha und seine Tat an dem unverweslichen Leib des Kashyapa. Werden sie eintreten, diese beiden Ereignisse? Wird erscheinen der Maitreya-Buddha? Wird dann des Kashyapa unverweslicher Überrest entrückt werden durch das wunderbare, himmlische Feuer? - Die tiefe Weisheit, die darinnen ruht, werden wir ahnen können mit unseren wahren Osterempfindungen, wenn wir aufsuchen das wunderbare Feuer, das die Überreste des Kashyapa in sich aufnehmen soll.

Wir haben gestern gesehen, wie sich die Gottheit in unserer Zeit durch zwei Pole offenbart: auf der einen Seite durch das makrokosmische Blitzesfeuer, auf der andern Seite durch das mikrokosmische Feuer des Blutes. Wir haben gesehen, dass sich angekündigt hat dem Moses im brennenden Dornbusch und auf dem Sinai im Donner und Blitzesfeuer der Christus. Denn keine andere Macht als der Christus sprach zu ihm das «Ich bin der Ich-bin.» Er gab die Zehn Gebote aus dem Blitzesfeuer am Sinai. Damit hat er sich vorbereitet [... offenbar Lücke im Text]. Dann erschien er in dem mikrokosmischen Pol in Palästina. Im Feuer, das in unserem Blute lebt, da ist derselbe Gott, der sich im Himmelsfeuer angekündigt hat und der sich dann verkörperte im Mysterium von Palästina in einem menschlichen Leibe, um zu durchdringen mit seiner Kraft das menschliche Blut, in dem das menschliche Feuer seinen Sitz hat. Und durch dieses Ereignis, wenn wir es in seinen Konsequenzen verfolgen, in dem, was es bedeutet für das Erdendasein, werden wir finden können jenes lodernde Feuer, das des Kashyapa Überreste aufnehmen wird.

Aller Weltengang besteht darin, dass sich das Materielle nach und nach vergeistigt, spiritualisiert. Im materiellen Feuer des brennenden Dornbusches und auf dem Sinai erschien dem Moses ein äußeres Zeichen der Gottesmacht. Durch das Christus-Ereignis ist aber dieses Feuer vergeistigt. Und nachdem die Christus-Macht in diese Erde eingegriffen hat, wer sieht dann das brennende geistige Feuer? Wer kann es wahrnehmen? - Das geistige Auge, das durch den Christus-Impuls selber geöffnet wird und das der Christus-Impuls geweckt hatte. Das sieht dieses sinnliche Feuer des Dornbusches spiritualisiert, vergeistigt.

Und nachdem der Christus-Impuls das geistige Auge erweckt hatte, da wirkte dieses Feuer auch geistig, spirituell auf unsere Welt.

Wann wurde dieses Feuer wieder wahrgenommen? Es wurde wieder wahrgenommen, als das erleuchtete, hellseherisch gewordene Auge des Saulus auf dem Wege nach Damaskus im Himmelsfeuer erstrahlen sah und erkannte den, der das Mysterium von Golgatha vollbracht hatte. So schauten beide den Christus: Moses im materiellen Feuer -im brennenden Dornbusch und im Blitzesfeuer auf dem Sinai -, und es kann sich ihm nur im Innern ankündigen, dass der Christus zu ihm spricht; dem erleuchteten Auge des Paulus aber zeigt sich der Christus aus dem spirituellen, dem vergeistigten Feuer. Wie Materie und Geist zueinander stehen im Weltenwerden, so stehen zueinander im Weltengang das wundersame, materielle Feuer des Dornbusches, des Sinai, und die wunderbare Erscheinung: das Feuer aus den Wolken, das dem zum Paulus gewordenen Saulus erstrahlt. Und was ist für den ganzen Weltenwerdegang durch dieses Ereignis geschehen?

Sehen wir zurück auf die große Reihe der Menschheitsbeglücker, der Menschheitserlöser, auf die großen Gestalten der Menschheit, die der äußere Ausdruck waren für die Avatare, für die göttlich-geistigen Mächte, die von Epoche zu Epoche herunterstiegen aus geistigen Höhen und Menschengestalt annahmen, wie Vishnu, Krishna und so weiter, die erscheinen müssen, damit die Menschheit den Weg zurückfindet in die geistigen Welten. Die Menschheit brauchte, damit sie den Weg zurückfinden konnte, in der Vorzeit Gotteskraft dazu, die herunterstieg. Aber dadurch, dass das Mysterium von Golgatha geschehen ist, ist dem Menschen die Fähigkeit gegeben, aus seinem eigenen Innern heraus die Kräfte zu finden, die ihn heraufheben, hinaufführen können in die geistigen Welten. Tiefer, viel tiefer als jene Welt- und Menschheitsführer ist der Christus heruntergestiegen, denn er hat nicht nur himmlische Kräfte in den irdischen Leib gebracht, sondern er hat diesen irdischen Leib selber so vergeistigt, dass nun die Menschen aus diesen Kräften heraus den Weg zurückfinden konnten in die geistigen Welten. Mit göttlichen Kräften haben die vorchristlichen Erlöser die Menschheit erlöst. Mit Menschenkräften hat der Christus die Menschheit erlöst. Damit aber sind diese Menschenkräfte so vor unsere Seele gestellt worden, wie sie in ihrer Urkraft sein können. Was wäre geschehen auf unserer Erde, wenn der Christus nicht auf Erden erschienen wäre? - Diese ernste, diese tief einschneidende Frage wollen wir uns heute stellen.

Welterlöser auf Welterlöser hätten heruntersteigen können aus geistigen Welten: sie hätten zuletzt unten nur Menschen gefunden, so eingegraben in die Materie, so versunken in den Stoff, dass aus diesem unheiligen, unreinen Stoff die reinen göttlich-geistigen Kräfte den Menschen nicht wieder hätten emporheben können. Und tief betrübt und trauernd blickten die morgenländischen Weisen in die Zukunft, von der sie wussten: der Maitreya-Buddha wird erscheinen, um die Urweltweisheit zu erneuern, aber kein Jünger wird erhalten können die Urweltweisheit. Und wenn der Weltengang so fortginge, würde der Maitreya-Buddha tauben Ohren predigen, und er würde nicht mehr verstanden werden von den ganz in die Materie versunkenen Menschen. Das, was so materiell auf der Erde geworden wäre, hätte des Kashyapa Leib verdorren lassen, so dass der Maitreya-Buddha nicht mehr imstande gewesen wäre, des Kashyapa Überreste hinaufzutragen in göttlich-geistige Höhen. Tief trauernd sahen gerade die am tiefsten Verstehenden der morgenländischen Weisheit in die Zukunft und dachten, ob denn die Erde fähig sein würde, noch etwas entgegenzubringen an Verständnis und Empfindung dem erscheinenden Maitreya-Buddha.

Es musste eine starke Himmelskraft in den physischen Stoff hineinstrahlen, sich in den physischen Stoff hineinopfern. Nicht bloß ein Gott in der Maske der Menschengestalt durfte es sein, sondern ein wahrer Mensch mit Menschenkräften, der den Gott in sich trägt, musste es sein. Es musste das Ereignis von Golgatha eintreten, damit der Stoff, in den der Mensch hineingestellt ist, bereit werde, gereinigt und geläutert werde, damit das Material des so gereinigten und geheiligten Stoffes geeignet sei, dass für künftige Inkarnationen die Urweltweisheit wieder verständlich werden könne. Und es muss nun die Menschheit dahin gebracht werden, zu verstehen, wie in diesem Sinne wirklich gewirkt hat das Ereignis von Golgatha. Denn was ist das Ereignis von Golgatha für die Menschheit gewesen? Wie tief einschneidend hat es sich hineingestellt in Menschenwesen und Menschensein?

Lassen wir den Blick schweifen über zwölf Jahrhunderte! Schauen wir auf sechs Jahrhunderte vor dem Ereignis von Golgatha und sechs Jahrhunderte nach demselben. Sehen wir uns da einmal gewisse Begebenheiten an, die sich in den menschlichen Seelen in dieser Zeit abgespielt haben. Wahrlich, man kann kaum Größeres und Bedeutsameres hinstellen vor die empfindende menschliche Seele als jene gewaltigen Momente, die aufbewahrt hat die Buddha-Legende von der allmählichen Erleuchtung des Buddha. Er tritt heraus aus königlicher Umgebung. Er ist nicht geboren im Stalle, unter armen Hirten. Aber das ist es nicht, was hervorgehoben werden soll, sondern dass er aus dieser königlichen Umgebung herausgeht, und dass er dann das findet, was er bisher nicht gefunden hat: das Leben in seinen verschiedenen Gestalten.

Ein Kind findet er, schwach und elend. Leiden ist ihm beschert in dem Dasein, in das es durch die Geburt eingetreten ist. Er empfand: Geburt ist Leiden. - Und weiter sieht der Buddha mit seiner empfänglichen Seele einen Kranken, einen Siechen. So kann der Mensch werden, wenn er durch den Durst nach Dasein in die irdische Welt hineingetragen wird: Krankheit ist Leiden. - Einen durch Alter bresthaft gewordenen Greis findet er. Was ist es, das dem Menschen durch sein Leben beschert wird, so dass er allmählich nicht mehr Herr sein kann seiner Glieder? Alter ist Leiden. - Und einen Leichnam sah er. Der Tod steht vor ihm mit allem seinem Zerstören und Auslöschen des Lebens: Tod ist Leiden. - Und weiter forscht der Buddha dem Leben nach und sagt sich: Getrennt sein von dem, was man liebt, ist Leiden; vereint sein mit dem, was man nicht liebt, ist Leiden; nicht erhalten, was man begehrt, ist Leiden.

Groß und gewaltig und eindringlich erklang die Lehre vom Leiden durch Menschenherz und Menschenbrust. Unzählige Menschen lernten die große Wahrheit von der Befreiung vom Leiden durch das Erlöschen des Durstes nach Dasein, lernten, wie sie sich hinaussehnen sollten aus dem irdisch-physischen Dasein, wie sie hinausstreben sollten aus den irdischen Inkarnationen, und wie allein das Erlöschen des Durstes nach Dasein zur Erlösung und zur Befreiung vom Leiden führen kann. Wahrlich, ein höchster Gipfel der Menschheitsentwickelung wird da vor unsere Seele hingestellt.

Und nun lassen wir die Blicke schweifen über einen Zeitraum, der zwölf Jahrhunderte umfasst, sechshundert Jahre vor unserer Zeitrechnung und sechshundert Jahre nach unserer Zeitrechnung. Da muss eines hervorgehoben werden: da hat inmitten dieses Zeitraumes das Mysterium von Golgatha stattgefunden. Aus dem Zeitalter des Buddha sei jetzt nur eines hervorgehoben: der Leichnam und was der Buddha beim Anblick eines solchen empfand und lehrte. Und sechshundert Jahre nach dem Ereignis von Golgatha: da wandten sich unzählige Seelen, unzählige Augen einem Kreuzesholz zu, an dem ein Leichnam hängt; aber es gehen von diesem Leichnam für die Menschheit die Impulse aus, die das Leben durchgeistigen, die Impulse, dass durch das Leben der Tod besiegt wird. Es ist der Gegenpol von dem, was der Buddha beim Anblick eines Leichnams empfunden hat.

Der Buddha hat einen Leichnam gesehen und an ihm die Nichtigkeit des Lebens erkannt. Die Menschen, die sechshundert Jahre nach dem Ereignis von Golgatha gelebt haben, sie haben aufgeschaut mit andachtsvoller Inbrunst zu dem Leichnam am Kreuz. Er war ihnen das Zeichen des Lebens, und in ihrer Seele ging die Gewissheit auf, dass das Dasein nicht Leiden ist, sondern dass es über den Tod hinüberführt in die Seligkeit. Der Leichnam des Christus Jesus am Kreuze wurde sechs Jahrhunderte nach dem Ereignis von Golgatha zum Erinnerungszeichen des Lebens, der Auferstehung des Lebens, der Überwindung des Todes und allen Leidens, so wie der Leichnam sechshundert Jahre vor dem Mysterium von Golgatha das Erkenntniszeichen war dafür, dass Leid den Menschen befallen muss, der durch den Durst nach Dasein hineintritt in die physische Welt. Niemals gab es einen größeren Umschwung in der gesamten Menschheitsentwickelung.

Wenn sechshundert Jahre vorher der Eintritt in die physische Welt für den Menschen Leiden war, wie stellt sich für die Seele jetzt, nach dem Ereignis von Golgatha, die große Wahrheit vom Leid des Lebens dar? Wie stellt sie sich dar für diejenigen Menschen, die mit Verständnis aufblicken zum Kreuz auf Golgatha? Ist Geburt Leiden, wie Buddha sagte? Diejenigen, die mit Verständnis aufblicken zum Kreuz auf Golgatha, die sich mit ihm verbunden fühlen, sagen sich: Diese Geburt führt den Menschen auf eine Erde, die die Möglichkeit hatte, zu umkleiden aus ihren Elementen den Christus. - Sie wollen gern betreten diese Erde, über die der Christus gewandelt ist. Und durch die Verbindung mit dem Christus ersteht in der Seele die Kraft, durch die sie hinauffinden kann in die geistigen Welten, ersteht die Erkenntnis, dass Geburt nicht Leiden ist, sondern das Tor ist zum Finden des Erlösers, der sich auch mit denselben irdischen Stoffen umhüllt hat, die die menschliche Leibeshülle bilden.

Ist Krankheit Leiden? - Nein! - so sagten sich die, welche den Impuls von Golgatha im wirklichen Sinne verstanden - nein, Krankheit ist nicht Leiden. Wenn auch heute die Menschheit noch nicht verstehen kann, was das spirituelle Leben in Wahrheit ist, das mit dem Christus einströmt, die Menschen werden es in der Zukunft verstehen lernen, und sie werden wissen, dass, wer sich durchströmen lässt von dem Christus-Impuls, in wessen Innerstes die Christus-Kraft einzieht, dass der alle Krankheit überwinden kann durch die starken, gesundenden Kräfte, die er aus sich entwickelt. Denn der Christus ist der große Heiler der Menschheit. In seiner Kraft ist umschlossen alles das, was aus dem Geistigen heraus wirklich die starke heilende Kraft entwickeln und was die Krankheit überwinden kann. Krankheit ist nicht Leid. Krankheit ist eine Gelegenheit, ein Hemmnis zu überwinden, indem der Mensch in sich entwickelt die Christus-Kraft.

Über die Beschwerden des Alters muss der Mensch sich in gleicher Weise klarwerden. Je mehr wir zunehmen in der Schwachheit unserer Glieder, desto mehr können wir wachsen im Geiste, können Herr werden durch die in uns wohnende Christus-Kraft. Alter ist nicht Leiden, denn mit jedem Tage wachsen wir ja hinein in die geistige Welt. Und auch der Tod ist nicht Leiden, denn er wird besiegt in der Auferstehung. Durch das Ereignis von Golgatha ist der Tod besiegt worden.

Kann das Getrenntsein von dem, was wir lieben, noch Leiden sein? Nein! Die Seelen, die sich mit der Christus-Kraft durchziehen, wissen, dass die Liebe Bande schlingen kann von Seele zu Seele über alle materiellen Hindernisse hinweg, Bande im Geistigen, die unzerreißbar sind. Und es gibt nichts im Leben zwischen Geburt und Tod und zwischen Tod und neuer Geburt, zu dem wir nicht im Spirituellen den Weg finden durch den Christus-Impuls. Es ist undenkbar, dass wir auf die Dauer, wenn wir uns mit dem Christus-Impuls durchdringen, getrennt sein können von dem, was wir lieben. Der Christus führt uns zusammen mit dem, was wir lieben.

Und ebenso kann «vereint sein mit dem, was wir nicht lieben», nicht Leiden sein, weil der Christus-Impuls uns lehrt, wenn wir ihn in unserer Seele aufnehmen, alles seinem entsprechenden Maße nach zu lieben. Der Christus-Impuls zeigt uns den Weg, und wenn wir diesen Weg finden, kann niemals mehr «vereint sein mit dem, was wir nicht lieben», Leiden sein, denn es gibt nichts mehr, was wir nicht mit Liebe umfassen. - Und «nicht erreichen, was man begehrt», kann mit dem Christus nicht mehr Leiden sein, denn die Empfindungen und Gefühle des Menschen, sein Begehren, werden durch den Christus-Impuls so gereinigt und veredelt, dass die Menschen nur noch begehren nach dem, was ihnen werden soll. Sie leiden nicht mehr unter dem, was sie entbehren; denn sollen sie entbehren, so ist es zur Läuterung, und die Christus-Kraft gibt ihnen die Kraft dazu, es als Läuterung zu empfinden, und daher ist es auch nicht mehr Leiden.

Was ist also das Ereignis von Golgatha? Es ist das allmähliche Hinwegschaffen der von dem großen Buddha hingestellten Tatsachen vom Leiden. Es gibt keinen größeren Einschlag im Weltenwerden und Weltenwesen als das Ereignis von Golgatha. Daher können wir auch verstehen, dass es fortwirkt und positive, gewaltige Folgen hat für die kommende Menschheit. Der Christus ist der größte Avatar, der heruntergestiegen ist auf die Erde, und wenn eine solche Wesenheit heruntersteigt ins Dasein, wie das der Christus im Jesus von Nazareth war, so tritt etwas Geheimnisvolles, höchst Bedeutsames ein: Geradeso wie im Kleinen, wenn wir ein Weizenkorn in die Erde senken, es keimt und Halme herauswachsen und Ähren, die viele, viele Körner, Abbilder des einen Weizenkorns tragen, welches wir in die Erde gelegt haben, gerade so ist es auch in der geistigen Welt. Denn «alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis» - und in dieser Vervielfältigung des Weizenkornes können wir sehen ein Bild, ein Gleichnis für die geistigen Welten.

Als sich vollzogen hatte das Ereignis von Golgatha, da war etwas geschehen mit dem Ätherleibe und dem Astralleibe des Jesus von Nazareth: durch die Kraft des innewohnenden Christus wurden sie vervielfältigt, und in der geistigen Welt waren seitdem vorhanden viele, viele Abbilder des Astralleibes und des Ätherleibes des Jesus von Nazareth. Und diese Abbilder wirkten fort.

Wenn eine menschliche Individualität aus geistigen Höhen herabsteigt ins physische Dasein, umkleidet sie sich mit einem Ätherleibe und einem Astralleibe. Dann aber, wenn in geistigen Welten so etwas vorhanden ist wie die Abbilder des Ätherleibes und Astralleibes des Jesus von Nazareth, dann geschieht für die Menschen, in deren Karma es liegt, etwas ganz Besonderes. Wenn das Karma einer Individualität es zuließ - nachdem das Mysterium von Golgatha vollzogen war -, so wurde ihr ein Abbild des Ätherleibes oder des Astralleibes des Jesus von Nazareth einverwoben. So war es in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung, zum Beispiel bei Augustinus der Fall. Als diese Individualität herunterstieg aus geistigen Höhen und sich umkleidete mit einem Ätherleib, da wurde ihrem Ätherleib ein Abbild einverwoben vom Ätherleibe des Jesus von Nazareth. Ihren Astralleib und ihr Ich hatte sie für sich, hatte aber einverwoben in den Ätherleib ein Abbild des Ätherleibes des Jesus von Nazareth.

So übertrug sich das, was umhüllt hatte den Gottmenschen von Palästina, auf andere Menschen, die nun den Einschlag dieses großen Impulses weitertragen sollten in die übrige Menschheit hinein. Weil Augustinus angewiesen war auf sein eigenes Ich und seinen eigenen Astralleib, war er all dem Zweifel, all den Schwankungen, den Irrungen ausgesetzt, welche er schwer überwinden konnte; sie kamen aus diesen noch unvollkommenen Teilen seiner Wesenheit. Alles, was er durchgemacht hat, hat er durchgemacht durch sein irrendes Urteil und die Irrtümer seines Ich. Aber als er sich durchgerungen hatte, als sein Ätherleib zu wirken begann, da stieß er auf die Kräfte, die ihm einverwoben waren aus dem Abbilde des Ätherleibes des Jesus von Nazareth in seinem Ätherleibe. Und jetzt wurde er derjenige, der einen Teil der großen Mysterienwahrheiten dem Abendlande verkündigen konnte. So gab es viele derjenigen, die wir als die großen Träger des Christentums im Abendlande kennen, die berufen waren, das Christentum fortwirken zu lassen im 4., 5., 6. bis 10. Jahrhundert, denen aufgehen konnten die großen Ideen, die vorbildlich waren, die einverwoben gehabt haben in ihrem Ätherleib ein Abbild des Ätherleibes des Jesus von Nazareth. Daher konnten ihnen aufgehen die großen Visionen, die großen vorbildlichen Ideen, die dann ihre Ausgestaltungen gefunden haben bei den großen Malern und Bildhauern.

Wie sind sie entstanden, diese vorbildlichen Typen für die Bilder, die noch jetzt uns erfreuen? Diese entstanden, als durch das einverwobene Abbild des geheiligten Ätherleibes des Jesus von Nazareth bei den Menschen des 5., 6., 7. und 8. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung die großen Erleuchtungen kamen, mit einem Inhalt des Christentums, zu dem man nicht brauchte historische Überlieferungen. Zu dem Inhalt der Lehre von dem Christus erhielten sie einverwoben ein Abbild des Ätherleibes des Jesus von Nazareth, und sie brauchten keine historische Überlieferung der Tatsachen des Christentums; sie wussten aus innerer Erleuchtung, dass der Christus lebt, weil sie einen Teil des Jesus von Nazareth in sich trugen. Sie wussten es ebenso, wie Paulus es wusste, dass der Christus lebt, als er in dem spiritualisierten, lodernden Himmelsfeuer die Christus-Erscheinung sah. Hatte der Paulus sich bekehren lassen bis dahin durch das, was über die Ereignisse in Palästina zu erzählen war? Keines der Ereignisse, die man ihm hat erzählen können, war imstande, aus dem Saulus einen Paulus zu machen, und dennoch ging der wichtigste Impuls für die äußere Ausbreitung des Christentums von Paulus aus, durch ihn, der ungläubig blieb gegenüber den Erzählungen auf dem physischen Plan, aber der gläubig wurde durch ein okkultes Ereignis, das in der spirituellen Welt sich vollzog. Sonderbar nehmen sich die aus, die ein Christentum haben wollen ohne spirituelle Erleuchtung! Denn niemals würde das Christentum sich in der Welt ausgebreitet haben ohne die spirituelle Erleuchtung des Paulus. Einem übersinnlichen Ereignis verdankt die äußere Ausbreitung des Christentums ihr Dasein.

Und wiederum pflanzte sich das Christentum fort in späterer Zeit durch diejenigen, die in der geschilderten Weise in innerer Erleuchtung den Christus erleben konnten, auch den historischen Christus erleben konnten, weil sie in sich trugen, was als Rest geblieben war von dem historischen Christus und seinen Hüllen. Im 11., 12., 13. und 14. Jahrhundert erhielten andere Menschen, wenn sie durch ihr Karma dazu berufen und reif waren, Abbilder einverwoben des Astralleibes des Jesus von Nazareth. Solche Menschen, die in sich trugen Abbilder des Astralleibes des Jesus von Nazareth, waren zum Beispiel Franz von Assisi, Elisabeth von Thüringen und andere mehr. Ohne diese Kenntnis ist für uns zum Beispiel das Leben des Franz von Assisi und der Elisabeth von Thüringen unverständlich. Alles, was uns heute so sonderbar erscheint im Leben des Franz von Assisi, rührt daher, dass das Ich des Franz von Assisi das menschliche Ich dieser menschlichen Individualität war; aber all die Demut, Hingabe, Inbrunst, die wir so bewundern an Franz von Assisi, sie rührt davon her, dass ihm einverwoben war in seinem Astralleib ein Abbild des Astralleibes des Jesus von Nazareth. Manchen andern Persönlichkeiten dieser Zeit war einverwoben ein solches Abbild. Sie werden uns zu Vorbildern, denen wir nachstreben, wenn wir dies wissen. Derjenige, der der Sache auf den Grund geht, wie sollte der verstehen das Leben der Elisabeth von Thüringen, wenn er nicht wüsste, dass ihr einverwoben war ein Abbild des Astralleibes des Jesus von Nazareth? Viele, viele waren durch diese fortwirkende Christus-Kraft dazu berufen, diesen mächtigen Impuls in die Nachwelt zu tragen.

Aber noch etwas anderes war erhalten geblieben für noch spätere Zeiten: unzählige Abbilder des Ich des Jesus von Nazareth sind erhalten geblieben. Sein Ich war zwar aus den drei Hüllen verschwunden, als der Christus darin einzog, aber ein Abbild, ein durch das Christus-Ereignis noch erhöhtes Abbild ist vorhanden geblieben, und dieses Abbild des Ich, das ist unendlich vervielfältigt. In diesem Abbilde des Ich des Jesus von Nazareth haben wir etwas, was heute noch vorhanden geblieben ist in der geistigen Welt. Ja, es kann gefunden werden dieses Abbild des Ich des Jesus von Nazareth von Menschen, die sich dazu reif gemacht haben: dieses Abbild und damit zugleich der Glanz der Christus-Kraft und des Christus-Impulses, den es in sich trägt.

Der äußere physische Ausdruck für das Ich ist das Blut. Das ist ein großes Geheimnis. Es hat aber immer Menschen gegeben, die das wussten und denen bekannt war die Tatsache, dass Abbilder des Ichs des Jesus von Nazareth in der geistigen Welt vorhanden sind. Und es hat immer Menschen gegeben, die durch die Jahrhunderte hindurch, seit dem Ereignis von Golgatha, im geheimen dafür zu sorgen hatten, dass die Menschheit langsam heranreift, damit es Menschen gebe, die aufnehmen können die Abbilder des Ich des Jesus von Nazareth-Christus, wie es auch Menschen gegeben hat, die aufgenommen haben Abbilder seines Ätherleibes und Astralleibes. Dazu musste das Geheimnis gefunden werden, wie ganz in der Stille, im tiefen Mysterium, dieses Ich aufbewahrt werden könne bis zum geeigneten Momente der Menschheits- und Erdenentwickelung. Es bildete sich dazu eine Bruderschaft von Eingeweihten, die dieses Geheimnis bewahrten: die Bruderschaft des Heiligen Gral. Sie hütete dieses Geheimnis. Diese Gesellschaft hat es immer gegeben. Und gesagt wird, dass ihr Ahnherr die Schale genommen hat, die der Christus Jesus beim Heiligen Abendmahl benutzt hatte, und in dieser Schale hat er aufgefangen das Blut des Erlösers, das vom Kreuze aus seinen Wunden floss. Gesammelt hat er das Blut, den Ausdruck des Ich, in dieser Schale, im Heiligen Gral. Er hat die Schale mit dem Blute des Erlösers, mit dem Geheimnis des Abbildes des Ich des Christus Jesus aufbewahrt am heiligen Ort, in der Bruderschaft, die durch ihre Einrichtungen und ihre Einweihung die Brüder vom Heiligen Gral sind.

Heute ist die Zeit gekommen, wo diese Geheimnisse verkündet werden dürfen, wenn die Herzen der Menschen sich reif machen lassen durch ein spirituelles Leben, so dass sie sich zum Verständnis erheben können dieses großen Mysteriums. Wenn sich die Seelen zum Verständnis solcher Geheimnisse anfachen lassen durch die Geisteswissenschaft, wenn unsere Seelen sich einleben zu solchem Verständnis, so werden die Seelen reif, im Anblick jener heiligen Schale das Mysterium von dem Christus-Ich, von dem ewigen Ich, zu dem jedes Menschen-Ich werden kann, kennenzulernen. Da ist es, dieses Geheimnis - herbei nur sollen sich die Menschen rufen lassen durch die Geisteswissenschaft, dieses Geheimnis als Tatsache zu verstehen, um das Christus-Ich im Anblick des Heiligen Gral zu empfangen. Dazu braucht man das, was da geschehen ist, zu verstehen als Tatsache, es hinzunehmen als Tatsache.

Dann aber, wenn die Menschen immer mehr vorbereitet sein werden zum Empfang des Christus-Ich, dann wird sich das Christus-Ich immer mehr in die Seelen der Menschen ergießen. Sie werden dann sich hinaufentwickeln dahin, wo ihr großes Vorbild, der Christus Jesus, stand. Die Menschen werden dadurch erst verstehen lernen, inwiefern der Christus Jesus das große Menschheitsvorbild ist. Und wenn die Menschheit das verstanden haben wird, wird sie beginnen, in ihrem tiefsten Innern zu ahnen, dass die Gewissheit, die Wahrheit von der Ewigkeit des Lebens von dem toten Leichnam am Holze des Kreuzes von Golgatha ausgeht. Die von dem Christus-Ich Inspirierten und Durchdrungenen, die Christen der Zukunft, werden noch anderes verstehen. Sie werden verstehen, was nur die Erleuchteten bisher verstanden haben. Nicht bloß den Christus werden sie verstehen, der durch den Tod gegangen ist, sondern sie werden verstehen den triumphierenden, in das spirituelle Feuer auferstehenden Christus der Apokalypse, der vorherverkündet worden ist. Und das Osterfest kann uns immer ein Symbolum sein für den Auferstandenen, ein Band, das geschlungen wird von dem Christus am Kreuze zu dem triumphierenden Christus, dem auferstandenen und erhobenen Christus, zu dem, der alle Menschen mit sich erhebt zur Rechten des Vaters.

So weist uns das Ostersymbolum in die ganze Erdenzukunft perspektivisch hinein, in die Zukunft der Menschheitsentwickelung hinein, und so ist es uns ein Unterpfand dafür, dass die vom Christus inspirierten Menschen einst immer mehr aus Saulus-Menschen zu Paulus-Menschen werden und immer mehr schauen werden ein spirituelles Feuer. Wahrlich, wie dem Moses und denen, die sich zu ihm bekannt haben, im sinnlichen Feuer des Dornbusches und des Blitzes auf Sinai der Christus vorherverkündigend erschienen ist, so wird der Christus uns erscheinen in einem vergeistigten Feuer der Zukunft. «Er ist bei uns alle Tage, bis an der Welt Ende», und er wird erscheinen im spirituellen Feuer denen, die den Blick sich haben erleuchten lassen durch das Ereignis von Golgatha. Die Menschen werden ihn schauen in dem geistigen Feuer. Erst haben sie ihn in anderer Gestalt geschaut; dann erst werden sie schauen die wahre Gestalt des Christus in einem spirituellen Feuer.

Damit aber, dass der Christus so tief heruntergewirkt hat in das Erdendasein, bis in das physische Knochengerüst hinein, hat das, was aus den Elementen der Erde seine Hülle gebildet hat, diesen physischen Stoff so geläutert und geheiligt, dass er nie mehr so werden kann, wie es in ihrer Betrübnis die Weisen des Morgenlandes annahmen, indem sie glaubten, dass der Erleuchtete der Zukunft, der Maitreya-Buddha, nicht finden werde Menschen auf der Erde, die aufsteigen können zu einem Verständnis für ihn, weil sie zu tief in den Stoff hinuntergesunken sind. Darum ist der Christus auf Golgatha geführt worden, damit er den Stoff wieder hinaufführen konnte in geistige Höhen, damit das Feuer nicht zur Schlacke werden möge auf der Erde, sondern dass es vergeistigt werde. So werden die Menschen wiederum verstehen die Urweltweisheit, wenn sie selbst vergeistigt sind: die Urweltweisheit, aus der sie selbst einstmals als aus der geistigen Welt entsprungen sind. So wird der Maitreya-Buddha das Verständnis finden auf der Erde -was er sonst nicht hätte finden können -, nachdem die Menschen durch ein noch tieferes Verständnis hindurchgegangen sind. Denn wir verstehen alles, was wir in der Jugend gelernt haben, besser, nachdem wir durch Prüfungen reifer geworden sind und später darauf zurückschauen können. Und so wird die Menschheit die Urweltweisheit verstehen dadurch, dass sie zurückschauen wird auf diese Urweltweisheit im Lichte des Christus durch das Ereignis von Golgatha.

Und wie nun können die unverweslichen Überreste des Kashyapa gerettet werden, und wohin werden sie gerettet? Es heißt: der Maitreya-Buddha wird erscheinen und ihn berühren mit seiner rechten Hand, und der Leichnam wird in einem Feuer entrückt werden.

In demselben Feuer, das Paulus auf dem Wege nach Damaskus gesehen hat, haben wir zu sehen das wunderbare, vergeistigte Feuer, in dem geborgen wird der Leib des Kashyapa. In diesem Feuer wird geborgen werden alles Große und Edle der Vorzeit in der Zukunft. In dem vergeistigten Feuer, in welchem dem Paulus der Christus erschien, wird durch den Maitreya-Buddha der unverwesliche Leib des Kashyapa geborgen werden. So werden wir einströmen sehen, einfließen sehen das Große, das Herrliche, Weisheitsvolle aller Vergangenheit in dasjenige, was der Menschheit durch das Ereignis von Golgatha geworden ist.

Eine Auferstehung des Erdgeistes selber, eine Erlösung der Menschheit tritt uns in dem Symbole der Osterglocken entgegen. Dieses Symbolum gab noch jedem, der es zu verstehen wusste, ein, wie der Mensch sich aufschwingt zu geistigen Höhen durch das Ostergeheimnis. - Nicht ohne Bedeutung ist es, dass Faust, der am Rande des Todes steht, durch die Osterglocken zurückgerufen wird zu einem neuen Leben, das ihn zu dem großen Augenblick führt, wo er sich sagt, als er vor seinem Tode erblindet: «Allein im Innern leuchtet helles Licht.» So kann er hinaufdringen in die geistigen Welten, wo der Menschheit edle Glieder gerettet werden.

Gerettet, geläutert, geborgen wird alles, was in der Vergangenheit gelebt hat, in der geläuterten Geistigkeit, die sich durch das Mysterium von Golgatha über die Erde und in die Menschheit ausgegossen hat, so wie auch geläutert wird einstmals, wenn der Maitreya-Buddha erscheinen wird, der unverwesliche Leib des Kashyapa, des großen, morgenländischen Weisen, in dem wunderbaren Feuer, in dem Lichte des Christus, das dem Paulus erschienen ist auf dem Wege nach Damaskus.