Plato | Siebenter Brief

Siebenter Brief

Platon wünscht Dions Verwandten und einheimischen Freunden sowie den politischen Brüdern desselben Heil und Segen der Vernunft in allen ihren Handlungen.


Ihr habt mir geschrieben, dass ihr der Meinung wäret, ihr müsstet im Staate denselben Gedanken verfolgen, welchen Dion hatte, und demnach fordert ihr mich auf, mit euch in Wort und Tat nach Kräften in Gemeinschaft zu treten. Ich meinerseits gebe euch hierauf meine Zusage, mit euch in völlige Gemeinschaft zu treten, falls ihr dieselbe Ansicht und dasselbe Streben habt, wie jener. Ist das aber nicht der Fall, so werde ich es mir mehr als einmal überlegen.

Was war aber Dions politische Ansicht und Streben? Das kann ich euch deutlich sagen, nicht etwa nach einer Vermutung, sondern aus eigner Anschauung. Als ich nämlich, eben vierzig Jahre alt, anfangs nach Syrakus kam, hatte Dion das Alter, in welchem jetzt Hipparinos steht, und die politische Ansicht, welche er damals hatte, hat er sein ganzes Leben lang ununterbrochen behalten.

Er glaubte nämlich, dass die Syrakuser frei sein und nicht unter dem Regimente von Edlen, sondern nur unter den besten Gesetzen wohnen sollten, und es wäre daher gar kein Wunder, wenn die Götter es gefügt hätten, auch jenen Hipparinos in Absicht auf dieselbe Meinung mit seinem berühmten Vater gleichgesinnt zu stimmen. Welches aber die Art und Weise war, wie jene politische Ansicht sich ausbildete, das ist wert gehört zu werden von Jung und Alt, und ich will es versuchen, euch von Anfang an die Geschichte derselben zu erzählen. Denn die gegenwärtigen Verhältnisse sind dafür passend.

Erste Erfahrungen mit der Politik

Als ich noch in meiner Jugend war, ging es mir wie vielen Jünglingen. Ich hatte im Sinne, sobald ich mein eigener Herr geworden war, mich an der Verwaltung des Staates zu beteiligen.

Da kamen mir einige Verwicklungen im Staate dazwischen, und die waren folgender Art. Da Viele mit der damaligen demokratischen Staatsverfassung unzufrieden waren, so entstand eine Umwälzung derselben, und einundfünfzig aristokratische Männer stellten sich an die Spitze derselben, davon walteten elf in der Stadt Athen und zehn in der Hafenstadt Peiraieus als Verwaltungsbehörden, jede von beiden in Markt- und andren notwendigen Ämtern, die übrigen Dreissig aber machten sich zu unabhängigen Herrn des Staates. Unter diesen hatte ich einige Verwandte und Bekannte, und sonach luden sie mich alsbald zur Teilnahme an ihrer Politik, weil sie glaubten, dass diese mir willkommen sein würde. Und da war es kein Wunder, wenn ich aus jugendlicher Unerfahrenheit mich dazu verleiten ließ.

Ich hegte nämlich den Glauben, sie würden den Staat aus seinem moralisch zerrütteten Leben herausschaffen und ihre Verwaltung denn doch auf eine rechtliche Grundlage stützen, und darum widmete ich ihren politischen Reformen ein aufmerksames Augenmerk.

Nach meiner Beobachtung nun zeigten diese Herrn in kurzer Zeit, dass der frühere politische Zustand noch Gold gewesen war. Davon überzeugte mich, als ich sah, wie sie unter andern den Sokrates in seinen älteren Jahren, den mir so teuren Mann, welchen ich den Besten der damaligen Welt zu nennen keinen Anstand nehmen möchte, nebst anderen Gesellen ihres Gelichters ausschicken wollten, um ihnen einen der Bürger mit Gewalt zur Schlachtbank zu führen, und wie sie das offenbar aus keiner anderen Absicht taten, als dass Sokrates, sei es mit oder ohne Willen, als Teilnehmer ihrer Politik gelte. Sokrates aber folgte ihrem Befehle nicht und wollte sich lieber der größten Lebensgefahr unterziehen, als ein Genosse ihrer verbrecherischen Staatshandlungen werden. Als ich, sage ich, alle diese und noch etwelche andere Greueltaten ansah, da bekam ich einen Ekel an dieser neuen Politik und zog mich zurück von der damaligen Misswirtschaft.

Nach nicht langer Zeit kam es zum Sturz der Dreissig und einem Aufstand gegen ihre politische Richtung. Und wiederum führte mich der Zug meines Herzens, obwohl etwas abgekühlt, unter Hintansetzung meiner persönlichen und häuslichen Interessen, zu den Staatsgeschäften der wiederhergestellten Republik. Auch hierin gab es nun, wie natürlich nach solchen Erschütterungen, viele Dinge, woran man Abscheu empfinden musste, und man dürfte es gar nicht auffallend finden, wenn bei der einen Partei in Revolutionszeiten starke Repressalien gegen die Gegenpartei stattfinden. Es ist indessen nicht zu leugnen, dass die damals zurückgekommenen Demokraten noch viele Mäßigung zeigten.

Das Schicksal des Sokrates

Aber ein neuer Unstern sollte mir in meinem politischen Leben begegnen. Das Unglück verfolgte den genannten Sokrates, unseren langjährigen Freund und Lehrer und einige Wortführer brachten ihn vor Gericht, indem sie ihn der Gottlosigkeit bezichtigten, welche mit dem Charakter des Sokrates im grellsten Widerspruche stand. Es fanden sich Leute die ihn durch Anklage vor Gericht brachten, und es fand sich auch eine Stimmenmehrheit, welche ihn verdammte und das Todesurteil über ihn aussprach, über ihn, welcher unter der vormaligen Aristokraten-Herrschaft, zu einer Zeit als sie in der politischen Verbannung schmachteten, hinsichtlich eines ihrer damals flüchtigen Gesinnungsgenossen Anteil an einem abscheulichen Standrechtsprozesse zu nehmen sich beharrlich weigerte.

Bei der Betrachtung solcher Vorgänge und der Menschen, welche damals an der Spitze der Staatsverwaltung standen, ferner bei näherer Prüfung der Staatsgesetze und sittlichen Gewohnheiten der Bürger schien mir die Verwaltung eines Staatsamtes mit der Vernunft desto schwerer vereinbar, je tiefer ich in diese Zustände blickte und je mehr ich dem reiferen Alter zuschritt.

Denn ohne eine politische Assoziation mit Freunden und treu verbrüderten Parteigängern ist es nicht möglich, mit Politik sich abzugeben, solche, wenn sie auch vorhanden gewesen wären, waren aber schwer aufzufinden, denn unser Staat wurde nicht mehr verwaltet im Geiste der alten guten Sitten und Einrichtungen, und ohne Gefahr sich andre neue heranzuziehen war unmöglich.

Dazu kam, dass die ausdrücklichen Vorschriften der Gesetze unbefolgt blieben, dass die Sitten der Menschen immer fort verderbt wurden und dass das Verderbnis ausserordentlich zunahm. Die Folge davon war, dass ich, der ich früher so voll Eifer für die Staatsgeschäfte war, beim Blick auf diese Zustände und beim Anblick eines gänzlichen Drunter- und Drübergehens der Dinge endlich gleichsam eine Art Schwindel bekam. Da entschloss ich mich, zwar nicht von der Theorie über die etwaige Verbesserung dieser politischen Zustände und der Staatsverfassung überhaupt abzulassen, in Bezug aber auf die praktische Tätigkeit in der Politik bis auf bessere Zeiten zu warten.

Endlich kam ich zur Einsicht, dass alle jetzigen Staaten schlecht regiert sind und dass ihre Verfassungen ohne eine gewisse ausserordentliche Kurmethode in Verbindung mit einem glücklichen Zufall in dem heillosen Zustande verbleiben. Ich musste nämlich zur Ehre der wahren Philosophie gestehen, dass nur in dieser das ganze Heil des Staats- wie des Privat-Lebens zu erblicken ist, dass sonach die Menschheit von ihrem Elend nicht früher erlöst werde, bis entweder der Stand der wahrhaften Philosophen zum Regiment der Staaten kommt oder bis der Stand derjenigen, welche in den Staaten das Regiment in den Händen haben, in Folge einer göttlichen Fügung gründlich sich dem Studium der Philosophie ergibt.

Erster Aufenthalt in Sizilien

Mit diesen Gedanken erfüllt kam ich nach Italien und Sizilien, als ich meine erste Reise dahin machte. Was mir aber hier wiederum bei meinem ersten Auftreten höchst missfiel, das war das dort so genannte glückselige Leben, bestehend in der italischen und sizilischen Völlerei, nämlich in der Gewohnheit, des Tags zwei schwelgerische Mahlzeiten zu halten, des Nachts nicht allein im Bette zu liegen, und überhaupt die mit solchem Leben zusammenhängenden Liebhabereien zu treiben.

Denn kein Mensch vermag unter solchen Gewohnheiten, wenn er von Jugend auf darin sein Leben treibt, zu einem denkenden und weisen Manne heranzureifen, noch weniger wird es ihm einfallen, nach der Fertigkeit eines in jeder Beziehung vernünftig mäßigen Lebens zu streben, und dieselbe Behauptung gilt natürlich auch von den übrigen Tugenden. Ferner kann auch kein Staat – selbst unter der besten Verfassung – zu innerem Frieden gelangen, wenn seine Bürger glauben, alles in übermäßiger Verschwendung durchbringen zu müssen und wenn sie es für Recht halten, sich weder in körperlicher noch in geistiger Beziehung einer Anstrengung unterziehen zu dürfen, ausser wenn es gilt, sich bei schwelgerischen Ess- und Trinkgelagen, sowie im Bette der Wollust zu zeigen.

Solche Staaten stehen bald in der Tyrannei, bald unter der Oligarchie, bald unter der Pöbelherrschaft, und kommen aus Revolutionen gar nicht heraus, und die Machthaber in denselben können nicht einmal den Namen einer Verfassung hören. Mit diesen Gedanken also und mit jenen, welche ich vorhin erwähnte, begab ich mich nach Syrakus. So geschah dies vielleicht durch ein günstiges Geschick, und wirklich sah es so aus, als wenn eine der höheren Mächte damals den ersten Schritt zu den nun dem Dion und den Syrakusern widerfahrenen politischen Ereignissen eingeleitet hätte, aber ich besorge, jener erste Schritt möchte die Quelle noch zu weiterem Unheil werden, wenn ihr nicht meinem Rate folgt, den ich zum zweiten Male gebe.

Vernehmet nun, wie meine damalige Reise nach Sizilien der erste Schritt zu allen den nunmehr erfolgten politischen Ereignissen war.

Begegnung mit Dion

Dion war, als ich mit ihm zusammen kam, noch jung, und ich trug ihm die mir zum Heile der Menschen zu führen scheinenden Ansichten theoretisch vor, ausserdem gab ich ihm auch Anleitung zur praktischen Durchführung derselben. Dadurch war ich wohl auf gewisse Art ohne Wissen und Willen das unschuldige Werkzeug zur nachherigen Auflösung der Tyrannenherrschaft.

Denn Dion, welcher bekanntlich sehr große Lernfähigkeit hatte, war überhaupt, insbesondere aber bei dem Vortrage meiner Lehren, ein so aufmerksamer und fleissiger Zuhörer wie keiner der jungen Leute, welche ich unterrichtete. Auch die Praxis seines übrigen Lebens beschloss er ganz anders einzurichten, als das der meisten Italiker und Sizilier, indem er das Leben eines tugendhaften Mannes weit lieber gewann, als das des sinnlichen Vergnügens und der übrigen vornehmen Üppigkeit. Daher lebte er bis zum Tode des Dionysius mit denen entzweit, welche auf die Weise fortlebten, die unter den Tyrannen eingeführt worden war.

Nach dieser seiner Gesinnungsänderung erkannte er, dass dieses Geisteslicht, welches er von rechter Belehrung empfangen hatte, nicht nur bei ihm aufgegangen war, sondern er sah und empfand, dass es auch bei andren, wenn auch nicht vielen, doch bei einigen Auserlesenen, gezündet habe, und er hatte Grund zu glauben, dass mit Gottes Hilfe auch Dionysius einer derselben werde, geschähe aber so etwas, so werde nicht nur demselben, sondern auch der übrigen syrakusischen Staatsgesellschaft das Los eines unbeschreiblich glücklichen Lebens zu Teil werden.

Im Hinblick auf diese Pläne glaubte nun Dion, dass ich auf jeden Fall so schnell als möglich nach Syrakus kommen müsse als Beirat bei deren Ausführung, und er berief sich dabei auf seinen und meinen früheren belehrenden Umgang und hob hervor, wie leicht er bei ihm die Wirkung hervorgebracht habe, dass ihm Hunger nach dem schönsten und besten Leben gekommen sei. Wenn meine Belehrung auch jetzt wieder bei Dionysius denselben Erfolg zu Stande brächte, wie sie bereits dazu den Anfang gemacht hätte, so hätte er große Hoffnungen, ohne Mord, ohne Hinrichtung und ohne die jetzt üblich gewordenen Übel ein glückliches und auf den Geist der Wahrheit gegründetes Leben im ganzen Lande herzustellen.

Nachdem Dion diese Gedanken erfasst hatte, bestimmte er den Dionysius mich nach Sizilien kommen zu lassen, und er selbst schickte zu mir und bat mich, ja sobald als möglich auf jeden Fall zu kommen, bevor der Zufall einige andre dem Dionys zuführte, und diese ihn zu einem anderen als zu dem besten Leben verleiteten. Er begleitete aber seine Bitte mit folgenden, wenngleich zur vollständigen Aufführung hier etwas zu langen Einzelheiten: »Welche herrlichere Zeiten sollen wir abwarten, als die mit Gottes Glück jetzt eingetretenen?« Er zählte hierauf her, über welches Gebiet Dionysius in Italien und Sizilien herrsche und welchen Einfluss er darin besitze, er rühmte die Jugend des Dionysius und die Wärme seines Verlangens nach philosophischer Bildung, er sprach von seinen Vettern und Verwandten, wie geneigt und geeignet sie seien zu der von mir gelehrten Lebensweise, und wie wichtig eine solche Gesellschaft für den Dionysius sei, um ihn auf dem rechten Wege zu erhalten, so dass – jetzt oder nie – alle Hoffnung zur Realisierung der Vereinigung der Philosophie und der Herrschergewalt in denselben Personen bestünde.

Diese und gar viele andere Zuredungen dieser Art kamen mir also von Dion zu. Meine Meinung darüber aber anlangend, so schreckte mich immer nur der Gedanke an das Herz junger Herren ab, wie das immer so wandelbar sei, denn ihre Neigungen kommen und gehen schnell und geraten oft mit sich in Widerspruch. Was den Dion dagegen betraf, so war mir sein angeborner zuverlässiger Charakter und die Reife seines Alters bekannt genug.

Als ich daher so die Sache überlegte und hin und her schwankte, ob ich gehen oder wie ich es machen sollte, so gab doch zum Gehenmüssen den Ausschlag folgender Gedanke: Jetzt oder nie müsse man den Versuch machen, wenn man seine Ansichten über Staatsgesetze und Staatsverfassung verwirklichen wollte, hätte ich nur Einen vollkommen überzeugt, so würde ich alles Heil glücklich realisiert haben.

Dieser Gedanke und dieser kühne Griff war's, welcher mich zur Abreise von zu Hause bestimmte, nicht das Motiv, welches der Wahn einiger Leute mir unterstellt hat. Vor allem erstlich war der Hauptbeweggrund die Achtung vor mir selbst, um nicht den Schein auf mir ruhen zu lassen, nur eine gewisse Stärke auf theoretischem Felde stehe mir zu Gebote, aber an irgend eine praktische Ausführung zu gehen, sei ich niemals bei der Hand, zweitens dürfte ich auch nicht den Verdacht des Verrates gegen meinen Freund, besonders gegen Dion, auf mich laden, an den mich die Bande der Gastfreundschaft und die einer langjährigen Bekanntschaft knüpften, und welcher in der Tat in eine nicht geringe kritische Situation geraten war.

Mochte ihm nun ein Leid widerfahren oder mochte er von Dionys und den übrigen Gegnern verbannt werden, so stellte ich ihn mir vor, wie er als Flüchtling mit der Anrede zu mir träte: »O Platon, da komme ich zu dir als ein verbannter Mann, nicht aus Mangel an Kriegsvolk zu Fuß und zu Pferd, sondern aus Mangel eines Lehrers und Redners, in welcher Beziehung du meines Wissens eine unbedingte Meisterschaft besitzt, junge Männer zum Guten und Gerechten hinzuleiten und ihre Herzen zu einer festen Freundschaft und in Eintracht zu verbinden. In dieser Beziehung aber von dir ganz im Stiche gelassen, habe ich durch deine Schuld Syrakus verlassen müssen und bin nun hier als Flüchtling.

Mein Unglück jedoch bringt dir noch die geringere Schande, größere bringt dir ein anderer Verrat. Ist die Philosophie, die du preist und deren Missachtung durch die übrigen Menschen du beklagst, nicht jetzt verraten worden? Wenn wir in Megara gewohnt hätten, da wärest du gewiss als Beistand zur Verwirklichung der Pläne gekommen, wozu wir dich anriefen, wenn nicht hättest du gar keine Ehre in der Brust gehabt. Nein, wenn du mit der Länge des Wegs, mit der Weite der Schiffsreise, mit der Größe der Anstrengung dich zu entschuldigen glaubst, so verfehlst du ganz die Absicht, dich vom Schein der Charakterlosigkeit zu befreien.«

Wenn Dion solche Sprache an mich gerichtet haben würde, hätte ich dagegen eine stichhaltige Antwort geben können? Durchaus nicht! Drum reiste ich ab, nicht ohne vernünftige Überlegung und aus dem nach menschlicher Einsicht gültigsten Motiv, indem ich wegen solcher Pflichtgefühle mein Lehramt verließ und mich an den Hof eines Tyrannen begab, was weder meinen philosophischen Grundsätzen noch meinem persönlichen Gefühle zu entsprechen schien, und durch diese meine Abreise machte ich mein Gewissen frei von aller Schuld gegen die heilige Pflicht der Gastfreundschaft und stellte meine philosophische Berufspflicht sicher gegen jeden etwaigen Vorwurf, welcher sie hätte treffen können, wenn ich etwa aus allzu großer Gemächlichkeit oder aus Furchtsamkeit mich einer unehrenhaften Zurückhaltung schuldig gemacht hätte.

Begegnung mit Dionys

Als ich aber ankam, so fand ich, um mich kurz zu fassen, die Umgebung des Dionys voller Zwietracht, und den Dion vom Verdacht belastet, er strebe nach dem Throne. Ich meinerseits suchte ihn nun nach Kräften zu verteidigen, richtete aber wenig aus, und kaum etwa nach dem ersten Vierteljahr meines Dortseins ließ Dionysius den Dion unter dem angeblichen Grunde, dass dieser ihm nach dem Throne strebe, in ein kleines Boot schaffen und schickte ihn in die Verbannung.

Ich mit allen Freunden Dions hatte hierauf große Besorgnis, Dionysius möchte aus irgend einem Vorwande auch gegen einen von uns, als angeblichen Mitschuldigen an Dions Anschlag, seine Maßregeln ergreifen, und über mich ging auch in Syrakus ein Gerede, als sei ich, der Urheber aller jener damaligen politischen Vorgänge, von Dionysius hingerichtet worden.

Als derselbe aber von dieser unserer Stimmung Kenntnis bekam, so empfing er uns alle, aus Besorgnis dass unsere Furcht zu etwas Ärgerem führen möchte, sehr gnädig und sprach sonach insbesondere mir Beruhigung und Mut ein, ermunterte und bat sogar, dass ich auf alle Weise bleiben möchte. Denn wenn ich floh, so konnte ihm daraus nichts Gutes erwachsen, wohl aber aus meinem Verbleiben. Daher er denn auch so sehr gnädig geruhte, mich zu bitten.

Aber von den Bitten der Tyrannen wissen wir, dass sie mit Befehlen gesalzen sind. Zu diesem Ende gebrauchte er nun eine List und machte mir die Abfahrt unmöglich dadurch, dass er mich auf die Burg versetzte und da ein Quartier anwies, von wannen gar kein Schiffer gegen den Befehl Dionysens, ja nicht einmal ohne Zusendung eines allerhöchsten Befehls von ihm mich fortgeführt haben würde. Hätte ich aber allein fortreisen wollen, so würde der Herr jedes Handelsschiffes oder der nächste Hafenbeamte mich erwischt, festgenommen und schnell wieder zu Dionysius zurückgeführt haben, zumal da bereits von dem früher einmal ausgesprengten Gerüchte von meiner angeblichen Hinrichtung gerade wieder das Gegenteil verbreitet war und überall erzählt wurde, wie huldvoll Dionysius den Platon jetzt behandle.

Was war aber an diesem letzteren Gerüchte? Das will ich euch sagen, denn die Wahrheit darf man nicht verschweigen. Dionysius wurde allerdings immer zutraulicher, je länger er in unserem Umgange mein Benehmen und meine Lehre kennen lernte, aber er hatte dabei die Laune, dass ich ihn mehr loben sollte als den Dion, und dass ich ihn als Freund entschieden höher achten sollte als diesen, und in Beziehung auf so eine Äusserung von mir war er ausserordentlich empfindlich.

In dem Benehmen dagegen, durch welches seine Absicht, sofern sie erreichbar gewesen wäre, am besten hätte erreicht werden können, war er lässig. Dies Benehmen hätte aber selbstbegreiflich darin bestanden, dass er durch Studieren und Hören meiner philosophischen Lehre sich mir innig und häufig genähert hätte. Das tat er aber nicht, aus Furcht, er möchte etwa, wie Verleumder ihm zugeflüstert hatten, auf irgend eine Weise sich hinters Licht führen lassen, und dann sei natürlich die Absicht Dions erreicht. Ich dagegen ertrug alle diese Unannehmlichkeiten ruhig und hielt fest an dem Hauptgedanken, mit welchem ich Anfangs hingekommen war, beharrlich Alles versuchend, ob nicht auf irgend eine Weise ein Verlangen nach dem philosophischen Leben bei ihm entzündet werden könnte. Er aber besiegte durch Widerstreben meine Beharrlichkeit.

Zweite Reise nach Sizilien

Und so verstrich nun bekanntlich die Zeit meines ersten Aufenthaltes in Sizilien in Folge aller der oben erwähnten Umstände. Später verließ ich wiederum die Heimat und kam noch ein Mal dahin auf alles mögliche Drängen von Seiten des Dionysius. Wenn ich euch erst meinen Rat darüber gegeben haben werde, was unter den gegenwärtigen Vorfällen zu tun ist, so werde ich dann die Gründe aufzählen, deretwegen ich jene zweite Reise unternahm, sowie auch alle meine dortigen nach den Grundsätzen der Billigkeit und des Rechtes eingehaltenen Handlungen, und zwar dem Reden der Leute wegen, welche noch immer fragen, aus welcher Absicht denn ich das zweite Mal hingegangen wäre. Und meinen Rat gebe ich euch zuerst, damit es mir nicht begegnet, die Nebensachen als Hauptsachen vorzutragen.

Erster Rat

Mein Rat ist also folgender.

Ich für meinen Teil würde den für einen tüchtigen Mann sowohl wie für einen tüchtigen Arzt halten, welcher einem in Absicht auf Gesundheit schlechte Lebensart führenden Kranken riete, vor Allem einmal erst seine Lebensweise zu verändern, und welcher bei dessen Bereitwilligkeit für diese Vorschrift sich zwar zur Vollendung der übrigen Kur bereit zeigte, aber bei dessen Weigerung vor dieser ersten Verordnung der Konsultation mit einem solchen Patienten den Rücken kehrt. Dagegen halte ich den Arzt, der einen solchen Kranken nicht aufgibt, für einen Schwachkopf und Pfuscher.

Dieselbe Bewandtnis hat es bekanntlich auch mit einem Staate, mag an der Spitze desselben Einer stehen oder Mehrere. Wenn dessen Regierung einigermaßen auf einer vernünftigen Bahn wandelte und einen guten Rat hierbei nötig hätte, so dürfte ein Mann von Kopf solchen Staatsmännern seinen Rat wohl erteilen, wandeln diese aber ganz ausserhalb der Bahn einer moralisch vernünftigen Politik und haben sie auch gar keinen guten Willen, auf ihre Spur einzulenken, insinuieren sie sogar dem Ratgeber, er möge die alte Staatsform ja ihren alten Gang gehen lassen und bei Gefahr seines Kopfes ja nicht daran rütteln, oder befehlen sie ihm sogar, ihren Lüsten zu dienen und nur zu raten, auf welche Weise ihre Erfüllung ohne Ende fortgehen könne, dann ist nach meinen Grundsätzen der, welcher in solchem Staatsrate verbleibt, eine Memme, und der welcher austritt, ein Mann.

Dieser Gedanke war und bleibt ein Grundsatz bei mir. Wenn Jemand über die wichtigsten Angelegenheiten des Lebens, wie wenn es sich handelt um Geld und Gut, um das Wohl des Leibes oder der Seele, mich mit zu Rate zieht, so rate ich ihm mit allem Willen und lasse es nicht bloß bei einer äusserlichen Freundschaftsbezeigung bewenden, falls seine tägliche Lebensart sich in einer gewissen Bahn zu bewegen und er in den fraglichen Punkten seines Benehmens, wenn man ihm einen Rat geben würde, folgen zu wollen scheint.

Wenn einer aber durchaus meinen Rat gar nicht begehrt oder im Falle des Begehrens offenbar Mangel an Folgsamkeit zeigt, so dränge ich einem solchen meinen Rat nicht auf, wende auch keine Nötigung an, selbst wenn es mein eigener Sohne wäre. Nur einen Sklaven würde ich zwingen, wenn er bei Erteilung eines guten Rates nicht folgen wollte, aber einen Zwang bei Vater und Mutter in diesem Falle würde ich für Sünde halten, mit der einzigen Ausnahme des Falles, dass sie mit einer Geisteskrankheit behaftet wären. Wenn sie aber irgend eine bestimmte Lebensart führten, welche ihnen gefiele, mir aber nicht, so würde ich mich nicht mit ihnen verfeinden durch doch vergebliches Zurechtweisen, eben so wenig würde ich sklavisch schmeicheln dadurch, dass ich ihnen die Befriedigung ihrer Lüste verschaffte, bei deren Frönung ich nicht leben wollte.

Denselben Gedanken muss hinsichtlich seines Staates in seinem Leben der Verständige haben. Er tritt mit seinem Rat auf, wenn es im Staatshaushalte schlecht zu gehen scheint, falls er weder vergebliche Worte führen wird noch sein Leben gefährdet, er tut aber seinem Vaterlande keine Gewalt an durch Umsturz der bestehenden Verfassung, wenn es ohne Verbannung und Hinrichtung der Bürger nicht möglich ist, die nach seiner Vorstellung richtige Staatsverfassung zu realisieren. Er schweigt dann und erhofft sich das Beste.

Soll ich euch nun einen Rat geben, so würde ich dies selbstverständlich in derselben Weise tun wie ich im Vereine mit Dion ihn auch dem Dionysius zu geben pflegte, nämlich vorerst sein tägliches Leben so einzurichten, dass er so viel als möglich mit seiner Vernunft erst Souverän über sich selbst sei, und dass er dann dadurch Freunde und Vertraute erwerbe, damit es ihm nicht gehe wie seinem Vater.

Als dieser nämlich viele große von den Barbaren zerstörte Städte übernommen hatte, so war er nach Wiederaufbauung derselben nicht im Stande, in jeder derselben eine zuverlässige Verwaltung niederzusetzen mittels vertrauter Männer oder mittels andrer irgendwoher herbeigezogener Fremden oder mittels seiner jüngeren von ihm selbst erzogenen Brüder, die er aus unwissenden Bürgern zu hohen Beamten und aus armen Schluckern zu ganz reichen Leuten gemacht hatte.

Weder durch gute Worte noch durch große Wohltaten, noch durch eheliche Verbindungen mit seiner Familie vermochte er irgend einen jener Leute zu wirklichen Mitarbeitern seiner Regierung zu machen. Er war in dieser Beziehung sieben Mal schlechter daran als Darius. Dieser konnte sich auch nicht Brüdern, selbst den von ihm erzogenen nicht, anvertrauen, wohl aber den Mitverschworenen, welche ihm den medischen Eunuchen hatten stürzen helfen. Er teilte das Land in sieben Provinzen für sie, jedes größer als Sizilien, und hatte an ihnen zuverlässige Mitstreiter, welche weder gegen ihn noch gegeneinander intrigierten, und hat ein Vorbild von einem guten Gesetzgeber und König aufgestellt, denn er ist der Gründer einer gesetzlichen Staatseinrichtung, welche noch heutigen Tages der Anker des persischen Reiches ist.

Ferner haben nebstdem die Athener viele von den Barbaren nach Verjagung ihrer Bürger zerstörten Städte zwar nicht selbst aufgebaut, sondern schon aufgebaute in ihre Botmäßigkeit bekommen, sie haben indessen siebzig Jahre lang darin die Oberherrschaft behauptet dadurch, dass sie in jeder jener Städte befreundete Männer hatten. Der alte Dionysius dagegen, welcher vor lauter Gescheitheit ganz Sizilien in einen einzigen Staatskörper konzentrierte, welcher Niemandem traute, hielt sich mit knapper Not auf dem Throne, denn er war arm an befreundeten und treuen Männern.

Es gibt in Absicht auf moralischen Wert und Unwert kein größeres Zeichen als den Mangel oder den Besitz solcher Männer. Doch um auf die Ratschläge, welche ich und Dion unserem Hauptgrundsatz gemäß auch dem jüngeren Dionysius gaben, zurück zu kommen, so bestanden sie darin: nachdem durch die Schuld seines Vaters er das Unglück gehabt hätte, ohne Bekanntschaft mit einem ordentlichen Jugendunterrichte, ohne Umgang mit einer passenden Gesellschaft aufgewachsen zu sein, so sollte er vor allem dahin sein Streben richten, dass er sich andre Freunde unter den jungen Leuten seiner Verwandtschaft und seines Alters erwerbe, welche im Ringen nach geistiger Tüchtigkeit mit ihm die Waage halten, dass er aber vor Allem in seinem Innern mit sich selbst einig werde, denn in diesem Punkte fehle es ihm ausserordentlich.

Wir drückten uns dabei nicht so deutlich aus, denn es wäre nicht gefahrlos gewesen, sondern wir gaben ihm nur versteckte Winke und suchten seinem Verstande mit Vorstellungen beizukommen, wie auf jene Weise jeder Mensch sein eigenes Heil sowohl wie das jener, deren Führer er ist, erreichen werde, schlage er aber einen andren Weg ein, so werde er in allen Stücken das Gegenteil bewirken; und so werde auch er durch einen Wandel, wie wir ihn zeigten, erstlich sich selbst zu einem Kinde des Geistes und besonnener Selbstbeherrschung machen, sodann auch im Besitze dieser Tugenden das väterliche Reich nicht nur nicht doppelt, sondern im Geiste und der Wahrheit tausendfach vergrößern, wenn er die verwüsteten Städte Siziliens wieder herstellte und sie nur durch das Band einer auf dem moralischen Gefühl beruhenden Gesetzgebung sowie einer von demselben edlen Geiste beseelten Staatsverfassung konzentrierte, und nur so würden sie ihm treulich beistehen sowohl bei inneren Aufständen als auch nach außen im Kriege gegen die Barbaren. Nach Verwirklichung solcher Werke stehe sicherlich zu erwarten, dass die Karthager in eine viel größere Unterwürfigkeit kommen würden als die war, welche sie unter Gelon erfuhren, und es würde nicht wie heutzutage das Gegenteil davon passieren; bekanntlich hatte sein Vater sich anheischig gemacht, jenen Barbaren einen Tribut zu bezahlen.

Undank des Dionys

Das sind die Gedanken und Winke, die wir Intriganten hatten, wie wir von vielen Seiten genannt wurden. Und dieses Gerede gewann bekanntlich bei Dionysius die Oberhand und hatte die Folge, dass Dion ausser Land und ich in Furcht gejagt wurde.

Dion kam, um hier die umfangreichsten Ereignisse in Kürze abzumachen, aus dem Peloponnes und von Athen zurück und gab dem Dionysius eine Lektion mit dem Schwerte. Und nachdem er nun die Stadt zweimal befreit und den Syrakusern zurückgegeben hatte, so waren sie derselben Untergebenheit gegen Dion damals ausgesetzt, welche auch Dionysius gehabt hatte, als jener es unternahm, diesen zu dem Ideal eines der Regierung würdigen Königs zu bilden und zu erziehen und nach Vollendung dieser Aufgabe sein ganzes Leben mit ihm zu teilen. Denn Dionysius glaubte den Verleumdungen und ausgesprengten Reden, nur aus Absichten auf den Thron tue Dion Alles was er täte in jener Zeit. Dionysius solle nämlich seinen Geist in die Philosophie vertiefen, dadurch seine Regierung vernachlässigen und diesem überlassen. Dion dagegen arbeite in seinem eigenen Interesse und suche durch List den Dionysius vom Thron zu stürzen. Solches Gerede drang damals sogar zum zweiten Male in Syrakus durch, und zwar durch einen Sieg, der eben so unvernünftig wie moralisch schädlich ist für die Sieger. Wie das zugegangen ist, das müsst ihr hören, die ihr um meinen Rat zur Schlichtung eurer jetzigen politischen Wirren verlangt.

Vom heimatlichen Athen, wo ich geboren ward, kam ich als langjähriger inniger Freund des Dion, in der Absicht zu Dionysius, damit ich ein freundliches Verhältnis zwischen Beiden zustandebrächte, aber keinen Krieg. Allein bei aller athenischen Bildung unterlag ich im Kampfe mit meinen Verleumdern.

Als aber Dionysius durch Ehren und Geld mich dahin zu bestechen suchte, dass ich mit meiner Freundschaft offenkundig auf seine Seite trete, damit ihm dies zur Beschönigung für seine Verbannung des Dion diene, so verfehlte er, wie es sich von selbst versteht, diese Absichten. Aber hievon genug!

Nach der Zeit kehrte Dion bekanntlich in seine Heimat zurück und brachte da zwei Freunde aus Athen mit, welche Brüder waren. Die Freundschaft war nicht aus Liebe zur Philosophie entstanden, sondern aus dem Ursprung der meisten Freundschaften, aus jener alltäglichen Verbrüderung, welche man aus dem gemeinsamen Feiern und aus den Feiern der Mysterien gewinnt. Auf diese Veranlassung und in Folge ihrer Dienstfertigkeit bei der Heimreise waren nun auch die erwähnten Begleiter Dions zu dessen Freundschaft und vertrauterem Umgange gelangt.

Aber nachdem sie bei ihrer Ankunft in Sizilien in Erfahrung brachten, dass Dion bei eben den von ihm befreiten Sizilianern verdächtigt sei, als führe er im Schilde, Tyrann zu werden, so begingen sie nicht nur an ihrem guten Freunde einen Verrat, sondern wurden auch so gut wie seine eigenhändigen Mörder, denn mit Waffen in der Hand standen sie als Helfer seinen Mördern bei. Übergehen will ich diese schändliche und himmelschreiende Tat nicht, aber ich will auch weiter kein Wort darüber verlieren. Viele Andere nämlich machen sich ein angelegenes Geschäft daraus, in solche Greueltaten ein Loblied auf sich einzufügen, und werden es auch in Zukunft tun.

[B] Nur das bei dieser Gelegenheit über die Athener verbreitete Gerede, als hätten jene Mörder der Bildung ihres Geburtsortes einen ewigen Schimpf angehängt, muss ich hier mit einem Worte hervorheben, denn ich darf hier erklären, dass eben auch der ein Athener ist, welcher den Mann nicht verriet, obwohl er für einen Verrat Geldschätze und andere Auszeichnungen hätte gewinnen können. Denn sie waren aus niedrigen Beweggründen seine Freunde geworden und nicht aus gemeinschaftlichem Interesses für höhere Bildung, auf welches geistige Band der Mann von tiefer Einsicht mehr vertraut als auf die leibliche Verwandtschaft. Die beiden Mörder des Dion verdienen es demnach nicht, dass man von ihnen sagt, sie seien von Bedeutung und hätten der Stadt Athen einen Schandflecken angehängt.

Zweiter Rat

All das Vorstehende ist gesagt, um den Freunden und Verwandten des Dion als Rat zu dienen. Nebst dem aber erteile ich euch noch einen Rat und eine Lehre, und zwar denselben Rat und dieselbe Lehre welche ich bei euch zum dritten Male an den Mann bringe, und diese meine Lehre lautet: Bringet nicht Sizilien und auch nicht einen anderen Staat unter die absolute Botmäßigkeit menschlicher Willkür, sondern unter die Botmäßigkeit eines auf herkömmliche Sitte gestützten und schriftlich aufgestellten Gesetzes. Es gibt kein Glück weder für die Regenten noch für die Untertanen eines nach despotischer menschlicher Willkür regierten Staates, kein Glück für sie selbst, keines für Kindeskinder und Nachwelt, sondern ein solcher Versuch führt jeden Falls einen Ruin herbei. Nur eine kleinliche und niedrige Denkart hascht gerne nur nach den vergänglichen Vorteilen solcher in den Tag hinein regierenden Politik, weil sie nichts weiß von dem was für die Zukunft und auch für den gegenwärtigen Augenblick wirklich gut und gerecht ist.

Von der Wahrheit dieser Lehren suchte ich zuerst den Dion zu überzeugen, zweitens dann den Dionysius und drittens euch. Und folget nun meinem Wort des dritten rettenden Zeus wegen, nachdem ihr einen Blick auf die Lebensgeschichte des Dionysius und des Dion geworfen habt. Der eine davon folgte nicht und führt jetzt ein schimpfliches Leben, der andere folgte und ist rühmlich tot. Denn wenn einer nach den wahren Gütern sowohl für seine Person wie für den Staat strebt, da ist jedes Leiden vernünftig und schön, was immer er auch leiden mag.

Keiner von uns ist unsterblich, und wenn solches Los auch Einem hienieden zuteil werden sollte, so würde er dadurch nicht glückselig, wie das ungebildete Volk glaubt. Denn es gibt kein Übel und kein Gutes für das Unbeseelte, nur bei den Seelen ist dies der Fall, so lange sie mit dem Körper verbunden oder auch wenn sie von demselben geschieden sind. Man hat daher immer in Wahrheit mit Überzeugung nach jenen alten heiligen Überlieferungen zu leben, welche bekanntlich offenbaren, dass wir eine unsterbliche Seele haben, dass sie für ihre Handlungen einen Richter erhält und für ihre Vergehen die größten Strafen zu verbüßen hat, wann eine einmal von ihrem Körper geschieden ist.

Darum muss man auch das Dulden großer Vergehen und Ungerechtigkeiten für ein geringeres Übel halten als das Verüben derselben. Das sind aber Lehren, welche der bloß nach Geld und Gut geizende, aber an der Seele arme Mensch nicht hört, und sollte er sie auch hören, so hört er sie nach seinem Lebensstandpunkte mit Hohngelächter an und trachtet nach Nichts als überall her alles Mögliche nach Art des unvernünftigen Tieres schamlos zu erhaschen, was er essen und trinken zu können glaubt oder was ihm sein Begehren stillt bloß hinsichtlich der tierischen und ekelhaften Liebe, welche diesen Namen vernünftiger Weise gar nicht verdient. Ein dabei mit Blindheit geschlagener und nicht einzusehen vermögender Mensch, mit welchen der erhaschten Sinnesgenüsse eine Freveltat verknüpft ist, allemal ein ungeheures Unheil bei jedem Unrecht, und dass die Folge jeder Freveltat eines jeden, der ein Unrecht begangen hat nach einem unausweichbaren Verhängnis einmal hier auf Erden mit sich herumschleppen muss, so lange er darauf herum wandelt, und dann auch unter der Erde, da seine ehrlose Lebensweise ihm nichts als Schande bringt.

Diese und andere dergleichen Lehren trug ich dem Dion vor, und ich drang damit bekanntlich zu seinem Herzen. Einen sehr gerechten Zorn dürfte ich daher gegen seine Mörder hegen, und ganz ähnlich gegen den Dionysius. Denn jene wie dieser haben mir, ja man kann wohl sagen Allen den ärgsten Schaden zugefügt. Jene dadurch, dass sie den Mann von dem besten Willen, der Gerechtigkeit zum Siege zu verhelfen, aus der Welt schafften, dieser dadurch, dass er, obwohl im Besitze der größten Gewalt, durchaus keinen Willen hatte, Gerechtigkeit in dem Gebiete seiner Herrschaft zu verwirklichen.

Wäre aber in diesem Gebiete die Vereinigung von Philosophie und politischer Macht in einer Person zu Stande gekommen, so wäre in der ganzen Menschheit, sowohl bei den Hellenen wie bei den Barbaren, das Licht einer geeigneten Erkenntnis durchgedrungen, und alle Welt wäre von der Wahrheit des Satzes überzeugt worden, dass kein Staat und kein einzelner Mensch je glücklich werden kann, wenn er nicht mit denkendem Geiste in Gerechtigkeit sein Leben hinbringt, mag er nun in seinem Inneren den rechten Geist sich angeeignet haben oder mag er unter der Führung der vom Geiste erfüllten Männer nach der rechten Methode zu jenem Leben erzogen und herangebildet worden sein.

Dionys und seine Handlanger

Soweit von dem Schaden welchen Dionys der Welt gebracht hat, im Vergleich mit welchem die mir in andrer Beziehung persönlich widerfahrene Verletzung sehr gering anzuschlagen ist. Aber denselben Schaden hat die Hand angerichtet, welche den Dion ermordete, ohne sich dessen gerade bewusst zu sein. Denn soweit ein Mensch von Menschen etwas Gewisses sagen kann, so weiss ich sicherlich, dass Dion, wann er das Staatsruder übernommen hätte, dass er, sag' ich, zu keiner andren Regierungsweise sich verstanden hätte, als zu folgender: nachdem er erstlich zunächst seine eigene Vaterstadt Syrakus von der Knechtschaft befreit, nachdem er es wieder in das Recht freier Menschen eingesetzt und dadurch ihm neuen Lebensmut gegeben, so hätte er hierauf auf alle mögliche Weise die Bürger dieses Staats mit den jener Freiheit entsprechenden und besten Gesetzen beglückt, zweitens hätte er sodann mit allem Eifer durchzusetzen gesucht, in ganz Sizilien die verwüsteten Städte wieder aufzubauen, und dasselbe von dem Joche der Barbaren ganz frei zu machen, teils durch Verjagung, teils durch Unterwerfung, was ihm leichter gelungen wäre als dem Hieron.

Aber nach solchen Reformen durch einen mit allen Tugenden, der Gerechtigkeit und dem ausdauerden Mannesmute, der besonnenen Mäßigung und der Weisheit ausgerüsteten Manne hätte dann bei dem syrakusischen Volke sich dieselbe Ansicht über die Tugend verbreitet, wie sie sich wohl bei der ganzen Menschheit verbreitet und auf die Dauer erhalten hätte, wenn Dionysius mir gefolgt wäre.

Nun aber ist mir entweder ein Dämon oder ein gewisser fluchbeladener Mensch dazwischen gekommen und hat in seiner Verachtung menschlicher und göttlicher Gesetze, sowie besonders mit der Faust der verruchten Dummheit, in welcher die Wurzel und der Keim aller Übel der Welt liegt und welche für die Nachwelt die bitterste Frucht trägt, alle meine Pläne schon zum zweiten Male vereitelt.

Und jetzt nun beim dritten Male, wollen wir alle Reden meiden, die auf Böses deuten.

Dritter Rat

Bei allem bisherigen Unglücke will ich euch hierbei doch meine Ratschläge nicht versagen, und da ist denn der erste, den ich euch Freunden des Dion vor Allem deshalb erteile, der: seine Vaterlandsliebe sowohl wie seine vernünftige Lebensart zum Beispiel zu nehmen, sowie auch die Ratschläge von ihm zu verwirklichen, – wie diese lauten, das habt ihr deutlich von mir gehört. Sollte aber einer von euch nicht nach der einfachen Sitte der Dorer leben können, sondern nach der Art der Mörder Dions dem sizilischen Genussleben nachgehen, den rate ich weder zu eurer Gemeinschaft einzuladen, noch ihm ein treues und ehrliches Handeln zuzutrauen. Die übrigen Freunde ermuntert zur Aufbauung der Städte in ganz Sizilien und zur Einführung einer Gleichheit vor dem Gesetze, und zieht hierzu Leute aus Sizilien wie auch aus dem ganzen Peloponnes; auch schließet nicht Athen hierbei aus. Auch dort sind Leute, welche Freunde echter Tugend sind, wie wenige in der ganzen Welt, und welche die Verruchtheit von Freundesmördern verabscheuen.

Wenn aber diese Ratschläge zu spät kommen sollten und bereits die vielen und mancherlei täglich wie aus der Erde wachsende Wirren der Parteien euch auf dem Nacken sitzen, so muss ein jeder Mensch in der Welt, dem irgend eine höhere Hand in Absicht auf Erkenntnis bloß einen richtigen praktischen Blick auch nur in geringem Maße beschert hat, die Einsicht haben, dass es kein Aufhören der Aufruhren gibt, bis die die Oberhand bekommende Partei aufhört durch Verbannungen und Hinrichtungen der Gegner zu regieren und von dem Rachegefühl gegen dieselbe sich hinreissen zu lassen, bis es Gesetze gibt, die allen zugute kommen, und bis sie also die Überwundenen nötigen, die Gesetze der Verfassung durch ein doppeltes Zwangsmittel zu befolgen: durch Furcht und durch Einflößung von Achtung.

Einmal durch Furcht dadurch, dass sie in Folge ihrer Überlegenheit auf ihre Gewalt hinweisen, und dann durch Einflößung von Achtung dadurch, dass sie sich als Sieger über ihre Lüste zeigen und in Folge dieser Überlegenheit noch mehr als die Besiegten sich den Gesetze unterwerfen. Auf eine andere Weise ist es nicht möglich, dass ein in Parteien geteilter Staat Ruhe von seinen unheilvollen Wirren findet, sondern Bürgerkrieg, Feindschaft, Hass, Verrat entstehen gewöhnlich abwechselnd in dem Innern solcher kranker Staaten.

Wenn die obsiegende Partei nach gründlicher Heilung verlangt, so muss sie vor allem aus ihrer Reihe Vertrauensmänner wählen, welche den besten Ruf genießen, und zwar erstlich Männer von reiferem Alter, von Haus aus frei, mit Familie, ferner mit einer möglichst langen Reihe namhafter Ahnen, und alle mit einem für ihre Selbständigkeit ausreichenden Grundbesitz.

Was sodann die Zahl betrifft, so sind fünfzig Männer für zehntausend Bürger genug. Diese muss man nun durch Bitten und möglichst große Ehren aus ihrer Heimat kommen lassen, sie nach geschehener Versammlung einladen, der Bürgerschaft einer Verteilung der Rechte verfassungsmäßig festzustellen, und ihnen anbefehlen, dass sie weder den Siegern noch den Besiegten zu Liebe hierbei verteilen, sondern dass sie für alle Bürger ein allen gleich zukommendes und alle betreffendes Recht bestimmen. Sind aber die auf dem sittlichen Gefühle des Volkes beruhenden Gesetze aufgestellt, so liegt alles Heil des Staates an ihrer Befolgung, denn erst dann, wenn die obsiegende Partei sich selbst mehr zu Knechten der Gesetze macht, als die Besiegten, ist überall Heil, Glück und Befreiung von allen früheren Übeln.

Geschieht das aber nicht, so muss man weder mich noch einen Andren als einen Beirat rufen zu einem, der meinen jetzigen Vorschriften nicht gehorchen will. Diese sind nämlich dieselben welche ich und Dion aus Wohlwollen für die Syrakuser auszuführen gedachten, und zwar als ich zum zweiten Male an der Verbesserung eurer Politik arbeitete. Der erste Versuch bestand in den Staatswohltaten, welche ich vorher mit Dionysius selbst auszuführen unternahm; aber ein über die Macht der Menschen gehendes Geschick machte einen Strich durch diesen Plan. Bei eurem jetzigen dritten Versuche führet jenes Werk glücklicher aus unter günstigeren Umständen und mit dem Segen des Himmels.

So weit mein brieflicher Rat und so weit von der Geschichte meiner ersten Reise zu Dionysius. Meine zweite Reise und Fahrt angehend, so kann hierauf nun Jeder, den es interessiert, verstehen, mit welcher Wahrscheinlichkeit des Erfolgs und mit welchem Vorbedacht sie geschah.

Vorgeschichte der dritten Reise nach Sizilien

Die erste Zeit meines Aufenthalts in Sizilien wurde, wie schon bemerkt, bei mir hingebracht, bevor ich den Verwandten und Freunden des Dion einen Rat erteilen konnte. Hierauf nun beredete ich, wie ich denn nur konnte, den Dionysius, mich zu entlasten, und wir verständigten uns dahin, dass dies nach Wiederherstellung des Friedens geschehen sollte, denn es war damals Krieg.

Dionysius nämlich versprach seinerseits, mich sowohl wie den Dion wieder kommen zu lassen, sobald er den wankenden Thron sich wieder fester gestellt hätte, in bezug auf den Dion solle man die Sache so auffassen, als wenn ihm damals keine Verbannung widerfahren sei, sondern nur eine Ortsveränderung. Ich meinerseits versprach wieder zu kommen, aber nur unter den genannten ausdrücklichen Bedingungen. Und nach Wiederherstellung des Friedens hieß er mich wieder kommen, in Betreff des Dion aber bat er noch ein Jahr zu warten, ich dagegen solle auf jeden Fall kommen.

Dion seinerseits hieß mich nun infolge dessen abfahren und bat unaufhörlich, denn unter andern hatte sich von Sizilien aus die Nachricht verbreitet, dass Dionysius wieder in ein ausserordentliches Verlangen nach Philosophie geraten sei, weshalb Dion mich inständigst bat, dem Rufe zu folgen.

Was tat ich hierauf? Ähnliche Beispiele warmer Gefühle für die Philosophie bei jungen Männern waren mir aus meiner Erfahrung nicht unbekannt, ich hielt es indessen für geratener, damals wenigstens vielen Plänen und auch denen des Dion und Dionysius den Abschied zu geben, und ich verfeindete mich mit Beiden durch die Antwort, dass ich erstlich schon ein alter Mann sei und dass zweitens unseren früheren Verabredungen keine der jetzigen Handlungen entspräche.

Aller Vermutung nach war nach diesem Vorfalle Archytas zu Dionysius gekommen, ich hatte nämlich vor meiner letzten Abreise von dort, Archytas und meine andern Freunde zu Tarent zu Dionysius in ein gastfreundliches und inniges Verhältnis gebracht. Nebst Archytas waren auch noch andere Männer in Syrakus, welche durch Belehrung von Dion einige philosophische Bildung hatten, und unter diesen andre, welche, die tiefer in die gehörigen philosophischen Wahrheiten eingedrungen waren. Diese Philosophen scheinen mir nun sich mit Dionysius in eine philosophische Unterredung eingelassen zu haben, um mit ihm eine Diskussion anzustellen, weil sie voraussetzten, Dionysius habe alle meine Ideen gründlich aufgefasst. Dieser seinerseits, sonst gar nicht ohne angeborene Anlage und in bezug auf wissenschaftliche Fähigkeit ausserordentlich ehrgeizig, hatte nun wohl großen Gefallen an diesen philosophischen Gesprächen, aber schämte sich, als sich hierbei herausstellte, dass er gar nichts von dem Vortrage meiner ersten Anwesenheit profitiert habe.

Daher zum Teil kam ihn das Verlangen an, meinen Vortrag behufs einer klareren Anschauung gründlich zu hören, zum Teil trieb ihn auch die Eitelkeit seines Ehrgeizes dazu an. Die Ursachen, aus welchen er bei meiner ersten Anwesenheit mich nicht ordentlich hörte, habe ich in den oben gegebenen Berichten soeben aufgezählt. Nachdem ich nun mich glücklich nach Hause gerettet und auf seine zweite Einladung, wie oben bemerkt, eine abschlägige Antwort gegeben hatte, da scheint Dionysius sich ganz und gar mit den Gedanken seines Stolzes gequält zu haben, dass bei manchen die Meinung aufkäme, ich möchte nicht gerne wieder zu ihm zu kommen, weil ich aus Erfahrung seiner Veranlagung und seines fortwährenden Verhaltens, sowie von seiner Lebensart, ihn verachte.

Einladung des Dionys

Ich werde, wie immer, die Wahrheit berichten, selbst auf die Gefahr hin, dass einer nach Vernehmung des von mir erlebten Vorgefallenen auf meine Philosophie verächtlich herabblicken, dagegen dem Tyrannen Mutterwitz zuschreiben sollte. Denn es schickte, wie bekannt, Dionysius zum dritten Male eine Trireme zur Bequemlichkeit meiner Reise, er schickte zweitens den Archidemos, seiner Ansicht nach den größten Verehrer von mir in Sizilien, und einen von den Vertrauten des Archytas, nebst anderen von meinen sizilischen Anhängern welche mir alle einstimmig verkündeten, wie ausserordenliche Fortschritte der Tyrann in der Philosophie gemacht habe. Er schickte auch einen langen Brief, weil er wohl wusste, in welchem Verhältnis ich zu Dion stand, und wie sehr Dion seinerseits wünschte, zu Schiffe zu gehen und nach Syrakus zu reisen. Denn in bezug auf alle diese Verhältnisse war der Brief gleich von dem Anfange an angelegt und lautete etwa wie folgt:

Dionys an Platon: Nach dem gebräuchlichen Anfang war sein Hauptanliegen folgendes. »Wenn du dich jetzt durch diese Zeilen zu einer Reise nach Sizilien bewegen lässt, so sollen erstlich dir deine Wünsche in Bezug auf Dion so erfüllt werden, wie du es selbst für gut finden wirst. Du wirst aber, ich weiss es, nichts Übermäßiges verlangen, und ich werde willfahren. Kommst du aber nicht, so wird keine der Angelegenheiten Dions weder überhaupt noch insbesondere in Bezug auf seine eigne Person dir nach deinem Sinne in Erfüllung gehen.«

So sprach er sich in Bezug auf jene Verhältnisse aus.

Der übrige Inhalt des Briefes wäre hier zu lang, und auch nicht hierher gehörig. Nebst dem kamen auch noch andere Briefe von Archytas und anderen Tarentinern, voll Lobeserhebung des philosophischen Eifers des Dionysius und insbesondere des Inhalts, dass ich im Falle meines jetzigen Nichtkommens das durch meine Bemühung zwischen ihnen und Dionysius zu Stande gekommene Freundschaftsverhältnis ganz und gar zerwerfen würde. Während dieser auf solche Weise an mich ergangenen Einladung, wobei einerseits die in Sizilien und Italien vorn an mir zogen, die zu Athen aber andererseits bittend gleichsam mich von hinten hinaus drückten, kam auch wieder dasselbe Lied, ich dürfe Dion sowie auch die andren Gastfreunde und Bekannten von Tarent nicht im Stiche lassen. Endlich kam mir auch selbst der Gedanke, es wäre ja nichts Unerhörtes, dass ein junger Mann mit der nötigen Fassungsgabe durch Anregung beachtenswerter Gedanken Liebe und heisses Verlangen nach dem sittlich tadellosen Leben bekommen könne, es wäre also meine Schuldigkeit, mich über allen Zweifel zu vergewissern, nach welchen von beiden Lebenswegen er seinen angebornen Zug habe; an der Wichtigkeit dieser Frage an und für sich dürfte ich auf keinerlei Weise einen Verrat begehen, und falls die Berichte von irgend einer Seite wahr wären, dürfte ich mich auch nicht eines so großen wirklich gegründeten Vorwurfs schuldig machen.

Dritter Aufenthalt in Sizilien

Da reiste ich denn ab, gedeckt von dem Schilde einer reifen und nach vernünftigen Gründen entschiedenen Überlegung, nicht ohne Besorgnisse und mit manchen gar nicht guten Ahnungen, wie begreiflich. Ich ging also zum dritten Male zu guter Letzt hin, unter einer Spende für den Gott der Rettung, die ich auch wirklich erreichte, denn schon lange habe ich mich mit heiler Haut nach meiner Heimat wieder gerettet, und für diese Rettung muss ich nach dem Gotte auch dem Dionysius Dank wissen, weil er den von Vielen mir geschworenen Untergang verhinderte und Achtung vor meiner Person erwies.

Nachdem ich, um in der Erzählung meiner Reise fortzufahren, angekommen war, glaubte ich vor Allem zuerst hievon eine Vergewisserung gewinnen zu müssen, ob Dionysius wirklich von der Liebe zum philosophischem Denken und Leben wie von einer Flamme ergriffen sei, oder ob jene darüber nach Athen gekommenen Gerüchte grundlos wären.

Es gibt bekanntlich eine gewisse Art in solchen Prüfungen auf den Grund zu kommen, welche nicht unedel ist und insbesondere bei Großen ganz angebracht, zumal wenn sie von dem mit den Ohren aufgefangenen Brocken den Kopf voll haben, ein Unglück welches auch ich gleich bei meiner Ankunft an Dionysius wahrnahm.

Solchen Herren muss man dann zeigen, welches der Umfang des ganzen Studiums sei, ferner durch welche Mühen sie gehen müssen und welche Anstrengung damit verknüpft ist.

Das Wesen der Philosophie

Denn hat einer dieses vernommen und ist er ein wahrer Freund der echten Wissenschaft, nämlich hat er einen ihres Besitzes würdigen, mit ihr verwandten Geist, dann glaubt er, dass er den Weg zum richtigen Leben gezeigt bekommen habe, glaubt, dass er den nun gehen müsse, und glaubt, nicht leben zu können, wenn er einen andren einschlüge. Hierauf strengt er alle seine Kräfte an, und lässt nicht von dem Führer jenes Weges, bis er entweder zum höchsten Ziele gelangt ist oder die geistige Fähigkeit erlangt hat, dass er ohne Wegweiser sich selbst dahin führen kann. Mit dieser Denkweise und in solchen Gedanken lebt ein solcher, in was für Geschäften auch immer er tätig sein mag, da hängt er immer mit Leib und Seele vor allem an der Wissenschaft, sowie an einer Lebensart, welche ihm bei der Nüchternheit seines Herzens die Leichtigkeit seiner geistigen Auffassung, die Treue seines Gedächtnisses und die Fähigkeit seines Verstandes erhält. Aber eine dieser entgegengesetzte Lebensart ist ihm immer ein Greuel.

Diejenigen dagegen, welche im Grunde keine wahren Jünger der Philosophie sind, sondern welche nur so einen oberflächlichen Anflug von der Sache haben, gerade so wie die Leute von der Sonne die Oberfläche des Körpers gebräunt haben, diese bekommen angesichts der Vorstellung, welchen Umfang das Gebiet des Wissens habe, wie groß die Anstrengung sein müsse, und wie notwendig zum Studium die Mäßigkeit der täglichen Lebensart sei, endlich die Überzeugung, dass dasselbe für sie zu schwer und unmöglich sei, und dass sie nicht die angeborne Fähigkeit haben, es gehörig zu betreiben. Einige aber von ihnen machen sich weis, sie hätten das ganze Gebiet des Wissens schon inne und gar keine weiteren Studien mehr nötig.

Das also ist die augenscheinliche und zuverlässige Vergewisserung bei Herren von vornehmer Lebensart, die aber ausdauernder Anstrengung unfähig sind, damit sie künftig nicht ihrem Wegweiser die Schuld geben können, sondern sich selbst, weil sie alles das, was zum Studium förderlich ist, nicht leisten können.

In diesem Sinne wurde denn auch der Vortrag bei Dionysius begonnen. Alle Teile meiner Lehre stellte ich ihm unter diesen Umständen nicht dar, und Dionysius verlangte auch nicht darnach. Er selbst hatte ja, wie er sich den Anschein gab, schon Wissen genug, und zwar in den größten Dingen, und sei bereits unterrichtet in Folge der von Andren aufgefangenen Weisheit.

Später aber, wie ich von Hörensagen weiss, soll er über die damals von mir gehörten Gedanken geschrieben haben, als wenn es seine eigenen Entdeckungen wären, und nichts von eben dem was er gehört habe; ich kenne aber nichts von dem. Von Andren zwar weiss ich, dass sie über eben dieselben Materien geschrieben haben, dagegen gibt es auch gewisse Andre, welche nicht ein Mal selbst wissen, dass sie geschrieben haben.

Esoterik statt Exoterik

Über alle die Schriftsteller hierüber, sowohl über die jetzigen wie über die künftigen, welche versichern, über die Hauptmaterien meines Studiums etwas zu wissen, sei es aus meinem eigenen Munde oder aus dem Anderer oder durch eigene Auffindung, habe ich hier den Satz auszusprechen: jene Schreiber verstehen, nach meiner Überzeugung wenigstens, von der Philosophie gar nichts.

Es gibt ja von mir einmal über jene Materien keine Schrift und wird auch keine geben. Denn in bestimmten sprachlichen Ausdrücken darf man sich darüber wie über andre Lerngegenstände gar nicht aussprechen, sondern aus häufiger fortgesetzter Unterredung gerade über diesen Gegenstand sowie aus innigem Zusammenleben entspringt plötzlich aus der Seele wie aus einem Feuerfunken das angezündete Licht und bricht sich dann selbst weiter seine Bahn. Und soviel wenigstens weiss ich in dieser Beziehung, dass schriftliche oder mündliche Äusserungen hierüber doch am besten von mir geschehen würden, und da muss es mich denn sehr arg schmerzen, dass meine Gedanken entstellt hinausgeschrieben worden sind.

Wenn es mir vernünftig geschienen hätte, dass jene Gedanken durch Schrift und durch Wort unverschleiert unter dem Volke verbreitet werden dürften, was für eine schönere Lebensaufgabe würde ich da gehabt haben, als der Menschheit großes Heil zu bescheren und dabei das Wesenhafteste von Allem aller Welt ans Tageslicht zu bringen!

Aber weder die Veröffentlichung jener Geheimnisse noch die Behandlung jener Materien vor Allen halte ich für ein Glück, mit Ausnahme von wenigen Auserwählten, von jenen nämlich, welche im Stande sind, auf einen ganz kleinen Wink hin selbst zu finden. Von den Übrigen muss sie Einigen auf unverantwortliche Weise eine ganz dumme Verachtung einflößen, Anderen dagegen eine Überspanntheit und Aufgeblasenheit in Folge ihres Wahnes, gelernt zu haben.

Hier taucht mir der Gedanke auf, mich noch etwas ausführlicher über jenes Thema von der Veröffentlichung der höheren Wahrheiten durch Schriften zu verbreiten, denn es dürfte die hier in Rede stehende Aussage dadurch noch klarer einleuchten. Denn es gibt eine unumstößlich wahre Gegenansicht von der verwegenen Verkündung von Wahrheit durch die Schrift, eine Ansicht, welche schon mehr als ein Mal von mir ausgesprochen worden ist, welche aber jetzt hier näher erörtert werden muss.

Fünf Stufen der Erkenntnis

Jedes der Dinge, die sind, hat dreierlei, durch welche es zu erkennen ist, ein Viertes ist das Verständnis von ihm, als ein Fünftes ist die wahre Wissenschaft zu setzen, durch die wir erkennen, was und wie es in Wahrheit ist.

Das erste davon ist der Name, das zweite ist die Erklärung, das dritte ist das Exemplar, das vierte ist das fassende Verständnis. Wenn man nun das hier allgemein Gesagte deutlicher verstehen will, so fasse man es an einem besonderen Beispiel, und denke sich dann die Sache bei allen Dingen überhaupt.

Kreis ist zum Beispiel ein sprachlich bezeichnetes Ding, das den Namen hat, welchen wir eben laut werden ließen.

Das Zweite von jenem Dinge würde die sprachlich ausgedrückte Erklärung sein, welche aus Nenn- und Aussagewörtern zusammengesetzt ist, zum Beispiel: »das von seinem Mittelpunkt überall gleich weit Entfernte« wäre wohl die Erklärung von jenem Dinge, das den Namen Rund, Zirkel, Kreis hat.

Das Dritte ist das für die Sinne wahrnehmbare Exemplar davon, zum Beispiel vom Zeichner oder vom Drechsler angefertigt, was sich wieder auslöschen und vernichten lässt, Zufälle welchen der Begriff des Kreises an sich, mit dem alle jene Meister sich beschäftigen, nicht unterworfen ist, weil er etwas anderes und ganz davon Verschiedenes ist.

Das Vierte ist das dies zusammenfassende Verstehen, das Begreifen durch den Verstand, die wahre Vorstellung von solchen Dingen, und diese ist eine, die nicht in äusserlichen sprachlichen Lauten, nicht in den der körperlichen Wahrnehmung zugänglichen Gestalten, sondern innerhalb der Seele ist, und durch diese Innerlichkeit unterscheidet sich dieses Verständnis erstlich von dem Kreis an sich und zweitens auch von den drei vorhin Genannten.

Das Vermögen der Vernunft, das Fünfte, ist dem Kreis an sich an Verwandtschaft am nächsten, die anderen aber stehen weit zurück. Das hier beispielsweise vom Kreise Gesagte gilt nun natürlich überhaupt ebenso gut von der gradlinigen Figur und Zeichnung wie von der zirkelrunden und der mit Farben dargestellten, vom Begriff Gut sowohl wie vom Schönen und Gerechten, von allem Körperlichen sei es Kunst- oder Natur-Produkt, von Feuer und Wasser und allen dergleichen Elementen, von jedem Geschöpfe der Tierwelt wie von jeder Verfassung der menschlichen Seele, von allen Ursachen und Wirkungen.

Denn wenn jemand nicht die vier ersten auf irgend eine Weise inne hat, so kann er des fünften nicht vollständig teilhaftig werden. Ausser den vorgenannten Aufschlüssen haben jene vier folgenden Nachteil: sie suchen nämlich nichts weniger, als das durch die Vernunft wahrnehmbare Wesen eines jeden durch die sinnliche Eigenschaft zu zeigen, und zwar mit Hilfe der unzulänglichen sprachlichen Bezeichnungen.

Aus diesem Grunde wird kein vernünftig gebildeter Mensch es je über sich gewinnen, die durch die reine Vernunft von ihm erfassten Wahrheiten in jene unzulänglichen sprachlichen Bezeichnungen zu setzen, zumal da diese etwas ganz Unbeholfenes sind, ein Missstand, welcher bekanntlich bei den durch Buchstaben geschehenden Veröffentlichungen eintritt.

Das hier allgemein Gesagte muss man sich wiederum an demselben Beispiele erläutern. Jeder Kreis, welcher unter der Menschen Händen gezeichnet oder gedrechselt wird, hat sehr vieles vom Gegenteil dessen, welches mit den Fünfen gegeben ist, denn der sinnliche Kreis zeigt überall andere Stücke, dagegen hat der richtige Kreis schlechterdings nichts von der gegenteiligen Natur an sich. Nicht einmal der Name jener einzelnen in die Sinne fallenden Dinge hat dabei einen festen Bestand, und es hindert gar nichts, die jetzt krumm genannten Dinge grad zu nennen und die graden krumm, und sie bleiben uns nach dieser Umänderung und entgegensetzten Benennung noch ebenso fest vorhanden.

Dieselbe Betrachtung gilt vom sprachlichen Ausdrucke oder der Begriffs-Erklärung. Insofern sie aus der Zusammensetzung von Nenn- und Aussagewörtern besteht, so ist gar nichts vollkommen Festes daran. Und so lässt sich tausendfach von jedem der vier nachweisen, dass es dabei kein deutlich Festes gibt.

Über die Seele

Das Ärgste hierbei ist, was wir schon oben berührt haben: Während nämlich die Seele von den zwei Seiten des Seins, das nicht sinnlich wahrnehmbare wesenhafte Sein und die sinnlich wahrnehmbare Beschaffenheit eines Wesens, nicht nach der sinnlichen Beschaffenheit, sondern nach dem wesenhaften Sein strebt, so hält jedes der vier in derselben Seele, sowohl im Reiche des Gedankens, wie in dem der Wahrnehmung zuvor, das nicht Gesuchte, die sinnliche Beschaffenheit, vor und erfüllt dadurch jeden Menschen mit jeder Art von Zweifel und Unklarheit, weil alle Mal ein jedes der erwähnten vier durch sinnliche Worte oder Zeichen Ausdrückbare als etwas für leibliche Sinne leicht Fassliches dazwischen schiebt.

Bei diesen Untersuchungen sind wir nun in Folge schlechter Erziehung nicht einmal gewöhnt, nach der reinen, nicht sinnlichen Wahrheit zu forschen, und daher genügt schon das vorgeschobene wahrnehmbare Abbild, da werden wir bei Fragen und Antworten darüber von einander gar nicht lächerlich befunden, und die Fragenden vermögen nur im Gebiete der ersten vier zu widerlegen und des Irrtums zu überführen. Bei welchen Dingen aber wir in bezug auf das Fünfte zu antworten und Erklärungen zu geben nötigen, da ist dann nur einer derer, welche hier mit dem Widerlegen umgehen können, wenn er will, der Meister, und stellt alle Mal den, welcher nur in definierenden Ausdrücken der Sprache – sei es durch Schrift oder durch mündliche Antwort – sich darüber erklären will, bei der Mehrheit des zuhörenden Publikums als einen Ignoranten dessen hin, worüber er durch schriftliche oder durch mündliche Sprachzeichen sich auszudrücken versucht.

Manchmal indessen wissen die Widerlegungs-Künstler gar nicht, dass nicht das Wesen dessen, der sich durch schriftliche oder mündliche Sprachzeichen über jenes Fünfte ausgesprochen hat, die Widerlegung trifft, welches hierfür unzulänglich ist, sondern die ursprüngliche Fehlerhaftigkeit jener Vier. Ja, der durch alle jene Erkenntnisstufen mit Anstrengung und oft wiederholte Gang der Überlegungen erzeugt nur wirklich eine Erkenntnis vom ursprünglich vollkommen Wesenhaften bei dem Denker, welcher mit den jenem Wesenhaften verwandten Eigenschaften geboren ist.

Wer dagegen mit schlechten Eigenschaften geboren ward, wie der Seelenzustand der großen Masse des Volkes, sowohl in Absicht auf theoretisches Studium, als auch auf praktische Erwerbung der so genannten Sittlichkeit, von Hause aus beschaffen und zum Teil auch verhunzt worden ist, solche Leute würde nicht einmal Lynkeus zur Einsicht verhelfen können.

Kurz und gut: Wer nicht innerlich mit der Philosophie verwandt ist, dem kann weder leichte Fassungsgabe noch ein gutes Gedächtnis diese Eigenschaft ersetzen, denn überhaupt kann sie bei widerstrebender Geistesrichtung nicht ins Leben treten. Daraus geht das Folgende hervor: Alle, welche keine innere Empfindung und Verwandtschaft für Gerechtigkeit und alles andere Höhere bei vorhandenen Fassungs- und Gedächtnisgaben besitzen, eben so die, welche jene Verwandtschaft, aber in Verbindung mit schwerer Fassungsgabe und einem schlechten Gedächtnisse haben, alle diese werden niemals das wahre Wesen der Tugend und des Lasters begreifen. Denn zugleich muss man jene beiden Gebiete studieren, sowohl das Unwahre als auch das Wahre des ganzen Seins mit allem Mühe- und Zeitaufwand, wie ich schon von Anfang bemerkte. Und wenn erst durch fleissige gegenseitige Vergleichung der Namen, der erklärenden Beschreibungen mittels der Sprache und der Anschauungen und Wahrnehmungen, ihre Aussagen vom Wesen der Dinge in leidenschaftslosen Belehrungen berichtigt werden, und wenn wir hierbei ohne leidenschaftliche Rechthabereien die rechte dialektische Methode anwenden, dann erst geht uns das Licht der geistigen Wahrnehmung und der reinen Vernunftauffassung des Wesens der Dinge auf. 

Das Esoterische soll esoterisch bleiben

Darum nun ist jeder ernste Mann, der kein Mietling der Wissenschaft ist, weit entfernt, über ernste, hochwürdige Gegenstände seine Gedanken durch die Schrift zu veröffentlichen und dadurch sie der Schwatzsucht und Herabwürdigung preis zu geben. Was aus diesen Betrachtungen zu entnehmen ist, das ist mit einem Worte folgendes: Wenn einer von jemandem schriftliche Veröffentlichungen, sei es über Gesetze von einem Gesetzgeber oder seien es über andere Gegenstände sonst welche Schriften, in seine Hand bekommt, so muss er denken, dass dies die besten Gedanken bei dem noch nicht sind, sofern er selbst kein unwürdiger Mensch ist, sondern dass jene am schönsten Plätzchen seiner Habe aufbewahrt liegen. Sollten aber von jenem diese seine achtenswertesten Gedanken in Schriften profaniert worden sein, nun, so mache man dann den Schluss, dass nicht Götter, sondern sterbliche Menschen allein ihn aller Findungs- und Überlegungskraft beraubt haben.

Wer hier dieser Deduktion und Episode über die Erkenntnis-Stufen treu gefolgt ist, der muss dadurch zu folgender Überzeugung gelangen: mag nun Dionysius oder ein anderer nieder oder höher Stehende seine Gedanken über die höchsten und wichtigsten Fragen schriftlich veröffentlicht haben, so ist gewiss, dass er nach meiner Ansicht wenigstens über die Gegenstände, worüber er in die Welt hineingeschrieben hat, irgend einen gesunden vernünftigen Gedanken nicht besaß, nicht durch Hörung eines Vortrages und auch nicht durch die Erfindung seiner inneren Geistestätigkeit.

Denn sonst würde er dieselbe heilige Scheu vor jenen Wahrheiten haben wie ich, und würde sich nicht unterstanden haben, dieselben auf so unpassende und unschickliche Weise unter die Menge zu werfen, denn für die Schreiberei über solche Wahrheiten hat es gar keine haltbare Entschuldigungsgründe. Will er sie erstlich zu seiner eignen Erinnerung zu Papier gebracht haben, so ist dieser Grund einmal unhaltbar, denn es gibt ja gar keine Gefahr, dass sie jemand vergisst, wenn er sie nur ein Mal recht erfasst hat. Ein anderer Fall wäre es, wenn er aus Ehrgeiz geschrieben hätte, sei es unter Ausgebung jener Wahrheiten für sein Eigentum, sei es um zu zeigen, dass er einer tieferen Bildung teilhaftig geworden ist, deren er sich unwürdig zeigte dadurch dass er sich bloss mit dem aus jener Erkenntnis gewonnenen äusseren Schimmer begnügte.

Unbelehrbarkeit des Dionys

Ja, wenn dieser Gewinn dem Dionys aus meinem einzigen Vortrage zu Teil ward, so lag darin wohl ein möglicher Grund zu jener Schriftstellerei. Aber auf welche Weise er ihm nun zu Teil ward, das weiss Gott, wie die Sprache der Thebaner eine Unmöglichkeit ausdrückt. Ich hielt ihm nämlich einen Vortrag, wie ich schon erwähnte, jedoch nur einen einzigen, nachher aber niemals mehr. Nach dieser Erklärung muss denn Jeder, welchen es interessiert, den Gewinn in jener Beziehung zu entdecken, mit seinem Verstande herausbringen, in wie fern ein solcher Gewinn statthaben konnte, sowie auch die Ursache einsehen, aus welcher ich ihm keinen zweiten, dritten und weiteren Vortrag hielt.

In bezug auf diese Ursache sind drei Fälle denkbar: entweder erstlich der, dass ein Dionysius bloss durch eine einmalige Vorlesung ein Weiser zu sein glaubt und auch ein perfekter Weiser ist, sei es in Folge eigner Erfindungsgabe oder in Folge schon vorheriger Schulung von Seiten Andrer als von mir, oder als zweiter Fall ist denkbar, dass er glaubt, die von mir ihm mitgeteilten Gedanken seien dumm, oder der dritte Fall ist der, dass er jene Gedanken nicht nach seinem Kopfe, sondern zu hoch für denselben und sich für unfähig hielt, einem Leben des Geistes und der wahren Tugend sich zu widmen. Nur diesen dritten Fall wird man als den wirklich wahren finden. Denn wollte man den zweiten Fall annehmen, meine mitgeteilten Gedanken seien dumm gewesen, so würde Dionysius in den Kampf mit einer Menge das Gegenteil behauptender Zeugen geraten, die hierin eine weit größere Kompetenz haben als jener. Und den ersten Fall anzunehmen, Dionysius habe geglaubt, eine Weisheit ausgedacht oder auch von Andern erlernt zu haben und habe also die Gedanken derselben für tauglich gehalten zur Heranbildung einer edlen Menschenseele, wie sollte mit dem nicht ein Mensch im auffallendsten Widerspruche stehen, welcher den Fürsten und Herrn so einer Weisheit so frivoler Weise kränken konnte! Wie er aber kränkte, das kann Keiner besser berichten als ich.

Nachdem Dionysius in früherer Zeit den vertriebenen Dion im Besitze seines Vermögens erhalten und ihm auch die Einkünfte seiner Besitztümer hatte beziehen lassen, so ließ er nicht lange Zeit hernach die Vormünder derselben sie nicht mehr nach dem Peloponnes schicken, als wenn er seine Versprechungen in seinem oben genannten Briefe an mich ganz und gar vergessen gehabt hätte, denn sie gehörten, gab er vor, nicht jenem, sondern dessen Sohne, dem leiblichen Schwesterkinde von ihm, Dionysius, der gesetzlich als nächster Verwandte von mütterlicher Seite für sein Wohl zu sorgen habe. So war also zu jenem Zeitpunkte sein Benehmen, nach diesen Vorgängen aber hatte ich eine gründliche Anschauung von dem belobten Feuereifer des Dionysius für Philosophie bekommen, und da musste ich endlich die Geduld verlieren.

Heimkehr mit Hindernissen

Dazu kam noch etwas Andres, denn der Sommer war bereits eingetreten und es gab bei dieser guten Jahreszeit häufige Schiffsgelegenheit. Ich hielt es demnach für's Beste, dem Dionysius gar nicht zu grollen, sondern eher mir selbst und denen die mich genötigt hatten zum dritten Male in den Hafen der Skylla zu kommen »um nochmals den verderblichen Schlund der Charybdis zu messen«.

Und ich sagte daher dem Dionysius, dass es mir ummöglich sei, noch länger zu bleiben bei solcher Misshandlung des Dion. Dieser aber tröstete und bat zu bleiben, weil er glaubte, es würde ihm keine große Ehre bringen, wenn ich sogleich als der Verkünder solcher Handlungen abreisen würde. Da er mich aber nicht herumdrehen konnte, so fügte er das Versprechen hinzu, dass er selbst für meine ehrenhafte Heimreise besorgt sein wolle, denn ich ging mit dem Entschlusse um, eines der gewöhnlichen Transport-Schiffe zu besteigen und darauf die Fahrt zu machen, weil ich nun einmal empört war und auch glaubte, wenn ich von der Fahrt abgehalten würde, lieber alles in der Welt erdulden zu müssen, dieweil offenbar ohne die geringste Verletzung von meiner Seite meine gerechten Forderungen fortwährend verletzt wurden.

Als er aber sah, dass ich auf keine Weise ein Verlangen zum Dableiben bekam, so ersann er eine gewisse List, damit meine damalige Abfahrt nicht vonstatten ging, und zwar folgender Art.

Am Tage darauf kam er und machte mir folgenden verführerischen Vorschlag: »Zwischen dir und mir«, sagte er, »muss einmal Dion und seine Sache beseitigt sein, damit wir nicht mehr in den Fall kommen, darüber uns zu entzweien. Das ist leicht möglich, denn ich verstehe mich, deiner Person zu Gefallen«, sagte er, »gegen Dion zu folgenden Gnaden. Ich verordne, dass er wieder sein Vermögen in Empfang nimmt und vorerst noch im Peloponnes sich aufhält, jedoch nicht als Verbannter, sondern unter der Aussicht, dass er wieder hierher in seine Heimat zurückkehrt, sobald er und ich unter Zuziehung eurer Freunde uns darüber vereinbart haben werden. Diese Gnaden gewähre ich aber nur unter der Bedingung dass er keine revolutionären Pläne gegen meine Regierung hegt, und du samt deinen Vertrauten sowie die hiesigen Freunde Dions müsst hierfür Garantie leisten, und bei euch muss jener sich mit seinem heiligen Worte verpfänden. Was aber die von Dion in Empfang zu nehmenden Gelder betrifft, so sollen sie zwar nach dem Peloponnes und nach Athen geschickt werden dürfen, dort aber bei Leuten, bei welchen es euch gut dünkt, angelegt bleiben, und er bezieht davon nur die Zinsen, aber ohne euch soll er nicht das Kapital aufheben dürfen, denn ich habe nun einmal gegen ihn nicht geringes Misstrauen, er möchte bei unbedingtem Schalten und Walten mit diesen Geldern nicht in den Schranken des Rechts gegen mich bleiben, denn sie sind nicht unbeträchtlich. Auf dich aber und auf deine Vertrauten habe ich mehr Vertrauen. Sieh' nun zu, ob dir diese Vorschläge gefallen und bleibe unter diesen Bedingungen noch dieses Jahr da, gegen das Frühjahr aber kannst du samt jenen für Dion bestimmten Geldern abreisen, und er wird, ich weiss es gewiss, dir dafür vielen Dank wissen, wenn du für ihn alle diese Gnaden erwirkt hast.«

Nach Anhörung dieses Vorschlages wurde ich unwillig, aber nach ruhiger Überlegung entgegnete ich doch mit der Antwort, ich wollte ihm den folgenden Tag meine Entschließung hierauf verkünden. Das war unser damaliger Vertrag.

Ich ging also hierauf mit mir darüber zu Rate, weil ich durch jenen Vorschlag ganz konfus war. Und da war denn bei der Beratung mein erster Gedanke folgender: Wie, wenn Dionysius im Schilde führte, von allen den Versprechungen keine auszuführen, aber nach meiner Abreise er selbst sowohl wie viele Andre seiner Höflinge unter Wiederholung der mir jetzt gemachten Vorschläge dem Dion in einem Briefe weis machten, wie der Herr selbst zwar den besten Willen gehabt, ich aber gar keinen gehabt habe, seinen Anweisungen mich zu unterziehen, sondern ich hätte mir aus seinen, des Dion, wichtigsten Interessen ganz und gar wenig Sorge gemacht. Nebst diesen Gedanken kam mir auch noch der: er möchte mich durch Anweisung der Verweigerung an jeden der Schiffer nicht fort lassen wollen, ja, er könne leicht allen den Wink geben, dass ich gegen seine Willen fort wolle, würde mich da wohl ein Schiffer fortführen wollen, wenn er mich aus dem Hause des Dionysius zur Abreise schreiten sähe?

Denn nebst den übrigen Qualen hatte ich Wohnung in seinem Palast-Garten, woraus mich auch der Portier ohne ausdrücklichen Befehl von Dionysius nicht fort lassen wollte. Wenn ich dagegen das Jahr noch verbliebe, so könne ich dem Dion schreiben, in welcher Lage ich für ihn bin und was ich für ihn vorhabe, und wenn einerseits Dionysius, wie leicht möglich, nur irgendeine seiner Versprechungen halten sollte, so wird mein Verfahren doch durchaus nicht lächerlich sein, denn das Vermögen Dions ist, wenn man es richtig schätzt, nicht geringer als hundert Talente, sollten aber andrerseits, was bei dem bekannten Charakter des Dionysius wahrscheinlich ist, meine Befürchtungen in Erfüllung gehen, so setze ich mich zwar persönlich in große Verlegenheit, aber dennoch ist es eine unausweichbare Pflicht noch ein Jährchen zu bleiben und durch eine Probe nicht mittels Worten, sondern mittels Handlungen den unwahren Charakter des Dionysius in seiner Blöße hinzustellen.

Diese meine Entschlüsse überbrachte ich den andern Tag dem Dionysius mit den Worten, dass ich entschlossen sei, zu bleiben, »ich verlange jedoch,« sagte ich, »dass du mich für keinen unbeschränkten Gebieter des Dion hältst, sondern dass du mit mir an ihn ein Schreiben ergehen lässest, das ihn über die jetzigen Beschlüsse aufklärt, und dass du ihn fragst, ob ihm diese genügen oder nicht, dass er, wenn er etwa andre Wünsche oder gerechte Forderungen zu stellen habe, diese so schnell als möglich schriftlich anher sende, dass du dagegen unterdessen Alles, was Dion betrifft bei dem Bisherigen bewenden lässest.«

Das waren die Worte, das waren unsere ausdrücklichen gegenseitigen Gelöbnisse, gerade wie sie hier stehen. Fort waren hierauf bereits die Schiffe und es war mir nicht mehr möglich, abzufahren, als es da auf einmal dem Dionysius einfiel zu eröffnen, dass die Hälfte des Vermögens dem Dion gehören solle, dass dagegen die andere seinem Sohne verbleiben müsse, er werde sonach dasselbe verkaufen und von dem Erlöse die Hälfte mir mitgeben, die andere aber für seinen Sohn zurückbehalten, denn das sei gewiss das gerechteste Verfahren. Ich meinerseits war frappiert über diese Äusserung und hielt es zwar geradezu für lächerlich noch Etwas dagegen vorzubringen, dennoch aber nahm ich das Wort mit dem Bedeuten, dass wir doch vorerst das Antwortschreiben von Dion abwarten und dass wir auch eben diese Neuerungen wieder ihm erst festhalten müssten. Unmittelbar aber darauf verkaufte er ganz leichtsinnig das ganze Vermögen desselben, wo, wie und an welche Leute er immer konnte, zu mir sprach er darüber aber keinen Laut mehr, sowie ich meinerseits auch ebenso wiederum kein Wort mit ihm über Dions Angelegenheiten anknüpfte, denn nach meinem Dafürhalten war es umsonst.

Bis zu dem Grade hatte ich auf diese Weise für Verwirklichung und Verherrlichung meiner philosophischen Lehre, sowie zum Schutze meiner Freunde mich geopfert!

Hierauf nun lebten ich und Dionys derart, dass ich meinerseits wie ein gefangener Vogel überall hinblickte, durch welche Öffnung wohl ich fortfliegen könnte, dass Dionysius dagegen fortfuhr, Vorwände zu erheben, wie er durch Nichtherausgeben der Güter Dions mir Schach bieten könne. Dennoch sagten wir vor ganz Sizilien, dass wir gute Freunde wären.

Da begann nun Dionysius den Veteranen seiner Söldner den Sold zu schmälern, gegen die Grundsätze seines Vaters; darüber empört, rotteten sich die Soldaten zusammen und sagten, dass sie sich das nicht gefallen ließen. Er dagegen wollte sie zwingen und ließ die Tore seiner Burg schließen, worauf jene sofort gegen die Mauern anrückten, unter Anstimmung eines wilden Kriegsgesanges. Darüber voll Furcht und Angst, gestand er den damals versammelten Leichtbewaffneten alle Forderungen samt und sonders zu und noch mehr. Da verbreitete sich schnell ein Gerede, wie Niemand als Herakleides an allen diesen Vorgängen schuld sei. Als dies Herakleides vernahm, machte er sich auf die Seite und verbarg sich. Dionysius aber gab sich alle Mühe, seiner habhaft zu werden und als er hierbei nicht zum Ziele kam, ließ er den Theodotes in seinen Garten kommen. Ich ging damals gerade im Garten spazieren. Ihre weiteren Verhandlungen sind mir unbekannt, auch vernahm ich nichts von ihrer Unterredung, was aber Theodotes in Gegenwart meiner zu Dionysius sagte, das weiss ich und habe es noch im Gedächtnisse.

»Du Platon also da«, sagte er, »ich bin hier mit einem Anliegen an Dionysius! Wenn ich im Stande bin, den Herakleides vor euch zur Verantwortung der jetzt gegen ihn vorliegenden Auflagen hierher zu bringen, so soll er nach meinem Vorschlage, falls sein ferneres Wohnen hier auf der Insel Sizilien etwa nicht genehm wäre, mit Frau und Sohn nach dem Peloponnes abfahren und dort wohnen dürfen, im Genusse der Einkünfte von seinem Vermögen, falls er nichts Feindseliges dort gegen Dionysius unternimmt. Ich habe also im Vertrauen auf die Annahme dieses Vorschlages schon früher an Herakleides geschickt und will jetzt noch einmal an ihn schicken, mag er nun auf die erste Sendung mir hören oder auf die jetzige zweite. An Dionysius aber stelle ich das billige Ansinnen nebst Bitte, dem Herakleides, mag er ihn nur ausserhalb oder hier in der Stadt antreffen, kein Leid anzutun, sondern ihn nur ausser Landes zu schicken bis auf weitere Order. Willst du,« sagte er sich an Dionysius wendend, »diese Vorschläge genehmigen?« »Ja das will ich tun,« sagte er, »und gebe hier mein Wort, dass er kein Leid erfahren soll, selbst wenn er in deiner eigenen Behausung entdeckt werden sollte.«

Am Tage darauf nun kamen gegen Abend Eurybios und Theodotes ganz ausser Fassung vor Eile zu mir, und Theodotes nahm das Wort: »Platon,« sagte er, »hast du gestern die Zusagen des Dionysius mit deinen eigenen Ohren gehört, welche er in Betreff des Herakleides mir und dir erteilte?« »Allerdings,« antwortete ich. »Aber dennoch,« fuhr er fort, »laufen jetzt seine Hellebarden herum und suchen des Herakleides habhaft zu werden, und er scheint hier irgendwo zu sein, drum musst du jetzt auf jeden Fall mit zu Dionysius gehen!«

Wir machten uns also auf, kamen bei dem Herrn vor, und ich, während jene Beiden mit Tränen in den Augen dastanden, nahm also das Wort: »Diese zwei Männer da sind in Furcht, du möchtest, deinen gestern in Betreff des Herakleides gegebenen Worten entgegen, heute etwas Anderes verfügen, denn es scheint mir ganz offenbar zu sein, dass er von seiner Flucht zurückgekehrt ist und hier irgendwo sich aufhält.«

Nach Vernehmung dieser Worte bekam er alle Farben, wie sie ein Erzürnter bekommt. Da fiel Theodotes ihm zu Füßen, fasste weinend ihn an der Hand und flehte, ja nicht so etwas zu tun. Ich aber unterbrach ihn mit dem Zuspruche: »Habe Mut, Theodotes! Dionysius wird es mit seiner Würde nicht vereinbar finden, seinem gestrigen Worte entgegen einen Treubruch zu begehen.« Da sah er mich an, und zwar mit einem gewaltigen Herrscherblick und sagte: »Dir hab' ich gar nichts zugesagt!« »Und doch, der Himmel weiss es«, entgegnete ich, »bist du es gewesen, der gestern sein Wort dafür gegeben, worüber dieser da heute dich bitten muss, keinen Wortbruch zu begehen!« Nach diesen Worten wandt' ich den Rücken und verließ die Räume.

Nach diesen Vorfällen fuhr Dionysius seinerseits fort, Jagd auf Herakleides zu machen, Theodotes aber schickte Boten an ihn mit dem Rate zur Flucht.

Als Dionysius den Tisias und die Hellebarden zur Verfolgung aussandte, war, wie es hieß, Herakleides ihm ein paar Stunden früher in das Gebiet der Karthager entwichen. Nach diesem Vorfalle nun schien Dionysius zu seiner alten Intrige einen vor der Welt plausibleren Grund zur Feindschaft gegen mich gefunden zu haben, um der Herausgabe von Dions Geldern enthoben zu sein.

Und da war denn die erste Folge dieser Feindschaft, dass er mich aus dem Gebiet seiner Burg wegschaffte, unter dem Vorwande, dass die Frauen in dem Burggarten, in welchem ich bisher meine Wohnung hatte, einen gewissen zehntägigen Gottesdienst zu verrichten hätten, demnach müsste ich derweilen mich bei Archidemos aufhalten. Und als ich daselbst war, ließ mich einmal Theodotes zu sich bitten und hatte dann große Klagen über die damaligen Regierungsmaßregeln so wie auch viel zu tadeln an Dionysius.

Als dieser aber von meinem Besuch bei Theodotes hörte, so fand er hierin einen weiteren zweiten ihm sehr willkommenen Grund zu einem Bruche mit mir, welcher dem ersten wie ein Ei dem anderen glich, er ließ mich durch einen gewissen Abgesandten fragen, ob ich wirklich auf eine an mich ergangene Einladung bei Theodotes gewesen sei. Und als ich auf diese Frage mit einem »Allerdings« antwortete, so erwiderte jener Abgesandte: »nun, da habe ich den hohen Auftrag dir zu eröffnen, dass du dir auf keinerlei Weise dadurch eine Empfehlung bereitest, dass du den Dion und seine Freunde bei jeder Gelegenheit höher stellst als den Herrn!« Das waren die Worte, und er ließ mich nicht wieder zur Wohnung in seinen Gemächern einladen, vermutlich weil er glaubte, ich wäre offenbar ein intimer Freund von Theodotes und Herakleides und ein Feind von ihm, auch setzte er wohl auch darum keine gutgesinnte Stimmung bei mir voraus, weil die Gelder des Dion bis auf den letzten Pfennig fort waren.

Ich wohnte hierauf ausserhalb der Burg unter den Söldnern. Aber da kamen unter andern die dazu gehörenden athenischen Landsleute zu mir und gaben mir den Wink, dass unter den Leichtbewaffneten ein arger Hass auf mich verbreitet sei, und einige davon drohten mir, wenn sie mich erwischten, zu ermorden. Da sinne ich denn auf irgend eine Rettung aus dieser Gefahr auf folgende Weise. Ich schickte an Archytas und andre Freunde in Tarent mit dem Bedeuten, in welches Schicksal ich geraten sei. Und diese verschafften sich unter dem Vorwande einer Gesandtschaft von ihrer Vaterstadt ein Schiff mit dreissig Rudern und schickten es nebst Lamiskos, einem der Ihrigen. Dieser kam, legte eine Fürbitte bei Dionysius ein, indem er ihm von mir berichtete, dass ich abzureisen wünschte, und er möchte geruhen, dies zu willfahren. Er sagte darauf zu und entließ mich mit dem nötigen Reisegeld. Die Gelder Dions anlangend, so forderte ich weiter nichts, und er gab auch nichts davon heraus.

Letzte Begegnung mit Dion

Als ich auf dem Peloponnes nach Olympia kam, traf ich da Dion unter den Zuschauern und erzählte ihm meine Erlebnisse. Und unter Anrufung Gottes zum Zeugen beteuerte er mir, meinen Vertrauten und Freunden, er werde Anstalten treffen, um Dionysius zu bestrafen, für mich wegen seines an mir begangenen »Treubruchs am heiligen Rechte der Gastfreundschaft«, dies war sein Gedanke hierüber und sein Wort, und für seine eigene Person wegen der ungerechten Landesvertreibung und Verbannung.

Nach Hören dieser seiner Äusserungen sagte ich zu meinen Freunden, sie könnten für ihre Person ihn nach Belieben in diesem Gedanken bestärken, ich für meine Person aber machte ihm folgende Vorstellung: »Mich hast du nebst den übrigen Freunden auf eine gewisse Art veranlasst mit Dionysius an einem Tische zu essen, unter einem Dache zu wohnen und in Gemeinschaft mit demselben den Göttern zu opfern, und dieser Mann hegte in Folge vieler Verdächtigungen nach aller Vermutung den Gedanken, dass ich und du ihm nach Leben und Herrscherthrone strebten, und doch hat er mich nicht töten wollen, sondern sein Herz bebte vor solcher Tat zurück. In Rücksicht dessen ist das also mein Entschluss: ich stehe nicht in einem Alter um irgend Wem noch grade in einem Kriege mit den Waffen beizustehen, habt ihr gegenseitig Freundschaft nötig und gilt's was Gutes zu stiften, so ruft mich zu Hilfe, so lange ihr Böses beabsichtigt, ruft euch Andre bei!«

Diese versöhnlichen Worte sprach ich, obwohl ich noch voll Unmut war über meine Reise nach Sizilien und meinen dortigen Unstern. Aber sie hörten nicht auf diesen Rat und ließen auch in den deshalb wiederholt gepflogenen Unterredungen von mir sich nicht umstimmen, sie haben daher die Schuld von allem dem jetzt erfolgten Unheil sich selbst zuzuschreiben. Freilich wenn Dionysius das Vermögen Dions hätte verabfolgen lassen oder wenn eine von mir beabsichtigte volle Aussöhnung zu Stande gekommen wäre, so wäre, so weit menschliche Voraussicht reicht, von allem jenem Unheil nichts geschehen. Denn was meinen guten Willen und mein Vermögen anlangt, so hätte den Dion ich leicht davon zurückhalten können.

Aber nachdem sie nun einmal feindlich gegen einander aufgetreten waren, so haben sie dadurch nach allen Seiten Unheil gebracht. Obwohl Dion ganz denselben guten Willen hatte, welchen nach meiner Ansicht ich sowohl wie jeder andere ordentliche Mann in Bezug auf seine Gewalt, über die seiner Freunde und über die seines Staates haben muss, welcher im Besitze der Gewalt und der grössten Ehre, die grössten Wohltaten in seinem Kreise zu verbreiten gedenkt.

Das geschieht aber nicht, wenn einer nur sich bereichert, dadurch dass er auf Umtriebe sinnt und Verschwörungen zusammen bringt, wobei er doch im Grunde seiner Seele arm ist und über Alles kommandiert, nur nicht über sich, und wobei er der Sklave der sinnlichen Lüste bleibt, ferner geschieht es nicht, wenn er die vermögenden Männer als Feinde des Vaterlandes hinrichten lässt, das Vermögen derselben verprasst, wenn er seine Helfershelfer und Mitverschworenen zu gleicher Handlungsweise ermahnt, damit sie ihm nicht vorwerfen können, sie müssten in Armut leben. Und nicht besser geht's, wenn einer von seiner Vaterstadt hoch gestellt wird, weil er auf diejenige Weise den Wohltäter an ihr spielt, dass er in Folge von Volksbeschlüssen das Vermögen der wenigen Reichen unter die Masse verteilt, oder dass er als Führer einer großen Stadt, welche über viele kleinere herrscht, unter die Bevölkerung der Hauptstadt, in welcher er das Ruder führt, das Vermögen der Nebenstädte ohne Scheue vor Rechtsverletzung zuwendet und verteilt.

Nein, weder ein Dion noch ein Anderer seiner Denkart wird je freiwillig nach einer solchen politischen Gewalt sein Streben richten, deren Schuld auf ihm und seinem ganzen Geschlechte für alle Zeit liegen würde. Wohl aber würde ein solcher Hand anlegen bei einer Ordnung und Einrichtung des Staates und bei Aufstellung eines Gesetzes, welches auf der heilsamen Basis der reinsten Gerechtigkeit und Vernunft errichtet wäre und zu seiner Sicherung keine Hinrichtungen und Verbannungen nötig hat.

Solche Pläne nun verfolgte in unseren Tagen auch Dion, indem er zwar vorzog, eher politische Sünden zu erdulden, als sie zu verüben, dabei aber auch gegen die Erduldung von Unwürdigkeiten seine vernünftigen Maßregeln nahm. Dennoch fiel er, nachdem er bereits soweit war, über seine Feinde zu siegen, und dieses Unglück darf einen nicht wundern. Der für alles heilige Recht lebende Mann gottlosen Schurken gegenüber, wenn er Besonnenheit und Verstand übt, täuscht sich zwar im Ganzen niemals über die Seelenverfassung bei solchen Menschen, aber dabei hat es nichts Auffallendes, wenn ihm dabei vielleicht passiert, was manchmal dem tüchtigen Steuermann begegnet, dem zwar der kommende Sturm nicht unbekannt ist, wohl aber die ungewöhnliche und unerwartete Größe der Stürme, und den daher der Sturm nur zu Grunde richten konnte durch seine aller menschlichen Berechnung überlegene Gewalt. Ebenso ging es bekanntlich dem Dion bei seinem Falle. Dass diejenigen, welche ihn stürzten, schlecht waren, das entging ihm gar nicht, aber welchen ungeheuern Abgrund von Verblendung und sonstiger Niederträchtigkeit und Unersättlichkeit sie in ihrem Innern bargen, das blieb ihm unbekannt, und darin verrechnete er sich und kam zu Fall, wodurch er Sizilien in tausendfachen Jammer versetzte.

Die Ratschläge, die ich nun noch zu geben hätte, sind bereits gegeben und es mag hiermit sein Bewenden haben. Es schien aber für mich eine unerlässliche Pflicht zu sein, die Gründe darzustellen, aus welchen ich noch ein Mal eine zweite Reise nach Sizilien vornahm, weil das Resultat ihrer Absicht so wider alle Erwartung und so unbegreiflich ausfiel. Und wenn es nun nach dieser Darstellung irgend einem begreiflicher vorkommt, und wenn einem jener Ausgang vollständig erklärende Rechtfertigungsgründe vorhanden zu sein scheinen, so hat diese Darstellung ihre vollständige Absicht und ihr Ziel erreicht.