Wahrheiten der Geistesforschung

Rudof Steiner, Vortrag, München, 25. November 1912. GA 69 a

Sehr verehrte Anwesende! Durch eine Reihe von Jahren durfte ich von diesem Orte aus über Fragen der Geistesforschung sprechen. Dass diese Geistesforschung, wie sie hier gemeint ist, sich sehr wohl bewusst ist, dass es mancherlei Einwände gibt gegen das, was hier gesagt wurde – nicht nur leichte, sondern auch gewichtige Einwände – das versuchte ich im vorigen Winter in zwei Vorträgen zu belegen, die ich hier gehalten habe über «Wie widerlegt man Geisteswissenschaft?» und «Wie begründet man Geisteswissenschaft?». War dazumal die Absicht, mehr vom Standpunkte der allgemeinen Wissenschaftlichkeit das Für und Wider zu erörtern, so wird es sich in den Vorträgen heute und übermorgen, die beide zusammengehören, die ein Ganzes bilden, mehr darum handeln, direkt vom Standpunkt des Geistesforschers aus, gleichsam vom Erfahrungsstandpunkt aus, das Für und Wider zur Geltung zu bringen. Also weniger von Einzelfragen soll in diesen beiden Vorträgen gesprochen werden, als vielmehr von der Art und Weise, wie man zu Wahrheiten der Geisteswissenschaft kommt und welche Quellen des Irrtums sich gleichsam vor die Pforte dieser Wahrheiten stellen, sowohl für den Forscher selber wie auch für diejenigen, die an diese Wahrheiten beziehungsweise Erkenntnisse herankommen und sie zu einem Bestandteil ihres Seelenlebens machen wollen.

Es könnte ja von vornherein eigentümlich erscheinen, dass von zahlreichen Irrtumsquellen bei einer Forschung gesprochen werden kann, welche sich gerade auf bedeutungsvollste Fragen des menschlichen Lebens bezieht, sowohl des menschlichen Einzellebens wie des ganzen menschlichen Kulturlebens. Es sind ja die Fragen nach dem Wesen der menschlichen Seele, nach dem Wesen und der Bestimmung des ganzen Menschen, die Fragen nach den Erlebnissen der Seele nach dem Tode, die Fragen über Tod und Unsterblichkeit, über wiederholte Erdenleben und so weiter, welche Gegenstand der Geistesforschung sind, also Fragen, die mit dem Intimsten und Höchsten des menschlichen Lebens zusammenhängen und denen gegenüber der Mensch Hoffnung und das Bedürfnis hat, dass sich möglichst wenig Irrtümliches in die Beantwortung dieser Fragen einschleiche. Umso notwendiger ist es daher, über die Wege der Wahrheit und über die Wege des Irrtums zu sprechen, um wirklich Licht in diese Fragen zu bringen.

Wenn von Geistesforschung, ihren Wahrheiten und ihren Irrtümern die Rede ist, so bitte ich Sie zu berücksichtigen, sehr verehrte Anwesende, dass es sich zunächst nur um die Wege dieser geistigen Forschung handeln wird, also um die Gewinnung von Wahrheiten über das geistige Leben. Und da muss gleich als eine der umfassendsten Wahrheiten angesehen werden, dass bei dem Geistesforscher ein allseitig gesundes Seelenleben vorausgesetzt wird. Damit soll nicht gesagt werden, dass die Ergebnisse der Geistesforschung oder die Ratschläge, die sie aus ihren Quellen heraus zu geben vermag, etwa nur ersprießlich sein könnten der gesunden Seele. Das soll ganz und gar nicht behauptet werden. Im Gegenteil, diese Ergebnisse haben gerade etwas Gesundendes, etwas, was nicht nur die verirrte Seele, sondern auch ein krankes Seelenleben auf den rechten Weg bringen kann und was dann auf die Gesundung des ganzen menschlichen Lebens übergreift. Das also soll von vornherein klar sein. Wenn heute vorzugsweise von einem gesunden Seelenleben als der richtigen Quelle der Geistesforschung die Rede sein soll, so bedeutet das, dass man zu den Wahrheiten, zu den wirklichen Erkenntnissen auf geistigem Gebiete nur durch ein gesundes Seelenleben kommen kann. Was dann Geisteswissenschaft zu geben vermag, das kann im weitesten Umfange geradezu ein Heilmittel für die menschliche Seele genannt werden.

Ein gesundes Seelenleben, das ist die Voraussetzung. Warum? Schon aus dem Grunde ist ein gesundes Seelenleben notwendig, weil ja die Quellen der Geistesforschung im Innern der menschlichen Seele selbst hegen, weil man in die verborgenen geistigen Gründe des Daseins nur dann hineinschauen kann, wenn man seine eigene Seele zu einem Instrument, einem Werkzeug der Geistesforschung macht. Und es ist ja leicht einzusehen, dass Gesundes nur zutage treten kann, wenn die Seele, die die Wege in die geistigen Welten hinein gehen will, selbst gesund ist.

Um nicht im Allgemeinen herumzureden, soll gleich der Ausgangspunkt genommen werden von etwas, was hier schon öfter berührt worden ist. Soll die menschliche Seele zu einem Instrument gemacht werden, um hineinzuschauen in die geistige Welt, dann ist notwendig, dass die Seelenkräfte, die für das alltägliche Leben des Menschen voll ausreichen, in ihrer Stärke erhöht werden, gleichsam verdichtet, wesentlich verstärkt werden. Im gewöhnlichen Alltagsleben und auch in dem Leben, dem sich die äußere Wissenschaft widmet, hat es der Mensch nur mit dem zu tun, was ihn seine Sinne lehren und was der Verstand erkennt, der an das Instrument des physischen Gehirns gebunden ist. Wir wissen schon aus einer trivialen Betrachtung des Lebens, dass sowohl die Aussagen der äußeren Sinne wie auch der gewöhnliche Verstand des Menschen schweigen, wenn der Mensch in den Schlafzustand übergeht. Unser alltägliches Leben verläuft ja zwischen Wachen und Schlafen. Wir nehmen dann wahr, dass unsere Sinne allmählich versagen, wenn wir in den Schlafzustand übergehen, dass das ganze Instrument unseres Körpers in einen bewegungslosen, ruhigen Zustand übergeht und wir in einen Zustand der Bewusstlosigkeit, der Finsternis um uns herum kommen. Nun würde es ja gewiss gegen die gewöhnlichen logischen Regeln verstoßen, wenn man glauben wollte, dass das, was der Mensch vom Morgen bis zum Abend in seiner Seele erlebt, sozusagen jeden Abend der Vernichtung anheimfiele und am nächsten Morgen alles von neuem entstehen würde, was im Seelenleben auf- und abflutet. Alles dies ist vom Einschlafen bis zum Aufwachen zweifellos auch vorhanden. Nicht an dem Schlaf liegt es, dass die Erlebnisse des Tages bei Nacht in unserem Seelenleben nicht vorhanden sind, sondern daran, dass des Menschen Seelenkräfte nicht stark genug sind, um sich selbst während des Schlafes zu erleben. Und leicht ist es einzusehen, dass alles davon abhängt, ob der Mensch imstande ist, dasjenige, was während des Schlafes bewusstlos ist, uns bewusst zu machen.

Können wir mit dem wahrnehmen, was bei uns normalerweise während des Schlafes bewusstlos wird, können wir wahrnehmen, wenn unsere Sinne schweigen, wenn unser Gehirn zu seinem Dienst nicht aufgerufen wird – dann ist es möglich, dass wir mit dem in uns, was unabhängig vom Körper ist, ein Erleben haben. Und dieses Erleben kann uns dann schon zeigen, welcher Art es ist, ob es ein Geistig-Übersinnliches ist oder nicht. Das heißt, damit die Seele ein Instrument werden kann, um anders wahrzunehmen als durch das Instrument des Leibes, ist es notwendig, einen Zustand herbeizuführen, der dem Schlaf ähnlich ist und doch ihm wiederum ganz entgegengesetzt ist. Insofern muss auch dann, wenn die Seele ein Instrument werden soll für andere Wahrnehmungen, die gewöhnliche Sinneswahrnehmung ausgeschaltet werden. Aber es darf – und das macht das Entgegengesetzte aus – nicht Bewusstlosigkeit eintreten, das heißt, wir müssen einen Zustand herbeiführen, der dem Schlafzustand ähnlich und doch wieder unähnlich ist, denn es muss volles Bewusstsein vorhanden sein.

Herbeigeführt werden kann ein solcher Zustand auf verschiedene Art. Am gesündesten wird er durch Methoden herbeigeführt, wie sie in meinem Buch «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» beschrieben sind und die hier noch einmal dem Prinzip nach wenigstens angedeutet werden sollen.

Dieser Zustand wird durch innere Arbeit der menschlichen Seele herbeigeführt, durch gedankliche Anstrengungen, die wir im gewöhnlichen Leben nicht machen. Man bezeichnet sie als Konzentration des Denkens, des inneren Vorstellunglebens, des Empfindens oder auch als Meditation. Wir wollen gleich ein Beispiel anführen, das schon früher erwähnt worden ist, ein Beispiel, das sich zunächst sonderbar ausnimmt, von dem wir aber auch gleich sehen werden, warum es sich so paradox ausnimmt. Es handelt sich darum, dass wir, um den gewünschten Zustand zu erreichen, uns ganz bestimmte Vorstellungen in unserer Seele wachrufen und uns zu diesen Vorstellungen in einer ganz bestimmten Weise verhalten. Nehmen wir zum Beispiel die Vorstellung – wie gesagt, sie ist paradox –, dass wir vor uns zwei Gläser stehen hätten, das eine sei halb mit Wasser gefüllt, das andere sei ganz leer. Wir stellen uns nun vor, wir schütteten ein wenig Wasser von dem halb gefüllten in das leere Glas, und durch das Ausschütten des volleren Glases würde dieses nicht leerer, sondern immer voller und voller werden. Das, nicht wahr, ist eine ganz paradoxe Vorstellung. Nun darf man aber nicht nur diese Vorstellung haben und im Bewusstsein herumwälzen, sondern man muss mit dieser Vorstellung einen ganz bestimmten Sinn verbinden, dann erst wird das in richtigem, kunstgerechtem Sinn eine Gedankenkonzentration, eine Meditation werden.

Wir kennen alle eine Tatsache, die unser Leben überall durchströmt, die aber außerordentlich schwer in ihrer Tiefe zu ergründen ist. Das ist die Liebe in ihren verschiedenen Formen. Die Liebe hat die Eigentümlichkeit, dass der Liebende gleichsam sein volles Herz hinübergießt auf den anderen Menschen, dass er dadurch aber nicht ärmer wird, sondern gerade immer reicher, immer voller. Das ist das Geheimnis der Liebe, dass die menschliche Seele inhaltvoller, reicher wird, je mehr davon weggegeben wird. Die Liebe ist etwas so Kompliziertes, etwas so Tiefes, dass wir immer nur einige Seiten von ihr erfassen können, ihr Wesen aber ist unergründlich. Aber diese eine Seite der Liebe, dass sie durch Weggeben die Seele immer reicher und reicher macht, kann uns versinnbildlicht werden durch die Vorstellung von den beiden Gläsern, von denen wir eben gesprochen haben. Wir machen da in bezug auf ein moralisches Erlebnis des Lebens dasselbe, was wir zum Beispiel auch in der Geometrie tun.

Nehmen wir eine Medaillenform an, die kreisrund ist, aus irgendeiner Substanz, in deren Wesen wir zunächst nicht eindringen können. Wenn wir dann einen Kreis aufzeichnen mit der Rundung der Medaillenform, dann können wir alles, was sich auf einen Kreis bezieht, studieren, und das gilt dann auch für das, was wir als Wirklichkeit vor uns haben. Der Geometer bildet mit seinen Figuren Sinnbilder von Wirklichem. Ebenso kann die Seele sich Sinnbilder vom Ewigen machen, wenn sie sich nur darüber klar ist, dass diese eben nicht mehr sind als Sinnbilder.

Wenn wir also eine solche Vorstellung haben wie die von den zwei Gläsern – dem Hinüberschütten des Wassers aus dem halbgefüllten in das leere Glas, dem Vollerwerden des Glases, aus dem die Flüssigkeit geschüttet wird –, und dahinter in unserer Seele die Empfindung lebt, dass sich dieses Bild auf ein so bedeutungsvolles Phänomen des Lebens bezieht, wie es die Liebe ist, dann verarbeiten wir dieses Bild im rechten Sinne weiter, wenn wir versuchen, durch starke Willensanstrengung alle Vorstellungen, die von den Sinnen kommen, auszuschalten. So wie man beim Einschlafen alle Vorstellungen schwinden sieht, so schaltet man willkürlich alles aus, was von außen kommt und alles und was der Verstand denken kann, und alle Seelenkräfte werden auf dieses eine Bild konzentriert.

Es genügt natürlich nicht, das nur einmal zu tun, sondern man muss in Geduld und Ausdauer immer wieder und wieder die Seele mit äußerster Energie solchen Übungen unterziehen, dann kommt es allmählich zu einer Verstärkung, einer Sammlung, einer Verdichtung der Seelenkräfte. Und dann tritt ein, dass wir durch inneres Erleben solcher Seelenerfahrungen gewahr werden, dass ein Zeitpunkt kommt, in dem wir es nicht mehr nötig haben, solche Bilder, solche sinnbildlichen Vorstellungen vor unsere Seele hinzurücken, sondern allmählich werden aus tiefen, verborgenen Untergründen unseres Seelenlebens von selbst solche Bilder sich vor uns hinstellen.

Es ist besser, dass der Mensch, wenn er diese Übungen durchführen will, solche Vorstellungen verwendet, die wirklich nur Sinnbilder sind, das heißt, sich auf keine äußere Wirklichkeit beziehen. Man könnte auch gewöhnliche Vorstellungen benutzen, aber sie wirken nicht so kräftig. Wenn jemand einwenden wollte, das sei ja etwas Närrisches, sich etwas vorzustellen, was gar nicht da ist –, so muss gesagt werden: Dazu ist diese Konzentrationsarbeit ja nicht da, um die äußere Wirklichkeit des gewöhnlichen Alltags abzubilden, sondern sie ist dazu da, um die Seele zu erziehen, um aus ihr Kräfte herauszuholen, die sonst nicht tätig sind. Nicht um Wahrheiten zu erkennen, meine sehr verehrten Anwesenden, ist diese Übung da. Das wäre ein Irrtum, wenn man durch solche Übungen unmittelbar Wahrheiten erkennen wollte. Es handelt sich um Erziehung der Seele, um verborgene Kräfte aus ihr herauszuholen.

Wenn nun der Zeitpunkt eingetreten ist, wo in der Seele die Bilder aufsteigen, dann muss durch eine regelrechte Geistesschulung die Seele des Geistesforschers in eine ganz bestimmte Stimmung, eine ganz bestimmte Verfassung gebracht werden. Wenn wir von dieser Stimmung der Seele sprechen, in der sie sein muss, wenn von selbst diese Bilder heraufkommen, da muss darauf hingewiesen werden, dass diese Bilderwelt für den Laien, der von der ganzen Sache nichts weiß, sich ja so ausnimmt wie das, was man als Visionen, als Halluzinationen und andere Erscheinungen des krankhaften Seelenlebens bezeichnet. Wer mancherlei kennt von dem, was die heutigen Grenzwissenschaften, die zwischen Physiologie und Psychologie stehen, vorbringen, der kann sehr leicht zu der Anschauung kommen – und das wird ja auch immer wieder eingewendet –, dass der Geistesforscher sich künstlich zu dem erziehe, wozu eine krankhafte Seele kommt, wenn sie Visionen, Halluzinationen, Wahnvorstellungen und so weiter hat.

Nun, gerade durch die Erziehung der Seele, die wir heute nur berühren können, wird diese Seele dahin gebracht, genau zu unterscheiden zwischen all dem, was Visionen und so weiter sein können und den charakterisierten sinnbildlichen Vorstellungen, die man nach dem Brauch der Geisteswissenschaft die imaginative Welt nennt. Der Geistesforscher lernt, genau zu unterscheiden zwischen diesen beiden Welten. Denn das, was überhaupt notwendig ist, um Erfolg zu haben, das ist, dass man die Seele zugleich so abgeneigt wie möglich, so gefeit wie möglich gegenüber allen Wahnvorstellungen, Halluzinationen und dergleichen macht. Sie in ihrer Eigenart kenntlich zu machen, das gehört im wesentlichen zur Geistesschulung.

Und da wollen wir gleich einen bedeutungsvollen Unterschied aufzeigen. Visionen, Wahnvorstellungen und so weiter haben etwas, was ihnen allen zukommt: sie überwältigen die Seele; sie haben etwas, was den stärksten Glauben für sich fordert.

Man weiß ja aus dem alltäglichen Leben, dass es leichter ist, einem Menschen, der Visionen oder Wahnvorstellungen unterliegt, irgendeine Tatsache des äußeren Lebens auszureden als seine Wahnvorstellungen. Wenn man auf seine Einbildungen zu sprechen kommt, dann findet er unter Umständen die scharfsinnigsten Begründungen für seine Illusionen. Das, was sich also unmittelbar verbindet mit dem krankhaften Seelenleben, das ist ein unüberwindlicher Glaube an diese Seelenerlebnisse. Was aber der Geistesforscher zu erzielen hat, das ist eine absolute Glaubenslosigkeit gegenüber der imaginativen Welt. Obwohl er die Bilder heraufgeholt hat in seine Seele und sie für erstrebenswert halten muss, gelten sie ihm zunächst als gar nichts, was ihm Wahrheit im objektiven Sinne geben kann. Und sein größter Irrtum wäre es, wenn er das, was er da erreicht hat, für etwas halten würde, was sich auf eine äußere Wirklichkeit bezieht. Er muss sich gerade durch starke Seelenkräfte und Willenskräfte dazu erziehen, den Glauben an diese imaginative Welt in gar keiner Weise zu haben, so dass die Seele zunächst in eine Welt von Bildern sich hineinlebt, die nicht Ausdruck für irgendeine objektive Wirklichkeit sind.

Wofür sind sie denn der Ausdruck? Sie sind nur der Ausdruck für das Seelenleben. Man lernt durch diese Bilderwelt zunächst nichts anderes kennen als das eigene Seelenleben. Und man darf gar nicht versuchen, etwas anderes darin zu sehen, als dass es sich um einen Ausfluss des eigenen Seelenlebens handelt. Das ist das Wesentliche, wozu die Seele kommen muss.

Wenn man also auf dem Wege zur Geistesforschung das, was eine Imagination ist, vergleichen will mit einer Vision, einer Halluzination und so weiter, so muss man sagen: eine Vision, eine Halluzination überwältigt den Menschen, sie beansprucht einen schier unüberwindlichen Glauben an die Objektivität dieser Vision; dagegen ist bei der Imagination der Geistesforscher sich bewusst, dass er selbst der Schöpfer desjenigen ist, was da als Bild vor seiner Seele steht.

Durch diesen Zustand muss er hindurch. Eine reiche imaginative Welt muss er aus seinem Innern hervorholen, um zugleich das Bewusstsein sich zu erringen, dass sie nichts anderes ist als ein Spiegel seiner eigenen Seele. Dieses Bewusstsein hat zuweilen etwas recht Unbehagliches, denn die Welt, in die man sich einlebt, ist wie eine zweite Welt, eine Welt voller Schönheit und Größe, eine Welt voll von Beseligendem. Aber Menschen, die sich hineinleben in eine solche Welt, werden leicht böse, wenn man ihnen Zweifel beibringen will an der Objektivität dieser Welt, denn es lebt sich gut darinnen. Aber gerade dieses gute Leben muss überwunden werden. Was geschieht in dieser Welt eigentlich? Wenn das geschildert werden soll, dann können wir es vergleichen mit einer Erscheinung des alltäglichen Lebens.

Denken Sie sich einmal, meine sehr verehrten Anwesenden, wenn Sie in diesem Augenblick alle Vorstellungen wieder in Ihrer Seele haben müssten, die Sie jemals gehabt haben, wenn das alles jetzt in der Seele wäre – es würde sich damit gar nicht leben lassen. Die Seele braucht das Vergessen, das Aufbewahren der Vorstellungen, das Hinunterdrängen der Erlebnisse in eine unbestimmte Seelentiefe. Da können wir sie wiederum ins Gedächtnis heraufholen. Wie nun im gewöhnlichen Leben diese Vorstellungen in das Vergessen hinuntersinken, so muss durch die Trainierung des Willens der Geistesforscher in der Lage sein, sein gesamtes imaginatives Leben, diese ganze Summe, diese neue Welt, in der er so gern verweilt und die ihn so beseligt – die muss der Mensch durch starken Willensentschluss in die Vergessenheit hinunterdrängen, so dass gleichsam wie ein Wesen, das im Wasser untertaucht, diese ganze imaginative Welt untertaucht im Seelenleben, wie wenn sie nicht da wäre. Und öfter und immer öfter wiederum muss der Geistesforscher diese imaginative Welt untertauchen in die Untergründe des Unterbewusstseins, in die Tiefen des Seelenlebens, von denen er überhaupt zunächst nichts weiß. Dann muss er wiederum Momente herbeiführen, in denen er alle äußeren Wahrnehmungen ausschließt, auch das Denken ausschließt, er muss Momente herbeiführen, in denen die Seele ganz leer ist, nichts denkt, nichts empfindet, sich an nichts erinnert, über nichts sich sorgt, auch keine Affekte und so weiter hat. Dann steigen allmählich die Imaginationen, die man hinuntergeschickt hat ins Unbewusste, wieder herauf. Die Bilder kommen wieder, aber nicht so, wie sie waren, sondern ganz anders. Sie kommen so, dass man geradeso wie bei den äußeren Sinneswahrnehmungen weiß: das sind keine Phantasien, sondern Ausdrücke von Wirklichkeiten. Gegenüber diesen nunmehr auftauchenden Bildern hat man das unmittelbare Bewusstsein: sie sind Ausdruck für eine Wirklichkeit.

Was hat man denn eigentlich gemacht, indem man diesen Prozess vollzogen hat? Man hat das Innere seines Seelenlebens so verstärkt, dass dieses Seelenleben sein bilderbildendes Vermögen gleichsam zur Blüte gebracht hat. Und was man hervorgebracht hat, hat man geopfert, hingegeben, von sich losgelöst, sich selber entrissen. Man hat gleichsam sein Seelenblut sich entrissen, der Welt übergeben und bekommt es wieder zurück. So wie man in der physischen Welt eine Hand ausstreckt, etwas berührt und dadurch Kunde erlangt von dem, was man berührt hat, so streckt man seine Seelenkräfte aus, man sendet sie von sich weg, sie verbinden sich mit der geistigen Welt, und es kommt etwas aus der geistigen Welt zurück.

Es wurde schon öfter der Einwand erwähnt, dass man sich da auch Illusionen hingeben könne, denn man wisse, dass die Seele bei sensitiven Menschen imstande ist, dieses oder jenes zu empfinden, auch wenn in Wirklichkeit objektiv gar nichts da ist. So gibt es zum Beispiel Menschen, die den Geschmack einer Limonade empfinden, wenn sie nur daran denken und gar keine Limonade trinken. Nun, das ist durchaus richtig. Aber dennoch wird eine gesunde Seele unterscheiden können zwischen einer bloß gedachten und einer wirklichen Limonade; den Geschmack kann man haben, aber man kann mit einer eingebildeten Limonade seinen Durst nicht löschen. Einen solchen Einwand gibt es ja auch gegen den Gedanken der Schopenhauerschen Philosophie, dass die Welt nur unsere Vorstellung sei. Ich will die Schopenhauersche Philosophie nicht herabsetzen, die ich anerkenne in ihrer Bedeutung, was Sie ja schon daraus ersehen können, dass ich selber eine Schopenhauer-Ausgabe gemacht habe. Aber der triviale Einwand ist doch richtig, der besagt, man könne sich noch so sehr die Vorstellung eines 1000 Grad heißen Stahles machen, man werde sich an diesem Stahl doch nicht die Hände verbrennen können: man wird sich aber verbrennen, wenn man einen wirklichen Stahl von tausend Grad Celsius anfasst. Man wird am Leben unterscheiden können zwischen Phantasie, Vorstellung und Wirklichkeit. Einen anderen Beweis hat man in der Sinneswelt nicht. Und so ist es auch in der geistigen Welt. Wenn man hineinkommt in die geistige Welt, dann kommt das in ganz anderer Weise zurück, was man hinuntergeschickt hat in den Bereich des Vergessens und ist nun Ausdruck für jene geistigen Wesenheiten und Tatsachen, die hinter der physischen Sinneswelt sind. Man gewinnt Vorstellungen, die man sich nicht selber gegeben hat. Denn die Vorstellungen, die man sich selber gegeben hat, waren nur zur Übung da.

So werden einem Wahrheiten gegeben aus der geistigen Welt, nachdem die Seele zuerst durch das Mittel einer bloß gedachten, man möchte sagen einer phantastischen Vorstellungswelt hindurchgegangen ist – nicht um etwas zu erkennen, sondern um die Seele zu erziehen, damit sie stark wird, um das wahrzunehmen, was sie nur wahrnehmen kann durch andere Kräfte als die des gewöhnlichen Seelenlebens. Auf diese Weise wird ein erhöhtes Erkenntnisvermögen erzielt, das Seelenleben wird konzentrierter, verdichteter. Man lebt dann sozusagen nur in einer Welt des Erkennens. Alle Vorstellungen von geistigen Wesenheiten, die man auf diese Weise gewinnt, zeichnen sich durch eine ungeheure Wirklichkeitsgetränktheit aus. Sie sind viel aktiver als die Eindrücke der äußeren Sinneswelt und erheben dennoch nicht den Anspruch, ohne weiteres schon geglaubt zu werden. Wie es sich damit verhält, wollen wir gleich sehen.

Vorher muss aber noch als wichtig wiederholt werden: Wenn die Bilder dieser imaginativen Welt, die man sich selbst gemacht hat, zuerst auftreten, bevor man diese ganze sinnbildliche Welt hinuntergeschickt hat in das Vergessen, so sind sie vieldeutig, orakelhaft, und der ist auf bösem Wege, der diesen vieldeutigen Dingen so ohne weiteres glaubt, der sich ohne weiteres auf sie einlässt. Selbst dann, wenn mit allen Mitteln der geisteswissenschaftlichen Schulung solche Bilder zunächst erreicht sind, ist es unmöglich, ihnen ohne weiteres einen Wahrheitswert beizumessen. Erst wenn sie wiederum zurückkommen und volle Eindeutigkeit zeigen, dann sind sie Ausdruck der geistigen Welt.

Es wird sehr häufig der Glaube gehegt, dass geistige Forschung so leichthin zu haben sei, und da werden dann viele Einwände geschmiedet. Es wird zum Beispiel gesagt: Wie muss äußere Wissenschaft sich plagen, was muss sie alles tun, um zu ihren Resultaten zu kommen. Und da kommen diese Geistesforscher und wollen alles wissen, indem sie einfach mit ihrer Seele untertauchen in die geistige Welt. – Nun, erstens wird kein wahrer Geistesforscher jemals etwas anderes behaupten als das, was er wirklich erforscht hat, und zweitens ist die innere Seelenarbeit, die jetzt kurz skizziert worden ist, nicht so zu beobachten wie die Arbeit in den Laboratorien und auf den Sternwarten, aber sie ist viel intensiver als die dort geleistete Arbeit. Der gewissenhafte Geistesforscher wird gegenüber solchen Einwänden immer wieder sagen: Das ist Rederei; die geisteswissenschaftlichen Erkenntnisse werden wahrhaftig nicht leichter als Dinge der äußeren Wissenschaft errungen, sondern mühsam und allmählich.

Das, was beschrieben worden ist, das kann innerhalb gewisser Grenzen von jeder heutigen Seele ohne Schaden vorgenommen werden. Es gibt heute schon Methoden, durch die man langsam und allmählich in die geistige Welt hineinkommt – sie sind in meinem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» beschrieben –, so dass das, was bei einem schnellen Hineinkommen erschreckend wirken könnte, nicht eintritt, sondern dass man in ruhiger und gelassener Weise in die geistige Welt eintreten kann. Auch ist dieser Weg zur Erkenntnis der Wahrheiten des geistigen Lebens aus dem Grunde gefahrlos und sicherer als alles andere, weil ja das Bewusstsein nicht etwa herabgedämpft wird. Wir werden nicht eingeschläfert, sondern wir werden immer wacher und wachsamer gemacht in unserem Seelenleben. Jeden Schritt, den wir machen, vollführen wir mit vollem Bewusstsein, mit einem viel stärkeren Bewusstsein als im Alltagsleben. Wenn daher von Gefahren bei dieser wirklichen Geistesforschung gesprochen würde, dann eben nur, wenn man nichts davon weiß, dass alle Schritte viel bewusster gemacht werden als selbst im alltäglichen Leben.

Anders ist es nun, wenn die Kräfte der Seele nicht zur Erkenntnis verwendet werden, sondern zu etwas anderem. Und das kann geschehen. Wir haben gesehen, dass der Erkenntnisweg der Geistesforschung auf Konzentration, auf Verdichtung und Verstärkung der Seelenkräfte beruht. Aber es können dieselben Kräfte, wenn nicht auf Erkenntnis hingearbeitet wird, sondern wenn mehr der Wille und das Gemüt aufgerufen werden, zu dem Gegenbild der imaginativen Erkenntnis führen. Und dieses Gegenbild der imaginativen Erkenntnis ist vorhanden im sogenannten Mediumismus, beim Medium. Es gibt eigentlich keinen stärkeren Gegensatz zu dem geisteswissenschaftlich Erkennenden, der mit erhöhtem Bewusstsein in die geistige Welt hineingeht, als das Medium.

Beim Medium werden gerade die Kräfte, die beim Geistesforscher bewusst sein müssen, in die Willenssphäre, in die Gemütssphäre hinuntergedrängt. Das Bewusstsein wird abgestumpft, hinuntergedämmert, und die Folge davon ist ein gewisser Grad von Unbewusstheit, wenigstens von Benommenheit; der Betreffende, der diese Kräfte in seine Gemütskräfte hineingießt, ohne sich der Kräfte voll bewusst zu sein, durch die der Geistesforscher in die geistige Welt schaut, wird nun als Medium mit herabgedämmertem Bewusstsein Dinge vornehmen, um in dem, was er spricht oder sonst zum Ausdruck bringt, direktes Hereinwirken der geistigen Welt bezeugen zu können. Damit ist nicht gesagt, dass durch das Medium nicht geistige Dinge zutage treten und Dinge erforscht werden können – selbstverständlich sind hier nur solche Fälle gemeint, wo jeder Schwindel und jede Scharlatanerie ausgeschlossen ist. Es kommen da schon Kräfte zutage, die uns in das Wesen der Seele hineinführen, soweit diese Seele körperlos ist, zum Beispiel nach dem Tode. Aber es muss doch betont werden, dass der Mensch als Geistesforscher sich ganz in der Gewalt hat, während das Medium in Abhängigkeit kommt von der Umgebung, besser gesagt, es lässt sich abhängig machen. Und wenn auch zuweilen richtige Ergebnisse zutage treten können, die nicht anzuzweifeln sind, so muss doch gesagt werden, dass entsprechende Forschungen auf diesem Gebiete nur möglich sind, wenn sie mit absoluter Beherrschung aller einschlägigen Gesetze vorgenommen werden. Denn da kommt man allerdings in gefährliche Dinge hinein, an die eine äußere Wissenschaft nicht heran kann und deshalb laienhaft darauf hinstarrt. Es ist Mediumismus eben das Gegenbild des imaginativen Erkennens. Aber innerhalb gewisser Grenzen, wie eben gesagt, ist es möglich, weiteren Kreisen die Überzeugung zu bringen von etwas, das schwierig mitzuteilen ist. Wichtige Dinge können da schon zutage gefördert werden, und es muss schon als bedeutungsvoll anerkannt werden, wenn sich jemand auf dieses Gebiet wagt. Wer sich darüber näher unterrichten will, sei verwiesen auf das Buch «Das Mysterium des Menschen» von Ludwig Deinhard, auch auf die Schrift «Die Kardinalfrage der Menschheit» von Hofrat Seiling. Wie gesagt, diese Dinge sind durchaus bedeutungsvoll. Aber zugleich darf man nicht außer acht lassen, dass der Weg zur Wahrheit gepflastert sein muss nach dieser Richtung hin mit allen möglichen notwendigen Vorsichtsmaßregeln.

So sehen wir, dass der Mensch auf dem Wege zu einer höheren Erkenntnisfähigkeit zunächst ein intensiveres, regeres Bewusstsein gewinnt als im gewöhnlichen Leben. Wir sehen aber auch, dass das Gegenbild dazu im Mediumismus auftritt, wo die Kräfte ins menschliche Wesen unmittelbar hineinwirken, so dass der Mensch mit gedämpftem Bewusstsein spricht oder schreibt nach Anleitung einer geistigen Welt, wenn er eben ein Medium ist. Nicht durch irgendwelche Definitionen, sondern dadurch, dass man die Dinge schildert, wie sie sind, wie sie erlebt werden, dadurch erhält man einen Begriff von Wahrheit und Irrtum in bezug auf die geistige Forschung.

Nun müssen wir weiter gehen als bis zur bloßen imaginativen Erkenntnis. Die nächste Stufe – bitte stoßen Sie sich nicht an dem Wort, das eben nur eine Bezeichnung sein soll – wird genannt die inspirierte Erkenntnis. Sie tritt dann ein, wenn der Mensch immer wieder und wieder seine Imaginationen in die Untergründe hinuntergeschickt hat, auch schon Erkenntnisse gewonnen hat auf diesem ersten Wege und dadurch seine inneren geistigen Kräfte immer stärker und stärker geworden sind.

Dann tritt für den Menschen ein Zustand ein, in dem er Gestaltloses wahrnimmt, das in nichts mehr erinnert an irgend etwas, was man in der physischen Welt durch den Verstand wahrnehmen kann. Die imaginative Welt hat noch viel Ähnlichkeit mit unserem eigenen Seelenleben, zum Beispiel dann, wenn die Vorstellungen zurückkommen, die man hinuntergeschickt hat, in Farben und Bildern auftreten, auch in ähnlichen Gestalten, wie sie in der äußeren Welt gesehen werden. Man hat es dann schwer, Täuschung von Wirklichkeit zu unterscheiden.

Aber die inspirierte Welt, zu der man sich nun hinaufentwickelt, hat gar nichts mehr, was irgendeine Eigenschaft der Sinnenwelt sein könnte. Dagegen tritt auf dieser Stufe des geistigen Erkennens etwas auf, was sich damit vergleichen lässt, wenn der Mensch sich selber zuhört bei seinem eigenen Sprechen. Dieses Bewusstsein hat man unmittelbar. Man hat in höherem Maße als vorher das Bewusstsein, dass man bei allem dabei ist, dass man Wesen und Tatsachen der geistigen Welt nur erkennt, wenn man in sie untertaucht und sie miterlebt, so wie man seine eigenen Worte nur sprechen kann, wenn man seine eigenen Organe dazu gebraucht. Über diese Tatsache, wenn sie Wahrheit ausdrücken soll, darf man sich keiner Täuschung hingeben: Du bist es selbst, der sein Bewusstsein in alles hat hineindringen lassen und dessen Eigenleben in den anderen Dingen und Tatsachen auftaucht. Weil dies so ist, deshalb gehört zu den Vorbereitungen einer wahren Geistesforschung die Möglichkeit, in dem, was man selber in der Seele hervorbringt und wovon man ganz genau weiß, man ist der eigene Schöpfer, in dem nichts anderes zu sehen, als das, was eigener Willkür entspringt.

Der Mensch weiß, wenn er spricht, dass er Worte, Sätze bilden kann, dass er sich aussprechen kann nach seinen willkürlichen eigenen Affekten und Leidenschaften, je nachdem, was ihm gefällt oder missfällt. Er weiß aber auch, dass es schon im gewöhnlichen Leben eine Möglichkeit gibt, nicht nur das vorzubringen, was einem angenehm ist, sondern von dem zu sprechen, was sich mit Notwendigkeit ergibt, zu sprechen, indem man der Notwendigkeit der Wahrheit gehorcht. Hier muss man einsetzen. Diese Ausbildung des Gefühls für die Wahrheit ist das Wesentlichste für die inspirierte Erkenntnis. Man kann auf diesem Gebiete nur etwas erreichen, wenn man immer wieder dahin arbeitet, aus seiner Seele herauszureißen mit aller Gewalt, was eigene Meinung, eigene Vorliebe ist, herauszureißen alles das, was man gerne hätte, dass es sich in irgendeiner bestimmten Weise verhält. Diese Empfindungen kann man ausbilden.

Sie führen allein zu einer wahrhaften Erkenntnis auf diesem Gebiete. Es soll gleich ein Beispiel genannt werden.

Zu den für das menschliche Leben allerwichtigsten Fragen gehört die Erkenntnis über die Unsterblichkeit der Seele, über das bleibende Wesen der menschlichen Seele über Geburt und Tod hinaus. Woran könnte die menschliche Seele mehr interessiert sein als an dieser Frage. Aus Interesse heraus wendet sich der Mensch dieser Frage zu. Nun sagt ein alter Weisheitsspruch der Geisteswissenschaft: Erst der kann eine wirkliche Erkenntnis über die Unsterblichkeit gewinnen, der es so weit gebracht hat, dass es ihm gleich erträglich, gleich sympathisch ist, ob er unsterblich ist oder nicht. Vorher trübt das Interesse die wirkliche Erkenntnis. Erst wenn man sich so geschult hat, seine Empfindungen so geregelt hat, dass man den Gedanken «du gehst mit dem Tode ins Nichts über» ebenso ertragen kann wie den Gedanken «du lebst weiter nach dem Tode» –, erst dann ist es möglich, zu einer objektiven Erkenntnis durch Inspiration über die Unsterblichkeit der Seele zu kommen. Es ist eine schwierige innere Arbeit, seine Empfindungen so zu regeln.

So handelt es sich bei der inspirierten Erkenntnis darum, die Seele in eine gewisse Stimmung zu bringen, namentlich gegenüber dem, was sie ertragen kann oder was sie nicht gerne erträgt. Der Mensch bildet sich oft ein, er könne das eine so gut ertragen wie das andere. Da muss er immer wieder durch erneute Seelenprüfung gehen, um nach und nach eine solche Stimmung der Gelassenheit zu entwickeln, die dann die Möglichkeit einer objektiven Erkenntnis gibt.

Wenn der Geistesforscher bis zur Imagination gelangt ist, dann gewinnt er eine Anschauung über Wesenheiten der geistigen Welt, die so geartet sind, dass sie gleich sind mit unserer Seele selber. Aber unsere Seele ist aber hier in der physischen Welt mit einem physischen Leib verknüpft. Von diesem müssen wir absehen, wenn wir Wesenheiten erkennen wollen, die nicht bis zur physischen Leiblichkeit kommen. Geistige Wesen und Tatsachen sind schon auf dem Wege der Imagination zu erreichen. Auf dem Wege der Inspiration muss alles das erreicht werden, was sich auf Wesen bezieht, die mit tätig sind an den äußeren Naturerscheinungen. Die äußere Naturwissenschaft, wenn sie sich ihrer Grenzen bewusst ist, kennt Gesetze und nimmt Kräfte an, die da wirken. Aber die geistige Erkenntnis erkennt hinter alledem, was in der Natur tätig ist, Wesenheiten, welche gleichsam die Elemente dirigieren und die Erscheinungen der Natur bewirken. Das, was das eigentliche Schöpferische ist in der Welt, was die Erscheinungen, die äußeren materiellen Dinge hervorbringt, das ist nur jener Erkenntnisart zugänglich, zu der die allmählich erstarkende Seele dadurch kommt, dass sie ihr eigenes Wesen wirklich völlig abgegeben hat und lernt, ganz in den Wesen selber drinnen zu leben.

Dann kommt die Stufe der Intuition, da gelangt der Geistesforscher zum wahren Miterleben der Taten der schöpferischen Mächte, die dem materiellen Dasein zugrunde liegen, die geistiger Art sind, aber in Raum und Zeit sich verkörpern können, entweder in der großen Natur oder als einzelne begrenzte Wesen. Wir haben es bei der gewöhnlichen Erkenntnis nur mit unserer eigenen Seele zu tun. Die Seele, die unser Geistiges ist, geht von Erdenleben zu Erdenleben. Wir leben ein Leben von der Geburt oder Empfängnis bis zum Tod, dann zwischen Tod und einer neuen Geburt im rein Geistig-Seelischen, dann wieder ein Leben zwischen Geburt und Tod und so weiter. Da haben wir es mit dem Seelischen zu tun.

Wenn man die imaginative Erkenntnis genügend ausbildet, wenn man sich Zeit lässt, bis man wirklich zum Unterscheidungsvermögen kommt zwischen dem, was aus der eigenen Seele kommt und dem, was aus den Untergründen hervorkommt, dann kann man dahin kommen, zu unterscheiden zwischen dem, was diesem einen Leben angehört und dem, was herüberkommt aus verflossenen Erdenleben. Man kommt durch eine fortschreitende imaginative Erkenntnis zu einem Einblick in vergangene Erdenleben. Das ist verhältnismäßig leicht zu erreichen. Aber es beschränkt sich diese Erkenntnis auf die eigene Seele, die von einem Leben zum anderen geht. Viel schwieriger ist es, irgend etwas zu wissen über die früheren Leben eines anderen Menschen. Denn wenn man jemandem gegenübertritt, hat man es mit einem physischen Leib zu tun, mit einem äußeren Materiellen, in dem er lebt, und die Seele, die darin das Schöpferische ist, kann ja, wie wir gesehen haben, nur erkannt werden in der Intuition. Daher muss bis zu dieser höchsten Stufe der Erkenntnis aufgestiegen werden, wenn es möglich werden soll, hineinzublicken in die wiederholten Erdenleben eines anderen Menschen. Diese Erkenntnis der wiederholten Erdenleben anderer Menschen gehört zum allerschwierigsten, was erreicht werden kann. Dieselbe Tatsache mag noch aus etwas anderem hervorgehen.

Man kann, statt den Weg durch die Imagination zu wählen, der, wie geschildert wurde, durch Meditation und Konzentration führt, allerdings durch einen anderen Weg der Selbsterkenntnis in gewisser begrenzter Weise in die geistige Welt hineinkommen. Wenn der Mensch das, was man das Gesetz des Karma nennt, kennt und wenn er nicht bloß weiß, sondern wenn er in sich erlebt, dass wir das, was uns passiert, durch vergangene Erdenleben selbst herbeigeführt haben, das heißt wenn diese Selbsterkenntnis mit der Karma-Idee verquickt wird und man sich darin übt, sich auf seine eigenen Schicksalsschläge und Fähigkeiten immer wieder und wiederum zu besinnen, dann kann es auch zu einer Art von Imagination kommen, aber zu einer subjektiven, persönlichen, die nicht zu objektiven Wahrheiten führt und nicht für jeden Menschen gelten kann. Dieser Weg führt uns allerdings nur zu Erkenntnissen über uns selber. Wir schließen uns in unserer eigenen Seele ab. Wir können vielleicht auch bis zu einer gewissen Erkenntnis früherer Erdenleben fortschreiten, aber es bleibt ziemlich viel Ungewisses dabei. Aber niemals können wir zu objektiven Erkenntnissen kommen, die sich auf einen anderen Menschen beziehen.

Will man einen wirklichen Begriff haben von den Wahrheiten der geistigen Welt, dann muss man bedenken: Wie lernt man das Wahre erkennen? Da muss man unterscheiden lernen zwischen Wirklichkeit und Wahrheit. Man lernt eine neue Welt kennen, aber Kennenlernen und Beurteilen ist nicht dasselbe, es ist grundverschieden. Man kann vieles in der geistigen Welt erleben, man kann in der Lage sein, vieles zu erzählen aus ihr; die Dinge, die man erzählt, können wirkliche Bilder sein, das Bild kann wirklich richtig geschaut sein – wahr braucht es deshalb nicht zu sein. Und so paradox es klingt, so muss gesagt werden, dass es nun etwas Unerlässliches, etwas außerordentlich Wichtiges ist, dass derjenige, der in diese geistige Welt eintreten will, sich das Beurteilungsvermögen aus der gewöhnlichen Welt mitbringt. Wer gelernt hat, in der gewöhnlichen Welt gesunden Menschenverstand zu entwickeln, wer sich selber nichts vormacht und nichts vormachen lässt in der gewöhnlichen Welt, der wird auch in die geistige Welt den gesunden Menschenverstand hineintragen und die Dinge, die er dort sieht, in der richtigen Weise beurteilen. Erst durch das, was man so hineinträgt an Urteilskraft, wird die Wirklichkeit zur Wahrheit. Urteilskräfte können nicht in der geistigen Welt ausgebildet werden; die muss man mitbringen. Und man darf sagen: Der in der gewöhnlichen Welt logisch Denkende wird auch Richtiges und Wahres in der geistigen Welt finden. Wer ein Tor ist in der gewöhnlichen Welt und unlogisch denkt, der wird noch törichter und noch unlogischer denken, wenn er sein törichtes Denken auf die Dinge der geistigen Welt richtet. Das Allernotwendigste, wenn der Mensch eine Entscheidung fällen will über Wahrheit oder Irrtum in der geistigen Welt, ist die Ausbildung von gesundem Wahrheitssinn und gesunder Beobachtungsgabe in der physischen Welt. Wer nicht mit Aufmerksamkeit, mit gesunder Beobachtungsgabe beachtet, wie die Dinge in der physischen Welt verlaufen, wer in der physischen Welt ungenau verfährt, dem darf man am allerbesten gar nichts glauben, wenn er von der geistigen Welt erzählt.

Denn wahr werden die Dinge aus der geistigen Welt erst, wenn sie sich mit unserem Wahrheitssinn berühren. Und dann ist ein gewisser moralischer Sinn notwendig, eine gewisse moralische Seelenverfassung. Wer mit einer moralischen Seelenverfassung in die geistige Welt eintritt, wird mit den gesunden Kräften der geistigen Welt in Beziehung kommen und Wahrheiten kennenlernen. Derjenige aber, der mit unmoralischen Kräften, namentlich mit einem nicht penibel ausgebildeten Wahrheitssinn hineinkommt, wird alles verzerrt, karikiert in der geistigen Welt sehen und deshalb auch so mitteilen. Das gilt nicht nur für den Geistesforscher selber bei der Erforschung der Dinge der geistigen Welt, sondern ganz besonders dann, wenn der Geistesforscher vor ein Publikum, vor eine Zuhörerschaft, eine Bekennerschaft tritt.

Was heute erreicht werden soll, das ist, eine Empfindung hervorzurufen von den Wahrheitswegen in die geistige Welt. Beruht doch alles Forschen in der geistigen Welt auf der Ausbildung gewisser Kräfte, die in der Seele schlummern; und Kräfte, die verknüpft sind mit dem Ich des Menschen, das Sympathien und Antipathien hat, können ihm die Wahrheit verdunkeln. Im äußeren Leben wirkt das Leben selber kontrollierend und korrigierend. Wenn wir falsch denken zum Beispiel über die Richtung des Weges, den wir nach Hause zu gehen haben, so korrigiert uns die äußere Wirklichkeit; wir kommen dann nicht nach Hause, wenn wir die falsche Richtung eingeschlagen haben. Für den Geistesforscher ist die Richtung der Wahrheit nur gegeben durch die Richtung der Seele selber. Daher muss erst die von diesem subjektiven menschlichen Ich unabhängige Wahrheit in der Seele ausgebildet werden, das heißt, die Seele muss über sich selbst hinauswachsen, wenn sie zum Geistesforscher werden soll.

Ein Weiteres ist, dass ja die Ergebnisse der Geistesforschung mitgeteilt werden müssen. So wie das, was die äußere Wissenschaft erforscht, nicht jeder selbst im Laboratorium oder auf der Sternwarte erforschen kann, so kann auch nicht jeder alle Resultate der Geistesforschung selbst gewinnen, obwohl in unserer Gegenwart jeder eigentlich einen Weg bis zu einem gewissen begrenzten Ziel hierin machen kann. Aber derjenige, der ihn nicht machen will oder nicht kann, der kann auch nicht einwenden, dass er nur den Geistesforschern überlassen muss, etwas über die geistige Welt zu wissen. Da kann das Vorurteil entstehen, über das wir übermorgen noch sprechen wollen, dass der Geistesforscher ein ganz besonderes Tier sei, das sich einfach dadurch als ein wertvollerer Mensch erweise, weil er in die geistige Welt hineinschauen kann. Wir werden sehen, dass das den Wert des Menschen gar nicht erhöht, dass der Wert des Menschen von etwas ganz anderem abhängt. Und es würde sogar sehr nützlich sein, wenn gerade diese Wahrheit allgemeine Verbreitung fände, dass derjenige, der sich zum Träger geisteswissenschaftlicher Erkenntnis macht, durchaus nicht für irgend etwas Besonderes zu gelten hat, etwa für eine Autorität oder dergleichen. Dagegen entsteht für den wahren Geistesforscher die Verpflichtung, das, was erforscht werden kann, in die Begriffe und Ideen des gesunden Menschenverstandes der Kultur seiner Zeit einzusenken.

Und das ist sogar eine schwierige Aufgabe, einen Ausdruck für das zu finden, was man in der geistigen Welt schaut, so dass jeder unbefangene Mensch die Ergebnisse verstehen kann. Denn man darf auch nicht glauben – und das ist wiederum eine wichtige Wahrheit –, dass der Geistesforscher für die Sicherheit oder für die Kraft seiner eigenen Seele etwas davon hat, was er in der geistigen Welt erschaut. Das ist, wenn ich mich trivial ausdrücken darf, eben nur etwas zum Anschauen. Ein Gut der Seele, eine Nahrung der Seele wird es erst dann, wenn das Geschaute in gewöhnlichen Begriffen und Ideen ausgedrückt und begreiflich gemacht wird. Zum Beispiel die Idee über die Unsterblichkeit der Seele ist erst dann etwas wert, wenn nicht bloß die Tatsache geschaut wird, sondern wenn das, was geschaut worden ist, in gewöhnliche Begriffe gebracht ist. Und nur von diesen Begriffen und Ideen hängt das Schicksal unserer Seele ab, hängt es ab, dass wir Kraft haben. Wenn es dem Geistesforscher gelingt, die geschauten Wahrheiten in den Gesetzen des gesunden Menschenverstandes und der Logik zu formulieren, dann haben sie für ihn denselben Wert wie für die anderen Menschen. Solange er nur hineinschauen kann in die geistige Welt, hat er für sein Seelenleben nichts davon. Erst wenn er die Dinge so sagen kann, dass der andere sie mit seiner Logik begreift und versteht, erst dann hat er auch selbst etwas davon. Also auch für sich erwirbt der Geistesforscher ein Seelengut erst dadurch, dass der andere, der nicht selber forschen kann, ihn versteht. Daher ist die wesentliche Aufgabe der Einfügung der Geistesforschung in die Kultur nicht die Ausbildung des Geistesforschers, sondern die Möglichkeit, die geisteswissenschaftlichen Ergebnisse dem gesunden Menschenverstand und der ganzen Zeitkultur so zu übergeben, dass jeder Unbefangene sie begreifen kann.

Man begreift sie in einer ganz besonderen Art, die wir uns durch einen Vergleich klar machen wollen. Nehmen wir an, wir haben ein Bild vor uns. Vor diesem können wir so stehen, dass wir es nur anschauen, eben verständnislos. Wir können aber auch so vor ihm stehen, dass wir es auf uns wirken lassen, und nach einiger Zeit, nachdem unsere Seele sich recht mit dem Bilde vereinigt hat, verstehen wir, was darinnen steckt. Dafür brauchen wir selbstverständlich nicht die Fähigkeit zu haben, das Bild selbst zu malen. Und ebenso wäre es deplaciert, wenn jemand sagte: Du musst das Bild soundso anschauen, dann kann ich dir beweisen, dass das Bild dieses oder jenes ausdrückt. Wer uns durch Beweise zum Verständnis des Bildes führen will, der würde, wenn wir überhaupt kunstverständig sind, uns zur Verzweiflung bringen, aber nicht uns das Bild begreiflich machen können. Das Begreifen des Bildes hängt davon ab, dass vom Bilde etwas überspringt in unsere Seele, und das ist unabhängig von dem, was der Maler können muss, um es zu malen. So ist es auch bei dem, was der Geistesforscher erforscht in der geistigen Welt, und dem, was er in Ideen, in Begriffen vor den anderen Menschen vorbringt.

Sie finden, meine sehr verehrten Anwesenden, [auf dem Büchertisch] zwei Bücher von mir. In dem einen Buch, «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?», sind die Wege geschildert, wie man die Seele üben kann, damit sie in geistige Welten hinaufrückt. In dem anderen Buch, «Die Geheimwissenschaft im Umriß», finden Sie in der ersten Partie Ergebnisse der Geisteswissenschaft. So gut ich konnte, habe ich dort versucht, das Erforschte so zu formulieren, dass nun jeder Zeitgenosse – selbstverständlich tut es nicht jeder, aber jeder Zeitgenosse könnte es tun –, der die Dinge unbefangen und mit gesundem Menschenverstand ansieht, sie einsehen und begreifen kann, zum Beispiel den Hergang bei der Erdenbildung und der Menschheitsentwicklung und so weiter. Wir haben in diesen Büchern also zweierlei vor uns: einmal den Weg in die geistige Welt hinein, dann fertig geschildert die Ausgestaltung der gewonnenen Ergebnisse in Begriffe und Ideen, die jeder Mensch begreifen kann.

Ich verstehe es selbstverständlich sehr gut, dass Leute kommen und sagen: Ja, das kann niemand begreifen, denn das ist Phantastik. – Gewiß, bei den Leuten, die nicht genau darauf eingehen, ist das möglich. Wenn aber jemand genau darauf eingeht, dann kann das eintreffen, was mir wirklich passiert ist. Ein sehr verständiger und gescheiter Mann hat gesagt, man könne das, was in meinen Büchern steht, sehr gut verstehen, so gut, dass jemand durch bloße Logik darauf kommen könne. – Nun, erforscht werden können die Dinge ja nicht mit der gewöhnlichen Logik, aber wenn sie erforscht sind, können sie durch die gewöhnliche Logik eingesehen werden. Nun sagte aber jener Mann weiter: Ich kann so schwer glauben, dass diese Dinge aus der geistigen Welt heraus genommen sind, denn sie machen mir einen so glaubwürdigen Eindruck, dass sie auf bloß logischem Wege erreicht werden können ohne Einblick in die geistige Welt. – Nun sagte ich ihm, dass ich das als einen Vorzug des Buches ansehe und mich freue, wenn mir die Darstellung so gelungen ist.

Das führt uns wiederum zu dem, was der Maler können muss. Der Geistesforscher muss in der geistigen Welt erkennen; wenn er dann das Erkannte bearbeitet, herunterbringt, einkleidet in Begriffe, dann steht es vor uns wie das Bild des Malers. Dann kommt der Augenblick, wo derjenige, der diese Ergebnisse der geistigen Welt auf sich wirken lässt, die Sache unmittelbar begreift, versteht, ohne dass er selber forschen muss in der geistigen Welt; und dann kann man wohl unterscheiden, ob man sich dabei einem Glauben hingibt oder der Überzeugungskraft dessen, was in Worte gebracht ist.

Die Wege der Wahrheit werden noch mehr charakterisiert werden können, wenn wir übermorgen dazu kommen, den für diese Betrachtung fast wichtigeren Teil, die Quellen der Irrtümer der Geistesforschung ins Auge zu fassen. Das aber, was bei der Geistesforschung immer in Betracht kommt, das möge schon heute am Schluss dieses Vortrages vor unsere Seele treten.

Es ist gesagt worden, dass, wenn der Geistesforscher zuletzt zu der formulierten Wahrheit über die übersinnlichen Welten kommt, dann jeder, der unbefangen an sie herantritt, sie in ihrer Überzeugungskraft auf sich wirken lassen kann. Dann aber, wenn dies geschieht, dann ist die Summe der geistigen Wahrheiten eine Nahrung für die Seele, dann erlangen wir dadurch etwas, ohne dass unsere Seele auf die Dauer nicht leben kann. Man kann der Seele die geistige Nahrung entziehen, nicht aber den Hunger nach geistiger Nahrung. Und wenn der Mensch auch gedankenlos dahinlebt und nichts wissen will von der geistigen Nahrung, der Hunger nach ihr bleibt bestehen, obwohl der Mensch sich nicht klar darüber ist, wo die Quelle liegt – nämlich darin, dass er nicht an die geistige Welt herantreten will. Wenn dieser Hunger nicht gestillt wird, zerstört er das ganze Seelenleben; das zeigt sich in allen möglichen krankhaften Erscheinungen unserer Zeit.

Durch die äußere Wissenschaft lernen wir erkennen, dass wir im Leibe bestimmte Substanzen haben, die dieselben sind wie draußen im Weltraum. Durch die Geisteswissenschaft fühlen wir uns ruhend im Ganzen der Welt. Wir erkennen, dass das, was in unserer Seele lebt und innig zusammenhängt mit unserem Wohl und Wehe, dass das eins ist mit dem Geistig-Seelischen der ganzen Welt, das durch allen Raum und alle Zeiten verbreitet ist. Und in unserem geistigen Teil erkennen wir, was draußen in der ganzen Welt wirksam ist. Dann fühlen wir, was eine solche Erkenntnis für unsere Seele sein kann, was sie unserer Seele an Kraft und Sicherheit und Gesundheit geben kann.

In zwei Aussprüchen, zwei Lebenskernsprüchen, können wir das zusammenfassen. Goethe wollte einmal zeigen, dass das Auge des Menschen für das Licht gebaut sein müsse – ein Gedanke, der auch durch Philosophen ausgesprochen worden ist – und dass die Seele innerlich ein Geistiges haben müsse. Das wollte er zeigen mit dem schönen Ausspruch:

Wär' nicht das Auge sonnenhaft,
Wie könnten wir das Licht erblicken?
Lebt' nicht in uns des Gottes eigne Kraft,
Wie könnt' uns Göttliches entzücken?

Aber Goethe hat auch hinzugefügt, dass der Mensch einmal ein augenloses Wesen war und dass die Sonne da sein musste, damit der Mensch Augen haben konnte – dass also das Licht das Auge geschaffen hat. Wahr ist es, dass alles dunkel wäre ohne Auge; es muss das Licht dagewesen sein, um das Auge zu bilden. Und so wie das Auge durch das Licht gebildet ist, so ist der Geist des Menschen durch den Geist gebildet, der die ganze Welt durchdringt. Und wir dürfen sagen: Gerade an so etwas erkennt man die Einseitigkeit tiefer bedeutender Wahrheiten. Wahr ist es, dass in uns Licht und Geist veranlagt sein müssen, wenn wir Licht und Geist wahrnehmen wollen. Wahr ist es, dass die ganze Welt lichtvoll sein muss, wenn ein Organ des Lichtes in einem Wesen durch dieses Licht gebaut werden soll, und wahr ist es, dass die ganze Welt dem Geist ihren Ursprung verdanken muss, wenn im Menschen der Geist auftauchen soll.

Wahr ist aber auch, wenn man zu dieser tiefen, aber einseitigen Wahrheit hinzufügt die andere Wahrheit, die hervorgeht aus unserer Betrachtung und diese ganz im Goetheschen Sinne zusammenfaßt:

Wäre die Welt nicht sonnenbegabt,
Wie könnten Augen den Wesen erblühn?
Wäre das Dasein nicht Gottesenthüllung,
Wie kämen Menschen zur Gotteserfüllung!