Auf dubiose Quellen beruft sich Zander bei seinem Versuch, die Behauptung zu rechtfertigen, Steiner habe Annie Besant in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts eine bedingungslose Verehrung entgegengebracht.

Auf S. 703 schreibt Zander:

»1905 gestand er [Steiner], ›durch Frau Besant habe ich auch den Weg zu H. P. Blavatsky gefunden‹ (MTG 1,1). Die Äußerungen vieler (allerdings vor allem kritischer) Zeitgenossen bestätigen, dass Steiner in diesen Jahren Besants Schüler war und sich als solcher verstand 568.«

Anmerkung 568 lautet:

»Hauer: Werden und Wesen der Anthroposophie, 43, gibt von ehemaligen Schülern Steiners die Aussage weiter, dass Steiner Ihnen mündlich und schriftlich berichtet habe, Schüler Besants gewesen zu sein. Die Schülerschaft Steiners behauptet auch die Adyar-Theosophin gebliebene Alice von Sonklar: Zur Verteidigung einer Unglücklichen, 401. Noch Adolf Köberle berichtete im Gespräch mit mir, dass Steiner der Wahrnehmung von Zeitgenossen zufolge sehr von Annie Besant ›beeindruckt‹ war. Gegenteilige anthroposophische Aussagen dürften demgegenüber der Interpretationsvorgabe Steiners folgen, z. B. Heyer: Wie man gegen Rudolf Steiner kämpft, 43. Auch Bewertungen von Lindenberg: Steiner (Biographie), etwa I, 337 f., reproduzierten Steiners späte Distanzierungen.«

Jakob Wilhelm Hauer ist ein mehr als dubioser Zeuge. Dass er sich in der Zeit des Nationalsozialismus an der Verfolgung der Anthroposophie beteiligte, ist gelinde gesagt eine Untertreibung.

Hauer war ein völkischer Germanophiler, der ab 1921 zu den erklärten Gegnern Steiners gehörte. Er gründete die völkische »Deutsche Glaubensgemeinschaft«, die er vom Naziregime zur Staatsreligion erklären lassen wollte. Hauer war bedingungsloser Anhänger des Nationalsozialismus. Seine Gutachten, in denen er die Unvereinbarkeit von Nationalsozialismus und Anthroposophie darlegte, waren entscheidend für das Schüleraufnahmeverbot gegen die Waldorfschulen ab 1934, das Verbot der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland 1935 und letztlich auch 1941 für das Verbot der Christengemeinschaft, zu dem er Himmler in einem persönlichen Briefwechsel erfolgreich drängte.

Im Oktober 1921 hielt Hauer vier Vorträge im Stuttgarter Siegel-Haus, die im November 1921 unter dem Titel »Werden und Wesen der Anthroposophie. Eine Wertung und eine Kritik« als Buch in zwei Auflagen 1922 und 1923 erschienen. Wiederentdeckt als Kritiker Steiners, tauchte 2004 eine Neuauflage auf. Die Herausgeber empfehlen das Buch heute »unbedarften Eltern«, die ihre Kinder auf eine Waldorfschule schicken wollen, ohne »über die okkulten Hintergründe dieser Lehre informiert zu sein«. In seiner Behandlung der NS-Zeit übergeht Zander Hauers Urteil einer eindeutigen Unvereinbarkeit von Anthroposophie und Nationalsozialismus. 1935 schrieb Hauer in einem Bericht an den Reichsführer der SS folgendes:

»Ich halte die anthroposophische Weltanschauung, die in jeder Beziehung international und pazifistisch eingestellt ist, für schlechthin unvereinbar mit der nationalsozialistischen. Die nationalsozialistische Weltanschauung baut sich auf auf dem Gedanken von Blut, Rasse, Volk und dann auf der Idee vom totalen Staat. Gerade diese zwei Grundpfeiler der nationalsozialistischen Weltanschauung und des Dritten Reiches werden von der Weltanschauung der Anthroposophie verneint. ... Jede Untersuchung und Betätigung der Anthroposophie entspringt der anthroposophischen Weltanschauung mit Notwendigkeit. Darum bedeuten Schulen, die auf anthroposophischer Weltanschauung aufgebaut, von Anthroposophen betreut werden, eine Gefahr für echte deutsche Bildung ....«

(Jakob Wilhelm Hauer an den Sicherheitsdienst RFSS, Oberabschnitt Süd-West, Stuttgart, vom 7. Februar 1935. BAD R 4901-3285. Hauer)

Alice Sonklar von Innstädten war seit 1911 Vorsitzende der Jugendorganisation des von Annie Besant und Charles Webster Leadbeater gegründeten »Ordens vom Stern im Osten« zur Propagierung eines neuen Weltheilandes in Gestalt Jiddu Krishnamurtis, seit 1912 Vorsitzende der »Besant-Loge« in Berlin und seit 1914 Vorstandmitglied der »Deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft« (Adyar-Richtung), der Konkurrenz-Organisation zur Anthroposophischen Gesellschaft, einem Sammelbecken der Adyar-treuen Steiner-feindlichen Überbleibsel der einst von Steiner geleiteten »Deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft (Adyar)«. Sie gehörte zu den prominentesten Gegnerinnen Steiners. Während des 1. Weltkrieges trat ihre völkisch-nationalistische Orientierung deutlich zutage. Sie benannte die von ihr geleitete »Besant-Loge« in »Baldur-Hort« um und gründete 1915 in Anlehnung an Guido von List den »Armanenbund für Germanische Geisteswissenschaft« und »Yggdrasil (Weltesche). Bund für germanische Geisteshochziele«. In der Zeitschrift »Theosophie« schrieb sie 1916/17 über diesen »Armanen-Bund«:

»Hinauf zum Ariertum! heißt die Losung der Gegenwart. Frei zu werden vom Fremden, Undeutschen –, das ist die große Aufgabe, die der Lösung harrt.

Allzulange hat fremder Wind auch in der Geisteswissenschaft geweht. Heute, in der Zeit völkischen Erwachens und ario-germanischer Lebenserneuerung, heute wissen wir (bisher wollte man es nicht wissen), dass wir nicht in die Fremde zu gehen brauchen, um eine vollendete Weltbetrachtung zu gewinnen. Nein: in dem Weistum unserer ariogermanischen Vorvordern finden wir alles, was unser Dasein neu gestalten, vergeistigen und GOTT näher bringen kann. Die Esoterik und die Lebenslehre unserer Vorfahren ist allein geeignet, uns zu ganzen Staatsbürgern und wahren Menschen zu erziehen ... Was wir vor allem brauchen und was uns Heil bringen kann, ist eine Deutsche Geisteswissenschaft und eine Germanische Weltanschauung ...«

Zu Sonklar siehe: Ulrich Linse, »Universale Bruderschaft« oder nationaler Rassenkrieg – die deutschen Theosophen im ersten Weltkrieg, in Heinz-Gerhard Haupt, Dieter Langewiesche, Nation und Religion in der deutschen Geschichte, Frankfurt/Main 2001, S. 602-645.

Zander entblödet sich nicht, für seine »wissenschaftliche« Auseinandersetzung mit Steiner auch dessen gehässigste Gegner und ihre oft erfundenen Tatsachenbehauptungen auszuwerten. Zu diesen gehörte der Arlesheimer Dorfpfarrer und militante Antisemit Max Kully, den Zander, wie andere NS- oder NS-nahe Autoren für »gut informiert« hält.

Zander führt Kully mindestens 46 mal als Gewährsmann an. Unter anderem auf S. 1000 mit der Behauptung, Steiner habe für Christian Morgenstern im ersten Grad des freimaurerischen Rituals ein Trauritual durchgeführt. (Anmerkung 201).

Kully verfasste mehrere Pamphlete gegen Steiner, unter anderem Die Wahrheit über Dr. Steiner (1920), Das Geheimnis des Tempels von Dornach (1920), Die Geheimnisse des Tempels von Dornach (1921) und Die Wahrheit über die Theo-Anthroposophie als eine Kulturverfallserscheinung (1926), die nicht nur von antisemitischen Beschimpfungen triefen. Über diesen Kully äußerte sich Steiner gegenüber Mitgliedern der Gesellschaft in Dornach im Jahr 1920: »Sie wissen ja, Pfarrer Kully hat gesagt, es gibt drei schlimme Dinge in der Welt, das eine ist das Judentum, das zweite ist die Freimaurerei, aber das Schlimmste alles Schlimmen, schlimmer als irgendein Bolschewismus, sei das, was hier in Dornach gelehrt werde.» (GA 199, Geisteswissenschaft als Erkenntnis der Grundimpulse sozialer Gestaltung, Dornach, 6. August 1920, S. 26.)

Kully war Sympathisant der ultrareaktionären »Action française« in der Nordschweiz und hatte selbst eine »Schildwach«-Bewegung zur Verteidigung des Schweizervolkes vor geistiger und rassischer Verschmutzung begründet. Für den Verteidiger der reaktionären Mächte in der Schweiz war Steiners Anthroposophie ein Bestandteil der internationalen Verschwörung des Rationalismus und der Emanzipation – inspiriert vom Geist der jüdischen Rasse, der Steiner nach Kullys Auffassung angehörte. Kully war Quelle und Plagiator anderer völkischer Pamphletisten, wie etwa Karl Rohms mit seiner Zeitschrift Der Leuchtturm in Lorch oder des Hammer, eines der Zentralorgane der völkischen Bewegung, Dietrich Eckarts mit seiner Zeitschrift Auf gut deutsch und des Völkischen Beobachters kurz nach dem Ersten Weltkrieg.

Zu Kully siehe die Dokumentation in GA 255 b, Dornach 2003.

Laut Zander hat Steiner die eurythmische Praxis als »Bedingung des Hörens seiner Vorträge« betrachtet.

Auf S. 1197 schreibt Zander:

»Eurythmische Praxis galt ihm schließlich als Bedingung des Hörens von Vorträgen (GA 277a2, 219).«

Zander beruft sich hier auch eine Äußerung vom Hörensagen, deren Quelle Tatiana Kisseleff ist, die in GA 277a auch als solche ausgewiesen wird. Sie steht in den Anmerkungen zu S. 175 und lautet:

»Tatiana Kisseleff teilte noch eine andere Ankündigung mit, die von Rudolf Steiner einige Jahre früher an einem Sonntag vor Beginn des Abendvortrages, nachdem am Nachmittag eine Eurythmie-Aufführung stattgefunden hatte, erfolgt war. Ungefähr folgende Worte habe er gesagt: Bei der heutigen Eurythmie-Aufführung haben die meisten von Ihnen durch Ihre Abwesenheit geglänzt. Sie müssen aber wissen, dass, wenn Sie an der Eurythmie – als Mitwirkende auf der Bühne oder als Zuschauer – nicht teilnehmen, ich Ihnen auch keine Vorträge zu halten brauche, denn Sie würden sie nicht aufnehmen können, und ich hätte umsonst zu Ihnen gesprochen.«

Zander macht aus dieser unsicheren Überlieferung eine feststehende Tatsache, eine systematische Position, die Steiner zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt erreicht habe (deswegen vermeidet er auch eine Zeitangabe und schreibt »... galt ihm schließlich«.) Diese Verfahrens- und Zitierweise genügt nicht wissenschaftlichen Anforderungen.

Zander zweifelt unter Berufung auf eine Quelle vom Hörensagen an, dass Steiner ein »liberaler Probenleiter« gewesen sei. Er widerlegt dabei ein Gerücht durch ein anderes.

Auf S. 1204 schreibt er:

»Steiner war in seiner Selbstwahrnehmung ein liberaler Probenleiter: ›Da werden Sie bemerkt haben, dass ich eigentlich niemals korrigiere.‹ Dies entsprach möglicherweise seinem Anspruch, kaum jedoch der Realität, wie schon die zweite Hälfte der Aussage offenlegt: ›Und zum Schluss haben die Leute es doch so gemacht, wie ich wollte.‹ (GA 277a, 44).«

Zitiert wird hier nach der Erzählung von Lory Maier-Smits, die in GA 277a veröffentlicht ist. Der Text lautet im Zusammenhang, mit den von Zander ausgelassenen Sätzen, wie folgt:

»Auf einmal sprach Rudolf Steiner nun so weiter, als sei die Eurythmie schon eine vollzogene Tatsache, als könne ich nicht nur einzelne Schüler ›die ich Ihnen schicken werde‹ unterrichten, sondern als könne, nein solle man Eurythmie in einem solchen Umfange in die Welt tragen, dass eines Tages sogar der Fußball durch sie verdrängt werden könne. ›Aber wenn Sie dann hinausgehen in die Welt und die Eurythmie den Menschen bringen, so müssen Sie sich diese Eurythmie auch bezahlen lassen, und zwar gut bezahlen lassen, denn die Eurythmie ist dem Ahriman abgetrotzt, und er muss ein Äquivalent haben.‹

Und weiter: ›Wenn Sie dann draußen in der Welt so einen Schüler vor sich haben, der meinetwillen sechs Fehler macht, tun Sie mir den Gefallen und sagen Sie ihm erst den siebenten.  Sie waren ja jetzt in München bei den Proben dabei, da werden Sie bemerkt haben, dass ich eigentlich niemals korrigiere, und zum Schluss haben die Leute es doch so gemacht, wie ich wollte.‹ Das war der einzige pädagogische Ratschlag, den Rudolf Steiner mir je gegeben hat.« (GA 277a, Dornach 1998, S. 44.)

Die nette Anekdote gibt, wenn sie sich tatsächlich so abgespielt hat, wohl wirklich etwas von Steiners Selbstverständnis wieder. Wie Maier-Smits bemerkt, bestand der einzige pädagogische Ratschlag, den Steiner ihr jemals erteilte, in der Ermahnung, die Schüler sechsmal Fehler machen zu lassen und sie erst beim siebten Mal zu korrigieren. Daraufhin verwies er auf sich selbst als Vorbild beim Vermeiden von Korrekturen. Lehrer oder Regisseure sollten also das, was sie anstreben, nicht dadurch erreichen, dass sie ihre Autorität herausstellen, sondern auf anderen Wegen. Steiners Hinweis ist ein Appell an Phantasie und Intelligenz, nicht an Autorität. Aus seinen Äußerungen das Gegenteil von Liberalität herauszulesen, das bringt auch nur Zander fertig.

Selten findet man bei Zander Aussagen, denen man vorbehaltlos zustimmen kann. In einer Anmerkung zur Literatur über Waldorfpädagogik ist eine solche Aussage enthalten, die hier unter dubiose Quellen eingeordnet wird, da Zander selbst die genannten Quellen als solche bezeichnet.

Auf S. 1361 schreibt Zander:

»Einblicke in die Praxis waren lange Zeit nur aus anthroposophischen Quellen zugänglich und notorisch voll des Lobes. Die Schattenseiten wurden erst seit den achtziger Jahren durch ehemalige Insider stärker dokumentiert, die die Abschottung durch die Ablehnung von Hospitationen seitens der Waldorfschulen durchbrachen. Sie sind, wenngleich meist mit einem einseitig-kritischen Blick auf die Schwächen, für eine kritische Gegenlektüre der anthroposophischen Innenwahrnehmung von hoher Bedeutung, historisch jedoch kaum brauchbar13.

Anmerkung 13:

(...) Historische Fakten werden meist ohne Kontexte und ohne Reflexion auf die Selektions- und Interpretationsprobleme zusammengestellt. Vgl. nur exemplarisch Kayser: Die geistigen Ursprünge der Waldorfpädagogik. Die Probleme werden besonders deutlich bei der kritischen Darstellung von Lippert: Steiner und die Waldorfpädagogik, oder bei Jacob / Drewes: Aus der Waldorfschule geplaudert, die unzutreffende Behauptungen über sexualmagische Praktiken Steiners im O. T. O. (...) aufgreifen und die Bezüge dieser Themen zur Pädagogik nur notdürftig herstellen. Ein relativ krasser Fall von Unseriosität ist die Veröffentlichung von Grandt: Waldorf-Connection.«

Zanders Beurteilung der Seriosität der genannten Publikationen ist nichts hinzuzufügen.

Hinzuzufügen wären zu den von ihm erwähnten »Insider-Berichten« allerdings auch solche Publikationen wie Prange, »Erziehung zur Anthroposophie«, Ullrich, »Waldorfpädagogik und okkulte Weltanschauung«, Rest, »Waldorfpädagogik. Anthroposophische Erziehung als Herausforderung für öffentliche und christliche Pädagogik«, die aus ideologisch vorbelasteter Perspektive fundamentale Kritik an der Waldorfpädagogik üben.

Bedauerlicherweise hindert Zander seine Einsicht in die Unbrauchbarkeit der genannten Publikationen jedoch nicht daran, an zahlreichen Stellen seines Kapitels über Waldorfpädagogik auf diese Publikationen zuzugreifen. Sie erweisen sich je nach Bedarf durchaus als brauchbar.