»Reinkarnation«. Zander setzt sich mit den von anthroposophischer Seite vorgetragenen Argumenten gegen die Behauptung auseinander, Steiner sei Rassist gewesen. Seine Gegenargumente sind wenig überzeugend.

Auf S. 633 schreibt Zander:

»Man müsse in unterschiedlichen Rassen reinkarnieren, aber mit dieser Art »Rache« des Schicksals sind der Rassentheorie ihre aktuellen Abwertungen nicht genommen.«

Hier ist zu betonen, dass Steiner seine Charakterisierungen bestimmter »Rassen« nicht mit moralischen Wertungen verbindet, sondern lediglich physische Eigenschaften beschreibt. Auch der Begriff der »Dekadenz« ist, abgesehen davon, dass er von Steiner auf die Menschheit als Ganze angewendet wird, keine moralische Wertung. Aus dieser »Dekadenz« geht eine neue Entwicklungsstufe der Menschheit hervor, die jenseits der physischen Formen verläuft. Die Dekadenz ist also eine notwendiger Aspekt in der Gesamtevolution der Menschheit, keine einzige »Rasse« entkommt ihr, die Menschheit, insofern sie durch »Rasseneigenschaften«, d.h. physische Eigenschaften bestimmt ist, befindet sich im Niedergang. Die Dekadenz ist der Weg, auf dem das sich individualisierende, seelisch-geistige Wesen des Menschen aus den biologischen Abhängigkeiten heraus wächst. »Alles Physische auf der Erde ist schon im Verfall, und man darf nicht mehr auf die Physis hoffen«, so Steiner.

»Negative Wertungen werden durch positive relativiert.« Zander setzt sich mit den von anthroposophischer Seite vorgetragenen Argumenten gegen die Behauptung auseinander, Steiner sei Rassist gewesen. Seine Gegenargumente sind wenig überzeugend.

Auf S. 633 schreibt Zander:

»Für alle Rassen gebe es auch positive Wertungen Steiners ... Aber wenn man beispielsweise Steiners Zuordnung von ›religiösem Gefühl‹ zu ›den Negern‹ positiv liest, muss man darüber hinwegsehen, dass Gefühlsreligion für Steiner evolutiv von der ›wissenschaftlichen‹ Erkenntnis religiöser Phänomene längst überholt ist. Das läuft zudem auf eine Akzeptierung der Stereotypen Steiners hinaus.«

Hier ist die Frage zu stellen, ob es sich bei den Äußerungen Steiners überhaupt um »Wertungen« handelt. Auch der Begriff des Stereotyps ist in Frage zu stellen. Die Frage ist, ob es sich bei diesen sogenannten Stereotypen um Stereotypen Steiners handelt und nicht bloß um Stereotypen der Zeit, die er aufgreift, um sie zu demontieren. Am deutlichsten wird dies gerade in dem häufig zitierten Arbeitervortrag (GA 349, 3.3.1923). Hier wird das Stereotyp vom »Neger« mit dem »starken Triebleben« aufgegriffen, aber im Lauf der Ausführungen aufgelöst, indem gerade dieses »Triebleben«, das in der zeitgenössischen Diskussion als Indiz der »Tierhaftigkeit« des Negers galt, als Garant dafür interpretiert wird, dass der »Neger« seine Menschlichkeit nicht verlieren könne. »Der bleibt schon innerlich Mensch« (GA 349, 3.3.1923, S. 58).

Im Gegensatz dazu kann der Weiße seine »Menschlichkeit« verlieren, weil er zu einseitig auf die Sinne und den Intellekt hin organisiert ist. Er ist es, der Europa und den Rest der Welt in den Untergang treibt.

Statt auf die Überlegenheit des Weißen abzuheben, wird dieser gerade als derjenige charakterisiert, der die Menschheit am stärksten in Gefahr bringt. Zwar bewegen sich die Ausführungen Steiners in diesem Arbeitervortrag insgesamt im Rahmen von Typenvorstellungen, diese beziehen sich aber, nach einer Bemerkung Steiners, ausdrücklich nur auf den Leib des Menschen, von dem das Seelisch-Geistige mehr oder weniger unabhängig ist.

»Sehen Sie, meine Herren, alles dasjenige, was ich Ihnen jetzt geschildert habe, das sind ja Dinge, die im Leibe des Menschen vor sich gehen. Die Seele und der Geist sind mehr oder weniger unabhängig davon.« (GA 349, 3.3.1923, S. 62) Dass Steiner nicht der Auffassung war, mit solchen Typenvorstellungen das Wesen des individuellen Menschen zu erfassen, dürfte sich von selbst verstehen.

»Gesellschaft ohne Rassenschranken.« Zander setzt sich mit den von anthroposophischer Seite vorgetragenen Argumenten gegen die Behauptung auseinander, Steiner sei Rassist gewesen. Seine Gegenargumente sind wenig überzeugend.

Auf S. 633-634 schreibt Zander:

»Steiners Ziel sei eine Gesellschaft ohne Rassenschranken. Aber dieser Anspruch für den Bereich der Praxis hebt die Theorie nicht auf, die zudem immer wieder herangezogen werden kann, um Rassendifferenzen wertend zu begründen. Auch reicht es nicht, Beispiele für eine nichtrassistische Praxis in der Anthroposophie gegen Steiners Theorie auszuspielen. Die rassistischen, antijudaistischen oder die fragwürdigen völkerpsychologischen Äußerungen bleiben dann ein unangetasteter Fundus der Anthroposophie.«

Man muss aber zugestehen, dass auch Steiners Theorie keine Gesellschaft vorsieht, die auf »Rassenmerkmalen« oder »Rasseneigentümlichkeiten« aufbaut.

Er tritt bereits in der Theorie nicht für die Errichtung von Rassenschranken oder einer Rassengesellschaft ein, vielmehr weist eine solche ausdrücklich zurück. Diese Zurückweisung ist ein starkes Argument aus der Theorie, die gegen die Behauptung spricht, Steiner sei Rassist. Die antirassistische Praxis der Anthroposophie ist für diese Interpretation lediglich eine Bestätigung.

Wäre Steiner Rassist, könnte man aus dessen angeblich »rassistischer Theorie« keine nichtrassistische Praxis ableiten, ohne sich zu seiner Theorie in Widerspruch zu bringen.

»Jugendliche Entgleisungen«. Zander setzt sich mit den von anthroposophischer Seite vorgetragenen Argumenten gegen die Behauptung auseinander, Steiner sei Rassist gewesen. Seine Gegenargumente sind wenig überzeugend.

Auf S. 634 schreibt Zander:

»Steiners Klischees über andere Völker seien jugendliche Entgleisungen ... Angesichts der bis in das Jahr 1923 hineinreichenden Völker- und Rassenstereotypien ist dies falsch.«

In der Tat ist das Argument falsch. Wenn man die unterstellte, rassistische oder stereotype Lesart zurückweist, besteht allerdings auch keine Notwendigkeit, die betreffenden Äußerungen als »Entgleisungen« zu entschuldigen.

»Mögliche Vereinnahmung.« Zander setzt sich mit den von anthroposophischer Seite vorgetragenen Argumenten gegen die Behauptung auseinander, Steiner sei Rassist gewesen. Seine Gegenargumente sind wenig überzeugend.

Auf S. 634 schreibt Zander:

»Steiners rassentheoretische Äusserungen bewirkten nur ›im Falle einer Vereinnahmung‹ eine ›schwerwiegende Diskriminierung‹, ansonsten seien die inkriminierten Zitate ›mißverständlich‹ oder ›unbedenklich‹, so die niederländische anthroposophische Kommission, die Steiners Rassentheorien in Augenschein nahm. Das allerdings erscheint in der Aussenperspektive schlicht verharmlosend angesichts der Schärfe vieler Äusserungen Steiners.«

Die niederländische Kommission hat mit Recht auf die Notwendigkeit der historischen Kontextualisierung verwiesen. Die Ausführungen Steiners sind in den Kontext des Sprachgebrauchs der damaligen Zeit zu stellen und aus den Maßstäben der damaligen Zeit heraus zu beurteilen.

Es ist unhistorisch, einen Autor, dessen Äußerungen mittlerweile nahezu hundert Jahre alt sind, einem Maßstab zu unterwerfen, der erst lange nach seinem Tod entwickelt wurde. Der Hinweis der niederländischen Kommission auf die mögliche Vereinnahmung bezieht sich aber gerade auf die Anwendung eines solchen Maßstabes, nämlich das niederländische Gesetz gegen Diskriminierung. Auf Steiner lässt sich dieses Gesetz nicht anwenden.

Was eine mögliche Vereinnahmung Steiners anbetrifft, so ist eine solche natürlich nicht ausgeschlossen. Die Verantwortung für eine solche liegt aber nicht bei Steiner, ebensowenig wie für Fehlinterpretationen.