Die Kreuzigung wurde laut Zander 1902 im »Christentum als mystische Tatsache ...« überhaupt nicht thematisiert, sondern erst 1910.

Auf S. 816 schreibt Zander:

»Die Kreuzigung auf Golgatha, in der Erstauflage von 1902 nicht thematisiert, wurde 1910 überhaupt erst zum Thema.«

Diese Behauptung ist falsch. Auch in der ersten Ausgabe wurde die Kreuzigung thematisiert. Die betreffenden Sätze sind kursiv gesetzt.

In der Erstausgabe heißt es auf S. 86-87:

»Aber das Jesus-Leben enthält mehr als das Buddha-Leben. Buddha schließt mit der Verklärung. Das Bedeutungsvollste im Jesus-Leben beginnt erst mit dieser Verklärung. Man übersetze das in die Sprache der Eingeweihten: Buddha ist bis zu dem Punkte gelangt, wo in dem Menschen das göttliche Licht anfängt zu glänzen. Er steht vor dem Tode des Irdischen. Er wird das Weltlicht. Jesus geht weiter. Er stirbt nicht physisch in dem Augenblicke, in dem ihn das Weltlicht durchklärt. Er ist in diesem Augenblicke ein Buddha. Aber er betritt auch in diesem Augenblicke eine höhere Stufe der Initiation. Er leidet und stirbt. Das Irdische verschwindet. Aber das Geistige, das Weltlicht verschwindet nicht. Seine Auferstehung erfolgt. Er tritt als Christus vor seine Gemeinde. Buddha zerfließt im Augenblicke seiner Verklärung in das selige Leben des Allgeistes. Jesus erweckt diesen Allgeist noch einmal in menschlicher Gestalt in das gegenwärtige Dasein. Solches ward mit den Initiierten bei den höheren Weihen vollzogen. Die im Sinne des Osiris-Mythus Initiierten waren zu solcher Auferstehung gelangt. Diese ›große‹ Initiation wurde also im Jesus-Leben zu der Buddha-Initiation hinzugefügt. Buddha hat mit seinem Leben das erwiesen, dass der Mensch der Logos ist; und dass er in diesen Logos, in das Licht zurückkehrt, wenn sein Irdisches stirbt. Jesus ist Logos selbst, persönlich geworden. In ihm ist das Wort Fleisch geworden.«

Angeblich hat Steiner 1902 im »Christentum als mystische Tatsache ...« nicht von der Reinkarnation gesprochen.

Auf S. 817 schreibt Zander:

»1902 hatte Steiner nicht von Reinkarnation gesprochen.«

Diese Behauptung ist falsch. Auch 1902 sprach Steiner bereits von Reinkarnation, verwendete aber nicht dieses Wort, sondern sprach stattdessen von »Seelenwandelung«. Drei Beispiele mögen genügen.

Über die Mysten schreibt Steiner 1902:

»Solche Gefühle leben in dem Mysten nach der Einweihung. Er fühlt das Ewige, Göttliche. Sein Thun soll ein Glied werden in dem Schaffen dieses Göttlichen. Er darf sich sagen: ich habe in mir ein höheres ›Ich‹ entdeckt, aber dieses ›Ich‹ reicht hinaus über die Grenzen meines sinnlichen Werdens; es war vor meiner Geburt, es wird nach meinem Tode sein. Geschaffen hat dieses ›Ich‹ von Ewigkeit; schaffen wird es in Ewigkeit. Meine sinnliche Persönlichkeit ist ein Geschöpf dieses ›Ich‹. Aber es hat mich eingegliedert in sich; es schafft in mir; ich bin sein Teil.« (1. Auflage 1902, S. 19)

Hier wird die Beziehung zwischen der sich reinkarnierenden »geistigen Individualität« des Menschen und ihrer Erscheinung als Persönlichkeit in einer bestimmten Inkarnation beschrieben. Die geistige Individualität, das »höhere Ich« ist unsterblich, die Persönlichkeit unterliegt der Wandlung. Da letztere mit dem Seelenkleid zusammenhängt, das die ewige Individualität in einer Verkörperung anzieht, spricht Steiner auch von »Seelenwandelung«. Was sich wandelt ist die seelische Erscheinungsform der geistigen Individualität, diese selbst bleibt durch die verschiedenen Inkarnationen mit sich identisch und verbürgt auf diese Weise den Zusammenhang zwischen den verschiedenen Persönlichkeiten der einzelnen Inkarnationen.

Steiner fährt im Anschluss an die zitierte Stelle fort:

»Einen Dämon nannten die Mysten die Kraft, die also in ihnen aufleuchtete. Sie waren die Ergebnisse dieses Dämons. Wie wenn ein neues Wesen in sie eingezogen und von ihren Organen Besitz ergriffen hätte, so kam ihnen ihr Zustand vor. Es war ein Wesen, das zwischen ihnen, als sinnlichen Persönlichkeiten, und zwischen der allwaltenden Weltenkraft, der Gottheit, stand. Diesen seinen Dämon suchte der Myste.« (Ebenda)

Steiner identifiziert also die von den »Mysten« als »Dämon« (daimon) bezeichnete Kraft, die »zwischen der sinnlichen Persönlichkeit« der einzelnen Inkarnation und der »allwaltenden Gottheit« steht, mit dem »höheren Ich« des Menschen, mit seiner geistigen Individualität. Die geistige Individualität schafft die sinnliche Persönlichkeit als ihren jeweiligen Ausdruck in einer bestimmten Inkarnation.

Zu Heraklits Ansichten über das Verhältnis des Ewigen und Zeitlichen am Menschen führt Steiner 1902 aus:

»Was ist der Mensch als persönliches Wesen? Diese Frage erhält für Heraklit von diesem Punkte aus die Antwort. Aus den widerstreitenden Elementen, in welche die Gottheit sich ergossen hat, ist der Mensch gemischt. So findet er sich. Darüber wird er in sich den Geist gewahr. Den Geist, der aus dem Ewigen stammt. Dieser Geist aber wird für ihn selbst aus dem Widerstreit der Elemente heraus geboren. Aber dieser Geist soll auch die Elemente beruhigen. Im Menschen schafft die Natur über sich selbst hinaus. Es ist ja dieselbe All-Eine Kraft, die den Widerstreit, die Mischung erzeugt hat; und die jetzt weisheitsvoll diesen Widerstreit wieder beseitigen soll. Da haben wir die ewige Zweiheit, die im Menschen lebt; seinen ewigen Gegensatz zwischen Zeitlichem und Ewigem. Er ist durch das Ewige etwas ganz Bestimmtes geworden; und er soll aus diesem Bestimmten heraus ein Höheres schaffen. Er ist abhängig und unabhängig. An dem ewigen Geiste, den er schaut, kann er doch nur teilnehmen, nach Maßgabe der Mischung, die der ewige Geist in ihm gewirkt hat. Und gerade deshalb ist er berufen, aus dem Zeitlichen das Ewige zu gestalten. Der Geist wirkt in ihm. Aber er wirkt in ihm auf besondere Weise. Er wirkt aus dem Zeitlichen heraus. Daß ein Zeitliches wie ein Ewiges wirkt, daß es treibt und kraftet wie ein Ewiges: das ist das Eigentümliche der Menschenseele. Das macht, daß diese einem Gotte und einem Wurme zugleich ähnlich ist. Zwischen Gott und Tier steht der Mensch dadurch mitten inne. Dies Treibende und Kraftende in ihm ist sein Dämonisches. Es ist das, was in ihm aus ihm hinausstrebt. Schlagend hat Heraklit auf diese Tatsache hingewiesen: ›Des Menschen Dämon ist sein Schicksal‹. So erweitert sich für Heraklit das, was im Menschen lebt, weit über das Persönliche hinaus. Dieses Persönliche ist der Träger eines Dämonischen. Eines Dämonischen, das nicht in die Grenzen der Persönlichkeit eingeschlossen ist, für welches Sterben und Geborenwerden des Persönlichen keine Bedeutung haben. Was hat dieses Dämonische mit dem zu thun, was als Persönlichkeit entsteht und vergeht? Eine Erscheinungsform nur ist das Persönliche für das Dämonische. Vorwärts und rückwärts fängt der Träger solcher Erkenntnis über sich selbst hinauszublicken an. Daß er Dämonisches in sich erlebt, ist ihm Zeugnis für die Ewigkeit seiner selbst. Und er darf jetzt nicht mehr diesem Dämonischen den einzigen Beruf zuschreiben, seine Persönlichkeit auszufüllen. Denn nur eine von diesen Erscheinungsformen des Dämonischen kann das Persönliche sein. Der Dämon kann sich nicht innerhalb einer Persönlichkeit abschließen. Er hat Kraft, viele Persönlichkeiten zu beleben. Von Persönlichkeit zu Persönlichkeit vermag er sich zu wandeln. Der große Gedanke der Seelenwandelung springt wie etwas Selbstverständliches aus den Heraklitischen Voraussetzungen. Aber nicht allein der Gedanke, sondern die Erfahrung von dieser Wandelung. Der Gedanke bereitet nur für diese Erfahrung vor. Wer das Dämonische in sich gewahr wird, findet es nicht als ein unschuldvolles, erstes vor. Er findet es mit Eigenschaften. Wodurch hat es diese? Warum habe ich Anlagen? Weil an meinem Dämon schon andere gearbeitet haben. Und was wird aus dem, was ich an dem Dämon wirke, wenn ich nicht annehmen darf, daß dessen Aufgaben in meiner Persönlichkeit erschöpft sind? Ich arbeite für eine spätere Persönlichkeit vor. Zwischen mich und die Welteinheit schiebt sich etwas, was über mich hinausreicht aber noch nicht dasselbe ist wie die Gottheit. Mein Dämon schiebt sich dazwischen. Wie mein Heute nur das Ergebnis von Gestern ist, mein Morgen und [müsste heißen: nur] das Ergebnis meines Heute sein wird: so ist mein Leben Folge eines andern; und [und] es wird Grund sein für ein anderes. Wie auf zahlreiche Gestern rückwärts und auf zahlreiche Morgen vorwärts der irdische Mensch, so blickt die Seele des Weisen auf zahlreiche Leben in der Vergangenheit und zahlreiche Leben in der Zukunft. Was ich gestern erworben habe, an Gedanken, an Fertigkeiten, das benütze ich heute. Ist es nicht so mit dem Leben? Betreten die Menschen nicht mit den verschiedensten Fähigkeiten den Horizont des Daseins? Woher rührt die Verschiedenheit? Kommt sie aus dem Nichts? - Unsere Naturwissenschaft thut sich viel darauf zugute, daß sie das Wunder aus dem Gebiete unserer Anschauungen vom organischen Leben verbannt hat. David Friedrich Strauß (vergl. ›Alter und neuer Glaube‹) bezeichnet es als große Errungenschaft der Neuzeit, daß wir ein vollkommenes organisches Geschöpf nicht mehr durch ein Wunder aus dem Nichts heraus geschaffen denken. Wir begreifen die Vollkommenheit, wenn wir sie durch Entwicklung aus dem Unvollkommenen erklären können. Der Bau des Affen ist uns kein Wunder mehr, wenn wir Urfische als Vorahren des Affen annehmen dürfen, die sich allmählich gewandelt haben. Bequemen wir uns doch, für den Geist als billig hinzunehmen, was uns der Natur gegenüber als recht erscheint. Soll der vollkommene Geist ebensolche Voraussetzungen haben wie der unvollkommene? Soll Goethe die gleichen Bedingungen haben wie ein beliebiger Hottentotte? So wenig wie ein Fisch die gleichen Voraussetzungen hat wie ein Affe, so wenig hat der Goethe’sche Geist dieselben geistigen Vorbedingungen wie der des Wilden. Die geistige Ahnenschaft des Goethe’schen Geistes ist eine größere als die des wilden Geistes. Geworden ist der Geist wie der Leib. Der Dämon in Goethe hat mehr Vorfahren als der in dem Wilden. Man nehme die Lehre von der Seelenwandelung in diesem Sinne. Man wird sie dann nicht mehr ›unwissenschaftlich‹ finden. Aber man wird in der rechten Weise deuten, was man in der Seele findet. Man wird das Gegebene nicht als Wunder hinnehmen. Daß ich schreiben kann, verdanke ich der Tatsache, daß ich es gelernt habe. Niemand kann sich hinsetzen und schreiben, der nie vorher die Feder in der Hand gehabt hat. Aber einen ›genialen Blick‹ soll der eine oder der andere haben auf bloß wunderbare Weise. Nein, auch dieser ›geniale Blick‹ muß erworben sein: er muß gelernt sein. Und tritt er in einer Persönlichkeit auf, so nennen wir ihn ein Dämonisches. Aber dieses Dämonische hat eben auch erst gelernt; es hat sich in einem früheren Leben erworben, was es in einem späteren ›kann‹.

So, und nur so, schwebte dem Heraklit und anderen griechischen Weisen der Ewigkeits-Gedanke vor. Von einer Fortdauer der Persönlichkeit war bei ihnen nie die Rede.« (1. Aufl 1902, S. 30-34)

In diesem Text ist nicht nur von der Reinkarnation, sondern offensichtlich auch vom »Karma« die Rede (ohne dass dieser Ausdruck verwendet würde). Genau derselbe Gedankengang, der Schluss von den unterschiedlichen Fähigkeiten und Begabungen auf frühere Inkarnationen und die Verbindung mit dem Entwicklungsgedanken der Naturwissenschaften, findet sich übrigens auch im Kapitel über »Wiederverkörperung des Geistes und Schicksal« in der »Theosophie« 1904.

Auch Plato kannte selbstverständlich die Reinkarnation. Über dessen Anschauungen heißt es im »Christentum als mystische Tatsache ...« 1902:

»Da, wo er von dem Leben der Seele spricht, wo er die Pfade des Vergänglichen verläßt und das Ewige in der Seele aufsucht, wo also die Vorstellungen nicht mehr vorhanden sind, die sich an das sinnliche Wahrnehmen und an das verstandesmäßige Denken anlehnen, da bedient sich Plato des Mythus. Von dem Ewigen in der Seele redet der ›Phädrus‹. Da wird denn die Seele dargestellt als ein Gespann, das zwei nach allen Seiten mit Flügeln versehene Pferde hat und einen Führer. Das eine der Pferde ist geduldig und weise, das andere störrig und wild. Kommt dem Gespann ein Hindernis in den Weg, so benützt dies das störrige Pferd, um das gute in seinem Willen zu behindern und dem Führer Trotz zu bieten. Wenn das Gespann da anlangt, wo es den Göttern auf dem Rücken des Himmels nachfolgen soll, da bringt das schlechte Pferd das Gespann in Unordnung. Von der Gewalt, welche es hat, hängt es ab, ob es von dem guten Pferde überwunden werden, und das Gespann sich über das Hindernis in das Reich des Übersinnlichen begeben kann. So geschieht es also der Seele, daß sie nie ganz ungestört sich in das Reich des Göttlichen erheben kann. Einige Seelen erheben sich zu dieser Ewigkeitsschau mehr, die anderen weniger. Die Seele, welche das Jenseits geschaut hat, die bleibt unversehrt bis zum nächsten Umzuge; diejenige, welche – wegen des wilden Pferdes – nichts geschaut hat, die muß es mit einem neuen Umzuge versuchen. Mit diesen Umzügen sind die verschiedenen Seelenwandlungen gemeint. Ein Umzug bedeutet das Leben der Seele in einer Persönlichkeit. Das wilde Pferd stellt die niedere, das weise Pferd die höhere Natur, der Führer die sich nach Vergöttlichung sehnende Seele dar. Plato greift zum Mythus, um den Weg der ewigen Seele durch die verschiedenen Wandelungen hindurch darzustellen. In gleicher Weise wird, um das Innere des Menschen, das Nicht-Sinnlich-Wahrnehmbare, darzustellen, in andern platonischen Schriften zum Mythus, zur symbolischen Erzählung gegriffen.« (1. Auflage 1902, S. 62-63)

Steiner habe sich innerhalb von zwei Jahren selbst widersprochen: er habe 1909 Jesus als »hohen Eingeweihten« bezeichnet und 1911 genau diese Behauptung verneint.

Auf S. 820 schreibt Zander:

»Noch deutlicher spielte er [Steiner] auf Krishnamurti am 7. Oktober an. Der Christus habe nicht in einem hohen Eingeweihten gewohnt, sondern in einem Körper, der von der Zarathustra-Individualität verlassen worden sei (GA 1317,84). Dies war nicht nur das Gegenteil seiner vor 1906 formulierten Christologie, sondern widersprach auch direkt Äußerungen von 1909, desavouierte aber Krishnamurti127.

Anmerkung 127:

1909 hatte Jesus noch ›ein hoher Eingeweihter‹ zu sein, ehe er der Träger des Christus werden konnte (GA 1237,23).«

Die in Anmerkung 127 erwähnte Fundstelle (GA 123, 7. Auflage, S. 23) findet sich nicht am von Zander genannten Ort. In der gesamten Vortragsreihe findet sich keine solche Äußerung. Außerdem fanden die Vorträge in GA 123 nicht 1909, sondern vom 1. bis 12. September 1910 statt.

Auch die Behauptung, der Christus habe nicht in einem »hohen Eingeweihten gewohnt«, sondern in einem Körper, »der von der Zarathustra-Individualität verlassen worden war«, ist schief. Denn Zarathustra war laut Steiner »ein hoher Eingeweihter«, der die Früchte seiner Einweihung der Seele und dem Leib des Jesus einprägte.

Laut Zander wies Steiner am 11. Juni 1912 Buddha eine neue Mission auf dem Mars zu und »drängte« damit dessen »irdische Wirksamkeit zurück«.

Auf S. 821 schreibt Zander:

»Dem Buddha wies Steiner am 12. Juni ein [sic!] Platz auf dem Mars als Friedensstifter zu (GA 137,204) und drängte so seine irdische Wirksamkeit zurück.«

Zander irrt sich im Datum. Steiner sprach erstmals über Buddhas neue Mission auf dem Mars nicht am 12. Juni, sondern im Vortrag vom 11. Juni 1912. (GA 137)

Außerdem ist die Behauptung, Steiner habe Buddhas »irdische Wirksamkeit« »zurückgedrängt«, indem er ihm eine Mission auf dem Mars zuteilte, kompletter Unsinn und widerspricht sogar dem buddhistischen Selbstverständnis. Nach der Erleuchtung und dem Eintritt ins Nirvana gibt es nach buddhistischer Auffassung keine »irdische Wirksamkeit« des Buddha mehr. An seine Stelle treten im Mahayana- und Tantrayanabuddhismus weitere Boddhisattvas und Buddhas.

Man lese dagegen, was Steiner über die kosmische Mission des Buddha im Vortrag vom 11. Juni 1912 ausführt:

»Man muß durchaus wissen, daß es richtig ist, daß der Buddha bei der Erhebung vom Bodhisattva zum Buddha zu einer kosmischen Würde aufgestiegen ist, daß er innerhalb seiner weiteren Entwickelung, die er durchzumachen hat, nicht wieder zu einem physischen Erdenmenschen herabzusteigen braucht.

Für diejenigen, die das verfolgt haben, habe ich schon einmal, ich möchte sagen, den einzigen Punkt berührt, wo der Buddha von seiner Entwickelung wieder etwas merken läßt; es war, als ich gezeigt habe, daß zwei Jesusknaben geboren worden sind, der Matthäus- und der Lukas-Jesusknabe, wobei auch gesagt wurde, daß bei der Geburt des Lukas-Jesusknaben der Buddha dem Astralleib des Jesus astralische Kräfte einverleibte, die er aus der geistigen Welt herunterzusenden hatte. Damit hat man ja nur dasjenige berührt, was der Buddha einmal auf die Erde heruntergesendet hat. In Norrköping habe ich gesagt, daß die Eingeweihten mit dem Buddha auch noch in anderer Weise zusammenkommen konnten. Auf der Erde war der Buddha aber in dem Sinne, daß man sagen kann: Auf der Erde lebte er seit seinem Leben als Buddha nicht mehr. - Der Okkultist, der nun weitergeht auf seinem Wege, kann auch den Weg des Buddha weiter verfolgen. Es ist natürlich kein Erdenleben, aber es kann natürlich noch beobachtet werden, so daß auf dem Gebiete des praktischen Okkultismus die Frage entsteht: Was ist aus dem Buddha geworden, seitdem er sich nicht mehr in einem physischen Menschenleibe inkarniert? - Man kann suchen den Buddha, so wie er ist in der weiten Welt. Es mag Ihnen sonderbar erscheinen, aber die Initiierten finden den Buddha wirklich bei einer großen, bedeutsamen Aufgabe, bei einer ganz gewaltigen Aufgabe. Wenn nämlich der geöffnete Blick des Okkultisten im Weltenraume draußen sucht, so findet er den weiteren Schauplatz des Buddha merkwürdigerweise auf jenem Planeten, den wir in der physischen Astronomie als den Mars bezeichnen, und der Okkultist muß allen Ernstes sagen: Seit jener Zeit, da der Buddha sich die Fähigkeit erworben hatte, welche ihn dahin brachte, nicht mehr im Erdenleben erscheinen zu müssen, ist ihm eine neue Mission zugeteilt worden. Diese neue Mission lernen wir kennen durch eine okkultistische Beobachtung des Mars. Die ihm ureigene Mission lernen wir so kennen.

Wenn wir diese Mission genau kennenlernen wollen, dann finden wir durch die okkultistische Untersuchung, daß diejenigen Wesen auf dem Mars, welche den Erdenmenschen entsprechen würden, die aber von ganz anderer Natur sind - wir können sie rücksichtslos [? – wohl im Sinne von: ohne Umstände, der Einfachheit halber] Marsmenschen nennen -, in einem bestimmten Zeitpunkt ihrer Entwickelung in eine ähnliche Notwendigkeit versetzt wurden, wie die Erdenmenschen versetzt waren im vierten nachatlantischen Zeitraum, als zu ihnen der Christus kommen sollte. Und wie der Christus ein Erlöser und Auferwecker wurde, wie das eine Mission des Christus in bezug auf die Erdenmenschheit war, so ist es die weitere Mission jenes Bodhisattva, nachdem er zum Buddha geworden ist, ein Erlöser und Befreier der Marsmenschen zu sein. Ein ähnliches Ereignis hat er also zu vollziehen auf dem Mars, wie es der Christus auf der Erde zu vollziehen hatte.

Wenn wir das Leben des Buddha betrachten, so zerfällt es uns im Grunde genommen in zwei Teile: in den einen Teil, wo Buddha für die Erdenmenschen gewirkt hat und ihnen gebracht hat das, was sie bekommen sollten durch den Buddha und durch alles das, was er ihnen schon gebracht hatte während seiner Bodhisattvazeit, und in den zweiten Teil, wo der Buddha außerhalb der Erde wirkt, wo er zu höherer Kraft aufgestiegen ist, zu welcher die Erdenlaufbahn nur die Vorbedingung war. Ja, zu Erlöserkraft, zu Befreierkraft ist der Buddha emporgewachsen. Wenn wir vergleichen könnten - von den Gefühlen, mit denen die Marsmenschen dem Buddhawirken entgegenkommen, werden wir, wenn es möglich ist, noch weiter sprechen - das Wirken des Buddha auf dem Mars mit dem ganz ähnlichen Wirken, es ist nicht gleich, sondern etwas verschieden, des Christus Jesus auf der Erde und dem Mysterium von Golgatha, so würden wir einen Unterschied finden, der vorliegen muß deshalb, weil eben eine Verschiedenheit zwischen den Erdenmenschen und den Marsmenschen besteht.

Wir sehen also, daß Aufgaben gesetzt sind den Wesenheiten, die sich im Kosmos entwickeln. In dem Augenblicke, wo ein Wesen aufsteigt von einer Würde zu einer anderen, ist ihm auch eine neue Aufgabe gestellt. Wir sehen also, daß der Mensch seine Laufbahn auf der Erde zu vollbringen hat, dabei aber von Wesenheiten berührt wird in seiner Laufbahn, welche entweder eine kosmische Aufgabe von allem Anfange an schon haben, wie der Christus, oder welche sich von der Erde zu einer kosmischen Aufgabe hinaufentwickeln, wie es bei Buddha der Fall war.«

GA 137, Vortrag vom 11. Juni 1912, Dornach 1973, S. 180-182

Am 12. Juni kommt Steiner noch einmal auf Buddhas Mission zurück und charakterisiert diese näher:

»So konnte lange vorbereitet werden im Weltall jene merkwürdige Mission, die der Buddha unternommen hatte im Auftrage des Christus. Der Buddha ist zuerst geschickt worden zu den Venusmenschen - und vergleichen Sie das, was ich jetzt sage, mit den Vorträgen in Helsingfors -, dann auf die Erde, dann machte er den Weg zurück zu den Marsmenschen und hat dort weiterzuwirken an der lange vorbereiteten Mission auf dem Mars.

Auf dem Mars ist die Sache so, daß diejenigen Menschen, die dort geblieben sind, in einer großen Gefahr stehen, wie die Erdenmenschen in einer großen Gefahr standen, aus der sie der Christus befreite. Die Marsmenschen stehen in der Gefahr, daß ihnen - sie hatten ja kein Ich zum besonderen entwickeln – [verderbter Text; es muss heißen: »sie hatten ja ihr Ich nicht besonders entwickelt«] ihr astralischer Leib und dadurch mittelbar auch ihr Ätherleib furchtbar an Kräften verlieren sollte, gewissermaßen austrocknen sollte. Die ganze Natur der Marsmenschen hat sich so ausgelebt, daß auf dem Mars furchtbare Kriege stattgefunden haben. Die Menschen auf dem Mars sind sehr bodenständig – die Menschen auf der Erde sind kosmopolitisch angelegt -, die Marsmenschen sind viel mehr auf den Boden versessen, und es gibt sehr wenig Kosmopolitiker auf dem Mars. Aber dafür gibt es, oder wenigstens hat es viel Krieg und Streit gegeben; das alles ging hervor aus dem durch das Ich nicht besänftigten starken astralischen Leib. Wenn Sie das alles zusammennehmen, werden Sie begreifen, daß bei Menschen, die sich entwickeln, wie es auf dem Mars der Fall ist, ungeheuer viel Streit sein muß. Der Mars ist nur eine Art von wiederverkörpertem Mond, und da also das, was im astralischen Leibe steckt, nicht gemildert ist durch die Besänftigung des Ich, sind diese Menschen ganz hervorragend kriegslustig. Die Griechen haben eine richtige Erkenntnis gehabt, indem sie gerade Mars zum Kriegsgott gemacht haben. Große Verwunderung überkommt einen, so in den Mythen die Anklänge daran zu finden; und eine überraschende Sache ist es für einen, wenn man findet, daß wirklich ungeheure Kriege da herrschten. Man ist dann ungemein verwundert, wenn man schon in den alten Mysterienerkenntnissen in den Bezeichnungen findet, daß diese okkulten Erkenntnisse vorhanden waren. Also ungeheure Kriege waren da. Und jetzt denken Sie sich die Fortsetzung des Buddhalebens, dieses Meisters des Mitleids und der Liebe, dieses Meisters in Überwindung von Kastenunterschieden, dann werden Sie begreifen, daß Buddha wirklich seine Mission auf dem Mars hat; diese Mission, die darin besteht, dort einzuführen das, wozu die Marsmenschen allein nicht kommen können, was ihnen erscheinen würde als eine ganz übertriebene Frömmigkeit, als Mönchtum und so weiter - durch ein grandioses Beispiel von übersteigerter Demut und Sanftmut auf die Marsmenschen zu wirken und sie zu beleben nach dieser Richtung hin. Ich kann Ihnen nur die Anfänge des Bildes geben, wodurch der Buddha auf den Mars zu wirken hat. Die Bedeutung, die Wirkung des Buddha ist dort wirklich eine ganz ähnliche für diese ohne das Ich lebenden Marsmenschen, wie eben die eines Erlösers, eines Befreiers zu höherer Weltanschauung. Und während auf der Erde eine allgemeine Brüderlichkeit und Nächstenliebe im tiefsten Impulse mit dem Christus zusammenhängt, hängt Kosmopolitismus im wesentlichen zusammen mit jener Erlösertat, die dort der Buddha zu verrichten hat.«

Vortrag vom 12. Juni 1912, Dornach 1973, S. 203-205

Nach Zander hat Steiner auch in den zwanziger Jahren gravierende Veränderungen am Text des »Christentums als mystische Tatsache ...« vorgenommen. Unter anderem soll nun der Mensch die in der Natur verzauberte oder ruhende Gottheit nicht mehr durch sein Erkennen »erlösen«, sondern nur mehr sich selbst.

Auf S. 823-824 schreibt Zander:

»Auch das Gottesbild rejustierte er.

1902 / 1910:

›Gott‹ ›hat sich selbst in unendlicher Liebe hingegeben;

er hat sich ausgegossen;

er hat sich in die Mannigfaltigkeit

der Naturdinge zerstückelt;

sie leben, und er lebt nicht.

Er ruht in ihnen.

Und der Mensch kann ihn erwecken. Soll er ihn zum Dasein kommen lassen, muss er ihn schaffend erlösen.‹

zwanziger Jahre:

›Gott‹ ›hat sich selbst in unendlicher

Liebe hingegeben;

er hat sich ausgegossen,

er hat sich in die Mannigfaltigkeit

der Naturdinge zerstückelt;

sie leben, und er lebt nicht in ihnen.

Er ruht in ihnen.

Er lebt im Menschen. Und der Mensch kann das Leben des Gottes in sich erfahren. Soll er ihn zur Erkenntnis kommen lassen, muss er diese Erkenntnis schaffend erlösen.‹

In der Passage der zwanziger Jahre wird nicht mehr Gott erlöst, sondern nurmehr die Erkenntnis über ihn. Das oft gnostisch gedeutete Motiv des erlösten Erlösers ist verschwunden. Aus der Erlösung Gottes durch den Menschen wurde die Selbsterlösung des Menschen durch die Erkenntnis über Gott. Auch pantheisierende Positionen sind zurückgenommen, Gott ›lebt‹ nicht mehr in den ›Naturdingen‹, aber immer noch im Menschen. Außerdem nahm Steiner pantheisierende Formulierungen zurück. Dies war faktisch eine die Annäherung an klassische Positionen der kirchlichen Theologie; wie weit Steiner dies gewollt hat, ist aber nicht klar.«

Zander kann nur so weit reichende Schlüsse aus diesem Zitat ziehen, weil er den Rest des Buches unter den Tisch kehrt. An anderen Stellen spricht Steiner auch weiterhin von der Erlösung des in der Natur verzauberten Gottes durch die Erkenntnis.

So heißt es zum Beispiel auf S. 37, kurz nach den von Zander zitierten Sätzen:

»Die mystische Erkenntnis ist damit ein wirklicher Vorgang im Weltprozesse. Sie ist eine Geburt eines Gottessprossen. Sie ist ein Vorgang, so wirklich wie ein anderer Naturvorgang, nur auf einer höheren Stufe. Das ist das große Geheimnis des Mysten, daß er selbst seinen Gottessprossen schaffend erlöst, daß er sich zuvor aber vorbereitet, um diesen von ihm geschaffenen Gottessprossen auch anzuerkennen.«

Oder auf S. 65 im Kapitel über Plato als Mystiker:

»Das Drama des Weltwerdens wird im Timaios vorgeführt. Wer den Spuren nachgehen will, die zu diesem Weltwerden führen, der kommt zu der Ahnung der Urkraft, aus der alles geworden ist. ›Den Schöpfer und Vater dieses Alls nun ist es schwierig zu finden; und wenn man ihn gefunden hat, unmöglich, sich für alle verständlich über ihn auszusprechen.‹ Der Myste wußte, was mit dieser ›Unmöglichkeit‹ gemeint ist. Sie deutet auf das Drama des Gottes. Dieser ist ja für ihn nicht im Sinnlich-Verständigen vorhanden. Da ist er nur als Natur vorhanden. Er ist in der Natur verzaubert. Nur der kann sich ihm, nach der alten Mysten-Meinung, nähern, der das Göttliche in sich selbst erweckt. Also kann er nicht ohne weiteres für alle verständlich gemacht werden.«

Oder auf S. 66 im selben Kapitel:

»Das Grab des Göttlichen darf also Plato die Natur nennen. Doch nicht ein Grab, in dem ein Totes liegt, sondern ein Ewiges, für das der Tod nur die Gelegenheit gibt, die Allmacht des Lebens zum Ausdruck zu bringen. Und derjenige Mensch erblickt diese Natur in dem rechten Lichte, der vor sie hintritt, die gekreuzigte Weltseele zu erlösen. Auferstehen soll sie von ihrem Tode, aus ihrer Verzauberung. Wo kann sie wieder aufleben? Allein in der Seele des eingeweihten Menschen. Die Weisheit findet ihr rechtes Verhältnis damit zum Kosmos. Die Auferstehung, die Erlösung Gottes: das ist die Erkenntnis.«

Die Erkenntnis ist also, wie man sehen kann, auch in den zwanziger Jahren für Steiner die Auferstehung, die Erlösung Gottes und es bleibt nicht, wie Zander behauptet, nur die Selbsterlösung des Menschen übrig.

Warum die Veränderung von

»sie leben, und er lebt nicht.«

zu

»sie leben, und er lebt nicht in ihnen.«

die »Rücknahme einer pantheisierenden Position« sein soll, bleibt wohl auf immer Zanders Geheimnis, denn in beiden Fällen ist die eigentlich »pantheisierende Position« –die jedoch in Wahrheit panentheisierend ist –, stehen geblieben, die Formulierung nämlich:

»er hat sich ausgegossen;

er hat sich in die Mannigfaltigkeit

der Naturdinge zerstückelt ...«

Diesen panentheistischen oder kosmotheistischen Gedanken findet man übrigens auch in anderen Schriften, zum Beispiel in den »Grundlinien einer Erkenntnistheorie ...«:

»Der Weltengrund hat sich in die Welt vollständig ausgegossen; er hat sich nicht von der Welt zurückgezogen, um sie von außen zu lenken, er treibt sie von innen; er hat sich ihr nicht vorenthalten. Die höchste Form, in der er innerhalb der Wirklichkeit des gewöhnlichen Lebens auftritt, ist das Denken und mit demselben die menschliche Persönlichkeit. Hat somit der Weltengrund Ziele, so sind sie identisch mit den Zielen, die sich der Mensch setzt, indem er sich darlebt. Nicht indem der Mensch irgendwelchen Geboten des Weltenlenkers nachforscht, handelt er nach dessen Absichten, sondern indem er nach seinen eigenen Einsichten handelt. Denn in ihnen lebt sich jener Weltenlenker dar. Er lebt nicht als Wille irgendwo außerhalb des Menschen; er hat sich jedes Eigenwillens begeben, um alles von des Menschen Willen abhängig zu machen.«

(GA 2, Dornach 1960, S. 126)

Wenn Steiner wirklich »pantheisierende Positionen« hätte zurücknehmen wollen, dann hat er wohl versäumt, diese Passage in den »Grundlinien ...« zu streichen. Im Stile Zanders könnte man eine Konjektur äußern: vermutlich hat Steiner nur vergessen, dass er diese Sätze in den »Grundlinien ...« geschrieben hat. Tatsache ist jedoch, dass Steiner diese »Grundlinien ...« im Jahr 1924, kurz vor seinem Tod überarbeitete und neu herausgab ...