Zander unterstellt Steiner, er habe Troxler lediglich deshalb in den Vordergrund gespielt, weil dessen Begriff der »Anthroposophie« sich in den theosophischen Vereinsquerelen habe gegen Besant instrumentalisieren lassen.

Auf S. 922 schreibt Zander:

»Im Ersten Weltkrieg häuften sich dann die Bezüge. Der Grund für die Karriere Troxlers liegt in seiner Benutzung des Begriffs ›Anthroposophie‹, und der wiederum wurde auf dem Hintergrund der theosophischen Vereinsquerelen für Steiner zu einem elektrisierenden Stichwort: Am 28. Dezember 1912 hatte er ja die Theosophische Gesellschaft in Anthroposophische Gesellschaft umgetauft. Die Bezüge auf Troxler und dessen Anthroposophie stellte Steiner mithin in dem Augenblick her, als er die Namensgleichheit für die Behauptung einer europäischen Tradition der neu gekürten theosophischen Anthroposophie verwenden wollte und als sein theosophisches Weltbild in seinen Grundzügen ausgebildet war. ...

Doch in den Details brechen die Unterschiede zwischen Troxler und Steiners theosophischem Denken auf. Troxler wies als Quelle der Philosophie ›diesen dem Menschen eingebornen und von dem Menschen aus sich zu entbindenden Geist‹ aus. Bei allen neuplatonischen Anklängen blieb Troxler damit, wie er explizit betonte, der Tradition einer spezifisch christlichen ›Theosophie‹ verpflichtet. Die daraus folgenden Differenzen zur Adyar-Theosophie zeigen sich etwa [sic!] einer Passage aus Troxlers ›Vorlesungen über Philosophie‹ von 1835: ›Wenn es nun höchst erfreulich ist, dass die neueste Philosophie … in jeder Anthroposophie, also in Poesie wie in Historie sich offenbaren muss, emporwindet, so ist doch nicht zu übersehen, dass diese Idee nicht eine Frucht der Spekulation sein kann und die wahrhafte Persönlichkeit oder Individualität des Menschen weder mit dem, was sie als subjektiven Geist oder absolute Persönlichkeit diesem gegenüberstellt, verwechselt werden darf.‹.242

Anmerkung 242: Troxler, Vorlesungen über Philosophie, 101; Zit. bei Steiner GA 35,216.«

Zanders Behauptung: »Die Bezüge auf Troxler und dessen Anthroposophie stellte Steiner mithin in dem Augenblick her, als er die Namensgleichheit für die Behauptung einer europäischen Tradition der neu gekürten theosophischen Anthroposophie verwenden wollte ...« ist aus der Luft gegriffen. Warum häufen sich Steiners Bezüge auf Troxler erst während des Ersten Weltkriegs und danach und nicht bereits 1912, wenn er diesen als Waffe gegen die Adyar-Theosophie benutzen wollte und diesen nachweislich bereits 1906 kannte? Hätte er dann nicht bereits 1912/13 diese Bezüge deutlich herausgestellt? Und hätte er dann nicht ebenso wie an der »ätherischen Wiederkehr Christi« – wie Zander mehrfach behauptet – 1916 längst das Interesse an Troxler verloren haben müssen, da die Notwendigkeit, sich gegen die Adyar-Theosophie abzugrenzen, längst passé war?

Zander erweckt im übrigen den Eindruck, als habe er Troxlers »Vorlesungen über Philosophie« im Original gelesen, zitiert jedoch samt Auslassungszeichen nur das verstümmelte Zitat, das in GA 35 abgedruckt ist.

Im Original der Berner Ausgabe 1843 lautet der Satz auf S. 101 jedenfalls wie folgt [Auslassung unterstrichen]:

»Wenn es nun höchst erfreulich ist, dass die neueste Philosophie, welche wir längst als diejenige anerkannt haben, die alle lebendige Religion begründet, und in jeder Anthroposophie, also in Poesie, wie in Historie sich offenbaren muss, emporwindet, so ist doch nicht zu übersehen, dass diese Idee nicht eine Frucht der Spekulation sein kann, und die wahrhafte Persönlichkeit oder Individualität des Menschen weder mit dem, was sie als subjektiven Geist, noch mit dem , was sie als absoluten Geist oder absolute Persönlichkeit diesem gegenüberstellt, verwechselt werden darf.

Hätte Zander das Original dieses Textes gelesen, hätte er wohl kaum ausgerechnet unter Berufung auf dieses Zitat – behaupten können, Troxler sei »der Tradition einer spezifisch christlichen ›Theosophie‹ verpflichtet« gewesen, denn dann hätte Troxler wohl kaum schreiben können: »die neueste Philosophie« sei von ihm »längst als diejenige anerkannt« worden, »die alle lebendige Religion begründet«.

Im übrigen zitiert Troxler an dieser Stelle Paracelsus. Er schreibt:

»›Der Mensch‹, wie Hohenheim ferner sagt, ›erfindet nichts, und der Teufel kann nichts erfinden. Gott ist es allein, der uns Alles durch das Licht der Natur offenbart. Gott bleibt in allen Dingen der oberste Skribent, der erste, der höchste, und unser aller Text. Der Geist, der von demselben ausgeht, wird uns, wie die Schrift sagt, in alle Wahrheit führen, und alle Dinge lehren.‹

Und diesen dem Menschen eingeborenen und von dem Menschen aus sich zu entbindenden Geist Gottes halten auch wir für die einzige Quelle der Philosophie; denn dieser Geist in dem Menschen ist das sich selbst beleuchtende und erschauende Lichtleben oder Seelwesen, das Ewige und Alleine der menschlichen Erkenntnis, welches von dem Philosophen vor allem aus anerkannt werden muss. Der neueren Philosophie hat es daher besonders am Erkennen des menschlichen Erkennens gefehlt.« (Naturlehre des menschlichen Erkennens, Neuausgabe Troxler Verlag Bern 1944, S. 27).

Zanders gesamte Argumentation weist eine Reihe weiterer Inkonsistenzen auf. Es ist nicht ersichtlich, warum Troxlers Aussage, die Quelle der Philosophie sei der »dem Menschen eingeborene und von dem Menschen aus sich zu entbindende Geist« eine Differenz zu Steiners theosophischem Denken darstellen soll, warum Steiners Denken ausgerechnet im Kontext einer Distanzierung von der Adyar-Theosophie »adyar-theosophisch« sein soll und inwiefern der von Zander zitierte Text Troxlers im Widerspruch zu einer adyar-theosophischen Position stehen soll.

Was die Bezugnahme Steiners auf Troxler im Jahr 1916 anbetrifft, so führt ihn jener nicht als Gewährsmann gegen die Adyar-Theosophie ins Feld, sondern als Zeugen dafür, dass »im Lauf der neueren Zeit deutlich das Bestreben auftritt« zu der von ihm vertretenen Geisteswissenschaft zu kommen. Im übrigen enthält die Bezugnahme Steiners auf Troxler in diesem Text die Pointe, dass Steiner auf Troxlers Defizite hinweist und darauf, dass er gegenüber der Philosophie J. G. Fichtes, Schellings und Hegel nicht einen »Fortschritt, sondern einen Rückschritt« darstelle.

Steiner schreibt 1916:

»So wenig nun eine Geisteswissenschaft mit solchen Zielen mit älteren Weltanschauungsrichtungen, wie der Gnosis und ähnlichem, verwechselt werden darf, so ist doch die Tatsache vorhanden, dass im Laufe der neueren Zeit deutlich das Bestreben auftritt, zu ihr zu kommen, dass sie nicht also wie ein willkürlich Ersonnenes in der Gegenwart auftritt, sondern wie eine Erfüllung von Hoffnungen, die im geistigen Entwickelungsprozess des Abendlandes zu bemerken sind. Um dies zu belegen, ließe sich vieles anführen. Es sollen hier aber nur zwei Beispiele gebracht werden, welche zeigen, das ›Anthroposophie‹ etwas ist, woran seit lange gedacht wird.

Troxler, ein viel zu wenig gewürdigter Denker aus der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, gab 1835 ›Vorlesungen über Philosophie‹ heraus. Darin findet sich der Satz: ›Wenn es nun höchst erfreulich ist, dass die neueste Philosophie, die... in jeder Anthroposophie, also in Poesie, wie in Historie, sich offenbaren muss, emporwindet, so ist doch nicht zu übersehen, dass diese Idee nicht eine Frucht der Spekulation sein kann, und die wahrhafte Persönlichkeit oder Individualität des Menschen weder mit dem, was sie als subjektiven Geist oder endliches Ich aufstellt, noch mit dem, was sie als absoluten Geist oder absolute Persönlichkeit diesem gegenüberstellt, verwechselt werden darf.‹

Und was er über diese seine Idee einer Anthroposophie vorbringt, ist bei Troxler angeschlossen an Sätze, die deutlich zeigen, wie er der Annahme von Wesensgliedern der Menschennatur über den physischen Leib hinaus nahe steht. Sagt er doch: ›Schon früher haben die Philosophen einen feinen, hehren Seelenleib unterschieden von dem gröberen Körper, oder in diesem eine Art von Hülle des Geistes angenommen, eine Seele, die ein Bild des Leibes an sich habe, das sie Schema nannten, und das ihnen der innere höhere Mensch war.‹

Der Zusammenhang, in dem diese Worte bei Troxler stehen, und dessen ganze Weltanschauung bezeugen, dass man bei ihm Bestrebungen sehen darf, die sich durch eine Geisteswissenschaft im Sinne dieser Schriften erfüllen lassen. Nur weil Troxler nicht in der Lage ist, zu erkennen, dass Anthroposophie nur möglich ist durch Entwicklung von Seelenfähigkeiten in der Richtung wie diese Schrift dies andeutet, fällt er mit seinen eigenen Anschauungen in Gesichtspunkte zurück, die gegenüber dem von J. G. Fichte, Schelling, Hegel errungenen nicht ein Fortschritt, sondern ein Rückschritt sind. (Vgl. mein Buch: ›Die Rätsel der Philosophie‹.)«

Rudolf Steiner: »Die Aufgabe der Geisteswissenschaft und deren Bau in Dornach« (April 1916), in GA 35, Dornach 1965, S. 215-217.

Im Kapitelchen über Troxler und Steiner konstruiert Zander einen dubiosen Gegensatz zwischen einer »dualistischen« und einer »monistischen Schichtenanthropologie«.

Auf S. 923 schreibt Zander:

»Steiner sanktionierte die theosophische Schichtenanthropologie in Troxlers Unterscheidung von ›hehrem Seelleib‹ und ›gröberem Körper‹, ohne die dualistische Konstruktion der theosophischen Anthropologie, in der die Körperhüllen austauschbare Elemente sind, mit Troxlers monistischer Anthropologie zu vergleichen, in der die feinstofflichen Körper Konstituenten des Menschen waren.«

Zander konstruiert hier den unhaltbaren Gegensatz zwischen einer »dualistischen Schichtenanthroplogie«, in der die Körperhüllen »austauschbar« sein sollen, also der Ätherleib mit dem Astralleib oder dem physischen Leib vertauscht werden kann – was ein kompletter Unsinn ist – und einer angeblich monistischen Anthropologie, in der feinstoffliche Körper »Konstituenten« des Menschen sein sollen – als ob die leiblichen Hüllen in der Schichtenanthropologie Steiners keine »Konstituenten« des Menschen wären ...

Nebel verbreitet Zander mit seinen Ausführungen über die Frage, wie die Beziehung Steiners zur Freimaurerei entstand. Er unterstellt diesem, in seiner Autobiografie das Gegenteil der Wahrheit über den Beginn dieser Beziehung behauptet zu haben. Dabei erweckt er den Eindruck, als würde er etwas enthüllen. Was er »enthüllt«, war aber ohnehin schon bekannt und in der Gesamtausgabe dokumentiert.

Auf. S. 965-966 schreibt Zander:

»Diese belegbar tastende Annäherung Steiners an die Freimaurerei ist in etwa das Gegenteil der Darstellung, die er Anfang 1925 in seiner Autobiographie gab: ›Einige Jahre nach dem Beginne der Tätigkeit in der Theosophischen Gesellschaft trug man von einer gewissen Seite her Marie von Sivers und mir die Leitung einer Gesellschaft von der Art an, wie sie sich erhalten haben mit Bewahrung der alten Symbolik und kultischen Veranstaltungen, in welchen die ‚alte Weisheit’ verkörpert war.‹ (GA 28,335)

Aber Steiners Darstellung ist falsch: Nicht Reuß (denn er ist die namenlose ›gewisse Seite‹) war an ihn herangetreten und hatte ihm den Memphis-Misraim-Ritus (denn der verbirgt sich hinter ›einer Gesellschaft‹ mit ›alter Symbolik und kultischen Veranstaltungen‹) sozusagen aufgedrängt, vielmehr hatte er selbst die Initiative ergriffen und war zu Reuß gegangen, wie er 1906 Sellin in einem Brief eröffnete (GA 265, 68).«

Laut Hella Wiesberger, der Herausgeberin des Bandes 265 der Gesamtausgabe, die sich auf eine Äußerung Marie Steiners beruft, handelte es sich bei der Person, die an Steiner herangetreten sein soll, nicht um Reuß, sondern um eine dritte Person, einen Tschechen, der mit der Memphis-Misraim-Maurerei verbunden war. Das Angebot dieser Person war für Steiner der Anlass, sich mit Reuß, dem zuständigen Repräsentanten der Memphis-Misraim-Maurerei in Verbindung zu setzen. Darüber gibt auch Steiners Brief an Sellin aus dem Jahr 1906 Auskunft, der damit nicht das Gegenteil dessen besagt, was im Lebensgang steht.

Hella Wiesberger schreibt in GA 265:

»Wenn es in Rudolf Steiners Autobiographie heißt, dass man ihm und Marie von Sivers einige Zeit nach der Gründung der deutschen Sektion 1902 die Leitung einer mit Kultsymbolik der alten Weisheit arbeitenden Gesellschaft angetragen habe, so kam dieser Vorschlag nicht, wie angenommen werden könnte, von dem Hauptvertreter der deutschen Memphis-Misraim-Gesellschaft, Theodor Reuß, sondern, wie Marie Steiner in ihrem Aufsatz ›War Rudolf Steiner Freimaurer?‹ berichtet, von einer Persönlichkeit, die von Rudolf Steiner den Eindruck gewonnen hatte, dass er von geistigen Dingen mehr verstünde als alle Maurer. Privat äußerte sie dazu noch, dass es sich um einen Tschechen gehandelt habe. Dass dieser mit der Memphis-Misraim-Maurerei verbunden gewesen sein muss, ergibt sich aus der Bemerkung im ›Lebensgang‹: ›Hätte sich das Angebot von seiten der angedeuteten Gesellschaft nicht eingestellt, so hätte ich die Einrichtung einer symbolisch-kultischen Betätigung ohne historische Anknüpfung getroffen.‹

Das Angebot dürfte um 1903/04 gemacht worden sein. Denn seit Mai 1904 wurde bereits durch eine Reihe entsprechender Vorträge eine symbolisch-kultische Arbeitsweise vorbereitet. Am 15. September 1904 lernte Rudolf Steiner in Hamburg bei einem Vortrag, den er dort zu halten hatte, den Freimaurer A.W. Sellin kennen. Bei diesem muss er sich nach dem deutschen Memphis-Misraim-Orden erkundigt haben, wie aus dessen Bericht vom 12. Dezember 1904 hervorgeht. Aber schon bevor dieser erste Bericht Sellins eingetroffen war, hatte Rudolf Steiner Reuß von sich aus aufgesucht. Denn in seinem Berliner Vortrag vom 9. Dezember 1904, in dem er über Hochgradmaurerei und den Memphis-Misraim-Orden sprach, wurde bereits aus dessen Organ ›Oriflamme‹ zitiert, während sich Sellin noch darum bemühen wollte. Rudolf Steiners erstes Gespräch mit Reuß muss somit zwischen dem 15. September und 9. Dezember 1904 stattgefunden haben. Die weiteren Gespräche lassen sich nicht datieren. Am 24. November 1905 traten Rudolf Steiner und Marie von Sivers dem Memphis-Misraim-Orden bei. Die Verhandlungen über die Modalitäten für den Charter zur selbständigen Führung eines Arbeitskreises zogen sich jedoch bis Anfang 1906 hin. Der Vertrag wurde am 3. Januar 1906 abgeschlossen.

Das Faktum, dass Rudolf Steiner in seiner Autobiographie nicht den Namen Reuß, sondern nur den Namen Yarker genannt hat, wird von gegnerischer Seite gerne so ausgelegt, als ob er seine Beziehung zu Reuß hätte verschleiern wollen, weil dieser bald darauf in Freimaurerkreisen als Okkultist in schlechten Ruf geraten war. Dies kann jedoch schon deshalb nicht der wirkliche Grund gewesen sein, weil zur Zeit der Niederschrift der Autobiographie langst öffentlich bekannt gewesen ist, dass das Dokument von Reuß ausgestellt worden war. Vielmehr dürfte auch hier das Motiv der historischen Kontinuität bestimmend gewesen sein. Denn Yarker – schon im Vortrag vom 16. Dezember 1904 als ›bedeutsamer Charakter‹ und ›ausgezeichneter Maurer‹ bezeichnet – war damals der für Europa maßgebende Repräsentant der ägyptischen Maurerei und auch im Verhältnis zur Theosophischen Gesellschaft eine zentrale Gestalt. Er war deren Ehrenmitglied, offenbar deshalb, weil er an der Begründung im Jahre 1875 entscheidend beteiligt gewesen ist, wie es in der in Rudolf Steiners Bibliothek befindlichen Schrift des Italieners Vincenzo Soro ›La Chiesa del Paracleto‹ (Todi 1922, S. 334) heißt: ›Bei der Gründung der Theosophischen Gesellschaft hatten die erlesensten Häupter der internationalen Freimaurerei zusammengewirkt, unter ihnen hervorragend John Yarker, engster Freund von Garibaldi und Mazzini.‹«

GA 265, S. 50-51


Der Brief Steiners an Sellin vom 15. August 1906:

Sehr verehrter Herr Direktor!

Endlich ist es mir möglich, Ihnen den vor langer Zeit angekündigten Brief zu schreiben. Vor allen Dingen aber bitte ich Sie – ich beziehe mich auf einige Sätze Ihres letzten Briefes – bei mir nie vorauszusetzen, dass ich durch irgend etwas verletzt sein könnte. Streichen Sie bitte dieses Wort ganz aus dem Lexikon unseres Verkehres.

Und nun will ich, ohne weiteres, zur Sache übergehen. Die von Ihnen geäußerten Bedenken in bezug auf einen Teil meiner okkulten Tätigkeit beruhen auf ganz irrtümlichen Voraussetzungen. Und ebenso sind die Dinge falsch, die Sie wohl von andern haben erzählen hören.

Reden wir ganz offen: In meine okkulte Tätigkeit war ich genötigt vor kurzem etwas aufzunehmen, was man nach gewissen Voraussetzungen bezeichnen könnte als sich in der Richtung der okkulten Freimaurerei bewegend. Ich bitte Sie nun jedes meiner Worte und meiner Wendungen ganz genau zu nehmen. Ich gebrauche gewisse Wendungen nicht, um etwas zu verklausulieren, sondern um ganz genau die wirklichen Tatsachen zu schildern.

Nun gab es in Deutschland einen sogenannten ›Memphis- und Misraim-Orden‹, der vorgab so zu wirken, wie es in der angegebenen Richtung liegt. Dieser Orden bezeichnete sich als freimaurerische Organisation. Und er ›bearbeitete‹ ›Grade‹, von denen die drei ersten mit der anerkannten Freimaurerei übereinstimmten. Mit dieser ›anerkannten‹ Freimaurerei haben meine okkulten Bestrebungen zunächst nicht das geringste zu tun. Sie können und wollen ihr nicht ins Gehege kommen. Die Freimaurerei hat nicht den geringsten Grund, sich irgendwie zunächst mit diesen Bestrebungen zu befassen.

Als ich nun anfangen wollte, in der angegebenen Richtung zu wirken, oblag es mir für gewisse Vorgänge der höheren Plane bei denen, die solches suchten, ein Ritual einzuführen. Dieses Ritual kann kein anderes sein, als das Spiegelbild dessen, was Tatsache der höheren Plane ist. Dieses Ritual ist kein anderes als dasjenige, welches der Okkultismus seit 2300 Jahren anerkennt, und das von den Meistern der Rosenkreuzer für europäische Verhältnisse zubereitet worden ist. Wenn in diesem Ritual sich etwas findet, was in die drei Johannesgrade herübergekommen ist, so beweist das nur, dass diese Johannesgrade etwas aus dem Okkultismus aufgenommen haben. Meine Quelle sind nur der Okkultismus und die ›Meister‹.

Nun hatte ich zwei Wege. Entweder den sogenannten Orden ganz zu ignorieren, oder mich mit ihm auseinanderzusetzen. Das erstere wäre nur in einem einzigen Falle möglich gewesen: wenn der Orden eine Verständigung zurückgewiesen hätte. Im andern Falle wäre es im Sinne gewisser historischer Konzessionen, die der Okkultismus machen muss, illoyal gewesen.

Was ich nun getan habe, sage ich Ihnen in der Voraussetzung Ihrer völligen Verschwiegenheit.

General-Großmeister jenes Ordens war ein gewisser Theodor Reuß. Was dieser nun sonst getan hat, gehört nicht in die Diskussion. Es mag, was immer, sein. In Betracht kam nur die Tatsache, dass er General-Großmeister jenes Ordens war, der vorgab, in der angegebenen Richtung zu wirken. Mit dieser Tatsache hatte ich mich auseinanderzusetzen. Ich musste zu diesem Zwecke den genannten Theodor Reuß aufsuchen, den ich vorher nie gesehen hatte, über dessen Verhältnisse nie etwas auf irgendeinem Wege [zu mir] gedrungen war. Es wäre natürlich für mich ein leichtes gewesen, mich über diese Verhältnisse zu informieren. Aber sie gingen mich absolut nichts an.

Herrn Reuß habe ich nun gesagt, was sich in die folgenden Sätze formulieren lässt: Ich will nichts, aber auch gar nichts von Ihrem Orden. Ich werde aber in einer Richtung wirken, von der der Orden vorgibt, dass es die seinige ist. Es kommt nun nur darauf an, dass der Orden für sich, nicht für mich, anerkennt, dass ich dies im Sinne der Grade tue, die der Orden als die seinigen in Anspruch nimmt. Ich mache zur Bedingung, dass der Orden mir nichts mitteilt von seinen Ritualien. Niemand soll je sagen können: ich habe von dem Orden etwas empfangen. Ich will meinen Schritt bloß vom Standpunkte okkulter Loyalität betrachtet wissen. Und es darf niemand ein Recht empfangen, ihn je anders zu deuten.

Reuß sagte ziemlich kurz: das könne er nicht, denn dies mache ihn unmöglich in seinem Orden. Ich ging nun zunächst weg. Was sachlich geschehen ist, und noch geschehen wird, ist und wird geschehen, ob mit oder ohne den genannten Orden. Nach einigen Tagen forderte mich Reuß zu weiteren Unterhandlungen auf. Er stellte nun seinerseits keine anderen weiteren Forderungen, als dass ich rein geschäftlich im praktischen Sinne sein Recht anerkenne, für jeden, der sich in die Richtung, die der Orden als die seinige betrachtet, begibt, eine Taxe – keine andere als die übliche – zu empfangen. Alle weiteren Verhandlungen betrafen nun lediglich Formalien. Ich konstituierte, was zu konstituieren war, ohne dass Herr Reuß jemals dabei – bei irgend etwas – gewesen wäre. Herr Reuß hat seinerseits alles anerkannt, was ich getan habe. Ich aber habe sachlich den Orden völlig ignoriert. Um, wie er sagte, nicht gegen seine Ordensregel zu verstoßen, hat mir Reuß Diplome und Ritualien gegeben. Das heißt, er hat sie mir ins Haus gebracht. Ihm dies alles abzukaufen, wäre, wenn auch kein anderer Grund dagegen vorläge, schon deshalb von mir die größte Dummheit gewesen, weil in all dem Zeug nichts stand, was man nicht für ganz geringes Geld bei jedem beliebigen Antiquar kaufen könnte. Dass Reuß für jedes Mitglied einfach die Taxe erhält, die er rechtlich zu beanspruchen hat, ist lediglich eine loyale Anerkennung eines Rechts, das ihm einmal zusteht, gleichgültig, was sonst mit ihm ›los‹ ist.

Was nun vorgeht in den ›Logen‹, die konstituiert worden sind, das kann natürlich nur erfahren, wer ihr Mitglied ist. Ich selbst kann darüber nur einiges Wenige sagen. Aber dies ist objektiv ganz genügend. Erstens ist der Name Reuß in diesen Logen nie genannt worden. Zweitens kann niemand von mir Eingeführter ein Diplom aufweisen, das von Reuß herrührte. Drittens ist nie etwas geschehen, was irgendwie die Loyalität gegenüber der Freimaurerei verletzte. Viertens ist jeder über das Verhältnis der Sache zur Maurerei aufgeklärt worden. Endlich fünftens –: sind innerhalb unserer ›Logen‹ nur Theosophen. Wollten ehemalige Mitglieder des genannten Ordens bei uns eintreten, so müssten sie nachweisen, dass sie die Grade nicht nur tax- und diplommäßig zu Recht tragen, sondern dass sie sie ›innerlich‹ haben.

Es hat also, was ich begründet habe, selbst mit dem nichts zu tun, was früher in Deutschland vorgab, ›Memphis- und Misraim-Grade‹ zu tragen. Und mich geht alles das auch nicht das geringste an, was sich um Reuß und seiner Genossen Orden herum abspielt. – Es sind sogar hierher naive Menschen ins Haus gekommen, um in geschäftiger Weise anzubringen, was sie von Reuß wissen, oder gar mich zu ›warnen‹. Aber das alles geht in Wahrheit mich nicht das allergeringste an. Auch das nicht, dass sich Leute, die sich früher haben von Reuß ›Grade‹ geben lassen, düpiert fühlen, und jetzt erbost sind. Ich verstehe diese Erbosung; aber loyal ist es nicht, dass von dieser Seite ich überhaupt ins Spiel gebracht werde.

Sie sehen, verehrtester Herr Direktor: wie sehr von meiner Seite alles in Ordnung ist. Ihnen habe ich geantwortet, weil Sie mich in loyaler Weise gefragt haben. Was mit den Leuten zu machen ist, die mir etwas anhängen möchten durch Erzählung von Dingen, von denen sie nichts wissen können, mag die Zukunft zeigen.«

GA 253, Dornach 1987, S. 67-70.

Zander »vermutet« unter den Gründen für Steiners Beendigung der freimaurerischen Arbeit beim Ausbruch des I. Weltkriegs auch dessen »deutschen Patriotismus«.

Auf S. 991-992 schreibt Zander:

»Ein weiteres Motiv könnte in der Kollision von Steiners Freimaureraktivitäten mit seinem deutschen Patriotismus liegen ... Steiner hätte sich dann aus Solidarität mit Deutschland aus dem Internationalismus der Freimaurerei verabschiedet.«

Hätte Zander die von ihm auf Seite 991 in einer Fußnote angeführten Ausführungen Steiners zu der Beendigung der freimaurerischen Arbeit wirklich gelesen und nicht lediglich kryptisch als »kryptisch« taxiert, hätte er sich seine irrelevanten »Vermutungen« über die »Motivlage« des in der Schweiz lebenden Österreichers ersparen können.

Am 22. August 1915 führte Steiner in Dornach aus:

»Meine lieben Freunde, auch solche Dinge muss man im richtigen Lichte sehen und sich nicht scheuen, etwas näher darauf einzugehen. Nicht wahr, es ist mit diesen unseren E.S.-Stunden seit dem Kriegsausbruch eine Pause gemacht worden, und jeder, der die Dinge so sieht, wie er sie sehen soll und sie auch sehen könnte, wenn er wollte, weiß selbstverständlich, dass dies mit nichts anderem zusammenhängt als mit den gegenwärtigen Kriegsereignissen. Und zwar ist es so, dass diese Stunden aus dem einfachen Grunde nicht mehr gehalten werden, weil es notwendig ist, den Sinn unserer Gesellschaft aufrechtzuerhalten.

Und so kann es heute ja nur zwei Möglichkeiten geben. Entweder man hält den Sinn der Gesellschaft aufrecht, und dann muss man selbstverständlich – ganz gleich, ob in einem Lande, das einem anderen feindlich gegenübersteht oder in einem Lande, das neutral ist – keine Versammlungen abhalten, die nicht öffentlich sind. Bedenken Sie nur, welche Fundgrube es für diejenigen wäre, die Insinuationen erfinden wollen, und bedenken Sie, was geschehen könnte, wenn sozusagen hinter verschlossenen Türen geheime Versammlungen abgehalten würden. Es ist also notwendig, dass man das nicht tut, und auch, dass die Mitglieder ein wenig persönliche Entsagung üben, um ihrerseits auf diese Stunden zu verzichten. Es liegt also, ich möchte das triviale Wort gebrauchen, auf der flachen Hand, dass jetzt nicht vor Mitgliedern verschiedener Nationen hinter verschlossenen Türen verhandelt werden kann. Nicht, dass hinter verschlossenen Türen etwas Unzulässiges vorkommen könnte. Unseretwillen könnte es selbstverständlich jeden Tag geschehen. Aber Sie wissen, wie viele feindliche Strömungen wir draußen haben. Diese müssen auch berücksichtigt werden, denn wir dürfen nicht dadurch, dass wir Dummheiten und Torheiten machen, unsere Bewegung gefährden.

Deshalb müssen wir schon diese Entsagung üben, keine Versammlungen hinter verschlossenen Türen abzuhalten. Sie wissen, dass es in diesen Zeiten eine Krankheit gibt, die mit dem Namen ›Spionitis‹ zusammenhängt, und es wäre wirklich dem, was damit zusammenhängt, Tür und Tor geöffnet.

Die zweite Möglichkeit wäre – und das würde erst recht nicht gehen –, dass man zu den Mitgliedern der verschiedenen Nationen getrennt sprechen würde. Das dürfte wiederum aus dem Sinn unserer Gesellschaft heraus nicht stattfinden.

Daraus ersehen Sie, dass diese Maßregel wegen des Krieges getroffen werden musste und dass sie aufgehoben werden wird, wenn er aufhört, wie sich ja auch jeder diese Maßregel selber zurechtlegen konnte.«

GA 253, 22.8.1915, Dornach 1989, S. 159-160

Bei seiner Auseinandersetzung mit der Frage, ob Steiner an die bestehende Freimauerei historisch angeknüpft habe oder nicht, deutet Zander rabulistisch einen Widerspruch und ein Selbstdementi in Äußerungen Steiners hinein.

Auf S. 992 schreibt Zander:

»1925 gab er [Steiner] ... eine neue Deutung der maurerischen Handlungen: Sie seien »ohne historische Anlehnung an irgend eine Tradition« erfolgt (GA 28,335).

Fünf Sätze weiter dementierte sich Steiner jedoch selbst und bestätigte die »historische Anknüpfung«: Hätte er kein Angebot erhalten, »so hätte ich die Einrichtung einer symbolisch-kultischen Betätigung ohne historische Anknüpfung getroffen« (ebd., 336).

Aus dieser Ambivalenz zwischen dem Selbstbild spiritueller Autonomie und seiner faktischen Bindung an Reuß’ »Traditionen« erklärt sich Steiners Changieren zwischen der »Achtung vor dem historisch Gegebenem [sic!]«, um deretwillen er ein Diplom »nahm« (ebd., 335), und seiner Behauptung, er habe »ohne Ordenzusammenhang« gearbeitet: »Es wurde bei uns eben auch auf diesem Gebiete mit den alten Traditionen gebrochen.« (ebd., 337) Aber die Spaltung der Argumentation in eine formale Anbindung und eine materielle Unabhängigkeit ist angesichts der nachweisbaren historischen Abhängigkeiten auf beiden Ebenen unglaubwürdig.«

Unglaubwürdig ist hier nicht die »Spaltung der Argumentation«, sondern die von Zander behauptete Abhängigkeit. In seiner Argumentation vermischt er auf unzulässige Weise die Begriffe der »Anknüpfung« und der »Abhängigkeit«.

Steiner bestreitet nicht, äußerlich historisch angeknüpft zu haben, er bestreitet eine inhaltliche Anlehnung oder Abhängigkeit.

Den Nachweis einer inhaltlichen Abhängigkeit der esoterisch-kultischen Arbeit Steiners – auf der Ebene der Deutungen – von irgendwelchen Vorformen bleibt Zander ohnehin schuldig, da er einen Vergleich der Lehrinhalte gar nicht durchführt. Aber nicht einmal eine äußerlich organisatorische Abhängigkeit, zum Beispiel in Form einer Filialgründung durch eine bereits bestehende freimaurerische Organisation bestand, da nach Zanders eigenen Befunden die Memphis-Misraim-Maurerei, deren Patent Steiner von Reuß erwarb, nur auf dem Papier existierte.

So schreibt Zander auf S. 976 über Reuß: »Im November 1902 errichtete Reuß eine Großloge, das ›Souveräne Sanktuarium für das Deutsche Reich‹, und einen ›Groß-Orient von Deutschland‹. Auch von einem Cerneau-Ritus war 1902 die Rede, ein ›Esoterischer Kreis der Rosenkreuzer‹ ist nur schwer einzuordnen – insgesamt herrschte Reuß über eine ›zusammengewürfelte Hochgrad-Kollektion‹. Bis heute ist kaum durchschaubar, was davon auf dem Papier stand und wann es wie viel Leben in welchen Teilen seines Ordensimperiums wirklich gab.«

Was Steiner von Reuß »mitnahm«, war, wie Steiner schreibt »die rein formelle Berechtigung, in historischer Anknüpfung selbst eine symbolisch-kultische Betätigung einzurichten«. Mit anderen Worten: er kaufte ein Patent von ihm. Das ist die alleräußerlichste Form einer Anknüpfung, die im freimaurerischen Traditionalismus denkbar ist.

Was die Inhalte der Handlungen anbetrifft, schreibt Steiner: »Alles, was in den ›Handlungen‹ inhaltlich dargestellt wurde, die innerhalb der von mir gemachten Einrichtung gepflogen wurden, war ohne historische Anlehnung an irgend eine Tradition.« Mit anderen Worten: er knüpfte äußerlich an die Memphis-Misraim-Maurerei an, erfüllte diese aber mit neuem Inhalt.

Das Verhältnis ist somit dasselbe wie zur Adyar-Theosophie. Daher dementiert Steiner auch nicht sich selbst, wenn er einerseits behauptet, historisch an die bestehende Freimaurerei angeknüpft zu haben und von historischen Anlehnungen oder Entlehnungen frei gewesen zu sein.

Die Passage in Steiners Autobiografie lautet:

»Einige Jahre nach dem Beginne der Tätigkeit in der Theosophischen Gesellschaft trug man von einer gewissen Seite her Marie von Sivers und mir die Leitung einer Gesellschaft von der Art an, wie sie sich erhalten haben mit Bewahrung der alten Symbolik und der kultischen Veranstaltungen, in welchen die ›alte Weisheit‹ verkörpert war.

Ich dachte nicht im entferntesten daran, irgendwie im Sinne einer solchen Gesellschaft zu wirken. Alles Anthroposophische sollte und musste aus seinem eigenen Erkenntnis- und Wahrheitsquell hervorgehen. Von dieser Zielsetzung sollte um das Kleinste nicht abgegangen werden. Aber ich hatte immer Achtung vor dem historisch Gegebenen. In ihm lebt der Geist, der sich im Menschheitswerden entwickelt. Und so war ich auch dafür, dass, wenn irgend möglich, Neu-Entstehendes an historisch Vorhandenes anknüpfe.

Ich nahm daher das Diplom der angedeuteten Gesellschaft, die in der von Yarker vertretenen Strömung lag. Sie hatte die freimaurerischen Formen der sogenannten Hochgrade. Ich nahm nichts, aber auch wirklich gar nichts aus dieser Gesellschaft mit als die rein formelle Berechtigung, in historischer Anknüpfung selbst eine symbolisch-kultische Betätigung einzurichten.

Alles, was in den ›Handlungen‹ inhaltlich dargestellt wurde, die innerhalb der von mir gemachten Einrichtung gepflogen wurden, war ohne historische Anlehnung an irgend eine Tradition. Im Besitze der formellen Diplomierung wurde nur solches gepflegt, das sich als Verbildlichung der anthroposophischen Erkenntnis ergab. Und getan ist dies worden aus dem Bedürfnis der Mitgliedschaft heraus. Man strebte neben der Verarbeitung der Ideen, in die gehüllt die Geist-Erkenntnis gegeben wurde, etwas an, das unmittelbar zur Anschauung, zum Gemüt spricht. Und solchen Forderungen wollte ich entgegenkommen. Hätte sich das Angebot von Seite der angedeuteten Gesellschaft nicht eingestellt, so hätte ich die Einrichtung einer symbolisch-kultischen Betätigung ohne historische Anknüpfung getroffen.«

GA 28, Dornach 1983, S. 447-448.