Zander behauptet, Steiner habe die Furcht geteilt, die Sozialisierung durch Betriebsräte bringe eine Zerstörung von Betrieben mit sich. Das Gegenteil ist richtig.

Auf S. 1311 schreibt Zander:

»Immerhin teilte Steiner die vieldiskutierte Furcht, dass diese »Sozialisierung durch Betriebsräte« ... eine Zerstörung der Betriebe mit sich bringen würde: Das Interesse der Arbeiter an ihrem Betrieb schließe den Mißbrauch des Betriebsrats aus (ebd. [=GA 331], 118).«

Zander begründet die Behauptung im ersten Satz mit einem Argument im zweiten Satz, das das Gegenteil dieser Behauptung besagt. In seiner Auseinandersetzung mit den Einwänden, die gegen die Einführung von Betriebsräten erhoben wurden (zu denen der Einwand gehörte, die Arbeiter würden die Betriebe »einseitig ausschlachten«), führte Steiner aus:

 »Einen anderen schönen Satz, der auch in diesen Tagen gegen unsere Bestrebungen zur Wahl von Betriebsräten aufgetaucht ist, möchte ich doch noch anführen. Es wird nämlich verschiedenes befürchtet von dieser wild gewählten Betriebsräteschaft. Unter anderem wird gesagt: Die einseitige Ausschlachtung der Betriebe durch die Arbeiter widerspricht dem Gedanken der Sozialisierung. – Aber, ich weiß gar nicht, was das überhaupt heißen soll. Ich zermartere mir das Gehirn, um bei diesem Satz etwas zu denken. Die einseitige Ausschlachtung der Betriebe durch die Arbeiter, was soll das heißen? Sehen Sie, wenn die Arbeiter ihre gehörige Dosis von Mitverantwortlichkeit an dem Betrieb haben, dann werden sie nämlich wissen, dass, wenn sie die Betriebe nicht von sich aus hegen und pflegen, die Betriebe in kurzer Zeit in einem Zustand sind, dass sie sie nicht mehr ausschlachten können. Dass man just voraussetzen soll bei den gescheiten Vertretern der Unternehmerschaft, dass die Arbeiter so töricht sein sollen, daranzugehen, alles aus dem Betrieb herauszuschlagen, damit sie sich nachher selber auf die Straße werfen, das sollte man sich eigentlich nicht vorstellen. Denn die Arbeiter haben hinlänglich gelernt, was es heißt, durch andere auf die Straße gesetzt zu werden. Dass sie das selber nachmachen sollten, glaube ich nicht, denn diese Praxis haben sie bei den anderen zur Genüge kennengelernt.« (GA 331, Dornach 1989, S.118)

Steiner hat also die Furcht, die Sozialisierung werde die Betriebe zerstören, gerade nicht geteilt.

Zander behauptet, Steiner habe 1919 vorgeschlagen, die wirtschaftliche Produktion durch Produzenten- und Konsumentengenossenschaften zentral zu lenken und sich für eine Gemeinbewirtschaftung eingesetzt. Das Gegenteil ist richtig.

Auf S. 1312 schreibt Zander:

»Im September schlug er vor, die Produktion durch Produzenten- und Konsumentengenossenschaften zentral zu lenken: Er wolle keine ›Planwirtschaft‹ und keine ›Verstaatlichung‹, da er offenbar Missverständnisse drohen sah, sondern eine ›Gemeinbewirtschaftung‹ ›durch Assoziationen, die rein aus den Wirtschaftskräften selbst gebildet sind‹ (GA 3331,87) ... Dies erinnert an Vorstellungen, wie sie die Sozialisierungskommission im Februar für den Kohlebergbau unterbreitet hatte ...«

Steiner setzte sich weder für eine »zentrale« Verwaltung der Produktionsprozesse, noch für eine »Gemeinbewirtschaftung« der »Produktion« ein. Beides widerstreitet der Idee der assoziativen Zusammenarbeit der Beteiligten auf ökonomischem Gebiet und der von ihm betonten Notwendigkeit der »Initiative des Einzelnen«. Tatsächlich führte Steiner im September 1919 aus:

»Das zeigt Ihnen, wie durch Assoziationen, die rein aus den Wirtschaftskräften selbst gebildet sind, das Wirtschaftsleben auf sich selbst gestellt werden soll, wie das Wirtschaftsleben, über welches heute der Staat seine Fittiche ausgedehnt hat, in der Tat nur von den wirtschaftenden Kräften selbst verwaltet werden soll, und zwar so, dass innerhalb dieser Verwaltung des Wirtschaftslebens die Initiative des Einzelnen möglichst gewahrt werde. Das kann nicht durch eine Planwirtschaft, nicht durch Aufrichtung einer Gemeinbewirtschaftung der Produktionsmittel, sondern einzig und allein durch Assoziationen der freien Produktionszweige und durch Übereinkommen dieser Assoziationen mit den Konsumgenossenschaften geschehen.« (GA 333, Dornach 1985, S. 87)

Zur »Steuerungsinstanz für den Zusammenhang und Zusammenhalt« des Organismus bestimmte Steiner laut Zander das Geistesleben.

Auf S. 1313 schreibt Zander:

»Zur Steuerungsinstanz für den Zusammenhang und Zusammenhalt des Organismus bestimmte Steiner das Geistesleben. Die Rede vom ›Eingreifen des Geisteslebens‹ kam Steiner leicht über die Lippen (GA 23,101) ... Auch in den Äußerungen nach der Veröffentlichung der ›Kernpunkte‹ hat Steiner den Primat des Geisteslebens bekräftigt: Es werde ›die Stoßkraft entwickeln, unmittelbar in das äußerlich wirkliche Rechts- und Wirtschaftsleben einzugreifen‹ (ebd., 160). Aus einer ›freien Geistgemeinschaft‹, schrieb Steiner schließlich 1920 ins Vorwort der neu aufgelegten ›Kernpunkte‹, ›können das Staats- und Wirtschaftsleben die Kräfte empfangen, die sie sich nicht geben können‹ (GA 23,11).

Die Behauptung, Steiner habe das Geistesleben zur Steuerungsinstanz im sozialen Organismus erklärt, ist schlicht unwahr. Er hat davon gesprochen, dass die geistigen Innovationen in den verschiedenen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens natürlich – da sie geistig sind – aus dem Geistesleben stammen. Die Rechtsschöpfung durch Richter, die Gesetzgebung durch Abgeordnete in einem Parlament, die Erfindung und Verbesserung von Produkten und Produktionsmitteln im Wirtschaftsleben sind geistige Prozesse, die als solche im Geistesleben wurzeln, auch wenn sie in das Rechts- oder Wirtschaftsleben hineinwirken. Dadurch wird das Geistesleben nicht zur Steuerungsinstanz, sondern höchstenfalls zur Innovations- und Erneuerungsinstanz erklärt. Schließlich bedürfen auch das Wirtschafts- und das Rechtsleben eines Bildungswesens, in dem die spezifischen Fähigkeiten gefördert und entwickelt werden, die in ihnen zur Anwendung kommen.

Die von Zander zur Begründung seiner Behauptung angeführten Zitate zeigen lediglich, dass es Steiner um die Überwindung der Fremdbestimmung des Geisteslebens durch den Staat und die Wirtschaft ging. Wenn das Geistesleben sich als selbstständige Sphäre der Gesellschaft frei entwickelt, kann es erst seine Kraft entfalten, aus der heraus es auch die anderen Lebensgebiete zu befruchten vermag. Diese innovative Kraft mag man als »Macht« bezeichnen, wenn man will, aber es handelt sich um eine »cultural power«, eine sanfte Macht, keine »hard power«. Ihr fehlen nicht nur alle Instrumente hoheitlicher Gewalt, sondern auch jegliches ökonomische Druckmittel. Hätte Steiner einer Geistesaristokratie zur Herrschaft verhelfen wollen, dann hätte er nicht eine horizontale Dreigliederung vorschlagen dürfen, sondern entweder nach der Macht im Staat streben müssen oder diesem vertikal eine staatsartig funktionierende geistige Lenkungsinstitution überordnen müssen, so wie im Mittelalter die Kirche und der Stand der Geistlichen den übrigen Gesellschaftsbereichen vorstanden – eine Gesellschaftsordnung, die dem katholischen Theologen Zander wohl vertraut sein dürfte, die aber mit der Dreigliederung nicht das geringste zu tun hat.

Die Rede vom »Eingreifen des Geisteslebens« als zentraler Steuerungsinstanz, die Steiner angeblich so leicht von den Lippen fließt, sucht man in den »Kernpunkten« vergeblich, sie findet sich auch nicht an der von Zander zitierten Stelle. Dort spricht Steiner vielmehr von den individuellen Fähigkeiten, die erforderlich sind, um das Kapital im Wirtschaftsprozess fruchtbringend einzusetzen.

»Wer das Leben nicht nach theoretischen Vorurteilen, sondern nach Erfahrungen beurteilt, der wird sich sagen: Der aus seiner freien Begabung heraus Schaffende wird Aussicht auf eine rechte Beurteilung seiner Leistungen haben, wenn es eine freie Geistesgemeinschaft gibt, die ganz aus ihren Gesichtspunkten heraus in das Leben eingreifen kann ... Wie sich für das Geistesleben aus den Erfahrungen der Gegenwart die freie Selbstverwaltung als soziale Forderung ergibt, so für das Wirtschaftsleben die assoziative Arbeit. Die Wirtschaft setzt sich im neueren Menschenleben zusammen aus Warenproduktion, Warenzirkulation und Warenkonsum. Durch sie werden die menschlichen Bedürfnisse befriedigt; innerhalb ihrer stehen die Menschen mit ihrer Tätigkeit. Jeder hat innerhalb ihrer seine Teilinteressen; jeder muss mit dem ihm möglichen Anteil von Tätigkeit in sie eingreifen.« (GA 23, Dornach 1976, S.14-15) »Was auf der Grundlage des Kapitals für den sozialen Organismus geleistet wird, beruht seinem Wesen nach auf der Art, wie die individuellen menschlichen Fähigkeiten in diesen Organismus eingreifen. Die Entwickelung dieser Fähigkeiten kann durch nichts anderes den ihr entsprechenden Impuls erhalten als durch das freie Geistesleben ... Dass für ein unbefangenes Urteil über das Eingreifen des Geisteslebens in den sozialen Organismus gegenwärtig wenig Veranlagung vorhanden ist, rührt davon her, dass man sich gewöhnt hat, das Geistige möglichst fern von allem Materiellen und Praktischen vorzustellen.« (GA 23, Dornach 1976, S. 101)

Angeblich »realisierte« Steiner auch selbst, dass den gesellschaftlichen Teilbereichen nur eine »gewisse Selbstständigkeit« zukomme. Daraus ergebe sich die Frage, ob die analytische Trennung auch in der realen Gesellschaft durchgeführt werden könne. Im Anschluss daran faselt er vom hegemonialen Übergriff des Geisteslebens in Recht und Wirtschaft.

Auf S. 1313-1314 schreibt Zander:

»Das Dreigliederungskonzept erlaubte den Teilbereichen, wie schon Steiner selbst realisierte, nur eine ›gewisse Selbständigkeit‹ (GA 23,57). Damit stand  die Frage im Raum, ob der analytischen Trennung eine Realtrennung in der Gesellschaft entsprechen könne, ob es also möglich ist, etwa das Wirtschaftsrecht vom ›Wirtschaftsleben‹ präzise zu trennen oder ob sich die ökonomischen Fundamente des ›Geisteslebens‹ auslagern lassen. Steiner gab die Antwort selbst, indem er an seiner Funktionsbestimmung des Geisteslebens die Aporie seines formalen Differenzierungskonzeptes dort demonstrierte, wo er den hegemonialen Übergriff des Geisteslebens in Recht und Wirtschaft postulierte.«

Zunächst gilt es festzuhalten, dass Steiner in GA 23 an der von Zander zitierten Stelle nicht vom sozialen Organismus, sondern vom menschlichen Organismus spricht. In diesem wirken die drei Systeme mit einer gewissen Selbstständigkeit:

»Wer von dem hier eingenommenen Gesichtspunkt betrachten muss den kompliziertesten natürlichen Organismus, den menschlichen Organismus, der muss seine Aufmerksamkeit darauf richten, dass die ganze Wesenheit dieses menschlichen Organismus drei nebeneinander wirksame Systeme aufzuweisen hat, von denen jedes mit einer gewissen Selbständigkeit wirkt.«

Es wäre auch irreal, im Hinblick auf den menschlichen Organismus etwas anderes zu behaupten, also zum Beispiel von einer absoluten Selbstständigkeit zu sprechen. Was die Trennung und das Zusammenwirken der drei gesellschaftlichen Subsysteme anbetrifft, so durchdringen sich diese natürlich wie im menschlichen Organismus und funktionieren doch nach ihren jeweils eigenen Regeln.

Die von Zander aufgeworfene Frage nach der »präzisen Trennung von Wirtschaftsrecht und Wirtschaftsleben« oder nach der »Auslagerung der ökonomischen Fundamente des Geisteslebens«, konstruiert einen Scheinwiderspruch.

Die gesellschaftlichen Subsysteme müssen nicht durch ein Zentrum gesteuert werden – ebensowenig, wie die Subsysteme des menschlichen Organismus von einem Zentrum, etwa dem Gehirn, gesteuert werden – sondern sie wirken lebendig zusammen. Das Geistesleben hat es mit Begabung und kultureller Kreativität der Individuen zu tun, das Wirtschaftsleben mit der Warenproduktion, -zirkulation und -konsumtion, das Rechtsleben mit der Ordnung der Beziehungen zwischen Menschen. Jede einzelne Einrichtung im sozialen Ganzen hat eine vorwiegend geistig-kulturelle, politisch-administrativ-rechtliche oder ökonomische Aufgabe und ist insofern dem Geistes-, Rechts- oder Wirtschaftsleben zuzuordnen.

Das ändert jedoch nichts daran, dass überall geistige, rechtliche und ökonomische Aspekte miteinander in den jeweils aufgabengerechten Zusammenhang gebracht werden müssen.

Dass Zander die Befreiung des Geisteslebens zu einem Streben nach Hegemonie umdeutet, dafür gibt es schlicht keine rationale Erklärung – und auch keine Entschuldigung. Wie kann man die Idee, dass Schulen, Universitäten, Religionsgemeinschaften und alle andere Einrichtungen des geistig-kulturellen Lebens autonom und selbstverwaltet sind, also in jeder Hinsicht miteinander in Wettbewerb treten als »hegemonistischen Übergriff« deuten, durch den eine demokratischer Legitimation entzogene Geistesaristokratie von außen die Politik und die Ökonomie steuern soll? Was könnte denn pluralistischer sein, als ein freies Geistesleben? Innerhalb eines solchen wäre jeder Hegemonieanspruch allein schon aufgrund des in ihm herrschenden Freiheitsprinzips undurchsetzbar. Und die Selbstständigkeit der gesellschaftlichen Subsysteme würde jeden Übergriff verhindern und nur die Möglichkeit einer solchen Verständigung und Koordination zulassen, die Steiner 1917 an einen gemeinsamen Senat verwies, in dem der »notwendige Verkehr« zwischen den Leitungen der einzelnen Subsysteme erfolgen wird wie »gegenwärtig der zwischen den Regierungen souveräner Staatsgebiete« (GA 23, Dornach 1976, S. 70).

Laut Zander beschränkte Steiner demokratische Verfahren auf das Rechtsgebiet und ließ sie nur in einem beschränkten Rahmen zu. Des »Pudels Kern« habe Steiner schließlich selbst in einem öffentlichen Vortrag 1919 enthüllt: »Höhere Einsicht« für eine »elitäre« Gruppe solle »die sozialpolitische Debatte steuern«.

Auf S. 1314-1316 schreibt Zander:

»Steiner hat die Geltung demokratischer Verfahrensregeln nur in einem bestimmten Rahmen zugelassen ... Deshalb läuft die Logik der Eigengesetzlichkeit des Geisteslebens mit Steiners Differenzierungsmodell in eine selbstgestellte Falle, weil er demokratische Verfahren auf das Rechtsgebiet beschränkte und nicht einkalkulierte, dass es auch in den [sic!] Wirtschafts- und Geistesleben umstrittene und mit jeweils guten Argumenten untermauerte Positionen geben könnte .... die unter Zugrundelegung demokratischer Verfahrensweisen entschieden werden müssen ...

Dass dies ein Autoritätsargument ist, bestätigte Steiner öffentlich am 19. Dezember 1919: ›Das Vorrücken zu jenen Fragen, die von den Wesenheiten der übersinnlichen Welten in tieferem Sinne handeln, das ist allerdings gebunden an mancherlei Erlebnisse, zu denen heute noch nicht jeder geeignet ist.‹ Es gehe um ›Erkenntnisse …, was das Geistige ist, was der Welt zugrunde liegt. Nicht alle Menschen können diesen Weg so weit durchmachen.‹ (GA 333,112) ...

Dies ist des Pudels Kern. Mit diesen Äußerungen legte Steiner nach dem faktischen Scheitern seiner Dreigliederungsbemühungen auch in einem öffentlichen Vortrag ... seine Karten relativ offen auf den Tisch: Höhere Einsicht (›Erkenntnisse …, was das Geistige ist‹) für eine elitäre Gruppe (›nicht jeder geeignet‹) sollte die sozialpolitische Debatte steuern. Steiner übertrug damit die theosophische Hierarchisierung des Wissens und der Wissensträger auf die Politik ....«

Für einen Autor, dessen Forschungsarbeit jahrelang von der DFG finanziert wurde und dessen Publikation nur mit Hilfe von Zuschüssen der Thyssen-Stiftung gedruckt werden konnte, ist die damit umrissene Perspektive äußerst gewagt.

Auf S. 1717 schreibt Zander über seine Abhängigkeit von undemokratischen Verfahren: »Mit Hilfe von Herrn vom Bruch war hingegen die Einwerbung eines Habilitationsstipendiums der Deutschen Forschungsgemeinschaft möglich (nachdem hier ein erster Antrag gescheitert war). Den Mitgliedern der Philosophischen Fakultät I der Humboldt-Universität in Berlin danke ich im Angesicht solcher Fallstricke für das faire Habilitationsverfahren. Derartige Berührungsängste besaß der geheime Nestor der religionswissenschaftlichen Esoterikforschung in Deutschland, Karl Hoheisel, Religionswissenschaftler an der Universität Bonn, nie. Ihm verdanke ich nicht nur einen Teil meiner Interessen an diesen Fragen, sondern auch die Unterstützung für ein Forschungsprojekt bei der Fritz Thyssen-Stiftung, die bereit war, die Erforschung der Anwendungsfelder der Anthroposophie zu finanzieren und schlussendlich auch die Druckkosten großzügig bezuschusst hat.«

Ob Zanders Arbeit je zustande gekommen wäre, wenn das Geistesleben in jenem Sinn demokratisch organisiert wäre, wie er ihm offenbar vorschwebt? Was würde Zander sagen, wenn über den Wahrheitsgehalt seiner Deutung Steiners und der Anthroposophie demokratische Abstimmungen anberaumt würden?

Wenn Zander Steiner zum Vorwurf macht, er habe Wahrheitsfragen nicht zum Gegenstand demokratischer Verfahren machen wollen, dann zeugt dies entweder von einem grundlegenden Missverständnis von Wissenschaft und Demokratie oder von Verlogenheit. Denn Wahrheitsfragen sind in der Tat nicht Mehrheitsentscheidungen unterworfen, auch eine Majorität von Wissenschaftlern (»herrschende Meinung«) ist keine legitime Instanz gegen die Wahrheit einer Einsicht. Dagegen ist die Frage, wer zum Dekan einer Hochschule gewählt wird, keine Wahrheitsfrage, sondern Gegenstand eines demokratischen Prozesses innerhalb eines selbstverwalteten Gliedes des freien Geisteslebens. Eine politische Körperschaft, wie zum Beispiel ein Wissenschaftsministerium, sollte darüber nicht bestimmen. Die Frage der Finanzierung der Wissenschaft sollte aber sehr wohl Gegenstand demokratischer Verfahren sein, wenn diese durch die öffentliche Hand erfolgt. Nach Steiners Auffassung sollte diese Frage in einem »Senat« entschieden werden, an dem alle drei Glieder des sozialen Systems vertreten sind.

Wie dem auch sei. Dass Freiheit von Steiner als das axiale Prinzip des Geisteslebens betrachtet wird, bedeutet nicht, dass es dort keine Rechtsfragen gibt. Steiner selbst hat in solchen Fragen den demokratischen Entscheid nicht nur für möglich gehalten, sondern ihn auch selbst praktiziert. Beispiele sind Abstimmungsprozeduren bei der »Zettelwahl« für die Findungskommission des Verwaltungsrats der ersten Waldorfschule und die drei Lesungen der Statuten der Weihnachtstagung der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft. (GA 300b, S. 239)

Einmal mehr spricht Zander von einem Zugeständnis Steiners (»bestätigte Steiner öffentlich«), eine Formulierung, die wie stets, mit Vorsicht zu genießen ist. In dem von Zander als Beleg herangezogenen Text ist, wie eine Nachprüfung zeigt, auch nirgends von einer »sozialpolitischen Debatte« die Rede, die von höherer Einsicht gesteuert werden solle. Vielmehr zieht Steiner in seinen Ausführungen einen Vergleich zwischen den Urteilsvoraussetzungen, die im gewöhnlichen akademischen Leben gelten und jenen, die für die Geisteswissenschaft gelten. Des »Pudels Kern« ist gerade der, dass Steiner die Ergebnisse der Geistesforschung für ebenso verstehbar und überprüfbar hält wie jene des naturwissenschaftlichen Laboratoriums und betont, es gebe, auch ohne dass man Geistesforscher im engeren Sinne sei, Möglichkeiten, die Ergebnisse dieser Forschung durch den gesunden Menschenverstand zu überprüfen:

»Wenn man immer wieder einwendet: Ja, von dem, was die äußere Wissenschaft sagt, kann sich jeder überzeugen, so ist das richtig. Es braucht einer nur die Laboratoriumsmethoden zu behandeln, so kann er es. Ebenso kann man aber auch sagen: Jeder kann sich überzeugen, dass das richtig ist, was beschrieben ist in meinem Buche ›Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?‹ und ›Theosophie‹; man kann aus der Art, wie der Geistesforscher ist, auf den inneren Wert seiner Erkenntnisse schließen. Dann sind diese Erkenntnisse für das Leben so viel wert wie in der Seele des Geistesforschers selber. Aus den äußeren Tatsachen kontrolliert man den Forscher in der äußeren Wissenschaft; aus der Art und Weise, wie gesprochen wird, wie eingekleidet werden die Erkenntnisse, kontrolliert man das, was der Geistesforscher zu sagen hat. Kontrolliert werden kann er durch den gesunden Menschenverstand.«

Steiners Ausführungen im Kontext:

»Es gibt heute gutmeinende Menschen, die sagen: Der bloße Verstand, der bloße Intellekt, der sich in den letzten Jahr- hunderten und bis in unsere Zeit herein entfaltet hat, sie taugen nicht mehr zur Gesundung unseres Lebens. Wenn man sie aber fragt, was denn taugt, dann geben sie allgemeine Antworten – eine Wiederbefruchtung der Seele durch den ›Geist‹. Redet man von wahrer Geisteswissenschaft, so lehnen sie sie ab, weil sie noch Furcht vor ihr haben, oder gebrauchen die sonderbarsten Ausreden. So findet man immer wieder, dass die Leute sagen: Es kann doch nicht ein jeder ein Geistesforscher werden. Gewiss, das kann nicht jeder, das habe ich auch hier immer wieder und wiederum betont. Denn man kann zwar jene ersten Schritte in die geistigen Welten, ins übersinnliche Dasein hinein tun, wie ich sie beschrieben habe in meinem Buche ›Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?‹ und im zweiten Teil meiner ›Geheimwissenschaft‹; es kann sie jeder jederzeit tun, aber das Vorrücken zu jenen Fragen, die von den Wesenheiten der übersinnlichen Welten in tieferem Sinne handeln, das ist allerdings gebunden an mancherlei Erlebnisse, zu denen heute noch nicht jeder geeignet ist. Derjenige, der hineinschauen will in die geistige Welt, der in dem eigentlichsten Sinn geistiger Forscher werden will, muss manche Überwindungen durchmachen. Sie brauchen nur zu bedenken, dass in dem Augenblick, wo man wirklich mit einer Erkenntnis, die sich nicht der Sinne bedient, in dem Augenblick, da man in ein leibfreies Erkennen eintritt und die gewohnte äußere Welt nicht mehr da ist, – dass man da in einer Welt ist, die allerlei Ungewohntes darbietet: Alle Dinge, die einen gewöhnlich stützen, die sichere äußere Erfahrung, der gewöhnliche Intellekt, sie müssen anderen, inneren Richtkräften weichen. Man ist wie über einem Abgrund und muss sich durch den Schwerpunkt seines eigenen Wesens halten. Davor haben viele Leute eine unbewusste oder unterbewusste Furcht, die sie dann in Logik kleiden gegenüber der Geisteswissenschaft. Die schönsten Gründe können Sie hören; in Wahrheit ist es nur die Furcht vor dem Unbekannten.

Dann aber müssen Sie auch bedenken, dass man ja, so wie man ist als Mensch, nicht angepasst ist an die geistige Welt, dass man nur angepasst ist an die äußere Sinneswelt. Man kommt in eine vollständig andere Welt hinein, für die man keine Lebensgewohnheiten entwickelt hat. Das verursacht, wenn man tiefer dringt, jene furchtbar schmerzvollen Erfahrungen, die überwunden werden müssen in wirklicher Geist-Erkenntnis. Dann, wenn sie überwunden sind, folgen die Erkenntnisse aus dem Innersten unseres Wesens, die Aufschluss geben über das, was das Ewige in der Menschennatur ist, was das Geistige ist, das der Welt zugrunde liegt. Nicht alle Menschen können diesen Weg so weit durchmachen. Aber ich musste auch immer wieder behaupten, dass es nicht nötig ist, diesen Weg durchzumachen, sondern dass nur nötig ist der gesunde Menschenverstand. Denn dieser gesunde Menschenverstand, wenn er nur nicht beirrt ist durch die Vorurteile der äußeren Anschauungen, kann unterscheiden, ob der, der als Geistesforscher auftritt und von zunächst unbekannten Welten spricht, logisch spricht oder wie ein Spiritist oder sonstwie. Logik hat man, und man kann beurteilen, ob der Betreffende logisch spricht und so spricht, dass die Art seines Sprechens darauf hinweist, dass die Erfahrungen, von welchen er erzählt, in geistiger Gesundheit durchgemacht werden.

Wenn man immer wieder einwendet: Ja, von dem, was die äußere Wissenschaft sagt, kann sich jeder überzeugen, so ist das richtig. Es braucht einer nur die Laboratoriumsmethoden zu behandeln, so kann er es. Ebenso kann man aber auch sagen: Jeder kann sich überzeugen, dass das richtig ist, was beschrieben ist in meinem Buche ›Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?‹ und ›Theosophie‹; man kann aus der Art, wie der Geistesforscher ist, auf den inneren Wert seiner Erkenntnisse schließen. Dann sind diese Erkenntnisse für das Leben so viel wert wie in der Seele des Geistesforschers selber. Aus den äußeren Tatsachen kontrolliert man den Forscher in der äußeren Wissenschaft; aus der Art und Weise, wie gesprochen wird, wie eingekleidet werden die Erkenntnisse, kontrolliert man das, was der Geistesforscher zu sagen hat. Kontrolliert werden kann er durch den gesunden Menschenverstand.

Bedenken Sie, welche sozialen Kräfte es einmal entbinden wird, wenn immer mehr und mehr Menschen da sein werden, die als Zeugen auftreten für die geistigen Kräfte, die nur im Übersinnlichen gefunden werden können, und die andere Menschen, die nicht selber Geistesforscher sein können – es kann ja auch nicht jeder Chemiker, nicht jeder Physiker sein –, annehmen aus ihrem gesunden Menschenverstand heraus, aus dem Vertrauen, das sich auf den gesunden Menschenverstand gründet. Welche Art des sozialen Zusammenlebens aus dieser Bewertung des Menschen entsteht, ist gerade einer der wichtigsten Punkte, um soziale Vertrauenskräfte zu erwecken. Untergraben werden sie in unserer Zeit, wo jeder, ohne dass er erst seine Entwicklung in die Hand nimmt, kaum dass er erwachsen ist, über alles mögliche urteilen will.« (GA 333, Dornach 1985, S. 111-113)