Ausgerechnet die originäre Theorie Steiners von der volkswirtschaftlichen Schenkung will Zander auf Silvio Gesell zurückführen.

Auf S. 1330 schreibt Zander:

»Einige Theorieelemente deuten auf einen unmittelbaren Einfluß Gesells ..., insbesondere Steiners Zinstheorie. Gesell hatte vorgeschlagen, den Zins abzuschaffen, da das Geld nur ›Tauschmittel‹ sei ... und die Hortung den Geldkreislauf hemme. Nun ist eine Kritik am Zins eine alte, etwa dem mittelalterlichen Christentum geläufige Vorstellung, die auch in populistischen Ökonomiedebatten der Nachkriegsjahre und auch unter Theosophen ventiliert wurde ... Aber Steiners Forderung nach einem Verzicht auf Zinsen dürfte in Zusammenhang mit den zustimmenden Verweisen auf die Freiwirtschaftsbewegung dokumentieren, dass er in seinen Vorstellungen von Gesell abhängig war. So geht die unter Anthroposophen bis heute geläufige Vorstellung vom ›Schenkungsgeld‹ (GA 341,81) vermutlich auf Auffassungen Gesells zurück oder transformiert sie.«

Steiner war nicht für die Abschaffung des Zinses, sondern nur für die Abschaffung des Zinseszinses.

Ein Blick in die »Kernpunkte ...« lehrt dies: »Die in der letzteren Art gemachten Erwerbungen und alle Ersparnisse, die aus den Leistungen der eigenen Arbeit entspringen, verbleiben bis zum Tode des Erwerbers oder bis zu einem spätern Zeitpunkte im persönlichen Besitz dieses Erwerbers oder seiner Nachkommen. Bis zu diesem Zeitpunkte wird auch ein aus dem Rechtsbewusstsein sich ergebender, durch den Rechtsstaat festzusetzender Zins von dem zu leisten sein, dem solche Ersparnisse zum Schaffen von Produktionsmitteln gegeben werden.« (GA 23, Dornach 1976, S. 116) »Aus solchen Verhältnissen heraus wird sich allerdings auch ergeben, dass der Zinsbezug von einem Kapitale im Laufe der Jahre sich immer verringere. Das Geld wird sich abnützen, wie sich Waren abnützen. Doch wird eine solche vom Staate zu treffende Maßnahme gerecht sein. ›Zins auf Zins‹ wird es nicht geben können. Wer Ersparnisse macht, hat allerdings Leistungen vollbracht, die ihm auf spätere Waren-Gegenleistungen Anspruch machen lassen, wie gegenwärtige Leistungen auf den Eintausch gegenwärtiger Gegenleistungen; aber die Ansprüche können nur bis zu einer gewissen Grenze gehen; denn aus der Vergangenheit herrührende Ansprüche können nur durch Arbeitsleistungen der Gegenwart befriedigt werden. Solche Ansprüche dürfen nicht zu einem wirtschaftlichen Gewaltmittel werden.« (GA 23, Dornach 1976, S. 133-134)

Gesells Geldtheorie auf die Forderung nach Abschaffung des Zinses zu reduzieren, stellt eine unzulässige Simplifizierung dar.

Bei Gesell wiederum gibt es keine Theorie der volkswirtschaftlichen Schenkung. Bei Steiner ist die Schenkung, neben Kaufen und Leihen eine der Hauptverwendungsarten des Geldes.

Die in diesem Zusammenhang von Zander geäußerte Behauptung (S. 1330), Steiner sei »ganz mit der Freigeld-Bewegung einverstanden« gewesen, stellt ebenfalls eine unzulässige Verkürzung dar. Vielmehr stellte Steiner eine punktuelle Übereinstimmung bei der Deutung des Geldes als eines Indexes für Warenwerte fest. Im übrigen bedauerte er, dass seine Zustimmung zu bestimmten Theorien ähnlich gerichteter Bewegungen nicht erwidert werde.

Steiner äußerte sich am 2. April 1919 in einem Diskussionsbeitrag nach einem Vortrag wie folgt:

»Das ist dasjenige, was auch durch die Art dieser Dreiteilung erreicht werden kann, und was partiell, einzeln angestrebt wird von der Freiland-Freigeld-Bewegung; deshalb habe ich in einem solchen Falle gesagt: Ich bin ganz mit dieser Bewegung einverstanden – weil ich immer versuche, die einzelnen Bewegungen in ihrer Berechtigung einzusehen, und ich möchte sie in einen gemeinsamen großen Strom leiten, weil ich eben nicht glaube, dass ein Mensch, oder selbst eine Gruppe von Menschen das Richtige finden kann, sondern weil ich demokratisch glaube, dass die Menschen zusammen in der Wirklichkeit, im Zusammenwirken, allein richtig organisiert, erst das Rechte finden werden.

Das ist dasjenige, was ich als Wirklichkeitsansicht bezeichnet habe, nicht als irgendeine objektive Entwickelung ansehe. Aber ich glaube, dass der wirkliche Mensch aus seinem gesunden Menschenerleben heraus im Verein mit den anderen Menschen das finden wird, was dem sozialen Organismus frommt.« (GA 329, Dornach 1985, S. 140) Diesen Bemerkungen waren eine Seite zuvor die folgenden vorausgegangen: »Ich bin bei solchen Gelegenheiten sehr häufig in der Situation gewesen, sagen zu müssen: Ich bin ja mit Ihnen vollständig einverstanden; der andere sagt es nur gewöhnlich, oder wenigstens sehr häufig nicht zu mir!« (ebd., S. 139)

Steiners Äußerungen sind jedoch auch in einer anderen Hinsicht bedeutsam, wiederlegen sie doch en passant die immer wieder von Zander erhobene Behauptung, Steiner habe seine Lösungsvorschläge zur sozialen Frage als elitäres Geheimwissen verstanden, das jeder Kritik unzugänglich sei. Dem steht die Bemerkung Steiners gegenüber: » ... weil ich eben nicht glaube, dass ein Mensch, oder selbst eine Gruppe von Menschen das Richtige finden kann, sondern weil ich demokratisch glaube, dass die Menschen zusammen in der Wirklichkeit, im Zusammenwirken, allein richtig organisiert, erst das Rechte finden werden.«

Steiner war laut Zander in den 1880er Jahren ein royalistisch eingefärbter Deutschnationaler und auch »später« kein überzeugter Demokrat.

Auf S. 1331 schreibt Zander:

»Steiner war nicht demokratisch sozialisiert. In den 1880er Jahren in Wien äußerte er sich als royalistisch eingefärbter Deutschnationaler. Die zeitweilige Präsenz an der Arbeiterbildungsschule um 1900 scheint an seiner Demokratiedistanz wenig geändert zu haben. Steiner äußerte sich weder hier noch später als überzeugter Demokrat.«

Wie wenig solche pauschalen Behauptungen mit der Wirklichkeit übereinstimmen, zeigen einige Beispiele.

1888, als Steiner angeblich royalistisch eingefärbter Deutschnationaler war, veröffentlichte er in der »Deutschen Wochenschrift« den Aufsatz »Papsttum und Liberalismus«, in dem es heißt:

»Es soll ... nicht geleugnet werden, dass mit dem liberalen Prinzip der Kernpunkt der modernen Kultur überhaupt richtig getroffen ist. Das Barometer des Fortschrittes in der Entwicklung der Menschheit ist nämlich in der Tat die Auffassung, die man von der Freiheit hat, und die praktische Realisierung dieser Auffassung. Unserer Überzeugung nach hat die neueste Zeit in dieser Auffassung einen Fortschritt zu verzeichnen, der ebenso bedeutsam ist, wie jener war, den die Lehren Christi bewirkten: ›es sei nicht Jude, noch Grieche, noch Barbar, noch Skythe, sondern alle seien Brüder in Christo‹. Wie damals die Gleichwertigkeit aller Menschen vor Gott und ihresgleichen anerkannt wurde, so bemächtigte sich in dem letzten Jahrhundert immer mehr die Überzeugung der Menschen, dass nicht in der Unterwerfung unter die Gebote einer äußeren Autorität unsere Aufgabe bestehen könne, dass alles, was wir glauben, dass die Richtschnur unseres Handelns lediglich aus dem Lichte der Vernunft in unserem eigenen Innern entstammen solle. Nur das für wahr halten, wozu uns unser eigenes Denken zwingt, nur in solchen gesellschaftlichen und staatlichen Formen sich bewegen, die wir uns selbst geben, das ist der große Grundsatz der Zeit.« (GA 31, 135-136)

1899 erschien im »Magazin für Literatur« die ironische Besprechung von Treitschkes »Politik«:

»Vor kurzem ist der zweite Band Treitschkes ›Politik‹ erschienen. Ein ehrlicher Bekenner des Monarchismus spricht sich über die Staatsformen aus. Drei mögliche Staatsbildungen unterscheidet er: die Theokratie, die Monarchie, die Republik. In der Theokratie fußt die oberste Staatsgewalt auf dem Glauben, dass sie von den göttlichen Mächten eingesetzt ist und in ihrem Namen regiert. Ein Auflehnen wider sie ist zugleich eine Versündigung gegen die göttliche Weltordnung.

Diese bei morgenländischen Völkern vorkommende Staatsform hat in den Weltanschauungen der abendländischen Völker keinen Boden. Die Republik baut sich auf der Volksmacht auf. Sei sie eine Aristokratie, sei sie eine Demokratie: die höchste Gewalt ist in Volkshänden. Die regierenden Mächte haben diese Gewalten nur vom Volke übertragen. Sie kann ihnen daher auch jederzeit wieder genommen werden.

In der Monarchie hat die Familie des Regenten die Gewalt nicht durch Übertragung aus dem Volke. Woher hat sie sie also? Treitschke beantwortet diese Frage damit, dass er sagt: sie hat sie durch die historische Entwicklung erhalten. Sie ist in ihren Besitz gelangt, und aus dieser Tatsache hat sich im Volke allmählich das Gefühl entwickelt, dass die Macht eben bei dieser Familie sein müsse. Das Volk hat sich von Generation zu Generation daran gewöhnt, dieser Familie das Recht zu regieren zuzugestehen.

Dieses Bekenntnis aus dem Kopfe eines Anhängers und begeisterten Verteidigers der Monarchie ist wichtig. Treitschke ist aus der Zeit herausgewachsen, in welcher die historische Entwicklung als eine Art göttliches Wesen verehrt worden ist. Diese Zeit sagte: was im Laufe der Geschichte sich entwickelt hat, das hat ein Recht auf Bestand; und der einzelne vermag nichts gegen diese Entwicklung. Auf das Zeitalter der Aufklärung, welches nur das als berechtigt anerkannte, was vor der Vernunft des einzelnen bestehen kann, folgte in unserem Jahrhundert diese historische Denkweise. Man sah in dem, was sich im Laufe der Zeiten von selbst gemacht hat, etwas Höheres, als was der einzelne von sich aus als das Richtige anerkennen kann.

Klar und deutlich zeigt aber gerade Treitschkes Ausführung, dass monarchisch gesinnt nur derjenige moderne Mensch sein kann, der die Macht der geschichtlichen Entwicklung anerkennt. Wäre Treitschke nicht Bekenner der historischen Weltanschauung, so könnte er auch nicht Monarchist sein. Man kann sich eine Vorstellung davon machen, wie Treitschke über jemanden gelächelt haben möchte, der ihm den obigen Satzentgegengehalten hätte. Denn Treitschke war Fanatiker des Historismus und konnte den, der es nicht ist, nur für einen bornierten Kopf ansehen.

Für die Wissenschaft der Politik ist es aber wichtig, dass Treitschke mit der ganzen Schärfe, die ihm eigen war, gezeigt hat: im Abendlande ist die historische Denkweise Voraussetzung für eine wissenschaftliche Begründung des monarchischen Prinzipes. Der notwendige Schluss, der sich aus seiner Anschauung ergibt, wäre der, dass nicht historisch Denkende im Abendlande auch nicht Bekenner des Monarchismus sein können.« (GA 31, S. 335-337)

Nach dem I. Weltkrieg ließ Steiner keinerlei Zweifel an seiner Überzeugung, dass die »Demokratie restlos das Völkerleben« durchdringen müsse:

»Dass Demokratie restlos das Völkerleben durchdringen muss, sollte eine selbstverständliche Erkenntnis für alle sein, die einen offenen Sinn für das geschichtlich Gewordene haben. Die Weltkriegskatastrophe hat die Unmöglichkeit einer Weiterentwickelung alles dessen erwiesen, was der Demokratie widerstrebt. Alles Anti-Demokratische hat sich selbst in die Vernichtung hineingeführt. Für diejenigen, welche in irgendeiner Form an Wiederaufrichtung eines solchen Anti-Demokratischen denken, wird es sich nur darum handeln können, dass ihrer Einsicht das als Beweis aufgeht, was die Wirklichkeit mit Strömen von Blut bewiesen hat. ...

Für das, was seit drei bis vier Jahrhunderten zum modernen Staate geworden ist, fordert die Menschheit die Demokratie. Soll diese Demokratie wahrhaftige Tatsache werden, dann muss sie auf diejenigen Kräfte der Menschennatur aufgebaut sein, die sich wirklich demokratisch ausleben können. Sollen aus Staaten Demokratien werden, dann müssen diese Einrichtungen sein, in denen die Menschen zur Geltung bringen können, was das Verhältnis eines jeden erwachsenen, mündig gewordenen Menschen zu jedem anderen regelt. Und jeder erwachsene, mündig gewordene Mensch muss gleichen Anteil haben an dieser Regelung. Verwaltung und Volksvertretung müssen so gehalten sein, dass sich in ihnen auslebt, was aus dem Bewusstsein eines Menschen sich ergibt einfach dadurch, dass er ein seelisch gesunder, mündiger Mensch ist. (GA 24, Juli 1919, S. 201-205)

Angeblich soll Steiner auf dem Ost-West-Kongress in Wien 1922 die gesellschaftspolitische Relevanz der sozialen Dreigliederung dementiert haben.

Auf S 1346 schreibt Zander:

»In einem Vortrag über die ›Kernpunkte‹ nahm er ihre [sic!] gesellschaftspolitischen Anspruch zurück, indem er seine Ausführungen etwa zur ›Kapitalzirkulation‹ oder zum ›Wert der Arbeit‹ zur ›Illustration‹ herabstufte (GA83,203).«

Davon, dass Steiner 1922 die gesellschaftspolitische Relevanz der Dreigliederung dementiert hätte, kann keine Rede sein. Nach wie vor hielt er an der Richtigkeit und Wichtigkeit dieser Dreigliederung fest. Allerdings bemängelte er an der Rezeption der Dreigliederungsidee, dass die von ihm beschriebenen, beispielhaften Lösungsvorschläge als die Hauptsache betrachtet worden seien.

»Meine Schrift [die Kernpunkte der sozialen Frage ...«] war gewissermaßen als ein Appell nicht an das Denken über allerlei Einrichtungen, sondern als ein Appell an die unmittelbare Menschennatur gemeint. Dass das aus geisteswissenschaftlichen Untergründen heraus nicht anders sein konnte, wird ja aus der ganzen Haltung der bisher gehaltenen Vorträge hervorgehen.

So hat man namentlich vielfach dasjenige, was ich eigentlich nur zur Illustration der Hauptsache gegeben habe, für die Hauptsache selbst genommen. Ich musste, indem ich versuchte darzustellen, wie die Menschheit zu einem sozialen Denken, Fühlen und auch Wollen kommen könne, dies zum Beispiel daran illustrieren, wie möglicherweise die Kapitalzirkulation so umgewandelt werden könnte, dass sie von vielen Menschen nicht in der Weise drückend empfunden werde, wie das in der Gegenwart vielfach der Fall ist. Ich musste das eine oder das andere über Preisbildung, über den Wert der Arbeit und dergleichen sagen. Aber das alles nur eigentlich zur Illustration.

...

Erst wenn man einsehen wird, dass der dreigegliederte soziale Organismus notwendig ist, um Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit zu schaffen, dann wird man die soziale Frage in der richtigen Weise gestalten. Dann wird man auch den gegenwärtigen Zeitpunkt richtig an das 18. Jahrhundert anknüpfen. Und dann kann Mitteleuropa die Möglichkeit finden, zu dem, was Westeuropa gesagt hat, indem es gefordert hat: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, aus seinem Geistesleben heraus zu sagen: Freiheit im Geistesleben, Gleichheit im staatlich-rechtlichen Leben und Brüderlichkeit im wirtschaftlichen Leben.« (GA 83, Dornach 1981, S. 277-278, 311-312)

Zanders Umdeutung der Dreigliederung aus einem Anti-Machtprinzip in eine Machtstrategie hängt mit einem grundlegenden Missverständnis des Organismusbegriffs zusammen. 

Auf S. 1351-1352 schreibt Zander:

»So erscheint die Dreigliederung als liberales und pluralismuskonformes Gesellschaftskonzept. Analysiert man jedoch ihre fundamentalen Strukturen, erweist sie sich als das genaue Gegenteil, als autoritär und antipluralistisch. Der Angelpunkt des autoritären Prinzips der Dreigliederung ist das in die Politik übernommene hierarchische Denken der theosophischen Esoterik, in deren Tradition Steiner das ›wahre‹ Wissen im Arkanbereich (das können je nach Phase geheime Meister, die Akasha-Chronik, Eingeweihte oder die Erkenntnisse »höherer Welten« sein) situierte. Diese geistesaristokratische Konstruktion liegt auch der Dreigliederung zugrunde. Deren Grundlagen werden deshalb nicht vertragstheoretisch oder naturrechtlich oder im offenen Rekurs auf weltanschauliche Annahmen begründet, sondern an die Einsicht einer elitären Minderheit in ›höheres‹ Wissen gebunden ...

Wie in der Dreigliederungsvorstellung kommen auch in organologischen Gesellschaftstheorien zentrale Vorstellungen vertragstheoretischer Demokratiekonzeptionen nicht zum Tragen, da im gesellschaftlichen ›Körper‹ die Machtfrage durch die Leitung im ›Kopf‹ gelöst ist und Konflikte durch die fixierten Plätze und Auf- gaben der ›Glieder‹ allenfalls Funktionsstörungen betreffen. Wo aber die metaphorische Konstitution des Begriffs vom ›organischen‹ Staats›wesen‹ nicht realisiert und zur Diskussion freigegeben wird, kann Ganzheit oder Einheit schnell totalitär werden.«

Das Geistesleben soll laut Zander autoritär und aristokratisch als Kopf des sozialen Körpers den übrigen sozialen Leib steuern und tritt damit als selbsternannter Träger eines höheren exklusiven Wissens auf.

Das Pikante an dieser Interpretation ist, dass Steiner sie ausdrücklich immer wieder als falsch zurückgewiesen hat. Sie lässt sich auch nicht mit Steiners Idee des Organismus oder mit seinen Auffassungen von der physiologischen Dreigliederung vereinbaren. Sie ist eine reine Erfindung Zanders. Entgegen Zanders Behauptung hat Steiner vielmehr das Wirtschaftsleben als »Kopf« des sozialen Organismus beschrieben, nicht das Geistesleben. Letzteres hat er zum Ernährungs- und Stoffwechselsystem in Beziehung gesetzt. Dies deshalb, weil die geistige Produktion, in der sich die Fähigkeiten der einzelnen Menschen individualistisch ausleben, das gesellschaftliche Ganze permanent erneuert und neue Sinnhorizonte des gesellschaftlichen Lebens erschließt. Steiner 1919:

»Den gewöhnlichen natürlichen Organismus teilen wir ja in drei Glieder, in das Kopfsystem, wir können auch sagen Nerven-Sinnessystem, in das Lungen-Herzsystem, wir können auch sagen rhythmisches System, und in das Stoffwechselsystem. Alle Tätigkeit des menschlichen Organismus ist in diesen drei Systemen erschöpft. Was im menschlichen Leibe vorgeht, kann unter eine dieser drei Kategorien gebracht werden. Bemerkenswert ist dabei dieses, dass jedes dieser Systeme eine eigene, für sich bestehende Verbindung mit der Außenwelt hat. Gerade daraus ersieht man, dass es durchaus nicht willkürlich ist, den natürlichen menschlichen Organismus in diese drei Systeme zu gliedern. Das Nerven-Sinnessystem steht durch die Sinne in Verbindung mit der Außenwelt, das Atmungssystem durch die Atmungsorgane, das Stoffwechselsystem durch die Ernährungsorgane. Jedes dieser Systeme steht für sich mit der Außenwelt in einer abgesonderten Beziehung.

Nun, ebenso können wir den sozialen Organismus in drei Glieder einteilen – in ein erstes, zweites und drittes Glied –, so dass sie selbständig sind. Beim sozialen Organismus haben wir dann als die drei Glieder zu unterscheiden das Wirtschaftssystem, das Staatssystem oder Rechtssystem und das System der geistigen Organisation.

I. Kopf-System – Wirtschaftssystem – Nerven-Sinnessystem

II. Lungen-Herzsystem – Staatssystem – Rhythmisches System

III. Stoffwechselsystem – geistige Organisation

Ich bitte Sie, das durchaus zu berücksichtigen, was ich jetzt auf die Tafel geschrieben habe, denn das ist sehr wichtig. Der Kopf des sozialen Organismus ist das Wirtschaftssystem. Das rhythmische System, das Zirkulationssystem, das Lungen-Herzsystem, das ist das Staatssystem. Und das Stoffwechselsystem, das ist in der geistigen Organisation beschlossen. Deshalb sagte ich immer: Will man sich die Sache richtig vorstellen, so muss man sich gegenüber dem menschlichen natürlichen Organismus vorstellen, dass der soziale Organismus auf dem Kopfe steht. Wenn man ein müßiges Analogiespiel treibt, dann wird man glauben, die geistige Organisation entspreche beim Menschen dem Kopfsystem. Das ist nicht der Fall. Die geistige Organisation entspricht dem Stoffwechselsystem. Wir können sagen, der soziale Organismus nährt sich von demjenigen, was die Menschen im sozialen Organismus geistig leisten. Der soziale Organismus hat seine Kopfbegabung in der Naturgrundlage. Wenn ein gewisses Volk in einer reichen Gegend wohnt mit vielen Erzgruben, mit reichen Bodenschätzen, mit fruchtbarem Boden, so ist der soziale Organismus begabt, bis zur Genialität kann er begabt sein. Wenn der Boden unfruchtbar ist, wenn wenig Bodenschätze da sind, dann ist der soziale Organismus töricht, unbegabt.« (GA 190, Dornach 1980, S. 32-34)

Wenn Zander also das Geistesleben als »autoritär herrschenden Kopf« des sozialen Organismus interpretiert, steht dies in diametralem Gegensatz zu Steiners expliziten Äußerungen und stellt in Wahrheit eine Projektion seines eigenen Selbstverständnisses als eines Angehörigen der »akademischen Elite« in das Gesellschaftsmodell Steiners dar. Mit in dieses Gesellschaftsmodell hineininterpretiert wird von Zander sein eigener Hegemonieanspruch nicht nur in Bezug auf die Deutung der Anthroposophie, sondern auch auf das geistige Leben, die »Spiritualität« überhaupt. Denn die grundsätzliche Leugnung eines unabhängigen, nicht dem akademischen Mainstream unterworfenen geistigen Lebens, ist des »Pudels Kern« seiner Ideologie. »Autoritär« ist in Wahrheit Zander, der glaubt, durch seine agnostische Verneinung einer autonomen Geisterkenntnis den realen Geist, der sich in der Anthroposophie zu Wort meldet, unterdrücken zu können.

Mit herablassender professoraler Gönnerhaftigkeit gesteht Zander am Ende seiner Exkurse über Steiners politisches Engagement diesem zu, »kein Hitler« gewesen und nicht zum »äußersten Antidemokraten« wie dieser geworden zu sein.

Auf S. 1354 schreibt Zander:

»Steiner gehört meines Erachtens in die Tradition des im Kern nichtdemokratischen Denkens in der ersten deutschen Republik ... In Steiners Konzeption drängte vielmehr die Hegemonie des autoritären Geisteslebens die demokratischen Werte und Regeln in Randbereiche ab. Mit der Struktur der Dreigliederung hielt Steiner nach dem Untergang des Kaiserreichs an einer Art konstitutioneller Monarchie fest, in der nun die ›Eingeweihten‹ und ›Hellsichtigen‹ die Oligarchen stellten und demokratische Entscheidungen an ihr Placet banden ... Die Wurzeln dieser Tradition liegen sowohl für Steiner wie für den 18 Jahre jüngeren Hitler in Österreich, näherhin in Wien. Um auch hier keinen falschen Zungenschlag aufkommen zu lassen: Steiner war kein Hitler und auch nicht sein Parteigänger, neben manchen Übereinstimmungen gibt es tiefe Unterschiede.

Aber beide waren vermutlich strukturell ähnlichen Sozialisationserfahrungen ausgesetzt ... Deutschnationale Hybris und elitärer Antiparlamentarismus sind ein gemeinsames, gleichwohl in unterschiedliche, oft gegenläufige Konsequenzen ausgezogenes Erbe, das beide in Wien um 1900 mitbekommen hatten.

Steiner wurde nicht zum äußersten Antidemokraten wie Hitler, aber er stellte der Demokratie ohne Demokraten auch keine überzeugten Verfechter an die Seite.«

Wie stets, wenn Zander von »strukturellen Analogien oder Homologien« spricht, verdeckt er mit diesen Ausdrücken inhaltliche und substantielle Unvereinbarkeiten und analytische Mängel seiner Argumentation. So auch hier: abgesehen davon, dass Steiner weder der Tradition des »nichtdemokratischen Denkens« angehört, noch durch ein autoritär verstandenes Geistesleben die demokratischen Werte in Randbereiche abdrängen wollte, oder an einer konstitutionellen Monarchie festhielt, gab es auch keine strukturell ähnlichen Sozialisationserfahrungen.

Hitlers Sozialisationserfahrungen spielten sich in vom intellektuellen Milieu völlig unberührten Wiener Männerheimen bei der Lektüre von rassistischen Pamphleten ab sowie in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs, später in geheimbündlerischen rechtsrevolutionären Konventikeln. Steiner dagegen arbeitete sich aus einem ländlich-proletarischen Milieu durch seine geistigen Leistungen in das Bildungsbürgertum empor, verkehrte unter Künstlern, Literaten und Intellektuellen, verbrachte seine frühen Zwanzigerjahre in Universitäten und Archiven, lebte in der Familie eines jüdischen Großkaufmanns als Hauslehrer und gehörte bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts dem akademischen Prekariat an. Es gibt auch kein »gemeinsames Erbe von deutschnationaler Hybris und elitärem Antiparlamentarismus«. Die unterschiedlichen Sozialisationserfahrungen führten, wie man weiß, zu unterschiedlichen Ergebnissen.

Schon 1921, zwei Jahre vor dem Marsch auf die Feldherrenhalle, fasste Karl Heyer die anthroposophische Position gegenüber dem geistig-politischen Milieu zusammen, in dem Hitler sich bewegte:

»Nach außen hin tritt seit vielen Monaten besonders laut diejenige Gegnerschaft der Anthroposophischen Gesellschaft gegenüber, die in der Pflege überlebter Lebenszusammenhänge, in einem künstlichen Kult von Blut und Rasse ihre Grundlage hat ... Es ist dies die deutsch-völkische, deutschnationale, nationalistisch-alldeutsche, arisch-antisemitische Strömung, Diese kennt nur auf Blutzusammenhängen beruhende Machtgruppen, sie hasst das Ich und alles, was dieses Ich frei und zum kraftvollen Träger der sozialen Kräfte machen will.« (Karl Heyer, Von den Gegnern der anthroposophischen Bewegung, Die Drei 1, H. 9, Dezember 1921, S. 952.)

Ein in der Wolle gefärbter Nationalsozialist, Jakob Wilhelm Hauer, den Zander gerne als Quelle gegen Steiner exzerpiert, schrieb dagegen 1935 in einem Bericht an den Reichsführer SS folgendes:

»Ich halte die anthroposophische Weltanschauung, die in jeder Beziehung international und pazifistisch eingestellt ist, für schlechthin unvereinbar mit der nationalsozialistischen. Die nationalsozialistische Weltanschauung baut sich auf auf dem Gedanken von Blut, Rasse, Volk und dann auf der Idee vom totalen Staat. Gerade diese zwei Grundpfeiler der nationalsozialistischen Weltanschauung und des Dritten Reiches werden von der Weltanschauung der Anthroposophie verneint ... Jede Untersuchung und Betätigung der Anthroposophie entspringt der anthroposophischen Weltanschauung mit Notwendigkeit. Darum bedeuten Schulen, die auf anthroposophischer Weltanschauung aufgebaut, von Anthroposophen betreut werden, eine Gefahr für echte deutsche Bildung ....«

Angesichts des Abgrundes, der Anthroposophie und Nationalsozialismus voneinander trennt, kann letztere auf die Absolutionen eines verkappten Großinquisitors gerne verzichten.