In der Schilderung der »Saturnepoche« kann Zander nur »Versatzstücke« der zeitgenössischen Physik, der Kosmo- und Geogonie des 19. Jahrhunderts erkennen, vor allem in der Tatsache, dass Steiner den Saturn als Wärmekörper beschreibt. Wenn Steiner von einem geistigen Luftkreis um den Saturn spricht, setzt Zander diesen dem Saturnring gleich. Zander bemängelt, Steiner habe nur dem Saturn einen solchen zugeschrieben, was dem »Erkenntnisstand« des Jahres 1909 entspreche, da das Ringsystem des Uranus erst 1977 entdeckt worden sei.

Auf S. 655-656 schreibt Zander:

»Doch wenig später bediente sich Steiner der Versatzstücke der zeitgenössischen Physik ...

Steiner adaptierte hier Theorien zur Kosmo- und Geogonie des 19. Jahrhunderts. ...

Zugleich aber waren Details der ›neuen‹ Astrophysik bereits so weit verbreitet, dass Steiners Lehre vom ›Nebelball‹, der durch Rotation zu einer ›Gaskugel‹ und dann zu einem ›Glutball‹ geworden sei, aus dem durch die Abkühlung dieser Wärmeformationen ein Planet entstehe, schon vor 1900 nicht nur bei Ernst Haeckel, sondern auch in populären Erdkundebüchern zu lesen war. ...

Er sah in einem ausserordentlich verschachtelten Prozess in der Saturnepoche Geistwesen am Werk, die die Entwicklung des Planeten und der Menschen steueren. Sie sollen einen ›Luftkreis geistiger Art‹ (GA 13,160) um den Saturn bilden, seien also wie der Saturnring gestaltet. Keinem weiteren Planeten schrieb Steiner einen solchen Ring zu, und dies ist wohl dem Erkenntnisstand des Jahres 1909 zuzuschreiben, da das Ringsystem des Uranus erst 1977 entdeckt wurde.«

Die Schilderung des Saturn als Wärmekörper ist weder den Erkenntnissen der damaligen Physik geschuldet, noch kann man die geistige Atmosphäre des Saturn mit den Saturnringen gleichsetzen, was auf ein naturalistisches Missverständnis hinausliefe.

Es ist leicht erkennbar, dass die Beschreibung der physischen Zustände der aufeinanderfolgenden Entwicklungsstufen der Erde der Systematik der Elementenlehre des Aristoteles entspricht, der Wärme, Luft, Wasser und Erde (Festes) unterscheidet. Das sind die vier Aggregatzustände von zunehmender Dichtigkeit, die die Erde auf ihrem Weg vom Alten Saturn zu ihrer jetzigen Inkarnation durchläuft.

Der Saturnring ist ausserdem kein physischer Ring, sondern eine Atmosphäre geistiger Art, die der Lufthülle der jetzigen Erde vergleichbar ist: auch die Alte Sonne, der Alte Mond und die jetzige Erde verfügen über eine solche geistige Atmosphäre, in der die Hierarchienwelt lebt, die mit dem jeweiligen Himmelskörper verbunden ist.

Über die Quellen der Namen für die hierarchischen Wesenheiten (von den Angeloi bis zu den Cherubim) weiß Zander, abgesehen von einem Hinweis auf »Pseudo«-Dionysios Areopagita nichts zu vermelden, stellt aber Vermutungen über die strategische Bedeutung dieses »Versatzstückes« im »innertheosophischen Machtkampf« an. 1905 habe Steiner die Engelscharen als Bestandteil der »christlich esoterischen Wissenschaft« bezeichnet, 1909 habe er von »christlicher Geheimwissenschaft« gesprochen.

Auf S. 657 schreibt Zander:

»Diese Engelschar, die er 1905 wohl noch vor allem mit synkretistischem Anspruch aufbot, besassen 1909 stärker die Funktion, Steiner innerhalb der Theosophischen Gesellschaft als christlich-europäischen Geheimwissenschaftler zu positionieren. In der inhaltlich parallelen Darstellung des Jahres 1905, in der er bereits die griechischen Namen nannte, machte Steiner jedoch deutlich, dass die theosophischen Wurzeln bedeutsamer waren, als er 1909 durchblicken liess.«

Wie wir gesehen haben, tauchen diese Engelwesenheiten bereits im Fragment der Kosmogonie 1903/1904 auf. Die ideenpolitischen Erwägungen Zanders, Steiner habe 1909 die Engel benutzt, um sich als »christlichen Geheimwissenschaftler innerhalb der Theosophischen Gesellschaft zu positionieren«, während er 1905 ihre »theosophischen Wurzeln stärker betont« habe, fallen also in sich zusammen. Dass Steiner 1905 für die Dynamis, Archai und Angeloi die theosophische Terminologie anführte, hatte, wie bereits gezeigt wurde, seinen Grund darin, dass er einen theosophischen Lehrinhalt durch eine lexikalische Identifizierung verständlich machen wollte.

In einer Anmerkung spekuliert Zander über die möglichen theosophischen Quellen für Steiners Hierarchienlehre. Da er sie in der »Geheimlehre« Blavatskys nicht finden kann, postuliert er »ausführlichere theosophische Darstellungen«, ohne jedoch diese Darstellungen namhaft machen zu können. (Wortlaut der Anmerkung 443 auf S. 657: »Zurückhaltung gegenüber Blavatskys ›Geheimlehre‹ als Quelle fordert zum einen ihre alles andere als eindeutige Terminologie. Zum anderen sind ihre Bemerkungen zu den ›Lunaren Pitris‹ marginal, so dass Steiner auf ausführlichere theosophische Darstellungen zurückgegriffen haben könnte.« – Die Frage ist nur: welche Darstellungen?)

Der Saturnzustand, so Zander, sei die umfangreichste Schilderung eines Planetenzustandes in der »Geheimwissenschaft im Umriss«.

Zander schreibt auf S. 657:

»Den weitaus meisten Platz nehmen im Saturnzustand – der umfangreichsten Schilderung eines ›Planetenzustandes‹ – die Schilderungen der kosmischen Entwicklungsprozesse ein.«

Selbst diese schlichte, leicht überprüfbare Behauptung ist falsch: in der Erstausgabe der »Geheimwissenschaft im Umriss« nimmt das Saturnzustand 20 Seiten ein (126-146), der Sonnenzustand 14 Seiten (146-160), der Mondzustand 32 Seiten (160-192) und die jetzige Erde 95 Seiten (192-277).

Eine der vielen unterstellten Revisionen glaubt Zander im Umgang Steiners mit zwei Begriffen erkennen zu können: den Begriffen »Pralaya« und »Manvantara«. Während Steiner diese Ausdrücke 1905 noch »sehr häufig« benutzt habe, spreche er 1909 nur noch an ganz wenigen Stellen von dem damit gemeinten »Weltenschlaf«.

Auf S. 659 schreibt Zander:

»Zwischen zwei Planetenstufen situierte Steiner eine ›Ruhepause‹, den ›Weltenschlaf‹ (GA 13,184 f.). Davon sprach Steiner 1909 nur noch an ganz wenigen Stellen, während er 1905 den ›morgenländischen‹, theosophisch assimilierten Begriff ›Pralaya‹ (den er vereinzelt mit ›Chaos‹ gleichsetzte, GA 11,200) sehr häufig benutzt hatte. Auch der Terminus ›Manvantara‹ als Bezeichung für die aktiven Phasen der kosmischen Geschichte (ebd., 143) war 1909 ganz verschwunden, wie auch die Differenzierung zwischen dem ›hochgeistigen‹ oder ›gestaltlosen‹ … Arupazustand und dem ›gestalteten‹ … Rupazustand (ebd., 201) ...«

Entgegen Zanders Behauptungen spricht Steiner in der »Geheimwissenschaft im Umriss« bei der Darstellung des Sonnenzustands von sieben kleinen »Ruhepausen«. Die einzelnen Planetenzustände werden von »großen Ruhepausen« abgelöst. (Z. Bsp. GA 13, 1909, S. 159)

Doch das ist noch nicht alles. Am Ende der Beschreibung des Mondenzustandes geht Steiner in einem metakritischen Exkurs ausdrücklich auf die Frage der Gliederung der einzelnen Entwicklungsepochen des Weltkörpers »Erde« ein.

In der Mondenepoche, so Steiner, lassen sich zwei vorbereitende, zwei abflutende und drei mittlere Kreisläufe unterscheiden. Sie bewegt sich also durch sieben Kreisläufe. Die sieben großen Kreisläufe sind in sieben kleinere und diese nochmals in sieben kleinere unterteilt. »Diese Gliederung«, so Steiner, »ist auch schon bei der Sonnenentwicklung bemerkbar und auch während der Saturnepoche angedeutet. Doch muss man berücksichtigen, dass die Grenzen zwischen den Abteilungen schon bei der Sonne und noch mehr beim Saturn verwischt sind. Diese Grenzen werden immer deutlicher, je weiter die Entwicklung gegen die Erdenepoche zu fortschreitet.« (GA 13, 1909, S. 191-192; Parallelstelle 1977, S. 16-218.)

Es geht also um eine perspektivische Frage. Vor dem Blick des Sehers verschwinden, je weiter die Zeiträume zurückliegen, die Untergliederungen, bis schließlich am Beginn der Saturnentwicklung die kosmischen Gestaltbilder vollends ins Geistige entschwinden, Raum und Zeit und die begrifflichen Kategorien des Nach- und Nebeneinander bedeutungslos werden, oder wie Steiner es in einem Vortrag 1911 ausdrückt:

»Es ist wirklich beim alten Saturndasein – in einem sehr vergleichsweisen Sinn kann man das sagen – die Welt wie mit Brettern verschlagen, indem man mit dem Gedanken stillestehen muss. Mit dem Hellsehen auch. Die gewöhnlichen Gedanken muss man schon lange zurücklassen, die gehen nicht bis dahin. Bildlich vergleichsweise ausgedrückt, müssten sie sich sagen, dass ihr Gehirn einfriert.« (GA 132, Vortrag 31.10.1911, 1999, S. 17.)

Die letzte bildhafte Vorstellung, zu der man überhaupt kommt, wenn man sich dem Saturn nähert, ist die der Geister des Willens, die ihr Opfer den Cherubim darbringen, weiter geht es nicht, »da ist die Welt wie mit Brettern verschlagen«. (GA 132, Vortrag 31.10.1911, 1999, S. 19.)

Aber in diesem Opfer wird die Zeit in Gestalt von Wesenheiten der Zeit, in Gestalt der Archai geboren. Vor der »Geburt der Zeit« ist es schwierig, zeitliche Kategorien überhaupt anzuwenden und bildhafte Vorstellungen auszubilden, in denen die geistigen Vorgänge als Umwandlungen und Übergänge anschaubar sind, da Umwandlungen und Übergänge immer zeitliches Nacheinander implizieren.

Zander meint, das »wichtigste« Element in der »Geheimwissenschaft im Umriss« und ihrer »Konstruktionslogik« sei die Evolutionstheorie. Diese sei auf »Höherentwicklung teleologisiert«. Außerdem habe Steiner die Rekapitulation früherer Entwicklungszustände in späteren aufgrund seiner »Verehrung für Haeckel« in seine Evolutionstheorie eingebaut.

Zander schreibt auf S. 659:

»Das wichtigste Element war die Evolutionstheorie, die bei Steiner (selbstverständlich) auf Höherentwicklung teleologisiert war. Ein ›Wiederholungszustand‹ sei etwa ›durch die inzwischen eingetretene Vergeistigung ein höherer‹ (GA 13,148), und schlussendlich sei in der Zukunft eine Vervollkommnung zu erwarten (ebd., 153). Weitere Belege liessen sich leicht nachliefern und dokumentierten einmal mehr, dass Steiners Konstruktionslogik ein Derivat zeitgenössischer Evolutionslehren war.

...

Bei dieser reinkarnatorischen Rekapitulation applizierte Steiner das von Ernst Haeckel popularisierte ›biogenetische Grundgesetz‹, demzufolge bei Lebewesen ›die Ontogenesis … eine kurze und schnelle Rekapitulation der Phylogenesis‹ sei, auf die Kosmogenese. Dies war eine Konsequenz seiner hohen Verehrung für Haeckel und der Hochschätzung dieser Theorie gerade in diesen Jahren (GA 39,423).«

Die Behauptung, das wichtigste Element in der »Geheimwissenschaft im Umriss« und ihrer »Konstruktionslogik« sei die »Evolutionstheorie«, ist einerseits trivial, zumal es ja in der »Geheimwissenschaft« um die Entwicklung von Kosmos und Menschheit geht, andererseits falsch, da Steiner in der »Geheimwissenschaft« ebensowenig den Evolutionsbegriff der zeitgenössischen Naturwissenschaft übernahm, wie er dies in seinen Goetheschriften vor der Jahrhundertwende tat.

Die Distanz zu Haeckel ist unübersehbar.

Evolution ist in der »Geheimwissenschaft« ein hochkomplexer Vorgang interferierender Schöpfungs- und Entwicklungsprozesse, in denen Weltentwürfe trinitarischen Ursprungs, freie Willensentscheidungen hierarchischer Wesenheiten, zyklische Zeitformen, Spiegelungsgesetze, Anpassungen an entstandene Umgebungen, rückläufige und vorwärtslaufende Zeitströmungen ineinander verflochten sind.

In Haeckels Vorstellungen der Evolution geht es nur um sexuelle Zuchtwahl, Anpassung und Überleben der Stärkeren. Er kennt weder eine Trinität, noch ein hierarchisches Schöpfungs- und Opferwirken, weder zyklische Zeitformen oder Spiegelungsgesetze, noch einen präexistenten Menschen, der von Anfang an Ziel des Evolutionsgeschehens ist. Haeckels und Darwins einseitiges Verständnis der Evolution kritisiert Steiner bereits in den »Einleitungen zu Goethes Naturwissenschaftlichen Schriften« 1883:

»Da sah Goethe alle äußeren Merkmale der Pflanze, alles was an ihr dem Augenscheine angehört, unbeständig, wechselnd. Er zieht daraus den Schluß, daß also in diesen Eigenschaften das Wesen der Pflanze nicht liege, sondern tiefer gesucht werden müsse. Von ähnlichen Beobachtungen, wie hier Goethe, ging auch Darwin aus, als er seine Zweifel über die Konstanz der äußeren Gattungs- und Artformen zur Geltung brachte. Die Resultate aber, welche von den beiden gezogen werden, sind durchaus verschieden. Während Darwin in jenen Eigenschaften das Wesen des Organismus in der Tat für erschöpft hält und aus der Veränderlichkeit den Schluß zieht: Also gibt es nichts Konstantes im Leben der Pflanzen, geht Goethe tiefer und zieht den Schluß: Wenn jene Eigenschaften nicht konstant sind, so muß das Konstante in einem anderen, welches jenen veränderlichen Äußerlichkeiten zugrunde liegt, gesucht werden. Dieses letztere auszubilden wird Goethes Ziel, während Darwins Bestrebungen dahin gehen, die Ursachen jener Veränderlichkeit im einzelnen zu erforschen und darzulegen. Beide Betrachtungsweisen sind notwendig und ergänzen einander. Man geht ganz fehl, wenn man Goethes Größe in der organischen Wissenschaft darinnen zu finden glaubt, daß man in ihm den bloßen Vorläufer Darwins sieht. Seine Betrachtungsweise ist eine viel breitere; sie umfaßt zwei Seiten:

1. Den Typus, d. i. die sich im Organismus offenbarende Gesetzlichkeit, das Tier-Sein im Tiere, das sich aus sich herausbildende Leben, das Kraft und Fähigkeit hat, sich durch die in ihm liegenden Möglichkeiten in mannigfaltigen, äußeren Gestalten (Arten, Gattungen) zu entwickeln.

2. Die Wechselwirkung des Organismus und der unorganischen Natur und der Organismen untereinander (Anpassung und Kampf ums Dasein).

Nur die letztere Seite der Organik hat Darwin ausgebildet. Man kann also nicht sagen: Darwins Theorie sei die Ausbildung von Goethes Grundideen, sondern sie ist bloß die Ausbildung einer Seite der letzteren. Sie blickt nur auf jene Tatsachen, welche veranlassen, daß sich die Welt der Lebewesen in einer gewissen Weise entwickelt, nicht aber auf jenes ›Etwas‹, auf welches jene Tatsachen bestimmend einwirken. Wenn die eine Seite allein verfolgt wird, so kann sie auch durchaus nicht zu einer vollständigen Theorie der Organismen führen, sie muß wesentlich im Geiste Goethes verfolgt werden, sie muß durch die andere Seite von dessen Theorie ergänzt und vertieft werden.« (GA 1, 1977, S. 29-31)

Ebenso unzutreffend ist die Bemerkung, die Evolution sei »auf Höherentwicklung teleologisiert«.

Viel eher könnte man von zunehmender Explikation, Komplexität und Integration sprechen: in dieser durchdringen sich aber das Tiefer- und das Höhersteigen, Evolution und Involution (oder Devolution). Hier sei lediglich an den Satz aus der »Akasha-Chronik« erinnert: »An sich ist überhaupt nicht etwas ein Höheres oder Niedrigeres, sondern nur im Verhältnis zu einem anderen. Und was in einer Beziehung hoch steht, kann nach einer anderen Richtung sehr tief stehen.« (GA 11, Tb-Ausgabe, S. 104.)

Dass Steiner die Rekapitulation früherer Entwicklungszustände in späteren aufgrund seiner »Verehrung für Haeckel« in seine Evolutionstheorie eingebaut habe, ist ein der Konstruktionslogik der Texte, auf die sie sich bezieht, widersprechendes Argument. Folgt man nämlich dieser Konstruktionslogik, ergibt sich diese Rekapitulation als Konsequenz aus der inneren Systematik des Gedankenaufbaus und bedarf keiner psychologischen Scheinerklärung. Auch hier geht Zander einmal mehr nicht auf die innere argumentative Logik des Gedankengangs ein, mit dem er sich auseinandersetzt, sondern sucht nach sachfremden Erklärungen für etwas, das keiner »Erklärung« bedarf.

Bereits in den »Einleitungen zu Goethes Naturwissenschaftlichen Schriften« kritisierte Steiner 1883 Darwin und Haeckel wegen solcher Scheinerklärungen:

»In Goethes Begriffen erhalten wir auch eine ideelle Erklärung für die durch Darwin und Haeckel gefundene Tatsache, daß die Entwicklungsgeschichte des Individuums eine Repetition der Stammesgeschichte repräsentiert. Denn für mehr als eine unerklärte Tatsache kann das, was Haeckel hier bietet, doch nicht genommen werden. Es ist die Tatsache, daß jedes Individuum alle jene Entwicklungsstadien in abgekürzter Form durchmacht, welche uns zugleich die Paläontologie als gesonderte organische Formen aufweist. Haeckel und seine Anhänger erklären dieses aus dem Gesetze der Vererbung. Aber letzteres ist selbst nichts anderes als ein abgekürzter Ausdruck für die angeführte Tatsache. Die Erklärung dafür ist, daß jene Formen sowie jedes Individuum die Erscheinungsformen eines und desselben Urbildes sind, welches in aufeinanderfolgenden Zeitperioden die der Möglichkeit nach in ihm liegenden Gestaltungskräfte zur Entfaltung bringt. Jedes höhere Individuum ist eben dadurch vollkommener, daß es durch die günstigen Einflüsse seiner Umgebung nicht gehindert wird, sich seiner inneren Natur nach völlig frei zu entfalten. Muß das Individuum dagegen durch verschiedene Einwirkungen gezwungen auf einer niedrigeren Stufe stehenbleiben, so kommen nur einige von seinen inneren Kräften zur Erscheinung, und es ist dann bei ihm das ein Ganzes, was bei jenem vollkommeneren Individuum nur ein Teil eines Ganzen ist. Und auf diese Weise erscheint der höhere Organismus in seiner Entwicklung aus den niedrigeren zusammengesetzt oder auch die niedrigeren erscheinen in ihrer Entwicklung als Teile des höheren. Wir müssen daher in der Entwicklung eines höheren Tieres die Entwicklung aller niedrigeren wieder erblicken (biogenetisches Gesetz). Sowie der Physiker nicht damit zufrieden ist, bloß die Tatsachen auszusprechen und zu beschreiben, sondern nach den Gesetzen derselben forscht, d. h. nach den Begriffen der Erscheinungen, so kann es auch demjenigen, der in die Natur der organischen Wesen eindringen will, nicht genügen, wenn er bloß die Tatsachen der Verwandtschaft, Vererbung, Kampf ums Dasein usw. anführt, sondern er will die diesen Dingen zugrunde liegenden Ideen erkennen. Dieses Streben finden wir bei Goethe.« (GA 1, 1977, S. 104-105)