Laut Zander hatte Steiners »Selbstverständnis als Hellseher« massive Folgen für die Deutung des biblischen Textes. Er strebte, so Zander, eine Herrschaft der Schau über den biblischen Text an.

Auf S. 827 schreibt Zander:

»Steiners Selbstverständnis als Hellseher zeitigte auch ohne die Überhöhung [von Steiner] als Boddhisattva massive Folgen für die Deutung des biblischen Textes, wie sich mit exemplarischen Äußerungen Steiners deutlich machen lässt:

...

Die den Evangelien zugrunde liegenden Wahrheiten seien nicht mit Hilfe ›äußerer Dokumente‹ zu erfassen, sondern nur durch ›Selbstseher‹ (GA 114,171).

...

Derartige Aussagen laufen auf die Herrschaft der Schau über den bliblischen Text hinaus, auf einen übersinnlichen Absolutheitsanspruch.«

Die von Zander zitierte Aussage Steiners bezieht sich nicht auf Steiner, sondern auf die Verfasser der Evangelien.

Im betreffenden Vortragstext heißt es:

»Und der Schreiber des Lukas-Evangeliums, der insbesondere in diesen Partien auf die Darstellungen der Heilwirkungen ausgeht, wollte zeigen, wie die Heilwirkungen des Ich uns darstellen die Entfaltung des Ich auf einem hohen Gipfel der Menschheitsentwickelung, und er zeigt, wie der Christus wirken musste ...

Das sind solche Wahrheiten, wie sie den Evangelien zugrunde liegen, und die nur diejenigen schreiben konnten, die sich nicht auf äußere Dokumente stützten, sondern auf das Zeugnis derjenigen, die ›Selbstseher‹ und ›Diener des Wortes‹ waren.«

Die Ausdrücke »Selbstseher« und »Diener des Wortes« sind Zitate aus dem Lukas-Evangelium. Am Anfang des Evangeliums heißt es:

»Viele haben es schon unternommen, Bericht zu geben von den Geschichten, die unter uns geschehen sind, wie uns das überliefert haben, die es von Anfang an selbst gesehen haben [ap arches autoptai] und Diener des Wortes [hyperetai tou logou] gewesen sind.« (Lk, 1,1-2)

Wenn jemandem vorgeworfen werden müsste, einen »übersinnlichen Absolutheitsanspruch« angestrebt zu haben, dann dem Verfasser des Lukas-Evangeliums.

Rudolf Steiner, Das Lukas-Evangelium, GA 114, Dornach 1985, S. 171.

Ausführungen Steiners über die Vorbereitung zur Schau des ätherischen Christus im 20. Jahrhundert liest Zander als Beleg dafür, dass Steiner eine »Herrschaft der Schau« über den biblischen Text und einen »übersinnlichen Absolutheitsanspruch« angestrebt habe.

Auf S. 827 schreibt Zander:

»Steiners Selbstverständnis als Hellseher zeitigte auch ohne die Überhöhung [von Steiner] als Bodhisattva massive Folgen für die Deutung des biblischen Textes, wie sich mit exemplarischen Äußerungen Steiners deutlich machen lässt:

...

Nur denjenigen, die ›durch die anthroposophische Weltanschauung‹ vorbereitet seien, das Christus-Ereignis ›verständnisvoll, lichtvoll zu schauen‹, werde Christus als ›Herr des Karma‹ zwischen zwei Inkarnationen nicht ›erscheinen wie eine furchtbare Strafe‹ (GA 131, 222).

...

Derartige Aussagen laufen auf die Herrschaft der Schau über den biblischen Text hinaus, auf einen übersinnlichen Absolutheitsanspruch.«

Die von Zander zitierten Aussagen Steiners beziehen sich nicht auf die Evangelien und den historischen Christus, sondern auf die Wiederkunft Christi im 20. Jahrhundert in ätherischer Gestalt. Von einem »Herrschaftsanspruch« der Schau über den biblischen Text kann also keine Rede sein, da es im betreffenden Vortrag gar nicht um eine Bibelinterpretation geht.

Im Originaltext ist nicht von einem »lichtvollen Schauen« des Christus-Ereignisses die Rede, sondern von einem »lichtvollen Verstehen«. Nicht um das »verständnisvolle, lichtvolle Schauen« geht es Steiner also, sondern um das »lichtvolle Verstehen« des Geschauten. Diese Nuance ist von Bedeutung, weil Zander behauptet, Steiner strebe die »Herrschaft der Schau« über den biblischen Text an. Um die Schau geht es aber in der zitierten Aussage gerade nicht, sondern um das Verstehen.

Im betreffenden Vortrag heißt es:

»Nicht das Schauen des Christus-Ereignisses hängt davon ab, ob wir in einem physischen Leibe verkörpert sind, wohl aber die Vorbereitung dazu. Gerade so wie es notwendig war, dass das erste Christus-Ereignis auf dem physischen Plan sich abgespielt hat, damit es dem Menschen zum Heile gereichen konnte, so muss die Vorbereitung, um das Christus-Ereignis des zwanzigsten Jahrhunderts zu schauen, hier in der physischen Welt gemacht werden. Denn der Mensch, der es unvorbereitet schaut wenn seine Kräfte erwacht sind, wird es nicht verstehen können. Da wird ihm der Herr des Karma erscheinen wie eine furchtbare Strafe. Um dieses Ereignis lichtvoll zu verstehen, muss der Mensch vorbereitet sein. Dazu aber geschieht die Ausbreitung der anthroposophischen Weltanschauung auf dem physischen Plan, um entweder auf dem physischen Plan oder auf höheren Planen das Christus-Ereignis wahrnehmen zu können.«

Rudolf Steiner, Von Jesus zu Christus, Dornach 1985 (tb), S. 222.

Steiner soll nach Zander eine »Herrschaft der Schau« über den Text der Bibel und einen »übersinnlichen Absolutheitsanspruch« gegenüber der christlichen Offenbarung angestrebt haben. Aussagen Steiners über das Hellsehen der Jünger und Apostel münzt Zander unter der Hand zu Aussagen Steiners über seine eigene Hellsicht um.

Auf S. 827 schreibt Zander:

»Steiners Selbstverständnis als Hellseher zeitigte auch ohne die Überhöhung [von Steiner] als Bodhisattva massive Folgen für die Deutung des biblischen Textes, wie sich mit exemplarischen Äußerungen Steiners deutlich machen lässt:

...

›Es gibt nur einen hellseherischen Weg zu dem Mysterium von Golgatha, trotzdem es auf dem physischen Plan sich vollzogen hat.‹ (GA 139, 188)

...

Derartige Aussagen laufen auf die Herrschaft der Schau über den biblischen Text hinaus, auf einen übersinnlichen Absolutheitsanspruch.«

Dieses Zitat ist ein besonders krasses Beispiel für die verfälschende Patchworktechnik Zanders.

Ausführungen Steiners über die Evangelisten und Jünger, die keine unmittelbaren Augenzeugen des Mysteriums von Golgatha – des Todes und der Auferstehung waren – werden von Zander zu Aussagen Steiners über sich selbst umgedeutet. Steiner spricht dagegen davon, dass Christus in den Jüngern das »hellseherische Schauen entflammt« habe, so dass sie, »was sie nicht mit physischen Augen mit angesehen hatten, weil sie entflohen waren, hinterher hellseherisch geschaut haben«. In den Jüngern trat so durch die Einwirkung Christi eine hellseherische Erinnerung an Ereignisse auf, bei denen sie selbst nicht physisch anwesend waren. Auf diesen Vorgang bezieht sich der Satz: »Es gibt nur einen hellseherischen Weg zu dem Mysterium von Golgatha, trotzdem es auf dem physischen Plan sich vollzogen hat.«

Im Zusammenhang lauten die Ausführungen Steiners wie folgt:

»Die Menschen, die Materialisten sein wollen, die durchaus nur an das glauben wollen, was sich dem materialistischen Bewusstsein im Sinnensein ergibt, sie können keinen Weg finden zu dem Christus Jesus. Denn dieser Weg ist abgeschnitten worden dadurch, dass diejenigen, welche dem Christus am nächsten standen, ihn gerade, während sich das Mysterium von Golgatha vollzogen hat, verlassen haben und ihn erst später wiedergetroffen haben, also nicht mitgemacht haben, was sich dazumal auf dem physischen Plan in Palästina zugetragen hat. Und dass keine irgendwie glaubwürdigen Dokumente von der anderen Seite gegeben worden sind, das weiß ja jedermann. Dennoch haben wir im Markus-Evangelium und in den anderen Evangelien Schilderungen gerade dieses Mysteriums von Golgatha.

Wie sind diese Schilderungen zustande gekommen ? Dies ins Auge zu fassen, ist außerordentlich wichtig. Betrachten wir diese Schilderungen an dem einzelnen Fall, an dem Fall des Markus-Evangeliums. Es wird uns ja hinlänglich auch im Markus-Evangelium angedeutet, wenn auch kurz und prägnant, nach der Auferstehungsszene, dass der Jüngling im weißen Talar, das heißt der kosmische Christus, nachdem das Mysterium sich vollzogen hatte, den Jüngern wieder sich gezeigt hat, auf die Jünger Impulse ausgeübt hat. Und so konnten denn solche Jünger, solche Apostel, wie es etwa Petrus war, nachher dadurch, dass sie durchdrungen waren von dem Impuls, der auf sie ausgeübt wurde, zum hellseherischen Schauen entflammt werden, so dass sie das, was sie nicht mit physischen Augen mit angesehen hatten, weil sie entflohen waren, hinterher hellseherisch geschaut haben. Petrus und den anderen, welche auch Schüler sein durften nach der Auferstehung des Christus Jesus, wurden die Augen hellseherisch geöffnet, so dass sie hellseherisch schauen durften das Mysterium von Golgatha.

Es gibt nur einen hellseherischen Weg zu dem Mysterium von Golgatha, trotzdem es auf dem physischen Plan sich vollzogen hat. Das müssen wir festhalten. Das deutet das Evangelium ganz klar an, indem es schildert, dass die Berufensten im entscheidenden Augenblicke geflohen waren; so dass also in einer solchen Seele, wie es die Petrus-Seele war, nachdem sie den Impuls des Auferstandenen empfangen hatte, aufleuchtete die Erinnerung an das, was geschehen war nach der Flucht. Sonst erinnert sich der Mensch nur an das, wo er im Sinnensein dabeigewesen war. Bei einem solchen Hellsehen, das da bei den Jüngern auftrat, ist es gegenüber dem gewöhnlichen Erinnern so, dass man Ereignisse – physisch-sinnliche – wie im Gedächtnis hat, aber solche, bei denen man nicht dabeigewesen ist. Denken Sie also in bezug auf das Aufleuchten der Erinnerung in einer solchen Seele, wie die Petrus-Seele war, an die Ereignisse, bei denen sie nicht unmittelbar dabeigewesen ist. Und so lehrte der Petrus zum Beispiel die, welche ihn hören wollten, aus seinem Gedächtnis heraus über das Mysterium von Golgatha, lehrte sie das, an was er sich erinnerte, trotzdem er nicht dabeigewesen ist.

In dieser Weise kam es zur Lehre, zur Offenbarung des Mysteriums von Golgatha. Aber der Impuls, der von dem Christus auf solche Jünger wie Petrus ausgegangen war, konnte sich mitteilen auch an die, welche wieder Schüler dieser Jünger waren. Ein solcher Schüler des Petrus war der, welcher ursprünglich zusammengestellt hat – allerdings nur mündlich – das sogenannte  Markus-Evangelium. So ging der Impuls, der sich in Petrus selber geltend gemacht hatte, auf die Markus-Seele über, so dass Markus selber in seiner eigenen Seele das aufleuchten sah, was in Jerusalem als Mysterium von Golgatha sich vollzogen hatte.«

Rudolf Steiner, Das Markus-Evangelium, GA 139, Dornach 1988 (tb), S. 187-188.

Zander unterstellt Steiner, er habe die »leibliche Konstitution« des Christus bei der Kreuzigung »bis zur Irrelevanz« abgewertet. Als Beleg zitiert er Ausführungen Steiners über den christlich-gnostischen Schulungsweg.

Auf S. 829 schreibt Zander:

»Angesichts von Aussagen, in denen Steiner die leibliche Konstitution ›des Christus‹ bis zur Irrelevanz abwertete, wird er von Theologen in die doketische Tradition gestellt.159

Anmerkung 159:

Der Leib sei bei der Kreuzigung ›eigentlich ein gleichgültiges Objekt ... gegenüber der Seele‹ (GA 97, 188 [1907]).«

Zander zitiert Ausführungen Steiners über den »christlich-gnostischen Schulungsweg« aus dem Jahr 1906. Steiner spricht an der betreffenden Stelle nicht über die Kreuzigung, sondern über die Stufe des christlich-gnostischen Schulungsweges, auf der diese Kreuzigung vom Schüler mystisch nacherlebt wird.

Im Original lautet die von Zander zitierte Passage:

»Viertens die Kreuztragung [Kreuzigung]: Hier soll dem Schüler zum Erlebnis werden, dass der Leib eigentlich ein gleichgültiges Objekt ist gegenüber der Seele und deren Wichtigkeit. Sind wir uns dessen wirklich bewusst, dann werden wir auch imstande sein, den Leib bloß als Instrument zu höheren Dingen zu benutzen, dann werden wir ihn wirklich beherrschen. Symptome: Erscheinen der Wundmale Christi als gerötete Stellen an Händen und Füßen. Diese Blutsprobe tritt freilich nur für Augenblicke während der Meditation auf. Innerliche Vision, dass man selber gekreuzigt werde.« (»Das christliche Mysterium«, GA 97, Vortrag vom 19. September 1906. Der Vortrag wird von Zander fälschlicherweise auf das Jahr 1907 datiert.)

Diese Passage stellt keine Interpretation des Kreuzigungsgeschehens und der Rolle der physischen Konstitution Christi bei der Kreuzigung dar. Die auf sie gestützte Behauptung, Steiner habe die »leibliche Konstitution des Christus bei der Kreuzigung bis zur Irrelevanz abgewertet« ist falsch. Hätte sich Zander im von ihm zitierten Band etwas umgesehen, hätte er Ausführungen Steiners finden können, die auf die tiefere Bedeutung der Inkarnation Christi, der Fleischwerdung des Wortes, hindeuten und dessen physische Konstitution keineswegs bis zur Irrelevanz abwerten und zwar schon im Jahr 1906, im Vortrag vom 2. Dezember in Köln über das «Mysterium von Golgatha«.

Steiner führt hier aus:

»Könnten wir von einem fernen Stern herunterschauen auf die Erde durch lange Jahrtausende hindurch, so würden wir einen Zeitpunkt finden, wo Christus so auf der Erde wirkt, daß die ganze Astralmaterie von dem Christus durchdrungen ist. Der Christus ist der Erdengeist, und die Erde ist sein Leib. Alles, was auf der Erde lebt und sprießt und wächst, das ist der Christus. Er ist in all den Samenkörnern, in all den Bäumen und in allem, was auf der Erde wächst und sprießt. Darum mußte Christus hindeuten auf das Brot und sprechen: ›Das ist mein Leib.‹ Und von dem Saft der Weintrauben – beim Abendmahl handelte es sich nicht um einen schon gegorenen Wein – mußte er sagen: ›Dies ist mein Blut‹, denn der Saft der Früchte der Erde ist sein Blut. Die Menschheit muß ihm darum auch erscheinen wie Wesenheiten, die auf seinem Leibe umhergehen. Darum sprach er auch zu seinen Jüngern nach der Fußwaschung: ›Der mein Brot isset, der tritt mich mit Füßen.‹ Dieser Ausspruch ist wörtlich zu nehmen in dem Sinne, daß die Erde der Leib des Christus ist. Gerade dadurch, daß er sich zum Träger der Erdenentwickelung macht, würde ein ferner Geist sehen können, wie immer mehr von seinem Geist einfließt in die Menschen – das Hineinziehen der Substanz des Christus Jesus in jeden einzelnen Menschen hinein. Am Ende würde er die ganze Erde verwandelt sehen, verchristete Menschen tragend, durch Christus vergottete Menschen. Nur was nicht teilgenommen hat an dieser Vergottung, das wird als das Böse beiseite gesetzt. Das muß einen späteren Zeitpunkt für seine Entwickelung zum Guten abwarten.

Alle verschiedenen Völker vor dem Erscheinen des Christus auf der Erde hatten Mysterien. Es wurde dargestellt in den Mysterien, was in der Zukunft geschehen sollte. Die Schüler wurden durch lange Übungen darauf vorbereitet, daß sie die Grablegung durchmachen konnten. Der Hierophant konnte den Schüler dann in einen höheren Bewußtseinszustand bringen, wo er in einer Art von tiefem Schlaf war. In alten Zeiten mußte immer das Bewußtsein herabgedrückt werden, wenn das Göttliche im Menschen zum Vorschein kommen sollte. Da wurde die Seele durch die Regionen der geistigen Welt hindurchgeführt, und nach drei Tagen wurde der Mensch durch den Hierophanten wiederbelebt. Dann fühlte er sich als ein neuer Mensch. Er bekam einen neuen Namen. Er wurde dann ein Gottessohn genannt.

Dieser ganze Vorgang spielte sich im Mysterium von Golgatha draußen auf dem physischen Plan ab. Vorher wurden die Schüler durch einen Geistesfunken des Christus belebt, und es wurde ihnen gesagt: Es wird einmal Einer kommen, der es allen Menschen möglich machen wird, verchristet zu werden. Einer wird wirklich das Wort im Fleisch sein. Ihr könnt dies nur drei Tage lang erfahren, da durchwandelt ihr die Reiche der Himmel. Aber Einer wird kommen, der durchwandelt immer die Reiche der Himmel, der wird die Reiche der Himmel mit in die physische Welt hineintragen.

...

Der höchste Erdengeist mußte in einem Leibe inkarniert werden. Dieser Leib mußte absterben, getötet werden, das Blut mußte rinnen. Das bedeutet etwas Besonderes. Überall, wo Blut ist, ist das Selbst. Sollen alle alten Selbstgemeinschaften aufhören, dann muß die Selbstheit, die im Blute sitzt, einmal hingeopfert werden. Alle Einzelegoismen fließen hin mit dem Blute Christi am Kreuze. Das Blut der Stammesgemeinschaften wird ein gemeinsames Menschenblut dadurch, daß in jenem Zeitpunkt das Blut Christi geopfert worden ist.

Da geschah wieder etwas, was ein astraler Betrachter in der Astralatmosphäre hätte beobachten können: Die ganze astrale Atmosphäre der Erde änderte sich in dem Momente, wo er starb, so daß Ereignisse möglich waren, die früher nie möglich gewesen wären. Die plötzliche Initiation – wie bei Paulus – wäre früher nie möglich gewesen. Sie ist dadurch möglich geworden, daß durch das Fließen des Blutes Christi die ganze Menschheit zu einem gemeinschaftlichen Selbst geworden ist. Damals floß das Selbst aus dem Blute der Wunden Jesu. Nur die drei Leiber blieben am Kreuze hängen und wurden später wieder belebt von dem Auferstandenen.In dem Augenblicke als der Christus den Leib verließ, waren die drei Leiber so stark, daß sie imstande waren, selbst das Wort zu sprechen, was der Verklärte nach der Initiation gesprochen hat: ›Eli, Eli, lama sabachthani.‹«

 

GA 97, S. 69-76, Dornach 1981

Zur christlichen Trinitätslehre hatte Steiner laut Zander ein »unbedarftes Verhältnis«. Über die Trinität soll er »polytheistisch« gesprochen haben.

Auf S. 830 schreibt Zander:

»Zur Reflexion der Christologie im Rahmen der Trinitätslehre besaß Steiner ein unbedarftes Verhältnis. Hart mythologische Vorstellungen ... stehen neben Äußerungen, in denen der Trinität topographisch ein Reich ›über den Seraphim‹ ... zugewiesen wird oder in denen sie polytheistisch erscheint, wenn Steiner ›von dem Vatergotte, von dem Sohnesgotte und dem Gott, dem Heiligen Geist‹ sprach.«

Im Original lautet Steiners angeblich polytheistische Deutung der Trinität:

»Es ist nicht bloß eine ausgeklügelte Formel, die Trinität von dem Vatergotte, von dem Sohnesgotte und von dem Gotte, dem Heiligen Geist, es ist etwas, was tief mit der ganzen Evolution des Kosmos verbunden ist und was uns wird als eine lebendige, nicht als eine tote Erkenntnis, wenn wir den Christus selber als einen Auferstandenen in uns lebendig machen, der der Bringer des Heiligen Geistes ist.« (»Das Geheimnis der Trinität«, GA 214, Dornach 1980, S. 171.)

Offenbar spielt Steiner hier auf eine »Formel« an: die Formel des athanasischen Glaubensbekenntnisses, in dem es heißt: »So ist der Vater Gott, der Sohn Gott, der Heilige Geist Gott. Und doch sind es nicht drei Götter, sondern ein Gott.«

Zanders Vorwurf des Polytheismus träfe damit auch dieses Bekenntnis.

Der volle Wortlaut des Bekenntnisses, das vermutlich aus dem sechsten Jahrhundert nach Christus stammt und im Lauf des 13. Jahrhunderts von der römisch-katholischen Kirche dem Apostolischen und dem Nizänischen Glaubensbekenntnis in seiner Dignität gleichgestellt wurde, lautet:

»Wer da selig werden will, der muss vor allem den allgemeinen Glauben festhalten.

Jeder, der diesen nicht unversehrt und unverletzt bewahrt, wird ohne Zweifel ewig verloren gehen.

Dies aber ist der allgemeine Glaube:

Wir verehren den einen Gott in der Dreifaltigkeit und die Dreifaltigkeit in der Einheit, ohne Vermischung der Personen und ohne Trennung der Wesenheit.

Denn eine andere ist die Person des Vaters, eine andere die des Sohnes; eine andere die des Heiligen Geistes. Aber der Vater und der Sohn und der Heilige Geist haben nur eine Gottheit, die gleiche Herrlichkeit, gleichewige Majestät.

Wie der Vater ist, so ist der Sohn
und so der Heilige Geist:

Ungeschaffen der Vater, ungeschaffen der Sohn,
ungeschaffen der Heilige Geist.

Unermesslich der Vater, unermesslich der Sohn,
unermesslich der Heilige Geist.

Ewig der Vater, ewig der Sohn,
ewig der Heilige Geist.

Und doch sind es nicht drei Ewige, sondern ein Ewiger, wie es auch nicht drei Ungeschaffene oder drei Unermessliche sind, sondern ein Ungeschaffener und ein Unermesslicher.

Ebenso ist allmächtig der Vater, allmächtig der Sohn,
allmächtig der Heilige Geist. Und doch sind es nicht drei Allmächtige, sondern ein Allmächtiger.

So ist der Vater Gott, der Sohn Gott, der Heilige Geist Gott. Und doch sind es nicht drei Götter, sondern ein Gott.

So ist der Vater Herr, der Sohn Herr, der Heilige Geist Herr. Und doch sind es nicht drei Herren, sondern ein Herr.

Denn wie uns die christliche Wahrheit zwingt, jede Person einzeln für sich als Gott und als Herrn zu bekennen, so verbietet uns der allgemeine Glaube, von drei Göttern oder Herren zu sprechen.

Der Vater ist von niemandem gemacht noch geschaffen noch gezeugt. Der Sohn ist vom Vater allein, nicht gemacht noch geschaffen, aber gezeugt. Der Heilige Geist ist vom Vater und vom Sohn, nicht gemacht noch geschaffen noch gezeugt, sondern hervorgehend.

Es ist also ein Vater, nicht drei Väter, ein Sohn, nicht drei Söhne, ein Heiliger Geist, nicht drei Heilige Geister.

Und in dieser Dreifaltigkeit ist nichts früher oder später, nichts größer oder kleiner, sondern alle drei Personen sind einander gleichewig und gleichrangig, so dass in allem, wie bereits oben gesagt worden ist, die Dreifaltigkeit in der Einheit und die Einheit in der Dreifaltigkeit zu verehren ist.

Wer also selig werden will, soll diese Auffassung von der Dreifaltigkeit haben.

Aber zum ewigen Heil ist es [ferner] nötig, auch an die Fleischwerdung unseres Herrn Jesus Christus aufrichtig zu glauben.

Der richtige Glaube ist nun dieser: Wir glauben und bekennen, dass unser Herr Jesus Christus, der Sohn Gottes, zugleich Gott und Mensch ist.

Gott ist er aus der Wesenheit des Vaters, vor den Zeiten gezeugt, und Mensch ist er aus der Wesenheit der Mutter, in der Zeit geboren.

Vollkommener Gott, vollkommener Mensch, bestehend aus einer vernünftigen Seele und menschlichem Fleisch.

Dem Vater gleich der Gottheit nach, geringer als der Vater der Menschheit nach.

Doch obwohl er Gott und Mensch ist, sind es nicht zwei, sondern ein Christus.

Einer aber nicht dadurch, dass die Gottheit in Fleisch verwandelt worden wäre, sondern dadurch dass Gott die Menschheit angenommen hat.

Er ist ganz und gar einer nicht durch eine Vermischung der Wesenheit, sondern durch die Einheit der Person.

Denn wie vernünftige Seele und Fleisch einen Menschen ergeben, so ergeben Gott und Mensch einen Christus, der gelitten hat um unseres Heils willen, herabgestiegen ist zur Unterwelt, auferstanden ist von den Toten, aufgestiegen ist zum Himmel, sich gesetzt hat zur Rechten des Vaters, von wo er kommen wird, um Lebende und Tote zu richten.

Bei seiner Ankunft werden alle Menschen mit ihren Leibern auferstehen und über ihre Taten Rechenschaft ablegen.

Und die Gutes getan haben, werden ins ewige Leben eingehen, die Böses [getan haben], in das ewige Feuer.

Dies ist der allgemeine Glaube.

Jeder, der ihn nicht aufrichtig und fest glaubt,
kann nicht selig werden.«

Zum athanasischen Glaubensbekenntnis siehe: Wikipedia