Zander behauptet kategorisch, die Waldorfschulen besäßen ein »hierarchisiertes System von Kollektivorganen« der Selbstverwaltung. Steiner habe mit solchen zwiebelartigen Strukturen die Formen abgestufter Öffentlichkeit aus der esoterischen Arbeit der Theosophie in die Waldorfschule implantiert.

Auf S. 1400-1401 schreibt Zander:

»Über das ›unsichtbare‹ personale Gefälle hinaus besitzen die Waldorfschulen ein hierarchisiertes System von Kollektivorganen. Steiner schuf ein ›engeres Kollegium‹, in dem nur die ›Klassenlehrer … mit den älteren Fachlehrern‹ sitzen sollten, während alle anderen ins ›erweiterte Kollegium‹ abgeschoben wurden (GA 300a,198). Das ›engere Kollegium‹ heißt heute an Waldorfschulen in Abgrenzung zur Gesamtkonferenz ›interne Konferenz‹ und besitzt die Kompetenz in den zentralen pädagogischen und machtpolitischen Bereichen: Sie entscheidet über die pädagogischen Weichenstellungen sowie über Personal- und Finanzfragen. ... Mit diesen zwiebelschalenartigen Strukturen implantierte Steiner die Formen abgestufter Öffentlichkeit aus der esoterischen Arbeit der Theosophie in die Waldorfschule.«

Bei diesen Aussagen handelt es sich um unzulässige Verallgemeinerungen bzw. um Interpolationen der Schulstrukturen zu Steiners Lebzeiten in die Gegenwart. Offensichtlich hat Zander keine Recherche bei den mittlerweile über 200 Waldorfschulen in Deutschland oder den über 1000 weltweit durchgeführt, die seine pauschalen Behauptungen rechtfertigen würden. Da jede einzelne Waldorfschule sich tatsächlich als »Lehrer-Republik« selbst verwaltet, finden sich in den Schulen weltweit die unterschiedlichsten Strukturen der Selbstverwaltung, die von lokalen personellen und ideellen Gegebenheiten abhängen. Mit »zwiebelartigen« Strukturen einer irgendwie gearteten esoterischen theosophischen Arbeit haben diese Unterschiede nichts zu tun. Meist sind Differenzierungen der Verantwortungsbereiche Ausdruck eines natürlichen Erfahrungs- und Kompetenzgefälles. Da Zander weder Waldorflehrer ist, noch über irgendwelche Erfahrungen mit Waldorfschulen verfügt, vielmehr seine Kenntnisse aus – zudem überwiegend kritischer – Literatur und damit aus zweiter oder dritter Hand schöpft, kranken all seine Aussagen über die konkret gelebte Waldorfpädagogik an einem unübersehbaren Mangel an empirischem Gehalt. Über weite Teile stellen Zanders Auseinandersetzungen mit »der Waldorfpädagogik« damit eine Phantomdebatte dar.

Zander gesteht dies im Prinzip auch selbst zu, wenn er auf S. 1401 schreibt: »In welchem Ausmaß die Ideale der Schule ... noch funktionieren, ist von außen nicht erkennbar.«

Was die Mitwirkung von Eltern an Waldorfschulen anbetrifft, so ist deren Rolle bei Zander unterbelichtet.

Auf S. 1402-1403 schreibt Zander:

»Bis heute stellen Waldorfkritiker fest, dass die Eltern praktisch keine Mitbestimmungsrechte in den Kernfragen des pädagogischen Handelns besitzen ... In der Mustersatzung eines Waldorfschulvereins ist lediglich vorgesehen, dass die Eltern, die sich in einer ›Eltern-Lehrer-Konferenz‹ zusammenschließen können, über Schulfragen ›beraten‹ und ›Empfehlungen erarbeiten‹ können.«

Zander unterschlägt sowohl, dass praktisch alle Waldorfschulen Elterngründungen sind, als auch, dass Eltern über ihre obligatorische Mitgliedschaft im Schulverein, dem Trägerverein einer Schule, durchaus Einflussmöglichkeiten bis in Kernfragen pädagogischen Handelns besitzen. Außerdem sind in den meisten Waldorfschulen die Vorstände der Schulen, die unter anderem Entscheidungen über die Zusammensetzung des Kollegiums treffen, paritätisch aus Eltern und Lehrern zusammengesetzt. Darüberhinaus sollte man die Einflussmöglichkeiten, die die regelmäßig stattfindenden Elternabende bieten, in denen die Lehrer den Eltern Rechenschaft über ihre Tätigkeit leisten, nicht unterschätzen.

Zanders Unfähigkeit, Geist als Realität und damit als etwas Wirkendes zu denken, schlägt sich in seiner Fehlinterpretation der pädagogischen Anthropologie Steiners nieder. So versteigt er sich zur abwegigen Behauptung, wenn Steiner von gesundheitlich nachteiligen Folgen einer frühzeitigen Überbeanspruchung des kindlichen Ätherleibs spreche, die sich in einem späteren Lebensalter zeigten, dann erliege er gegen seine Intention dem Materialismus.

Auf S. 1406 schreibt Zander:

»Innerhalb dieser Anthropologien finden sich schließlich, gegen Steiners Intention, materialistische Vorstellungen. Dazu kam es bei Steiner immer wieder, wie viele Beispiele belegen, wenn er etwa eine entwicklungspsychologisch ›falsche‹ Erziehung in somatischen Krankheiten münden sah: Werde etwa bei einem Kind ›das Gedächtnis mit acht, neun Jahren‹ überladen, habe dieser Mensch mit fünfzig Jahren ›unter einer furchtbaren Sklerose zu leiden, wird [er] eine Arterienverkalkung haben‹ (GA 311,14); oder: ›verfrühte naturgeschichtliche Betrachtungen‹ führen zur ›Vergilbtheit der Haut beim Menschen‹ (GA 301,125). ... In derartigen Vorstellungen verbindet sich der Materialismus mit Steiners Anspruch auf eine ›geistige‹ Deutung des Menschen, indem die Physis zur Funktion des Geistigen wird.«

Aus den etwas kryptischen Formulierungen Zanders darf man wohl schließen, dass er es für »materialistisch« hält, wenn »die Physis als Funktion des Geistigen« betrachtet wird. Historisch wurde diese Position aber dem Idealismus zugeordnet, die umgekehrte, dass der Geist eine Funktion der Physis ist, dagegen dem Materialismus. Entweder Zander erlag hier einer Verwechslung von Idealismus und Materialismus oder er legt eine private Definition des Materialismus zugrunde, die sich im Gegensatz zur gesamten Philosophietradition befindet. Grundsätzlich ist völlig rätselhaft, warum die Auffassung, der Geist könne auf den Leib einwirken, etwas mit Materialismus zu tun haben soll. Ist es Materialismus, wenn man eine vom Leib unabhängige Seele oder einen von diesem unabhängigen Geist behauptet? Ist die Überzeugung, die bewusste, ideelle Intention eines Menschen bewege seine Gliedmaßen, ein Ausdruck von Materialismus? Ist die Psychosomatik, die grundsätzlich von der Einwirkung seelischer Zustände auf den Leib ausgeht, materialistisch?

Die geradezu erschütternde Fehlinterpretation zeigt deutlich, wie wenig Zander in die Denkformen der pädagogischen Anthropologie Steiners bzw. der Anthroposophie eingedrungen ist. Außerdem blendet er das entscheidende Bindeglied der Gedankenkette aus: die Bedeutung des Ätherleibes und der Ätherkräfte für die Gesundheit des Menschen. Der Ätherleib stellt ein übersinnliches Kräftesystem dar (alles Kräfte sind übersinnlich), das sich im Aufbau des menschlichen Leibes betätigt, das aber auch die Grundlage der Vorstellungs- und Denktätigkeit des Menschen bildet. Wachstum und Gesundheit sind ebenso Ausdruck dieses Kräftesystems, wie die freie Beweglichkeit der Phantasie. Die leiblichen Abbau- und Degenerationsprozesse in der zweiten Lebenshälfte des Menschen sind eine Folge der Tatsache, dass die Kräfte dieses Ätherleibes sich allmählich vermindern, bzw. dass die abbauende Tätigkeit des Astralleibes zu überwiegen beginnt. Wenn die ätherischen Bildekräfte zu früh von ihrer leibaufbauenden Tätigkeit abgezogen werden, führt dies zu Beeinträchtigungen des Leibes und seiner Organe (»Sklerotisierung«). Die im späteren Lebensalter auftretende Sklerose ist eine Folge des verfrühten Eingriffs in die ätherische Organisation.

Eine im Jahr 2007 durchgeführte Untersuchung zur »Erkrankungsprävalenz ehemaliger Waldorfschüler« (Barz, Randoll, »Absolventen von Waldorfschulen«) zeigte einen signifikant geringeren Prozentsatz von arthrotischen Gelenkerkrankungen (die dem Typus sklerotischer Krankheiten angehören) bei ehemaligen Waldorfschülern im Vergleich mit der Durchschnittsbevölkerung (9% gegenüber 26,1%).

Ein zentrales methodisches Element der Waldorfpädagogik, den Epochenunterricht, versteht Zander nicht.

Auf S. 1410 schreibt Zander:

»In den Waldorfschulen ist der Lehrplan als ›Epochenunterricht‹ (GA 307,186) konzipiert, d.h. als chronologische Gliederung nach Geschichtsepochen, denen die anderen Unterrichtsgegenstände zugeordnet werden.«

Diese Definition ist falsch. Unter Epochenunterricht versteht die Waldorfpädagogik nicht eine chronologische Gliederung der Unterrichtsinhalte nach Geschichtsepochen, sondern die Erteilung bestimmter Fächer in meist drei bis vier Wochen dauernden zusammenhängenden Unterrichtsepochen während des täglichen Hauptunterrichts. Eine Vielzahl von Fächern, darunter Mathematik, Physik, Chemie, Menschenkunde, Hausbau, Landbau, Landeskunde werden in solchen mehrwöchigen Epochen unterrichtet. Unter dieser Voraussetzung sind auch die gesamten Ausführungen Zanders über den Zusammenhang zwischen Epochenunterricht und »Kulturstufen« falsch, die aus dieser Definition abgeleitet werden (S. 1410-1414).

Der Verweis Zanders führt ins Leere. In GA 307, S. 186 spricht Steiner zwar vom Epochenunterricht, aber nicht in dem von Zander referierten Sinn, sondern in dem hier richtiggestellten Sinn. Der Gesichtspunkt von dem aus Steiner in diesem Vortrag den Epochenunterricht begründet, ist der, dass die Pädagogik nicht nur mit der Erinnerung und den im Bewusstsein anwesenden Inhalten arbeiten müsse, sondern auch mit dem Vergessen und den Inhalten des unbewussten Seelenlebens:

»Es ist in diesen Tagen einmal gefragt worden, ob es denn gut sei, den Unterricht epochenweise zu erteilen, so wie er in der Waldorfschule erteilt wird. Wenn er richtig erteilt wird, dann ist gerade das epochenweise Erteilen dasjenige, was am allerfruchtbarsten sich erweist. Epochenartiger Unterricht heißt: ich nehme nicht so, dass fortwährend eines das andere beeinträchtigt, etwa von acht bis neun Uhr Rechnen, von neun bis zehn Uhr Geschichte oder Religion oder irgend etwas, was gerade passt, oder je nachdem der Lehrer in den Stundenplan hineinkommt; sondern ich setze mir drei, vier, fünf Wochen vor, in denen morgens durch zwei Stunden der Hauptunterricht in einem Fach erteilt wird. Es wird immer dasselbe getrieben. Dann wiederum durch fünf bis sechs Wochen im Hauptunterricht irgend etwas, das sich meinetwillen aus dem anderen entwickelt, aber wiederum in diesen zwei Stunden das gleiche. So dass durch Wochen hindurch das Kind auf etwas Bestimmtes konzentriert ist.

Nun entstand die Frage, ob denn dadurch nicht zu viel vergessen werde, ob dadurch nicht die Kinder wiederum das alles aus der Seele herausbekommen, was man in sie hineingebracht hat? Wird aber der Unterricht in der richtigen Weise getrieben, dann arbeitet ja während der Zeit, in welcher ein anderer Gegenstand gegeben wird, der frühere Gegenstand in den unterbewussten Regionen fort. Man muss in einem solchen Epochenunterricht gerade mit dem rechnen, was unbewusst arbeitet; und es gibt nichts Fruchtbareres, als wenn man einen Unterricht, den man durch drei, vier Wochen erteilt hat, in seinen Konsequenzen ruhen lässt, damit er nun ohne Zutun des Menschen weiter im Menschen arbeitet. Dann wird man schon sehen: hat man richtig unterrichtet, und frischt gedächtnismäßig die Sache wieder auf, dann kommt es bei der nächsten Epoche, wo dasselbe Fach getrieben wird, in ganz anderer Weise  wieder herauf, als wenn  man es eben nicht richtig getrieben hat. Aber mit solchen Dingen rechnet man gar nicht, wenn man den Einwand macht: ob auch die Dinge so richtig getrieben werden, da die Dinge vergessen werden könnten! Der Mensch muss ja so viel mit dem Vergessen rechnen. Denken Sie nur, was wir nicht alles im Kopfe haben müssten, wenn wir nicht richtig vergessen könnten und das Vergessene wiederum herauf bringen könnten! Deshalb muss ein richtiger Unterricht nicht nur mit dem Unterricht, sondern auch mit dem Vergessen richtig rechnen.

Das bedeutet nicht, dass man entzückt darüber zu sein braucht, dass die Kinder vergessen, das besorgen sie schon von selbst; sondern darauf kommt es an, was in die unterbewussten Regionen so hinuntergegangen ist, dass es dann in entsprechender Weise wieder heraufgeholt werden kann. Zu dem ganzen Menschen gehört eben nicht bloß das Bewusste, sondern auch das jeweilig Unbewusste.« (GA 307, Vortrag vom 14. August 1923, Dornach 1986, S. 186 f)

Bis zur Unkenntlichkeit entstellt erscheint das Thema »Bewusstseinsentwicklung« im Kontext der »Kulturstufen«, die Zander in die Waldorfpädagogik hineinprojiziert. Als gescheitert muss auch sein Versuch betrachtet werden, Vorbilder für angebliche »Kulturstufen« der Waldorfpädagogik bei anderen Autoren zu suchen.

Auf S. 1410-1412 schreibt Zander:

»Besonders eindrücklich dokumentieren die Kulturstufen die Verflechtung von Steiners Pädagogik mit den Vorstellungen des 19. Jahrhunderts.«

Als Vorbilder für Steiners »Kulturstufen« glaubt Zander den Herbartianer Tuiskon Ziller und den Philologen F.A. Wolf dingfest gemacht zu haben.

In Zillers Lehrplanvorgaben sieht er »breite Überschneidungen« mit Steiners »Kulturstufen«; zwischen Wolfs und Steiners Konzept »Ähnlichkeiten bis in Details«.

Zillers Lehrplanvorgaben laut Zander:

»1. Zwölf Märchen nach Grimm,
2. Robinson,
3. Patriarchengeschichte und vaterländische thüringische Sagen,
4. Geschichte der Richter [des Alten Testaments] und Nibelungensage,
5. die jüdischen Könige und die deutsche Kaiserzeit des Mittelalters (Karl der Große, Heinrich I., Otto der Große, Friedrich Barbarossa),
6. das Leben Jesu mit Einschaltung von Stücken aus den Propheten und die Reformationsgeschichte,
7. die Apostelgeschichte und die deutschen Befreiungskriege,
8. der Lutherische Katechismus und die Wiederaufrichtung des Deutschen Reiches.«

Wolfs Kulturstufentheorie laut Zander:

»1) Goldnes, mild harmonisches Zeitalter: Indianer- und Südsee-Insulaner-Zustand. – Die unentzweite Kindheit: vom ersten bis etwa dritten Jahre.
2) Asiatischer Kampf: Zustand der Nord-Amerikanischen und anderer Wilden. Heroenzeit der Griechen, von Herkules bis Moses (?) [sic] … bis zum sechsten Jahre.
3) Griechen-Zeit von Homer bis Alexander. … bis etwa zum neunten Jahre.
4) Römer-Zeit … bis zum zwölften Jahre.
5) Mittel-Alter, Rittersgeist-Zeit …
6) Wiedererwachen (nicht Wiedererwachung) der Künste und Wissenschaften, …
Nun Gymnasium … Bis zum achtzehnten Jahre.
7) Reformations- und systematische Wiss-Zeit. [sic] Bis zum ein und zwanzigsten Jahre.
8) Bildung für die gegenwärtige Zeit: … Bis zum vier und zwanzigsten Jahre.
9) Erhebung über seine Zeit: Bis zum dreissigsten.
10) Nun tritt der vollendete Mensch auf, und wirkt gross wie ein Gott!«

Zunächst fällt auf, dass schon die beiden Gliederungen des geschichtlichen Materials von Ziller und Wolf nicht untereinander kompatibel sind. Während Ziller – abgesehen von den beiden ersten Stufen – die Religionsgeschichte und die vaterländische deutsche Geschichte miteinander parallelisiert, und offenbar im lutherischen Katechismus und dem Wiederaufstieg des Deutschen Reiches das Telos der Geschichte sah, ist Wolf der aufklärerischen Geschichte des Fortschritts von der – hier idyllisch verstandenen Primitivität der Wilden – bis zum Zeitalter der Aufklärung verhaftet und greift danach weit über die Schulzeit in die Zukunft aus, von der er sich die Apotheose des vergotteten Menschen vermutlich durch den Fortschritt der Wissenschaft erhofft. Während Wolf eine Zuordnung zum individuellen Lebensalter des Menschen vornimmt, bleibt eine solche bei Ziller offen, es sei denn, die acht Stufen beziehen sich auf acht Schuljahre. Ziller kennt weder ein »goldenes Zeitalter« noch einen »asiatischen Kampf«. Darüberhinaus ergeben sich die durchaus vorhandenen Parallelen zwischen Wolf und Ziller ganz einfach aus dem chronologischen Verlauf der Geschichte selbst, folgt doch das »Mittelalter« tatsächlich auf das Altertum, und die Neuzeit auf das Mittelalter. Die beiden Autoren haben gewiss nicht voneinander abgeschrieben, sondern beide haben die Anordnung des historischen Materials einfach aus dem tatsächlichen Verlauf der Geschichte abgelesen.

Was nun Steiner anbetrifft, so gliedert er nicht den gesamten Unterricht nach Kulturstufen, sondern lediglich den Erzählstoff und von Kulturstufen ist bei ihm ebenfalls nicht die Rede, sondern von einer Bewusstseinsentwicklung der Menschheit. Merkwürdigerweise bringt Zander keinerlei tabellarischen Überblick der Anordnung dieses Erzählstoffs, so dass seine Behauptung der Ähnlichkeit und Überschneidung für den Leser nicht überprüfbar ist.

Die Erzählungen des Klassenlehrers in der Unterstufe entwickeln sich zum differenzierten Geschichtsunterricht der Mittel- und Oberstufe weiter. Der Lehrplan der Waldorfschulen hat sich seit der Zeit ihrer Gründung permanent weiterentwickelt. Die letzte überarbeitete Fassung aus dem Jahr 2010, die Tobias Richter unter dem Titel »Pädagogischer Auftrag und Unterrichtsziele – vom Lehrplan der Waldorfschule« herausgegeben hat und sämtliche Fachbereiche umfasst, ist rund 600 Seiten stark.

Hier ein kurzer Abriss des »Erzählstoffes« von der 1. bis zur 12. Klasse. Bemerkenswert ist, dass der Stoff der Geschichte mehrfach durchlebt bzw. durchgearbeitet wird: zunächst in legendenhafter Form ab der dritten Klasse, danach in zunehmend realgeschichtlicher Form ab der 5. Klasse, schließlich in wissenschaftlich-kritischer Form ab der 10. Klasse. Durch diese wiederholten Durchgänge wird sichergestellt, dass Geschichte nicht nur als Bild erlebt, sondern auch als Prozess verstanden wird. Der Überblick zur Oberstufe beruht auf einer Darstellung der Waldorfschule Nürtingen.

1. Klasse: Märchen, eigene kleine Naturgeschichten

2. Klasse: Tierfabeln, Heiligenlegenden, Pflanzenmärchen und -legenden

3. Klasse: Geschichten aus dem Alten Testament

4. Klasse: Germanische Götter- und Heldensagen, Heimatsagen

5. Klasse: Urpersien, Mesopotamien, Ägypten und Griechenland

6. Klasse: Römische Geschichte, Mohammed und der Islam, die Franken, Karl der Große, Entstehung des deutschen Reiches, Kultur der Klöster, die Kreuzzüge, das Rittertum und die Ritterorden, die Begegnung von Orient und Okzident, Friedrich der II., Beginn der Städtekultur

7. Klasse: Entdeckungen z.B. Amerikas, Erfindungen z.B. des Buchdrucks, die neue Form des Handels z.B. die Hanse und die Fugger, Persönlichkeiten der Renaissance, die Zeit der Reformation u.a. Martin Luther, Glaubenskriege, Machtkampf zwischen König Philipp II. von Spanien und der Königin Elisabeth von England, 30-jähriger Krieg

8. Klasse: Die Zeit des Absolutismus u.a. Ludwig IVX., die Französische Revolution, Industrielle Revolution, die Entwicklung der Medien, der Nachrichtenübertragung, die Globalisierung der Wirtschaft, Kommunismus, Ende des Kaiserreiches, 1. und 2. Weltkrieg, der Kalte Krieg, Geschichtliche Ereignisse und Zusammenhänge bis ins Jahr 2012

Oberstufe:

Der Geschichtsunterricht in der Oberstufe umfasst sowohl historische Ereignisse und kulturgeschichtliche Phänomene, die bereits in der Mittelstufe angesprochen wurden, als auch erweiternde Themen. Ziel ist es, die in Klasse 8 begonnene Behandlung der Neuzeitlichen Geschichte bis in die Gegenwart in Klasse 9 fortzusetzen, wobei die Methodik eine Akzentuierung erfährt. Gemäß der sich weiterentwickelnden Urteilskraft der Jugendlichen wird die Arbeit mit historischen Quellen intensiviert, d.h. die Jugendlichen werden stärker in den Prozess der historischen Urteilsbildung durch selbstständige Erarbeitung einbezogen.

9. Klasse: Der Unterricht in der 9. Klasse erstreckt sich schwerpunktmäßig auf die historischen Ereignisse ab dem 18. Jahrhundert.

Beispielsweise: Entstehung der USA oder Französische Revolution, Industrialisierung und soziale Frage, Imperialismus, Entstehung des 1. Weltkrieges, Aufkommen des Nationalsozialismus, 2. Weltkrieg, Holocaust, UN-Gründung, Kalter Krieg mit Teilung Deutschlands, von Perestroika / Glasnost bis zum Mauerfall, der Europagedanke, Ende der Apartheid, Radikalisierung im Islamismus, Globalisierung etc.

10. Klasse: In der 10. Klasse greift der Geschichtsunterricht in einem großen Spannungsbogen auf die Uranfänge der Geschichte zurück. Thematisiert wird das radikal andere Wirklichkeitsverständnis der Menschen in den Hochkulturen (Mesopotamien, Ägypten) verglichen mit unserer Gegenwart. Die Herauslösung aus Theokratien und der Beginn eigener Erkenntnissuche zeigt sich in der griechischen Geschichte und entspricht als bewusster Prozess den Urteilsveranlagungen der Jugendlichen: Philosophie, Beginn von Naturwissenschaft und Technik – viele wissenschaftliche Fachbegriffe stammen aus dem Griechischen und Lateinischen und weisen dadurch eine ausgeprägte historische Kontinuität auf. Der Kontrast von (Staats)Rechtsdenken und Individuum in der griechischen und römischen Epoche kann bei der Behandlung des Urchristentums für den Schüler zu einem Evidenzerlebnis werden.

11. Klasse: Die 11. Klasse setzt die angeführten Themen fort (Ausbreitung des Christentums, Ende des Weströmischen Reichs, mittelalterliche Lebens- und Herrschaftsformen incl. Orden und Klosterleben, Karl der Große, Investiturstreit, Entstehung des Islam, Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung, Kreuzzüge, Ketzerbewegungen, Entstehung der Universitäten, Stadtentwicklung, Aufkommen der Gotik etc.). Sie weisen in sich Polaritäten auf – z.B. Ketzerbewegungen versus Kirche, Inquisition versus Urchristentum – Vernichtung des Templerordens –, welche die Ausbildung des Urteilsvermögens durch radikale Standpunktwechsel unterstützen und verstärkt der Frage nachgehen, mit welcher Legitimation und aus welchem Selbstverständnis politisch / historisch gehandelt wird.

12. Klasse: In der 12. Klasse wird der historische Horizont auf drei Bereiche erweitert: China, Russland und Amerika. Die Komplexität globaler Geschichte zu erfassen, bedingt einen permanenten Standortwechsel in der Urteilsbildung. Deshalb werden diese drei Kulturbereiche exemplarisch vom Moment ihrer Entstehung bis in die Gegenwart betrachtet. Dadurch werden die sehr unterschiedlichen Bedingungsmomente evident: China ist die einzige Hochkultur mit einer ununterbrochenen Kontinuität bis in die Gegenwart – trotz Maos Kulturrevolution – und entwickelt sich zu einer kapitalistischen Weltmacht unter Führung der Kommunistischen Partei. Russland entstand erst im Mittelalter, kam in die Phase des Leninismus und Stalinismus, den es durch Gorbatschows Politik überwand, und steht vor der Anforderung, ein demokratischer Rechtsstaat zu werden. Die USA lieferten das Modell für einen modernen demokratischen Rechtsstaat, der auf die Leistung des Individuums vertraut, aber vor sozialen Herausforderungen steht, deren Außenpolitik auf Unabhängigkeit besteht und einem globalen Selbstverständnis verpflichtet ist. Das gestaltet die Zusammenarbeit mit anderen Staaten auch in der UNO kompliziert.