Auch im medizinischen Kontext geriert sich Zander als investigativer Journalist. Er enthüllt geheime Erwartungen und neue Zugeständnisse Steiners.

Auf S. 1491-1492 schreibt Zander über Steiners Vorträge Anfang Oktober 1920 über »Physiologisch-Therapeutisches auf Grundlage der Geisteswissenschaft«:

»Anfang Oktober 1920 machte Steiner in dem nächsten medizinischen Vortragsblock nach dem ersten Ärztekurs erneut deutlich, dass er zumindest als zuverlässig anthroposophisch eingestuften Ärzten bereit war, das Rednerpult zu überlassen. Hinter der kryptischen Eröffnungspassage in der Gesamtausgabe (›Der Vortragende ist noch nicht da. Ich hoffe, dass er bald kommt‹ [GA 314,11]) verbirgt sich Steiners Erwartung, dass Ludwig Noll die Eingangsvorträge halten würde:

›Der erste Vortrag von Dr. Noll sollte beginnen, alles war versammelt, aber Dr. Noll war nicht da. Man wartete – aber Dr. Noll kam nicht. Es war auch von ihm keine Nachricht eingetroffen. Plötzlich verbreitete sich irgendwie das Gerücht, dass Dr. Noll nun kommen würde und zwar durch den Westeingang. Alles erhob sich, Dr. Steiner ging durch den Mittelgang Dr. Noll freudig entgegen – aber es stellte sich heraus, dass es ein Missverständnis gewesen und dass kein Dr. Noll gekommen war. Nachdem eine halbe Stunde gewartet worden war, entschloss sich Dr. Steiner, selbst einen medizinischen Vortrag zu halten. … Wie mir gesagt wurde, traf nach dem Vortrag von Dr. Noll ein Telegramm ein, dass er am nächsten Tag zu seinem Vortrag kommen würde. Später kam noch ein zweites, das mitteilte, dass er überhaupt nicht kommen würde‹.[Zitiert nach Schmiedel, Aufzeichnungen]

Letztendlich scheiterte die kollegiale Einbeziehung von Ärzten. Die vielen Ärztekurse bestritt Steiner in den kommenden Jahren allein. Allerdings gibt es Indizien, dass er sich in dieser Rolle nur begrenzt wohlfühlte. Mehrfach meinte er, fast entschuldigend, nur ›aphoristisch‹ sprechen zu können200 und realisierte, dass seine Ausführungen manchmal ein ›buntes Allerlei‹ waren (GA 313,134). Den leidlich systematischen Bogen des ersten Ärztekurses hat Steiner später nicht mehr gespannt.«

Anmerkung 200: »Er wolle ›gewissermaßen aphoristisch auf einiges hindeuten‹ (GA 314,53 [9.10.1920]), trage leider ›nur kursorisch, aphoristisch‹ vor (ebd., 131 [27.10.1922]), es sei ›nur möglich, manches aphoristisch hier anzudeuten‹ (GA 316,121; vgl. auch 123 [9.1.1924]).«

Die Eröffnungspassage aus Steiners Vortrag vom 7. Oktober 1920 ist keineswegs kryptisch, Zander selbst zitiert ja die »Aufzeichnungen« Oskar Schmiedels, der den Hintergrund der vier Vorträge zum Thema »Physiologisch-Therapeutisches auf Grundlage der Geisteswissenschaft« vom 7. bis 9. Oktober 1920 schildert. Ludwig Noll, der eigentlich diese Vorträge halten sollte, erschien ohne Nachricht nicht zu seinem ersten Vortrag und entschuldigte sich später per Telegramm für alle seine weiteren Vorträge. Die Herausgeber von GA 314 kommentieren die angeblich kryptischen Sätze wie folgt:

»Vom 1. September bis 16. Oktober 1920 fanden nach der Eröffnung des ersten Goetheanumbaues in Dornach ›anthroposophische Hochschulkurse‹ statt. In diesen Kursen sollte nach dem Willen der Veranstalter (Verein Goetheanismus und Bund für anthroposophische Hochschularbeit) die geisteswissenschaftliche Arbeit auf verschiedenen Lebensgebieten durch verschiedene Redner öffentlich dargestellt werden.

Für die zweite Woche der Kurse war eine Vortragsreihe von Dr. med. Ludwig Noll, Kassel, vorgesehen mit dem Thema ›Physiologisch-Therapeutisches auf Grundlage der Geisteswissenschaft‹. Unerwartet war Dr. Noll im letzten Augenblick verhindert, nach Dornach zu kommen. An seiner Stelle übernahm es Rudolf Steiner, in vier Vorträgen über das angekündigte Thema zu sprechen.« (GA 314, Dornach 1989, S. 327)

Steiner musste also, nachdem das versammelte Publikum eine halbe Stunde vergeblich auf den Vortragsredner gewartet hatte, selbst die geplanten Vorträge halten. Allein aus dieser Tatsache erklären sich seine wiederholten Hinweise auf den »aphoristischen« Charakter seiner Ausführungen und es ist auch nicht verwunderlich, dass diese Vorträge nicht »so leidlich systematisch« sind, wie Zander süffisant bemerkt. Aber selbst Steiners wiederholte Hinweise auf den aphoristischen Charakter seiner Darstellungen haben einen anderen Sinn, als den von Zander unterstellten. Sie dokumentieren nicht, dass er sich in seiner Rolle »nur begrenzt« wohlfühlte, oder sich wegen eines subjektiv bedingten Unbehagens gedrungen fühlte, sich zu entschuldigen oder dass er trotz seiner Verblendung irgendwann doch »realisierte«, dass er »nur ein buntes Allerlei« bot.

Um dies einzusehen, reicht es, die eine oder andere der von Zander zitierten Belegstellen im Kontext nachzulesen. Zu Beginn seines letzten Vortrags, am Abend des 9. Oktober, bemerkt Steiner:

»Heute Abend möchte ich Ihnen noch einzelne Ergänzungen geben zu jenen Vorträgen, die ich in diesen Tagen hier unfreiwillig habe halten müssen. Ich möchte gewissermaßen aphoristisch auf einiges hindeuten, das doch aufklärend noch wirken kann auf dasjenige, was als Prinzipien für eine Befruchtung gerade des medizinisch-therapeutischen Studiums durch die Geisteswissenschaft dienen kann. Es wird ja selbstverständlich aus den Gründen, die ich schon heute morgen angedeutet habe, nicht sehr in Details eingegangen werden können, nicht so sehr wegen der Kürze der Zeit – das auch natürlich –, sondern vor allen Dingen darum, weil dennoch die Detailerkenntnisse einer eigentlichen fachlichen Auseinandersetzung vorbehalten werden müssen, wiederum aus den Gründen, die ich schon heute morgen vorgebracht habe. Jedoch möchte ich gerade nach dieser Richtung hin einiges noch beitragen, welches zum allgemeinen Verständnis des medizinischen Wesens führen kann, so dass gerade eine Art sozialer Wirkung aus diesem Teile geisteswissenschaftlich medizinischer Betrachtung hervorgehen kann, nämlich die Begründung eines gewissen Vertrauens zwischen Publikum und Ärzteschaft. Je besser das Verständnis sein wird, das man dem medizinischen Wesen wird entgegenbringen können, desto besser wird auch dieses medizinische Wesen wirken können.« (GA 314, S. 53)

Auch die Rede vom »bunten Allerlei« ist nicht etwa Ausdruck dafür, dass Steiner sein eigenes Ungenügen »realisiert« und zugestanden hätte. Steiner leitet den vorletzten Vortrag der Reihe »Geisteswissenschaftliche Gesichtspunkte zur Therapie« nämlich mit dem Satz ein:

»Es wird heute ein buntes Allerlei sein, was ich zu demjenigen, was auch mit Rücksicht auf unsere Heilmittel gesagt worden ist, noch an mannigfaltigstem eben hinzufügen möchte.« (GA 313, Vortrag vom 18. April 1921, Dornach 1984, S. 134) Zur bereits ausgebreiteten Fülle des Stoffe und der Vielfalt der Gesichtspunkte kommt also noch einiges Mannigfaltige hinzu.

Zander versteht häufig nicht einmal die einfachsten Satzperioden oder deutet Aussagen Steiners absichtlich in ihr Gegenteil um.

Auf S. 1494 schreibt Zander:

»1911 hatte er [Steiner] als okkultes Zentrum seiner Vorstellungen ›übersinnliche, unsichtbare Kräfte‹ als »auf den Menschen einwirkende Einflüsse‹ in medizinischen Fragen ausgewiesen ...«

Zander zitiert aus den Vorträgen Steiners über »Okkulte Physiologie«. An der betreffenden Stelle ist zwar tatsächlich von »übersinnlichen Kräften« die Rede, aber im Kontext gelesen, ergibt sich ein diametral entgegengesetzter Sinn. (Nebenbei bemerkt, ergibt Zanders Satz eigentlich überhaupt keinen nachvollziehbaren Sinn. Was soll das heißen, Steiner habe »als okkultes Zentrum seiner Vorstellungen übersinnliche Kräfte ... ausgewiesen«?? Was ist ein okkultes Zentrum von Vorstellungen? Und was soll es bedeuten, übersinnliche Kräfte als Einflüsse auszuweisen?) Zander will vermutlich sagen, Steiner habe übersinnlichen Kräften in medizinischen Fragen eine zentrale Stellung zugewiesen oder so etwas ähnliches. Aber was sagt Steiner wirklich?

»Diese Nahrungsstoffe werden ja, nachdem sie aufgenommen sind, in der mannigfaltigsten Weise umgewandelt und stufenweise so umgeändert durch die verschiedenen Organwirkungen, dass sie hingeleitet werden können zu den einzelnen Gliedern des menschlichen Organismus, zu den einzelnen Systemen der menschlichen physischen Wesenheit. Es ist ja nicht schwer einzusehen, dass alles, was aus den Nahrungsstoffen im menschlichen Organismus wird, im Grunde genommen den Menschen, wie er vor uns steht in der physischen Welt, eigentlich erst zum physischen Menschen macht. Es liegt hier ja allerdings eine gewisse Schwierigkeit für das Verständnis vor. Allein, wenn wir Ernst machen mit den bisher eingehaltenen Prinzipien und die übersinnliche Erkenntnis wirklich auf die Betrachtung des Menschen anwenden, so müssen wir sagen, dass es nur die Nahrungsstoffe sind, die von der äußeren Welt substantiell in den menschlichen Organismus aufgenommen werden. Alle übrigen auf den Menschen einwirkenden Einflüsse haben wir uns im Grund genommen zu denken als übersinnliche, unsichtbare Kräfte. Wenn sie sich für einen Moment alles wegdenken, was den menschlichen Organismus, von den Nahrungsstoffen herrührend, ausfüllt, so behalten Sie in physischer Beziehung noch weniger – verzeihen Sie den trivialen Ausdruck –, viel weniger übrig als einen leeren Sack, nämlich gar nichts. Denn auch was an Haut, an Umhüllung des physischen Organismus vorhanden ist, ist nur dadurch vorhanden, weil entsprechend verarbeitete Ernährungsstoffe an die betreffenden Partien hingeführt worden sind. Rechnen Sie die Nahrungsstoffe und was aus ihnen wird, weg, so haben Sie dahinter den menschlichen Organismus nur als ein übersinnliches Kraftsystem zu denken, das die Verteilung der assimilierten Nahrungsstoffe nach allen Richtungen hin bewirkt ... Erst dadurch, dass sich dieser übersinnlichen Form eingliedert das assimilierte Ernährungsmaterial, wird der sonst rein übersinnliche menschliche Organismus zu einem physisch-sinnlichen Organismus, den man mit Augen sehen und mit Händen greifen kann. « (GA 128, Vortrag vom 28. März 1911, Dornach 1991, S. 151-152)

Von einem »okkulten Zentrum« ist nirgends die Rede. Auch nicht von »medizinischen Fragen«. Vielmehr schildert Steiner, dass allein die Nahrungsmittel vom menschlichen Organismus substantiell aus der äußeren Welt aufgenommen werden. Abgesehen von diesen Substanzen, aus denen sich, wenn sie umgewandelt werden, der physische Leib bildet, stellt der menschliche Organismus ein übersinnliches Kräftesystem dar, das die aufgenommenen physischen Stoffe verarbeitet und für deren Verteilung sorgt. Im weiteren Verlauf stellt Steiner dar, dass diese Umwandlung durch den Ätherleib bewirkt wird.

Sein Unverständnis grundlegender Begriffe der Anthroposophie projiziert Zander auch in Steiners Ausführungen zur Medizin hinein. So postuliert er auch hier, wie an anderen Orten, bei Steiner einen krassen Materialismus, weil er Steiners spirituelle Deutung körperlicher Vorgänge nicht zu denken vermag.

Auf S. 1495 schreibt Zander:

»Der geborene Gegner der geistigen Medizin war der Materialismus ... Doch neben Steiners konfessorischem Antimaterialismus stand seine prinzipielle Akzeptanz der empirischen Medizin, wodurch er sich an wesentliche Elemente ihrer Konzeption band. So ist bei vielen, etwa psychischen Erkrankungen, deutlich, dass der Schatten des Materialismus länger war, als Steiner ihn wahrhaben wollte.

... Als Grund für Hysterie gab er 1920 ›das zu große Selbständigwerden der Stoffwechselprozesse‹ an (GA 312,41), wenngleich, wie er einen Tag später ergänzte, ›unter den etwas ferneren Ursachen der Hysterie auch seelische Ursachen liegen‹ (ebd., 58). ...  Und 1920 äußerte er die Überzeugung, ›der menschliche Wille‹ sei ›von Leber, Milz und den anderen Unterleibsorganen … gestützt‹. Folgerichtig ›muss‹ die ›Geisteswissenschaft‹ bei Geisteskrankheiten zur ›physischen Behandlung‹ führen, während bei physischen Erkrankungen ›das Seelische‹ mitwirken solle (GA 312,378). Die Zuspitzung auf physische Faktoren bei Geisteskrankheiten ergibt zwar den schönen Chiasmus, dass körperliche Krankheiten geistig und geistige Krankheiten körperlich behandelt werden sollen, aber die rhetorische Figur verdeckt nicht die materialistische Dimension in Steiners Erläuterung. ...

Steiner suchte letztlich nach einem ganzheitlichen, Körper, Seele und Geist umgreifenden Modell. Indem er aber die empirische und geistige Medizin jeweils ohne Abstriche in seine Konzeption zu integrieren suchte, trat neben den dominierenden Spiritualismus in Einzelfragen immer wieder ein krasser Materialismus.«

Zander unterstellt, wenn auf das Zusammen- und Ineinanderspiel geistiger, seelischer und körperlicher Vorgänge hingewiesen wird, stets »Materialismus«. Wenn Steiner einen Zusammenhang zwischen »Stoffwechselvorgängen« und »Hysterie« postuliert, wittert Zander den »Schatten des Materialismus«. Die Frage ist, ob Stoffwechselvorgänge aus Steiners Sicht »rein materiell« sind oder ob er seelische Vorgänge auf materielle Prozesse »reduziert«, was erforderlich wäre, um hier von Materialismus sprechen zu können. Natürlich ist dies nicht der Fall. Stoffwechselvorgänge sind die geistigsten Prozesse im menschlichen Organismus überhaupt: »Im Stoffwechsel- und Gliedmaßensystem hat man, wenn man diese in voller Aktion, in der Entfaltung ihrer notwendigen oder möglichen Verrichtungen betrachtet, ein sinnlich-übersinnliches Bild des rein übersinnlichen Intuitiven.« (GA 26, Dornach 1998, S. 29) Hinter diesem rein übersinnlichen Intuitiven verbirgt sich wiederum die höchste der himmlischen Hierarchien, die Seraphim, Cherubim, und Throne. In meditativer Form ausgedrückt:

»Menschenseele!
Du lebest in den Gliedern,
Die dich durch die Raumeswelt
Im Geistesmeereswesen tragen:

Übe Geist-Erinnern
In Seelentiefen,
Wo in waltendem
Weltenschöpfer-Sein
Das eigne Ich
Im Gottes-Ich
Erweset;

Und du wirst wahrhaft leben
Im Menschen-Welten-Wesen.

Denn es waltet der Vater-Geist der Höhen
In den Weltentiefen Sein-erzeugend.

Seraphim, Cherubim, Throne,
Lasset aus den Höhen erklingen,
Was in den Tiefen das Echo findet;

Dieses spricht:
Ex deo nascimur.

Das hören die Elementargeister
Im Osten, Westen, Norden, Süden:
Menschen mögen es hören.«

(GA 233, Dornach 1991, S. 159-160)

Vergleichbares gilt für sogenannte Organprozesse, etwa die Prozesse, die sich in der Leber oder der Milz abspielen, die für Steiner selbstredend nicht nur eine materielle, sondern auch eine seelisch-geistige Seite haben. Der menschliche Wille, der sich auf Leber, Milz oder andere Unterleibsorgane stützt, ist deswegen nicht »materiell«, ebensowenig wie diese Organe »materiell« sind.

Zander dürften Anschauungen bekannt sein, wie Steiner sie in seinen Prager Vorträgen zur »Okkulten Physiologie« 1911 entwickelt hat, da er diese Vortragsreihe en passant erwähnt:

»Nun sprechen wir ..., wenn wir im Sinne unserer Geisteswissenschaft von solchen Organen sprechen wie Milz, Leber, Galle, Nieren, Lungen und so weiter, ... zunächst gar nicht von dem, was man physisch sehen kann, sondern wir bezeichnen damit die in diesen Organen wirkenden Kraftsysteme, die übersinnlicher Natur sind. ... Wie haben wir uns nun das Verhältnis dieses übersinnlichen Kraftsystems zu dem, was sinnliche Materie ist, zu denken?

Ich glaube, es wird Ihnen nicht schwierig werden, zu denken, dass Kräfte durch den Raum gehen können, welche zunächst nicht sinnlich anschaubar sind.

Man braucht sich nur an folgendes zu erinnern: Wer zum Beispiel niemals etwas von der Realität der Luft in einer von Wasser entleerten Flasche gehört hat, der wird der Meinung sein, die Flasche sei ganz leer. Ein solcher physikalisch Unkundiger wird einigermaßen erstaunt sein zu sehen, dass, wenn wir eine leere Wasserflasche auf den Tisch stellen, einen gut anschließenden enghalsigen Trichter aufsetzen und rasch Wasser in den Trichter eingießen, wir das Wasser im Trichter behalten und es nicht in die Flasche hineinfließen kann, weil es durch den Gegendruck der Luft verhindert wird, in die Flasche einzudringen. Ein solcher Mensch wird dann gewahr, dass doch ein für ihn Unsichtbares in der Flasche darinnen ist, welches das Wasser zurückhält.

Denken Sie sich diesen Begriff etwas erweitert, so wird es auch nicht schwierig sein, sich vorzustellen, dass der Raum von Kraftsystemen durchdrungen sein kann, welche zunächst übersinnlicher Natur sind, so dass wir sie nicht mit dem Messer durchschneiden können und dass sie auch nicht angegriffen werden können, wenn ein physisches Organ, das ihr materieller Ausdruck ist, zum Beispiel die Milz, erkranken sollte.

Wir haben uns zu denken, dass ein übersinnliches Kraftsystem zu dem, was wir als physisch-sinnliches Organ sehen, in einem solchen Verhältnis steht, dass physische Materie sich in dieses Kraftsystem einlagert, angezogen von den Kraftpunkten und Kraftlinien, und dadurch zu einem physischen Organ wird. Wir können sagen: Der Grund, warum zum Beispiel an der Stelle der Milz ein physisch-sinnliches Organ sichtbar ist, ist ... der, dass dort in einer ganz bestimmten Weise Kraftsysteme den Raum ausfüllen, welche die Materie so heranziehen, dass sie sich in einer solchen Weise einlagert, wie wir es an dem äußeren Organ der Milz sehen, wenn wir es anatomisch betrachten.

So können Sie sich die verschiedensten Organe im menschlichen Organismus denken. Sie sind zuerst übersinnlich veranlagt und dann ausgefüllt unter dem Einfluss der verschiedensten übersinnlichen Kraftsysteme von physischer Materie. Daher müssen wir in diesen Kraftsystemen zunächst einen übersinnlichen Organismus sehen, der in sich differenziert ist, der in den verschiedensten Weisen die physische Materie sich eingliedert und dessen Kompliziertheit das physische, ihm eingegliederte Organ nur unvollständig zu folgen vermag.« (GA 128, Dornach 1991, Vortrag vom 24. März 1911, S. 89 ff)

Was den Zusammenhang zwischen seelischen Krankheiten und leiblichen Vorgängen anbetrifft, hat man sich demnach vorzustellen, dass jene Form des Zusammenwirkens von Organprozessen und seelisch-geistiger Aktivität, die dem gesunden Zustand zugrunde liegt, im Fall einer Krankheit beeinträchtigt ist. Dieses Zusammenwirken stellt sich im Konkreten komplexer dar, als Zanders abstraktes Gerede vermuten lässt.

»Wir müssen uns nur klar sein, dass gerade Geisteswissenschaft darauf hinweisen muss, wie sogenannte Geisteskrankheiten in den Organen in vieler Beziehung ihren Sitz haben und wie organische Erkrankungen schon sehr stark zusammenhängen mit seelisch-geistigen Wirkungen. Das ist ein schwieriges Kapitel. Der Materialismus, der auf der einen Seite bei sogenannten physischen Krankheiten ganz mechanisch oder chemisch vorgeht, der also den Menschen mehr oder weniger nur wie einen Apparat behandelt, der ist auf der anderen Seite angekommen, bei der Charakteristik der sogenannten Geisteskrankheiten im Grunde genommen eine bloße Beschreibung der psychischen Symptome geben zu können, weil diesem Materialismus eine Überschau über den Zusammenhang des Geistig-Seelischen und des Physisch-Leiblichen verlorengegangen ist.

Dieses innige Verbundensein, das zeigt sich ja gerade, wenn wir das Ineinanderspielen des seelischen und des körperlichen Befindens konkret untersuchen. Fragen wir uns: Was ist denn eigentlich fördernd für Geisteskrankheiten? – Wenn der Mensch zunächst erkrankt, so treten subjektive Symptome auf, Schmerzsymptome, andere Befindenssymptome und so weiter. Diese Symptome, die bei akuten Erkrankungen ja am deutlichsten wahrzunehmen sind, die sich bei chronischen Erkrankungen eigentlich verwandeln, sind, ich möchte sagen, zunächst dasjenige, was der geistig-seelische Mensch tut, wenn er irgendeine Schädigung eines Organes hat: Er zieht sich daraus zurück. Der Schmerz ist nichts anderes, als dass Ich und astralischer Leib von dem physischen und Ätherleib sich zurückziehen, was natürlich verbunden sein kann gerade mit einem Zurückziehen des Ätherleibes. Aber das Wesentliche der Schmerzempfindung liegt ja im astralischen Leib und im Ich. Da ist in der Regel das Ich noch so stark, dass es den ganzen Gegenprozess, den subjektiven, den bewussten Gegenprozess desjenigen wahrnimmt, was in dem physischen Organe vorgeht. Wird die Krankheit eine chronische, dann zieht sich allmählich der Vorgang aus dem Ich zurück, und die Folge davon ist, dass dasjenige, was seelisch vorgeht, eigentlich nur noch auf den astralischen Leib sich beschränkt, dass also das Ich nicht teilnimmt an dem, was der astralische Leib mit dem Ätherleib zusammen leidet. Da kann zunächst die chronische Organerkrankung vor sich gehen; das Akute geht in ein Chronisches über. Wir haben es zu tun mit sich zurückziehenden bewussten psychischen Symptomen. Wir müssen, wenn wir Symptomatologie treiben wollen, schon auf das Tiefere des Menschen eingehen. Wir müssen, statt dass wir ihn fragen, wie er sich befindet, wo es ihm wehtut, ihn fragen, ob er gut oder schlecht schläft, ob er Arbeitslust hat. Also wir müssen dasjenige, was sich mehr über größere Zeiträume erstreckt, was mehr mit dem Werden des Menschen zusammenhängt, als Symptome ansehen, während wir das augenblicklich subjektive Empfinden als Symptom bei akuten Krankheiten ansehen können. Wir müssen gewissermaßen mehr auf den Lebenslauf des Menschen hinschauen als auf die Symptome, wenn es zum Chronischen kommt.

Nun aber kommt es zur gewöhnlichen physischen chronischen Erkrankung, wenn der ganze Vorgang so im Organ gehalten werden kann, dass astralischer Leib und Ätherleib richtig ihren Anteil nehmen an der Organwirkung und so viel als nötig ist, in die Organwirkung hineinsenden. Ist der Kranke so konstituiert, dass er ertragen kann ein unordentliches Hereinwirken des astralischen Leibes auf dem Umweg durch den Ätherleib in sein Organ, ist der Kranke also so geartet, dass er den abnormen Zusammenhang seines astralischen Leibes mit seiner Leber über einen gewissen kritischen Punkt hinwegbringt, so dass gewissermaßen die Leber nicht merkt, dass der astralische Leib nicht ordentlich in sie hineinwirkt, dann, ich möchte sagen, erholt sich die Leber, aber sie gewöhnt sich an das unordentliche Hineinwirken des astralischen Leibes. Das braucht dann nur lange genug fortzuschreiten und es macht den umgekehrten Weg in das Seelische hinein. Das, was die Leber aufnehmen sollte ins Physische, schiebt sie in das Seelische hinein, und wir haben die Depression, so dass also in einer gewissen Weise dadurch, dass der Mensch chronische Krankheiten über einen gewissen Punkt hin bis zu der abnormen Beziehung zum astralischen Leib hin übersteht, die Anlage gegeben wird zur sogenannten geistigen Erkrankung.

Wenn man diese Dinge einmal so betrachten wird, dann wird man über das Stadium der Pathographie hinauskommen. Heute redet man sehr viel von dem unregelmäßigen Verlauf der Vorstellungen, dem unregelmäßigen Verlauf der Willenshandlungen und so weiter. Aber solange man nicht weiß, wie durch das merkwürdige Zusammenwirken von Leber, Milz und den anderen Unterleibsorganen eigentlich dasjenige gestützt wird, was zuletzt in seiner höchsten seelischen Form als der menschliche Wille erscheint, so lange wird man nicht dazu kommen, das entsprechende physische Gegenbild für eine Pathographie wirklich zu finden. Man sollte schon gerade bei sogenannten Geisteskrankheiten daran denken können, die physische Behandlung einzuleiten. Das ist scheinbar ein Widerspruch, dass Geisteswissenschaft führen muss bei sogenannten Geisteskrankheiten auf physische Behandlung, während sie darauf hinweisen muss bei physischen Erkrankungen wiederum auf die Mitwirkung des Seelischen bei der Gesundung.« (GA 312, S. 376 ff.)

Angeblich bezog Steiner erst 1911, in seinen Vorträgen über »Okkulte Physiologie«, die »theosophischen Menschenglieder« stärker in seine Betrachtungen ein, soll jedoch »nur kursorisch« vom Wirken des Ätherleibes bis in die Organe gesprochen haben.

Auf S. 1496 schreibt Zander:

»So finden sich 1909 im Zusammenhang mit Peipers’ therapeutischen Farbkammern Erwähnungen der theosophischen Menschenglieder (GA 57,209), aber erst 1911 lässt sich in der Vortragsreihe ›Okkulte Physiologie‹ eine stärkere Einbeziehung erkennen. Steiner sprach aber nur kursorisch vom ›Wirken des Ätherleibes‹ bis in die Organe (GA 1285,161, vgl. auch 38). Zugleich und noch häufiger machte er in dieser Reihe Anmerkungen zur Anthropologie der Körpersysteme, die er aber erst in den zwanziger Jahren entfaltete. Dieses Changieren spiegelt Steiners Suchbewegungen hinsichtlich einer medizinischen Anthropologie wider.«

Auf der von Zander herangezogenen Seite ist zwar vom Ätherleib die Rede, aber nicht von einem Wirken des Ätherleibes in die Organe. Wörtlich heißt es: »So sehen wir, wie in der Tat die sieben Organe sich bis in das Wirken des Ätherleibes hinuntererstrecken und die Einwirkungen des Ich von oben in sich aufgenommen haben.« Steiner spricht also davon, dass sich sieben Organe (Gehirn, Lunge, Herz, Niere, Leber, Galle, Milz) in das Wirken des Ätherleibes erstrecken, und zugleich die Wirkungen des Ich in sich aufnehmen.

Darüber hinaus sprach er nicht nur »kursorisch« über das Wirken des Ätherleibs, sondern ausführlich über die einzelnen Wesensglieder des Menschen und deren Widerspiegelung in bestimmten Teilsystem des Organismus, bestimmten Lebens- und Organprozessen. So ist das Blut ein Abbild des Ich, das Nervensystem ein Abbild des Astralleibs, der gesamte physische Leib des Menschen ein Abbild des Ätherleibes.

In Steiners »medizinischen Anthropologien« sieht Zander wieder jede Menge Inkonsistenzen und Widersprüche, wo in Wahrheit nur unterschiedliche Perspektiven vorliegen.

Auf S. 1497 schreibt Zander:

»Im Januar 1924 erweiterte er die theosophische Anthropologie erneut: ›Ich rede … vom physischen Menschen, der dem physischen Leib zugeordnet ist, vom flüssigen Menschen, der dem ätherischen Leib zugeordnet ist, vom gasförmigen Menschen, das heißt von der Tätigkeit alles gas- oder luftartigen, der dem astralischen Leib zugeordnet ist‹ und dem ›Wärmemenschen‹ (GA 316,17). ... Aber auch diese Komplexitätssteigerung blieb am Rande liegen.«

Die Beziehung zwischen den vier Wesensgliedern des Menschen und den vier Elementen war schon sehr früh bei Steiner präsent. In einem Vortrag von 1907 etwa heißt es:

»Wir müssen uns die Beziehungen der materiellen Stufen vorstellen. Die erste ist das, was wir Erde nennen, das heißt alles, was heute etwa ein fester Körper genannt wird, Eisen, Kupfer, Zink und so weiter, alles was fest ist, ist Erde. Zweitens: alles was flüssig ist, ist Wasser, zum Beispiel Quecksilber; auch wenn Sie Eisen flüssig machen, so ist es Wasser. Jedes flüssige Metall ist Wasser im Sinne der Geisteswissenschaft. Drittens: bringen Sie das Wasser zur Verdampfung oder irgend etwas in Dampfform, auch Metalldampf, so ist es Luft. Die Geisteswissenschaft geht noch weiter: sie zeigt, dass Luft als solche noch verdünnt werden kann, in dünnere Zustände übergehen kann. Da muss man über das heutige Physische hinausgehen; da nimmt der Geistesforscher Wärmeäther oder Feuer an.

Feuer ist für den Geistesforscher etwas, was in die Linie Erde, Wasser, Luft gehört, während die heutige Wissenschaft dann nur einen Zustand der Körper sieht.

Auf dem Saturn war die Wärme die Substanz des physischen Leibes des Menschen. Auf der Sonne wurde der physische Menschenleib verdichtet zu der Dichte der Luft, da lagerte sich in ihm ein der Äther- oder Lebensleib und gestaltete den physischen Leib um; da haben wir einen physischen Menschenleib und in ihn hineingearbeitet einen Ätherleib; dieser Ätherleib ist eingliedrig, der physische Leib ist zweigliedrig auf der Sonne. Wir müssen im physischen Leib auf der Sonne einen vollkommeneren und einen unvollkommeneren Teil unterscheiden, einen solchen, der vom Ätherleib noch nicht durchdrungen ist. Bei diesem Bilde des physischen Leibes auf der Sonne müssen wir uns denken: das Innere hat nichts abbekommen vom Ätherleib; das ist von demselben Wert, wie der physische Leib schon auf dem Saturn war. So dass wir einen Teil schon auf der Pflanzenstufe haben, der durchsetzt ist von einem anderen Teil, der noch auf der Mineralstufe steht; aber die beiden durchdringen sich vollständig. Wir gehen nun über zum physischen Körper auf dem Monde.
Hier war er schon bis zum Wasser verdichtet. Hineingegliedert ist der Äther- und der astralische Leib. Dreierlei verschiedene Teile sind hier zu unterscheiden. Einer ist vom Äther- und Astralleib durchdrungen, einer nur vom Ätherleib, und einer ist mineralisch geblieben. Jetzt betrachten wir den physischen Leib auf der Erde. Da kommt das Ich dazu. Auf der Erde sind vier ineinandergearbeitete Glieder.

Der erste Teil ist durchzogen vom Ätherleib, Astralleib und Ich, der zweite Teil vom Äther- und Astralleib, der dritte Teil nur vom Ätherleib, und ein viertes Glied ist noch auf der mineralischen Stufe.

Es hat den Wert eines Minerals, steht heute noch auf der Saturnstufe.

Diese vier Glieder sind genau zu unterscheiden am physischen Leibe. Das erste Glied, in das alle vier Glieder hineingearbeitet sind, das sind die roten Blutkörperchen. Überall da, wo wir rotes Blut haben, da sind die vier Glieder hineingearbeitet.

Die Nerven sind das zweite Glied. Überall, wo Nerven sind, da sind physischer Leib, Äther- und Astralleib hineingearbeitet. Überall, wo Drüsen sind, da sind physischer Leib und Ätherleib hineingearbeitet. Alle Sinneswerkzeuge, alle physikalischen Apparate am Menschen haben nur die Stufe eines Minerals erreicht. Sie folgen ganz denselben Gesetzen wie die Mineralien. Auge und Ohr gehören zu den mineralischen Einschlüssen; auch im Gehirn sind noch solche Teile. Sie sehen, wie verführerisch es so manchmal ist, Materialist zu werden, weil etwas, was mineralisch ist, den ganzen Körper durchzieht. Wenn der Materialist sagt, das Gehirn sei mineralisch, so hat er zum Teil recht, wenn er nur den einen Teil betrachtet. Besonders sind es ganz bestimmte Partien im Vorderhirn, die zwar durchzogen sind von anderen Einstrahlungen, in denen aber nur mineralische Kräfte tätig sind. Würden wir Knochen und Muskeln betrachten, so würde es noch komplizierter werden.« (GA 98, Vortrag vom 4. Dezember 1907, Dornach 1983, S. 135 ff.)

Die komplexe Verbindung zwischen physisch-mineralisch – Sinnesorgane (Knochen) – fest / ätherisch-pflanzlich – Drüsen – flüssig / astralisch-tierisch – Nervensystem – luftförmig / geistig – Blut – feurig – war schon früh gegeben.

Man vergleiche zu Steiners Kenntnissen über die galenisch-hippokratische Humoralpathologie und ihre Weiterentwicklung durch Paracelsus seinen Vortrag zu ebendiesem aus dem Jahr 1907.

Im Jahr 1914 führte Steiner in einem anderen Vortrag aus:

»Wenn man allerdings die Erde als einen beseelten und durchgeistigten Organismus vergleicht mit dem, was der Mensch ist als durchseelter und durchgeistigter Organismus, so gibt es einen großen Unterschied. Der Mensch steht durch das Äußere seines physischen Leibes, in dem er eigentlich für gewöhnlich gar nicht darin lebt, aber in dem er darinnensteckt, in Beziehung zu den eigentlichen Geistern der Erde. Durch den Ätherleib steht er in Beziehung zu den Geistern des Wassers; durch den Astralleib in Beziehung zu den Geistern der Luft, und durch seine Verbindung mit dem Ich steht er in Beziehung zu den Geistern des Feuers.« (GA 158, Vortrag vom 15. November 1914, Dornach 1993, S. 84)

Eine später wieder fallengelassene »Komplexitätsseigerung« lässt sich also 1924 nicht erkennen.