Zander meint, Steiner habe agrarisches Wirtschaften als Teil kosmischer Wechselwirkungen von einer materialistischen, auf biochemische Funktionen zentrierten Agrarwissenschaft abgegrenzt.

Auf S. 1586 schreibt Zander:

»Der weltanschauliche Überbau der landwirtschaftlichen Vorstellungen Steiners ist, bei aller Vielfalt der Details, von einem Zentrum her gedacht, das auch die anderen Praxisfelder der Anthroposophie prägt und das Steiner immer wieder benannt hat: Agrarisches Wirtschaften sei als Teil ›geistiger‹, ›kosmischer‹ Wechselwirkungen zu begreifen, in Abgrenzung zur ›materialistischen‹, auf biochemische Funktionen zentrierten Agrarwissenschaft.«

Diese Aussagen glaubt er durch folgende Zitate stützen zu können (Ergänzung in eckigen Klammern H.Z.):

1.

»Wir haben ja angeführt, wie man streng unterscheiden müsse zwischen denjenigen Kräften, die im Pflanzenwachstum [d. h. ›materialistisch‹ analysierbar] sind, und die aus dem Kosmos zwar stammen, aber vom Kosmos zuerst in die Erde aufgenommen werden und von der Erde aus auf das Pflanzenwachstum wirken. Diese Kräfte, die also im wesentlichen herstammen aus den kosmischen Einflüssen, wie ich gesagt habe, von Merkur, Venus und dem Monde, aber die nicht direkt von diesen Planeten wirken, sondern auf dem Umwege durch die Erde wirken, diese Kräfte hat man zu berücksichtigen, wenn es sich darum handelt, zu verfolgen dasjenige, was nach einer Mutterpflanze wieder eine Tochterpflanze hervorruft und so weiter.« (GA 327,150)

2.

»Am Pflanzenwachstum ist der ganze Himmel mit seinen Sternen beteiligt!« (ebd., 22); es wirke »der Weltenraum mit seinen Kräften auf das Irdische« (ebd., 51).«

Betreiben wir ein wenig Philologie. Zander versteht nicht, was er zitiert. Erstens beruht sein Zusatz in eckigen Klammern »[d. h. ›materialistisch‹ analysierbar]« in Zitat (1.) auf reiner Willkür. Es ist bei Steiner nirgends von materialistisch analysierbaren Kräften die Rede. Zweitens ist sein Zitat unvollständig. Zwar spricht Steiner von einer Polarität, die Polarität ist aber in Zanders Zitat gar nicht enthalten, sondern wird von Steiner erst in den an das Zitat anschließenden Sätzen thematisiert. Das ganze Zitat Zanders handelt von ein und demselben, nämlich den aus dem Kosmos einströmenden Kräften, die von der Erde aufgenommen werden und auf dem Umweg über die Erde, also den Erdboden, auf das Pflanzenwachstum einwirken.

 Von diesen Kräften unterscheidet Steiner andere, die aus dem atmosphärischen Umkreis – also durch Luft, Wärme, Licht – auf die Pflanze unmittelbar einwirken. Von diesen ist im Anschluss an die von Zander zitierten Sätzen die Rede. Steiner fährt nach »und so weiter« nämlich fort:

»Dagegen wird man in alledem, was die Pflanze aus dem Umkreis von dem Überirischen hernimmt, zu sehen haben auf das, was die ferneren Planeten der Luft übertragen an Wirkungsmöglichkeiten, und was eben aufgenommen wird auf diese Weise.«

Steiner unterscheidet also die Wirkungen der erdnahen Planeten (Mond, Merkur, Venus, einschließlich Sonne), die von der Erde aufgenommen werden und aus dem Erdboden auf die Pflanze Einfluss nehmen, von den Wirkungen der erdfernen Planeten (Mard, Jupiter, Saturn, einschließlich Sonne), die aus dem Umkreis der Pflanze auf diese einwirken. Das ist der Gegensatz, um den es geht. Die ganzen Ausführungen stehen im Kontext von Erörterungen über sogenannte Unkräuter.

Von jenem Gegensatz, den Zander konstruiert (»agrarisches Wirtschaften« als »Teil ›geistiger‹, ›kosmischer‹ Wechselwirkungen« auf der einen Seite, ›materialistische‹, auf »biochemische Funktionen zentrierte Agrarwissenschaft« auf der anderen) ist nirgends die Rede.

Zander glaubt, Steiner habe zur »Visualisierung« kosmischer Prozesse eine Eurythmieaufführung in die Koberwitzer Tagung eingebunden.

Auf S. 1586 schreibt er:

»Anthroposophische Landwirte sollten beim ›Meditieren‹ ›allmählich herein in ein Erleben des Stickstoffs rings um Sie herum‹ wachsen (ebd., 77), deshalb konnte er von den »Offenbarungen des Stickstoffs« reden (ebd.) und eine Eurythmievorstellung zur Visualisierung dieser kosmischen Prozesse in die Vorträge einbauen (ebd., 14).«

Dass die Eurythmie-Vorstellung am Pfingstsonntag »zur Visualisierung dieser kosmischen Prozesse in die Vorträge eingebaut worden« sei, ist ein reines Fantasieprodukt. Die Aufführung stand nicht im Zusammenhang mit dem Landwirtschaftlichen Kurs, sondern war Teil des Programms der parallel stattfindenden Pfingst-Tagung der Anthroposophischen Gesellschaft in Breslau.

Zander unterstellt Steiner, er habe den Vorgang der Reproduktion von Pflanzen nicht verstanden.

Auf S. 1586 schreibt er:

»Deshalb deutete er [Steiner] die Reproduktion von Pflanzen in ihrem letzten Grund auch nicht als Sprossen von Samen. Vielmehr beginne, wenn der Same zu ›Chaos‹ zerfallen sei, ›das ganze umliegende Weltall auf den Samen zu wirken‹, die Pflanze ›ist immer das Abbild irgendeiner kosmischen Konstellation, wird aus dem Kosmos heraus aufgebaut‹ (ebd., 52).«

Zander verwechselt das Sprossen von Samen – gemeint ist wohl das Keimen – mit der Bildung (Entstehung) des Samens. Sein Vorwurf, Steiner habe im »Sprossen« (Keimen) von Samen nicht den Vorgang der Reproduktion von Pflanzen gesehen, ist absurd, da Steiner an der von ihm herangezogenen Stelle gar nicht vom Keimvorgang spricht, sondern von der Entstehung des Samens, – und er ist auch deswegen absurd, weil das »Sprossen (Keimen) gar nichts mit der Reproduktion, sondern mit dem Wachstum des bereits Reproduzierten zu tun hat. Zander hat also den Vorgang der Reproduktion selbst nicht verstanden! Als Chaos beschreibt Steiner den Augenblick, in welchem bei der Bildung (Entstehung) des Samens die zur höchsten Komplexität entwickelten Eiweißstrukturen der Mutterpflanze zerfallen und in den so entstehenden Chaoszustand das kosmische Urbild der betreffenden Pflanzenart eingeprägt wird.

Bei Steiner lautet die betreffende Passage:

»Nun handelt es sich darum, gerade für die Bebauung des Bodens ein Allerwichtigstes zu durchschauen. Sehen Sie, dieses Allerwichtigste – ich habe es ja unter Anthroposophen oftmals erwähnt – besteht darinnen, dass man weiß, unter welchen Bedingungen der Weltenraum mit seinen Kräften auf das Irdische wirken kann. Gehen wir, um das einzusehen, einmal aus von der Samenbildung. Den Samen, aus dem sich das Embryonale entwickelt, sieht man gewöhnlich an als ein außerordentlich kompliziertes molekulares Gebilde. Und man legt den größten Wert darauf, diese Samenbildung aufzufassen in ihrer komplizierten Molekularstruktur. Man sagt sich: Moleküle haben eine gewisse Struktur, bei den einfachen Molekülen eine einfache; dann wird es immer komplizierter, bis man heraufkommt in die ungeheuer komplizierte Struktur des Eiweißmoleküles. Man steht nun bewundernd und staunend vor demjenigen, was man sich da denkt als die komplizierte Struktur des Eiweißes im Samen, weil man sich ja folgendes denkt: Man denkt sich, wenn da das Eiweißmolekül ist, so muss das ungeheuer kompliziert sein. Denn aus dieser Kompliziertheit heraus wächst ja der nächste Organismus. Und dieser nächste Organismus ist ungeheuer kompliziert, war schon veranlagt in der embryonalen Samenanlage, also muss diese mikroskopische oder hypermikroskopische Substanz auch ungeheuer kompliziert aufgebaut sein. Das ist in gewissem Grade zunächst der Fall. Indem sich das irdische Eiweiß aufbaut, wird auch die Molekularstruktur bis zur höchsten Kompliziertheit getrieben. Aber aus dieser höchsten Kompliziertheit würde niemals ein neuer Organismus hervorgehen, niemals.

Denn der Organismus geht eben nicht auf die Art aus den Samen hervor, dass sich dasjenige, was sich als Samen gebildet hat, aus der Mutterpflanze oder dem Muttertier nur fortsetzt in demjenigen, was als Kinderpflanze oder Kindertier entsteht. Das ist eben gar nicht wahr. Wahr ist vielmehr, dass, wenn nun dieses Komplizierte des Aufbaues aufs höchste getrieben ist, so zerfällt dies, und man hat zuletzt in demjenigen, was erst im Bereiche des Irdischen zu größter Kompliziertheit getrieben worden ist, ein kleines Chaos. Es zerfällt, man könnte sagen, in den Weltenstaub, und wenn dasjenige, was da in den Weltenstaub zerfällt, wenn der Same bis zur höchsten Kompliziertheit gebracht, in den Weltenstaub zerfallen ist und das kleine Chaos da ist, dann beginnt das ganze umliegende Weltenall auf den Samen zu wirken und drückt sich in ihm ab und baut aus dem kleinen Chaos das auf, was von allen Seiten durch die Wirkungen aus dem Weltenall in ihm aufgebaut werden kann. Und wir bekommen in dem Samen ein Abbild des Weltenalls. Jedesmal wird der irdische Organisationsprozess in der Samenbildung zu Ende geführt bis zum Chaos. Jedesmal baut sich in dem Samenchaos aus dem ganzen Weltenall heraus der neue Organismus auf. Der alte Organismus hat nur die Tendenz, den Samen in diejenige Weltenlage hineinzubringen, durch seine Affinität zu dieser Weltenlage, dass aus den richtigen Richtungen her die Kräfte wirken, und dass aus einem Löwenzahn nicht eine Berberitze, sondern wieder ein Löwenzahn wird.

Aber, was in der einzelnen Pflanze abgebildet wird, ist immer das Abbild irgendeiner kosmischen Konstellation, wird aus dem Kosmos heraus aufgebaut. Wenn wir überhaupt den Kosmos zur Wirkung bringen wollen in seinen Kräften innerhalb unseres Irdischen, dann ist dazu notwendig, dass wir das Irdische möglichst stark ins Chaos hineintreiben. Überall, wo wir den Kosmos zur Wirkung bringen, müssen wir das Irdische möglichst stark ins Chaos hineintreiben. Für das Pflanzenwachstum besorgt das in einer gewissen Beziehung schon die Natur selber. Aber es ist allerdings notwendig, dass wir, weil ja jeder neue Organismus aus dem Kosmos heraus aufgebaut wird, im Organismus dieses Kosmische solange erhalten, bis wiederum die Samenbildung da ist.

Sagen wir, wir pflanzen einen Samen irgendeiner Pflanze in die Erde herein, so haben wir in diesem Samen den Abdruck, die Ausprägung des ganzen Kosmos von irgendeiner Weltrichtung her. Darin kommt die Konstellation zur Wirkung, dadurch bekommt er seine bestimmte Form. Und in dem Augenblicke, wo er in das Erdgebiet verpflanzt wird, wirkt das Äußere der Erde sehr stark auf ihn ein, und er ist in jenem Augenblick von der Sehnsucht durchdrungen, das Kosmische zu verleugnen, zu wuchern, nach allen möglichen Richtungen auszuwachsen, denn dasjenige, was über der Erde wirkt, will diese Form eigentlich nicht festhalten. Es ist die Notwendigkeit da gegenüber dem Ins-Chaos-Treiben – den Samen müssen wir bis zum Chaos treiben –, wenn nun aus dem Samen schon die erste Pflanzenanlage sich entwickelt und die weiteren Sprossen, – das Irdische, gegenüber dem Kosmischen, das als Form der Pflanze im Samen lebt, in die Pflanze hineinzubringen. Wir müssen die Pflanze der Erde annähern in ihrem Wachstum. Das aber kann nur dadurch geschehen, dass wir wirklich das schon auf der Erde vorhandene Leben, das also noch nicht in das völlige Chaos hineingekommen ist, das nicht bis zur Samenbildung vorgedrungen ist, sondern in der Organisation der Pflanze vorher aufgehört hatte, bevor es zur Samenbildung gekommen ist, dass wir das auf der Erde befindliche Leben doch in das Pflanzenleben hineinbringen. Und da kommt ja wiederum in den Gegenden, die vom Glücke besonders begünstigt sind, die reiche Humusbildung im Haushalte der Natur dem Menschen sehr zugute. Denn der Mensch kann im Grunde genommen dasjenige, was die Erde an Fruchtbarkeit leisten kann durch eine natürliche Humusbildung, künstlich doch nur mangelhaft ersetzen. « (GA 327, Dornach 1999, S. 51 ff).

Laut Zander ist die »empirisch arbeitende«, »materialistische« Wissenschaft für Steiner die Haupt-»Gegnerin« im Landwirtschaftlichen Kurs. Im Widerspruch dazu steht seine Feststellung im folgenden Absatz, Steiner habe großen Wert auf empirische Bestätigungen seiner »höheren Einsichten« gelegt.

Auf S. 1587 schreibt er:

»Seine Gegnerin war die empirisch arbeitende, ›materialistische‹ Wissenschaft ... Allerdings war die hellseherische Legitimation in den Koberwitzer Vorträgen nur eine Dimension der Begründung. Wie in der Medizin forderte Steiner Anstrengungen, die höheren Einsichten empirisch zu bestätigen ...«

Wie ist es möglich, dass Steiner die empirische Wissenschaft als Gegnerin betrachtet, wenn er gleichzeitig empirische Untersuchungen zu den Anwendungen der Erkenntnisse der Geistesforschung forderte? Steiner verstand nicht nur die Geistesforschung als eine empirische Wissenschaft im Vollsinn dieses Wortes, sondern wies auch auf die Notwendigkeit hin, die Ergebnisse dieser Geistesforschung in ihrer Anwendung sinnesempirisch zu verifizieren, um dem auf die Sinnesempirie fixierten wissenschaftlichen Mainstream entgegenzukommen. Das Problem liegt wieder einmal bei Zander, der »empirisch Arbeiten« und »Materialismus« gleichsetzt.

Steiner wandte sich nicht gegen die »empirische Wissenschaft«, sondern gegen die ideologisch einseitige Interpretation ihrer Ergebnisse. In seinem dritten Vortrag führt er aus:

»Das ist ja das Eigentümliche bei allem, was wir auf der Erde haben, dass das Geistige immer physische Träger haben muss. Die Materialisten nehmen dann nur die physischen Träger und vergessen das Geistige. Sie haben immer recht, weil ja das Nächste, was uns entgegentritt, der physische Träger ist. Aber sie lassen eben außer Acht, dass Geistiges überall einen physischen Träger haben muss.« (GA 327, Vortrag vom 11. Juni 1924, Dornach 1999, S. 69 f.)

Und im sechsten Vortrag:

»Ich kann in all diesen Dingen Angaben geben, aus denen Sie sehen können, sie können der Ausgangspunkt sein, diese Dinge in wirklicher Praxis anzuwenden, richtig in Praxis anzuwenden. Und da heute schon einmal das Urteil – ich will es nicht Vorurteil nennen – besteht, alles muss nachträglich verifiziert werden, nun gut, dann versuche man es, diese Dinge zu verifizieren. Man wird schon sehen, wenn man die Experimente richtig macht, sie werden sich schon bewahrheiten.

Nur, würde ich selber eine Wirtschaft haben, so würde ich nicht warten auf das Bewahrheiten, sondern ich würde die Sache gleich anfangen. Denn ich bin ganz sicher, dass die Sache geht.

Denn für mich liegt die Sache so: Geisteswissenschaftliche Wahrheiten sind durch sich selbst wahr. Man braucht nicht ihre Bewahrheitung durch andere Umstände, durch äußerliche Methoden. Diese Fehler haben alle unsere Wissenschafter gemacht, dass sie hinschauten auf äußere Methoden, durch äußere Methoden diese Wahrheiten verifizieren wollten. Sie haben das auch gemacht innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft: Da hätten die Leute aber wissen sollen, dass die Dinge durch sich wahr sein können.

Aber um heute etwas zu erreichen, muss man nach außen schon dieses verifizieren, einen Kompromiss vornehmen, da ist der Kompromiss notwendig. Im Prinzip ist es nicht notwendig.

Denn wie weiß man denn die Dinge innerlich? Man weiß sie so, dass sie eben innerlich durch ihre Qualität feststehen, so feststehen, wie ungefähr feststeht, wenn ich irgend etwas durch fünfzig Leute fabrizieren lasse, und ich sage mir, ich will jetzt dreimal so viel produzieren, ich nehme hundertfünfzig Leute. Da kann nun ein Vorwitziger kommen und sagen: Das glaube ich nicht, dass hundertfünfzig dreimal so viel machen, das muss man erst ausprobieren. Es kann nun unter Umständen geschehen, dass man durch die Erfahrung desavouiert wird, wenn man jetzt wirklich experimentiert. Sagen wir, man würde irgend etwas, was da in Betracht kommt, erst durch einen, dann durch zwei, dann durch drei arbeiten lassen. Jetzt stellt man fest, statistisch, was die drei gearbeitet haben. Nun, wenn die drei immer für sich gerade schwätzen, so arbeiten sie weniger als einer. Die Voraussetzung, die man gemacht hat, ist falsch. Das Experiment kann das Gegenteil erweisen. Aber es ist noch nichts ausgemacht, wenn ein Experiment das Gegenteil erweist. Man muß dann schon, wenn man ganz exakt vorgeht, auch die Gegeninstanz ganz genau ins Auge fassen.

Dann wird sich das, was innerlich wahr ist, auch äußerlich bestätigen.« (GA 327, Vortrag vom 14. Juni 1924, Dornach 1999, S. 156 f.)

Zander stempelt Steiner zum Kulturpessimisten, der den Verlust der instinktiven Naturweisheit wie Sternenkunde, Bauernregeln etc. beklagte.

Auf S. 1587 schreibt Zander:

Mit kulturpessimistischen Deutungen beklagte Steiner den Verlust einer spirituellen Dimension: Die für den Landbau wichtige »Sternkunde« etwa sei für »diese Wissenschaft … nun ganz und gar verlorengegangen« (ebd., 163). Und überhaupt: »Die Traditionen verschwinden. Die Leute werden mit Wissenschaft die Äcker düngen. Die Kartoffeln, das Getreide, alles wird immer schlechter.« (ebd., 21) Demgegenüber hielt er die »instinktive Agrikulturweisheit« (ebd., 156), die »alten Bauernregeln « (ebd., 39; vgl. 30.115.238 f.) für eine seriöse Quelle, aber auch hier sollen sich »in unserer Zeit … die Dinge meist ganz verloren« haben (ebd., 116).«

Steiner stimmte in seinen Koberwitzer Vorträgen keine kulturpessimistischen Jeremiaden an, sondern diagnostizierte eine tatsächliche Entwicklung, deren katastrophale Dimensionen erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts durch die ökologische Forschung ins allgemeine Bewusstsein traten. Heute ist die Versauerung und Auslaugung der Böden, die Desertifizierung, das Artensterben, die Degeneration des Saatguts als Folgen einer entfesselten Agrartechnologie in aller Munde. Steiner blickte auch nicht mit romantischer Wehleidigkeit in alte Zeiten zurück, sondern verwies mit seinen Schilderungen auf eine ebenso tatsächliche kulturelle, bewusstseinsgeschichtliche Entwicklung. Seine Ausführungen sind nicht von Pessimismus, sondern von einem feinen Humor gekennzeichnet, wie folgende Passage aus seinem ersten Vortrag zeigt:

»Ich habe öfters einen Vergleich gebraucht, um auf anderen Lebensgebieten das klar zu machen. Ich sagte: Man sieht eine Magnetnadel, man entdeckt, dass diese Nadel immer mit dem einen Ende nahezu nach Norden, mit dem anderen nach Süden zeigt. Man denkt nach, warum das ist, man sucht die Ursache dazu nicht in der Magnetnadel, sondern in der ganzen Erde, indem man ihrer einen Seite den magnetischen Nordpol, ihrer anderen den magnetischen Südpol gibt. Würde jemand in der Magnetnadel selber die Ursache suchen, dass sie sich in einer so eigentümlichen Weise hinstellt, so würde er einen Unsinn reden. Denn in ihrer Lage kann man die Magnetnadel nur verstehen, wenn man weiß, in welcher Beziehung sie zur ganzen Erde steht.

Alles das, was für die Magnetnadel als ein Unsinn erscheint, das gilt  für viele andere Dinge den Menschen als Sinn. Wenn Sie die Rübe in der Erde wachsen haben: sie so zu nehmen, wie sie ist, in ihren engen Grenzen, ist in dem Augenblick ein Unding, wenn die Rübe in ihrem Wachstum vielleicht abhängig ist von unzähligen Umständen, die gar nicht auf der Erde, sondern in der kosmischen Umgebung der Erde vorhanden sind. Und so erklärt man heute vieles, so richtet man vieles im praktischen Leben ein, als ob man es nur zu tun hätte mit den engumgrenzten Dingen und nicht mit den Wirkungen, die aus der ganzen Welt kommen. Die einzelnen Lebensgebiete haben furchtbar darunter gelitten und würden diese Leiden viel mehr zeigen, wenn nicht, ich möchte sagen, trotz aller Wissenschaft der neueren Zeit, noch ein gewisser Instinkt vorhanden wäre aus derjenigen Zeit, wo man mit dem Instinkt und nicht mit der Wissenschaft gearbeitet hat, wenn diejenigen Menschen, die von ihren Ärzten verschrieben haben, wieviel Gramm Fleisch sie essen sollen, wieviel Kohl, damit das zur richtigen menschlichen Physiologie stimmt – es haben manche Leute neben sich eine Waage und wiegen sich alles das zu, was da auf den Teller kommt; das ist ja schön selbstverständlich, man soll so etwas wissen, aber ich muss immer wieder denken: Es ist doch gut, dass der Betreffende auch den Hunger spürt, wenn er mit dem Zugewogenen noch nicht genug hat, dass noch dieser Instinkt vorhanden ist.

So war der Instinkt eigentlich allem zugrunde liegend, was Menschen tun mussten, bevor eine Wissenschaft auf diesem Gebiete da war. Und diese Instinkte haben manchmal ganz sicher gewaltet, und man kann heute noch immer außerordentlich überrascht sein, wenn man in solchen alten Bauernkalendern die Bauernregeln liest, wie ungeheuer weise und verständlich das ist, was sie ausdrücken. Denn, um in solchen Dingen nicht abergläubisch zu sein, dazu hat doch auch der instinkthaft sichere Mensch die Möglichkeit. Ebenso wie man für die Sache außerordentlich tiefsinnige Aussprüche hat, die für die Aussaat und Ernte gelten, findet man hin und wieder, um alle möglichen Firlefanzereien abzuweisen, solche Aussprüche wie: ›Kräht der Hahn auf dem Mist, so regnet es, oder es bleibt, wie es ist.‹ Der nötige Humor ist auch in diesem Instinkthaften überall darinnen, um Abergläubische abzuweisen.

Es handelt sich, wenn hier vom anthroposophischen Gesichtspunkte aus gesprochen wird, wirklich darum, nicht zurückzugehen zu den alten Instinkten, sondern aus einer tieferen geistigen Einsicht heraus das zu finden, was die unsicher gewordenen Instinkte immer weniger geben können. Dazu ist notwendig, dass wir uns einlassen auf eine starke Erweiterung der Betrachtung des Lebens der Pflanzen, der Tiere, aber auch des Lebens der Erde selbst, auf eine starke Erweiterung nach der kosmischen Seite hin.

Es ist ja doch so, dass gewiss von einer Seite her es ganz richtig ist, Regenwitterung in trivialer Weise nicht mit den Mondphasen in Beziehung zu bringen, aber auf der anderen Seite besteht auch wiederum das, was sich einmal zugetragen hat. Ich habe es schon öfter in anderen Kreisen erzählt, dass in Leipzig zwei Professoren tätig waren, wovon der eine, Gustav Theodor Fechner, ein in geistigen Dingen mit so manchen sicheren Einblicken behafteter Mann, aus äußeren Beobachtungen heraus nicht so ganz nur mit Aberglauben hinblicken konnte darauf, dass gewisse Epochen des Regnens und Nichtregnens doch wiederum mit dem Monde und seinem Gange um die Erde zusammenhängen. Es hat sich das für ihn als eine Notwendigkeit aus statistischen Untersuchungen ergeben. Aber sein Kollege, der berühmte Professor Schleiden, der stellte in einer Zeit, in der man über solche Dinge hinwegsah, aus wissenschaftlichen Vernunftgründen alles das in Abrede. Nun hatten die beiden Professoren an der Leipziger Universität auch Frauen. Und Gustav Theodor Fechner, der ein etwas humorvoll angelegter Mensch war, sagte: Es sollen mal unsere Frauen entscheiden. Nun war damals in Leipzig noch eine gewisse Sitte. Es war das Wasser, das man zum Waschen der Wäsche brauchte, nicht so leicht zu erhalten. Man musste es weit herholen. Man stellte also die Krüge und Bottiche auf und fing das Regenwasser auf. Das tat sowohl die Frau Professor Schieiden wie die Frau Professor Fechner. Aber sie hatten nicht genügend Platz, um gleichzeitig die Bottiche aufzustellen. Da sagte der Professor Fechner: Wenn das ganz gleichgültig ist, wenn mein verehrter Kollege recht hat, dann soll einmal die Frau Professor Schleiden ihre Bottiche in der Zeit aufstellen, in der nach meinen Angaben nach der Mondphase weniger Regen kommt, und meine Frau wird den Bottich aufstellen in der Zeit, in der nach meiner Berechnung mehr Regenwasser kommt. Wenn das alles Unsinn ist, wird die Frau Professor Schleiden das ja gerne tun. – Und siehe da, die Frau Professor Schleiden ließ sich das nicht gefallen, sondern sie richtete sich lieber nach den Angaben von Professor Fechner, als nach ihrem eigenen Gatten.

So ist es schon einmal. Die Wissenschaft kann ja richtig sein, aber die Praxis kann sich auf dieses Richtige der Wissenschaft nicht einlassen. Wir wollen nicht in dieser Weise sprechen, wir wollen ja ernsthaft sprechen. Es sollte das nur gesagt sein, um uns darauf hinzuweisen, dass man etwas weiter sehen muss, als man heute gewohnt ist zu sehen, wenn man nach dem hinschaut, das dem Menschen das physische Leben auf der Erde allein möglich macht, und das ist doch die Landwirtschaft.« (GA 327, Vortrag vom 7. Juni 1923, Dornach 1999, S. 29 ff.)