Eine mögliche Quelle für Steiners »Konzeption« der Landwirtschaft ortet Zander im Professor für landwirtschaftliche Betriebslehre an der Universität Breslau.

Auf S. 1594-95 schreibt Zander:

»Hier finden sich Positionen, die Steiner sehr nahe standen, etwa diejenige Richard Krzymowskis in seiner 1919 erschienen ›Philosophie der Landwirtschaftslehre‹ ... Die Übereinstimmungen mit Steiner sind hinsichtlich der Denkmodelle und Konkretionen Krzymowskis frappant, doch gibt es keine Belege für eine Lektüre von Krzymowskis kleinem Buch durch Steiner.«

Die Nähe, die Zander zwischen den Anschauungen Richard Krzymovskis und Steiners sieht, entspringt einer oberflächlichen Betrachtung. Krzymovski bekämpfte aus Verbundenheit mit den landwirtschaftlichen Traditionen materialistisch-rationalistische Entwicklungen in der Agrikultur. Steiner kämpfte nicht gegen etwas, sondern versuchte die Erkenntnisgrundlagen zu erweitern und Wege aufzuzeigen, wie die Landwirtschaft wieder zu den Lebensprozessen des Kosmos in Beziehung gebracht werden könnte.

Laut Zander schimpfte Steiner 1923 über die Priester der Christengemeinschaft, weil sie die Vorträge, die er zu ihrer Gründung gehalten hatte, einsperren würden.

In Anmerkung 2 auf S. 1613 schreibt Zander:

»Schon im Herbst 1921 bestätigte Steiner, dass die Vorträge zu den Theologenkursen ›streng vertraulich‹ (GA 343,355) zu behandeln seien, und konfirmierte diese Position für den letzten Zyklus: ›Er war im strengsten Sinne nur auf diesen Kreis beschränkt.‹ (GA 346,11 [5.10.24]).  ...  Andererseits schimpfte Steiner zumindest am 22. Januar 1923 über die Vertreter der Christengemeinschaft: ›Die Vorträge werden eingesperrt … Soweit kriegen Sie die Sache.« (GA 259,217)

Ob die Aussage, »die Vorträge werden eingesperrt« aus GA 254, S. 217 sich tatsächlich, wie Zander unterstellt, auf die Theologenkurse bezieht, geht aus der angeführten Stelle nicht hervor, weil sie nur lückenhaft mitgeschrieben ist. Dieser Satz könnte sich auch auf die allgemeinen anthroposophischen Vorträge beziehen, die damals noch nicht öffentlich zugänglich waren. Zander scheint der Widerspruch nicht aufzufallen, der sich aus seiner Interpretation ergibt: 1921 und noch 1924 soll Steiner ausdrücklich die vertrauliche Behandlung seiner Vorträge empfohlen, 1923 aber über sie »geschimpft« haben.

Zander behauptet, Steiner habe 1923 unter dem Titel »umgekehrter Kultur« einen neuen Ritus schaffen wollen, in dem die Selbsterlösung im Mittelpunkt gestanden hätte.

Auf S. 1617 schreibt Zander:

»Steiner hat sich mit Überlegungen getragen, einen anthroposophischen Kultus zu entwickeln, bei dem »nicht die Form der Christengemeinschaft« in Frage komme (GA 265,35). Dabei hätte er vermutlich deutlicher noch als in den Ritualen der Christengemeinschaft eine Autonomie der Selbsterlösung gefordert27

Anmerkung 27:

»Überlegungen zu einem neuen Ritus liefen unter dem Titel ›umgekehrter Kultus‹, in dem nicht mehr »Wesenheiten der übersinnlichen Welten auf den physischen Plan heruntergeholt werden« sollten, sondern bei dem man sich »durch gemeinsame Erkenntnisbemühung zu den übersinnlichen Welten hinauf erhebe« (GA 265,33).

Es gab keine Überlegungen Steiners zu einem neuen Ritus unter dem Titel »umgekehrter Kultus«, erst recht nicht für einen solchen, in dem die »Selbsterlösung« im Mittelpunkt gestanden hätte.

Der Ausdruck »umgekehrter Kultus« begegnet bei Rudolf Steiner ausschließlich in den Vorträgen vom 27. Februar 1923 und 3. März 1923 (in GA 257, S. 104 ff und Seite 164 ff.). Zander bezieht sich nicht auf diese beiden Vorträge, sondern auf die Einführung der Herausgeberin Hella Wiesberger zu GA 265. S. 11 ff. Aber sowohl aus den Darstellungen Hella Wiesbergers, als auch aus den beiden Vorträgen Steiners, die Zander offenbar nicht gelesen oder nicht verstanden hat, wird deutlich, dass unter einem »umgekehrten Kultus« gerade kein sinnlicher, zeremoniell gearteter »Ritus« zu verstehen ist, sondern ein von einer Gemeinschaft von Menschen vollzogener Erkenntnisprozess, durch den sie sich »zu den Wesenheiten der höheren Welt« erheben.

In seinem Vortrag vom 27. Februar 1923 führte Steiner über den Kultur und die spezifische Form der Gemeinschaftsbildung in der Anthroposophischen Gesellschaft, den »umgekehrten Kultus« folgendes aus:

»Deshalb bindet Kultus, weil im Kultus heruntergetragen ist aus den geistigen Welten dasjenige, was Kräfte dieser geistigen Welten sind, weil der Mensch das in seinem Erdenleben vor sich hat, was überirdisch ist. Nicht hat er es vor sich in dem rationalistischen Worte, das das Vergessen an die geistige Welt bewirkt, auch in den unterbewussten Seelengründen, sondern er hat es vor sich in dem lebendigen Bild, das kraftdurchsetzt ist, das nicht bloß Sinnbild, das nicht totes Bild, das Kraftträger ist, weil er dasjenige vor sich hat, was zu seiner geistigen Umgebung gehört, wenn er nicht im irdischen Leibe ist ...

Genau so, wie man in der rechten Weise für das alltägliche Erdenleben aufwacht durch die äußere Natur, gibt es ein höherstufiges Aufwachen, wenn wir in der richtigen Weise an dem Seelisch-Geistigen unseres Mitmenschen aufwachen, wenn wir ebenso in uns fühlen lernen das Geistig-Seelische des Mitmenschen, wie wir fühlen in unserem Seelenleben beim gewöhnlichen Aufwachen das Licht und den Ton ...

Wir beginnen das erste Verständnis für die geistige Welt erst zu entwickeln, wenn wir am Seelisch-Geistigen des andern Menschen erwachen. Dann beginnt erst das wirkliche Verständnis für die Anthroposophie ...

Die Kraft zu diesem Erwachen, sie kann dadurch erzeugt werden, dass in einer Menschengemeinschaft spiritueller Idealismus gepflanzt wird ... der wirkliche Idealismus ist nur vorhanden, wenn der Mensch sich bewusst werden kann, dass er genau ebenso, wie er, indem er die Kultusform hinstellt, eine geistige Welt ins Irdische hinunterhebt, er etwas, das er im Irdischen erschaut, im Irdischen erkennen und verstehen gelernt hat, in das Übersinnlich-Geistige hinaufhebt, indem er es ins Ideal erhebt. In das kraftdurchsetzte Bild bringen wir das Überirdische, wenn wir die Kultusgestalt zelebrieren. In das Übersinnliche heben wir uns mit unserem Seelenleben hinauf, wenn wir dasjenige, was wir erleben in der physischen Welt, spirituell-idealistisch so erleben, dass wir es empfinden lernen als erlebt im Übersinnlichen, wenn wir so empfinden lernen, dass wir uns sagen: Dasjenige, was du hier in der Welt der Sinne wahrgenommen hast, wird plötzlich lebendig, wenn du es zum Ideal erhebst. Es wird lebendig, wenn du es in der richtigen  Weise durchdringst mit Gemüt und Willensimpuls. Wenn du dein ganzes Inneres vom Willen durchstrahlst, Begeisterung auf es wendest, dann gehst du mit deiner sinnlichen Erfahrung, indem du sie idealisierst, den entgegengesetzten Weg, wie du ihn gehst, wenn du  das  Übersinnliche in die Kultusgestalt hineingeheimnisst ...

Wie in den in der sinnlichen Welt sich abspielenden Kultformen die göttlichen Kräfte auf sinnliche Art anwesend sind, müssen wir lernen, mit unseren Seelen, mit unseren Herzen durch unsere innere Seelenverfassung übersinnlich anwesend sein zu lassen eine wirkliche Geistwesenheit in dem Raume, in dem das anthroposophische Wort ertönt, und unsere Rede, unser Empfinden, unser Denken, unsere Willensimpulse müssen wir einrichten können im spirituellen Sinne, das heißt nicht in irgendeinem abstrakten Sinne, sondern in dem Sinne, dass wir uns so fühlen, als schaute herunter auf uns und hörte uns an ein Wesen, das über uns schwebt, das real-geistig da ist ...

Da werden wir erst zu so wachen Menschen, dass wir da erst Anthroposophie verstehen miteinander, und wenn Sie dann auf Grundlage dieses Verständnisses in eine erwachte Seele – nicht in die für das höhere Dasein schlafende Seele des Alltags – die anthroposophischen Ideen aufnehmen, dann senkt sich über Ihre Arbeitsstätte herunter die gemeinsame reale Geistigkeit. Ist es denn Wahrheit, wenn wir von der übersinnlichen Welt reden und nicht imstande sind, uns aufzuschwingen zum Erfassen solcher realen Geistigkeit, solches umgekehrten Kultus?« (GA 257, Vortrag vom 27. Februar 1923, Dornach 1989, S. 114 ff.)

Am 3. März 1923:

»Darin besteht ja der Kultus, dass in der sinnlichen Welt Worte so gesprochen werden, dass die übersinnliche Welt unmittelbar in ihrer Wesenhaftigkeit anwesend ist, Handlungen so vollzogen werden, dass in diesen Handlungen die Kräfte der übersinnlichen Welt anwesend sind. Eine Kultzeremonie ist ja eine solche, wo etwas geschieht, was nicht bloß das bedeutet, was da zelebriert wird, wenn man es äußerlich mit den Augen anschaut, sondern es geht durch die gewöhnlichen physischen Kräfte etwas, was eben geistige Kräfte, übersinnliche Kräfte sind. Ein übersinnliches Geschehen vollzieht sich im sinnlichen Abbilde ... Der Kultus wird so gebildet, dass der Mensch im Kultus richtig etwas erlebt, was durchaus Erinnerung ist, Bild von dem ist, was er im vorirdischen Dasein, also bevor er zur Erde heruntergestiegen ist, erlebt hat ...

Und so gibt es außer jenem Bedürfnis nach Erinnerung an die übersinnliche Heimat, die durch den Kultus befriedigt werden kann, das andere Bedürfnis, sich erwecken zu lassen zum Geistig-Seelischen durch den andern Menschen ...

Finden sich Menschen, die mit Idealismus in einer Menschengruppe zusammenleben, die sich, sei es durch Vorlesen, sei es durch etwas anderes, dasjenige gegenseitig mitteilen, was Inhalt der Anthroposophie ist, dann ist ein anderes Verständnis da. Durch das gemeinsame Erleben des Übersinnlichen wird eben gerade am intensivsten Menschenseele an Menschenseele erweckt, die Seele erwacht in ein höheres Verständnis hinein, und wenn diese Gesinnung da ist, bildet sich etwas heraus, das bewirkt, dass auf Menschen, die vereinigt sind im gegenseitigen Sich-Mitteilen und im Miteinander-Erleben anthroposophischer Ideen, ein gemeinsames, wirkliches Wesen sich herniedersenkt ...

So haben wir im Kultus die Vorgänge und Wesenhaftigkeiten der höheren Welt; wir haben sie im Kultus, im Kultuswort und in der Kultushandlung auch in die physische Welt herunterprojiziert. Wenn wir einen anthroposophischen  Zweig haben, so haben wir dasjenige, was in der physischen Welt in der anthroposophischen Gruppe erlebt wird, durch die Kraft des wirklichen Idealismus, der spirituell wird, hinaufversetzt in die geistige Welt. Durch den Kultus wird das Übersinnliche in Wort und Handlung heruntergeholt in die physische Welt. Durch den anthroposophischen Zweig werden die Gedanken und Empfindungen der Anthroposophengruppe hinauferhoben in die übersinnliche Welt.

Und wenn in der richtigen Gesinnung erlebt wird der anthroposophische Inhalt von einer Menschengruppe, wobei Menschenseele an Menschenseele erwacht, wird tatsächlich diese Menschenseele erhoben zur Geistgemeinschaft. Nur handelt es sich darum, dass dieses Bewusstsein wirklich vorhanden ist. Wenn dieses Bewusstsein vorhanden ist und solche Gruppen in der Anthroposophischen Gesellschaft auftreten, dann ist in diesem, wenn ich so sagen darf, umgekehrten Kultus, in dem andern Pol des Kultus, etwas Gemeinschaftsbildendes im eminentesten Sinne vorhanden. Man möchte sagen, wenn man bildlich sprechen will: Die Kultgemeinde versucht die Engel des Himmels zu veranlassen, herunterzugehen in den Kultraum, damit sie unter den Menschen seien. Die anthroposophische Gemeinde versucht, die Menschenseelen zu erheben in die übersinnliche Welt, damit sie unter die Engel kommen. Das ist in beiden das gemeinschaftsbildende Element.« (GA 257, Vortrag vom 3. März 1923, Dornach 1989, S. 171 ff.)

Über den ersten Theologenkurs für die angehenden Priester der Christengemeinschaft meint Zander, Steiner habe durch ihn einer allegorischen Interpretation biblischer Inhalte Tür und Tor geöffnet.

Auf S. 1618 schreibt Zander:

»Im Katholizismus hingegen seien ›dogmatische Inhalte, gewisse Inhalte über Tatsachen und Wesenheiten des übersinnlichen Lebens, in Symbole gekleidet‹ (GA 342,20). Die damit postulierte ›Notwendigkeit, zum Bilde zu greifen‹, sei auch für die von ihm favorisierten Konzepte »durchaus gegeben« (ebd., 114). Einer allegorischen Interpretation theologischer und namentlich biblischer Inhalte, die Steiners Denken wie die Spiritualität der Christengemeinschaft prägten, war damit die Tür geöffnet.«

Zander verwechselt Symbol und Allegorie. Ein Symbol ist in Steiners Verständnis der sinnliche Ausdruck einer geistigen Realität, letztlich eine Imagination, eine Allegorie die Verbildlichung einer abstrakten Idee. Deutlich wird dies, wenn man die Ausführungen Steiners im Zusammenhang zur Kenntnis nimmt.

Am 12. Juni 1921 führt er aus:

»Denn, sehen Sie, das katholische Prinzip hat nie außerordentlich viel gegeben auf den Evangelien-Inhalt, das katholische Prinzip hat immer, auch in der Predigt, gearbeitet mit der Symbolik. Und bei denjenigen katholischen Predigern, die ihrer Aufgabe wirklich gewachsen sind, werden Sie es bis zum heutigen Tage ... bemerken, wie stark wiederum die Symbolik auflebt, wie gewissermaßen dogmatische Inhalte, gewisse Inhalte über Tatsachen und Wesenheiten des übersinnlichen Lebens, in Symbole gekleidet werden. Und es ist ein volles Bewusstsein vorhanden schon bei den verhältnismäßig noch niederen Klerikern, dass das Symbolum ... sich außerordentlich tief in die Seele hineinlebt, viel tiefer als der dogmatische Inhalt, als der Lehrinhalt, und dass man zur Verbreitung des religiösen Lebens eben viel mehr beitragen kann, wenn man die Heilswahrheiten in symbolischer Form ausspricht, den Symbolen einen durch und durch bildlichen Charakter gibt und nicht sich einlässt auf den eigentlichen Lehrgehalt. Sie wissen ja, dass der Inhalt des Evangeliums selbst nur den Gegenstand einer Vorlesung bildet innerhalb des Messopfers in der katholischen Kirche, dass gerade die Predigt innerhalb der katholischen Kirche vermeidet, den Evangelieninhalt als einen Lehrgegenstand an die Gläubigen heranzubringen.« (GA 342, Vortrag vom 12. Juni 1921, Dornach 1993, S. 20)

Auf eine Frage von Ernst Uehli nach der Bedeutung von Legenden gibt Steiner eine bemerkenswerte Antwort, die für das Verständnis seines Vortragswerkes von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist:

»Ernst Uehli: Die katholische Kirche hat doch sehr stark mit Legenden gearbeitet; und ich denke, es ist so, dass die katholische Bewegung sehr durch die Legende gestützt worden ist. Es lässt sich wohl denken, dass es in einer künftigen Kirchengemeinschaft zu einer neuen Legendenbildung kommen könnte.

Rudolf Steiner: So ist es. Und wenn Sie besonders einzelne meiner Vorträge, die ich in Dornach gehalten habe, lesen, so werden Sie sogar den Versuch finden, gewisse Dinge, die jetzt ausgesprochen werden können, in Legendenform auszusprechen. Ich habe ganze Vorträge in Legendenform gehalten; und ich mache Sie auf eines aufmerksam. Ich versuchte einmal das Wesen der Künste zu charakterisieren. Man kommt mit Begriffen nicht hinein in das Wesen der Künste, es bleibt alles äußerlich, was man abstrakt aufbaut. Da muss man, wenn man solches darstellen will, zum Bilde greifen. Das Büchlein ›Das Wesen der Künste‹ ist ganz bildlich dargestellt. Da wird man gleich wieder missverstanden. Als ich diese Sache ganz aus der Imagination heraus hingesprochen hatte, trat ein ganz alter Theosoph vor mich hin, der nichts anderes zu sagen wusste als: Ja, da haben Sie ja die neun Musen umgewandelt. – Nicht wahr, es lag mir so fern wie nur irgend etwas, an die neun Musen zu denken, es hat sich alles aus der Notwendigkeit der Sache ergeben. Es lag mir fern, alte Geschichten aufzuwärmen, aber man konnte sich nichts anderes vorstellen, als dass das ein abstraktes Vorgehen war.

So muss man sagen, die Notwendigkeit, zum Bilde zu greifen, ist durchaus wieder gegeben. Wir haben zum Beispiel noch nicht ein Bild für eine sehr wichtige Sache. Bedenken Sie die Fülle der Stier-Legenden, Stier-Erzählungen im Beginne des 3. Jahrtausends bei dem Übergange des Frühlingspunktes in das Sternbild des Stieres. Bedenken Sie die Legenden von dem Argonautenzuge, als im vorchristlichen 8. Jahrhundert die Sonne eingetreten ist in das Sternbild des Lammes. Jetzt ist sie im Sternbild der Fische. Diese Legende muss noch nachgeholt werden. Wir brauchen eine bildhafte Legendenbildung. Obwohl die Sache schon lebt, haben wir dafür noch keine Legende. Dieses Imaginative, das muss noch ausgebildet werden. Und so sind zahlreiche andere Dinge, die heute wirklich nur abstrakt leben, die heute aus dem Weltgeschehen heraus in Bildhaftes übergehen sollen. Daran muss gearbeitet werden. Wir müssen dadurch wiederum den Anschluss an die Welt finden. Heute ist die Welt eigentlich nur dasjenige, was nur intellektuell erfasst werden kann. Was ist die Welt für den heutigen Menschen? Man könnte geradezu sagen: Für den intellektuellen Menschen der Gegenwart ist der ganze Kosmos nichts anderes als erstarrte Mathematik und Mechanik. Und wir müssen wiederum dazu kommen, über die bloße Mathematik und Mechanik hinauszugehen, wir müssen zum Imaginativen, zum Bildhaften kommen und auch zur Legende.

Wir müssen uns nur klar werden, dass solche Forschungen, wie sie mein verstorbener Freund Ludwig Laistner über Sagen, Mythen und Legendenbildung in dem Buche ›Das Rätsel der Sphinx‹ dargestellt hat, sehr viel helfen können. Ich betone ausdrücklich, Ludwig Laistner hat nichts verstanden von Geisteswissenschaft. Ich möchte nur sagen, dass das Buch bei der Forschung helfen kann, obgleich Laistner alle Mythen und Sagen auf Geträumtes zurückführt. Aber es ist interessant, dem nachzugehen, wie er die Legendenbildung nicht auf dem wahnsinnigen Wege sucht, auf dem sie die heutigen evangelischen und katholischen Forscher suchen, indem sie sich sagen: Die Urvölker haben gedichtet, sie haben ins Gewitter hinein die Götter versetzt, ebenso beim Kampf des Winters mit dem Sommer. – Als ob die Leute nie ein Bauerngemüt kennengelernt hätten; das Bauerngemüt dichtet nie. Diese Menschen, denen da das Dichten zugeschrieben wird, die sind soweit weg vom Dichten wie die Bauern. Es war alles imaginativ. Ludwig Laistner führt alles auf Träume zurück; dennoch ist es interessant [zu lesen, wie er einen Zusammenhang der inneren Erlebnisse des Menschen sieht in der slawischen Sage von der Mittagsfrau und der Sage von der] Sphinx in Griechenland. Deshalb heißt das Buch ›Das Rätsel der Sphinx‹. Legenden müssen aus dem Leben heraus fließen, jetzt im vollen Bewusstsein. Das ist ungeheuer wichtig.« (GA 342, Fragenbeantwortung zum Vortrag vom 14. Juni 1921, Dornach , S. 114-115)

Zur Symbolik außerdem:

»Die meisten stellen sich ja vor: Bilder macht man, indem man Begriffe hat, und dann kleidet man diese in Symbolik ein. Dies ist immer eine stroherne Symbolik. Das ist [in Dornach] nicht der Fall. In Dornach ist kein Symbol, dem man einen Begriff zugrundegelegt hat, sondern da ist eben auf einer bestimmten Stufe von der Idee abgegangen, und jetzt lebt sich das Bild als ein Ursprüngliches aus. Es ist als Bild da. Und man kann nicht sagen, dass man einen Begriff übergeführt hat ins Bild. Das wäre eine stroherne Symbolik.

Dieses Streben, den Intellektualismus zu überwinden, das ist heute da, dieses Streben nach einem Seelenleben, das wegen der Objektivität ins Bildhafte übergeht. Auf der anderen Seite ist heute gar kein Glaube ans Bild da. Dadurch wird es tragisch. Man glaubt, man müsse das Bild überwinden, wenn man recht gescheit ist; man glaubt, man würde erst bewusst, wenn man das Bild überwunden hat. – Solche Bilder wie in Goethes Märchen von der grünen Schlange und der schönen Lilie werden immer ihrer Realität entkleidet, wenn man versucht, sie gedanklich spintisierend zu erklären, zu interpretieren. Man kann nur dazu führen, dass der Betreffende diese Bilder aufnehmen kann, dass sie für ihn gegenständlich werden können, aber nicht gedanklich kommentieren. Dadurch unterscheidet sich alles das, was ich beigetragen habe zur Interpretation von Goethes Märchen, von dem, was die anderen Kommentatoren machen. Die machen Anmerkungen und erklären die Bilder gedanklich.

Für das, was der wirklichen Imagination zugrunde liegt, ist das gedankliche Erklären ebenso fremd wie das, was ich zum Beispiel über die chinesische Sprache in deutscher Sprache sage. Ich muss, wenn ich jemandem Chinesisch beibringen will, ihn dazu führen, dass der aus dem Nichtchinesischen so weit kommt, das Chinesische in der Gänze so zu erfassen, dass er in dasselbe übergeht. Und so muss man auch vorbereiten zur wirklichen Bildhaftigkeit; so muss man vorgehen, damit der Betreffende die Bilder dann in sich präsent machen kann und nicht eine Erklärung daranfügen muss.

Das ist das Tragische, dass auf der einen Seite das tiefste Bedürfnis zum Bilde vorhanden ist, und auf der anderen Seite jeder Glaube an das Bild eigentlich verglommen ist. Wir glauben nicht daran, dass wir in Bildern etwas haben, das eben im Verstand, in den intellektuellen Begriffen nicht gegeben werden kann. (GA 342, Fragenbeantwortung zum Vortrag vom 12. Juni 1921, Dornach 1993, S. 38-39)

»Nun, dasjenige, um das es sich unbedingt handelt, ist, dass wir wieder lernen fortzuschreiten zu der anderen Form des Welterlebens als es die bloß intellektuelle ist, und die andere Form besteht eben in dem Bildhaften, in demjenigen, was übergehen kann in den Kultus und was übergehen kann in die Symbolik.« (GA 342, Vortrag vom 14. Juni 1921, Dornach 1993, S. 93)

»Die Symbolik ist da, wo sie auftritt in ihrer Wirklichkeit, nicht willkürlich ausgedacht. Zur Symbolik kommt man nur, wenn man sie studiert an der Wirklichkeit. Die Symbolik ist im Weltall begründet, sie ist irgendwo da. So ist es auch mit dem Kultus.« (GA 342, Fragenbeantwortung zum Vortrag vom 14. Juni 1921, Dornach 1993, S. 120)

»Wenn man den männlichen Kopf, den Ätherkopf, betrachtet als Ausdruck desjenigen, was in der emotionellen Natur lebt, so hat man schon als Typus, als Durchschnitt, etwas Stierhaftes im männlichen Kopf. Im Frauenkopf, sobald man den Ätherkopf betrachtet, hat man etwas Löwenhaftes. Das sind Durchschnittsformen. Man kann das auch moralisch empfinden, wenn man sich einlässt auf das, was die Frauennatur umfasst, wie sie Typus ist des Löwenhaften. Man kann den Stier beim Mann fühlen und den Löwen bei der Frau fühlen.

Das sind Dinge, die scheinen bloß bildlich gesprochen zu sein, sie sind aber aus der übersinnlichen Natur [des Menschen] herausgeholt. Wenn der astralische Leib [aus dem physischen Leib] herausgenommen [betrachtet wird], dann nimmt er komplizierte Pflanzenformen an, und das Ich des Menschen ist ein rein mineralisch, kristallhaft geformtes Wesen, es ist ganz geometrisch geformt. So dass man sagen kann: Der Form nach ist der Mensch im physischen Leib Mensch, im Ätherleib ist er eigentlich tierisch, im Astralischen pflanzenhaft und im Ich mineralhaft geformt. Wenn man all diese Dinge kennt, dann kommt man darauf, wie in einem früheren hellsichtigen Zustande die Leute wirklich gewusst haben von höheren Welten und aus diesen höheren Welten heraus sich diese Bilder geformt haben.

Nun, das soll nur darauf hinweisen, wie Symbole entstanden sind und wie sie sich dann traditionell fortgepflanzt haben. In unserer Zeit ist es nur möglich zu Symbolen zu kommen, wenn man sich ganz liebevoll vertieft in die Weltgeheimnisse; und nur aus Anthroposophie heraus kann heute eigentlich ein Kultus oder eine Symbolik erwachsen.« (GA 342, Fragenbeantwortung zum Vortrag vom 14. Juni 1921, Dornach 1993, S. 123)

In professoraler Überheblichkeit gesteht Zander Steiner nur ein geringes Wissen über evangelische Spiritualität und lediglich ein oberflächliches, punktuelles Wissen über die katholische Tradition zu.

Auf S. 1619 schreibt Zander:

»Dieser katholische Schwerpunkt findet sich in allen Theologenkursen und dokumentiert Steiners geringes Wissen über evangelische Gottesdienste, Spiritualität, Theologie und Lebensführung. Er war eben in einem katholischen Umfeld aufgewachsen. Wie tief dieses Wissen über die katholische Tradition wiederum reichte, ist unklar. Ich stufe es als weitenteils oberflächlich und auch punktuell ein37.

Anmerkung 37:

Steiners Sozialisation in seinem freigeistigen Elternhaus dürfte keine intensiven Spuren hinterlassen haben. Das Zusammentreffen mit katholischen Priestern von der Universität im Wien der 1880er Jahre mag immerhin intellektuelle Anstöße gegeben haben, aber vermutlich eher in philosophischen als in theologischen Fragen.«

Zander vergisst zu erwähnen, dass Steiner in seiner Kindheit katholischer Messdiener war. In seiner Autobiografie schreibt Steiner darüber:

»Von tiefgehender Bedeutung für mein Knabenleben war die Nähe der Kirche und des um sie liegenden Friedhofes. Alles, was in der Dorfschule geschah, entwickelte sich im Zusammenhange damit. Das war nicht nur durch die in jener Gegend damals herrschenden sozialen und staatlichen Verhältnisse bewirkt, sondern vor allem dadurch, dass der Pfarrer eine bedeutende Persönlichkeit war. Der Hilfslehrer war zugleich Orgelspieler der Kirche, Kustos der Messgewänder und der anderen Kirchengeräte; er leistete dem Pfarrer alle Hilfsdienste in der Versorgung des Kultus. Wir Schulknaben hatten den Ministranten- und Chordienst zu verrichten bei Messen, Totenfeiern und Leichenbegängnissen. Das Feierliche der lateinischen Sprache und des Kultus war ein Element, in dem meine Knabenseele gerne lebte. Ich war dadurch, dass ich an diesem Kirchendienste bis zu meinem zehnten Jahre intensiv teilnahm, oft in der Umgebung des von mir so geschätzten Pfarrers.

In meinem Elternhause fand ich in dieser meiner Beziehung zur Kirche keine Anregung. Mein Vater nahm daran keinen Anteil. Er war damals ›Freigeist‹. Er ging nie in die Kirche, mit der ich so verwachsen war; und trotzdem ja auch er während seiner Knaben- und Jünglingsjahre einer solchen ergeben und dienstbar war. Das änderte sich bei ihm erst wieder, als er als alter Mann, in Pension, nach Horn, seiner Heimatgegend, zurückzog. Da wurde er wieder ein ›frommer Mann‹. Nur war ich damals längst außer allem Zusammenhang mit dem Elternhause

Mir steht von meiner Neudörfler Knabenzeit stark dieses vor der Seele, wie die Anschauung des Kultus in Verbindung mit der musikalischen Opferfeierlichkeit vor dem Geiste in stark suggestiver Art die Rätselfragen des Daseins aufsteigen lässt. Der Bibel- und Katechismus-Unterricht, den der Pfarrer erteilte, war weit weniger wirksam innerhalb meiner Seelenwelt als das, was er als Ausübender des Kultus tat in Vermittelung zwischen der sinnlichen und der übersinnlichen Welt. Von Anfang an war mir das alles nicht eine bloße Form, sondern tiefgehendes Erlebnis. Das war um so mehr der Fall, als ich damit im Elternhause ein Fremdling war. Mein Gemüt verließ das Leben, das ich mit dem Kultus aufgenommen hatte, auch nicht bei dem, was ich in meiner häuslichen Umgehung erlebte. Ich lebte ohne Anteil an dieser Umgebung. Ich sah sie; aber ich dachte, sann und empfand eigentlich fortwährend mit jener anderen Welt. Dabei darf ich aber durchaus sagen, dass ich kein Träumer war, sondern mich in alle lebenspraktischen Verrichtungen wie selbstverständlich hineinfand.« (GA 28, Mein Lebensgang, Dornach 2000, S. 27-28)

Was die protestantische Spiritualität anbetrifft, darf daran gezweifelt werden, ob Zander, der auf dem spirituellen Ohr hundertprozentig taub ist, für sie mehr Verständnis hat, als Steiner. Hier wäre auf Steiners Würdigungen Jakob Boehmes, des Rosenkreuzertums und der pietistischen Mystik zu verweisen.