In der Anthropologie des Buches »Theosophie« von 1904, so Zander, dominiere die Leib-Seele-Geist-Trichotomie, »erst am Schluss« füge Steiner die neun- und siebenteilige »Hüllenanthropologie« hinzu, die er 1910 durch eine weitere Variante ergänzt habe. Die »additive Reihung« zeige, dass Steiner diese »theosophische« Hüllenanthropologie erst seit kurzem gekannt und sie locker mit der trichotomischen Anthropologie aus »christlicher«, »neuplatonischer Tradition« verbunden habe. Schließlich habe Steiner 1910 noch eine dritte Variante angefügt, in der das »Ich als Seelenkern«, umgeben vom Astralleib auf der einen und dem Geistselbst auf der anderen Seite erscheine. Die Umwandlung der leiblichen in die geistigen Wesensglieder sei nach Zander eine Erfindung von 1910. Die Gründe für die »Doppelung« seien unklar, auf eine »Harmonisierung« habe Steiner verzichtet. Die »Hüllenanthropologie« hält Zander bloß für ein »Anhängsel«, das auf die Struktur des Buches keinen Einfluss hatte.

Auf S. 572-573 schreibt Zander:

»Das erste Viertel des Buches ist grundlegenden Fragen der theosophischen Anthropologie gewidmet (GA 9,24–60). Dabei dominiert übermächtig die trichotomische Anthropologie von Leib, Seele und Geist, die Steiner leibliche, seelische und geistige ›Wesenheiten‹ nannte. Erst am Schluss dieses anthropologischen Teils fügte er – schon 1904 – die neun- und siebenteilige Hüllenanthropologie hinzu, die er 1910 durch eine Variante in der Deutung der siebenteiligen Anthropologie ergänzte ... Diese additive Reihung unterschiedlicher Anthropologen [sic!] dokumentiert vermutlich, dass Steiner die theosophische Lehre der Körperhüllen erst seit kurzem kannte und sie locker mit der trichotomischen Anthropologie aus christlich-(neu)platonischer Tradition verbunden hat.

...

Die Gründe für [ sic!] Dopplung mit der bereits drei Seiten zuvor beschriebenen und tabellierten Anthropologie ist unklar. Möglicherweise wollte Steiner in der nachgeschobenen Zusammenfassung, in der sich diese Stelle heute befindet, die weitverbreitete siebenteilige Fassung präsent machen. Auf eine Harmonisierung hat er jedenfalls verzichtet, unter der impliziten Annahme, dass die verschiedenen Hüllenanthropologien letztlich identisch seien.«

Auf S. 579:

»Die Hüllenanthropologie war im April / Mai 1904 ein bloßes Anhängsel (GA 9,56–58), das auf die Struktur des Buchs keinen Einfluss hatte.«

All diese Behauptungen Zanders erweisen sich bei näherer Betrachtung als gegenstandslos.

Der anthropologische Teil des Buches »Theosophie« entwickelt, ausgehend von einem Goethezitat, das zwischen den wahrnehmbaren Gegenständen der Welt, ihrer seelischen Aneignung und ihrer geistigen Beurteilung unterscheidet, die trichotomische Gliederung des Menschen nach Leib, Seele und Geist.

Der Mensch als leibliches Wesen ist aber, wie das erste Unterkapitel über »die leibliche Wesenheit des Menschen« zeigt, in sich differenziert: er baut sich gleich den Mineralien aus den Stoffen der Natur auf, er wächst und vermehrt sich wie die Pflanzen und er regt und bewegt sich wie die Tiere. Schon das erste Unterkapitel führt also – nebenbei gesagt, in aristotelischer Manier –, die Dreigliederung des Leibes ein.

Das zweite Unterkapitel über »die seelische Wesenheit des Menschen« handelt von der Dreigliederung der Seele, die Sinnesempfindungen an die Wahrnehmungen anschließt, an diese Gefühle der Lust und Unlust und an diese wiederum Willensregungen, durch die der Mensch der Außenwelt seinen Stempel aufprägt.

Das dritte Unterkapitel führt den Menschen als denkendes, geistiges Wesen ein, das durch sein Denken einer geistigen Ordnung angehört.

Im vierten Unterkapitel »Leib, Seele und Geist« werden die einleitenden Ausführungen gedanklich vertieft. Hier wird die aristotelische Ontologie der »Grundlinien einer Erkenntnistheorie ...« (Naturreiche) am Menschen selbst expliziert und mit der platonischen Ideenschau in einer höheren Synthese zusammengeführt.

Der mineralische Bau des Menschen ist auf den denkenden Geist hingeordnet. Dieser Leib geht aus der Fortpflanzung hervor und erhält seine ausgebildete Gestalt durch Wachstum. Es ist im Strom der Generation eine artbildende Kraft tätig, die die Artform erhält, Steiner bezeichnet sie als »Lebenskraft«, als »lebenerfüllte Doppelgestalt«, »Ätherleib«. Dieser ist auf den denkenden Geist des Menschen hingeordnet, so wie der physische Leib auch.

Durch seine Empfindungen antwortet der Mensch auf die Reize der Außenwelt. Die Seele ist der Tätigkeitsquell, der die Empfindungen aus den Sinneswahrnehmungen erzeugt. Dieser Tätigkeitsquell wird als »Empfindungsseele« bezeichnet. Die Empfindungsseele hängt von der Wirksamkeit des Ätherleibes ab, weil sie aus diesem holt, was sie in Empfindungen umwandelt. Die Leiblichkeit wirkt also auf die Empfindungsseele, sie bestimmt und begrenzt diese. Die durch den (Äther-)Leib begrenzte Empfindungsseele wird als »Empfindungsleib« bezeichnet. Bereits hier wird auf das enge Ineinanderverwobensein von Empfindungsleib und Empfindungsseele hingewiesen, das es rechtfertigt, diese als Einheit zu betrachten. Insofern sind drei Leiber zu unterscheiden: der physische, der ätherische und der seelische Leib (»Astralleib«).

Die Empfindungsseele wird nicht nur vom Leib, sondern auch vom Geist beeinflusst. Zunächst dient ihr das Denken. Diese vom Denken bediente Seele nennt Steiner »Verstandesseele«. Die Wahrheit, die der Mensch denkend erkennt, besitzt eine eigenständige Bedeutung, unabhängig von seinen Sympathien und Antipathien. Dasselbe gilt für das wahrhaft Gute, das unabhängig von Neigungen und Leidenschaften ist. Wenn das selbstständige Wahre und Gute in seiner Seele auflebt, erhebt sich der Mensch über die bloße Empfindungsseele. Sie wird des Ewigen teilhaftig. Was sie als Wahres und Gutes in sich trägt, ist unsterblich an ihr. Dieses Ewige, das in der Seele aufleuchtet, wird »Bewusstseinsseele« genannt. Sie ist der »Kern« des menschlichen Bewusstseins, die »Seele in der Seele«. So hat man auch in der Seele des Menschen drei Glieder zu unterscheiden: die Empfindungs-, die Verstandes- und die Bewusstseinsseele. Wie der Leib begrenzend auf die Seele wirkt, so der Geist erweiternd.

Bereits diese nur sehr verkürzt referierten gedanklichen Meditationen zeigen, wie die trichotomische Gliederung des Leibes und der Seele aus den Keimgedanken entwickelt wird, die das am Anfang des ganzen Kapitels stehende Goethezitat bereitstellt. Der gesamte Gedankenverlauf ist nichts als eine ausgedehnte Meditation, in der die denkende Seele sich über ihr eigenes Wesen und ihr Verhältnis zu Leib und Geist aufklärt. Die dreifach trichotomische Struktur ist in die gesamten Erörterungen unlösbar verwoben und bestimmt ihren Verlauf. Von allem Anfang an zielt die Erörterung des ersten Kapitels der »Theosophie« auf die Entwicklung der neungliedrigen Gestalt des Menschen. Dies zeigt der weitere Gedankengang, der sich zunächst dem Ich zuwendet, um anschließend die dreigliedrige Gestalt des Geistes gedanklich zu entfalten.

Im »Ich« fasst der Mensch alles zusammen, was er als Leib und Seele erlebt. Leib und Seele sind die Träger des »Ich«. Im »Ich« findet die Seele ihren Mittelpunkt. Dieses »Ich« »ist der Mensch selbst«. Er kann es als »seine wahre Wesenheit« betrachten. Leib und Seele sind »Hüllen« dieses Ich, seine »Werkzeuge«. So wie sich die Sinneserscheinungen dem Ich offenbaren, so auch der Geist: jene von außen, dieser von innen. Leib und Seele geben sich dem »Ich« hin, dieses gibt sich dem Geist hin. Das Ich lebt in der Bewusstseinsseele, in es strahlt der Geist ein, er lebt im Ich als seiner »Hülle«. Der Geist bildet das Ich von innen nach außen, wie die Leiber es von außen nach innen »bilden«. Der »als Ich lebende Geist« kann »Geistselbst« genannt werden, weil er als »Ich« oder »Selbst« des Menschen erscheint. Das Ich ist das »geistige Selbst« des Menschen, insofern es in der Bewusstseinseele als Geist erscheint. Das Geistselbst ist eine Offenbarung des Geistes im Ich des Menschen.

Diese Offenbarung des Geistes kann als »Intuition« bezeichnet werden, wie die Offenbarung des Körperlichen »Empfindung«. Wie der Mensch aus der körperlichen Umwelt seinen Leib aufbaut, so aus der geistigen Umwelt sein geistiges Wesen. Als geistige Individualität, die sich von der geistigen Umwelt unterscheidet, kann er als »Geistesmensch« bezeichnet werden. Der Geistesmensch wird durch die geistige Lebenskraft aufgebaut, wie der leibliche Mensch durch die Lebenskraft des Ätherleibs. Diese geistige Lebenskraft kann als »Lebensgeist« bezeichnet werden. So faltet sich auch das geistige Wesen des Menschen in drei Glieder auseinander.

All diese Gedankenentwicklungen können in einem Schema des neungliedrigen Menschen zusammengefasst werden. Da Empfindungsseele und Empfindungsleib auf der einen Seite und Bewusstseinsseele und Geistselbst auf der anderen »im irdischen Menschen« eine Einheit bilden, kann an dieses Schema auch ein siebengliedriges angeschlossen werden. In der Verstandesseele blitzt das Ich auf, und wird als Bewusstseinsseele zum Träger des Geistmenschen. Die Menschenseele wurzelt in der leiblichen Welt und blüht in die geistige auf.

An dieser Stelle sei der Hinweis erlaubt, dass Augustinus in seinem Dialog »De quantitate animae« auf neuplatonischer Grundlage eine nahezu identische Anthropologie entwickelt, die mit dem Ätherleib beginnt und mit drei geistigen Entfaltungsstufen endet, die zu den drei geistigen Wesensgliedern des Menschen in Beziehung gesetzt werden können. (Augustinus, »Philosophische Spätdialoge«, München 1973, XXXIII, 71-76, S. 219-229.) Es ist also nicht erforderlich, auf theosophische Kompendienliteratur zurückzugreifen, wenn man denn unbedingt historische Parallelen zu Steiners Schichtenanthropologie suchen will, man könnte diese ebensogut in der christlichen Literatur des Abendlandes finden.

Der kurze Durchgang durch den zweiten Hauptteil der »Theosophie« enthüllt, dass die Behauptungen, die Zander aufstellt: Steiner füge erst am Schluss die neun- und siebenteilige »Hüllenanthropologie«, die er erst seit kurzem gekannt habe, »als Anhängsel« hinzu und das Buch enthalte eine »additive Reihung« von Anthropologien, nichts als haltlose Behauptungen sind.

Denn das Gegenteil ist offensichtlich: Vom ersten Satz an ist es Sinn und Zweck, Ziel und Absicht dieses Kapitels der »Theosophie«, eben diese Anthropologie als dreifach trichotomische Gliederung des Menschenwesens gedanklich systematisch und begrifflich nachvollziehbar zu entwickeln. Nichts wird irgendwo additiv hinzugefügt, nichts erscheint als Anhängsel, sondern alles entwickelt sich wie ein wachsendes lebendiges Gebilde aus den Keimgedanken Goethes, von denen die gesamte Meditation ausgeht.

Und es trifft auch nicht zu, dass diese »Hüllenanthropologie«, die im übrigen keine »Hüllen«anthropologie ist, sondern eine integrale Anthropologie, die das Verhältnis des Wesens des Menschen zu seinen »Hüllen« aufzeigt, also besser als Wesensanthropologie bezeichnet würde, auf die Struktur des Buches keinerlei Einfluss hätte. Denn die Siebengliedrigkeit ist strukturbildendes Prinzip des eben behandelten Hauptteils, ebenso wie der Darstellungen über die »drei Welten«, des vierten großen Teils des Buches, der auf das Kapitel über »Wiederverkörperung des Geistes und Schicksal« folgt.

Das Motiv der Individualisierung und damit Verwandlung oder Vergeistigung der drei Leiber in die drei geistigen Wesensglieder taucht auch nicht erst 1910 im Werk Steiners auf, wie Zander meint – zwar wurde es erst 1910 explizit in das (dritte) Wesensgliederschema der »Theosophie« eingefügt, aber es spielt bereits in der Aufsatzreihe »Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten« eine Rolle, deren letzte Folge im September 1905 von der Übernahme der Tätigkeiten hierarchischer Wesen in den unteren Wesensgliedern durch das Ich des Menschen spricht und ist auch im Vortragswerk schon ab 1905 nachweisbar. (Zum Beispiel: GA 93, 5.6.1905, S. 177 f. – hier ist von der Umwandlung der drei Leiber in die drei geistigen Wesenglieder durch das Ich die Rede; GA 93a, 27.9.1905, 7.10.1905 u.ö. – hier ist vom Wirken hierarchischer Wesen in diesen Leibern die Rede, deren Arbeit das menschliche Ich nach und nach übernehmen muss.)

Schließlich stellte Steiner diese Umwandlung der unteren Wesensglieder explizit in Aufsätzen dar, die im April 1907 und im April 1908 in der »Luzifer-Gnosis« erschienen sind, nämlich in Heft 33 (heute in GA 34, 1987, S. 309 ff.) unter dem Titel »Die Erziehung des Kindes vom Gesichtspunkt der Geisteswissenschaft« und in Heft 35 (heute in GA 11, Tb-Ausgabe 1979, S. 165.) Im letzteren heißt es lapidar:

»In dieser Darstellung soll vom Menschen ausgegangen werden. So wie er gegenwärtig auf der Erde lebt, besteht dieser Mensch aus dem physischen Leibe, dem Äther- oder Lebensleib, dem Astralleib und dem ›Ich‹. Diese viergliedrige Menschennatur hat in sich die Anlagen zu höherer Entwickelung. Das ›Ich‹ gestaltet von sich aus die ›niederen‹ Leiber um und bildet diesen dadurch höhere Glieder der Menschennatur ein. Die Veredelung und Läuterung des Astralleibes durch das Ich bewirkt die Entstehung des ›Geistselbst‹ (Manas); die Umwandlung des Äther- oder Lebensleibes schafft den ›Lebensgeist‹ (Buddhi), und die Umgestaltung des physischen Leibes schafft den eigentlichen ›Geistes-Menschen‹ (Atma). Die Umwandlung des Astralleibes ist in der gegenwärtigen Periode der Erdenentwickelung in vollem Gange; die bewußte Umwandlung des Ätherleibes und des physischen Leibes gehört späteren Zeiten an; gegenwärtig hat sie bloß bei den Eingeweihten - den Geheimwissenschaftern und ihren Schülern - begonnen. - Diese dreifache Umwandlung des Menschen ist die bewußte; ihr ist vorangegangen eine mehr oder weniger unbewußte, und zwar während der bisherigen Erdenentwickelung. Man hat in dieser unbewußten Umwandlung von Astralleib, Ätherleib und physischem Leib die Entstehung der Empfindungsseele, der Verstandesseele und der Bewußtseinsseele zu suchen.« (GA 11, S. 165 f)

Ausführlicher behandelt diese Umwandlung der Aufsatz aus dem Jahr 1907 über die »Erziehung des Kindes« (GA 34, 1987, S. 309 ff.).

Der Gedanke als solcher ist aber keineswegs neu. Er taucht bereits in den »Einleitungen« zu »Goethes Naturwissenschaftlichen Schriften« 1887 auf, die dem menschlichen Geist die Aufgabe zuweisen, »sich so auszubilden, dass er imstande ist, alle ihm gegebene Wirklichkeit in der Art zu durchschauen, wie sie von der Idee ausgehend erscheint« (GA 1, 1973, Kapitel IX, S. 167) und davon sprechen, der Mensch müsse den Ideengehalt der »höheren Totalitäten«, denen er angehört (Volk [Gesellschaft] und Geschichte), in sein erkennendes Bewusstsein aufnehmen, damit er nicht von ihnen geleitet werde, sondern sich selbst leite. (GA 1, 1973, Kapitel X, S. 207)

Der Gedanke der Transformation der unteren Wesensglieder durch das Ich klingt auch in der »Theosophie« selbst und zwar zuerst im Kapitel über »Wiederverkörperung des Geistes und Schicksal« an, das sich mit den Früchten und Erträgnissen beschäftigt, die das menschliche Ich aus den Leibern schöpft und in sein unsterbliches geistiges Wesen einprägt.

Schließlich wird vom Arbeiten des menschlichen Geistes an den »unteren Wesensgliedern« explizit im vierten Hauptteil des Buches, »Die physische Welt und ihre Verbindung mit Seelen- und Geisterland« gesprochen.

Hier heißt es:

»An den drei unteren Gliedern des Menschen arbeiten also die Urbilder in Form von Wesenheiten mit, die ihm in gewisser Weise äußerlich gegenüberstehen; in seiner Verstandesseele wird er selbst zum (bewussten) Arbeiter an sich.« (GA 9, 1. Aufl., S. 132.) Und dies tut er mit dem Ziel, das ihm selbst unbewusste Wirken des in seine naturhaften Wesensschichten ausgegossenen Göttlichen in ein von ihm selbst vollbrachtes umzuwandeln. (GA 9, 1. Aufl., S. 5.)

Die »ganze Lehre von den Lotosblumen« habe Steiner »wohl« aus der theosophischen Literatur übernommen, meint Zander. »Wohl« bedeutet, dass er dies nicht nachweisen kann, aber auf das Postulat der Abhängigkeit will er dennoch nicht verzichten.

Auf S. 589 schreibt Zander:

»Die Lehre von den Lotosblumen respektive Chakren, die um 1900 in alternativreligiösen Milieus weit verbreitet war, hat Steiner wohl aus der theosophischen Literatur übernommen.« 168

Dazu die Anmerkung 168:

»Das opulenteste Werk dazu erschien allerdings erst nach Steiners Tod: Leadbeater: Die Chakras (1928). Nach Hauer: Wesen und Werden der Anthroposophie, 57, befinden sich die Chakren im indischen Denken nicht am Astralkörper, sondern am leiblichen Körper; die Kombination mit Astralkörpern sei in der Theosophie vorgenommen worden.«

Weiter schreibt Zander auf S. 589:

»Schliesslich kam Steiner auf das zweiblättrige Chakra zu sprechen, das aber nun nicht mehr zwischen Genitalien und Anus, sondern ›in der Augengegend‹ sitzen soll.«

Das »opulenteste Werk« zu den Chakren, eine Publikation Leadbeaters, sei »allerdings erst nach Steiners Tod« erschienen, wie Zander in einer Anmerkung schreibt – aber vielleicht hat ja Steiner dieses Werk vor seiner Publikation astral gelesen und als »Quelle« ausgeplündert ...? Die Anmerkung läßt zugleich erkennen, aus welchen Quellen Zander selbst schöpft: Jakob Wilhelm Hauer, der Führer der »Deutschen Glaubensbewegung« gehörte mit seiner Publikation »Wesen und Werden der Anthroposophie« zu den schärfsten Gegner Steiners. Seine eigentliche Karriere in dieser Hinsicht begann jedoch erst nach der Machtergreifung 1933. Mehr zu Hauer unter der Rubrik »dubiose Quellen«.

Zander stellt zutreffend fest, dass Steiner die Chakren nicht wie in der Tradition des Kundalini-Yoga von unten nach oben, sondern von oben nach unten entwickeln lässt.

Außerdem behauptet er, Steiner habe die zweiblättrige Lotusblume von der Gegend am Beckenboden in die Augengegend verlegt, was allerdings – mitsamt den daran anschließenden weitreichenden Schlüssen über Steiners angebliche »Verwischung« der Spuren des »sexuell« deutbaren Kundalinithemas – ein gravierender Irrtum ist, denn das »Ajna-Chakra« befindet sich auch in den einschlägigen Sanskrittexten wie dem Shatchakra-Nirupana oder dem Paduka-panchaka in der Stirngegend zwischen den Augen. (Vgl. Arthur Avalon, Die Schlangenkraft, 1982.)

Zander vermutet, Steiner habe die Entwicklungsrichtung umgedreht, weil er die »sexuellen Deutungsmöglichkeiten« der »Chakrenlehre« eliminieren wollte, was er laut Unterkapitel c. (»Die Eliminierung sexuell deutbarer Bezüge in der Kundalini-Terminologie«) erst in der Buchausgabe von 1914 getan habe.

Aber offensichtlich sind diese Bezüge für Steiner schon 1904/05 irrelevant und alles, was er in »Wie erlangt man ...« über die okkulte Schulung ausführt, hat auch nicht im Entferntesten etwas mit Sexualkräften zu tun.

Steiners Ausführungen über den »kleinen Hüter der Schwelle« in »Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?« leiten, wie Zander meint, die Leser »irre«, weil er diesen mit einem »Todesengel« vergleiche. Ausserdem habe er den Hüter der Schwelle aus Bulwer-Lyttons Buch »Zanoni« geklaut – und gestehe dies sogar zu, weil sich das Plagiat ohnehin nicht habe verheimlichen lassen.

Auf S. 590 schreibt Zander:

»Steiner baute dabei einen ›kleineren Hüter der Schwelle‹ (GA 10,193) in seinen Schulungsweg ein, der dem Menschen im Tod begegne. Er sei eine Art alter ego der schlechten Seiten eines Menschen, ›aus dem Kontobuche deines eigenen Lebens gewoben‹ (ebd., 195), ›ein übersinnliches Wesen …, das er [der Mensch] gewissermassen selbst hervorgebracht hat‹ (ebd., 204) und das den Menschen über seine Karmabilanz aufkläre. Dieses Wesen entspreche einem ›Todesengel‹ (ebd., 197). Aber mit dieser religionshistorischen Einbindung wies Steiner in die falsche Richtung, denn er griff bei der Konstruktion dieser Figur nicht auf den Fundus der älteren Religionsgeschichte zurück, sondern auf einen okkultistischen Roman des 19. Jahrhunderts, auf ›Zanoni‹ von Edward Bulwer-Lytton, der zu den zentralen Referenzen der esoterischen Szene im 19. Jahrhundert gehörte und den auch Steiner in diesen Jahren intensiv rezipierte ...

Dass das Motiv des Hüters der Schwelle in Steiners Schulungsweg von Bulwer stammte, liess sich angesichts der Verbreitung des ›Zanoni‹ in okkultistischen Kreisen wohl nicht verbergen, und so trat Steiner die Flucht nach vorne an und konzedierte schon 1905, ›in Bulwers Zanoni wird romanhaft eine Darstellung dieses Hüters der Schwelle gegeben‹.«

Zander weiß es einmal mehr besser als Steiner. Er weiß, dass Steiner sich bei seiner »Konstruktion« des »Hüters der Schwelle« nicht aus der Religionsgeschichte, sondern aus dem Roman »Zanoni« von Bulwer-Lytton bedient hat. Woher weiß Zander das eigentlich? War er 1905 bei der »Konstruktion« dabei? Oder konnte er post mortem in das Bewußtsein Steiners hineinblicken?

Wie dem auch sei: Auch Bulwer-Lytton hat von einem »Hüter der Schwelle« gesprochen, also muss er die »Quelle« für Steiner gewesen sein. Dass es sich bei dem Hüter der Schwelle im Roman »Zanoni« um eine weibliche Gestalt, eine »Hüterin« handelt, die von Glyndon durch den unrechtmäßigen Gebrauch eines magischen Elixiers heraufbeschworen wird, und diese Gestalt völlig andere Züge trägt, als der kleine Hüter in »Wie erlangt man ...«, stört Zander nicht, ganz abgesehen davon, dass Steiner von zwei Hütern spricht, einem kleinen und einem großen.

Wenn Steiner dagegen selbst auf die »romanhafte« Behandlung dieser Gestalt in Bulwer-Lyttons »Zanoni« hinweist, dann ist dies für den Inquisitor Zander »eine Flucht nach vorn«, da sich »die Abhängigkeit« bei der Bekanntheit des Romans ohnehin »nicht habe verbergen lassen«. Das gilt natürlich nur, wenn man seine unbewiesene Prämisse einer Abhängigkeit akzeptiert.

In »Wie erlangt man Erkenntnisse ...?«, in der Ausgabe letzter Hand, findet sich der Hinweis auf »Zanoni« in einer Anmerkung. Hier weist Steiner darauf hin, dass das Sichtbarmachen des »Hüters der Schwelle« – wie es in Bulwer-Lyttons Roman geschieht –  zu den Verrichtungen der niederen Magie gehört, und nicht nur gefährlich, sondern auch irreführend ist:

»Es ist aus obigem klar, daß der geschilderte ›Hüter der Schwelle‹ eine solche (astrale) Gestalt ist, welche dem erwachenden höheren Schauen des Geheimschülers sich offenbart. Und zu dieser übersinnlichen Begegnung führt die Geheimwissenschaft. Es ist eine Verrichtung niederer Magie, den ›Hüter der Schwelle‹ auch sinnlich sichtbar zu machen. Dabei handelte es sich um die Herstellung einer Wolke feinen Stoffes, eines Räucherwerkes, das aus einer Reihe von Stoffen in bestimmter Mischung hergestellt wird. Die entwickelte Kraft des Magiers ist dann imstande, gestaltend auf das Räucherwerk zu wirken und dessen Substanz mit dem noch unausgeglichenen Karma des Menschen zu beleben. – Wer genügend vorbereitet für das höhere Schauen ist, braucht dergleichen sinnliche Anschauung nicht mehr; und wem sein noch unausgeglichenes Karma ohne genügende Vorbereitung als sinnlich lebendiges Wesen vor Augen träte, der liefe Gefahr, in schlimme Abwege zu geraten. Er sollte nicht danach streben. In Bulwers ›Zanoni‹ wird romanhaft eine Darstellung dieses ›Hüters der Schwelle‹ gegeben.« (GA 10, 1961, S. 198)

Wie haarsträubend die »Interpretationen« Zanders sind, kann man auch an diesem Text erkennen, der nicht im entferntesten an eine »Flucht nach vorn« erinnert. Natürlich war Zanoni in der theosophischen Bewegung und Gesellschaft bekannt und natürlich praktizierten nicht wenige Mitglieder unterschiedliche Formen der Magie und des Spiritismus, um ihren spirituellen Materialismus zu befriedigen. Steiner nimmt die Darstellung des »Hüters der Schwelle« zum Anlass, um seine Leser auf die Gefahren solcher Praktiken hinzuweisen.

Schließlich postuliert Zander, Steiner habe die (bloß) »fiktionale Gestalt« des Hüters in seiner Rezeption zu einer »okkulten Tatsache« aufgewertet. Da er bei Zanoni »nur« eine »literarische Fiktion« ist, hat also Steiner auch noch die Dummheit – oder Dreistigkeit – besessen, eine literarische Fiktion als Inhalt seiner eigenen Erkenntnis, als reale, von ihm erforschte Tatsache auszugeben. Nach derselben Logik könnte man auch argumentieren, Steiner habe das »fiktionale Motiv« der Auferstehung, von dem die Evangelien berichten, durch seine Christologie in eine »okkulte Tatsache« aufgewertet. (Die Hüterin der Schwelle tritt in Bulwer-Lyttons Roman im vierten Buch auf, dem als Motto ein Zitat aus Schillers Gedicht »Das verschleierte Bild zu Sais« vorangestellt ist: »Sei hinter ihm was will! Ich heb’ ihn auf – Er ruft’s mit lauter Stimm. Ich will sie schauen.« Der Neophyt hebt in Schillers Gedicht unrechtmäßig den Schleier der Göttin Isis und wird für diesen Frevel mit Wahnsinn gestraft.)

Für den großen Hüter der Schwelle kann Zander merkwürdigerweise keine Quelle namhaft machen, obwohl  ihn diese Gestalt an die Bodhisattvas erinnert und so hält er es für möglich, dass Steiner diese »sympathetische Funktion des Vergeistigten« eigenständig entwickelt habe – als Produkt seiner Phantasie vermutlich.

Zander wirft Steiner vor, er habe in seiner Darstellung des esoterischen Schulungsweges versäumt, die »Erkenntniskriterien« zu beschreiben, nach denen Wahrheit von Irrtum unterschieden werden könne. In der ersten Darstellung des Schulungsweges 1904-1905 habe er (1) überhaupt keine solchen geliefert und 1909/10 in der »Geheimwissenschaft« (2) nur solche, die dem Schulungsweg selbst immanent seien. Die zu erwerbenden Unterscheidungskriterien könnten nur im Verfolg des Schulungswegs selbst entwickelt werden, sie lieferten keine Beurteilungsmöglichkeit von Erkenntnis durch ein externes Kriterium.

Auf S. 612-613 schreibt Zander:

»Einen ersten Fokus bilden die zwischen 1904 und 1905 im Schulungsweg von Steiner selbst zur Prüfung der Wahrheitsfrage angeführten Kriterien ... Kriterien zur Unterscheidung eines ›gesunden‹ von einem ungesunden Sinn fehlen. Steiner glitt vielmehr in eine lebensphilosophisch getönte Evidenz ab, die den eröffneten rationalen Diskurs unterlief ...

Man kann Steiner ... nicht vorwerfen, die Probleme übersinnlicher Wahrnehmung nicht gesehen zu haben, aber die Antworten blieben unbefriedigend. Bei der projektiven Täuschung lässt sich die Metapher des Doppelgängers als Hinweis auf Gegenstandsproduktion des Subjekts beziehen, doch die Erkenntnis des Doppelgängers ist ein Unterscheidungskriterium, das man im Verlauf des Schulungsweges gewinnen soll, so dass es kein Kriterium außerhalb dieses Prozesses gibt. Dieses Problem schlägt auch im zweiten Täuschungsproblem zu Buche, denn die zu erwerbenden Fähigkeiten erhält man nicht außerhalb des Schulungsweges.«

(1) Die erste Behauptung Zanders trifft nicht zu, denn bereits die Aufsatzfolge »Wie erlangt man Erkenntnisse ...« von 1904-05 beschrieb die beiden Kriterien, die Steiner in der »Geheimwissenschaft« anführt:

• die Begegnung mit dem Doppelgänger oder kleinen Hüter der Schwelle, die zur Unterscheidung zwischen subjektiven und objektiven Imaginationen erforderlich ist und

• die Ausbildung der Inspiration, als der Fähigkeit, die Imaginationen zu deuten sowie die Begegnung mit dem großen Hüter der Schwelle.

(2) Die zweite Behauptung Zanders ist so klug, als wenn man der Philologie vorwerfen wollte, ihre Erkenntnisse ließen sich nicht mit den Methoden der Teilchenphysik überprüfen und vice versa.

Die Wissenschaftstheorie lehrt, dass jede wissenschaftliche Erkenntnisform ihre eigenen disziplinimmanenten Kriterien ausbildet, die mit anderen Erkenntniskriterien nicht kompatibel sind. Man kann deswegen den einzelnen Wissenschaftsdisziplinen nicht vorwerfen, sie immunisierten sich gegen Kritik. Ihre Forschungsresultate sind offen für Kritik, vorausgesetzt, sie beruht auf denselben Methoden, wie die Resultate, die kritisiert werden.

Dasselbe gilt für die Methodologie der anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft. Sie ist offen für Kritik, vorausgesetzt, diese beruht auf der Anwendung derselben Erkenntnismethoden, die zu den zu kritisierenden Ergebnissen geführt haben.

Die logische Plausibilität der geisteswissenschaftlichen Erkenntniskriterien lässt sich durch das Denken einsehen, wie der logische Aufbau jeder anderen wissenschaftlichen Methodologie.

Steht dem Seher in seinem Doppelgänger tatsächlich die Summe der eigenen Subjektivität gegenüber, dann ist klar, dass die Begegnung mit dem Doppelgänger im Idealfall dazu führt, diese Subjektivität von objektiven Inhalten der Astralwelt zu unterscheiden.

Und gewinnt er durch die Inspiration ein Instrument, falsche von richtigen Deutungen dieser Imaginationen zu unterscheiden, dann kann sich eine Überprüfung solcher Deutungen nur aus der Anwendung des Inspirationskriteriums ergeben.

Durch die Begegnung mit dem Doppelgänger wird es möglich, zwischen dem zu unterscheiden, was man »in die Dinge hineinsieht, und dem, was sie wirklich sind«, weil man »die eigene Wesenheit als ein Bild für sich wahrnimmt und dadurch sich alles von der Umgebung loslöst, was aus dem eigenen Inneren fließt.« (GA 13, 1. Aufl., S. 362)

Durch die Ausbildung der Inspiration erwirbt sich der Erkennende die Fähigkeit, »an der Beschaffenheit einer Tatsache der übersinnlichen Welt zu erkennen, ob sie Wirklichkeit oder Täuschung ist«, denn »Täuschungen der übersinnlichen Welten haben an sich selbst Eigenschaften, durch welche sie sich von den Wirklichkeiten unterscheiden.« (GA 13, 1. Aufl., S. 366)

Hinzu kommt aber noch etwas anderes. Während des Aufstiegs von der Imagination durch die Inspiration zur Intuition entfernt der Geistesschüler schrittweise alles, was von seiner Subjektivität der geistigen Erfahrung anhaftet.

In den Übungen, die zur Imagination führen, spielen Anteile der sinnlichen Wahrnehmung noch eine Rolle, deren Inhalte zu Sinnbildern geformt werden. Diese Vorstellungsinhalte entnimmt der Geistesschüler seinem gewöhnlichen Seelenleben. Er kann sich Täuschungen darüber hingeben, wie diese Inhalte zustande kommen. Diese können auch in die auftretenden Imaginationen hineinwirken, ja, in der Regel offenbaren sich die geistigen Inhalte durch die kulturspezifischen Bildelemente, die der Erkennende bereits in seiner Seele trägt (darauf sind die unterschiedlichen Ausdrucksformen für vergleichbare geistige Erfahrungen in unterschiedlichen mystischen und mythologischen Traditionen zurück zu führen).

Bei den Übungen zur Inspiration muss er all diese bildlichen Inhalte aus seiner Seele entfernen und sich allein in die Seelentätigkeit versenken, die zum Aufbau solcher Bildinhalte führt. Er muss das Bewusstsein von diesen Inhalten entleeren, damit sich in seiner inneren Erfahrung der begrifflich-ideelle Zusammenhang der Bilder aussprechen und er ihre Metamorphosen »lesen« oder »hören« kann. Nun stellt auch noch diese Seelentätigkeit eine mögliche Quelle von Täuschungen dar. Denn die Art seiner Seelentätigkeit ist ein Ergebnis der Lebens- und Bildungsgeschichte des Menschen, auch den Deutungen können also noch kultur- und bildungsspezifische Einflüsse anhaften.

Bei den Übungen zur Intuition muss er auch noch diese Seelentätigkeit aus dem Bewusstsein entfernen. Der Inhalt, der durch die Intuition in dieses Bewusstsein eintritt, stammt nun weder aus Reminiszenzen an die sinnlichen Wahrnehmungen noch aus der eigenen Seelentätigkeit des Beobachters. Er tritt durch sich selbst auf. Und er tritt so auf, dass sich der Erkennende mit diesem Inhalt vereinigt. Er durchschaut diesen Inhalt vollständig, weil er mit ihm eins wird. Die Intuition zeigt ihm, wie eine »ganz klare Wirklichkeit der seelisch-geistigen Welt beschaffen« ist. Wendet er die »an der Intuition erkannten Kennzeichen« des geistig-seelisch Wirklichen auf das an, was sich seiner Beobachtung zeigt, dann kann er Schein von Wirklichkeit unterscheiden. Was in der Form der Intuition in seinem Bewusstsein auftritt, ist frei von aller Subjektivität, es ist der objektive Geistesinhalt des Wesenhaften, mit dem der Erkennende eins wird.

In der Imagination ist Täuschung möglich, weil sie dem Menschen bloß die astralen Ausflüsse von Seelisch-Geistigem zeigt, die in sinnbildlicher Form auftreten. Sowohl die Herkunft der Bildelemente als auch ihre Deutung kann zweifelhaft sein.

In der Inspiration, durch die der Erkennende »hören« oder »lesen« lernt, in welchen Beziehungen die Wesenheiten, die sich in bildlicher Form offenbart haben, zueinander stehen, kann der Anteil seiner eigenen Seelentätigkeit zur Verfälschung der Deutung dieser Beziehungen führen.

In der Intuition dagegen dringt er in die Wesen selbst ein und wird mit ihnen geistig eins. Er lebt so in ihnen, wie er in seinem eigenen Ichwesen lebt, mit dem er eins ist. Der geistige Inhalt dieser Wesen ergießt sich in das erkennende Bewusstsein und dieses durchdringt das Erkannte in von seinen subjektiven Seelenanteilen unbeeinträchtigter Klarheit. Das letzte Kriterium der Unterscheidung zwischen Täuschung und Wirklichkeit ist im Geisterkennen die Intuition. Was nicht so vollständig und allseitig durchschaut ist, dass der Erkennende es in seinem Wesen völlig durchdringt, ist nicht intuitiv erkannt.

Während der geistig Erkennende am kleinen Hüter der Schwelle subjektive von objektiven Imaginationen unterscheiden lernt, führt ihn die Begegnung mit dem großen Hüter der Schwelle zur Fähigkeit, zwischen falscher und richtiger Deutung zu unterscheiden. (GA 13, 1. Aufl., S. 373)

Die Intuition schließlich bedarf weder des Bildes noch der Deutung, da sich das Erkannte im Erkennenden ausspricht, als wenn es das eigene Wesen des Erkennenden wäre.

Natürlich schützen diese Kriterien nicht vor Täuschungen, ebenso wenig, wie Kriterien anderer Wissenschaftsdisziplinen prinzipiell vor Täuschungen schützen. Aber einzelne Täuschungen stellen deswegen nicht die gesamte Disziplin und ihre Methodologie in Frage, sondern falsifizieren nur die einzelnen, vermeintlichen Erkenntnisse.

Deswegen trifft es auch nicht zu, wenn Zander behauptet, Steiners »eigene Täuschungen« – vorausgesetzt es sind welche und die sogenannte Prüfung, durch die sie als solche erkannt worden sein sollen, ist nicht bloß eine dogmatische Behauptung – stellten »diese Epistemologie und ihre Ergebnisse in Frage«, (Zander I, S. 614), denn einzelne Erkenntnisse sind nicht »Ergebnisse der Epistemologie«, sondern Ergebnisse der Anwendung dieser Epistemologie. Einzelne Irrtümer stellen nicht eine Methodologie als Ganzes in Frage, ebensowenig, wie einzelne Verstöße gegen die Gesetz der Logik diese Gesetze in Frage stellen.

Im Kapitel 7.5.2 befasst sich Zander mit der Aufsatzreihe »Aus der Akasha-Chronik«, die zwischen Juli 1904 (Heft Nr. 14) und April 1908 (Heft Nr. 35) in der Zeitschrift »Luzifer-Gnosis« erschienen ist. Da der Autor seinen Namen nicht nannte und der Berichtstext nach einer Einleitung in Anführungszeichen beginnt, vermutet Zander, Steiner habe diese Texte als »apersonale Offenbarung« verstanden, um jedoch bereits im Folgesatz festzustellen er habe schon 1905 »seinen Theosophen« eröffnet, die Berichte aus »innerer, mystischer Schau« verfasst zu haben. Diese Eröffnung habe Steiner in einem der Vorträge im Berliner Architektenhaus gemacht.

Auf S. 616 schreibt Zander:

»Der Autor blieb anonym, Steiner firmierte jedenfalls nicht als Verfasser, wie er es etwa im gleichen Heft als Urheber eines Artikels aus der Reihe ›Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?‹ tat; auf ein Pseudonym, das er in anderen Fällen benutzte, hatte er ebenfalls verzichtet.

...

Die Texte ›Aus der Akasha-Chronik‹ sollten als apersonale Offenbarungstexte verstanden werden. Doch schon 1905 eröffnete Steiner seinen Theosophen, dass er diese Berichte ›aus der inneren, mystischen Erfahrung heraus‹ verfasst habe (GA 54,135) ...

an Steiners Autorschaft besteht also kein Zweifel.«

Die Berliner Architektenhausvorträge waren keine Veranstaltungen für »Theosophen« oder Mitglieder der theosophischen Gesellschaft, sondern öffentliche Vorträge für ein nicht-theosophisches Publikum.

Steiner hat die Eröffnung seiner Autorschaft also nicht »seinen Theosophen« gemacht, sondern dem Publikum der allgemein zugänglichen, öffentlichen Vorträge. Der Hinweis auf seine Verfasserschaft mag diesem Publikum gegenüber notwendig gewesen sein, nicht jedoch den Lesern der Zeitschrift gegenüber. Hätte Steiner die Berichte oder »Mitteilungen« als »apersonale Offenbarung« verstanden, dann hätte er dieses Verständnis nicht lange aufrecht erhalten, sondern lediglich ein Jahr.

Seit 1907 habe Steiner – so Zander – als Verfasser gezeichnet, seit 1908 seien Separatdrucke unter seinem Namen erschienen. An seiner Autorschaft »bestehe also kein Zweifel«.

Natürlich besteht an Steiners Autorschaft kein Zweifel und er hat auch 1904 nicht bestanden. Kein Leser der Zeitschrift »Luzifer-Gnosis« dürfte im Unklaren darüber gewesen sein, dass Steiner der Verfasser war, ganz abgesehen davon, dass Steiner auch andere Beiträge, die in dieser Zeitschrift erschienen, nicht namentlich zeichnete, so zum Beispiel Berichte über Theosophische Kongresse, wie jenen über den Theosophischen Kongress in Amsterdam in Heft 13 vom Juni 1904 oder die »Fragen und Antworten« in einer ganzen Reihe von Heften, zu denen Steiner jeweils, ohne als Autor zu zeichnen, die Antworten verfasste.

Steiner hat diese Berichte und die »Fragen und Antworten« sicher nicht als »apersonale Offenbarungen« verstanden. Er hat die »Schriftstücke« aus der Akasha-Chronik wohl deswegen in Anführungszeichen gesetzt, weil er sie als »Erzählungen« kennzeichnen wollte, ebenso wie jene Passagen in »Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten«, die von ihm als »Erzählungen« angekündigt und alsdann in Anführungszeichen gesetzt wurden: die Reden des kleinen und des großen Hüters der Schwelle (GA 10, Tb-Ausgabe 1961, Kapitel »Der Hüter der Schwelle«, S. 137 f; Kapitel »Leben und Tod«, S. 150 f.).

In dem von Zander herangezogenen Vortrag, der am 9. November 1905 im Berliner Architektenhaus stattfand, »enthüllte« Steiner auch nicht seine bis dahin »geheimgehaltene« Verfasserschaft, sondern wies beiläufig auf diese seine Aufsätze hin, an seiner Frage der Verfasserschaft ließ er dabei keinerlei Zweifel: »Sie finden in meiner Darstellung der Menschheitsgeschichte, in den Aufsätzen ›Aus der Akasha-Chronik‹, aus der inneren mystischen Erfahrung heraus alles, was in den sogenannten Geheimschulen über des Menschen Herkunft ... von jeher gelehrt worden ist.« (GA 54, Dornach 1985, tb, S. 135)

Bereits vom April 1905 an (Heft 23) fallen die Anführungszeichen in den Fortsetzungen der Aufsätze fort, nicht erst nach diesem öffentlichen Vortrag. Das wirft durchaus interessante hermeneutische Fragen auf. Was für einen epistemologischen Status hat Steiner den in Anführungszeichen gesetzten »Mitteilungen« eigentlich beigemessen und warum hat er die Anführungszeichen vom April 1905 an fallen gelassen? Diese Frage kann hier nicht weiter verfolgt werden. Jedenfalls kann die öffentliche Bekanntgabe seiner Autorschaft nicht der Grund für den Wegfall der Anführungszeichen gewesen sein, sonst hätte dieser nicht bereits im April 1905 erfolgen dürfen, sondern erst nach dem Vortrag im Berliner Architektenhaus im November 1905.

Aber genauer betrachtet, enthält bereits der erste Aufsatz dieser Folge einen eindeutigen Bezug auf einen »personalen« Autor, wenn Steiner sagt: »Über die Quellen der hier zu machenden Mitteilungen bin ich heute noch verpflichtet, Schweigen zu beobachten.« (GA 11, 1969, S. 25)

Er, als Verfasser, ist heute noch verpflichtet, über die Quellen zu schweigen. Das kann sich, wie er fortfährt, sehr bald ändern. Und es hat sich auch geändert, da Steiner parallel zu den Aufsätzen »Aus der Akasha-Chronik« ja die Aufsatzreihe »Wie erlangt man Erkenntnisse ...« veröffentlicht hat, von der im selben Heft (Nr. 14, Juli 1904) gerade die zweite Folge abgedruckt wurde, die mit dem Hinweis auf die drei Stufen der Schulung, Vorbereitung, Erleuchtung und Einweihung endete. (GA 10, Tb-Ausgabe 1975, S. 30 unten, Ende des ersten Kapitels)