Angeblich hat Steiner Richard Bresch 1902 in einem Brief an Hübbe-Schleiden eine »buddhistische Orientierung« unterstellt.

Auf S. 128 schreibt Zander:

»... Bresch wurde eine buddhistische Orientierung unterstellt.«

Zander verweist zum Beleg auf einen Brief Steiners vom 30.7.1902 an Wilhelm Hübbe-Schleiden.

In diesem ist von einer »buddhistischen Orientierung« Richard Breschs nicht die Rede.

Stattdessen heißt es in besagtem Brief:

»Die Kasseler Loge ist allerdings wesentlich anders, aber da ist Dr. Noll. Ich habe da einen Vortrag gehalten, der seine gute Wirkung getan hat, während die Leute durch Breschs Vorträge ganz verwirrt waren. Man konnte da hören: Ja, warum sollen wir Buddhisten werden?«

Briefe, Band II, Dornach 1953, S. 263.

Zander schreibt Steiner eine Auffassung zu, die in Wahrheit der von Steiner kritisierte Philosoph Johannes Volkelt vertrat.

Auf S. 483 schreibt Zander:

»Steiners Antwort in der ›Konsequenz der Goetheschen Weltanschauung‹ (GA 1,145) jedenfalls lautete, ›die unmittelbare Erfahrung von vornherein als ein Ganzes von Vorstellungen auffassen‹ (ebd., 146).«

Im zitierten Text (GA 1, S. 146) schreibt Steiner über Volkelt:

»Dieselbe strenge Abgrenzung des unmittelbar Wahrgenommenen (der sinnlichen Erfahrung) [die von Steiner vorgenommen wird] findet man auch bei Volkelt in seiner ausgezeichneten Schrift ›Kants Erkenntnistheorie nach ihren Grundprinzipien analysiert‹ [Hamburg 1879], die zu dem Besten gehört, was die neuere Philosophie hervorgebracht hat. Es ist aber durchaus nicht einzusehen, warum Volkelt die zusammenhangslosen Wahrnehmungsbilder als Vorstellungen auffaßt und sich damit von vornherein den Weg zu einer möglichen objektiven Erkenntnis abschneidet. Die unmittelbare Erfahrung von vornherein als ein Ganzes von Vorstellungen auffassen, ist doch entschieden ein Vorurteil. Wenn ich irgendeinen Gegenstand vor mir habe, so sehe ich an ihm Gestalt, Farbe, ich nehme eine gewisse Härte an ihm wahr usw. Ob dieses Aggregat von meinen Sinnen gegebenen Bildern ein außer mir Liegendes, ob es bloßes Vorstellungsgebilde ist: ich weiß es von vornherein nicht ... Volkelt stellt an die Spitze der Erkenntnistheorie den Satz: ›daß wir eine Mannigfaltigkeit so und so beschaffener Vorstellungen haben‹. Daß wir eine Mannigfaltigkeit gegeben haben, ist richtig; aber woher wissen wir, daß diese Mannigfaltigkeit aus Vorstellungen besteht? Volkelt tut in der Tat etwas sehr Unstatthaftes, wenn er erst behauptet: wir müssen festhalten, was uns in unmittelbarer Erfahrung gegeben ist, und dann die Voraussetzung, die nicht gegeben sein kann, macht, daß die Erfahrungswelt Vorstellungswelt ist. Wenn wir eine solche Voraussetzung machen wie es die Volkeltsche ist, dann sind wir sofort zur oben gekennzeichneten falschen Fragestellung in der Erkenntnistheorie gezwungen. Sind unsere Wahrnehmungen Vorstellungen, dann ist unser gesamtes Wissen Vorstellungswissen und es entsteht die Frage: Wie ist eine Übereinstimmung der Vorstellung mit dem Gegenstande möglich, den wir vorstellen?«

Volkelts Vorurteil, der Inhalt der unmittelbaren Erfahrung sei nichts als Vorstellung, wird also von Steiner kritisiert.

Es zeugt von der unzureichenden Vertrautheit Zanders mit Steiners Erkenntnistheorie, wenn er die Ansicht, die unmittelbare Erfahrung liefere »ein Ganzes von Vorstellungen«, Steiner zuschreibt, wo dieser doch gerade diese Ansicht als unbeweisbare Voraussetzung des Kantianismus mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln bekämpft. In Wahrheit ist nach Steiners Auffassung in der unmittelbaren Erfahrung nichts weiter gegeben, als ein »zusammenhangsloses Aggregat« von Wahrnehmungsinhalten.

Steiner wies das Volkeltsche Vorurteil nicht nur in den »Einleitungen ...«, sondern auch in den »Grundlinien einer Erkenntnistheorie ...«, in »Wahrheit und Wissenschaft« und in der »Philosophie der Freiheit« zurück. Dass das Gegebene keine Vorstellung sei, ist ein Grundtheorem der gesamten Philosophie Steiners. Er sah in der Auffassung, die Wahrnehmung sei nichts als eine in der menschlichen Erkenntnisorganisation durch ein unerkennbares Ding an sich erzeugte Vorstellung einen der Grundirrtümer der Kantschen Philosophie und des Neukantianismus.

Zander zitiert die Eingangssätze aus dem ersten Kapitel des Buches »Friedrich Nietzsche, ein Kämpfer gegen seine Zeit«, und deutet diese fälschlicherweise als ein Glaubensbekenntnis Steiners.

Zander schreibt auf S. 518:

»Aber sein Verhältnis zu Nietzsche sei mehr als philosophische Überzeugung, sei eine Art Glaube:

›Ich gehöre zu den Lesern Nietzsches, welche, nachdem sie die erste Seite von ihm gelesen haben, mit Bestimmtheit wissen, dass sie alle Seiten lesen und auf jedes Wort hören werden, das er überhaupt gesagt hat. Mein Vertrauen zu ihm war sofort da‹ (ebd., 15)«

Im ersten Kapitel seines Nietzschebuches zitiert Steiner eine Äußerung Nietzsches über sein Verhältnis zu Schopenhauer, um sein eigenes Verhältnis zu Nietzsche zu kennzeichnen. Zander unterschlägt allerdings den Satz, der sich an die von ihm zitierten Sätze unmittelbar anschließt: »Man kann so sprechen und weit davon entfernt sein, sich als ›Gläubigen‹ der Nietzscheschen Weltanschauung zu bekennen.« Steiner versteht diese Sätze also gerade nicht als Glaubensbekenntnis.

Der unverstümmelte Text lautet folgendermaßen (die relevanten Sätze sind unterstrichen):

»Friedrich Nietzsche charakterisiert sich selbst als einsamen Grübler und Rätselfreund, als unzeitgemäße Persönlichkeit. Wer auf solchen eigenen Wegen geht, wie er, ›begegnet niemandem: das bringen die ‚eigenen Wege’ mit sich. Niemand kommt, ihm dabei zu helfen; mit allem, was ihm von Gefahr, Zufall, Bosheit und schlechtem Wetter zustößt, muß er allein fertig werden‹, sagt er in der Vorrede zur zweiten Ausgabe seiner ›Morgenröte‹. Aber reizvoll ist es, ihm in seine Einsamkeit zu folgen. Die Worte, die er über sein Verhältnis zu Schopenhauer ausgesprochen hat, möchte ich über das meinige zu Nietzsche sagen: ›Ich gehöre zu den Lesern Nietzsches, welche, nachdem sie die erste Seite von ihm gelesen haben, mit Bestimmtheit wissen, daß sie alle Seiten lesen und auf jedes Wort hören werden, das er überhaupt gesagt hat. Mein Vertrauen zu ihm war sofort da ... Ich verstand ihn, als ob er für mich geschrieben hätte: um mich verständlich, aber unbescheiden und töricht auszudrücken.‹ Man kann so sprechen und weit davon entfernt sein, sich als ›Gläubigen‹ der Nietzscheschen Weltanschauung zu bekennen. Weiter allerdings nicht, als Nietzsche davon entfernt war, sich solche ›Gläubige‹ zu wünschen. Legt er doch seinem ›Zarathustra‹ die Worte in den Mund: ›Ihr sagt, ihr glaubt an Zarathustra? Aber was liegt an Zarathustra! Ihr seid meine Gläubigen: aber was liegt an allen Gläubigen!

Ihr hattet euch noch nicht gesucht: da fandet ihr mich. So tun alle Gläubigen; darum ist es so wenig mit allem Glauben. Nun heiße ich euch, mich verlieren und euch finden; und erst, wenn ihr mich alle verleugnet habt, will ich euch wiederkehren.‹«

Zander behauptet, in der ersten Auflage von »Welt- und Lebensanschauungen im 19. Jahrhundert« »räume« Steiner »seinen alten Idealismus ab«. Um diese Behauptung zu belegen, erfindet er ein Zitat.

Zander schreibt auf S. 537:

»Seinen alten Idealismus räumte er mit der Bemerkung ab, daß ›die Welt des Idealen ein Geschöpf des Menschen ist‹, die im ›Rein-Natürlichen‹ wurzele (GA 32,249 [10. Juni]). Sie sei folglich ein Gegenstand der Psychologie: ›Ich erschaffe eine Ideenwelt, die mir als das Wesen der Dinge gilt. Die Ideen erhalten durch mich ihr Wesen … Im Erkennen der Ideen enthüllt sich nun gar nichts, was in den Dingen einen Bestand hat. Die Ideenwelt … ist in keiner anderen Form vorhanden als in der von mir erlebten.‹ 131

Anmerkung 131: Steiner: Welt- und Lebensanschauungen (1900 / 1901), S. II. Diese Stelle hat Steiner bei der Überarbeitung im Ersten Weltkrieg gestrichen, sie fehlt in GA 18.«

Das folgende Zitat stammt angeblich aus »Welt- und Lebensanschauungen im 19. Jahrhundert« 1900/1901: »Ich erschaffe eine Ideenwelt, die mir als das Wesen der Dinge gilt. Die Ideen erhalten durch mich ihr Wesen ... Im Erkennen der Ideen enthüllt sich nun gar nichts, was in den Dingen einen Bestand hat. Die Ideenwelt ... ist in keiner anderen Form vorhanden als in der von mir erlebten.«

Diese Stelle soll sich laut Anmerkung 131 auf »Seite II« finden. Man muss in der Erstausgabe schon etwas herumsuchen, bevor man fündig wird: eine Seite II sucht man jedenfalls vergeblich. Fündig wird man auf S. 188 des zweiten Bandes, im Kapitel »Ausblick«. Lesen wir nach, was Steiner schreibt: »Wenn ich mit meinen Gedanken die Dinge durchdringe, so füge ich also ein seinem Wesen nach in mir Erlebtes zu den Dingen hinzu. Das Wesen der Dinge kommt mir nicht aus ihnen, sondern ich füge es zu ihnen hinzu. Ich erschaffe eine Ideenwelt, die mir als das Wesen der Dinge gilt. Die Dinge erhalten durch mich ihr Wesen. Es ist also unmöglich, nach dem Wesen des Seins zu fragen. Im Erkennen der Ideen enthüllt sich mir gar nichts, was in den Dingen einen Bestand hat. Die Ideenwelt ist mein Erlebnis. Sie ist in keiner anderen Form vorhanden, als in der von mir erlebten.«

Unterstrichen ist eine gravierende Textänderung, aber diese stammt von Zander, nicht von Steiner.

Nicht die Ideen empfangen bei Steiner ihr Wesen vom denkenden Menschen, sondern die Dinge.

Steiner legt 1900 Wert darauf, die Ideen als freie Hervorbringungen des Menschengeistes zu kennzeichnen, die nicht aus den bloß wahrgenommenen Dingen oder einem Ding an sich herausgeholt werden können, sondern vom Menschen jeweils neu hervorgebracht werden müssen. Das ist auch mit der Formulierung gemeint, im Erkennen der Ideen enthülle sich nichts, »was in den Dingen einen Bestand« habe: das ideelle Wesen der Dinge besteht nicht schon vor dem Erkennen in den Dingen, in der Form, in der es im menschlichen Bewußtsein zur Erscheinung kommt. Diese Beobachtung findet sich bereits in den »Grundlinien einer Erkenntnistheorie ...« von 1883, die ja nach Zander eine völlig andersgeartete Position vertraten. Der Gedankengehalt der Welt erscheint für Steiner 1883 einerseits durch die »Tätigkeit des menschlichen Bewußtseins« und zugleich als »in sich bestimmter ideeller Inhalt« und er betont schon damals, daß das Feld der Gedanken »einzig das menschliche Bewußtsein« sei, was der »Objektivität« ihres Inhalts keinen Abbruch tue. Was an der Auffassung, die Ideen seien ein freies Erzeugnis des Menschengeistes und dieser füge den Dingen der Wahrnehmungswelt durch seinen Geist ihr Wesen hinzu, radikale »Kritik am Idealismus« und zugleich »Atheismus« sein soll, ist völlig schleierhaft.

Bereits in den »Grundlinien« hatte Steiner im Zusammenhang mit einer Kritik an Hegel geschrieben: »Es muss eben festgestellt werden, dass das Feld des Gedankens einzig das menschliche Bewusstsein ist«. (GA 2, 1979, kursiv Steiner, S. 51.)

Mit anderen Worten: die Form, in welcher das »Ideelle« in der Natur wirkt, ist nicht dieselbe, in der es im menschlichen Bewusstsein als Idee in Erscheinung tritt. Ideen sind, in der Form, wie sie im menschlichen Bewusstsein auftreten, Erzeugnisse des Menschengeistes. Dies spricht aber nicht gegen ihren in sich gegründeten Inhalt. Die Form des Auftretens dieses Inhaltes ist ein Ergebnis der spezifischen Beschaffenheit der geistigen Organisation des Menschen, nicht aber der Inhalt, den diese Organisation zur Erscheinung bringt. Deswegen schließt sich in den »Grundlinien« an den eben zitierten Satz der folgende an: »Dann muss gezeigt werden, dass durch diesen Umstand die Gedankenwelt nichts an Objektivität einbüßt«. (GA 2, 1979, S. 51.)

Es trifft auch nicht zu, wie Zander in Anmerkung 131 behauptet, dass Steiner in der 2. Auflage des Buches »Welt- und Lebensanscauungen ...« die von ihm zitierten Sätze gestrichen hätte. Vielmehr hat er das Kapitel vollkommen gestrichen und ein neues verfasst: »Skizzenhaft dargestellter Ausblick auf eine Anthroposophie«. In diesem findet sich eine Passage, die den Kerngehalt der auch von Zander zitierten Sätze noch einmal neu formuliert.

Steiner schreibt 1914:

»Nun zeigt eine unbefangene Betrachtung, wie der unwirkliche Charakter der sinnlichen Außenwelt davon herrührt, dass der Mensch, indem er sich unmittelbar den Dingen gegenüberstellt, das in sich unterdrückt, was in Wahrheit zu ihnen gehört. Entfaltet er dann selbstschöpferisch sein Innenleben, lässt er aus den Tiefen seiner Seele aufsteigen, was in diesen Tiefen schlummert, dann fügt er zu dem, was er mit den Sinnen geschaut hat, ein weiteres hinzu, das das halb Wirkliche als ganz Wirkliches in der Erkenntnis gestaltet.

Es liegt im Wesen der Seele, beim ersten Anblick der Dinge etwas auszulöschen, das zu ihrer Wirklichkeit gehört. Daher sind sie für die Sinne so, wie sie nicht in Wirklichkeit sind, sondern so, wie sie die Seele gestaltet. Aber ihr Schein (oder ihre bloße Erscheinung) beruht darauf, dass die Seele ihnen erst weggenommen hat, was zu ihnen gehört.

Indem der Mensch nun nicht bei dem ersten Anschauen der Dinge verbleibt, fügt er im Erkennen das zu ihnen hinzu, was ihre volle Wirklichkeit erst offenbart. Nicht durch das Erkennen fügt die Seele etwas zu den Dingen hinzu, was ihnen gegenüber ein unwirkliches Element wäre, sondern vor dem Erkennen hat sie den Dingen genommen, was zu ihrer wahren Wirklichkeit gehört.

Es wird die Aufgabe der Philosophie sein, einzusehen, dass die dem Menschen offenbare Welt eine ›Illusion‹ ist, bevor er ihr erkennend gegenübertritt, dass aber der Erkenntnisweg die Richtung weist nach der vollen Wirklichkeit.

Was der Mensch erkennend selbstschöpferisch erzeugt, erscheint nur deshalb als eine Innenoffenbarung der Seele, weil der Mensch sich, bevor er das Erkenntniserlebnis hat, dem verschließen muss, was aus dem Wesen der Dinge kommt. Er kann es an den Dingen noch nicht schauen, wenn er ihnen zunächst sich nur entgegenstellt. Im Erkennen schließt er sich selbsttätig das zuerst Verborgene auf. Hält nun der Mensch das, was er zuerst wahrgenommen hat, für eine Wirklichkeit, so wird ihm das erkennend Erzeugte so erscheinen, als ob er es zu dieser Wirklichkeit hinzugebracht hätte. Erkennt er, dass er das nur scheinbar von ihm selbst Erzeugte in den Dingen zu suchen hat, und dass er es vorerst nur von seinem Anblick der Dinge ferngehalten hat, dann wird er empfinden, wie das Erkennen ein Wirklichkeitsprozess ist, durch den die Seele mit dem Weltensein fortschreitend zusammenwächst, durch den sie ihr inneres isoliertes Erleben zum Weltenerleben erweitert.« (GA 18, Dornach 1974, tb, S. 229-230)

Was der Mensch im bloßen Wahrnehmen der Welt unterdrückt und im Erkennen selbstschöpfersich erzeugt, ist nichts anderes als die Gedanken der Dinge, von denen in der ersten Auflage die Rede war:

»Wenn ich mit meinen Gedanken die Dinge durchdringe, so füge ich also ein seinem Wesen nach in mir Erlebtes zu den Dingen hinzu. Das Wesen der Dinge kommt mir nicht aus ihnen, sondern ich füge es zu ihnen hinzu. Ich erschaffe eine Ideenwelt, die mir als das Wesen der Dinge gilt. Die Dinge erhalten durch mich ihr Wesen. Es ist also unmöglich, nach dem Wesen des Seins zu fragen. Im Erkennen der Ideen enthüllt sich mir gar nichts, was in den Dingen einen Bestand hat. Die Ideenwelt ist mein Erlebnis. Sie ist in keiner anderen Form vorhanden, als in der von mir erlebten.«

Ein besonders krasses Beispiel für Zanders Zitierkunst findet sich im Unterkapitel 7.6.4. über die »Quellen für die Struktur der Kosmologie«. Zander glaubt hier, bei Steiner selbst ein Zugeständnis gefunden zu haben, dass er aus »fremden Quellen« schöpfte. Bei näherem Zusehen besagt aber der von ihm zitierte Steinertext das genaue Gegenteil von dem, was Zander aus ihm herausliest.

Auf S. 664-665 schreibt Zander:

»Steiner trat deshalb die Flucht nach vorne an und postulierte eine weitgehende Autonomie: ›Meine Erkenntnisse des Geistigen, dessen bin ich mir voll bewusst, sind Ergebnisse eigenen Schauens.‹ (GA 13,30) Und dann formulierte er eine Traditionsabstinenz, die das bisherige Verschweigen durch Verleugnen in den Schatten stellte: ›So hatte ich die Ergebnisse meines Schauens vor mir. Sie waren zunächst ‚Anschauungen’, die ohne Namen lebten. Sollte ich sie mitteilen, so bedurfte es der Wortbezeichnungen.

Ich suchte dann später nach solchen in älteren Darstellungen des Geistigen, um das noch Wortlose in Worten ausdrücken zu können. Ich gebrauchte diese Wortbezeichnungen frei, so dass wohl kaum eine derselben in meinem Gebrauche zusammenfällt mit dem, was sie dort war, wo ich sie fand. Ich suchte aber nach solcher Möglichkeit, mich auszudrücken, stets erst, nachdem mir der Inhalt im eigenen Schauen aufgegangen war. Vorher Gelesenes wusste ich beim eigenen forschenden Schauen durch die Bewusstseinsverfassung, die ich eben geschildert habe, auszuschalten.‹ (ebd., 30 f.)

So habe er den Begriff ›Astralleib‹ beim ›Lesen mittelalterlicher Schriften‹ gefunden und in den Termini ›Angeloi, Archangeloi … erneuerte ich einfach die christliche Gnosis‹ (ebd., 31)457.

Von diesen Aussagen bleibt bei einer Traditionskritik kaum ein Stein auf dem anderen.«

Sehen wir uns Steiners angebliche Behauptungen und Zanders »Traditionskritik« etwas genauer an. Wir müssen dazu die von Zander auseinandergerissenen Ausführungen Steiners im Zusammenhang lesen.

In seiner »Geheimwissenschaft im Umriss« schreibt Steiner:

»So hatte ich die Ergebnisse meines Schauens vor mir. Sie waren zunächst ›Anschauungen«, die ohne Namen lebten. Sollte ich sie mitteilen, so bedurfte es der Wortbezeichnungen. Ich suchte dann später nach solchen in älteren Darstellungen des Geistigen, um das noch Wortlose in Worten ausdrücken zu können. Ich gebrauchte diese Wortbezeichnungen frei, so dass wohl kaum eine derselben in meinem Gebrauche zusammenfällt mit dem, was sie dort war, wo ich sie fand. Ich suchte nach solcher Möglichkeit, mich auszudrücken, stets erst, nachdem mir der Inhalt im eigenen Schauen aufgegangen war. Vorher Gelesenes wusste ich beim eigenen forschenden Schauen durch die Bewusstseinsverfassung, die ich eben geschildert habe, auszuschalten. (ebd, S. 30 f.)«

Zander schließt – wie zitiert – folgenden Kommentar an dieses Zitat:

»So habe er den Begriff ›Astralleib‹ beim ›Lesen mittelalterlicher Schriften‹ gefunden und in den Termini ›Angeloi, Archangeloi ... erneuerte ich einfach die christliche Gnosis‹ (ebd, 31).

Von diesen Aussagen bleibt bei einer Traditionskritik kaum ein Stein auf dem anderen.« (Zander I, S. 665.)

Liest man im Original nach, stellt sich folgendes heraus. Steiner setzt sich in seiner Vorrede von 1925, aus der die zitierten Sätze stammen, mit dem Vorwurf auseinander, er habe die Inhalte seiner Schauungen aus gnostischen Lehren oder orientalischen Weisheitsdichtungen aufgenommen, sie seien ins Unbewusste abgesunken und später habe er sie mit Ergebnissen eigenen Schauens verwechselt. Also exakt die Vorwürfe Zanders an Steiner.

Der Absatz, der in der Vorrede von 1925 auf den von Zander zitierten folgt, lautet folgendermaßen:

»Nun fand man in meinen Ausdrücken Anklänge an ältere Vorstellungen. Ohne auf den Inhalt einzugehen, hielt man sich an solche Ausdrücke. Sprach ich von ›Lotusblumen‹ in dem Astralleib des Menschen, so war das ein Beweis, dass ich indische Lehren, in denen man den Ausdruck findet, wiedergäbe. Ja, sprach ich von ›Astralleib‹ selbst, so war dies das Ergebnis des Lesens mittelalterlicher Schriften. Gebrauchte ich die Ausdrücke: Angeloi, Archangeloi und so weiter, so erneuerte ich einfach die Vorstellungen christlicher Gnosis.« (GA 13, 1977, S. 31.)

Wie man sieht, tauchen die Behauptungen, Steiner habe den Astralleib »beim Lesen mittelalterlicher Schriften gefunden« und in seiner Rede von den Angeloi und Archangeloi habe er »die christliche Gnosis erneuert«, in Steiners Text als gegen ihn erhobene Vorwürfe auf. In Zanders Text erscheinen sie aber als Zugeständnisse Steiners, als habe er in seinem Vorwort gesagt, er habe den Astralleib beim Lesen mittelalterlicher Schriften gefunden und in der Lehre von den Angeloi Vorstellungen der christlichen Gnosis erneuert. Steiner weist in seiner Vorrede solche Unterstellungen aber gerade zurück.

Diese Stelle ist ein gutes Beispiel dafür, wie Zander systematisch mit Steiners Texten umgeht, indem er sie nur teilweise zitiert, den Sinn der Zitate durch Uminterpretation in sein Gegenteil verkehrt, oder Satzfragmente willkürlich zusammenfügt, um Vorstellungen zu erwecken, die sich mit dem ursprünglichen Kontext nicht vereinbaren lassen.

Nun möchte Zander aber daran festhalten, »dass der Begriff Astralleib theosophische Quellen« besitze. Doch das ist nicht der Punkt. Abgesehen davon, dass Zander selbst auf S. 567 die Vermutung geäußert hat, die Quelle für den von Steiner »benutzten Begriff« des Astralleibs sei bei der Theosophie und bei Paracelsus zu suchen, spricht Steiner an dieser Stelle ja ausdrücklich von der Terminologie, den Wortbezeichnungen und nicht von den Tatsachen, den »Anschauungen«, auf die diese Wortbezeichnungen hinweisen. Von den Wortbezeichnungen bestreitet er gar nicht, dass er sie »aus älteren Darstellungen des Geistigen« geschöpft habe. Er betont aber zugleich, diese Wortbezeichnungen hätten bei ihm in kaum einem Fall dieselbe Bedeutung, wie in jenen älteren Darstellungen.

Zander unterstellt also Steiner, er streite etwas ab, was dieser vielmehr zugesteht. Gleichzeitig behauptet Zander, Steiner gestehe etwas zu, was er in Wirklichkeit abstreitet.