Rudolf Steiner soll laut Zander im Juni 1902, um seine Verehrung auszudrücken, Annie Besant gegenüber Marie von Sivers als »Priesterin« bezeichnet haben. 

Zander schreibt auf S. 703:

»Im Oktober 1902 nannte er sie in einem öffentlichen Vortrag (in einer in der Gesamtausgabe fehlenden Stelle) eine ›Persönlichkeit‹, ›die ich als ein … religiöses Genie erkennen möchte‹, im Juni bezeichnete er sie gegenüber Marie von Sivers als ›Priesterin‹ (GA 262,41).«

In Wahrheit stammt die Bezeichnung Besants als »Priesterin« nicht von Rudolf Steiner, sondern von Marie von Sivers. Sie steht in einem Brief, den sie am 18. Juni an Steiner sandte: »Sie ist so sehr Priesterin in diesem Vortragszyklus, dass ich Ihnen nur raten kann – Ihnen, dem nicht viele was geben können – sich diesen Eindruck zu verschaffen.« (GA 262, 2002, S. 41. Der Brief im Wortlaut hier.)

Die »Stelle«, von der Zander behauptet, sie fehle in der Gesamtausgabe, wird von ihm aus einer Veröffentlichung der »Psychischen Studien« zitiert, in der eine Reihe theosophischer Gegner Steiners publizierten. Es handelt sich weder um eine schriftliche, noch um eine mündliche authentische Äußerung Steiners. Ihr »Fehlen« in der »Gesamtausgabe« zu bemängeln, ist deplaziert.

Angeblich gründeten Steiner und »seine Anhänger« am 16. Dezember 1911 einen »Bund zur Pflege rosenkreuzerischer Geisteswissenschaft.

Auf S. 819 schreibt Zander:

»Am 16. Dezember gründeten Steiner und seine Anhänger den ›Bund zur Pflege rosenkreuzerischer Geisteswissenschaft‹ (MTG 13,36), eine kaum verhüllte separatistische Organisation.«

Von der Gründung eines »Bundes zur Pflege rosenkreuzerischer Geisteswissenschaft« ist in den »Mitteilungen für die Mitglieder der deutschen Sektion« nicht die Rede. Stattdessen heißt es auf S. 36 der No. XIII dieser Mitteilungen:

»So wurde in jener Stunde der Bund gegründet mit folgenden Grundsätzen: Der Bund, der seinen Namen noch zur gegebenen Zeit empfangen soll, stellt sich zur Aufgabe, alle diejenigen zu vereinigen, welche rosenkreuzerische Geisteswissenschaft pflegen wollen.«

Zitiert nach dem fotomechanischen Nachdruck, Dornach 1999, S. 220.

Steiner hat laut Zander am 1. Oktober 1913 über das fünfte Evangelium als Evangelium der Erkenntnis gesprochen und sich selbst zum Verkünder dieses Evangeliums »stilisiert«.

Auf S. 822 schreibt Zander:

»Am 1. Oktober 1913 sprach Steiner über ›das Fünfte Evangelium‹ als Ergebnis seiner ›Akasha-Forschung‹ und stilisierte sich zum Verkünder eines eigenen ›Evangeliums der Erkenntnis‹ (GA 245,129).«

 

Zander irrt sich einmal mehr im Datum. Die von ihm genannte Fundstelle (GA 245, S. 129) stammt aus der Ansprache zur Grundsteinlegung des Ersten Goetheanum, die am 20. September 1913 stattfand. (Vgl. GA 245, S. 125 und 129).

 

Ausführungen Steiners über die Vorbereitung zur Schau des ätherischen Christus im 20. Jahrhundert liest Zander als Beleg dafür, dass Steiner eine »Herrschaft der Schau« über den biblischen Text und einen »übersinnlichen Absolutheitsanspruch« angestrebt habe.

Auf S. 827 schreibt Zander:

»Steiners Selbstverständnis als Hellseher zeitigte auch ohne die Überhöhung [von Steiner] als Bodhisattva massive Folgen für die Deutung des biblischen Textes, wie sich mit exemplarischen Äußerungen Steiners deutlich machen lässt:

...

Nur denjenigen, die ›durch die anthroposophische Weltanschauung‹ vorbereitet seien, das Christus-Ereignis ›verständnisvoll, lichtvoll zu schauen‹, werde Christus als ›Herr des Karma‹ zwischen zwei Inkarnationen nicht ›erscheinen wie eine furchtbare Strafe‹ (GA 131, 222).

...

Derartige Aussagen laufen auf die Herrschaft der Schau über den biblischen Text hinaus, auf einen übersinnlichen Absolutheitsanspruch.«

Die von Zander zitierten Aussagen Steiners beziehen sich nicht auf die Evangelien und den historischen Christus, sondern auf die Wiederkunft Christi im 20. Jahrhundert in ätherischer Gestalt. Von einem »Herrschaftsanspruch« der Schau über den biblischen Text kann also keine Rede sein, da es im betreffenden Vortrag gar nicht um eine Bibelinterpretation geht.

Im Originaltext ist nicht von einem »lichtvollen Schauen« des Christus-Ereignisses die Rede, sondern von einem »lichtvollen Verstehen«. Nicht um das »verständnisvolle, lichtvolle Schauen« geht es Steiner also, sondern um das »lichtvolle Verstehen« des Geschauten. Diese Nuance ist von Bedeutung, weil Zander behauptet, Steiner strebe die »Herrschaft der Schau« über den biblischen Text an. Um die Schau geht es aber in der zitierten Aussage gerade nicht, sondern um das Verstehen.

Im betreffenden Vortrag heißt es:

»Nicht das Schauen des Christus-Ereignisses hängt davon ab, ob wir in einem physischen Leibe verkörpert sind, wohl aber die Vorbereitung dazu. Gerade so wie es notwendig war, dass das erste Christus-Ereignis auf dem physischen Plan sich abgespielt hat, damit es dem Menschen zum Heile gereichen konnte, so muss die Vorbereitung, um das Christus-Ereignis des zwanzigsten Jahrhunderts zu schauen, hier in der physischen Welt gemacht werden. Denn der Mensch, der es unvorbereitet schaut wenn seine Kräfte erwacht sind, wird es nicht verstehen können. Da wird ihm der Herr des Karma erscheinen wie eine furchtbare Strafe. Um dieses Ereignis lichtvoll zu verstehen, muss der Mensch vorbereitet sein. Dazu aber geschieht die Ausbreitung der anthroposophischen Weltanschauung auf dem physischen Plan, um entweder auf dem physischen Plan oder auf höheren Planen das Christus-Ereignis wahrnehmen zu können.«

Rudolf Steiner, Von Jesus zu Christus, Dornach 1985 (tb), S. 222.

Steiner soll nach Zander eine »Herrschaft der Schau« über den Text der Bibel und einen »übersinnlichen Absolutheitsanspruch« gegenüber der christlichen Offenbarung angestrebt haben. Aussagen Steiners über das Hellsehen der Jünger und Apostel münzt Zander unter der Hand zu Aussagen Steiners über seine eigene Hellsicht um.

Auf S. 827 schreibt Zander:

»Steiners Selbstverständnis als Hellseher zeitigte auch ohne die Überhöhung [von Steiner] als Bodhisattva massive Folgen für die Deutung des biblischen Textes, wie sich mit exemplarischen Äußerungen Steiners deutlich machen lässt:

...

›Es gibt nur einen hellseherischen Weg zu dem Mysterium von Golgatha, trotzdem es auf dem physischen Plan sich vollzogen hat.‹ (GA 139, 188)

...

Derartige Aussagen laufen auf die Herrschaft der Schau über den biblischen Text hinaus, auf einen übersinnlichen Absolutheitsanspruch.«

Dieses Zitat ist ein besonders krasses Beispiel für die verfälschende Patchworktechnik Zanders.

Ausführungen Steiners über die Evangelisten und Jünger, die keine unmittelbaren Augenzeugen des Mysteriums von Golgatha – des Todes und der Auferstehung waren – werden von Zander zu Aussagen Steiners über sich selbst umgedeutet. Steiner spricht dagegen davon, dass Christus in den Jüngern das »hellseherische Schauen entflammt« habe, so dass sie, »was sie nicht mit physischen Augen mit angesehen hatten, weil sie entflohen waren, hinterher hellseherisch geschaut haben«. In den Jüngern trat so durch die Einwirkung Christi eine hellseherische Erinnerung an Ereignisse auf, bei denen sie selbst nicht physisch anwesend waren. Auf diesen Vorgang bezieht sich der Satz: »Es gibt nur einen hellseherischen Weg zu dem Mysterium von Golgatha, trotzdem es auf dem physischen Plan sich vollzogen hat.«

Im Zusammenhang lauten die Ausführungen Steiners wie folgt:

»Die Menschen, die Materialisten sein wollen, die durchaus nur an das glauben wollen, was sich dem materialistischen Bewusstsein im Sinnensein ergibt, sie können keinen Weg finden zu dem Christus Jesus. Denn dieser Weg ist abgeschnitten worden dadurch, dass diejenigen, welche dem Christus am nächsten standen, ihn gerade, während sich das Mysterium von Golgatha vollzogen hat, verlassen haben und ihn erst später wiedergetroffen haben, also nicht mitgemacht haben, was sich dazumal auf dem physischen Plan in Palästina zugetragen hat. Und dass keine irgendwie glaubwürdigen Dokumente von der anderen Seite gegeben worden sind, das weiß ja jedermann. Dennoch haben wir im Markus-Evangelium und in den anderen Evangelien Schilderungen gerade dieses Mysteriums von Golgatha.

Wie sind diese Schilderungen zustande gekommen ? Dies ins Auge zu fassen, ist außerordentlich wichtig. Betrachten wir diese Schilderungen an dem einzelnen Fall, an dem Fall des Markus-Evangeliums. Es wird uns ja hinlänglich auch im Markus-Evangelium angedeutet, wenn auch kurz und prägnant, nach der Auferstehungsszene, dass der Jüngling im weißen Talar, das heißt der kosmische Christus, nachdem das Mysterium sich vollzogen hatte, den Jüngern wieder sich gezeigt hat, auf die Jünger Impulse ausgeübt hat. Und so konnten denn solche Jünger, solche Apostel, wie es etwa Petrus war, nachher dadurch, dass sie durchdrungen waren von dem Impuls, der auf sie ausgeübt wurde, zum hellseherischen Schauen entflammt werden, so dass sie das, was sie nicht mit physischen Augen mit angesehen hatten, weil sie entflohen waren, hinterher hellseherisch geschaut haben. Petrus und den anderen, welche auch Schüler sein durften nach der Auferstehung des Christus Jesus, wurden die Augen hellseherisch geöffnet, so dass sie hellseherisch schauen durften das Mysterium von Golgatha.

Es gibt nur einen hellseherischen Weg zu dem Mysterium von Golgatha, trotzdem es auf dem physischen Plan sich vollzogen hat. Das müssen wir festhalten. Das deutet das Evangelium ganz klar an, indem es schildert, dass die Berufensten im entscheidenden Augenblicke geflohen waren; so dass also in einer solchen Seele, wie es die Petrus-Seele war, nachdem sie den Impuls des Auferstandenen empfangen hatte, aufleuchtete die Erinnerung an das, was geschehen war nach der Flucht. Sonst erinnert sich der Mensch nur an das, wo er im Sinnensein dabeigewesen war. Bei einem solchen Hellsehen, das da bei den Jüngern auftrat, ist es gegenüber dem gewöhnlichen Erinnern so, dass man Ereignisse – physisch-sinnliche – wie im Gedächtnis hat, aber solche, bei denen man nicht dabeigewesen ist. Denken Sie also in bezug auf das Aufleuchten der Erinnerung in einer solchen Seele, wie die Petrus-Seele war, an die Ereignisse, bei denen sie nicht unmittelbar dabeigewesen ist. Und so lehrte der Petrus zum Beispiel die, welche ihn hören wollten, aus seinem Gedächtnis heraus über das Mysterium von Golgatha, lehrte sie das, an was er sich erinnerte, trotzdem er nicht dabeigewesen ist.

In dieser Weise kam es zur Lehre, zur Offenbarung des Mysteriums von Golgatha. Aber der Impuls, der von dem Christus auf solche Jünger wie Petrus ausgegangen war, konnte sich mitteilen auch an die, welche wieder Schüler dieser Jünger waren. Ein solcher Schüler des Petrus war der, welcher ursprünglich zusammengestellt hat – allerdings nur mündlich – das sogenannte  Markus-Evangelium. So ging der Impuls, der sich in Petrus selber geltend gemacht hatte, auf die Markus-Seele über, so dass Markus selber in seiner eigenen Seele das aufleuchten sah, was in Jerusalem als Mysterium von Golgatha sich vollzogen hatte.«

Rudolf Steiner, Das Markus-Evangelium, GA 139, Dornach 1988 (tb), S. 187-188.