In einer Äußerung Ernest Renans findet Zander auf wundersame Weise eine Rechtfertigung Steiners für die Zugehörigkeit Elsaß-Lothringens zu Deutschland.

Auf S. 1263 schreibt Zander:

»Konsequenterweise unterstützte er [Steiner] auch die Kriegsziele der Mittelmächte. Am 30. September 1914 rechtfertigte er die Zugehörigkeit Elsaß-Lothringens zu Deutschland auf dem Hintergrund seiner Ost-West-Theorie:

›Denn wenn den Franzosen Elsaß-Lothringen abgenommen wird, so kann ich als Franzose nur dafür sein, dass die westliche Kultur gegen den Osten geschützt wird.‹ (GA 174b, 44).«

Zunächst der philologische Fehler: die zitierte Äußerung stammt nicht vom 30. September 1914, sondern findet sich in einem Vortrag vom 13. Februar 1915, GA-Nummer und Seite stimmen diesmal.

Dann der kontextuelle Fehler: die Äußerung stammt nicht von Steiner, sondern von Ernest Renan, den Steiner an dieser Stelle zitiert.

Dann der inhaltliche Fehler: Wie kann aus einer Äußerung Ernest Renans, in der dieser behauptet, er als Franzose könne einem Übergang Elsaß-Lothringens an Deutschland niemals zustimmen, eine Rechtfertigung Steiners für die Zugehörigkeit von Elsaß-Lothringen zu Deutschland aufgrund einer Ost-West-Theorie entnommen werden?

»Wenn es doch gelungen wäre, dass man in den letzten vierzig Jahren immer wieder und wiederum jenen bedeutungsvollen Briefwechsel gedruckt hätte, der sich einmal abgespielt hat zwischen Ernest Renan, dem Franzosen, und David Friedrich Strauß, dem württembergischen Deutschen! Es wäre nützlich gewesen, wenn man die maßgebenden Briefe, die gewechselt worden sind, nun, sagen wir, alle vier Wochen einmal den Menschen wiederum ins Gedächtnis gerufen hätte: man würde dann einiges geahnt haben von dem, was da kommen musste. Man braucht ja nur auf das eine in einem Brief Renans hinzuweisen, wo die Sehnsucht ausgesprochen wird, mit Mitteleuropa zusammenzuwirken für die westeuropäische Kultur: das war ein Impuls, der aus den Ewigkeitskräften herausfloss. Aber dann sagt Renan sogleich: Das widerspricht aber meinem Patriotismus. Denn wenn den Franzosen Elsaß-Lothringen abgenommen wird, so kann ich als Franzose nur dafür sein, dass die westliche Kultur gegen den Osten geschützt werde. Alles Spätere liegt schon in einem solchen Ausspruch im Keim; das ist der Keim dessen, was später geschehen wird. Es zeigt eben, dass auch ein aufgeklärter, erleuchteter Geist im Grunde genommen offen gestand: Ja, einsehen kann ich, wo der Weg liegt, der durch die ewigen Notwendigkeiten vorgezeichnet ist, aber mitmachen will ich ihn nicht ...«

GA 174b (Dornach 1994) S. 44.

Das zweite von Steiner verfasste Memorandum unterbreitete Arthur Graf Polzer-Hoditz Ende November Kaiser Karl in Wien.

Auf S. 1282 schreibt Zander in Anmerkung 185:

»Demblin notierte am 30. September, dass Czernin Polzer ignorierte ..., am 6. Oktober bezeichnete er Polster als ›ganz gemeine, jeder Infamie fähige Natur ...«

Auf S. 1282 schreibt er in Anmerkung 186:

»Die Auseinandersetzungen um Polsters Amtsführung hielten sich bis in die Nachkriegszeit ...«

Auf S. 1282 schreibt er:

»Die Reaktionen von Kaiser Karl auf die Memoiren sind augenblicklich nur über die Memoiren von Arthur Graf Polzer-Hoditz greifbar.«

Zwar werden hier Druckfehler, Verdoppelungen oder Auslassungen von Worten sowie syntaktische oder grammatische Fehler (von denen es im gesamten Werk Zanders nur so wimmelt) in der Regel nicht notiert, aber die Häufung von peinlichen Fehlern auf einer Seite soll ausnahmsweise vermerkt werden:

Die in den Anmerkungen erwähnte Person namens Polster ist natürlich Arthur Graf Polzer-Hoditz. Und Kaiser Karl reagierte nicht auf irgendwelche »Memoiren«, sondern auf das Memorandum.

Zander entdeckt auch im Kleinen Wandlungen bei Steiner, wo keine vorhanden sind. Das zeigt sich an einigen Bemerkungen über Eduard Graf Taaffe, der zwischen 1879 und 1893 zeitweise Ministerpräsident bzw. Innenminister Cisleithaniens, des östereichischen Teils der Doppelmonarchie war.

Auf S. 1288  schreibt Zander:

»Die Minderheitenthematik hat er [Steiner] in der ›Deutschen Wochenschrift‹ regelmäßig behandelt und Taaffe als ›nicht unbedeutenden Politiker‹ bewertet, wenngleich er die deutschen Interessen bei ihm nicht ausreichend vertreten sah (GA 31,119); schon 1897 war das Lob für Taaffe verschwunden (ebd., 216), 1923 war nur Kritik an der in Steiners Augen deutschfeindlichen Politik Taaffes übriggeblieben (GA 28,65).«

An diesen Sätzen ist nahezu nichts wahr.

1888 schrieb Steiner über Taaffe:

»Es gibt eben ein zweifaches Regieren. Ein solches mit einem politischen Programm, das den Verhältnissen die Richtung vorzeichnet, und ein solches von Fall zu Fall, das sich durch diplomatische Benützung der sich gerade darbietenden Konstellationen um jeden Preis an der Oberfläche erhalten will. Was man im gewöhnlichen Leben einen Politiker nennt, der ist entschieden auch für das Regieren im letzteren Sinne. Und Graf Taaffe ist in diesem Sinne ein nicht unbedeutender Politiker ... Das ›Sich-ober-Wasser-halten‹ durch Diplomatenkünste ohne leitenden Staatsgedanken kann ja nicht ohne Ende sein; was nicht getragen ist von inneren Notwendigkeit, sondern nur von dem Ehrgeize, das muss sich selbst auflösen.« (GA 31, S. 119-120)

Steiner hielt also Taaffe in Wahrheit nicht für einen bedeutenden Politiker, sondern für unbedeutend. Vor allem ist die Äußerung von 1888 nicht als »Lob«, sondern vielmehr als Tadel zu verstehen.

1897 schrieb Steiner im »Magazin für Literatur« über einen Brief Theodor Mommsens an die Deutschen Österreichs. Dieser kurze Artikel ist in mehrfacher Hinsicht interessant. Durch seine Kritik am inhaltsleeren Nationalismus der Deutschen in Österreich macht er deutlich, was von Zanders permanenten Unterstellungen zu halten ist, Steiner sei »Nationalist und Kulturimperialist« gewesen. Steiner wirft den Deutschen vor, sie hätten nur noch den »nationalen Gedanken« gepflegt. Er frägt: »Warum sollte es nicht möglich sein, dass die Deutschen einen österreichischen Staat schaffen, in dem die andern Nationen sich wohlfühlen?« Der »rein nationalen Partei« die in Österreich regiert, wirft Steiner vor, dass sie bloß die deutsche Nationalität verteidigen wolle. Und schließlich zeigt sich eine Kontinuität in der Kritik an Taaffe. Auch 1898 wirft Steiner wie schon 1888 diesem Opportunismus und Dilettantismus vor.

»Es ist nun zweifellos, dass sich die politischen Verhältnisse in Österreich, so wie Mommsen andeutet, entwickelt haben, weil den Deutschen nach und nach die inhaltvollen politischen Ideen ausgegangen sind, und weil sie sich immer mehr der Aufgabe zugewendet haben, ihre Nationalität gegenüber den Ansprüchen der andern österreichischen Völker zu verteidigen und den ›nationalen Gedanken‹ zu pflegen. Die Macht der Deutschen in Österreich wird immer in demselben Maße wachsen, in dem sich bei ihnen politische Ideen entwickeln, die den Lebensbedingungen dieses Staates entsprechen, in welchem eben viele Sprachen gesprochen werden. Und diese Macht wird geringer in dem Maße, in dem sie sich beschränken auf die Betonung und Pflege der nationalen Empfindungen.

Taaffes Stärke lag darinnen, dass er über die oben angedeuteten politischen Aufgaben Ansichten hatte. Seine Schwäche darinnen, daß diese Ansichten nicht bestimmt genug waren, weil sie nicht einer tieferen politischen Bildung, sondern einem in den wichtigsten Augenblicken versagenden Dilettantismus ihren Ursprung verdankten. Badeni kann nicht regieren, weil er keinen eigenen Gedanken hat, sondern nur die Taaffeschen Ideen in unwirksamer Weise nachahmt. Der Tag wird den Deutschen Österreichs wieder die ihrer Kulturhöhe entsprechende Machtstellung bringen, der ihnen politische Führer bringt, welche die Frage beantworten können: was ist in Österreich zu tun? Die slawischen Nationen wollen dem Staate ein bestimmtes Gefüge geben. Sie wollen Einrichtungen, bei denen sich die nationalen Individualitäten frei entwickeln können. Diese freie Entwicklung kann durch Gewalt nicht verhindert werden. Warum sollte es nicht möglich sein, daß die Deutschen einen österreichischen Staat schaffen, in dem die andern Nationen sich wohlfühlen? Die alte Verfassungspartei hat es nicht gekonnt. Unter ihrem Regiment fühlten sich die Nicht-Deutschen vergewaltigt. Sie hatte politische Ideen. Aber diese bewegten sich nicht in der Richtung, in der sich der Staat entwickeln muss. Diese Verfassungspartei ist jetzt abgelöst worden von einer rein nationalen Partei. Diese scheint zunächst kein Interesse an der Gesamtgestaltung des Staates zu haben. Ihre Mitglieder sprechen nicht von spezifisch österreichischen politischen Ideen. Sie wollen bloß die deutsche Nationalität verteidigen. Diese Verteidigung wird am besten gelingen, wenn sie nicht mehr Selbstzweck ist.« (GA 31, S. 215-216)

1923 schließlich, in »Mein Lebensgang«, von dem Zander behauptet, es sei nur noch die Kritik an Taaffes »deutschfeindlicher Politik« übrig geblieben, schrieb Steiner:

»Mich interessierten außer den oft in das Leben tief einschneidenden Maßnahmen der Parlamente ganz besonders die Persönlichkeiten der Abgeordneten. Da stand an seiner Bankecke jedes Jahr als ein Hauptbudgetredner der feinsinnige Philosoph Bartholomäus Carneri. Seine Worte hagelten schneidende Anklagen gegen das Ministerium Taaffe, sie bildeten eine Verteidigung des Deutschtums in Österreich.« (GA 28, S. 65)

Steiner spricht also über Carneri, dessen Worte »schneidende Anklagen« gegen Taaffe gebildet und das Deutschtum in Österreich verteidigt hätten. Steiner selbst enthält sich jeglichen Urteils über Taaffe.

Zander sieht im »Mährischen Ausgleich« von 1905 ein »Vorbild« für das Konzept der »Unabhängigkeit der allgemein-menschlichen Verhältnisse« der Memoranden. Diese Behauptung trifft nicht zu.

Auf S. 1289 schreibt Zander:

»In der Amtszeit Ernst Koerbers (1850–1919) kam es 1905 zum ›Mährischen Ausgleich‹. Darin durften die Gemeinden ihre Geschäftssprache frei wählen, mussten aber, wenn mehr als 20 Prozent einer Gemeinde einer anderen Nationalität zugehörten, den Vorgang in deren Sprache bearbeiten, bei geringeren Quoten wurde der Schriftverkehr kostenlos übersetzt; zudem sollten die Wahlen in die Kurien nach nationalen Katastern statt finden. Mit dem Mährischen Ausgleich war eine ›Personalautonomie‹ bei der Bestimmung der Volksgruppenzugehörigkeit verbunden, die in einem komplexen Verfahren die behördliche Bestimmung der Nationalität und das Recht auf eigenen Wechsel der Volksgruppe oder des Ausschlusses durch eine Ethnie regelte ...

Steiners oben zitierter Vorschlag aus den Memoranden für eine ethnische und religionsrechtliche Selbstbestimmung, in der aber offenbar »politische« und »wirtschaftliche« Regelungsinstanzen oberhalb der Volksgruppen verbleiben, hat die nächsten Ähnlichkeiten mit den 1905 umgesetzten Regelungen des Mährischen Ausgleichs. Sein Konzept der Unabhängigkeit der ›allgemein-menschlichen Verhältnisse‹ (GA 24,372), zu der man seine Erläuterung, dass ›alle juristischen, pädagogischen und geistigen Angelegenheiten … in die Freiheit der Person gegeben [werden]‹ (ebd., 352), hinzuziehen kann, ist strukturell mit der ›Personalautonomie‹ des Mährischen Ausgleichs identisch.«

Immer, wenn Zander von strukturellen Ähnlichkeiten oder Identitäten spricht, verschleiert er inhaltliche Differenzen. So auch im Falle des »Mährischen Ausgleichs«. Dieser bezog sich auf die Amts- oder Verkehrssprache und die Zugehörigkeit zu Volksgruppen. Steiners Vorschläge für die Regelung der allgemein-menschlichen Verhältnisse – das heißt, der geistig-kulturellen Verhältnisse der Religion, der Bildung, der Kultur und des Rechtes haben aber mit nationalen Zugehörigkeiten nichts zu tun. Sie bewegen sich auf dem allgemein-menschlichen Gebiet, betreffen also gerade den Menschen, insofern er keiner besonderen Ethnie oder einer bestimmten Volksgruppe angehört.

Am deutlichsten kommt der UNterschied in folgender Passage der Memoranden zum Ausdruck:

»3. Alle juristischen, pädagogischen und geistigen Angelegenheiten werden in die Freiheit der Personen gegeben. Auf diesem Gebiete hat der Staat nur das Polizeirecht, nicht die Initiative. Es ist, was hier gemeint ist, nur scheinbar radikal. In Wirklichkeit kann sich nur derjenige an dem hier gemeinten stoßen, der den Tatsachen nicht unbefangen ins Auge sehen will. Der Staat überlässt es den sach-, berufs- und völkermäßigen Korporationen, ihre Gerichte, ihre Schulen, ihre Kirchen und so weiter zu errichten, und er überlässt es dem einzelnen, sich seine Schule, seine Kirche, seinen Richter zu bestimmen. Natürlich nicht etwa von Fall zu Fall, sondern auf eine gewisse Zeit. Im Anfange wird dies wohl durch die territorialen Grenzen beschränkt werden müssen, doch trägt es die Möglichkeit in sich, auf friedlichem Wege die nationalen Gegensätze – auch andere – auszugleichen.«

(GA 24, S. 351-354)

Skandalös, aber für Zander kennzeichnend, ist eine Zitatfälschung, die die angeblich« antidemokratische Ausrichtung der sozialen Dreigliederung betrifft.

Auf S. 1296 schreibt Zander:

Ȇber die weitere Entwicklung der Dreigliederungskonzeption machte Steiner nur dunkle Angaben256.

Anmerkung 256:

Er habe ›die Ausarbeitung einem Manne gegeben – nicht nur einem sondern vielen‹, und der eine habe ihm ›nach Monaten‹ geschrieben (GA 185a,220). Dies könnte auf die Memoranden bezogen sein, im November 1918 machen viele Leser und monatelang ausstehende Rückmeldungen keinen Sinn. Andererseits scheint der Hinweis, dass mit seinen Vorstellungen »keine demokratische Politik mehr möglich sein‹ werde (ebd., 221), auf die Nachkriegszeit zu deuten. Namen nannte Steiner, wie so oft, nicht.«

Der angebliche Hinweis, mit seinen Vorstellungen sei »keine demokratische Politik mehr möglich«, ist eine reine Erfindung. Im Vortragstext ist von einer »sozialdemokratischen Politik« die Rede. Wörtlich heißt es:

»Die zweite Einwendung war diese, dass er mir schrieb, nachdem er sich monatelang damit beschäftigt hatte: Ja, ich kann mir gar nicht vorstellen, wie, wenn Sie Glück hätten mit so etwas, dann noch eine sozialdemokratische Politik getrieben werden könnte, denn durch Ihr Wirtschaftsprogramm würde ja keine sozialdemokratische Politik mehr möglich sein. Ja, Sie lachen. Ich habe nicht gelacht, denn ich habe aus diesen Dingen, die ich Ihnen sehr, sehr vervielfältigen könnte, und die Sie überall heute finden, die Lehre gezogen, wie schlimm die Selektion ist, die heute durch die Verhältnisse geübt wird in der Bestimmung derjenigen Menschen, die die verantwortlichen Führer auf diesem oder jenem Gebiete sein sollen.« (GA 185a, Dornach 2004, S. 221)