Angeblich »realisierte« Steiner auch selbst, dass den gesellschaftlichen Teilbereichen nur eine »gewisse Selbstständigkeit« zukomme. Daraus ergebe sich die Frage, ob die analytische Trennung auch in der realen Gesellschaft durchgeführt werden könne. Im Anschluss daran faselt er vom hegemonialen Übergriff des Geisteslebens in Recht und Wirtschaft.

Auf S. 1313-1314 schreibt Zander:

»Das Dreigliederungskonzept erlaubte den Teilbereichen, wie schon Steiner selbst realisierte, nur eine ›gewisse Selbständigkeit‹ (GA 23,57). Damit stand  die Frage im Raum, ob der analytischen Trennung eine Realtrennung in der Gesellschaft entsprechen könne, ob es also möglich ist, etwa das Wirtschaftsrecht vom ›Wirtschaftsleben‹ präzise zu trennen oder ob sich die ökonomischen Fundamente des ›Geisteslebens‹ auslagern lassen. Steiner gab die Antwort selbst, indem er an seiner Funktionsbestimmung des Geisteslebens die Aporie seines formalen Differenzierungskonzeptes dort demonstrierte, wo er den hegemonialen Übergriff des Geisteslebens in Recht und Wirtschaft postulierte.«

Zunächst gilt es festzuhalten, dass Steiner in GA 23 an der von Zander zitierten Stelle nicht vom sozialen Organismus, sondern vom menschlichen Organismus spricht. In diesem wirken die drei Systeme mit einer gewissen Selbstständigkeit:

»Wer von dem hier eingenommenen Gesichtspunkt betrachten muss den kompliziertesten natürlichen Organismus, den menschlichen Organismus, der muss seine Aufmerksamkeit darauf richten, dass die ganze Wesenheit dieses menschlichen Organismus drei nebeneinander wirksame Systeme aufzuweisen hat, von denen jedes mit einer gewissen Selbständigkeit wirkt.«

Es wäre auch irreal, im Hinblick auf den menschlichen Organismus etwas anderes zu behaupten, also zum Beispiel von einer absoluten Selbstständigkeit zu sprechen. Was die Trennung und das Zusammenwirken der drei gesellschaftlichen Subsysteme anbetrifft, so durchdringen sich diese natürlich wie im menschlichen Organismus und funktionieren doch nach ihren jeweils eigenen Regeln.

Die von Zander aufgeworfene Frage nach der »präzisen Trennung von Wirtschaftsrecht und Wirtschaftsleben« oder nach der »Auslagerung der ökonomischen Fundamente des Geisteslebens«, konstruiert einen Scheinwiderspruch.

Die gesellschaftlichen Subsysteme müssen nicht durch ein Zentrum gesteuert werden – ebensowenig, wie die Subsysteme des menschlichen Organismus von einem Zentrum, etwa dem Gehirn, gesteuert werden – sondern sie wirken lebendig zusammen. Das Geistesleben hat es mit Begabung und kultureller Kreativität der Individuen zu tun, das Wirtschaftsleben mit der Warenproduktion, -zirkulation und -konsumtion, das Rechtsleben mit der Ordnung der Beziehungen zwischen Menschen. Jede einzelne Einrichtung im sozialen Ganzen hat eine vorwiegend geistig-kulturelle, politisch-administrativ-rechtliche oder ökonomische Aufgabe und ist insofern dem Geistes-, Rechts- oder Wirtschaftsleben zuzuordnen.

Das ändert jedoch nichts daran, dass überall geistige, rechtliche und ökonomische Aspekte miteinander in den jeweils aufgabengerechten Zusammenhang gebracht werden müssen.

Dass Zander die Befreiung des Geisteslebens zu einem Streben nach Hegemonie umdeutet, dafür gibt es schlicht keine rationale Erklärung – und auch keine Entschuldigung. Wie kann man die Idee, dass Schulen, Universitäten, Religionsgemeinschaften und alle andere Einrichtungen des geistig-kulturellen Lebens autonom und selbstverwaltet sind, also in jeder Hinsicht miteinander in Wettbewerb treten als »hegemonistischen Übergriff« deuten, durch den eine demokratischer Legitimation entzogene Geistesaristokratie von außen die Politik und die Ökonomie steuern soll? Was könnte denn pluralistischer sein, als ein freies Geistesleben? Innerhalb eines solchen wäre jeder Hegemonieanspruch allein schon aufgrund des in ihm herrschenden Freiheitsprinzips undurchsetzbar. Und die Selbstständigkeit der gesellschaftlichen Subsysteme würde jeden Übergriff verhindern und nur die Möglichkeit einer solchen Verständigung und Koordination zulassen, die Steiner 1917 an einen gemeinsamen Senat verwies, in dem der »notwendige Verkehr« zwischen den Leitungen der einzelnen Subsysteme erfolgen wird wie »gegenwärtig der zwischen den Regierungen souveräner Staatsgebiete« (GA 23, Dornach 1976, S. 70).

Laut Zander hatte das Kollegium der Stuttgarter Schule 1922 mit pubertierenden Jugendlichen zu kämpfen und Steiner habe im Hinblick auf diese von »nichtsnutzigen Schülern« gesprochen.

Auf S. 1377 schreibt Zander:

»... 1922 kämpfte man mit pubertierenden, ›nichtsnutzigen Schülern‹ in der obersten Klasse, mit denen man ›nicht fertig geworden‹ sei ... (GA 300b,94)«

Zander erweckt den Eindruck, Steiner habe die betreffenden Schüler, die der Lehrerschaft offenbar Probleme bereiteten, als »Nichtsnutze« bezeichnet. In Wahrheit distanzierte er sich von diesem Sprachgebrauch, wie die Konferenzaufzeichnungen zeigen und suchte die Ursache der entstandenen Probleme bei den Lehrern:

»... aber ich möchte doch sagen, dass ich den Eindruck empfangen habe, dass das Verhältnis zur Lehrerschaft keineswegs die erwünschte Form angenommen  hat, dass eigentlich doch die Sache dabei so steht, dass nicht mit einem gewissen ›Verbundensein‹ gerade diese Schüler der Schule gegenüber leben. Nicht wahr, es kann durchaus eingewendet werden, es sind darunter Nichtsnutze. Das berücksichtige ich schon alles. Ich meine, dass es sich mir nicht darum handelt, dass darunter schwer zu behandelnde und nichtsnutzige Schüler sind, aber das schon eingerechnet, muss ich sagen, dass die Schule mit dieser obersten Klasse im letzten Jahre nicht fertig geworden ist, dass unbedingt der Weg gefunden werden muss, um manches zu korrigieren, was als Ergebnis des verflossenen Jahres da ist, ganz gleichgültig, wie die Charaktere mitgewirkt haben. Es handelt sich darum, dass manches wird zu korrigieren sein.« (GA 300b, Konferenz vom 20. Juni 1922, Dornach 1975, S. 94)

Angeblich hat Steiner das »freie Verhalten im Unterricht«, das manche Landerziehungsheime praktizierten, als Unordnung wie in einem »Hammelstall« »gegeißelt«.

Aus S. 1389 schreibt Zander:

»An anderer Stelle hat Steiner ..., das freie Verhalten im Unterricht als Unordnung wie in einem ›Hammelstall‹ gegeißelt (GA 293, 74) ...«

In diesem Halbsatz stimmt nichts, außer das Wort »Hammelstall«. Steiner flocht in den betreffenden Vortrag eine humoristische Anekdote ein, um zu illustrieren, was dabei herauskäme, wenn man versuchen würde, den »Unterricht nach dem gewöhnlichen Menschenverkehr einzurichten« und die Kinder möglichst »sich selbst erziehen zu lassen«, also das Prinzip der »antiautoritären Erziehung« zu verwirklichen:

»Wir waren einmal in einem Landerziehungsheim und wollten uns beim dortigen Unterrichte die erhebendste Stunde ansehen: die Religionsstunde. Wir kamen in das Unterrichtszimmer. Da lag auf dem Fensterbrett ein Bengel, der räkelte sich mit seinen Beinen zum Fenster hinaus; ein zweiter hockte auf dem Fußboden, ein dritter lag irgendwo auf dem Bauch und hob den Kopf nach aufwärts. So ungefähr waren alle Schüler in dem Raume verteilt. Dann kam der sogenannte Religionslehrer und las ohne besondere Einleitung eine Novelle von Gottfried Keller vor. Dabei begleiteten die Schüler seine Vorlesung wieder mit den verschiedensten Räkeleien. Dann, als er damit zu Ende war, war die Religionsstunde aus, und alles ging ins Freie. Mir stieg bei diesem Erlebnis das Bild auf, dass neben diesem Landerziehungsheim ein großer Hammelstall war – und einige Schritte davon entfernt lebte dann diese Schülerschaft. – Gewiss, auch diese Dinge sollen nicht scharf getadelt werden. Es liegt viel guter Wille zugrunde, aber es ist eine vollständige Verkennung dessen, was für die Kultur der Zukunft zu geschehen hat.« (GA 293, Dornach 1992, S. 74)

Im Kontext, in den diese Anekdote eingebettet ist, wird allerdings der Bolschewismus und Marxismus der Sowjetunion »gegeißelt«. Die aus diesem hervorgehenden Unterrichtsreformen Lunatscharskis würden, so Steiner, binnen kurzem »zum Tod aller Kultur« führen. (Ebd, S. 73)

Ein zentrales methodisches Element der Waldorfpädagogik, den Epochenunterricht, versteht Zander nicht.

Auf S. 1410 schreibt Zander:

»In den Waldorfschulen ist der Lehrplan als ›Epochenunterricht‹ (GA 307,186) konzipiert, d.h. als chronologische Gliederung nach Geschichtsepochen, denen die anderen Unterrichtsgegenstände zugeordnet werden.«

Diese Definition ist falsch. Unter Epochenunterricht versteht die Waldorfpädagogik nicht eine chronologische Gliederung der Unterrichtsinhalte nach Geschichtsepochen, sondern die Erteilung bestimmter Fächer in meist drei bis vier Wochen dauernden zusammenhängenden Unterrichtsepochen während des täglichen Hauptunterrichts. Eine Vielzahl von Fächern, darunter Mathematik, Physik, Chemie, Menschenkunde, Hausbau, Landbau, Landeskunde werden in solchen mehrwöchigen Epochen unterrichtet. Unter dieser Voraussetzung sind auch die gesamten Ausführungen Zanders über den Zusammenhang zwischen Epochenunterricht und »Kulturstufen« falsch, die aus dieser Definition abgeleitet werden (S. 1410-1414).

Der Verweis Zanders führt ins Leere. In GA 307, S. 186 spricht Steiner zwar vom Epochenunterricht, aber nicht in dem von Zander referierten Sinn, sondern in dem hier richtiggestellten Sinn. Der Gesichtspunkt von dem aus Steiner in diesem Vortrag den Epochenunterricht begründet, ist der, dass die Pädagogik nicht nur mit der Erinnerung und den im Bewusstsein anwesenden Inhalten arbeiten müsse, sondern auch mit dem Vergessen und den Inhalten des unbewussten Seelenlebens:

»Es ist in diesen Tagen einmal gefragt worden, ob es denn gut sei, den Unterricht epochenweise zu erteilen, so wie er in der Waldorfschule erteilt wird. Wenn er richtig erteilt wird, dann ist gerade das epochenweise Erteilen dasjenige, was am allerfruchtbarsten sich erweist. Epochenartiger Unterricht heißt: ich nehme nicht so, dass fortwährend eines das andere beeinträchtigt, etwa von acht bis neun Uhr Rechnen, von neun bis zehn Uhr Geschichte oder Religion oder irgend etwas, was gerade passt, oder je nachdem der Lehrer in den Stundenplan hineinkommt; sondern ich setze mir drei, vier, fünf Wochen vor, in denen morgens durch zwei Stunden der Hauptunterricht in einem Fach erteilt wird. Es wird immer dasselbe getrieben. Dann wiederum durch fünf bis sechs Wochen im Hauptunterricht irgend etwas, das sich meinetwillen aus dem anderen entwickelt, aber wiederum in diesen zwei Stunden das gleiche. So dass durch Wochen hindurch das Kind auf etwas Bestimmtes konzentriert ist.

Nun entstand die Frage, ob denn dadurch nicht zu viel vergessen werde, ob dadurch nicht die Kinder wiederum das alles aus der Seele herausbekommen, was man in sie hineingebracht hat? Wird aber der Unterricht in der richtigen Weise getrieben, dann arbeitet ja während der Zeit, in welcher ein anderer Gegenstand gegeben wird, der frühere Gegenstand in den unterbewussten Regionen fort. Man muss in einem solchen Epochenunterricht gerade mit dem rechnen, was unbewusst arbeitet; und es gibt nichts Fruchtbareres, als wenn man einen Unterricht, den man durch drei, vier Wochen erteilt hat, in seinen Konsequenzen ruhen lässt, damit er nun ohne Zutun des Menschen weiter im Menschen arbeitet. Dann wird man schon sehen: hat man richtig unterrichtet, und frischt gedächtnismäßig die Sache wieder auf, dann kommt es bei der nächsten Epoche, wo dasselbe Fach getrieben wird, in ganz anderer Weise  wieder herauf, als wenn  man es eben nicht richtig getrieben hat. Aber mit solchen Dingen rechnet man gar nicht, wenn man den Einwand macht: ob auch die Dinge so richtig getrieben werden, da die Dinge vergessen werden könnten! Der Mensch muss ja so viel mit dem Vergessen rechnen. Denken Sie nur, was wir nicht alles im Kopfe haben müssten, wenn wir nicht richtig vergessen könnten und das Vergessene wiederum herauf bringen könnten! Deshalb muss ein richtiger Unterricht nicht nur mit dem Unterricht, sondern auch mit dem Vergessen richtig rechnen.

Das bedeutet nicht, dass man entzückt darüber zu sein braucht, dass die Kinder vergessen, das besorgen sie schon von selbst; sondern darauf kommt es an, was in die unterbewussten Regionen so hinuntergegangen ist, dass es dann in entsprechender Weise wieder heraufgeholt werden kann. Zu dem ganzen Menschen gehört eben nicht bloß das Bewusste, sondern auch das jeweilig Unbewusste.« (GA 307, Vortrag vom 14. August 1923, Dornach 1986, S. 186 f)

Mit Hilfe von Textverfälschungen unterstellt Zander Steiner Absichten oder Zielsetzungen, die jenen, die er tatsächlich verfolgte und zum Ausdruck brachte, diametral entgegengesetzt sind.

Auf S. 1468 schreibt Zander:

»Steiner ließ ... Lili Kolisko 1923 demonstrativ vor Anthroposophen und Anthroposophen [sic!] über ihre Arbeit referieren (GA 260, 212 f.), letztlich weil er ihre empirische Arbeit für ausreichend hielt: ›unsere Abhandlungen können bestehen vor den gegenwärtigen klinischen Anforderungen.‹«

In Wahrheit hat Steiner genau das Gegenteil von dem zum Ausdruck gebracht, was der zitierte Halbsatz suggeriert: das Argument, »unsere Abhandlungen können bestehen«, wird von ihm als Irrweg bezeichnet. Wörtlich heißt es:

»Wenn wir dasjenige, was auf unserem Boden medizinisch erwächst, so beschreiben, dass wir den Ehrgeiz haben: Unsere Abhandlungen können bestehen vor den gegenwärtigen klinischen Anforderungen – dann, dann werden wir niemals mit den Dingen, die wir eigentlich als Aufgabe haben, zu einem bestimmten Ziele kommen, denn dann werden die anderen Menschen sagen: Nun ja, das ist ein neues Mittel; wir haben auch schon neue Mittel gemacht.« (GA 260, 1. Januar 1924, Dornach 1994, S. 278.)

Was Steiner als unredliche Strategie darstellte, um davon abzuraten, das stellt Zander als die Unredlichkeit Steiners dar, nur um einmal mehr seine eigene Unredlichkeit zu bezeugen.