In Zanders Auseinandersetzung mit Steiners Werk »Geheimwissenschaft im Umriss«, das er auf dreieinhalb Seiten abfertigt, geht der katholische Dogmatiker mit ihm durch, der sich ansonsten sehr gut hinter der Maske des nihilistischen Skeptikers verbirgt. Doch der Anspruch der Geisteswissenschaft, die katholische Offenbarungswahrheit zu überbieten, geht ihm denn doch zu sehr gegen den Strich.

1.

Seine Münchhausiade beginnt Zander auf S. 180 mit einem angeblichen Geständnis Steiners. Er sei »überfordert« gewesen, die »Geheimwissenschaft im Umriss«, wie in der »Theosophie« 1904 angekündigt, gleich 1904 als Fortsetzung dieses Werks zu liefern:

»weil er überfordert war, wie er 1925 auf dem Totenbett gestand: ›Die kosmischen Zusammenhänge ... waren im einzelnen da; aber nicht im Gesamtbild.«

2.

In Steiners Ausführungen über die Entstehung des Kosmos sieht Zander nichts als neuplatonischen Emanatismus.

Auf S. 181 schreibt er:

»Für jeden theologisch auch nur schwach gebildeten Leser war klar, dass Steiner mit seiner theosophischen Konzeption die Lehre von der geschaffenen, von Gott unabhängigen Welt verwarf ... Der theologische Satz von der Creatio ex nihilo, der Schöpfung aus dem Nichts, war damit verabschiedet, letztlich weil Steiner eine Schöpfung für ein Wunder hielt, und das wiederum galt ihm als ein sacrificum [sic!] intellectus gegenüber der naturwissenschaftlichen Vernunft. ... Auch den Gottesbegriff benötigte Steiner nicht mehr, er bevorzugte die Rede von ›dem Göttlichen‹ oder ›dem Geistigen‹ ...

Damit stand Steiner eigentlich im Pantheismus, wo alles Gott und Gott alles ist.«

3.

Mit den Flügeln seines apologetischen Furors schwingt sich Zander zu geradezu widersinnigen Behauptungen auf.

So schreibt er auf S. 182:

Doch Steiners eigentlicher Gegner war nicht die Theologie, die nahm er nicht ernst. Sein Feind war der naturwissenschaftliche Antimaterialismus, dem er einen Todesstoß von umwerfender Einfachheit zu versetzen beanspruchte: Wenn die Materie eine göttliche Substanz war ... hatte der geistlose Materialismus verloren.«

Zu 1.

Immer wenn Zander von einem »Geständnis« oder »Zugeständnis« Steiners spricht, kann man grundsätzlich davon ausgehen, dass es keines war. Das ist auch hier der Fall. Steiner hat 1925 keineswegs etwas »zugestanden«. Er hat erst recht nicht zugestanden, dass er 1904 überfordert war – und seine Äußerungen sind auch nicht, wie Zander hämisch dramatisiert, Zugeständnisse auf dem Totenbett. Vielmehr finden sie sich in der Vorrede zur 16. bis 20. Auflage dieses Buches, die Steiner am 10. Januar 1925 verfasste. Er will, wie er im ersten Absatz schreibt, fünfzehn Jahre nach dem ersten Erscheinen, einen Einblick in die »Seelenverfassung« geben, aus der heraus es entstand. Was folgt, ist eine ausführliche Erörterung der Erkenntnisvoraussetzungen und Darstellungsbedingungen dieses Werkes. Nirgends ist von einer Überforderung die Rede.

»Ursprünglich war mein Plan, seinen wesentlichen Inhalt als letzte Kapitel meinem lange vorher erschienenen Buche ›Theosophie‹ anzufügen. Das ging nicht. Dieser Inhalt rundete sich damals, als die ›Theosophie‹ ausgeführt wurde, nicht in der Art in mir ab wie derjenige der ›Theosophie‹. Ich hatte in meinen Imaginationen das geistige Wesen des Einzelmenschen vor meiner Seele stehen und konnte es darstellen, nicht aber standen damals schon die kosmischen Zusammenhänge, die in der ›Geheimwissenschaft‹ darzulegen waren, ebenso vor mir. Sie waren im einzelnen da; nicht aber im Gesamtbild.

Deshalb entschloss ich mich, die ›Theosophie‹ mit dem Inhalte erscheinen zu lassen, den ich als das Wesen des Lebens eines einzelnen Menschen erschaut hatte, und die ›Geheimwissenschaft‹ in der nächsten Zeit in aller Ruhe durchzuführen.

Der Inhalt dieses Buches musste nach meiner damaligen Seelenstimmung in Gedanken gegeben werden, die für die Darstellung des Geistigen geeignete weitere Fortbildungen der in der Naturwissenschaft angewendeten Gedanken sind. Man wird es den hier wieder abgedruckten ›Vorbemerkungen zur ersten Auflage‹ anmerken, wie stark ich mich mit allem, was ich damals über Geisteserkenntnis schrieb, vor der Naturwissenschaft verantwortlich fühlte. Aber man kann nicht in solchen Gedanken allein das zur Darstellung bringen, was sich dem geistigen Schauen als Geist-Welt offenbart. Denn diese Offenbarung geht in einen bloßen Gedankeninhalt nicht ein. Wer das Wesen solcher Offenbarung erlebend kennengelernt hat, der weiß, dass die Gedanken des gewöhnlichen Bewusstseins nur geeignet sind, das sinnlich Wahrgenommene, nicht aber das geistig Geschaute, auszudrücken.

Der Inhalt des geistig Geschauten lässt sich nur in Bildern (Imaginationen) wiedergeben, durch die Inspirationen sprechen, die von intuitiv erlebter geistiger Wesenheit herrühren. (Über das Wesen von Imagination, Inspiration und Intuition findet man das Notwendige in dieser ›Geheimwissenschaft› selbst und in meinem Buche ›Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?‹.)

Aber der Darsteller der Imaginationen aus der Geist-Welt kann gegenwärtig nicht bloß diese Imaginationen hinstellen. Er stellte damit etwas dar, das als ein ganz anderer Bewusstseinsinhalt neben dem Erkenntnisinhalt unseres Zeitalters, ohne allen Zusammenhang mit diesem, stünde. Er muss das gegenwärtige Bewusstsein mit dem erfüllen, was ein anderes Bewusstsein, das in die Geist-Welt schaut, erkennen kann. Dann wird seine Darstellung diese Geist-Welt zum Inhalte haben; aber dieser Inhalt tritt in der Form von Gedanken auf, in die er hineinfließt. Dadurch wird er dem gewöhnlichen Bewusstsein, das im Sinne der Gegenwart denkt, aber noch nicht in die Geist-Welt hineinschaut, voll verständlich.

Diese Verständlichkeit bleibt nur dann aus, wenn man sich selbst Hindernisse vor sie legt. Wenn man die Vorurteile, die die Zeit aus einer falsch aufgefassten  Naturanschauung von ›Grenzen des Erkennens‹ sich gebildet hat, zu den eigenen macht.

Im Geist-Erkennen ist alles in intimes Seelen-Erleben getaucht. Nicht nur das geistige Anschauen selbst, sondern auch das Verstehen, das das nicht-schauende gewöhnliche Bewusstsein den Ergebnissen des Schauenden entgegenbringt.

Von dieser Intimität hat keine Ahnung, wer in dilettantischer Art davon spricht, dass der, der zu verstehen glaubt, sich das Verständnis selbst suggeriert.

Aber es ist so, dass, was innerhalb des Begreifens der physischen Welt bloß in Begriffen als Wahrheit oder Irrtum sich auslebt, der geistigen Welt gegenüber Erlebnis wird.

Wer in sein Urteil nur leise empfindend die Behauptung einfließen lässt, das geistig Geschaute ist von dem gewöhnlichen, noch nicht schauenden Bewusstsein – wegen dessen Grenzen – nicht erfassbar, dem legt sich dieses empfindende Urteil wie eine verfinsternde Wolke vor das Erfassen; und er kann wirklich nicht verstehen.

Aber dem unbefangenen nicht-schauenden Bewusstsein ist das Geschaute voll verständlich, wenn es der Schauende bis in die Gedankenform hineinbringt. Es ist verständlich, wie dem Nicht-Maler das fertige Bild des Malers verständlich ist. Und zwar ist das Verständnis der Geist-Welt nicht das künstlerisch-gefühlsmäßige wie bei einem Kunstwerk, sondern ein durchaus gedankenmäßiges wie der Naturerkenntnis gegenüber.

Um aber ein solches Verständnis wirklich möglich zu machen, muss der Darsteller des geistig Geschauten seine Schauungen bis zu einem richtigen Hineingießen in Gedankenform bringen, ohne dass sie innerhalb dieser Form ihren imaginativen Charakter verlieren. Das stand alles vor meiner Seele, als ich meine ›Geheimwissenschaft‹ ausarbeitete.

1909 fühlte ich dann, dass ich mit diesen Voraussetzungen ein Buch zustande bringen könne, das: erstens den Inhalt meiner Geistesschau bis zu einem gewissen, aber zunächst genügenden Grade, in die Gedankenform gegossen, brachte; und das zweitens von jedem denkenden Menschen, der sich keine Hindernisse vor das Verständnis legt, verstanden werden kann.«

Zu 2.

Zander reproduziert hier in wenigen Sätzen das Standardarsenal der christlichen Apologetik gegen die abendländische Esoterik: den Emanatismusvorwurf, den Vorwurf der Enttranszendentalisierung und Entpersonalisierung des dogmatischen Schöpfergottes, den Vorwurf des Pantheismus oder Kosmotheismus.

Jedem, der die »Geheimwissenschaft im Umriss« mit Verstand liest – mit jenem Verstand, über den jeder Mensch verfügt und für den sie geschrieben ist – , muss klar sein, dass es sich um eine großartige Schöpfungserzählung handelt. Eine Schöpfungserzählung, die das traditionelle Motiv der Entstehung der Welt aus dem Geist Gottes mit der modernen Theorie der Evolution versöhnt. Dass die Welt aus dem Geist Gottes entstanden ist und wieder in diesen zurückkehren wird, ist Grundüberzeugung auch der gesamten christlichen Tradition. Schließlich besteht auch der Sinn der Menschwerdung aus christlicher Sicht darin, die von Gott abgefallene Schöpfung wieder zu ihrem Schöpfer zurückzuführen. Was die »Geheimwissenschaft« schildert, ist die sich durch ihr Schöpfungshandeln offenbarende Gottheit, die sich der himmlischen Hierarchien als ihrer ausführenden Organe bedient. Einem Leser zu Augustins oder Thomas von Aquins Zeiten müsste man dies nicht erst umständlich erklären. Aber die heutige Theologie ist nicht einmal mehr ein Zwerg, der auf den Schultern von Riesen steht. Wie im biblischen Sechstagewerk verläuft diese Schöpfung über Stufen, auf denen Schöpfung und Entwicklung auf je unterschiedliche Weise ineinander verschränkt sind. Das »Nichts«, von dem die Dogmatik redet, das mehr schlecht als recht das Nichtwissen über den konkreten Vorgang der Schöpfung verbirgt, erscheint der Geistesforschung erfüllt von geistiger Wesenhaftigkeit, die aus sich, also aus dem stofflichen Nichts, die Stoffeswelt hervorbringt. Steiner hielt die Schöpfung keineswegs für ein »Wunder«, das die Opferung des Intellektes verlangt, beziehungsweise, er hielt das, was die katholische Theologie nicht zu begreifen vermochte und deshalb als »Wunder« bezeichnete, vor dem das Begreifen verstummen musste, durchaus für begreiflich und sah seine Aufgabe gerade darin, das konkrete Geschehen der Schöpfung zu beschreiben und der denkenden Vernunft zugänglich zu machen.

Steiner verwarf keineswegs das »Konzept« der geschaffenen, von Gott unabhängigen Welt, vielmehr besteht der Sinn des Schöpfungshandelns gerade darin, eine solche Welt hervorzubringen, deren bestimmender Inhalt die Freiheit, also die Unabhängigkeit ist. Dieser Gedanke findet sich bereits in den »Einleitungen zu Goethes Naturwissenschaftlichen Schriften« 1887: »Die erhabenste Gottesidee bleibt doch immer die, welche annimmt, dass Gott sich nach Schöpfung des Menschen ganz von der Welt zurückgezogen und den letzteren ganz sich selbst überlassen habe.« (S. 125)

In der »Geheimwissenschaft« klingt dieses Motiv in folgenden Sätzen auf: »Darauf beruht ja alle Entwickelung, dass erst aus dem Leben der Umgebung selbständige Wesenheit sich absondert; dann in dem abgesonderten Wesen sich die Umgebung wie durch Spiegelung einprägt und dann dies abgesonderte Wesen sich selbständig weiter entwickelt.« Mit anderen Worten: aus dem inneren Leben und Weben der Gottheit, aus ihrer Seins-, Macht- und Wesensfülle, geht die geschaffene Welt hervor, als selbstständiges Wesen, in das sich die schaffenden Mächte einprägen, auf dass die geschaffenen Wesen sich selbstständig weiter entwickeln können.

Wohlfeil ist der Vorwurf des Pantheismus; sagte doch bereits Paulus laut Apostelgeschichte auf dem Areopag (17:28-29): »Denn in ihm leben, weben und sind wir; wie auch etliche Poeten bei euch gesagt haben: ›Wir sind seines Geschlechts.‹ So wir denn göttlichen Geschlechts sind, sollen wir nicht meinen, die Gottheit sei gleich den goldenen, silbernen und steinernen Bildern, durch menschliche Kunst und Gedanken gemacht.« Man müsste also den Vorwurf des Pantheismus, und wenn nicht diesen, dann doch den des Pan-Entheismus gegen Paulus erheben. Aber Steiner ist keineswegs Pantheist. Nicht alles ist Gott und Gott alles, sondern alles ist in Gott und Gott in allem, wenn auch nicht in abstrakter Einförmigkeit, sondern in konkreter Vielförmigkeit.

Zu 3.

Welcher »auch nur schwach gebildete« Leser, um ein Wort Zanders aufzugreifen, hätte je von einem »naturwissenschaftlichen Antimaterialismus« gehört?

Legt man die Maßstäbe der dekonstruktivistischen Antirassisten zugrunde, nach denen biologische Rassen eine soziale Konstruktion und damit inexistent sind, dann outet sich Zander in seinem Kapitelchen über Rassen als Rassisten, geht er doch von der realen Existenz von Rassen aus. Jovial gesteht er hingegen Steiner zu, kein »wilder Rassist« gewesen zu sein.

Auf S. 184 schreibt Zander:

»Außer Frage steht, dass Rassen biologische Merkmale besitzen, aber das ist eine Frage der statistischen Häufigkeit und nicht einer eindeutigen Abgrenzung.«

Und auf S. 186:

»Steiner gehörte nicht zu den wilden Rassisten im wilhelminischen Deutschland ... Steiners Überhöhung des Geistigen relativierte den Rassismus, denn für ihn waren die Rassen ›entstanden und werden einmal vergehen‹. Solange sie existierten, sollten ihre Unterschiede durch Reinkarnation entschärft werden.«

Zanders Rezeption des Rassenbegriffs im Werk Steiners krankt – wie die aller Kritiker, die ihm Rassismus vorwerfen – an einer mangelnden Wahrnehmung der Kontexte. Die theosophischen Begriffe der »Wurzelrassen« und »Unterrassen« hatten eine spezifische Bedeutung, die aus dem jeweiligen Kontext zu entnehmen ist. In Steiners Sprachgebrauch verwiesen sie auf Stufen der Evolution des Bewusstseins. Auch Steiner sprach nicht von »klar abgrenzbaren Rassen«, zumal nicht im Hinblick auf die Gegenwart. Klar abgrenzbare Rassen bestanden seiner Auffassung nach nur in der atlantischen Zeit – was danach folgte, war Mischung und Auflösung von Unterschieden, mit anderen Worten: statistische Häufigkeit, sowie Überformung der verbliebenen Unterschiede durch Geist, d.h. Kultur.

»Deshalb sprechen wir auch von Kulturzeitaltern im Gegensatz zu Rassen. Alles das, was etwa verknüpft ist mit dem Rassenbegriff, ist noch Überbleibsel des Zeitraumes, der dem unseren vorangegangen ist, des atlantischen. Wir leben im Zeitraum der Kulturepochen. Die Atlantis war der Zeitraum, wo sich nach und nach sieben aufeinanderfolgende große Rassen bildeten. Natürlich, die Früchte dieser Rassenbildung ragen herein auch in unser Zeitalter, daher spricht man auch heute noch von Rassen. Das sind aber schon Verwischungen jener scharfen Trennungen in der atlantischen Zeit. Heute hat schon der Kulturbegriff den Rassenbegriff abgelöst. Daher sprechen wir von der alten indischen Kultur, von welcher die Kultur, die uns in den Veden angekündigt wird, nur ein Nachklang ist. Die uralt-heilige indische Kultur ist die erste Morgenröte der nachatlantischen Kultur, sie folgt unmittelbar auf die atlantische Zeit.« (GA 104, Die Apokalypse des Johannes, 20. Juni 1908, S. 69)

Die »uralt-heilige indische Kultur« begann laut Steiner im 7. Jahrtausend vor Christus. Seit dieser Zeit ist der Rassenbegriff auf die Menschheit nicht mehr anwendbar.

»Wenn man heute von Rassen spricht, bezeichnet man etwas, was nicht mehr ganz richtig ist. Auch in theosophischen Handbüchern werden hier große Fehler gemacht. Man spricht davon, dass unsere Entwicklung sich so vollzieht, dass Runden, und in jeder Runde Globen, und in jedem Globus Rassen sich hintereinander entwickeln, so dass wir also in allen Epochen der Erdenevolution Rassen haben würden. Das ist aber nicht so. Es hat zum Beispiel schon gegenüber der heutigen Menschheit keinen rechten Sinn mehr, von einer bloßen Rassenentwicklung zu sprechen. Von einer solchen Rassenentwicklung im wahren Sinne des Wortes können wir nur während der atlantischen Entwicklung sprechen. ... in unserer Zeit wird der Rassenbegriff in einer gewissen Weise verschwinden, da wird aller von früher her gebliebene Unterschied nach und nach verschwinden. So dass alles, was in bezug auf Menschenrassen heute existiert, Überbleibsel aus der Differenzierung sind, die sich in der atlantischen Zeit herausgebildet hat. Wir können noch von Rassen sprechen, aber nur in einem solchen Sinn, dass der eigentliche Rassenbegriff seine Bedeutung verliert.« (GA 105, Welt, Erde und Mensch, 16.08.1908, S. 183-184)

»Das ist die reale Aufgabe der Anthroposophie: ... die ... völlige Überwindung des Rassenbegriffes« (GA 117, Die tieferen Geheimnisse des Menschheitswerdens im Lichte der Evangelien, 4.12.1909, S. 164/5).

Wie aber sahen die »Rassen« in der atlantischen Zeit aus?

Sie hatten kaum etwas mit jenen Rassen gemein, von denen die Anthropologie um die Jahrhundertwende sprach oder die heutige Anthropologie spricht.

»In vielen Millionen Jahren hatte sie [die Menschheit] sich sehr verändert und eine Gestalt angenommen, die der heutigen Menschengestalt ähnelte« (Steiner, 1906/1970, GA 95, S. 99). Während der atlantischen Zeit »da konnten wir Menschen ... nur solche weichen Knorpel haben wie heute die Haifische. Und durch Lungen konnte man auch nicht so atmen wie heute. Da musste man eine Art von Schwimmblasen haben und eine Art von Kiemen; so dass also der Mensch, der da lebte, seiner äußerlichen Gestalt nach halb Mensch und halb Fisch war ... Da kommen wir in eine Zeit zurück, wo es weder die heutigen Menschengestalten gegeben hat, noch heutige Elefanten, noch Rhinozerosse, noch Löwen, noch Kühe, noch Ochsen, noch Stiere, keine Kängurus; alles das hat es noch nicht gegeben. Dagegen hat es, könnte man sagen, fischähnliche Tiere gegeben – nicht so wie die heutigen Fische, schon menschenähnlich –, halb menschenähnliche, halb fischähnliche Tiere, die man ebensogut Menschen nennen könnte. Das hat es also gegeben. All die heutigen Gestalten von Tieren hat es nicht gegeben. Dann hat sich die Erde allmählich verwandelt in die Gestalt, wie sie heute ist ... Die mehr unvollkommenen dieser Fischmenschen wurden Kängurus, die ein bisschen vollkommeneren wurden Hirsche und Rinder, und diejenigen, die am vollkommensten waren, wurden Affen oder Menschen ... So dass man vielmehr sagen kann, der Affe stammt vom Menschen ab, als der Mensch stammt vom Affen ab ... Die ... alten Atlantier, die hatten in ihrem wässrigen Kopf gerade eine sehr hohe Stirne, und dann kam, als dies zurückging, zuerst die niedrige Stirn, und die wuchs sich nach und nach wiederum aus zu den höheren Stirnen. Das ist eben eine Zwischenzeit, wo die Menschen so waren wie der Neandertalmensch ...« (Steiner 1924, GA 354, S. 65-69).

Zwischen den atlantischen Menschen und den heutigen gibt es keinerlei Ähnlichkeit. Die atlantischen »Fischmenschen« können kaum mit den Phänotypen der heutigen Menschen»rassen« gleichgesetzt werden. Steiner spricht von einer vorgeschichtlichen Zeit, in welcher die »menschlichen« Atlantier mehr Ähnlichkeiten mit solchen Kreaturen hatten, die man als »gemeinsame Vorfahren« aus längst vergangenen geologischen Perioden bezeichnen kann. Die einzige Beziehung zur gegenwärtigen Entwicklungsepoche ist hier der Neandertaler, aus dem die heutige Menschheit jedoch nicht hervorgegangen ist.

Die meisten Ausführungen Steiners über die atlantische »Wurzelrasse« handeln von der Entwicklung geistiger Fähigkeiten, nicht von biologischen Merkmalen. Er schildert, wie die Atlantier ihr Gedächtnis ausbildeten, das sich über sieben »Unterrassen« hinweg zum logischen Denken und Selbstbewusstsein entwickelte: Der logisch »kombinierende Verstand« und das »Selbstbewusstsein« entstanden erst in der fünften »Unterrasse« (Steiner 1904/59, GA 11, S. 233). In den Schilderungen der atlantischen Zeit bezieht sich der Begriff der »Rasse« oder »Unterrasse« in erster Linie auf geistige Fähigkeiten und nicht auf biologische Phänotypen. Da für den Rassismus der Bezug auf biologische Phänotypen unabdingbar ist, macht es keinerlei Sinn, diesen Begriff auf Steiner anzuwenden. Hinzu kommt, dass Steiner der Auffassung war, von diesen atlantischen Rassen habe lediglich eine überlebt: »Die nachatlantische Menschheit hat sich physisch aus denjenigen atlantischen Vorfahren herausgebildet, bei denen schon eine solche Verfestigung der körperlichen Gestalt eingetreten war, dass diese den nunmehr naturwidrig gewordenen Seelenkräften nicht nachgaben«, alle anderen Rassen starben aus (Steiner 1909, GA 13, S. 269).

Steiner war also der Auffassung, dass sich die gesamte Menschheit seither aus einer atlantischen Rasse entwickelt habe. Wie kann man also aus Steiners Äußerungen über die atlantische Zeit einen Rassismusvorwurf ableiten, wenn Steiner der Auffassung war, wir alle stammten von einer Rasse ab und diese habe sich total von all dem unterschieden, was heute die Definition von Rasse ausmacht?

Vor allem aber entzieht das vollständige Fehlen eines biologischen Reduktionismus dem Rassismusvorwurf den Boden, wie ja auch Zander zugestehen muss (»Steiners Überhöhung des Geistigen relativierte den Rassismus«.) Für jegliche Form des Rassismus ist die Reduktion des Menschen auf seine biologischen Eigenschaften konstitutiv, durch die er determiniert und auf die er reduzierbar ist. In Steiners Anthropologie stellt aber bereits das seelische Wesen des Menschen ein emergentes Phänomen gegenüber den körperlichen Eigenschaften dar. Erst recht gilt dies für das geistige Wesen des Menschen. »Der Mensch ist Geist«, das ist die Wesensdefinition, die Steiner in der »Theosophie« gibt. Wäre Steiner Rassist gewesen, hätte er sagen müssen: »der Mensch ist Rasse und alles, was wir seinem Wesen zuschreiben, lässt sich aus seinen Rasseneigenschaften ableiten«. Derartige Äußerungen finden sich bei Benjamin Disraeli (»All is race, there is no other truth«), aber nicht bei Steiner.

Die »Überhöhung des Geistigen« relativiert nicht nur den Rassismus, sie macht ihn undenkbar. Aber selbst dieses Argument Zanders ist doppelzüngig. Nicht von einer »Überhöhung« des Geistes durch Steiner kann man sprechen, sondern man muss vom Geist als Fundament seiner Anthropologie und Ontologie sprechen. Das Zentrum seiner Existenz, den Kern seines Wesens findet jeder einzelne Mensch in seinem Ich. Aber auch der innerste Wesenskern der »Welt« ist Geist. Im Gegensatz zu Steiner, dessen Ontologie jegliche Form des Rassismus aus prinzipiellen Gründen ausschließt, gerät allerdings Zander und jeder, der Geist und Seele bloß als Epiphänomene oder »Überbau« der biologischen Existenz betrachtet oder deren Eigenständigkeit leugnet, in Erklärungsnot. Den biologischen Reduktionismus, der dem Rassismus zugrunde liegt, hat nicht Zander überwunden, auch nicht die heutige Naturwissenschaft, sondern Steiner mit seinem Nachweis, dass der Geist kein Epiphänomen, sondern das Urphänomen schlechthin ist. »Die Menschheit ist von einer Einheit ausgegangen; aber die bisherige Erdenentwickelung hat zur Sonderung geführt. In der Christus-Vorstellung ist zunächst ein Ideal gegeben, das aller Sonderung entgegenwirkt, denn in dem Menschen, der den Christusnamen trägt, leben auch die Kräfte des hohen Sonnenwesens, in denen jedes menschliche Ich seinen Urgrund findet. ... Indem zunächst in dem bloßen Gedanken erfasst wurde, dass in Christus Jesus der Idealmensch lebt, zu dem die Bedingungen der Sonderung nicht dringen, wurde das Christentum das Ideal der umfassenden Brüderlichkeit. Über alle Sonderinteressen und Sonderverwandtschaften hinweg trat das Gefühl auf, dass des Menschen innerstes Ich bei jedem den gleichen Ursprung hat. (Neben allen Erdenvorfahren tritt der gemeinsame Vater aller Menschen auf. ›Ich und der Vater sind Eins.‹)« (Geheimwissenschaft im Umriss, S. 294) Mit anderen Worten: das menschliche Ich ist aus demselben Urgrund hervorgegangen, aus dem auch die Welt hervorgegangen ist, denn diese ist aus dem Logos entstanden, »aus dem alles entstanden ist«.

Zum Thema siehe auch: »Die Überwindung des Rassismus durch die Anthroposophie«.

Laut Zander erhob Steiner einen Anspruch auf göttliche Allwissenheit.

Auf S. 187-188 schreibt Zander:

» ... den Begriff der Akasha-Chronik und das dahinterstehende Programm eines universalen Wissensarchivs übernahm Steiner [von Blavatsky]. ...Steiner trat damit vor die theosophische Gemeinde als Eingeweihter, der im Prinzip mit göttlicher Allwissenheit im Buch der Weltgeschichte lese.«

Der Behauptung, Steiner hätte den Anspruch auf göttliche Allwissenheit erhoben, widersprechen Aussagen in der von Zander zitierten Schrift, in denen Steiner diese Unterstellung explizit von sich weist.

»Um einem möglichen Irrtum vorzubeugen, sei hier gleich gesagt, dass auch der geistigen Anschauung keine Unfehlbarkeit innewohnt. Auch diese Anschauung kann sich täuschen, kann ungenau, schief, verkehrt sehen. Von Irrtum frei ist auch auf diesem Felde kein Mensch; und stünde er noch so hoch. Deshalb soll man sich nicht daran stoßen, wenn Mitteilungen, die aus solchen geistigen Quellen stammen, nicht immer völlig übereinstimmen.« (Aus der Akasha-Chronik, S. 23.)

»Wenn auch beim Entziffern der ›Akasha-Chronik‹ alle mögliche Sorgfalt angewendet worden ist, so muss doch betont werden, dass nirgends für diese Mitteilungen irgendwelcher dogmatischer Charakter in Anspruch genommen werden soll. Ist schon das Lesen von Dingen und Ereignissen, welche dem gegenwärtigen Zeitalter so fernliegen, nicht leicht, so bietet die Übersetzung des Geschauten und Entzifferten in die gegenwärtige Sprache fast unübersteigliche Hindernisse.« (Aus der Akasha-Chronik, S. 57.)

Auch das Kapitelchen »Theosophische Erkenntnistheorie« bietet einige gröbliche Verzerrungen nachprüfbarer Sachverhalte, zum Beispiel die Behauptung, Steiner habe keine systematische Theoriebildung zur theosophischen Erkenntnismethode betrieben.

Auf S. 193 schreibt Zander:

»Auch als Theosoph blieb er [Steiner] der erkenntnistheoretischen Ausrichtung wie in seiner Goethe-Zeit verbunden, wenngleich er keine systematische Theoriebildung betrieb. Theosophisches Wissen sollte jedenfalls eine sichere, nachgerade objektive Erkenntnis bieten. Höhere Erkenntnis sei zweifelsfrei möglich, wenn der ›gesunde Sinn, der Wahrheit und Täuschung unterscheidet‹, ›gepflegt‹ werde. Und gewiss war sie dann, wenn sie naturwissenschaftlich arbeite: empirisch, nachprüfbar ... Aber unbezweifelbare Erkenntnis bedeutet Dogmatik, auch für die Theosophie.«

Steiner habe keine systematische Theoriebildung der theosophischen (geisteswissenschaftlichen) Erkenntnis betrieben. Man könnte diese Behauptung als Witz verstehen, wenn sie nicht in der humorlosen dogmatischen Stimmlage vorgetragen würde, in der Zander all seine Urteile über Steiner in die Welt setzt. Steiner hat diese systematische Theoriebildung in einer ganzen Reihe von Schriften dargelegt, angefangen mit »Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?«, über das Schulungskapitel der »Theosophie« und der »Geheimwissenschaft im Umriß«, bis hin zu der Schrift »Die Stufen der höheren Erkenntnis«, um nur die wichtigsten zu nennen.

Diese Texte bieten alles, was man sich an Theoriebildung nur wünschen kann: sie bieten eine Theorie der Erkenntnis, eine Theorie der Experimentalanordnungen, eine Theorie der Erkenntnisgegenstände und Erkenntnisorgane, eine Theorie der Überprüfung und der Falsifikation. Aber was Steiner an Methodentheorien vorbringt ist für Zander lediglich – Dogmatismus. So bemerkt er: in »Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?« komme »das Modalverb müssen 367 mal vor« (S. 194).

Es ist also ein Kennzeichen von Dogmatismus, wenn ein Astronom behauptet, man müsse ein Fernrohr benutzen, um bestimmte Beobachtungen am Himmel machen zu können. Dieser Einwand ist erheblich weniger klug, als die Einwände, die die damaligen Aristoteliker gegen Galileis Gebrauch des Fernrohrs vorbrachten.

Wenn gewisse Versuchsbedingungen erfüllt werden müssen, um bestimmte Beobachtungen machen zu können, dann ist deren Beschreibung nicht Ausdruck von Dogmatismus, sondern eben eine Beschreibung der notwendigen Bedingungen, die hergestellt werden müssen, damit die erwarteten Phänomene auftreten können. Wenn ein Mathematiker behauptet, der Satz des Pythagoras könne bewiesen werden, wenn bestimmte Gedankenoperation mit Hilfe geometrischer Begriffe durchgeführt würden und seine Zuhörer dazu auffordert, ebendiese Gedankenoperation durchzuführen: ist dies ein Ausdruck von Dogmatismus? Wer zu bestimmten Einsichten gelangen will, muss eben bestimmte gedankliche Operationen durchführen.

Hielt Steiner die von ihm vorgetragenen Erkenntnisse für »unbedingt gewiss« und jeder Überprüfung entzogen? Gewiss nicht. In den Vorbemerkungen zur ersten Auflage »Geheimwissenschaft im Umriss«, die gewiss keine alltäglichen Erkenntnisse beinhaltet, schrieb Steiner:

»Obwohl das Buch sich mit Forschungen befasst, welche dem an die Sinnenwelt gebundenen Verstand nicht erforschbar sind, so ist doch nichts vorgebracht, was nicht verständlich sein kann unbefangener Vernunft und gesundem Wahrheitssinn einer jeden Persönlichkeit, welche diese Gaben des Menschen anwenden will. Der Verfasser sagt es unumwunden: er möchte vor allem Leser, welche nicht gewillt sind, auf blinden Glauben hin die vorgebrachten Dinge anzunehmen, sondern welche sich bemühen, das Mitgeteilte an den Erkenntnissen der eigenen Seele und an den Erfahrungen des eigenen Lebens zu prüfen. (3) Er möchte vor allem vorsichtige Leser, welche nur das logisch zu Rechtfertigende gelten lassen. Der Verfasser weiß, sein Buch wäre nichts wert, wenn es nur auf blinden Glauben angewiesen wäre; es ist nur in dem Maße tauglich, als es sich vor der unbefangenen Vernunft rechtfertigen kann.

1913 ergänzte er den Text durch die Anmerkung (3): »Gemeint ist hier nicht etwa nur die geisteswissenschaftliche Prüfung durch die übersinnlichen Forschungsmethoden, sondern vor allem die durchaus mögliche vom gesunden, vorurteilslosen Denken und Menschenverstand aus.«

Man mag von den Möglichkeiten dieser Überprüfung halten, was man will, man kann aber jedenfalls nicht behaupten, Steiner habe die Erkenntnisse der Geisteswissenschaft für unbedingt gewiss erklärt und sie jeder möglichen Prüfung entzogen.

Dogmatismus ist also gerade kein Vorwurf, den man gegen Steiner erheben kann. In Wahrheit beruht dieser Vorwurf auf Folgendem: Ebenso wie bei mathematischen oder naturwissenschaftlichen Beweisen die geistige Mittätigkeit derjenigen erforderlich ist, die diese Beweise nachvollziehen und für evident halten sollen, so ist auch bei geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen der Nachvollzug ihrer Begründungen erforderlich, wenn sie zur Evidenz gebracht werden sollen. Nur einem Bewusstsein, das diese Begründungen nicht mitvollzieht, erscheinen sie als dogmatisch. Auf diesen Sachverhalt weist Steiner im Kapitel »Charakter der Geheimwissenschaft« explizit hin:

»Man kann gegenüber geheimwissenschaftlichen Ausführungen oftmals den Einwand hören: diese beweisen nicht, was sie vorbringen; sie stellen nur das eine oder das andere hin und sagen: die Geheimwissenschaft stelle dieses fest.

Die folgenden Ausführungen verkennt man, wenn man glaubt, irgend etwas in ihnen sei in diesem Sinne vorgebracht. Was hier angestrebt wird, ist, das in der Seele am Naturwissen Entfaltete sich so weiter entwickeln zu lassen, wie es sich seiner eigenen Wesenheit nach entwickeln kann, und dann darauf aufmerksam zu machen, dass bei solcher Entwickelung die Seele auf übersinnliche Tatsachen stößt. Es wird dabei vorausgesetzt, dass jeder Leser, der auf das Ausgeführte einzugehen vermag, ganz notwendig auf diese Tatsachen stößt.

Ein Unterschied gegenüber der rein naturwissenschaftlichen Betrachtung liegt allerdings in dem Augenblicke vor, in dem man das geisteswissenschaftliche Gebiet betritt. In der Naturwissenschaft liegen die Tatsachen im Felde der Sinneswelt vor; der wissenschaftliche Darsteller betrachtet die Seelenbetätigung als etwas, das gegenüber dem Zusammenhang und Verlauf der Sinnes-Tatsachen zurücktritt. Der geisteswissenschaftliche Darsteller muss diese Seelenbetätigung in den Vordergrund stellen; denn der Leser gelangt nur zu den Tatsachen, wenn er diese Seelenbetätigung in rechtmäßiger Weise zu seiner eigenen macht. Diese Tatsachen sind nicht wie in der Naturwissenschaft – allerdings unbegriffen – auch ohne die Seelenbetätigung vor der menschlichen Wahrnehmung; sie treten vielmehr in diese nur durch die Seelenbetätigung.

Der geisteswissenschaftliche Darsteller setzt also voraus, dass der Leser mit ihm gemeinsam die Tatsachen sucht. Seine Darstellung wird in der Art gehalten sein, dass er von dem Auffinden dieser Tatsachen erzählt und dass in der Art, wie er erzählt, nicht persönliche Willkür, sondern der an der Naturwissenschaft heranerzogene wissenschaftliche Sinn herrscht. Er wird daher auch genötigt sein, von den Mitteln zu sprechen, durch die man zu einer Betrachtung des Nichtsinnlichen – des Übersinnlichen – gelangt. –

Wer sich in eine geheimwissenschaftliche Darstellung einlässt, der wird bald einsehen, dass durch sie Vorstellungen und Ideen erworben werden, die man vorher nicht gehabt hat. So kommt man zu neuen Gedanken auch über das, was man vorher über das Wesen des ›Beweisens‹ gemeint hat. Man lernt erkennen, dass für die naturwissenschaftliche Darstellung das ›Beweisen‹ etwas ist, was an diese gewissermaßen von außen herangebracht wird.

Im geisteswissenschaftlichen Denken liegt aber die Betätigung, welche die Seele beim naturwissenschaftlichen Denken auf den Beweis wendet, schon in dem Suchen nach den Tatsachen. [Hierin ist sie der mathematischen Erkenntnis vergleichbar.] Man kann diese nicht finden, wenn nicht der Weg zu ihnen schon ein beweisender ist. Wer diesen Weg wirklich durchschreitet, hat auch schon das Beweisende erlebt; es kann nichts durch einen von außen hinzugefügten Beweis geleistet werden. [kurs. red.] Dass man dieses im Charakter der Geheimwissenschaft verkennt, ruft viele Missverständnisse hervor.« (S.39-41)

Steiner verweist hier auf die intuitive Evidenz, die Voraussetzung der Möglichkeit des Erfassens jedes Begriffszusammenhangs ist. Über diese Fähigkeit des intuitiven Erfassens von begrifflichen Zusammenhängen verfügt jeder Mensch, schlicht aufgrund der Tatsache, dass er zu denken vermag, denn Denken heißt Voranschreiten im Erleben selbst vollzogener Evidenzen. Das Phänomen, dass das prinzipiell Selbstevidente einem Bewusstsein als nicht evident erscheint, ist nicht auf dessen mangelnde Evidenz zurückzuführen, sondern auf Faktoren, die außerhalb des ideellen Zusammenhangs liegen, zum Beispiel darauf, dass bestimmte Vorstellungen oder Emotionen das betreffende Bewusstsein daran hindern, sich das an sich Evidente zur Evidenz zu bringen. Auch hierin ist Zander den Aristotelikern zu Galileis Zeiten vergleichbar, die sich weigerten, durch Fernrohre zu sehen, da sie dem aus den Schriften des Aristoteles geschöpften Bildungswissen mehr vertrauten, als ihrer eigenen Beobachtung.

Der Verleumdungsnebel, den Zander im folgenden Kapitel verbreitet, bietet Anlass, eine seiner Lieblingsvorstellungen ab absurdum zu führen: Steiner sei ein von Machtgier zerfressener Ehrgeizling gewesen.

Auf S. 198-199 schreibt Zander über die Leadbeater-Affäre 1906 und die Wahl Annie Besants zur Präsidentin der Theosophischen Gesellschaft Adyar 1907:

»Leadbeater hatte ihm anvertraute Jungen Selbstbefriedigungstechniken gelehrt und sich dadurch den Vorwurf der Pädophilie oder auch der Homosexualität zugezogen. Leadbeater war angesichts dieser Vorwürfe nicht mehr zu halten und wurde Juni 1906 ausgeschlossen. Für Steiner war dies nur insoweit misslich, als er Leadbeater nicht nur kritisiert, sondern ihn noch Anfang Juli 1906 ›einen der hervorragendsten Verbreiter der theosophischen Weltanschauung genannt ... hatte.«

Von seinem Sterbelager aus hatte der amtierende Präsident Henry Steel Olcott verkündet, die Meister wünschten Annie Besant als seine Nachfolgerin.

Zander kommentiert:

»Steiners Aussichten, Olcott zu beerben, hatten damit, sollte er dieses Amt anvisiert haben, schon dramatisch abgenommen, noch bevor die Kür eines Nachfolgers oder einer Nachfolgerin überhaupt begonnen hatte. Von solchen Fingerzeigen hielt Steiner jedenfalls überhaupt nichts. ›Die Meister‹, schrieb er der russischen Anhängerin Anna Minsloff, die ihn als Kandidaten ins Spiel brachte, ›kümmerten sich nicht um administrative Angelegenheiten‹. Nun wissen wir nicht genau, wie sich Steiner in diesem Kandidatenpoker platziert hat. Es gibt Hinweise, dass er sich keine Chancen ausrechnete, aber daneben wabern Gerüchte, es habe ihn doch ins Präsidentenamt gedrängt. Am Ende hatte er jedenfalls keine Chance. Im Mai 1907 wurde Annie Besant ... gewählt. ... Aber gefuchst hat Steiner diese Zurücksetzung gleichwohl. Noch vor der Wahl ... hatte er versucht, sie als künftige Präsidentin spirituell zu entmachten. Der Präsident der Zukunft habe eine ›Administrativpersönlichkeit‹ zu sein: Besant sollte also eine Art Verwaltungsfachfrau werden.«

Zanders Ausführungen sind in mehrfacher Hinsicht skandalös. Erstens, weil er en passant unterstellt, Steiner hätte gegen Leadbeaters Pädophilie nichts einzuwenden gehabt (»Für Steiner war dies nur insoweit misslich ...«), zweitens, weil er – wider besseres Wissen – behauptet, wir wüssten »nicht genau«, wie Steiner sich »in diesem Kandidatenpoker verhielt« und ihm – wider besseres Wissen – unterstellt, er habe das Präsidentenamt angestrebt. Drittens, weil er behauptet, Steiner habe die »Zurücksetzung gefuchst« (nicht gewählt worden zu sein) und er habe versucht, Annie Besant noch vor ihrer Wahl »spirituell zu entmachten«.

Wie verhielt sich Steiner in der Leadbeater-Affäre? Er schrieb einen Rundbrief an die Mitglieder der deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft, in dem er auf die wirklichen Ursachen von Leadbeaters »verhängnisvollen Verirrungen« hinwies (GA 264):

»Ich ... kann ... über diesen Fall Leadbeater um so unbefangener sprechen, als ich immer von demjenigen Standpunkte des Okkultismus aus, den ich vertreten muss, die Methoden ablehnen musste, durch welche Mr. Leadbeater zu seinen okkulten Erkenntnissen kommt und die er auch als brauchbare Methoden für andere empfiehlt.

Ich sage damit nichts für oder gegen die Richtigkeit dessen, was Leadbeater in seinen Büchern als okkulte Wahrheiten vertritt. Es ist im Okkultismus so, dass jemand zu einigen richtigen Einsichten kommen kann, trotzdem die Methoden, die er anwendet, gefährlich sind und leicht auf Abwege führen können. Ich muss also den Fall Leadbeater auf viel tiefer liegende Untergründe zurückführen.

Zugleich aber muss ich erklären, dass fast für niemanden eine Garantie besteht, nicht in eine verhängnisvolle Verirrung zu kommen, wenn er diejenigen Methoden anwendet, welche Leadbeaters Arbeiten zugrunde liegen. Deshalb, weil ich diesen Standpunkt einnehme, war für mich der Fall Leadbeater keine Überraschung. Aber ich glaube nicht, dass irgend jemand, der mit der methodischen Grundlage von Leadbeaters okkulten Forschungen einverstanden ist, jetzt einen Grund hat, ihn zu verurteilen.

Entweder müsste in dem an die Mitglieder gesandten Zirkular klar angegeben sein, dass die Beschuldigungen solche Dinge betreffen, die ganz und gar nichts mit dem Okkultismus zu tun haben, oder aber es fällt mit Leadbeater sein ganzes okkultes System.«

Ähnlich, wenn auch ausführlicher, äußerte sich Steiner in einem Brief an Annie Besant über Leadbeaters »schlimme Fehler« (GA 264), die er auf die »nahe Verwandtschaft aller höheren Menschenkräfte mit den Kräften, die auf niederer Stufe der Sexualsphäre angehören«, zurückführte:

»Mich selbst hat nicht einen Augenblick überrascht, was gegen Mr. Leadbeater vorgebracht worden ist. ...

Mir stellt sich die ganze Sache in einem viel tieferen Lichte und Zusammenhang dar. Ich muss das Schlimme an der ganzen Sache in der Eigenart von Mr. Leadbeaters okkulter Methode sehen.

Diese okkulte Methode muss notwendigerweise in gewissen Fällen zu solchen oder ähnlichen Fehlern führen, wie sie bei Mr. Leadbeater sich finden, weil sie für den Menschheitszyklus, dem die abendländische Bevölkerung angehört, nicht mehr anwendbar ist. Es müssen nicht dieselben Fehler in jedem Falle sein; aber es kann zu ähnlichen kommen, die nicht minder schlimm sind. Denn diese Methoden können nur dann zu einem sichern Resultat führen, wenn hinter jedem, der den Pfad betritt, eine so absolute Autorität eines Guru steht, wie sie im Abendlande wegen der allgemeinen Kulturverhältnisse ganz unmöglich ist.

Eine Person darf im Abendlande zu der Stufe psychischer Entwickelung, auf welcher Leadbeater stand, nur geführt werden, wenn bei ihr der Teil von Führung, die nicht mehr vom Guru ausgehen kann, durch eine bis zu einem gewissen Grade gekommene mentale Schulung ersetzt wird. Und diese Schulung fehlt Mr. Leadbeater.

Ich meine damit nicht eine bloß intellektuell-philosophische Schulung, sondern die Entwickelung jener Bewußtseinsstufe, welche in gedanklich-innerem Schauen besteht. ... In Deutschland zum Beispiel müssen die Wege zu dieser Schulung von der Gedankenmystik Fichtes, Schellings und Hegels genommen werden, die eigentlich nach ihrer in Wahrheit okkulten Grundlage gar nicht verstanden werden.

Dies alles ist deswegen der Fall, weil der Gedanke selbst für alle Plane derselbe ist. Wo auch der Gedanke ausgebildet wird, ob auf dem physischen oder einem höheren Plane: er wird für alles dann ein sicherer Führer sein, wenn er sinnlichkeitsfrei und ein in Selbst-Erkenntnis erfasster ist. Wird er zuerst ... auf dem physischen Plane entwickelt, dann bleibt er der sicher leitende Faden durch alle Stufen der physischen und der überphysischen Erkenntnis. Fehlt er, dann wandelt der Abendländer steuerlos, gleich ob er sich auf dem physischen oder einem höheren Plane bewegt.

Und bei der im gegenwärtigen Zeitpunkt so nahen Verwandtschaft aller höheren Menschenkräfte mit den Kräften, die auf niederer Stufe der Sexualsphäre angehören, kann in jedem Augenblicke eine Entgleisung ähnlich derjenigen Mr. Leadbeaters stattfinden. Es ist doch sein ›Fall‹ nicht der einzige, sondern etwas, das auf das Gebiet gehört, welches gegenwärtig in vielen okkulten Gruppen geübt wird, die mehr oder weniger dem linken Pfade zustreben.

Aus der guten Voraussicht in die Eigenartigkeit der fünften menschlichen Unterrasse haben die Meister der Rosenkreuzer-Schule für das Abendland den ›Pfad‹ ausgearbeitet, der allein in dem gegenwärtigen Zyklus anwendbar ist. (Soweit er vor die Öffentlichkeit gebracht werden darf, ist dieser ›Pfad‹ in der Zeitschrift ›Lucifer- Gnosis‹ von mir mitgeteilt worden.)

Es muss also nicht auf den einzelnen Fall Mr. Leadbeaters reflektiert werden, sondern auf die Gefahren seiner Methode. Diese Gefahr liegt in ihr selbst; und man sollte niemals voraussetzen, dass sie nicht auf solche Abwege führen kann. Das, was nicht richtig ist, beginnt durchaus nicht erst da, wo die eine oder andere Person zu Dingen geführt wird, die hier vorliegen, sondern schon da, wo man im Sinne dieser Methode zu den Ergebnissen kommt, wie sie sich in den Schriften Mr. Leadbeaters finden.

Hätte ich ganz allein gestanden, so hätte ich niemals Mr. Leadbeaters Schriften als geeignete theosophische Lektüre empfohlen. Da ich – aus tiefer liegenden Gründen – einmal in die T. S. eingetreten bin, so konnte ich natürlich nicht die Bücher eines anerkannten Führers ablehnen.

...

Die Schwierigkeit liegt doch darin, dass der exoterische Charakter der T. S. notwendig immer kollidieren muss mit dem okkulten Standpunkt, wenn es sich um einen aus den okkulten Welten ergebenden Ernstfall handelt. Es müsste unter allen Umständen dafür gesorgt werden, dass Mr. Leadbeater nicht in gewöhnlichem Sinne moralisch verurteilt werde, dass jedermann, der über die Sache hört, auch erfährt, dass hier ein Fall vorliegt, der nur dem Okkultisten verständlich sein kann, und dass Leadbeater nicht im gewöhnlichen Sinne des Wortes ›moralisch gefehlt‹ hat, sondern dass er seiner Methode zum Opfer gefallen ist ...

Es wird gar nicht darauf ankommen, dass wir über Mr. Leadbeater urteilen, den ja jetzt so viele verurteilen, sondern allein darauf, dass wir den rechten Weg finden, wie fruchtbar weiter zu arbeiten ist. Und der kann nur darin bestehen, dass der Rosenkreuzer-Pfad für europäische Verhältnisse als der richtige anerkannt wird. Tun wir das nicht, so werden die dem Leadbeaterschen ähnlichen Fälle sich wiederholen, und die Gesellschaft wird sich in ihre Atome auflösen.

...

Ich möchte Sie, dear Mrs. Besant, nun nicht weiter mit Einzelvorschlägen bezüglich dessen behelligen, was in Deutschland zum Heile unserer großen Sache zu tun ist, denn es ist ja ohnedies nur möglich, dass ich auch in diesem Falle die mir zugestandene volle Freiheit habe.

In Mitteleuropa sind seit dem vierzehnten Jahrhunderte die Linien des okkulten Wirkens ja bestimmt vorgezeichnet; und wir müssen hier ganz notwendig diesen Richtungen folgen. Diejenigen, welche in Deutschland noch in den Bahnen wandeln, welche hier vor der Begründung unserer Sektion eingeschlagen worden sind, haben mir bei meinen Vorträgen oft gesagt: ›Ja, aber Leadbeater sagt doch anders ...‹. Namentlich aber haben das immer Ausländer gesagt, die nach Deutschland zu Besuch gekommen sind. Ich wusste, dass ich anderes sagen musste.«

Steiner betrachtete Leadbeaters Pädophilie also keineswegs als Nebensache, sah sie aber als Folge einer okkulten Verirrung, die darauf zurückzuführen war, dass dieser Schulungsmethoden anwandte, die für den Abendländer völlig ungeeignet waren. Die Deutlichkeit, in der sich Steiner – 1906 – gegenüber Annie Besant über diese Methoden ausspricht, lässt nichts zu wünschen übrig. In »Wie erlangt man Erkenntnisse ...?« hatte Steiner die »goldene Regel« formuliert: »Deshalb muss jeder, der Geheimnisse über die menschliche Natur durch eigene Anschauung sucht, die goldene Regel der wahren Geheimwissenschaften befolgen. Und diese goldene Regel ist: Wenn du einen Schritt vorwärts zu machen versuchst in der Erkenntnis geheimer Wahrheiten, so mache zugleich drei vorwärts in der Vervollkommnung deines Charakters zum Guten.«

Ähnlich liegt der »Fall Olcott«.

Hier kritisierte Steiner den Versuch, unter Berufung auf eine Mitteilung aus der jenseitigen Welt in die freie Willensbildung von Menschen einzugreifen. Die Wahl des Präsidenten – oder der Präsidentin – einer irdischen, bürgerlichen Gesellschaft sollte aus der freien Einsicht und dem freien Willen der Beteiligten hervorgehen und nicht durch Direktiven bestimmt werden, die angeblich aus höheren Welten stammten. Tolerierte die theosophische Gesellschaft ein solches Unterfangen, wäre der Willkür Tür und Tor geöffnet und sie würde zum Spielball beliebiger Manipulationen. Gerade weil Steiner sich demokratischen Prinzipien – und der Satzung der Theosophischen Gesellschaft – verpflichtet fühlte, musste er einen solchen Legitimationsversuch ablehnen.

Er selbst hegte keinerlei Aspirationen auf das Präsidentenamt, vielmehr bat er ausdrücklich einzelne Mitglieder, die ihn dafür vorschlagen wollten, dies unbedingt zu unterlassen. Darüber liegen schriftliche Dokumente vor, insbesondere der Brief Steiners an Anna Minsloff vom 26. März 1907 (GA 264), aus dem Zander zitiert. Dieser macht zweifelsfrei deutlich, wie Steiner sich »im Kandidatenpoker platzierte« – gar nicht nämlich. Da Zander diesen Brief gelesen hat, muss er die betreffenden Äußerungen Steiners absichtlich unterschlagen haben.

Die darin dargelegten Auffassungen hatte Steiner übrigens auch in einem Rundschreiben an die Mitglieder der deutschen Sektion vom 12. März 1907 – wenn auch nicht so detailliert – vertreten.

Im Fogenden Auszüge aus dem Brief an Minsloff:

»Ihr Gefühl in bezug auf das, was an Mitteilungen über okkulte Vorgänge von Adyar aus verbreitet wird, leitet sie richtig. Nun aber befinden wir uns in einer schweren Zeit, nicht nur für den Fortgang der Theosophischen Gesellschaft, sondern für das spirituelle Leben überhaupt.

Es sind viele dunkle Mächte an der Arbeit, um gerade das redlichste okkulte Streben, das für die gegenwärtige Zeit zum Heile der Menschheit so notwendig ist, zu zerstören. Im gegenwärtigen Augenblicke muss mein Mund noch geschlossen bleiben über die eigentlichen tieferen Grundlagen des Kampfes, der hinter den Kulissen geführt wird. Es kann ein furchtbarer Kampf werden und wir werden mit offenen Augen dem gegenüberstehen müssen, was da kommt. Es wird vielleicht bald die Zeit kommen, wo über die Vorgänge in Adyar mein Mund nicht mehr geschlossen sein wird. Vorläufig bleibt es das beste, alles einfach zu ignorieren, was von Adyar oder sonst über okkulte Vorgänge verbreitet wird, wenn es sich in der Linie bewegt, wie das bisher Veröffentlichte. ...

Nun ist in gegenwärtigem Augenblicke nicht die Frage das wichtige, wer gewählt wird, sondern die Hauptsache ist, dass die heilige Sache der Meister nicht zusammengeworfen werde mit einer solchen Sache, wie eine Wahl ist.

Nicht darauf, ob Mrs. Besant gewählt wird oder nicht, kommt es an, sondern darauf, dass sie die Wahl überhaupt in Zusammenhang bringen kann mit den erhabenen Meistern. Das ist es, was die denkbar größte Verwirrung anrichten muss, und was in Zukunft dahin führen könnte, dass auch der letzte Zusammenhang zwischen den Meistern und der Gesellschaft unterbrochen wird. Denn die Meister werden sich vielleicht gar nicht mehr um eine Gesellschaft kümmern, in der man ihnen zumutet, dass sie eine solche Rolle spielen, wie gegenwärtig von Adyar aus behauptet wird.

Viel wichtiger, ob Mrs. Besant gewählt wird, ist, dass sie selbst wieder auf den richtigen Weg kommt. Wenn nicht ganz besondere Verwicklungen noch eintreten, so wird Mrs. Besant wohl gewählt werden müssen.

Von allen älteren Mitgliedern der Gesellschaft muss sie bis jetzt als das geeignetste erscheinen. Bitte sagen Sie nur ja gar keinem Menschen, dass Sie an mich denken, denn abgesehen davon, dass das so aussichtslos als möglich ist, ist meine Aufgabe auf einem ganz anderen Gebiete gelegen, als auf dem der Verwaltung der Gesellschaft.

Es muss doch darnach getrachtet werden, dass die Stellung des Präsidenten ihn immer mehr zu einer bloßen Administrativpersönlichkeit mache. Derjenige wird der beste Präsident sein, der gut die Register macht, die Schreibereien von Adyar aus besorgt und im übrigen über okkulte Dinge den Mund nicht aufmacht.

Dass Mrs. Besant ihr Amt nicht so auffassen werde, das scheint der gewichtigste Grund gegen ihre Wahl zu sein. Allein eine solche Auffassung von der Stellung des Präsidenten wird sich erst nach vielen Jahren durchringen.

Deshalb wird wohl vorläufig das beste sein, wenn Mrs. Besant gewählt wird.

Die Praxis, wie wir dann handeln und wie wir okkulte Mitteilungen, die so verbreitet werden wie die jetzigen, immer streng zurückweisen, davon wird es abhängen, ob die Gesellschaft in der Zukunft ein Pfleger des Spirituellen wird sein können.«

Wem diese Äußerungen nicht genügen, der sei auf ein Rundschreiben Steiners an die Mitglieder des Vorstandes der deutschen Sektion verwiesen, das am 28. April, kurz vor der Präsidentschaftswahl, versandt wurde, in dem es unter anderem heißt (GA 264):

»Ich möchte nun etwas sagen, was auch manchem nützlich sein könnte.

Man kann ein Diener der Meister sein wollen, man kann festhalten, dass die Gesellschaft nur dann einen Sinn habe, wenn sie das Werk der Meister tut, und man braucht doch nicht die Offenbarungen, die jetzt von Adyar aus verkündet werden, zu seiner Richtschnur zu nehmen.

Es ist nämlich nicht richtig, was viele zu glauben scheinen, dass diese Offenbarungen entweder von den Meistern herrühren, nach denen man sich zu richten hat, oder dass sie Trugbilder seien. Es gibt nämlich, wie jeder wirkliche Okkultist eigentlich wissen sollte, noch einen dritten Fall. Da ich aber, wie gesagt, über die Offenbarungen selbst nicht sprechen kann, so muss es schon vorläufig bei diesen Andeutungen bleiben.

Jedenfalls aber liegt die Sache so, dass man etwa mit der besonderen spirituellen Richtung von Mrs. Besant nicht einverstanden zu sein brauchte und doch zugeben könnte, dass unter den gegenwärtigen Verhältnissen sie derjenige Kandidat für die Präsidentschaft ist, der einzig und allein in Betracht kommen kann.

Denn man muss bedenken, dass sich die Gegnerschaft gegen Mrs. Besant nicht auf deren Persönlichkeit bezieht, sondern dass diejenigen, die sich jetzt gegen sie wenden, sich gegen das spirituelle Leben überhaupt wenden. Diese werden das ja gewiss nicht so ohne weiteres zugeben, aber es ist doch so. Es gibt eben eine Strömung in der Gesellschaft, welche, wenn sie durchdringen würde, das spirituelle Leben allmählich zum Erlöschen bringen würde. Durch sie würde die Gesellschaft vielleicht ein Verein für Religionsvergleichung, für philosophische Betrachtungen, für ethische Kultur oder dergleichen werden, nicht aber bleiben ein spiritueller Bruderbund.

Man kann also auch die Stellung einnehmen, dass man sagt, man kann nicht mit der spirituellen Richtung von Mrs. Besant mitgehen, man will aber, dass die Spiritualität überhaupt der Gesellschaft erhalten bleibe, und deshalb müsse man unter den gegenwärtigen Umständen Mrs. Besant wählen, wenn es vielleicht auch später zu Konflikten über ihre spirituelle Richtung führen könnte. Diese Tatsache müssen wir eben als durch die Verhältnisse der Gesellschaft bedingt, hinnehmen.«