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Zander behauptet zu Unrecht, Steiners Rassentheorie sei sozialdarwinistisch und unterstellt erneut Hierarchisierungen.

Auf S. 242-243 schreibt Zander:

»Die sozialdarwinistischen Konsequenzen des evolutionistischen Denkens greifen bei Steiner ähnlich rigide wie bei seinen theosophischen Vorbildern. Seine Hierarchisierungen nimmt er auf dem Hintergrund einer hochreduktiven Rassentheorie vor, die von drei oder fünf Rassen ausgeht – weiße Europäer, schwarze Afrikaner und gelbe Asiaten, sowie als ›Seitenzweige‹ rote Indianer und braune Malayen66: Die Indianer hält er für eine ›degenerierte Menschenrasse‹ im ›Hinsterben‹ (GA 105, 106f.).

Anmerkung 66 verweist auf: GA 349, 53; 62 (1923). Außerdem wird auf GA 105, 10.08.1908.

Der Vortrag vom 10. August 1908 (GA 105) bezieht sich auf die atlantische Zeit, nicht auf die Gegenwart. Die »degenerierten Rassen« von denen die Rede ist, sind Rassen der atlantischen Zeit. Die Indianer sind »Überbleibsel« der atlantischen Zeit (ebenso wie alle anderen nachatlantischen »Rassen«). Der Begriff der »Degeneration« bezieht sich auf ihre atlantischen Vorfahren, nicht auf die heutigen Indianer. Steiner sagt nicht, »die heutigen Indianer sind degeneriert«, sondern »sie waren degeneriert« – jene Gruppen von Menschen der atlantischen Zeit nämlich, deren »Knochensystem« sich nicht ausreichend an die sich wandelnden klimatischen Verhältnisse anpasste:

»Denken wir uns ein gewisses atlantisches Menschenstadium, wo der Mensch schon entgegengeht seiner späteren Verhärtung in den Knochenleib hinein. Ich muss mich hier populär ausdrücken. Es musste nun wiederum von Seiten der leitenden Geister achtgegeben werden, dass die Knochen nicht zu schnell verhärteten. Es musste in der atlantischen Entwickelung das Knochensystem während einer gewissen Zeit genügend weich bleiben, so dass es umgestaltet werden konnte. Aber wir wissen, auf allen Stufen blieben Wesenheiten zurück. So blieben ziemlich spät dadurch Menschheitsgruppen zurück, dass sich das Knochensystem zu früh verhärtete. Da arbeiteten die Prinzipien so, dass das Formprinzip einen starken Sieg davontrug, indem es eine Gruppe von Menschen in der Form erhielt, in der sie war. Was musste die Folge davon sein? Man kann wohl auf der Erde etwas verhärten, zurückhalten, aber die ganze Erdenentwickelung geht darüber hinweg, so dass, was so künstlich zurückgehalten wird, dann später Zeiten antrifft, zu denen es nicht mehr passt. Es kamen Zeiten, wo die Luft sich mehr vom Wasser gereinigt hatte, wo die klimatischen Verhältnisse anders geworden waren, da passte das Stehengebliebene nicht mehr hinein. Solche Gruppen von Menschen, bei denen das Knochensystem sozusagen zuviel abgekriegt hatte, blieben dann als degenerierte Menschenrasse zurück. Sie konnten sich nicht mehr hineinfinden in die Verhältnisse der nachatlantischen Zeit; und die letzten Überbleibsel davon sind die amerikanischen Indianer. Sie waren degeneriert.« (Stuttgart, 10. August 1908, GA 105)

Auch der Vortrag vom 3. März 1923 bezieht sich auf die Rassen der atlantischen Zeit. Hier ist von Wanderungen weißer, gelber und brauner Rassen der atlantischen Zeit die Rede. Die schwarze Rasse wanderte nach Amerika, wurde kupferrot und starb aus. Die gelbe wanderte nach Osten, wurde braun und starb aus. Es kann sich also nicht um die gegenwärtigen schwarzen, roten, gelben und braunen »Rassen« handeln, da diese ja nicht ausgestorben sind. Die »weiße Rasse« der atlantischen Zeit wanderte nach Nordindien und bildete die uraltindische Kultur aus. Auf die weiße Rasse der atlantischen Zeit bezieht sich der Satz: »Die weiße Rasse ist die zukünftige, die am Geiste schaffende Rasse.« Dieser Satz bezieht sich nicht auf eine gegenwärtige europäische weiße Rasse, wie Zander unterstellt. Die präsentische Redeweise in diesem Vortrag erklärt sich aus der stilistischen Anpassung an die sprachlichen Gepflogenheiten des Publikums (Bauarbeiter am Goetheanum). Bei dieser »weißen Rasse« der Atlantis handelt es sich um die »Ursemiten«, aus denen die gesamte nachatlantische Menschheit hervorgegangen ist. »Die fünfte Unterrasse, die wir die Ursemiten nennen und die ihren Hauptsitz in dem heutigen Irland hatten, bildete die erste Keimanlage für unsere gegenwärtige kaukasische oder, wie wir sie auch in der Geisteswissenschaft nennen, arische Menschenrasse.« (GA 54, Berlin, 9. November 1905) »Diese fünfte Wurzelrasse wird gewöhnlich die arische Rasse genannt und umfasst als erste Unterrasse [Kultur] die alte indische Rasse [Kultur], welche sich auf dem Boden Südasiens entwickelte ... «, sie umfasst auch alle weiteren Kulturen, die sich an diese erste anschlossen (siehe weiten oben).

Daher muss das folgende Zitat auf die atlantische Zeit und das Ende der atlantischen Zeit zwischen dem 10. und dem 8. Jahrtausend vor Christus bezogen werden:

»Und so ist es wirklich ganz interessant: Auf der einen Seite hat man die schwarze Rasse, die am meisten irdisch ist. Wenn sie nach Westen geht, stirbt sie aus. Man hat die gelbe Rasse, die mitten zwischen Erde und Weltenall ist. Wenn sie nach Osten geht, wird sie braun, gliedert sich zu viel dem Weltenall an, stirbt aus. Die weiße Rasse ist die zukünftige, ist die am Geiste schaffende Rasse. Wie sie nach Indien gezogen ist, bildete sie die innerliche, poetische, dichterische, geistige indische Kultur aus. Wenn sie jetzt nach dem Westen geht, wird sie eine Geistigkeit ausbilden, die nicht so sehr den innerlichen Menschen ergreift, aber die äußere Welt in ihrer Geistigkeit begreift.« (Dornach, 3. März 1923, GA 349)

Besonders gravierend sind die Zitatfälschungen, die Zander in bezug auf Steiners Haltung zum Judentum vornimmt. Er montiert Bruchstücke aus Sätzen, legt Steiner das Gegenteil dessen in den Mund, was er tatsächlich gesagt hat und greift zu den wüstesten Unterstellungen.

Auf S. 243-244 schreibt Zander:

»Das Judentum, von Steiner als Rasse [sic!] definiert, erliegt in dieser Hermeneutik der gleichen kulturellen Ausgrenzung. Die evolutionstheoretische Herabsetzung arbeitet mit der Behauptung, das Judentum habe die Stufe eines kollektiven Bewusstseins noch nicht verlassen: ›Der Bekenner des Alten Testaments sagte noch nicht in seiner Persönlichkeit: Ich bin ein Ich. Er fühlte sich in dem ganzen alten jüdischen Volke und fühlte das 'Gruppen-Volks-Ich'‹ (GA 103, 58).

Die Folgen sind fast stereotyp die gleichen wie bei ›den Negern‹ und laufen auf eine Eliminierung aus der Geschichte hinaus: Da die monotheistische ›Mission‹ des Judentums abgelaufen sei (GA 121, 127) und ›die Offenbarung des alten Judentums [...] als etwas Wertloses auf unserer Erde angesehen werden‹ müsse (GA 148, 80), ›können die Juden eigentlich nichts Besseres vollbringen, als aufgehen in der übrigen Menschheit, sich vermischen mit der übrigen Menschheit, so dass das Judentum als Volk einfach aufhören würde‹67. ›Das Judentum als solches hat sich aber längst ausgelebt, hat keine Berechtigung innerhalb des modernen Völkerlebens, und dass es sich dennoch erhalten hat, ist ein Fehler der Weltgeschichte.‹ (GA 32,152)«

Anmerkung 67 verweist auf: GA 353, 189.

Auch diese Aussagen über das Judentum vermengen Texte aus unterschiedlichen zeitlichen Kontexten und über unterschiedliche zeitliche und inhaltliche Kontexte, um ein vollkommen falsches Bild entstehen zu lassen. Diese wilde Zitatmontage ist illegitim und muss notgedrungen in die Irre führen. Die Zitate stammen aus Texten von 1908, 1913, 1910, 1913, 1924, 1888.

1. Steiner hat das Judentum nicht »als Rasse« definiert. Für diese Behauptung liefert Zander außerdem keinen Beleg.

2. Er hat nicht behauptet, es habe »die Stufe des kollektiven Bewusstseins noch nicht verlassen« (1908).

3. Er hat nicht davon gesprochen, die »monotheistische Mission sei abgelaufen« (1910)

4. und auch nicht »die Offenbarung des alten Judentums als etwas Wertloses auf unserer Erde angesehen« (1913).

5. Die Aussage, die Juden sollten in der übrigen Menschheit aufgehen (1924), bezieht sich auf das in der Tat antiquierte völkisch-rassische Selbstverständnis des europäischen Zionismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts.

6. Die Sätze über das Judentum, »das sich längst ausgelebt habe« (1888), beziehen sich ebenfalls auf den Zionismus und seinen Versuch, in Palästina eine auf völkisch-rassischen Prinzipien der Abstammung und Blutsverwandtschaft gründende Heimstatt für das europäische Judentum zu errichten, um die assimilierten Juden vor dem Antisemitismus zu retten.

Doch der Reihe nach.

1. Die abseitige Behauptung Steiner habe das Judentum als Rasse definiert, bedarf keiner Berichtigung.

2. Steiner behauptete nicht, das heutige Judentum habe »die Stufe eines kollektiven Bewusstseins noch nicht verlassen«. Die betreffenden Ausführungen über die »Bekenner des Alten Testamentes« aus der Vortragsreihe über das Johannes-Evangelium 1908 beziehen sich auf die Bekenner des Alten Testamentes zur Zeit Jesu Christi, also vor über 2000 Jahren.

»Der Bekenner des Alten Testaments fühlte sich noch nicht so abgeschlossen in seiner einzelnen Persönlichkeit wie der Bekenner des Neuen Testaments. Der Bekenner des Alten Testaments sagte noch nicht in seiner Persönlichkeit: Ich bin ein Ich. Er fühlte sich in dem ganzen alten jüdischen Volke und fühlte das ›Gruppen-Volks-Ich‹. Versetzen wir uns einmal lebendig in das Bewusstsein eines solchen alttestamentlichen Bekenners.

So, wie der wirkliche Christ das ›Ich-bin‹ fühlt und allmählich immer mehr fühlen lernen wird, so fühlte der Bekenner des Alten Testaments nicht das ›Ich-bin‹. Er fühlte sich als ein Glied des ganzen Volkes und schaute hinauf zu der Gruppenseele, und wenn er das aussprechen wollte, sagte er: Mein Bewusstsein reicht hinauf bis zum Vater des ganzen Volkes, bis zu Abraham; wir – ich und Vater Abraham – sind eins. Ein gemeinsames Ich umfasst uns alle; und da erst fühle ich mich geborgen in der geistigen Substantialität der Welt, wenn ich in der ganzen Volkssubstanz mich ruhen fühle. – So sah der Bekenner des Alten Testaments hinauf bis zum Vater Abraham und sagte: Ich und der Vater Abraham sind eins. In meinen Adern fließt dasselbe Blut wie in Abrahams Adern. –

Und den Vater Abraham fühlte er wie die Wurzel, aus der jeder einzelne Abrahamite als ein Glied hervorging.

Da kam der Christus Jesus und sagte zu seinen nächsten intimsten Eingeweihten: Bisher haben die Menschen bloß geurteilt nach dem Fleisch, nach der Blutsverwandtschaft; die war für sie das Bewusstsein, dass sie in einem höheren, unsichtbaren Zusammenhange ruhten. Ihr aber sollt an einen viel geistigeren Zusammenhang glauben, an den, der weiter geht als die Blutsverwandtschaft. Ihr sollt an einen geistigen Vatergrund glauben, in dem das Ich wurzelt, der geistiger ist als jener Grund, der das jüdische Volk als Gruppenseele verbindet. Ihr sollt glauben an dasjenige, was in mir und in jedem Menschen ruht, und das ist nicht nur eins mit Abraham, das ist eins mit dem göttlichen Weltengrunde! Daher betonte der Christus Jesus im Sinne des Johannes-Evangeliums: ›Bevor der Vater Abraham war, war das Ich-bin!‹« (20. Mai 1908, GA 103)

Insofern Steiner hier den Kern seiner christlichen Theosophie (Anthroposophie) charakterisiert, an dessen Gültigkeit er bis zu seinem Tod festgehalten hat, stellt diese Interpretation des Christentums zugleich ein starkes Argument gegen den Rassismusvorwurf dar, der in der kurzsichtigen Debatte leider meist ignoriert wird. Das Christentum bringt für die gesamte Menschheit einen bewusstseinsgeschichtlichen Fortschritt, da es ihr ermöglicht, einen »viel geistigeren Zusammenhang« unter den Menschen zu begründen, der weit über die Blutsverwandtschaft hinausgeht, der die Blutsbande sprengt: eine Verwandtschaft, die durch einen »geistigen Vatergrund« vermittelt wird, »in dem jedes Menschen-Ich wurzelt«, der geistiger ist als jener »Vatergrund«, der die Angehörigen des einzelnen Volkes oder des einzelnen Stammes einst als Gruppenseele verband (ähnliche Entwicklungen stellt Steiner auch in Bezug auf die Germanen dar, die zu einem späteren Zeitpunkt – zur Zeit der Christianisierung – aus diesem an die Blutsverwandtschaft gebundenen Gruppenbewusstsein heraustraten. Die genannten Gesetzmäßigkeiten gelten im übrigen für alle tribalistischen Kollektive). Diese Aussagen über die »Bekenner des Alten Testamentes« zur Zeit Jesu Christi können natürlich nicht ohne weiteres auf die »Bekenner des Alten Testamentes« in der Gegenwart übertragen werden, es sei denn, diese identifizierten sich mit einem Gruppen-Ich, das an die Blutsgemeinschaft gebunden ist. Diese Identifikation stellte in der Tat einen Anachronismus dar.

3. Über die »Mission des Monotheismus« sprach sich Steiner in GA 121, am 20. Mai 1910 in Kristiania aus. Hier behauptete er nicht, diese monotheistische Mission sei »abgelaufen«, im Gegenteil er stellte den »Monotheismus« (Monismus) als weltgeschichtlich notwendigen Gegenpol zum »Polytheismus« (Pluralismus) dar – und zwar bis heute und darüberhinaus. »Monismus ist nicht ohne Pluralismus, und dieser nicht ohne jenen möglich. Daher müssen wir die Notwendigkeit beider wohl anerkennen.« Im zitierten Text spricht Steiner übrigens immer vom »semitischen Volk«, nicht von der »semitischen« oder »jüdischen Rasse«.

»Man könnte sagen: In der nachatlantischen Zeit, vom weitesten Osten in Indien und im weiten Bogen durch Asien hindurch bis nach Europa, hat dieser Dienst der Vielheit, der sich im Grunde genommen in unserer geisteswissenschaftlichen Weltanschauung dadurch ausdrückt, dass wir eine Summe der verschiedensten Wesenheiten, der verschiedensten Hierarchien anerkennen, seine mannigfaltigsten Vertretungen und Ausgestaltungen gewonnen.

Diesem Dienste der Vielheit musste eine synthetische, eine zusammenfassende Bewegung gegenüberstehen, eine Bewegung, die streng ausging von dem Monon, dem Monismus. Die eigentlichen Inspiratoren, die Impulsgeber alles Monotheismus und Monismus, aller Einheitsgöttlichkeit sind die semitischen Völker. ...

Wenn der Mensch hinaussieht in das große Weltendasein, dann würde er aber nicht weit kommen, wenn er immer nur betonte: Eine Einheit, ein Monon liegt der Welt zugrunde. Der Monismus oder Monotheismus allein genommen ist dasjenige, was nur ein letztes Ideal darstellen kann. Dies würde aber niemals zu einer wirklichen Welterfassung, zu einer durchgreifenden konkreten Weltanschauung führen können. Doch es musste in der nachatlantischen Zeit auch die Strömung des Monotheismus ihre Vertretung finden, so dass einem Volke übertragen war, das Ferment, den Impuls zu geben zu diesem Monotheismus.

Diese Aufgabe war dem semitischen Volke übertragen. Daher sehen Sie, wie sozusagen mit einer gewissen abstrakten Strenge, einer abstrakten Unerbittlichkeit das monistische Prinzip gerade in diesem Volke vertreten wird, und alle anderen Völker haben insofern, als sie ihre verschiedenen göttlichen Wesenheiten in eine Einheit zusammenfassen, den Impuls dazu bekommen von dieser Seite her. Der monistische Impuls ist immer von dieser Seite gekommen. Die anderen Völker haben pluralistische Impulse.

Es ist außerordentlich wichtig, dass man das ins Auge fasst. Derjenige, der sich mit dem Fortwirken der althebräischen Impulse befasst, der sieht heute noch bei dem gelehrten Rabbiner, dem gelehrten Rabbinismus in seinem extremsten Element den Monotheismus walten. Dass das Weltenprinzip nur ein einheitliches sein kann, das als Impuls zu geben, ist die Aufgabe gerade dieses Volkes.

Man könnte daher sagen: Alle anderen Nationen, Völker und Zeitgeister hatten eine analytische Aufgabe, eine Aufgabe, das Weltenprinzip in verschiedene Wesenheiten gegliedert vorzustellen, wie zum Beispiel die äußerste Abstraktion des Monon in Indien bald in eine Dreigliedrigkeit zerfallen ist, wie der Einheitsgott des Christentums zerfällt in die drei Personen. Die anderen Völker haben alle die Aufgabe, den Weltengrund zu analysieren und dadurch viel Inhalt zu schaffen für die einzelnen Teile dieses Weltengrundes, sich zu erfüllen mit reichem Vorstellungsmaterial, das die Erscheinungen liebevoll umfassen kann.

Das semitische Volk hat die Aufgabe, abzusehen von aller Vielheit und synthetisch sich der Einheit hinzugeben, daher die Kraft der Spekulation, die Kraft des synthetischen Denkens, zum Beispiel in der Kabbalistik, gerade aus diesem Impuls heraus die denkbar größte ist.

Was aus der Einheit durch das synthetische, das zusammenfassende Wirken des Ich jemals herausgesponnen werden konnte, ist im Laufe der Jahrtausende durch den semitischen Geist herausgesponnen worden.

Das ist die große Polarität zwischen Pluralismus und Monismus, und das ist die Bedeutung des semitischen Impulses in der Welt. Monismus ist nicht ohne Pluralismus, und dieser nicht ohne jenen möglich. Daher müssen wir die Notwendigkeit beider wohl anerkennen.« (GA 121, 12. Juni 1910 abends)

4. Steiner hat nicht die »Offenbarung des alten Judentums als etwas Wertloses auf unserer Erde angesehen«, was schon aus dem bereits über die monotheistische Mission der semitischen Völker Gesagten hervorgeht. Vielmehr schildert er in seinen Vorträgen über das Fünfte Evangelium 1913 Erlebnisse des (jüdischen) Jesus von Nazareth, der empfunden habe, dass die Offenbarungen der alten Propheten oder der göttlichen Stimme im Inneren (bath kol) für die damaligen Juden (vor über 2000 Jahren) »wertlos« geworden seien, weil es so gut wie niemanden mehr gab, der sie in ihrer ursprünglichen spirituellen Fülle zu verstehen vermochte. Mit anderen Worten: die frühere göttliche Offenbarung musste der Menschheit in anderer Form zuteil werden.

»Ein ungeheuer einschneidendes, schmerzlichstes Erlebnis war das für Jesus, dass er sich sagen musste: Einstmals ist verstanden worden, was die Propheten lehrten, verstanden worden ist vom hebräischen Volke die Sprache des Gottes, heute aber ist niemand da, der sie versteht; tauben Ohren würde man predigen. Solche Worte sind heute nicht mehr am Platze; es sind nicht mehr die Ohren da, sie zu verstehen! Wertlos und nutzlos ist alles, was man in solcher Weise sagen könnte. –

Und wie zusammenfassend das, was er in dieser Richtung zu sagen hatte, sprach Jesus von Nazareth zu seiner Mutter: Es ist nicht mehr für diese Erde möglich die Offenbarung des alten Judentums, denn die alten Juden sind nicht mehr da, um sie aufzunehmen. Das muss als etwas Wertloses auf unserer Erde angesehen werden.«

5. Die Aussage, die Juden sollten in der übrigen Menschheit aufgehen (1924), bezieht sich auf das völkisch-rassische Selbstverständnis des europäischen Zionismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts.

»Sehen Sie, ein sehr angesehener Zionist, mit dem ich befreundet war, der legte mir einmal seine Ideale auseinander, nach Palästina zu gehen und dort ein Judenreich zu gründen. Er tat selber sehr stark mit an der Begründung dieses jüdischen Reiches, tut heute noch mit und hat sogar in Palästina eine sehr angesehene Stellung.

Dem sagte ich: Solch eine Sache ist heute gar nicht zeitgemäß; denn heute ist dasjenige zeitgemäß, dem jeder Mensch, ohne Unterschied von Rasse und Volk und Klasse und so weiter sich anschließen kann. Nur das kann man eigentlich heute propagieren, dem sich jeder Mensch ohne Unterschied anschließen kann. Aber jemand kann doch nicht von mir verlangen, dass ich mich der zionistischen Bewegung anschließe.

Da sondert ihr ja wiederum einen Teil aus von der ganzen Menschheit! –

Aus diesem einfachen, naheliegenden Grunde kann eigentlich eine solche Bewegung heute nicht gehen. Sie ist im Grunde genommen die wüsteste Reaktion [ebenso wie der völkische Rassismus]. Natürlich erwidern einem dann solche Menschen etwas Merkwürdiges; sie sagen: Ja, in der Zeit hat es sich doch herausgestellt, dass die Menschen so etwas wie Allgemeinmenschliches gar nicht wollen, sondern fordern, dass sich alles aus dem Volkstümlichen [d.h. aus dem Völkisch-Rassischen] heraus entwickeln soll.

Dieses Gespräch, das ich Ihnen jetzt erzählt habe, hat stattgefunden vor dem großen Kriege 1914 bis 1918. Ja, sehen Sie, meine Herren, dass die Menschen die großen allgemeinmenschlichen Prinzipe nicht mehr wollen, sondern sich absondern, Volkskräfte entwickeln wollen [der auf homogene Volksgemeinschaften setzende Nationalismus und der damit zusammenhängende sozialdarwinistische Konkurrenzkampf der Volksrassen], das hat eben gerade zu dem großen Krieg geführt! Und so ist das größte Unglück dieses 20. Jahrhunderts gekommen von dem, was die Juden auch wollen. Und so kann man sagen: Da alles dasjenige, was die Juden getan haben, jetzt in bewusster Weise von allen Menschen zum Beispiel getan werden könnte, so könnten die Juden eigentlich nichts Besseres vollbringen, als aufgehen in der übrigen Menschheit, sich vermischen mit der übrigen Menschheit, so dass das Judentum als Volk [das sich als Rasse definiert] einfach aufhören würde. Das ist dasjenige, was ein Ideal wäre. Dem widerstreben heute noch viele jüdische Gewohnheiten – und vor allen Dingen der Hass der anderen Menschen [der Antisemitismus, der die Juden daran hindern will, sich in die übrige Menschheit zu integrieren].

Und das ist gerade dasjenige, was überwunden werden müsste.« (GA 353, Dornach 8. Mai 1924)

Mit anderen Worten: was überwunden werden muss, ist der völkische Rassismus, der die Menschen daran hindert, sich einem Vereinigungsgedanken anzuschließen, dem jeder Mensch, ohne Unterschied von Rasse und Volk und Klasse und so weiter sich anschließen kann. Denn nur das ist heute noch »zeitgemäß«, »dem sich jeder Mensch ohne Unterschied anschließen kann«.

6. Die Sätze über das Judentum, »das sich längst ausgelebt habe« (1888), beziehen sich ebenfalls auf den Zionismus. (GA 32, Robert Hamerling: »Homunkulus«. Modernes Epos in 10 Gesängen. Deutsche Wochenschrift 1888, VI. Jg., Nr. 16 u. 17)

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