Anthroposophie aus skeptizistischer Sicht I

Zu Helmut Zanders Darstellung ihrer Entstehung

Günter Röschert

Helmut Zanders Buch Anthroposophie in Deutschland. Theosophische Weltanschauung und gesellschaftliche Praxis 1884 - 1945 ist im Juni 2007 von einem angesehenen deutschen Wissenschaftsverlag in kleiner Auflage und in zwei Bänden von 957 und 927 Seiten herausgebracht worden. Umfang und Preis dürften der Verbreitung des Werks nicht förderlich sein. Über seine Aufnahme in der akademischen Fachwelt ist noch nichts bekannt. Unter Schülern und Nachfolgern Rudolf Steiners hat es verschiedentlich ein Erstaunen, aber auch Empörung ausgelöst. Gewiss unbeabsichtigt erweist Helmut Zander der Anthroposophischen Gesellschaft einen Dienst, denn eine derart umfangreiche Untersuchung ihrer Ursprünge wäre von der Gesellschaft kaum zu finanzieren gewesen, und auch Zander und der Verlag hatten Mühe, die Kosten über ein Habilitationsstipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft und mit Unterstützung der Fritz-Thyssen-Stiftung zu decken. Über seine Forschungsanliegen informiert Zander an verschiedenen Stellen des ersten Bandes. Für eine kritische Betrachtung ergeben sich fünf Schwerpunkte, die nachfolgend besprochen werden sollen:

  • »Kontextualisierung« von Steiners Werk durch die zeitgenössische, insbesondere die theosophische Literatur,
  • Theosophie und Historismus,
  • Geisterkenntnis und historisch-kritische Forschung,
  • Kontinuität oder Diskontinuität in Steiners Werdegang,
  • Rudolf Steiners Christus-Auffassung. (1)

Im Hinblick auf Titel und Untertitel von Zanders Buch ist zu beachten, dass der Autor die Anthroposophie als eine Spielart der (Adyar-)Theosophie zu erkennen glaubt; in Kurzform spricht er stets von »Steiners Theosophie» (u.a. 6, 27, 433, 543, 942). Mittelbar ist damit die Frage nach der Originalität Rudolf Steiners und nach der Eigenständigkeit seines Werks gestellt. Zander glaubt, seine »Revision« der Anthroposophie sei so tiefgreifend, dass »für viele Anthroposophen eine Welt zusammenbricht«. Steiner sei eben »ein in die Wolle gefärbter Theosoph« gewesen (1687). Zweifellos ermöglicht das von Zander beigebrachte umfangreiche Material stellenweise ein tieferes Verständnis von Rudolf Steiners Frühwerk und seiner Arbeiten gleich nach der Begegnung mit der Theosophischen Gesellschaft 1900/1901; es wirft auch grundsätzliche Fragen nach dem Wahrheitsanspruch der geisteswissenschaftlichen Forschung auf. Das Buch führt damit zu kritischen Rückfragen und Einwänden, andererseits kann es Anlass werden zu selbstkritischen Erwägungen über den anthroposophischen Umgang mit Steiners Werk. Der erste Teil der vorliegenden Arbeit ist der Kritik gewidmet, der zweite - selbstkritische - Teil folgt in Kürze.

Rudolf Steiner und die Theosophie

In seinem Lebensrückblick von 1924/25 berichtet Steiner von seiner Situation in Berlin in den Jahren kurz vor 1900. Er empfand sich in einem Gegensatz zu maßgebenden Wissenschaftsüberzeugungen seiner Zeit und fragte sich: »Muss man verstummen?« (2) Als Steiner im September 1900 in einer Berliner Gruppe der Theosophischen Gesellschaft vortragen konnte, bemerkte er, »dass innerhalb der Zuhörerschaft Persönlichkeiten mit großem Interesse für die Geistwelt waren«. (3) So begann Steiners Zusammenarbeit mit der Theosophischen Gesellschaft (Adyar), die ihn bald darauf als Generalsekretär einer neuzugründenden deutschen Sektion zu sehen wünschte. Die von der Theosophischen Gesellschaft ausgehende Literatur war Steiner zu dieser Zeit »sehr wenig bekannt«. Bis hierher ist der Rückblick Steiners unbestritten und auch Helmut Zander weiß nichts anderes. Der neue Generalsekretär hatte sich nun möglichst rasch in die theosophische Literatur einzuarbeiten und bei eigenen Veröffentlichungen den theosophischen Wissensbestand angemessen zu berücksichtigen. Welche Erwartungen an Steiner in dieser Zeit mündlich herangetragen wurden, welche Erfahrungen er bei seinen Vortragsreisen machte und welche Ansicht er sich bildete von der Aufnahmebereitschaft und -fähigkeit der Mitglieder, ist kaum überliefert. (4) Eine aufschlussreiche Brief stelle, die auch Zander zitiert, spricht vom notwendigen Studium von H.P. Blavatskys großem Werk Secret Doctrine. Zander entnimmt einer Durchsicht der zwischen 1904 und 1910 veröffentlichen Bücher, Steiner habe sich plagiatisierend die theosophischen Lehren angeeignet und sie als eigene Erkenntnisse ausgegeben. Über die Entstehung der zuerst herausgebrachten Werke Theosophie und Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten? gibt zunächst Steiners Lebensrückblick Auskunft; solange nicht das Gegenteil der darin enthaltenen Angaben bewiesen ist, muss diesen Angaben jedenfalls eine Richtigkeit des ersten Anscheins zugebilligt werden. Für die nähere Beurteilung kommen dann Gesichtspunkte in Betracht, die Zander nicht in Erwägung zieht: Steiners Bücher waren in erster Linie für die wachsende theosophische Mitgliedschaft bestimmt. Soweit der Autor Aussagen aus der vorliegenden theosophischen Literatur übernommen hat, ist davon auszugehen, dass er diese Aussagen für wahr, hinsichtlich des Erkenntnisweges für geeignet gehalten hat. Die theosophische Terminologie hatte er aus Verständigungsgründen vorläufig beizubehalten. Die Diktion Steiners gehorchte von Anfang an anderen - philosophischen - Regeln als etwa Blavatskys Bücher. In einem Vortrag, den Steiner bei Gelegenheit des Theosophischen Kongresses 1909 in Budapest hielt (5), erwähnte er ein Gesetz der spirituellen Brüderlichkeit, welches den Geistesforscher verpflichtet, an Vorgänger anzuknüpfen. Einmal erforschte Vorgänge der geistigen Welt lassen sich ohne Anknüpfung nicht ein zweites Mal erforschen. Diese Vortragsstelle - die Zander nicht erwähnt - ist geeignet, das Problem der Übernahme theosophischer Lehren in ein ganz neues Licht zu rücken.
Viele der wichtigsten anthropologischen, kosmologischen oder den Erkenntnisweg betreffenden Begriffe sind metaphorischer oder gleichnishafter Art.
Selbstverständlich geben längst nicht alle Aussagen Steiners Ergebnisse eigener Geistesforschung wieder; gerade die Tausende von Vorträgen beruhen in breitem Umfange auch auf Übernahmen aus der esoterischen Tradition, der allgemeinen Literatur und auf dem vernunftgemäßen Denken.
Zander glaubt Steiner mangelnde Originalität vorwerfen zu können und eine durchgehende Abhängigkeit von theosophischen Quellen. Zu diesen Überzeugungen konnte er gelangen, weil seine Aufmerksamkeit nicht auf die originalen Beiträge Steiners gerichtet war. So entging ihm - als Beispiel - die zentrale Bedeutung des Begriffes der Bewusstseinsseele für die geisteswissenschaftliche Anthropologie. Dieser im Buch Theosophie erstmals eingeführte Begriff hat keinerlei theosophisches Gegenstück. (6) Die Suche nach Quellen und Abhängigkeiten (Kontextualisierung) ist Teil der historisch-kritischen Erforschung von Texten, die aber rasch in unwegsames Gelände führt, denn jede »Quelle» ist ihrerseits Text, der wieder aus Quellen stammen soll. Wie Zander selbst einräumt, sind die Quellen der Blavatsky-Schriften in wichtigen Teilen nicht auffindbar (99). Zander findet die Hermetic Brotherhood of Luxor des 19. Jahrhunderts, die bereits einige theosophische Gepflogenheiten aufgewiesen haben soll (89, 668 Anm. 465). Hier zeigt sich deutlich die Unergiebigkeit des ganzen Ansatzes. Zanders Analyse von Schriften Steiners sind weithin von ähnlicher Belanglosigkeit, da die Analyse nicht immanent-kritisch auf die Semantik und die strukturellen Besonderheiten dieser Schriften abzielt. Die von Zander überall behaupteten Abhängigkeiten beruhen außerdem oftmals auf Vermutungen. In salvatorischer Absicht formuliert Zander immerhin: »Welche eigenen >Erlebnisse< darin (in den angeblich übernommen Aussagen G.R.) aufgegangen sein könnten, ist wohl nicht mehr zu klären« (572). Die Wesensgliederlehre des Buches Theosophie (GA 9) von 1904 (570 ff.) befindet sich - entgegen einer Behauptung Zanders - in völliger Übereinstimmung mit dem trichotomischen Bild vom Menschen und darüber hinaus in dialektischem Einklang mit der Idee der einheitlichen Menschennatur. (7) Das versteht Zander nicht, es entgeht ihm, dass die Wesensgliederlehre prozessualer Natur ist. Zander nimmt manche Begriffe - etwa die »Regionen« der seelischen und geistigen Welt - dinglich und gelangt damit zu Substantialisierungen, die ihn nur auf Abwege führen können. (8) Die in dem Buche erwähnten schaffenden Urbilder der geistigen Welt ordnet Zander einer »Dämonologie« Steiners zu (575). Er nimmt Anstoß an den wiederholten Überarbeitungen durch den Autor, (9) die sich aber unschwer aus dem Fortgang der Geistesforschung (von Zander apostrophiert) erklären lassen. Auch die 1904 in Buchform veröffentlichte Aufsatzsammlung Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten (GA 10) ebenfalls von 1904 (581 ff.) hält Zander für ein abhängiges Werk. Er ist aber nicht in der Lage, außer Hinweisen auf freimaurerische Traditionen (bei den drei »Proben«) und auf den achtgliederigen Pfad Buddhas weitere Quellen plausibel zu machen (588 ff., 607). Die Gestalt des »Hüters der Schwelle« soll Steiner Bulwer-Lyttons Roman Zanoni entnommen haben. Die von Steiner genannten Bedingungen der Schulung, wurden, auf den westlichen Menschen abgestimmt, bis in das Jahr 1924 ständig erweitert. Ihre Anwendung konnten die Schüler nach individuellem Bedarf und Entschluss aufgreifen. Es ist völlig abwegig, Steiners Hinweis auf die Bedeutung der Devotion als Seelenstimmung quer zum Text als ein Gebot zur Stärkung von Steiners persönlicher Autorität hinzustellen (610 f.). Die Schulungsanweisungen, die Zander als »psychoinvasiv« bezeichnet, sind nicht freiheitsbeschränkend. An anderer Stelle hat Steiner gerade den Entschluss zur Meditation als eine der wenigen wirklich freien Handlungen des Menschen bezeichnet.
Auch die Behandlung des Buches Die Geheimwissenschaft im Umriss (GA 13) von 1910 (649 ff.) durch Zander ist von Unverständnis und sachlichen Fehlern geprägt. Das Buch ist eine Philosophie des Ich und enthält im menschenkundlichen (anthropologischen) Teil eine individuelle, im kosmologischen Teile eine allgemeine (menschheitliche) Eschatologie. Es ist sprachlich anspruchsvoll und erfordert eine Erarbeitung Satz für Satz. Die von Zander auch hier angewandte Methode der Kontextualisie-rung, d.h. der Suche nach Abhängigkeiten, verfehlt diese Dimension des Buches.

Historismus und ewige Wahrheit

Historismus ist die geschichtsphilosophische Anschauung, dass alles Seiende, auch das geistige, nicht ohne seine Gewordenheit zu begreifen ist. Durch den Historismus entsteht notwendig eine Relativierung und gleichzeitig Pluralisierung geschichtlicher Deutungen, d.h. der Wahrheit und letztlich auch des Guten. Der gesetzeskritische Historismus bildete im 19. und 20. Jahrhundert eine starke Tendenz zur Individualisierung der Ereignisse und des Geschichtsverständnisses aus. Ohne selbst eine Erklärung (Definition) des Historismus zu bieten, bezeichnet es Zander als ein »Herzstück« seiner Arbeit, Steiner als Gegner des Historismus nachzuweisen, und zwar durch dessen Behauptung der Verfügbarkeit transhistorischer, geistiger (also ewiger) Erkenntnisse aus der »Akasha-Chronik« (686, 727 ff., 741, 749). Zander will glauben machen, es gäbe ein Theorem Steiners über die Existenz subjektunabhängiger, kulturinvarianter objektiver Erkenntnisse (749). Die wichtigsten Vertreter des Historismus haben das Besondere der geschichtlichen Phänomene, deren »Individualität«, nicht als in einem Widerspruch stehend zu übergreifenden geschichtlichen Strukturen betrachtet. Friedrich Meinicke sprach in diesem Zusammenhang von einer vertikalen und einer horizontalen Auffassung der Geschichte. (10)Einer der bekanntesten Leitsätze des Historismus ist das Wort Leopold von Rankes: »Jede Epoche ist unmittelbar zu Gott, und ihr Wert beruht gar nicht auf dem, was aus ihr hervorgeht, sondern in ihrer Existenz selbst.« Der von Droysen, Ranke, Jacob Burckhardt, Dilthey, Meinicke und anderen vertretene Historismus ist dem Programm der Geisterkenntnis keineswegs unvereinbar entgegengesetzt, wie Zander meint. Steiners Werk ist Geistesforschung, nicht Verkündigung abgeschlossener Wahrheiten. Schon Steiners 1891 in seiner Dissertationsschrift geäußerte Auffassung von der Wahrheit als Freiheitstat, (11) gleichbedeutend mit der fortschreitenden Individualisierung des Geistes, erweist die anthroposophische Geisteswissenschaft als notwendig zukunftsoffen. Da sich nach Ranke jede Epoche nicht als Zufallsgebilde, sondern sub specie aeterni versteht, wirken die ewigen (allgemeinen) Wahrheiten auch in die Besonderheiten der Einzelphänomene hinein. Dies gilt auch für die Mitte der Welt- und Menschheitsentwicklung, das Mysterium von Golgatha. Dessen geschichtliche Offenbarung und sein Weiterwirken in der christlichen Geschichte sind Teile des Inkarnationsvorganges, der noch nicht an sein Ende gelangt ist. In einem Vortrag vom 14. Oktober 1911, gehalten in Karlsruhe (12) führt Steiner Folgendes aus: »Es musste so lange gewartet werden, bis der Zusammenschluss des Subjektiven mit dem Objektiven gefunden werden konnte, wozu eben viele Vorträge vorangehen mussten. So kann manches auch heute nur als die halbe Wahrheit angedeutet werden. Wer Geduld hat, mit uns zu gehen, sei es in dieser oder einer anderen Inkarnation, je nach seinem Karma, wer gesehen hat, wie aufgestiegen werden konnte von der Beschreibung des mystischen Weges im christlichen Sinne bis zur Beschreibung der objektiven Tatsache dessen, was eigentlich der Sinn dieser christlichen Einweihung ist, der wird auch sehen, dass noch viel höhere Wahrheiten aus der Geisteswissenschaft heraus im Verlaufe der nächsten Jahre oder des nächsten Weltalters werden zutage gefördert werden.« Im Laufe der Menschheitsgeschichte werden sich also bei Eintritt günstiger Bedingungen immer weitere Geheimnisse der Menschwerdung und der leiblichen Auferstehung Christi erschließen.
Der Weg des Logos zur Menschheit erfordert sein Eintauchen in die Welt der Kontingenz, in die Variablen der Geschichte, in die Deutungsbreite von Sprache und Schrift, woraus Relativität und Pluralismus entstehen müssen. Wer diese heilsgeschichtlich notwendigen Einschränkungen der ewigen Wahrheit leugnen wollte, geriete auf den Weg des Doketismus. Davon ist Rudolf Steiner weit entfernt. Allerdings gibt es eine absolute Wahrheit, die in den inneren Beziehungen der höheren Hierarchien und in der Absolutheit Gottes gründet. Menschliche, auch genuin geisteswissenschaftliche Erkenntnisse können demgegenüber immer nur Spiegelungen der höchsten Wahrheit sein.

Geisterkenntnis und historisch-kritische Forschung

Helmut Zander bezweifelt die Möglichkeit geisteswissenschaftlicher Erkenntnisse dem Grunde nach, vermeidet es aber, Rudolf Steiner als Hochstapler oder Lügner zu bezeichnen. Er apostrophiert konsequent die Worte »höhere Erkenntnis«, »Offenbarung«, »geistige Welt«, »übersinnlich«, »geistig« überhaupt, »Geisteswissenschaft«. Auf Hunderten von Buchseiten beweist er, dass er keinen belastbaren Geistbegriff besitzt, was für einen katholischen Theologen doch etwas seltsam erscheint. Die »geistige Welt«, von der Rudolf Steiner spricht, ist - in religiöser Ausdrucksweise - das Reich Gottes und seiner Engel, in ersterem Falle monistisch (ganzheitlich), im zweiten Falle dualistisch gedacht. Zander geht anscheinend davon aus, dass Offenbarungen der geistigen Welt in menschlichen Bewusstseinen zumindest in neuerer Zeit nicht mehr stattzufinden haben. Alle Kulturkreise der Menschheit leben aber von solchen Offenbarungen oder von ihren lebendigen Traditionen. Die Menschheit selbst ist geistiger, nicht nur natürlicher Herkunft. Ob die Forschungsergebnisse Rudolf Steiners wie auch anderer geistiger Lehrer anzuerkennen sind, entscheidet sich nicht aufgrund eines dogmatischen Vorurteils, sondern durch Evidenz und Lebenswirksamkeit solcher Erkenntnisse. Zander ist mit sich selbst nicht einig, ob er Steiners Forschungsergebnisse als reine Erfindungen (Assoziationen) betrachten oder wenigstens teilweise anerkennen möchte. Da er sich mit Steiners Theorie der höheren Erkenntnisarten nicht näher beschäftigt hat (676 ff.), glaubt er, dass Steiners Mitteilungen auf »Visionen« beruhen (499). An anderer Stelle unterstellt er erneut und wiederholt, dass Steiner bloßes Bildungswissen nachträglich als übersinnliche Erkenntnisse eingestuft habe (549). Bereits ab dem ersten Kapitel seiner Autobiographie schildert Steiner die Entwicklung der in ihm schicksalsgemäß veranlagten Geistanschauung. Im XXII. Kapitel berichtet er über seinen Weg zur Meditation und über deren Intensivierung ab dem 35. Lebensjahr (1896). Darauf geht Zander, dem diese Fundstellen nicht entgangen sein können, nicht ein. Bis in seine letzten Lebensjahre kommt Steiner auf seine frühen Meditationserfahrungen, z.B. an Goethes Märchen oder an Ernst Haeckels Evolutionslehre zurück. Im Briefwechsel mit Marie von Sivers, die Zander ungalant als Steiners »Geliebte« bezeichnet, ist wiederholt von Meditationserfahrungen die Rede. Zander aber sieht »fehlende Indizien» dafür, dass Steiner überhaupt selber meditiert habe. Die in den Anfangsjahren seines theoso-phischen Engagements an Schüler gegebenen Meditationstexte seien »Produkte eines selbsternannten Lehrers ohne praktische Erfahrung« gewesen (705). Die angeblich fehlenden Indizien liegen aber - wie angeführt - vor, weshalb diese Unterstellung keine Grundlage besitzt. Zander sieht in Steiners Vorschlägen für den spirituellen Erkenntnisweg eine disparate Anhäufung von Übungsanleitungen und Tugendkatalogen unterschiedlicher Herkunft. Er bemerkt nicht, dass die frühen Meditationsratschläge mit der Zeit zu einer Erkenntnistheorie der höheren Bewusstseinsarten fortentwickelt und zugleich
durch Hilfen für die auch ohne Beschreiten des Pfades mögliche Lebenseinweihung ergänzt wurden. (13)
Es entgeht ihm auch, dass Steiners Schriftstil mit den Jahren mehr und mehr selbst einen inspirativen Charakter annimmt, wodurch das Studium zur Eingangsstufe des Erkenntnisweges wird. Die für das Studium der anthroposophischen Geisteswissenschaft erforderliche bzw. zu erwerbende Fähigkeit bezeichnet Steiner als »intuitives Denken«. (14) Dieses ist weitgehend gleichbedeutend mit dem Begriff der »intellektuellen Anschauung«, den Steiner aus dem deutschen Idealismus übernommen hat; es ist der maßgebende Kontinuitätsfaktor in Steiners geistiger Biographie. Zander erwähnt es nicht. Mit dieser Lücke ist seinem monumentalen Werk von ihm selbst der Keim des Misslingens eingepflanzt. Vom intuitiven Denken kann Steiner in der Auflage 1918 seiner »Philosophie der Freiheit« sagen: »Seine in sich geschlossene Totalexistenz im Universum kann der Mensch nur finden durch intuitives Denkerleben.« Das intuitive Denken verträgt keine Zensur und keine Selbstzensur, es ist antiautoritär, worauf Steiner immer wieder aufmerksam gemacht hat. Es wird eingesetzt zur sachgemäßen Prüfung aller geisteswissenschaftlichen Aussagen, wiederum nach Steiners wiederholten Aufforderungen und Bitten. Das seiner selbst bewusste, individuelle reine Denken akzeptiert die Methoden der modernen Hermeneutik und bedient sich selbst dieser Methoden. Es behält sich dabei vor, kritische Ergebnisse auf Plausibilität zu prüfen. (15) Jedem heutigen Schüler Rudolf Steiners ist natürlich bekannt, dass trotz dieser methodischen Erfordernisse einer sachgemäßen Steiner-Rezeption Autoritätsgläubigkeit, Verzicht auf denkerische Prüfung und Ablehnung historisch-kritischer Philologie nicht überwunden sind. Diese noch unbeseitigten Fehlentwicklungen sind aber mehrheitlich nicht Steiner anzulasten. Die von ihm z.B. geäußerten Bedenken gegen die kritische Erforschung der Offenbarungsschriften sind zeitbedingt und Reaktion auf einzelne Übertreibungen in der damaligen Fachliteratur.

Kontinuität oder Diskontinuität in Steiners Werdegang

Die historisch-kritische Erforschung von Rudolf Steiners Werk hat mit der seit über vierzig Jahren entstehenden, noch nicht abgeschlossenen Gesamtausgabe im Rudolf-Steiner-Verlag erst begonnen. Zander beanstandet u.a. zu Recht, dass die zahlreichen Überarbeitungen Steiners nicht ausreichend dokumentiert sind. Die Erstausgaben der Schriften sind überwiegend nur in Archiven verfügbar. Dies erschwert die Beantwortung der Frage, ob es Brüche in Steiners Entwicklung gegeben hat oder nicht. (16) Zander stellt auf Grundlage der allgemein zugänglichen Schriften in den verschiedenen Auflagen und der Briefe fest, dass Steiner manche seiner Auffassungen mehrfach geändert, aufgegeben, erweitert oder umgestellt hat. Das Corpus der Vorträge ist durch Lesernotizen, Gedächtniszusammenfassungen oder Stenogramme verschiedener Qualität dokumentiert. Die Herausgeber haben so gut wie alle Vortragstexte überarbeitet und in lesbares Schriftdeutsch gebracht. An eine Veröffentlichung aller vorhandenen Originalwortlaute ist nicht zu denken, weshalb hier der Textkritik enge Grenzen gesetzt sind. Auch bei den Vorträgen sind Änderungen bisheriger Aussagen, Unvereinbarkeiten und scheinbare Widersprüche zu beobachten. In diesem Editionsbereich sind Ort, Zeit und Zuhörerschaft neben dem Stand der Geistesforschung Steiners in Rechnung zu stellen. Es ist Vorsicht geboten bei apodiktischen und Universalaussagen Steiners, da mitunter entgegen dem wahrscheinlichen Wortlaut nur von Teilsaspekten die Rede ist, ohne dass ernstliche Auffassungsänderungen (Diskontinuitäten) vorliegen würden. Zander sieht das herausragende hermeneutische Problem in der Weigerung Steiners, inhaltliche Veränderungen seiner Positionen zuzugeben (66). Ein besonders auffälliges Teilstück dieser Verweigerungshaltung sei Steiners Behauptung eines völlig eigenständigen Forschungsansatzes gegenüber den theosophischen Lehrinhalten (172, 225). Vorsichtig schreibt Zander allerdings, nachweisbare Diskontinuitäten seien nicht als »monokausale Deutungsvorgabe« gemeint. Steiner müsse in seiner »Courage« ernstgenommen werden, eine bedeutende »Transformationsleistung» zu erbringen, »um seinen goetheanischen Idealismus in die Theosophie einzubringen« (542). Mit dieser freilich vereinzelt gebliebenen Bemerkung wäre Zander auf dem richtigen Weg, brächte er schließlich nicht wieder seine Ablehnung der Möglichkeit geistiger Anschauung in diesen Zusammenhang ein, was ihm dann ermöglicht, Steiner als bloßen »Brikolage- und Transformationstechniker« zu bezeichnen (684).
Die immer wieder gestellte Frage: Ist die Entwicklung Rudolf Steiners als Philosoph und Geistesforscher kontinuierlich verlaufen oder gibt es eindeutig nachweisbare Brüche? läßt sich auch anders formulieren: In welchem Sinne liegt Kontinuität vor und in welchem Sinne Diskontinuität? Diese Frageveränderung scheint Zander unzugänglich zu sein. Der vorgegebenen Entweder-Oder-Formulierung wegen gerät ihm seine Betonung mehrerer Entwicklungsbrüche, ja einer regelrechten »Konversion« Steiners zur Theosophie in die Nähe der Behauptung moralisch anfechtbaren Verhaltens. Wenn auch historisch-kritisch der autobiografische Rückblick nicht die unumstößliche Wahrheit darstellen muß, so ist doch gegenüber sich widersprechenden Wortlauten auch die Erinnerungswirklichkeit angemessen zu berücksichtigen. Wie andernorts ausführlich dargestellt (17), liegt der Kontinuitätsimpuls in der Suche nach der Rechtfertigung der inneren Geistanschauung vor dem intuitiven Denken, in der Darstellung von Inhalten dieser Geistanschauung in begrifflicher Form und in der Entdeckung dieses Denkens selbst als Geistanschauung: »Im intuitiv erlebten Denken ist der Mensch in eine geistige Welt auch als Wahrnehmender versetzt.« (18) Dem damit formulierten Rechtfertigungsgedanken ist Rudolf Steiner bis zu seinem Tod treu geblieben. Darin besteht auch die von Zander bezweifelte Originalität Steiners gegenüber der Theosophie (Adyar). Es kommt eben vorrangig nicht auf ähnlich oder auch gleichlautende Aussagen an, sondern auf die Art der Darstellung, welche eine andere Art der Aufnahme unmittelbar erforderlich macht. Aus Zanders Buch ist nicht zu entnehmen, dass er mit einer anderen Art der Rezeption als der Hinnahme auf Autorität, nämlich der individuell-denkerischen Nachschöpfung überhaupt gerechnet hat.

Rudolf Steiners Christus-Auffassung

Der Weg eines modernen Menschen zu einer persönlichen Christuserfahrung darf nicht als bequemer, sanft ansteigender Pfad ohne Umwege und gefährliche Abgründe vorgestellt werden. Die Vorgeschichte der Christusbegegnung, die Steiner in dem kurzen, aber aussageschweren XXVI. Kapitel des »Lebensganges» beschreibt, ähnelt mehr der Bekehrung des Apostels Paulus als der selbstgewissen Bahn eines geborenen Eingeweihten. Zander ist sich nicht sicher. Er schreibt: Steiners Christologie »spielt wohl eine zentrale Rolle bei der religiösen Vertiefung seiner zu Anfang idealistisch rezipierten Theosophie, wurde dann zum Vehikel des innertheosophischen Machtkampfes ...« (6). An späterer Stelle liegt das Hauptgewicht auf dem zweitgenannten Aspekt: Die »christologische Thematik kam bei Steiner signifikanterweise erst in dem Augenblick zum Durchbruch, als sich seine Selbständigkeitsbestrebungen mit den Interessen der Führung in Adyar unter Annie Besant immer stärker kreuzten ...« Mit diesen Überlegungen greift Zander die vor Jahren von Klaus von Stieglitz eingeführte Rüge auf, Steiners christologische Aussagen seien stets »anlaßbezogen« (785). Zander übernimmt damit von Stieglitz' Verdacht, Steiners Christologie sei entweder anlaßgebunden frei assoziiert oder - schlimmer noch - echte Christuserkenntnisse seien machtpolitisch instrumentalisiert worden (340). Unterstellungen von dieser Massivität berühren die moralische Integrität des Verdächtigten. Die einschränkende Bemerkung Zanders, Steiners »persönliche Entwicklung wäre ... ein eigenes Kapitel und bleibt, da ich keine Biografie schreibe, weitgehend ausgespart« (781), muß daher als untauglicher Entlastungsversuch eingestuft werden. In der Auseinandersetzung mit der theosophischen Führung habe Steiner »seine christologischen Vorstellungen immer wieder umgeschrieben, ergänzt, abgeändert, Teile eliminiert, alles durchweg stillschweigend, und er hat wesentliche Veränderungen geleugnet» (785). Jeder verständige Leser von Steiners Evangelienzyklen und den zahlreichen weiteren Vortragsstellen bis in die zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts hinein wird erkennen, dass es sich - so beeindruckend die Ausführungen im Einzelnen sein mögen - stets nur um »Bausteine zur Erkenntnis des Mysteriums von Golgatha« (Titel von Vorträgen GA 175) handelt. Steiner war nicht christlicher Dogmatiker - das waren Jakob Böhme und Angelus Silesius auch nicht - und mußte sich darauf beschränken, seine Ergebnisse zu formulieren, mitzuteilen und auf eine spätere Zusammenführung zu hoffen. Der Ausbau christologischer Lehren Steiners in teilweise raschem Fortgang ist so eindeutig von inneren Vorgängen bestimmt, dass selbst der Skeptiker Zander für das Jahr 1906 einräumt, es lägen »momentan keine schlüssigen externen Motive für den Christologisierungsprozeß im Denken Steiners vor« und fährt fort: »Man kommt meines Erachtens nicht ohne die Annahme aus, dass Steiner >den Christus< - aus welchen Motiven auch immer - als eine innere Erfahrung deutete« (796) - aufgrund dieser inneren Erfahrung, möchte man gerne hinzufügen. Den Feierzustand des Erkennens, den Steiner in dem bereits erwähnten XXVI. Kapitel seiner Autobiographie andeutet, sieht Zander als einen in den Jahren 1903 und 1906 anhaltenden konversionsartigen Prozeß. Zanders Auffassung, dass die Christologie durch Steiner in der vereinspolitischen und ideologischen Auseinandersetzung mit Annie Besant in eine Reihe zweifelhafter Kompromisse hineingezwungen wurde, ist nur mit erheblichen Einschränkungen diskutabel. Steiners Bemerkung, die Anwesenheit Christi sei auch ohne die biblischen Schriften (mystisch) erkennbar, ist keineswegs die »Rücknahme der Historisierung des Christus aus strategischen Gründen« (819), sondern die klare Konsequenz aus der Begegnung mit der Substanz des Christentums, d.h. mit dem Christus selbst. Mehr und mehr schwankend in seiner Bewertung, hält Zander die ätherische Wiederkunft Christi für eine Erfindung (812) und befindet ausgerechnet im Zusammenhang mit den gut dokumentierten Vorträgen über das »Fünfte Evangelium« von 1913 (GA 148), Steiner habe sich als »Geistergriffener« selbst inszeniert (825), trotz der glaubwürdigen Berichte von Assja Tugenieff und Andrej Belyi. Wie problematisch es ist, Steiner auf dogmatische theologische Lehrsätze festlegen zu wollen, zeigt das Problem der sog. Selbsterlösung. Zander beharrt im Gegensatz zu anderen theologischen Autoren darauf, dass Steiner im Zusammenhang des Karma-Gedankens die Möglichkeit - mehr noch - den Zwang zur Selbsterlösung gelehrt habe. Dem steht folgende eindeutige Aussage Steiners von 1911 gegenüber:
»Wenn der Mensch glaubt, dass er das höchste menschliche Ideal, wie es für die Erdenentwicklung angemessen ist, erreichen kann auf einem bloßen inneren Seelenwege, durch eine Art Selbsterlösung, dann ist eine Beziehung zu dem objektiven Christus nicht möglich. Man könnte auch sagen: Sobald der Erlösungsgedanke für den Menschen etwas ist, was sich auf psychologischem Wege beantworten lässt, gibt es keine Beziehung zu dem Christus.« (19) Dieses Beispiel zeigt mit Deutlichkeit, dass Widersprüche dieser und vergleichbarer Art Gegenstände dialektischen (intuitiven) Denkens werden müssen, weil andernfalls nur Ratlosigkeit oder bedauerliche Verdächtigungen entstehen können. Die Wahrheit liegt im Beispielsfalle darin, dass die karmische »Selbsterlösung« sich schließlich als Gnade des Christus erweist, während umgekehrt die Erfahrung der rechtfertigenden Vergebung nicht ohne die Empfangsbereitschaft des Menschen möglich ist. Im Kapitel Christologie (781 - 858) behandelt Zander noch weitere christologische und angrenzende Einzelfragen, auf die hier nicht eingegangen werden kann. Noch im letzten Abschnitt des Kapitels unter der Überschrift »Steiners Christologie zwischen historisch-kritischer Forschung und übersinnlicher Erkenntnis« bleibt Zanders eigene Position unklar. Nachdem Zander mehrfach Steiner der Unwahrhaftigkeit geziehen hatte, vermerkt er, soweit Steiners »persönliche Spiritualität« berührt sei, sei »Respekt vor Steiners forum internum« geboten. Als vorläufiges Ergebnis bis hierher zeigt sich, dass die von Zander angewandten analytischen Methoden in weiten Teilen nicht geeignet sind, die Spiritualität von Steiners Werk angemessen zu erfassen. Dieses ist auf selbständige denkerische Aneignung hin angelegt. Mit vorgeformten Arbeitsthesen können interessante Einzelergebnisse zustande kommen, aber der Logos der Sache wird verfehlt. Der das ganze riesige Werk Zanders kennzeichnende reduktive Ansatz ist philosophisch primitiv, er wird dem philosophischen Gehalt der Anthroposophie nicht gerecht. Die determinierende Behauptung, die Anthroposophie sei gegen den Historismus entstanden, verschließt den Blick auf die Wahrheit der Geschichte. Zanders reduzierendes Verständnis des Historismus ist ungenügend und überholt. Unwiderrufbar ist allerdings das geschichtliche Bewußtsein, das die Historiker des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts grundgelegt haben. Steiners Werk ist gegründet auf dieses Bewußtsein und es dient damit der Gleichzeitigkeit (Kierkegaard) des Mysteriums von Golgatha. In Zanders Buch ist ein ernsthafter, der modernen Hermeneutik gerecht werdender Versuch des philosophischen Verstehens nicht zu erkennen, nicht in der Anthropologie und nicht in der Kosmologie, die Zander nur vorgibt zu überblicken. Sollte Helmut Zander kein Freund der Weisheit sein? Dieses kritische Ergebnis relativiert sich im Hinblick auf den Stand der Rezeption von Steiners Werk in der Anthroposophischen Gesellschaft. Was in der Betrachtung von Zanders Arbeit noch zu ergänzen ist und inwiefern Zander der Anthroposophischen Gesellschaft einen Dienst erwiesen hat, soll in einem zweiten Teil der Betrachtung vorgebracht werden. (20)

* Helmut Zander: Anthroposophie in Deutschland. Theosophische Weltanschauung und gesellschaftliche Praxis 1888-1945. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007, 2. Bde., 1884 Seiten, 246 EUR.

Anmerkungen
1 Im Interesse leichteren Auffindens werden bei wichtigen Aussagen Zanders die Seitenzahlen in Klammern angegeben.
2 Rudolf Steiner: Mein Lebensgang (GA 28), Kap XXIII, XXIV.
3 Rudolf Steiner: Mein Lebensgang (GA 28) Kap. XXX.
4 Rudolf Steiner: Mein Lebensgang (GA 28), Kap. XXXIII.
5 Rudolf Steiner: Vortrag vom 4.6.1909 in GA 109.
6 Hierzu neuerdings: Jörg Ewertowski: Die Entdeckung der Bewusstseinsseele, Stuttgart 2007.
7 Vgl. hierzu Rudolf Steiner: Die Geheimwissenschaft im Umriß (GA 13), Aufl. 1962, S. 78.
8 Er behauptet, diese Begriffe »evozieren eine Art kartographischer Realität und rekkurieren auf Jenseitskonzepte nicht genau identifizierbarer Quellen« (574).
9 Vgl. hierzu Rudolf Steiner: Theosophie. Die Textentwicklung in den Auflagen 1904 - 1922, hg. von Daniel Hartmann, Dornach 2005.
10 Zitiert nach Karl-Georg Faber: Theorie der Geschichtswissenschaft, München 21972.
11 Rudolf Steiner: Wahrheit und Wissenschaft (GA 2), Vorrede.
12 Rudolf Steiner: Von Jesus zu Christus (GA 131), 10. Vortrag, S. 214.
13 Rudolf Steiner: Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten? (GA 10), Vorrede zur 3. Auflage.
14 Rudolf Steiner: Die Philosophie der Freiheit (GA 4), Kap. VIII, Zusatz 1918, letztes Kap. 1. und 2., Zusatz 1918.
15 Vgl. für die katholische Theologie Joseph Rat-zinger (Hrsg.): Schriftauslegung im Widerstreit, Freiburg i. B. u.a. 1989.
16 Vgl. Lorenzo Ravagli und Günter Röschert: Kontinuität und Wandel, Stuttgart 2003. In diesem Band haben die Autoren versucht, die Kontinuitätsfaktoren gegen erkennbare Diskontinuitäten abzuwägen.
17 Fußnote 16
18 Rudolf Steiner: Die Philosophie der Freiheit ( GA 4) 1918, 2. Zusatz zum letzten Kapitel.
19 Rudolf Steiner: Von Jesus zu Christus (GA 131), Vortrag vom 13.10.1911, S. 196.
20 Am Rande sei noch an die Adresse des Verlags die erstaunlich hohe Zahl von Druckfehlern vermerkt, in einigen Abschnitten fast auf jeder Seite mit einem absurden Höhepunkt auf Seite 494.

Anthroposophie aus skeptizistischer Sicht II

Hat sich Helmut Zander Verdienste erworben?

Günter Röschert

Im ersten Teil dieses Aufsatzes (1) wurde versucht, die thematischen Hauptpunkte von Helmut Zanders Kritik an Rudolf Steiner und der Anthroposophie zu sichten und antikritisch zu bewerten. Gegenüber Zanders Steiner-Lektüre konnte sich die Philippusfrage an den äthiopischen Kämmerer aus Acta 8,26 f. aufdrängen: »Verstehst du auch, was du liesest?« Die von Zander in Anschlag gebrachten analytischen Methoden erwiesen sich als unzureichend, um Rudolf Steiners Werk immanent-kritisch, d.h. nach den werksinternen Bedingungen und Eigentümlichkeiten, zu begreifen. Über die Merkmale des Studiums der Anthroposophie liegt eine ganze Anzahl von Untersuchungen vor, die Zander nicht berücksichtigt hat.(2) Er bezweifelt die Originalität von Steiners Werk, die Möglichkeit der Geistesschau, die Widerspruchsfreiheit von Steiners Werdegang und die Erfahrungsgrundlage seiner Christologie. Natürlich ist ihm bekannt, dass der Skeptizismus als Forschungsmethode oder gar als Philosophie auf brüchigem Grunde errichtet ist, weil sich der Zweifel stets auch selbst bezweifeln kann. Dieser Brüchigkeit ist Zanders Arbeit in weiten Teilen nicht entgangen. Im Geiste des Kirchenvaters Augustinus dürfen gleichwohl Zanders Zweifel auch als Ausdruck berechtigter Selbstsicherheit des Denkens gewertet werden und damit als Anstöße zu fortschreitender Prüfung und Vertiefung der Forschungsergebnisse Steiners und seiner Schüler und zugleich Anlass geben zu neuer Besinnung auf die Position der Anthroposophie in der Gegenwart. Der Zweifel wächst aus der Relativität aller religiösen, philosophischen und allgemein weltanschaulichen Aussagen; er ist Teil des Erkenntnisweges und daher auch möglicher Anlass zur Selbstkritik.

Nachfolgend werden in fünf thematischen Schwerpunkten Aussagen des ersten Aufsatzteils weitergeführt unter dem Gesichtspunkt der Förderung der anthroposophischen Arbeit durch Zanders Bedenken und Einwände.

Autorität und Personenkult

Nach den Urereignissen bei der Entstehung einer geistigen Bewegung kommt es - wenn die Bewegung Bestand hat - gewöhnlich zu einer Phase der Konsolidierung und der Abwehr externer Kritik. Für die Anthroposophische Gesellschaft begann die Phase der Apologie (Verteidigung, Rechtfertigung) noch zu Lebzeiten Rudolf Steiners und hielt - sich abschwächend - bis heute an. Das apologetische Schrifttum aus dem Schülerkreis Steiners arbeitete an der Verstärkung der Plausibilität des anthroposophischen Lehrgutes und setzte dabei auf das Ansehen und die Autorität des Lehrers und Gründungsvorsitzenden. (3) Steiner wandte sich zwar mit Nachdruck gegen Autoritätshörigkeit und Personenkult in der Mitgliedschaft und verglich sie sogar mit dem Alkoholismus. (4) Freilich ist nicht zu verkennen, dass Steiner in der Notsituation von 1923, nach dem Goethean-umbrand, die Neugründung der Anthroposophischen Gesellschaft mit autoritären Mitteln vorantrieb. Zanders Hinweis auf die Autoritätspflege in der Gesellschaft, die nach Steiners Tod auch die späteren Vorstände erfasste, ist daher nur insoweit zurückzuweisen, als sich der Autoritarismus aus dem anthroposophischen Erkenntnisweg ableiten lassen soll, ja durch den Erkenntnisweg systematisch unterstützt worden sei.

Die Überwindung der Autoritätshörigkeit, auf Rudolf Steiner und sekundär auf andere signifikante Führungspersönlichkeiten oder Führungsgremien bezogen, ist nur möglich, wenn die vorurteilsfreie, individuelle oder in Forschungsgemeinschaften betriebene Rekonstruktion von

Steiners Werk auf der Grundlage des intuitiven Denkens in der Anthroposophischen Gesellschaft Allgemeingut geworden ist. (5) Dies würde das Ende der Apologie als Ausdrucksform anthroposophischer Arbeit bedeuten, den Beginn der von Steiner gewünschten Prüfung aller geisteswissenschaftlichen Aussagen (6) und den Übergang zu einer freien Beziehung zu Rudolf Steiner selbst. (7) Die von Steiner für nötig gehaltene immer wieder geforderte und keineswegs undurchführbare (Zander 946) Prüfung seiner Forschungsergebnisse ist selber Geistesforschung, welche die Entwicklung des geistigen Menschen unterstützt, weil sachgemäße Prüfung den Sinn für den Geist und für geistige Impulse in Mensch, Geschichte und Kosmos weckt. (8) Zanders Versuche, Steiners Ausführungen durch Aufweis widersprüchlicher Aussagen in der Wrksentwicklung zu dekonstruieren, können nicht zu gültigen Ergebnissen führen, solange sie weder die Möglichkeit einer seelischen Entwicklung des Forschers, noch die Möglichkeit eines nachschöpferischen Umgangs durch intuitives Denken anerkennen. Die Hingabe des Autoritätsprinzips ist schmerzhaft, wenngleich unumgänglich als Teil anthroposophischer Selbstkritik. Die Opferung eines für die anthroposophische Plausibilitätsstruktur (9) hoch wirksamen, gewöhnlich unreflek-tierten Verhaltens macht auch nicht Halt vor sakrosankten Gewissheiten: Ohne Umstände spricht Zander von einer Atheismusphase in Steiners Entwicklung in den Jahren um 1899 (883) und zieht wenig beachtete Texte im Umkreis dieser Jahre heran.(10) Den Wahrheitswillen Steiners zieht Zander in Zweifel, z.B. anhand des Briefwechsels mit Josef Kürschner der Jahre 1883 bis 1893 und mit der J.G. Cotta'schen Buchhandlung in Stuttgart zwischen 1892 und 1897. (11)

Vor allem aber kritisiert Zander Steiners anhaltende Versuche, Widersprüche und Überzeugungsänderungen in der Werksentwicklung in Abrede zu stellen (454, 463, 514, 554 u.a.). Diese und weitere Einwände Zanders, die teilweise sogar die moralische Integrität Rudolf Steiners tangieren, lassen sich nicht einfach mit angewiderter Miene beiseite schieben. Wahrheitsliebe und anthroposophische Selbstkritik erfordern - auch über Christoph Lindenbergs Biografie hinaus - sich um ein von jedem Personenkult freies Verhältnis zu Rudolf Steiner zu bemühen. (12)

Pluralismus und Universalismus

Auf der Linie des von Zander eingenommenen historistischen Standpunktes liegen nicht nur die geschichtlichen Bedingtheiten aller kulturellen Bewegungen Europas, sondern auch die mehr und mehr im westlichen Bewusstsein auftauchenden außereuropäischen Kulturkreise, deren Religionen, Künste und Sozialverhältnisse. Jeder Angehörige einer kognitiven oder weltanschaulichen Minderheitengruppe ist darauf angewiesen, sein Selbstbewusstsein, seine Werte und Ziele innerhalb der Gruppenüberzeugungen zu begründen und sich immer wieder bestätigen zu lassen. Parallel zu der fortdauernden, teilweise auch nur halbbewussten Arbeit an der eigenen Position innerhalb der Plausibilitätsstruktur der Gruppe wird jedes Mitglied der Vielzahl anderer Gruppen außerhalb seiner eigenen inne. Auf Universalisierung angelegte Gruppenideale treten in Konkurrenz mit den Idealen anderer Gruppen. Universalismus der Idee und die Pluralität konkurrierender Gruppen stehen weltweit einander gegenüber. (13) Zanders energische Betonung des europäischen Historismus des 19. und 20. Jahrhunderts ist nur die halbe Wahrheit. Sein eigener Skeptizismus, Agnostizismus und Anti-Spiritualismus ist ebenso partikular und hat daher keinen anderen Realitätsstatus als das Werk Steiners, das er kritisiert. Der Historismus in der ihm von Zander zuteil gewordenen Verkürzung kann aber als Stufe in der von Siegmund Freud namhaft gemachten Kränkungen der menschlichen Eigenliebe betrachtet werden: (14) das kopernikanische Weltsystem, die natürliche Schöpfungstheorie, die Psychoanalyse. Hinzu treten, Freuds Gedanken folgend, der Historismus, die Wissenssoziologie (15) und - in neuester Zeit - die Hirnforschung. (16)

Die stufenweisen Reduktionen des Ideals geistigen Schöpfertums des Menschen lassen sich deuten als Teil eines zeitgeschichtlichen Prozesses der Konzentration auf das Entscheidende, Nicht-Reduzierbare, auf das Erleben selbstgefasster spiritueller Ideen. (17) Das Geisterleben in den Ideen ist der Kern des Kontinuitätsfaktors und damit der Originalität in Steiners Lebensgang und Lebenswerk, den Zander nicht zu finden vermochte (1686 f.). In dem von Steiner für erreichbar gehaltenen und daher von seinen Schülern zu praktizierenden Ideenerleben ist der Empirieanteil in der Rezeption der Schriften Steiners zu sehen. Zander, der dies nicht zuzugestehen vermag, versucht stattdessen, Steiner eine geheime Abhängigkeit von spiritistischen Machinationen nachzuweisen, aufgrund einer Sehnsucht nach «Erfahrung« (78, 86, 120, 340f., 861, 928-936). Das von Zander als Zeitschicksal bewertete Auftauchen eines weltanschaulichen Pluralismus ist unvermeidlich und karmisch begründet. In der Schülerschaft Rudolf Steiners ist infolge der Arbeit an der eigenen Plausibilitätsstruktur das Pluralismusproblem in seinen Konsequenzen und in seinem weltgeschichtlichen Gewicht bisher noch wenig wahrgenommen. (18) Der Gegensatz zwischen dem Skeptizismus und Universalismus der Aufklärung einerseits und dem Pluralismus eigenständiger Kulturen und kultureller Minderheiten andererseits könnte dialektisch zu einer auf ideelle Empirie gestützten vermittelnden Position führen. (19) Zanders Vorhalt, Steiner habe der Einsicht in die Relativität der Geschichte durch Proklamation ewiger Wahrheiten entkommen wollen, verkennt die wahre Natur sowohl des eben benannten Spannungsverhältnisses wie auch seiner dialektischen Lösung. Unbeabsichtigt könnte Zanders Kritik allerdings zu einem Erkenntnisschub auf anthroposophischer Seite führen: Die eigene Gewissheit lässt sich nicht auf dem Wege der Beschwörung stärken - oder retten -, sondern als Gewissheit unter anderen Gewissheiten auf dem Pfade einer neuen intellektualen Empirie. Die Annahme einer exklusiven, überragenden und einmaligen Bedeutung von Steiners Werk a-priori ist zu erweitern in ein Bewusstsein der Vielfalt des Geisteslebens der ganzen Menschheit hinein. Innerhalb dieser Weite wird das Werk Rudolf Steiners in all seiner Originalität seinen Platz finden.

Das relative Absolute

Die Grundzüge der Anthroposophie als eines Erkenntnisweges und einer Anschauung von Mensch und Kosmos sind von Rudolf Steiner in einer Reihe von Büchern, in Tausenden von Vorträgen und auf künstlerischem Wege dargestellt worden. (20) Zander findet, die wichtigsten anthroposophischen Lehren seien mit Anthroposophen nicht verhandelbar, obwohl ein großer Teil dieser Lehren zweifelhafter Herkunft sei. Steiner habe unbeirrbar seine eigenen partikularen Interessen verfolgt, unter heimlicher Vereinnahmung theosophischer und anderer Inhalte aus fremden Quellen. Dem derart entstandenen synkretistischen Gebilde habe Steiner überlegene (exklusive) Bedeutung zugeschrieben; seine Schüler seien ihm in dieser exklusivistischen Haltung gefolgt. (21) Dieser Vorhalt ist ernst zu nehmen, auch dort, wo er unbegründet erscheint. Trifft es zu, dass Rudolf Steiner selbst für die Inhalte seiner Geistesforschung, insbesondere auf den Gebieten der Menschenkunde, der Weltentwicklung und der Christologie absolute Wahrheit beansprucht hat? Zweierlei ist zu unterscheiden: Zunächst impliziert der Begriff der Geistesforschung die Möglichkeit von Fortschritten in der Erkenntnis der Wahrheit, darauf wurde im ersten Teil dieses Aufsatzes bereits aufmerksam gemacht. Irrtums- und Täuschungsmöglichkeiten auf der Bahn der Forschung hat Steiner eingeräumt, was Zander bekannt ist (612, 848f.). Die sogenannte Akasha-Chronik (22) darf nicht als Reservoire abrufbereiter, vollständig ausgebildeter höherer Wahrheiten mißverstanden werden. (23) Daraus folgt, dass der Anthroposophie in keinem Stadium ihrer Entwicklung und für keinen ihrer Inhalte absolute Wahrheit zugeschrieben werden kann. (24) Steiners Werk orientiert sich allerdings an der ewigen Wahrheit des Logos, strebt nach ihr, begründet sich aus ihr, wenn auch die Fassungskraft menschlicher Bewusst-seine und der Sprache die Epiphanie des Logos niemals vollständig durchzutragen vermag. Zweitens erhebt sich die Frage, welche Position dem Werke Steiners und seiner Schüler im Verhältnis zu anderen, konkurrierenden Anschauungen zugesprochen werden kann. Wie steht Steiners Werk, das ja keine Religion ist, aber in breitem Umfange glaubensrelevante Aussagen enthält, zu den nichtchristlichen monotheistischen Religionen Westasiens und zu den Religionen Indiens und des Fernen Ostens? Was ist anthroposophischerseits zu der großartigen Weisheit der nordamerikanischen Ureinwohner zu sagen, von der zu Rudolf Steiners Lebenszeit noch viel weniger bekannt war als heute? Kann die geisteswissenschaftliche, gnostische und mystische Weltliteratur angemessen integriert werden? (25) Jede Tradition besitzt ihr eigenes Absolutes (26) und entwickelt ihre eigene Exklusivität. Den mit jedem Absolutheitsanspruch verbundenen geistigen Hochmut hat Helmut Zander an Anthroposophen zu spüren bekommen, wenngleich er selbst einer exklusivisti-schen Überschätzung seiner reduktionistischen Methoden zum Opfer gefallen ist. Das Dilemma der vielen Exklusivitäten ist zu lösen durch die Idee des relativen Absoluten, die vor allem von traditionalen Denkern wie Frithjof Schuon oder Seyyed Hossein Nasr vertreten wird. Für das Christentum ist perspektivisch entscheidend, dass sich der Christus als der ewige Sohn in einen menschlichen Leibeszusammenhang inkarnierte und damit in die Welt der Vielheit und der Relativität einging. (27) Die christlichen Glaubenssätze werden damit nicht schlechthin relativ, sie enthalten wirkliche, aber eben keine abgeschlossene und exklusive Wahrheit.
Rudolf Steiner selbst hat innerhalb eines seiner bedeutendsten Vortragszyklen davon gesprochen, dass manches von ihm nur als halbe Wahrheit »angedeutet« werden konnte. (28) Es war ihm selbstverständlich, dass die kommenden Kulturepochen immer neue und tiefere Einsichten vor allem über das Mysterium von Golgatha ermöglichen werden. Das Geheimnis des relativen Absoluten besteht darin, dass in jeder echten Manifestation des Göttlichen dieses sich wirklich ganz zum Ausdruck bringt (vertikal) und doch im Blick auf die vielen Manifestationen nur relative Aussagekraft besitzt (horizontal). Dies vorausgesetzt, erledigen sich die Vorwürfe, Rudolf Steiner habe ewige unveränderliche Wahrheiten verkündigen wollen, ganz von selbst. Freilich sollten nicht von Schülerseite gerade diese Vorwürfe bestätigt werden. Das in der Offenbarung enthaltene Absolute bricht sich im Prisma der Geschichte; es passt sich den historischen Situationen an. Die Aufgabe des Empfängers ist es dann, sich diese Relativität in der intellektualen Liebe zu Gott bewusst zu machen, worin der einzig sichere Schutz vor Fanatismus und Fundamentalismus besteht.

Freiheit und Weltentwicklung

Helmut Zanders Bekundung, er halte objektive Erkenntnisse für eine philosophische Utopie, wird von ihm historistisch zu begründen versucht. Es gebe keine Erkenntnis außerhalb anthropologischer und sozialer Bedingungen. (29) Das mag für menschliche Erkenntnis innerhalb bestimmter Grenzen gelten, jedoch gilt auch, dass die anthropologischen und sozialen Bedingungen die Erlangung objektiver Erkenntnisse nicht hindern - was der Wortsinn von Zanders Aussage auch einräumt. Mit seiner Erkenntniskompetenz dringt der Mensch, auch in der Hypothesenbildung, an einen objektiven geistigen Zusammenhang des Kosmos heran. (30) Erkenntnisse dieses Zusammenhanges lassen sich keinesfalls auf kontingente historische Gegebenheiten reduzieren, das zeigt schon die Alltagserfahrung, das zeigt die essentiale Erkenntnistheorie, (31) und es bestätigen dies die Biografien der führenden Denker der Menschheit. Auch an das Problem von Freiheit und Weltentwicklung darf mit Erkenntnisoptimismus herangetreten werden. Das Werk Rudolf Steiners enthält Aussagen nicht nur über Vergangenheit und Gegenwart der Menschheit, sondern auch über deren Zukunft. Vom Gesichtspunkt des Historismus, wie Zander ihn versteht, wären die zuletzt genannten Aussagen divinatorisch und nur für kurze Zeitabschnitte möglich. Auch nach dem Einsetzen des Historismus als Wissenschaftsparadigma sind geschichtsphilosophische und prognostische Arbeiten ernsthafter Autoren weiterhin entstanden, was auf verbreitete Bedenken gegen die auch von Zander betriebene Engführung des Historismus schließen lässt. (32) Steiners Geschichtsentwurf gründet auf einer geisteswissenschaftlichen (angelologischen) Kosmogonie und enthält damit im Einklang Elemente individueller und universaler Eschatologie; er besitzt auch heilsgeschichtliche Charakterzüge. (33) Im anthroposophischen Sprachgebrauch ist in diesem Zusammenhang verschiedentlich von einem »Weltenplan« die Rede gewesen; Kritiker sprechen von der »Exekution« dieses Weltenplanes als Prognose. Diese terminologische Beobachtung weist auf mögliche schwere Missverständnisse durch allzu sorglose Sprechweisen. Schon die ersten Stufen der Weltentwicklung werden von Steiner so geschildert, dass in ihnen fernste zukünftige Möglichkeiten veranlagt sind. Das Zukünftige ruht im Schoße des Vergangenen nicht in einem trivialen Sinne kontingenter Selbstorganisation, sondern in den konkreten Vorkehrungen der Gottheit für eine mögliche Zukunft. Prognostische Aussagen sind daher keine Wahrsagerei, sondern gründen auf der Anschauung der gegenwärtigen Entwicklungsbedingungen und deren Wandlungschancen für die Zukunft. Der »Weltenplan« hat ein konkretes Ziel, den freien Menschen, der sich vom Empfangenden zum Opfernden erhebt. Die Ermöglichung menschlicher Freiheit ist heilsgeschichtlich ein vom Scheitern bedrohtes Unternehmen Gottes, weshalb der »Weltenplan« nur ein Entwurf ist und kein deterministisches Ungetüm. Der Gesamtverlauf des kosmischen Werdens in Evolution und Involution (34) ist strukturiert durch die Vorstufen und die Folgewirkungen des Mysteriums von Golgatha. Die Inkarnation des Logos bedeutet das Eintauchen in den Bereich der Kontingenz und ist zugleich ein normatives Geschehen auf der höchsten Stufe. Die »konstitutive Bindung des Christentums an die Geschichte« (751) war Steiner deshalb nicht »suspekt«, sondern er betonte sie bei jeder Gelegenheit. In der 2. Auflage des Buches »Das Christentum als mystische Tatsache und die Mysterien des Altertums (35) findet sich folgender Fundamentalsatz: »Vereinigung der Seele mit ihren höchsten Kräften ist zugleich Vereinigung mit dem geschichtlichen Christus.« Diesen Satz von der doppelten Vereinigung hat Zander nicht diskutiert; seinem Buch ist auch nicht zu entnehmen, dass er sich der durchgreifenden Realdialektik von Freiheit und Weltentwicklung bewusst geworden ist. Des Autors Schweigen ist aber nicht nur mit Bedauern zu registrieren, sondern darf anthroposophisch selbstkritisch zum Anlass genommen werden, sich mit der spirituellen Tiefe und Großartigkeit des Welttableaus immer intensiver zu beschäftigen. Die Dynamik des göttlichen Entwurfes unter dem Einfluss menschlicher Willkür drückt sich schließlich in der Erwartungsdoppelheit des Zieles aus: Ist das Ziel das letzte Gericht mit der Scheidung der Geister oder die Allversöhnung (Apokatastasis panton), die Origenes erhoffte?

Christologie und Trinitätslehre

Als Rudolf Steiner damit begann, seine Christologie zu entwickeln, war die historisch-kritische Erforschung der biblischen Schriften bereits einhundertvierzig Jahre in Gang gewesen (36) und hatte in dieser Zeit enorme methodische Schwierigkeiten zu überwinden, besonders in den Arbeiten am Neuen Testament. Albert Schweitzer, in seinem klassischen Werk »Geschichte der Leben-Jesu-Forschung«, vermerkte 1913: »Die Erforschung des Lebens Jesu war für die Theologie die Schule der Wahrhaftigkeit. Ein so schmerzliches und entsagungsvolles Ringen um die Wahrheit, wie es in den >Leben Jesu< der letzten 100 Jahre liegt, hatte die Welt noch nicht gesehen und wird sie nie mehr sehen.« Das Ergebnis war deprimierend. Es gelang nicht, ein konsensfähiges Bild des Lebens Jesu zustande zu bringen. Und dennoch: Die Leben-Jesu-Forschung mit historisch-kritischen und allgemein philologischen Methoden ist nach Schweitzers Schlussbetrachtung »eine einzigartige große Wahrhaftigkeitstat, eines der bedeutendsten Ereignisse im gesamten Geistesleben der Menschheit«. (37)
Die Leben-Jesu-Forschung kam dann unter dem Einfluss der sogenannten formgeschichtlichen Schule zum Erliegen und fand erst nach dem 2. Weltkrieg zu einem modifizierten Neuanfang. Heute ist die historisch-kritische Forschung als Teil einer umfassenden biblischen Hermeneutik so gut wie unumstritten, wenn auch von fundamentaltheologischer Seite die Prüfung der exegetischen Ergebnisse auf theologische Plausibilität energisch eingefordert wird. Rudolf Steiner hielt nicht viel vom historischkritischen Umgang mit den Evangelien und kritisierte scharf das Jesusbild der liberalen protestantischen Theologie der Jahrhundertwende, die Vorstellung vom »schlichten Mann aus Nazareth«. Schon vor 1900 hatte er sich von der Jenseitsorientierung des kirchlichen Christentums abgesetzt. Seine eigene Christusanschauung entwickelte sich selbständig auf geistiger Erfahrungsgrundlage und erst sekundär im Hinblick auf die biblischen Schriften. Steiners exegetische Versuche führten nicht immer zu akzeptablen Ergebnissen.(38) Zander vermutet, Steiners Erfahrungen als Goethe-Herausgeber in Weimar seien ursächlich für seine Polemik gegen Philologie und historisch-kritisches Arbeiten (472). An späterer Stelle bemüht sich Zander überraschend um eine vermittelnde Haltung zwischen Philologie und Geistesanschauung. Unter Bezug auf Äußerungen der Religionshistoriker Mircea Eliade und Gershom Scholem hält er für möglich, dass gerade die vermeintlich destruktive Wirkung historisch-kritischer Erforschung der Offenbarungsschriften zur Epiphanie des Heiligen führen könne: »Die historische Kritik wird in dieser Perspektive zu einer Bedingung religiöser Erfahrung auf dem Boden philologischer Destruktion.« (752) Diese durchaus zutreffende Beobachtung Zanders sollte in der Schülerschaft Steiners, soweit sie in einer unangebrachten Gefolgschaftshaltung dessen Philologieabneigung weiter pflegt, zur Überprüfung bisheriger Positionen führen.
Hinsichtlich der anthroposophischen Christologie im Verhältnis zur Gotteslehre ist Zander im Ergebnis ratlos: »Ob Steiner einen regelrechten Pantheismus oder nur einen Panentheismus oder nur einen Hylozoismus vertrat, ist ein umstrittenes Thema ...« (766) Dabei hat Zander die wirklichen christologischen Probleme bei Steiner kaum berührt. Steiner hat sich intensiv mit der komplexen Wesenheit Jesu beschäftigt. Aber wer ist der Christus? Der »hohe Sonnengeist« ist nicht der Sohn Gottes, der Messias im Sinne der Petrusperikope Mt 16,16. Der »Sohn Gottes« nach der altorientalischen Tradition ist nicht der Logos, die zweite Person der Trinität. Unverkennbar befindet sich Steiner mit einigen, auch wiederholten Aussagen in der Nähe des Arius und der urchristlichen Engel-Chris-tologie. Die Schwierigkeiten verstärken sich durch Aussagen, in welchen die drei Personen der Trinität den drei Engel-Hierarchien zugeordnet werden. (39) Trotz verschiedener sekundärer Klärungsversuche enthält die Trinitätsauffassung Steiners noch immer Unklarheiten. Zanders Christologie-Kapitel im ersten Band seines Werkes könnte zum Anlass genommen werden, sich den systematischen Fragen einer anthroposophischen Gotteslehre neu zuzuwenden. Die gegen Zanders Schrift erhobenen Einwände sind überwiegend methodischer Art. Sie gruppieren sich um ein entscheidendes Dissens-Zentrum: Zander - und mit ihm auch andere Kritiker der letzten 100 Jahre - halten für ausgeschlossen, zumindest für höchst unwahrscheinlich, dass Rudolf Steiner Zugang zu einer Erkenntnisquelle außerhalb von (sinnlicher) Wahrnehmung und Denken hatte, der übersinnlichen, mit einem höheren Gewissheitspotential ausgestatteten Schau. (40) Daraus ergeben sich mit einer gewissen Folgerichtigkeit der Plagiatsvorwurf, die Ablehnung objektiver Erkenntnisse überhaupt, das Historismusargument und die Behauptung schwerwiegender Richtungsänderungen in Rudolf Steiners Werdegang. Die übersinnliche Begegnung Steiners mit dem Mysterium von Golgatha als Erfindung zu bezeichnen hat Zander nicht gewagt, er meint wohl, es handle sich um eine Vision (499).
Die Möglichkeit unmittelbarer Geisterfahrung mag zwar am Einzelbeispiel Rudolf Steiners in Frage gestellt werden, sie aber in generalisierender Form, selbst nur in ihren Anfängen zu leugnen, entzieht dem Geistesleben der Menschheit die Substanz. Selbst der atheistische Teil der Menschheit lebt aus den Epiphanien des Göttlichen, je nach den bewusstseins-geschichtlichen Gegebenheiten. Akzeptanz und praktische Verwirklichung von Steiners anthroposophischem Werk sind nicht von der Erlangung eigener hellsichtiger Anschauungen der Schüler und Folger abhängig. Wohl aber sind Prüfung und Erforschung des Werkes in allen seinen Teilen durch das selbstverantwortliche reine Denken, in der Identität von Ich und Idee, zu leisten. Auf diesem Gebiet bestehen noch bedeutende Desiderata, die oben erwähnt wurden, und die in den Zuständigkeitsbereich der allgemeinen anthroposophischen Sektion der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft am Goetheanum fallen. Die Einrichtung der Freien Hochschule steht in einer bis auf die Mysterien des Altertums zurückreichenden Tradition. In ihrer heutigen Gestalt ist die Hochschule der Geistesforschung gewidmet. Ich kann daher abschließend nur der Empfehlung von Rahel Uhlenhoff (41) zustimmen, Helmut Zanders Arbeit als Forschungsprojekt der allgemeinen Sektion aufzugreifen. Es wäre wohl die kläglichste Reaktion auf Zanders Werk, beleidigt zu sein und beleidigt zu polemisieren, statt die eigenen Versäumnisse aufzuarbeiten. Dies angeregt zu haben ist Helmut Zanders Verdienst.

* Helmut Zander: Anthroposophie in Deutschland. Theosophische Weltanschauung und gesellschaftliche Praxis 1888-1945. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007, 2. Bde., 1884 Seiten, 246 EUR.

1 Die Drei, Nr. 10/2007.

2 Darunter: Herbert Witzenmann: Intuition und Beobachtung (2 Bände), Stuttgart 1978; Erhard Fu-cke: Das anthroposophische Studium, Stuttgart 1981; Georg Kühlewind: Vom Umgang mit der Anthroposophie, Stuttgart 1991; Günter Röschert: Anthroposophie als Aufklärung, München 1997, Teil 2; Heinz Zimmermann, Robin Schmidt: Anthroposophie studieren, Dornach 1998; Lorenzo Ravagli: Meditationsphilosophie, München 2000, 2. Auflage.

3 Mit dieser Bewertung wird ein anderer Teil des anthroposophischen Schrifttums gar nicht getroffen. Es entstanden im Laufe von 80 Jahren zahlreiche bedeutende, eigenständige Arbeiten; eine Aufzählung ist nicht einmal beispielhaft möglich.

4 Vortrag Düsseldorf 4.4.1906 (GA 97). Eine Auswahl weiterer Äußerungen gegen den Autoritätswahn: Vorträge Berlin 29.3.1907 (GA 96), Oslo 17.6.1910 (GA 121), Frankfurt a.M. 8.1.1911 (GA 127), Hamburg 17.6.1912 (GA 130); Berlin 31.10.1912 (GA 62); Berlin 21.11.1912 (GA 62); München 20.5.1917

(GA 174a), München 2.5.1918 (GA 174a), Dornach 31.8.1918 (GA 183), Dornach 7.12.1919 (GA 194), Stuttgart 23.3.1921 (GA 324); in dem zuletzt genannten Vortrag stellt Steiner Gegner und autoritätshörige Schüler auf eine Stufe.

5 Auf die Bedeutung des intuitiven Denkens für die Steiner-Rezeption wurde bereits im ersten Teil des Aufsatzes hingewiesen. Zander vermag dazu im Ergebnis nur mit dem Vorwurf »vorempirischer Ontologisierung des Denkens« zu antworten (476). Intuitives Denken im Sinne Steiners ist bereits Empirie und keine Generalausrede für nicht vorhandenes Hellsehen. Über Intuition vgl. von nicht-anthroposophischer Seite z.B. Winfried Weier: Das Phänomen Geist, Darmstadt 1995; Belá Weissmahr: Die Wirklichkeit des Geistes, Stuttgart 2006.

6 Über die notwendige Prüfung gibt es zahlreiche Hinweise Steiners, besonders eindrucksvoll der Vortrag Stuttgart 13.11.1909 (GA 117) über »Das rechte Verhältnis zur Anthroposophie«.

7 Abweichend Sergej Prokofieff in: Von der Beziehung zu Rudolf Steiner

8 Rudolf Steiner: Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?

9 Plausibilitätsstruktur ist die Summe der in einer Gruppe oder Gemeinschaft getroffenen formalen oder informalen Vorkehrungen, um die Gruppenüberzeugungen und Wirklichkeitsvorstellungen gegenüber einer andersgläubigen Umgebung plausibel zu halten, vor allem durch einen möglichst wenig unterbrochenen Strom zwischenmenschlicher Bestätigungen (Legitimierungen). Näheres bei Peter L. Berger: Auf den Spuren der Engel,

10 Gesammelte Aufsätze zur Dramaturgie (GA 29), Methodische Grundlagen der Anthroposophie (GA 30), Gesammelte Aufsätze zur Kultur- und Zeitgeschichte

11 Rudolf Steiner: Briefe I. und II.

12 Als vor einigen Jahren das Friedrich von Hardenberg Institut in Heidelberg zu einem Kolloquium über Kontinuität und Wandel in Rudolf Steiners Biografie einlud, gab es nicht genügend Interessenten.

13 Hierzu Günter Röschert: Universalismus der Menschheit und Partikularismus der Kulturen in: Das Goetheanum,

14 Siegmund Freud: Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, Vorlesung XVIII.

15 Die radikale Reduzierung aller Bewusstseinsinhalte auf geschichtliche Bedingungen oder auf das Wissen des Alltags. Näheres bei Peter L. Berger, Thomas Luckmann: Die soziale Konstruktion der Wirklichkeit, Frankfurt a.M. 1970.

16 Illusionierung des Bewusstseins durch Nachweis korrespondierender Gehirnvorgänge.

17 Aus den letzten Lebenswochen Rudolf Steiners stammt der Satz: Zur Realität der Ideenwelt wird man gelangen, »wenn Anthroposophie den Weg finden wird von den Ideen zu dem Geist-Erleben in den Ideen« (Hervorhebung R. Steiner). Anthroposophische Leitsätze (GA 26), 1962 S. 247.

18 Noch vor wenigen Jahren wurden z.B. affirmative Äußerungen über den Islam mit wütenden Protesten beantwortet.

19 Vgl. Anm. 8.

20 Dazu: »Die ganz öffentlichen Schriften sind das Ergebnis dessen, was in mir rang und arbeitete; in den Privatdrucken (der Mitgliedervorträge G.R.) ringt und arbeitet die Gesellschaft mit.« Rudolf Steiner in: Mein Lebensgang (GA 28), Kap. XXXV.

21 Zusammenfassung des Zanderschen Argumentationsganges.

22 Der Begriff der Akasha-Chronik ist komplex, was Kritikern wiederholt zu schaffen machte. Eine Vorstellung vom Komplexitätsgrad des Begriffes ergibt sich z.B. aus Valentin Tomberg: Die großen Arkana des Tarot, Freiburg i.B. 31993, Band 2, XX. Brief, wonach die Chronik der Tatsachen, der Wahrheit und der Auferstehung zu unterscheiden ist. Steiner vertritt auf dem Umweg über die Akasha-Chronik keineswegs eine obskure Form des Platonismus.

23 Vgl. Günter Röschert: Die Lage der Anthroposophie in der heutigen Gesellschaft, in: Die Drei, Nr. 6/2002. Die von Schüler- bzw. Leserseite rezipierten Steineraussagen besitzen im Bewusstsein der Empfänger zu einem sehr großen Teil nur den Erkenntnisstatus von Vermutungen (Konjekturen).

24 R. Steiner 1899: »Davon haben heute wenige Menschen eine Ahnung: Dass etwas wahr sein kann, auch wenn das Gegenteil davon mit nicht geringerem Rechte behauptet werden kann. Unbedingte Wahrheiten gibt es nicht.« in: Methodische Grundlagen der Anthroposophie (GA 30, S. 394).

25 Hierzu liegen bereits beachtliche Beiträge vor, zuletzt von Winfried Altmann: Song of Waitaha, Dornach 2006, über die Tradition der Maori in Neuseeland.

26 Für das Christentum ausführlich dargestellt in Reinhold Bernhardt: Der Absolutheitsanspruch des Christentums, Von der Aufklärung bis zur pluralistischen Religionstheologie, Gütersloh 1990, mit Literaturangaben.

27 »Die unbedingte Wahrheit findet sich nur jenseits ihrer gesamten möglichen Ausdrucksweisen.« »Die absolute Wahrheit ist nur in der Tiefe, nicht auf der Oberfläche des Seins.« Frithjof Schuon: Von der inneren Einheit der Religionen, Interlaken 1981, S. 22, 27. »Es besteht die Wahl zwischen einem Absolutismus, der alle Manifestationen des Absoluten außer der eigenen verwirft und einem Relativismus, der die Bedeutung des Absoluten überhaupt zerstört.« Seyyed Hossein Nasr: Die Erkenntnis und das Heilige, München 1990, S. 384.

28 Erster Teil des Aufsatzes Anm. 12 (zu GA 131).

29 Interview in: Das Goetheanum, Nr. 27/2007.

30 Zur Frage der Objektivität vgl. Marek M. Majorek: Objektivität. Ein Erkenntnisideal auf dem Prüfstand, Tübingen und Bern 2002.

31 Vgl. Helmut Kiene: Grundlinien einer essentialen Wissenschaftstheorie, Stuttgart 1984.

32 Beispiele: Karl Jaspers: Vom Ursprung und Ziel der Geschichte (1949). Jaspers Begriff der »Achsenzeit« ist historistisch unbegründbar. Vgl. Leonhard Reinisch: Vom Sinn der Geschichte als Wissenschaft, München 1961; Theodor Schieder: Geschichte als Wissenschaft, München 1968; darin: »Der Historismus in seiner alten Form ist untergegangen.« (S. 152) Schieder, der selbst eine Sturkturtheorie der Geschichte entwarf, bezeichnet es als »Ursünde des Historismus, dass er jeden Bezug zum Normativen (d.h. hier zur Idee G.R.) verloren habe.

33 Zander, der am überholten theosophischen Rassenbegriff als Mittel der Steinerkritik festhält, sieht in der anthroposophischen Kulturentwicklungslehre einen Sozialdarwinismus ohne Selektionstheorie am Werke (1688 f.).

34 Geisteswissenschaftliche Menschenkunde (GA 117), Vortrag Berlin 17.6.1909.

35 GA 8 (1910), Kap. Vom Wesen des Christentums.

36 Seit Hermann Salomon Reimarus (1684-1768).

37 UTB 130, S. 49, 621. Schweitzers Beurteilung ist gerade heute von aktuellstem Interesse, insoferne z.B. der Islam eine vergleichbare Wahrhaftigkeitstat am Koran noch nicht zustande gebracht hat.

38 Näheres bei Hellmut Haug: Geistesschau oder Verstandeswissen, in: Die Drei, Nr. 6/2002.

39 Die theologische Trinitätslehre ist in den letzten Jahren verschiedentlich problematisiert worden: Karl-Heinz Ohlig: Ein Gott in drei Personen?, Mainz 1999; H.M. Kuitert: Kein zweiter Gott. Jesus und das Ende des kirchlichen Dogmas, Düsselsdorf 2004.

40 Rudolf Steiner: Die Stufen der höheren Erkenntnis (GA 12).

41 Info 3, Nr. 10/2007, S. 28 ff.