Die psychologischen Grundlagen und die erkenntnistheoretische Stellung der Anthroposophie | 1911

Rudolf Steiner. Vortrag auf dem 4. Internationalen Philosophie-Kongress in Bologna, 8. April 1911. Sonderdruck 1911. GA 35

Die Aufgabe, welche ich mir in den folgenden Ausführungen stellen möchte, soll sein, über den wissenschaftlichen Charakter und Wert einer Geistesströmung zu sprechen, welcher man in weiten Kreisen gegenwärtig noch das Prädikat «wissenschaftlich» zu bestreiten geneigt ist. Diese Geistesströmung trägt im Hinblick auf mancherlei Versuche, welche in ihrer Art in unserer Zeit unternommen worden sind, den Namen Theosophie (Anthroposophie). Mit diesem Namen werden in der Geschichte der Philosophie gewisse Geistesrichtungen belegt, welche im Verlauf des menschlichen Kulturlebens von Zeit zu Zeit immer wieder auftauchen, und mit denen sich dasjenige, was hier vorgebracht werden soll, keineswegs deckt, obwohl es in mancher Beziehung an sie anklingt. Deshalb soll hier nur dasjenige in Betracht kommen, was im Verlaufe der Darstellung als eine besondere Geistesart charakterisiert werden kann, ohne Rücksicht auf Meinungen, welche möglich sind in bezug auf vieles, was man gewohnt ist, als «Theosophie» zu bezeichnen.

Es wird durch Einhaltung dieses Gesichtspunktes allein möglich sein, in präziser Art zum Ausdruck zu bringen, wie sich das Verhältnis der hier gemeinten Geistesrichtung zu den wissenschaftlich-philosophischen Vorstellungsarten der Gegenwart ansehen lässt.

Zunächst liegt – das sei rückhaltlos zugestanden – die Sache so, dass sich dasjenige, was man «Theosophie» zu nennen gewohnt ist, schon in bezug auf den Erkenntnisbegriff nur schwer zusammenbringen lässt mit allem, was in der Gegenwart als Idee von «Wissenschaft» und «Erkenntnis» festgestellt zu sein scheint und was für die Kultur der Menschheit so reichen Segen gebracht hat und zweifellos weiter bringen wird. Die letzten Jahrhunderte haben dahin geführt, als «wissenschaftlich» dasjenige gelten zu lassen, was sich durch Beobachtung, Experiment und deren Bearbeitung durch den menschlichen Intellekt jederzeit für jeden Menschen ohne weiteres nachprüfen lässt. Dabei muss aus den wissenschaftlichen Feststellungen alles das ausgeschlossen werden, was nur innerhalb der subjektiven Erlebnisse der menschlichen Seele eine Bedeutung hat. Es wird nun kaum geleugnet werden können, dass sich der philosophische Erkenntnisbegriff seit langer Zeit der eben charakterisierten wissenschaftlichen Vorstellungsart anbequemt hat.

Man kann das wohl am besten ersehen aus den Untersuchungen, die in unserer Zeit darüber gepflogen worden sind, was Gegenstand einer möglichen menschlichen Erkenntnis sein kann, und wovor diese Erkenntnis ihre Grenzen zu bekennen hat. Es wäre unnötig, wenn ich an dieser Stelle durch einen Abriss der erkenntnistheoretischen Untersuchungen in der Gegenwart die eben ausgesprochene Behauptung belegen wollte. Ich möchte nur den Zielpunkt dieser Untersuchungen betonen. Es wird bei ihnen vorausgesetzt, dass durch das Verhältnis des Menschen zur Außenwelt sich ein festzustellender Begriff von dem Wesen des Erkenntnisprozesses ergibt, und dass sich dann auf Grund dieses Erkenntnisbegriffes der Umfang des wissenschaftlich Erreichbaren charakterisieren lässt. Mögen die einzelnen erkenntnistheoretischen Richtungen noch so sehr auseinandergehen: wenn man die obige Charakteristik nur weit genug fasst, so wird man in ihr das Gemeinsame der einschlägigen philosophischen Richtungen finden können.

Nun ist der Erkenntnisbegriff dessen, was hier mit Anthroposophie gemeint ist, ein solcher, der dem oben charakterisierten zu widersprechen scheint. Erkenntnis wird von ihr als etwas angenommen, was sich nicht unmittelbar aus einer Betrachtung der menschlichen Wesenheit und ihrer Beziehung zur Außenwelt ergibt. Sie glaubt auf Grund sicherer Tatsachen des Seelenlebens behaupten zu dürfen, dass Erkenntnis nichts Fertiges, Abgeschlossenes, sondern etwas Fließendes, Entwicklungsfähiges ist. Sie glaubt hinweisen zu dürfen darauf, dass es hinter dem Umkreis des normal bewussten Seelenlebens ein anderes gibt, in welches der Mensch eindringen kann.

Und es ist notwendig zu betonen, dass mit diesem Seelenleben nicht dasjenige gemeint ist, was man gegenwärtig als «Unterbewusstsein» zu bezeichnen gewohnt ist. Dieses «Unterbewusstsein» mag Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung sein; es kann von dem Gesichtspunkte der gebräuchlichen Forschungsmethoden als Objekt untersucht werden. Mit jener Seelenverfassung, von welcher hier gesprochen werden soll, hat es nichts zu tun. Innerhalb dieser lebt der Mensch geradeso bewusst, sich logisch kontrollierend, wie er im Horizonte des gewöhnlichen Bewusstseins lebt. Nur muss diese Seelenverfassung erst durch bestimmte Seelenübungen, Seelenerlebnisse hergestellt werden. Sie kann nicht als ein gegebenes Faktum der menschlichen Wesenheit vorausgesetzt werden. In dieser Seelenverfassung tritt etwas auf, was als eine Fortentwickelung des menschlichen Seelenlebens bezeichnet werden darf, ohne dass bei dieser Fortentwickelung die Selbstkontrolle und die anderen Kennzeichen des bewussten Seelenlebens aufhören.

Ich möchte nun zunächst diese Seelenverfassung charakterisieren und dann zeigen, wie sich das, was durch sie gewonnen wird, hineinstellen kann in die wissenschaftlichen Erkenntnisbegriffe unserer Zeit. Meine erste Aufgabe soll also sein, zu schildern die Methode der hier gemeinten Geistesrichtung auf Grund möglicher Seelenentwickelung. Es darf genannt werden dieser erste Teil meiner Darstellung:

Eine geisteswissenschaftliche Betrachtungsart auf Grund gewisser psychologisch möglicher Tatsachen

Was hier charakterisiert wird, soll gelten als Seelenerlebnisse, die erfahren werden können, wenn gewisse Bedingungen in der menschlichen Seele hergestellt werden. Der erkenntnistheoretische Wert dieser Seelenerlebnisse soll erst nach ihrer einfachen Schilderung geprüft werden.

Als «Seelenübung» kann bezeichnet werden, was vorzunehmen ist. Der Anfang wird damit gemacht, dass Seeleninhalte, die für gewöhnlich nur in ihrem Wert als Abbilder eines äußeren Wirklichen nach bewertet werden, von einem anderen Gesichtspunkte aus genommen werden. In den Begriffen und Ideen, die sich der Mensch macht, will er zunächst etwas haben, was Abbild oder wenigstens Zeichen eines außerhalb der Begriffe oder Ideen Liegenden sein kann.

Der Geistesforscher in dem hier gemeinten Sinne sucht nach Seeleninhalten, die ähnlich sind den Begriffen und Ideen des gewöhnlichen Lebens oder der wissenschaftlichen Forschung; allein er betrachtet diese zunächst nicht in bezug auf ihren Erkenntniswert für ein Objektives, sondern er lässt sie in der eigenen Seele als wirksame Kräfte leben. Er senkt sie gewissermaßen als geistige Keime in den Mutterboden des seelischen Lebens und wartet in einer vollkommenen Seelenruhe ihre Wirkung auf das Seelenleben ab. Er kann dann beobachten, wie bei wiederholter Anwendung einer solchen Übung in der Tat die Verfassung der Seele sich ändert. Es muss aber ausdrücklich betont werden, dass die Wiederholung dasjenige ist, worauf es ankommt. Denn es handelt sich nicht darum, dass durch den Inhalt von Begriffen im gewöhnlichen Sinne nach Art eines Erkenntnisprozesses sich etwas in der Seele abspielt, sondern es handelt sich um einen realen Prozess im Seelenleben. In diesem Prozess wirken Begriffe nicht als Erkenntniselemente, sondern als reale Kräfte; und ihre Wirkung beruht auf dem oft wiederholten Ergriffenwerden des Seelenlebens von denselben Kräften. Und vorzüglich beruht alles darauf, dass die Wirkung in der Seele, welche erzielt worden ist durch das Erlebnis mit einem Begriff, als solche immer wieder ergriffen wird von der gleichen Kraft. Daher wird am meisten erzielt durch über längere Zeiträume sich erstreckende Meditationen über denselben Inhalt, die in bestimmten Zeiträumen wiederholt werden.

Die Länge einer solchen Meditation kommt dabei wenig in Betracht. Sie kann sehr kurz sein, wenn sie nur bei absoluter Seelenruhe und bei vollkommener Abgeschlossenheit der Seele von allen äußeren Wahrnehmungseindrücken und von aller gewöhnlichen Verstandestätigkeit verläuft. Auf Isolation des Seelenlebens mit dem angedeuteten Inhalte kommt es an. Das muss gesagt werden, weil klar sein soll, dass niemand durch Vornahme solcher Übungen in seinem gewöhnlichen Leben gestört zu sein braucht. Die Zeit, welche zu ihnen notwendig ist, hat jeder Mensch in der Regel zur Verfügung. Und die Änderung, welche durch sie im Seelenleben eintritt, bewirkt, wenn sie richtig vollzogen werden, nicht den geringsten Einfluss auf die Bewusstseinskonstitution, welche zum normalen Menschenleben erforderlich ist. (Dass bei der Art, wie der Mensch nun einmal ist, Übertreibungen und Sonderbarkeiten vorkommen, die nachteilig sind, kann an der Ansicht über das Wesen der Sache nichts ändern.)

Nun sind zu der geschilderten Verrichtung der Seele die meisten Begriffe des Lebens am wenigsten brauchbar. Alle Seeleninhalte, welche im ausgesprochenen Maße auf ein außer ihnen liegendes Objektives sich beziehen, sind für die charakterisierten Übungen von geringer Wirkung. Es kommen vielmehr besonders solche Vorstellungen in Betracht, welche man als Sinnbilder, Symbole bezeichnen kann. Am fruchtbarsten sind diejenigen, welche sich in lebendiger Art zusammenfassend auf einen mannigfaltigen Inhalt beziehen.

Man nehme als ein erfahrungsgemäß gutes Beispiel das, was Goethe als seine Idee von der «Urpflanze» bezeichnet hat. Es darf darauf hingewiesen werden, wie er von dieser «Urpflanze» einmal in Anlehnung an ein Gespräch mit Schiller mit wenigen Strichen ein symbolisches Bild gezeichnet hat. Auch hat er gesagt, dass derjenige, welcher dieses Bild in seiner Seele lebendig macht, an ihm etwas habe, aus dem durch gesetzmäßige Modifikationen alle möglichen Formen ersonnen werden können, welche die Möglichkeit des Daseins in sich tragen.

Man mag zu nächst über den objektiven Erkenntniswert einer solchen «symbolischen Urpflanze» denken, wie immer: wenn man sie in dem angedeuteten Sinne in der Seele leben lässt, wenn man ihre Wirkung auf das Seelenleben in Ruhe abwartet, dann tritt etwas von dem ein, was man veränderte Seelenverfassung nennen kann. Die Vorstellungen, welche von den Geistesforschern als in dieser Beziehung brauchbare Symbole genannt werden, mögen zuweilen recht sonderbar erscheinen.

Das Sonderbare kann abgestreift werden, wenn man bedenkt, dass solche Vorstellungen nicht nach ihrem Wahrheitswert im gewöhnlichen Sinne genommen werden dürfen, sondern daraufhin angesehen werden sollen, wie sie als reale Kräfte im Seelenleben wirken. Der Geistesforscher legt eben nicht Wert darauf, was die zur Seelenübung verwendeten Bilder bedeuten, sondern was unter ihrem Einflüsse in der Seele erlebt wird. Hier können naturgemäß nur einzelne wenige Beispiele wirksamer symbolischer Vorstellungen gegeben werden. Man denke sich die menschliche Wesenheit im Vorstellungsbilde so, dass die mit der tierischen Organisation verwandte niedrige Natur des Menschen im Verhältnis zu ihm als Geisteswesen durch sinnbildliches Zusammensein einer Tiergestalt mit daraufgesetzter höchstidealisierter Menschenform (etwa wie ein Kentaur) erscheint. Je bildhaft-lebensvoller, inhaltsgesättigter das Symbol erscheint, um so besser ist es. Dieses Symbol wirkt unter den angeführten Bedingungen so auf die Seele, dass diese nach Verlauf einer – allerdings längeren – Zeit die inneren Lebensvorgänge in sich gestärkt, beweglich, sich gegenseitig erhellend empfindet. Ein altes, gut brauchbares Symbol ist der sogenannte «Merkurstab», das heißt, die Vorstellung einer Geraden, um welche spiralig eine Kurve läuft. Man muss dann allerdings ein solches Gebilde als ein Kräftesystem sich verbildlichen, etwa so, dass längs der Geraden ein Kräftesystem läuft, dem gesetzmäßig ein anderes von entsprechend geringerer Geschwindigkeit in der Spirale entspricht. (Im Konkreten darf in Anlehnung daran vorgestellt werden das Wachstum des Pflanzenstengels und dazu gehörige Sich-Ansetzen der Blätter längs desselben; oder auch das Bild des Elektromagneten. Im weiteren ergibt sich auf solche Art auch das Bild der menschlichen Entwickelung, die im Leben sich steigernden Fähigkeiten symbolisiert durch die Gerade; die Mannigfaltigkeit der Eindrücke entsprechend dem Lauf der Spirale und so weiter.)

Besonders bedeutungsvoll können mathematische Gebilde werden, insofern in ihnen Sinnbilder von Weltvorgängen gesehen werden. Ein gutes Beispiel ist die sogenannte «Cassinische Kurve» mit ihren drei Gestalten, der ellipsenähnlichen Form, der Lemniskate und der aus zwei zusammengehörigen Ästen bestehenden Form. Es kommt in einem solchen Falle darauf an, die Vorstellung so zu erleben, dass dem Übergang der einen Kurvenform in die andere entsprechend mathematischer Gesetzmäßigkeit gewisse Empfindungen in der Seele entsprechen.

Zu diesen Übungen kommen dann andere. Sie bestehen auch in Symbolen, jedoch solchen, welche in Worten ausdrückbaren Vorstellungen entsprechen. Man denke sich die Weisheit, welche in der Ordnung der Welterscheinungen lebend und webend vorgestellt wird, durch das Licht symbolisiert. Weisheit, die in opfervoller Liebe sich darlebt, denke man von Wärme versinnlicht, die in Gegenwart des Lichtes entsteht. Aus solchen Vorstellungen denke man sich Sätze geprägt, die also nur sinnbildlichen Charakter haben.

Solchen Sätzen kann sich das Seelenleben in Meditation hingeben. Der Erfolg hängt im wesentlichen von dem Grade ab, welchen der Mensch in bezug auf Seelenruhe und Isolierung des Seelenlebens innerhalb der Symbole erreicht. Tritt der Erfolg ein, so besteht er darin, dass sich die Seele wie herausgehoben fühlt aus der körperlichen Organisation. Es tritt für sie etwas ein wie eine Änderung ihrer Seinsempfindung. Lässt man gelten, dass der Mensch sich im normalen Leben so fühlt, dass sein bewusstes Leben sich wie von einer Einheit ausgehend spezifiziert nach den Vorstellungen, die von den Wahrnehmungen der einzelnen Sinne herrühren, so fühlt sich die Seele infolge der Übungen durchsetzt von einem Erleben ihrer selbst, dessen Teile weniger schroffe Übergänge zeigen, wie zum Beispiel Farben- und Tonvorstellungen innerhalb des gewöhnlichen Bewusstseinshorizontes. Die Seele hat das Erlebnis, dass sie sich in ein Gebiet inneren Seins zurückziehen kann, das sie dem Erfolge der Übungen verdankt und das ein Leeres, ein Unwahrnehmbares war vor der Vornahme der Übungen.

Bevor ein solches inneres Erlebnis erreicht wird, finden mannigfaltige Übergänge in der Seelenverfassung statt. Einer derselben gibt sich kund in einem aufmerksamen – durch Übung zu erlangenden – Verfolgen des Augenblickes, in dem der Mensch aus dem Schlafe erwacht. Er kann da deutlich fühlen, wie von einem ihm vorher unbekannten Etwas Kräfte gesetzmäßig in das Gefüge der Körperorganisation eingreifen. Er fühlt, wie in einer Erinnerungsvorstellung, einen Nachklang von Wirkungen, die von diesem Etwas während des Schlafes auf die körperliche Organisation ausgegangen sind. Und hat der Mensch sich dann noch dazu die Fähigkeit angeeignet, das charakterisierte Etwas innerhalb seiner Körperorganisation zu erleben, so wird ihm der Unterschied klar in dem Verhältnis dieses Etwas zu dem Körper während des Wachens und des Schlafens. Er kann dann gar nicht anders, als sagen, dass dieses Etwas während des Wachens in dem Körper, während des Schlafens aber außerhalb des Körpers ist. Man muss nur mit diesem «innerhalb» und «außerhalb» nicht gewöhnliche räumliche Vorstellungen verbinden, sondern durch sie bezeichnen die spezifischen Erlebnisse, welche eine durch die charakterisierten Übungen gegangene Seele hat.

Die Übungen sind intimer seelischer Art. Sie gestalten sich für jeden Menschen in individueller Form. Ist einmal ein Anfang mit ihnen gemacht, so ergibt sich das Individuelle aus einer gewissen, aus dem Verlaufe zu machenden Seelenpraxis. Was sich aber mit zwingender Notwendigkeit herausstellt, ist das positive Bewusstsein von einem Leben in einer Realität, die gegenüber der äußeren Körperorganisation selbständig und von übersinnlicher Artist. Der Einfachheit wegen sei ein Mensch, der die charakterisierten Seelenerlebnisse sucht, ein «Geistesforscher» genannt. Für einen solchen Geistesforscher liegt das bestimmte, genauer Selbstkontrolle unterstellte Bewusstsein vor, dass der sinnlich wahrnehmbaren Körperorganisation eine übersinnliche zum Grunde liegt, und dass es möglich ist, sich selbst innerhalb derselben so zu erleben, wie das normale Bewusstsein sich erlebt innerhalb der physischen Körperorganisation. (Es ist hier nur möglich, die gemeinten Übungen im Prinzip anzudeuten. Eine ausführliche Darstellung findet man in meinem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?»http://www.anthroweb.info/rudolf-steiner-werke/ga10-wie-erlangt-man.html.)

Durch entsprechendes Fortsetzen der Übungen geht das charakterisierte Etwas in einen gewissermaßen geistig organisierten Zustand über. Das Bewusstsein wird sich klar darüber, dass es in ähnlicher Art in Beziehungen steht zu einer übersinnlichen Welt, wie es durch die Sinne in Erkenntnis-Beziehung steht zur Sinnenwelt. Es ist ganz selbstverständlich, dass gegenüber der Behauptung einer solchen Erkenntnis-Beziehung des übersinnlichen Teiles der menschlichen Wesenheit zur Umwelt gewichtige Bedenken ganz naheliegend sind.

Man kann geneigt sein, alles, was so erlebt wird, in das Gebiet der Illusion, der Halluzination, der Autosuggestion und so weiter zu verweisen. Eine theoretische Widerlegung solcher Bedenken muss im Grunde naturgemäß unmöglich sein. Denn es kann sich hierbei nicht um eine theoretische Auseinandersetzung über den Bestand einer übersinnlichen Welt handeln, sondern nur um mögliche Erlebnisse und Beobachtungen, die sich in genau der gleichen Art dem Bewusstsein ergeben wie die Beobachtungen, welche durch die äußeren Sinnesorgane vermittelt werden. Daher kann für die entsprechende übersinnliche Welt keine andere Art der Anerkennung erzwungen werden, wie diejenige ist, welche der Mensch der Farben-, der Tonwelt und so weiter entgegenbringt.

Berücksichtigt muss nur werden, dass dann, wenn die Übungen in der rechten Art, vor allem mit nie erlahmender Selbstkontrolle gemacht werden, in der unmittelbaren Erfahrung sich der Unterschied des vorgestellten Übersinnlichen von dem wahrgenommenen mit der gleichen Sicherheit für den Geistesforscher ergibt, wie sich in bezug auf die Sinneswelt der Unterschied ergibt zwischen einem vorgestellten Stücke heißen Eisens und einem wirklich berührten.

Gerade im Hinblick auf den Unterschied zwischen Halluzination, Illusion und übersinnlicher Wirklichkeit eignet sich der Geistesforscher durch seine Übungen eine immer untrüglicher werdende Praxis an. Naturgemäß ist aber auch, dass der besonnene Geistesforscher im eminentesten Sinne kritisch sein muss gegenüber den einzelnen von ihm gemachten übersinnlichen Beobachtungen. Und er wird eigentlich niemals in bezug auf positive Ergebnisse der übersinnlichen Forschung anders sprechen als mit dem Vorbehalt: dies oder jenes ist beobachtet worden; und die dabei geübte kritische Vorsicht berechtigt zu der Annahme, dass jeder, welcher sich durch entsprechende Übungen in Verhältnis bringen kann zu der übersinnlichen Welt, dieselben Beobachtungen machen wird. Differenzen in den Angaben der einzelnen Geistesforscher können eigentlich nicht in einem anderen Licht gesehen werden, als die voneinander differierenden Angaben verschiedener Reisenden, welche dieselbe Gegend besucht haben und beschreiben.

In meinem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?»http://www.anthroweb.info/rudolf-steiner-werke/ga10-wie-erlangt-man.html habe ich im Einklange mit den Gewohnheiten derjenigen, welche sich auf demselben Felde als Geistesforscher betätigt haben, diejenige Welt, welche auf die beschriebene Art im Bewusstseinshorizonte auftaucht, die «imaginative Welt» genannt. Es muss nur von diesem rein als technischer Ausdruck gebrauchten Worte alles ferngehalten werden, was etwa auf eine bloß «eingebildete» Welt deuten könnte. «Imaginativ» soll nur auf die qualitative Beschaffenheit des Seeleninhaltes deuten. Dieser Seeleninhalt ist seiner Form nach ähnlich den «Imaginationen» des gewöhnlichen Bewusstseins, nur dass sich innerhalb der physischen Welt eine Imagination nicht unmittelbar auf ein Wirkliches bezieht, während die Imaginationen des Geistesforschers ebenso eindeutig einem Übersinnlich-Wirklichen zuzuteilen sind, wie zum Beispiel in der physischen Welt eine Farbenvorstellung eindeutig einem Objektiv-Wirklichen zugeteilt wird.

Mit der «imaginativen Welt» und ihrer Erkenntnis ist für den Geistesforscher aber nur der erste Schritt gemacht. Und es ist durch sie kaum mehr von der übersinnlichen Welt zu erfahren als deren Außenseite. Ein weiterer Schritt ist notwendig. Er besteht in einer noch weitergehenden Vertiefung des Seelenlebens, als sie für den ersten Schritt in Betracht gezogen worden ist.

Der Geistesforscher muss sich fähig machen durch scharfes Konzentrieren auf dasjenige Seelenleben, das sich in ihm durch die Symbole ergibt, den Inhalt der Symbole aus seinem Bewusstsein vollständig zu entfernen. Was er dann noch innerhalb des Bewusstseins festzuhalten hat, ist nur der Vorgang, dem sein Seelenleben unterworfen war, während er sich an die Symbole hingegeben hat. In einer Art realer Abstraktion muss der Inhalt des Symbol-Vorstellens abgeworfen werden, und nur die Form des Erlebens an den Symbolen im Bewusstsein vorhanden bleiben. Damit wird der unreale, bloß für eine Übergangsstufe der Seelenentwickelung bedeutungsvolle sinnbildliche Charakter des Vorstellens entfernt, und das Bewusstsein macht das innere Weben des Seeleninhaltes zum Gegenstande der Meditation. Was man von einem solchen Vorgang beschreiben kann, verhält sich zu dem realen Seelenerlebnis in der Tat wie ein schwacher Schatten zu dem schattenwerfenden Gegenstand. Was in der Beschreibung einfach erscheint, erhält seine bedeutungsvolle Wirkung durch die aufgewendete psychische Energie.

Das auf solche Art erlangte Weben in dem Seeleninhalte kann reale Selbstanschauung genannt werden. Es lernt sich dabei das menschliche Innere kennen, nicht bloß durch Reflexion auf sich selbst als den Träger der Sinneseindrücke und des gedanklichen Verarbeiters dieser Sinneseindrücke, sondern es lernt sich das Selbst kennen, wie es ist, ohne Beziehung auf einen sinnenfälligen Inhalt; es erlebt sich in sich selber als übersinnliche Realität. Es ist dieses Erleben nicht so, wie dasjenige des Ich, wenn in der gewöhnlichen Selbstbeobachtung die Aufmerksamkeit von dem Erkannten der Umwelt abgezogen und auf das erkennende Selbst reflektiert wird. In diesem Falle schrumpft gewissermaßen der Inhalt des Bewusstseins immer mehr zu dem Punkte des «Ich» zusammen. Dies ist bei der realen Selbstanschauung des Geistesforschers nicht der Fall. Bei ihr wird der Seeleninhalt im Verlaufe der Übungen immer reicher. Und er besteht in einem Leben in gesetzmäßigen Zusammenhängen, und das Selbst fühlt sich nicht wie bei den Naturgesetzen, welche aus den Erscheinungen der Umwelt abstrahiert werden, außerhalb des Gewebes von Gesetzen; sondern es empfindet sich innerhalb dieses Gewebes; es erlebt sich als Eins mit demselben.

Die Gefahr, welche in diesem Stadium der Übungen sich ergeben kann, liegt darin, dass beim Mangel an wahrer Selbstkontrolle der Übende zu früh das rechte Ergebnis erlangt zu haben glaubt und dann nur den Nachklang der symbolischen Vorstellungen wie ein inneres Leben empfindet. Ein solches ist selbstverständlich wertlos und darf nicht mit dem inneren Leben verwechselt werden, das im rechten Augenblick eintritt, und das wirklicher Besonnenheit dadurch sich zu erkennen gibt, dass es, obgleich es volle Realität zeigt, doch keiner vorher gekannten Realität gleichkommt.

Für ein so erlangtes inneres Leben ist nun eine übersinnliche Erkenntnis möglich, welche einen höheren Grad von Sicherheit in sich trägt als das bloße imaginative Erkennen. Es stellt sich auf diesem Punkte der Seelenentwickelung das Folgende ein. Es erfüllt sich nach und nach das innere Erleben mit einem Inhalt, der in die Seele von außen kommt, in ähnlicher Art wie der Inhalt der sinnlichen Wahrnehmung aus der physischen Außenwelt durch die Sinne. Nur ist die Erfüllung mit übersinnlichem Inhalt ein unmittelbares Leben in diesem Inhalt.

Will man einen Vergleich mit einer Tatsache des gewöhnlichen Lebens gebrauchen, so kann man sagen: das Zusammengehen des Ich mit einem geistigen Inhalt wird nunmehr so erfahren, wie das Zusammengehen des Ich mit einer im Gedächtnisse bewahrten Erinnerungsvorstellung. Nur liegt der Unterschied vor, dass sich der Inhalt dessen, womit man zusammengeht, in nichts vergleichen lässt mit einem vorher Erlebten, und dass er nicht auf ein Vergangenes, sondern nur auf ein Gegenwärtiges bezogen werden kann. Wenn bei dem Worte an nichts gedacht wird als an das hier Charakterisierte, dann darf man wohl eine so geartete Erkenntnis eine solche «durch Inspiration» nennen. So habe ich den Ausdruck als terminus technicus in meinem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» gebraucht.

Es tritt nun bei dieser «Erkenntnis durch Inspiration» ein neues Erlebnis auf. Die Art, wie man sich des Seeleninhaltes bewusst wird, ist nämlich eine ganz subjektive. Zunächst erweist sich der Inhalt gar nicht als objektiv. Man weiß ihn als einen erlebten; aber man fühlt sich ihm nicht gegenübergestellt. Das Letztere tritt erst ein, wenn man ihn durch Seelenenergie gewissermaßen in sich selbst verdichtet. Dadurch wird er erst zu dem, was man objektiv anschauen kann. In diesem Prozesse der Psyche wird man aber gewahr, dass zwischen der physischen Leibesorganisation und jenem Etwas, das man durch die Übungen von dieser abgetrennt hat, noch etwas dazwischenliegt. Will man Namen für diese Dinge haben, so kann man, wenn man mit diesen Namen nicht allerlei Phantastisches verknüpft, sondern lediglich das mit ihnen belegt, was hier charakterisiert ist, diejenigen gebrauchen, welche in der sogenannten «Theosophie» üblich geworden sind. Es wird da jenes Etwas, in dem das Selbst als in einem von der Körper-Organisation unabhängigen lebt, der Astralleib genannt; und dasjenige, was zwischen diesem Astralleib und dem physischen Organismus sich ergibt, wird Ätherleib genannt. (Wobei natürlich nicht an den «Äther» der modernen Physik zu denken ist.)

Aus dem Ätherleib stammen nun die Kräfte, durch welche das Selbst in die Lage kommt, den subjektiven Inhalt der inspirierten Erkenntnis zur objektiven Anschauung zu machen. Mit welchem Rechte, so kann mit gutem Grunde gefragt werden, kommt nun der Geistesforscher dazu, diese Anschauung auf eine übersinnliche geistige Welt zu beziehen und sie nicht bloß für ein Erzeugnis seines Selbst zu halten?

Er hätte dazu kein Recht, wenn ihn nicht der Ätherleib, den er bei seinem psychischen Prozess erlebt, in seiner inneren Gesetzlichkeit mit objektiver Notwendigkeit dazu zwänge. Dies ist aber der Fall. Denn der Ätherleib wird erlebt als ein Zusammenfluss der allumfassenden Gesetzmäßigkeit des Makrokosmos. Wie viel von dieser Gesetzmäßigkeit dem Geistesforscher zum wirklichen Bewusstseinsinhalt wird, darauf kommt es dabei nicht an. Es liegt das Eigentümliche darin, dass in unmittelbarem Wissen klar ist: der Ätherleib ist nichts anderes als ein zusammengedrängtes, die Weltgesetzlichkeit in sich spiegelndes Bild der kosmischen Gesetzmäßigkeit. Das Wissen von dem Ätherleib erstreckt sich zunächst für den Geistesforscher nicht darauf, welchen Inhalt dieses Gebilde aus der Summe der allgemeinen Weltgesetzlichkeit spiegelt, sondern darauf, was dieser Inhalt ist.

Die berechtigten Bedenken, welche das gewöhnliche Bewusstsein gegen die Geistesforschung zunächst erheben muss, sind außer vielem ändern noch die folgenden. Man kann sich die Ergebnisse dieser Forschung ansehen (wie sie in der gegenwärtigen Literatur vorliegen) und kann sagen: Ja, was ihr da beschreibt als Inhalt der übersinnlichen Erkenntnis, erweist sich doch bei näherem Zusehen als nichts anderes denn als Kombinationen der gewöhnlichen aus der Sinnenwelt gekommenen Vorstellungen.

Und so ist es in der Tat. (Auch in den Darstellungen der höheren Welten, welche ich selbst in meiner «Theosophie» und in meiner http://www.anthroweb.info/ga13_geheimwissenschaft.html«Geheimwissenschaft»http://www.anthroweb.info/rudolf-steiner-werke/ga13-geheimwissenschaft.html geben durfte, findet man, wie es scheint, nichts als Kombinationen der aus der Sinnenwelt genommenen Vorstellungen. So wenn die Entwickelung der Erde durch Kombinationen von Wärme-, Licht– und so weiter Entitäten dargestellt wird.)

Dagegen aber muss folgendes gesagt werden. Wenn der Geistesforscher seine Erlebnisse zum Ausdruck bringen will, so ist er genötigt, das in einer übersinnlichen Sphäre Erlebte durch die Mittel des sinnlichen Vorstellens darzustellen. Sein Erleben ist dann nicht aufzufassen, wie wenn es gleich wäre seinen Ausdrucksmitteln, sondern so, dass er sich dieser Ausdrucksmittel nur bedient wie der Worte einer ihm notwendigen Sprache. Man muss den Inhalt seines Erlebens nicht in den Ausdrucksmitteln, das heißt, in den versinnlichenden Vorstellungen suchen, sondern in der Art, wie er sich dieser Ausdrucksmittel bedient. Der Unterschied seiner Darstellung von einem phantastischen Kombinieren sinnlicher Vorstellungen liegt in der Tat nur darin, dass phantastisches Kombinieren der subjektiven Willkür entspringt, die Darstellung des Geistesforschers aber auf dem durch Übung erlangten Einleben in die übersinnliche Gesetzmäßigkeit beruht.

Hier aber ist auch der Grund zu suchen, warum die Darstellungen des Geistesforschers so leicht missverstanden werden können. Es kommt nämlich bei ihm wirklich weniger darauf an, was er sagt, sondern wie er spricht. In dem «Wie» liegt der Abglanz seiner übersinnlichen Erlebnisse. Wenn jemand den Einwand machte: dann habe ja doch dasjenige, was der Geistesforscher sagt, gar keinen unmittelbaren Bezug auf die gewöhnliche Welt, so muss geltend gemacht werden, dass die Art der Darstellung in der Tat für praktische Erklärungsbedürfnisse der Sinnenwelt aus einer übersinnlichen Sphäre heraus genügt und bei einem wirklichen Eingehen auf die Feststellungen des Geistesforschers das Verständnis des sinnenfälligen Weltverlaufes gefördert wird.

Ein anderer Einwand kann sich erheben. Man kann sagen: Was haben die Behauptungen des Geistesforschers mit dem Inhalt des gewöhnlichen Bewusstseins zu tun. Dieses könne sie ja doch nicht kontrollieren. – Eben dieses letztere ist im Prinzip unrichtig. Zum Forschen in der übersinnlichen Welt, zum Aufsuchen von deren Tatsachen ist die Seelenverfassung notwendig, welche nur durch die charakterisierten Übungen erlangt werden kann. Nicht aber zur Kontrolle. Dazu genügt, wenn der Geistesforscher seine Erlebnisse mitgeteilt hat, die gewöhnliche unbefangene Logik. Diese letztere wird im Prinzip immer entscheiden können: wenn das wahr ist, was der Geistesforscher sagt, dann ist der Welt- und Lebensverlauf, so wie diese sich sinnenfällig abspielen, verständlich. Als was man die Erlebnisse des Geistesforschers zunächst ansieht, darauf kommt es nicht an. Man kann in ihnen Hypothesen, regulative Prinzipien (im Sinne der Kantschen Philosophie) sehen. Man wende sie nur an auf die sinnenfällige Welt, und man wird schon sehen, wie diese in ihrem Verlaufe alles bestätigt, was vom Geistesforscher behauptet wird. (Dies gilt natürlich nicht anders als im Prinzip; im einzelnen können selbstverständlich die Behauptungen der sogenannten Geistesforscher die größten Irrtümer enthalten.)

Ein weiteres Erlebnis des Geistesforschers kann sich nur ergeben, wenn die Übungen noch fortgesetzt werden. Diese Fortsetzung muss darin bestehen, dass der Geistesforscher nach erlangter Selbstanschauung diese durch energische Willenskraft zu unterdrücken vermag. Er muss die Seele frei machen können von allem, was noch unter der Nachwirkung seiner an die sinnliche Außenwelt sich anlehnenden Übungen erlangt worden ist. Die Symbol-Vorstellungen sind kombiniert aus sinnlichen Vorstellungen; das Weben des Selbst in sich bei erlangter inspirierter Erkenntnis ist zwar frei von dem Inhalt der Symbole; aber es ist doch eine Wirkung der Übungen, welche unter ihrem Einfluss angestellt worden sind.

Wenn so die inspirierte Erkenntnis auch schon ein unmittelbares Verhältnis des Selbst zur über sinnlichen Welt herstellt, so kann das reine Anschauen dieses Verhältnisses doch noch weiter getrieben werden. Das geschieht durch energisches Unterdrücken der erlangten Selbstschau. Das Selbst wird nach dieser Unterdrückung entweder dem Leeren gegenüber sich finden. In diesem Falle müssen die Übungen fortgesetzt werden. Oder aber es wird sich dem Wesenhaften der übersinnlichen Welt noch unmittelbarer gegenübergestellt finden als bei der inspirierten Erkenntnis. Bei dieser erscheint nur das Verhältnis einer übersinnlichen Welt zum Selbst; bei der hier charakterisierten Erkenntnisart ist das Selbst vollständig ausgeschaltet. Will man einen dem gewöhnlichen Bewusstsein angepassten Ausdruck haben für diese Seelenverfassung, dann kann man sagen: das Bewusstsein erlebe sich nunmehr als Schauplatz, auf dem ein wesenhafter übersinnlicher Inhalt nicht vorgestellt wird, sondern sich selbst vorstellt. (Ich habe diese Erkenntnisart in meinem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» das «intuitive Erkennen» genannt, wobei abgesehen werden muss von dem gewöhnlichen Begriff «Intuition», der jedes unmittelbare gefühlsmäßige Erleben eines Bewusstseinsinhaltes bezeichnen will.)

Durch intuitive Erkenntnis wandelt sich für die unmittelbare Seelen-Innen-Beobachtung das ganze Verhältnis um, in dem sich der Mensch als «Seele» zu seiner Leibesorganisation empfindet. Es tritt gewissermaßen vor das geistige Anschauungsvermögen der Ätherleib als ein in sich differenzierter übersinnlicher Organismus. Und man erkennt seine differenzierten Glieder als zugeordnet den Gliedern der physischen Leibesorganisation in einer bestimmten Weise. Man empfindet den Ätherleib als das Primäre und den physischen Leib als dessen Abbild, als ein Sekundäres. Der Horizont des Bewusstseins erscheint bestimmt durch das gesetzmäßige Wirken des Ätherleibes. Die Zusammenordnung der Erscheinungen auf diesem Horizont ergibt sich als die Wirkung der differenzierten Glieder des Ätherleibes nach einer Einheit hin. Es liegt dem Ätherleib die allumfassende kosmische Gesetzmäßigkeit zu Grunde; der Vereinheitlichung seines Wirkens liegt die Tendenz zu Grunde, sich auf etwas wie auf einen Mittelpunkt zu beziehen. Und das Bild dieser Einheitstendenz ist der physische Leib. So erweist sich der letztere als Ausdruck des Welt-Ich, wie sich der Ätherleib als Ausdruck der makrokosmischen Gesetzmäßigkeit erweist.

Deutlicher wird das hier Dargestellte werden, wenn von einer besonderen Tatsache des Seelen-Innenlebens gesprochen wird. Es soll in bezug auf das Gedächtnis geschehen. Der Geistesforscher erlebt durch die Ablösung des Selbst von der Leibesorganisation die Erinnerung anders als das gewöhnliche Bewusstsein. Für ihn legt sich die Erinnerung, die sonst ein ziemlich undifferenzierter Vorgang ist, in Teil-Fakten auseinander.

Zunächst empfindet er den Zug nach einem Erlebnis, das erinnert werden soll, wie die Hinlenkung der Aufmerksamkeit nach einer bestimmten Richtung. Das Erlebnis ist dabei wirklich analog dem räumlichen Hinsehen auf einen fernen Gegenstand, den man erst angesehen hat, von dem man dann wegsieht, und sich wieder hinwendet. Das Wesentliche dabei ist, dass das zur Erinnerung drängende Erlebnis als etwas empfunden wird, was im Zeithorizonte entfernt stehengeblieben ist, und was nicht etwa bloß aus den Tiefen des seelischen Unterlebens heraufgeholt wird. Dieses Hinwenden zu dem in die Erinnerung drängenden Erlebnis ist erst ein bloß subjektiver Vorgang.

Wenn nun die Erinnerung wirklich eintritt, dann fühlt der Geistesforscher, dass es der Widerstand des physischen Leibes ist, der wie eine spiegelnde Fläche wirkt, und der das Erlebte in die objektive Vorstellungswelt erhebt. Somit fühlt der Geistesforscher beim Erinnerungsvorgang zunächst ein Geschehen, das (subjektiv wahrnehmbar) innerhalb des Ätherleibes verläuft und das zu seiner Erinnerung wird durch die Spiegelung am physischen Leib. Das erste Faktum des Erinnerns würde nun nur zusammenhanglose Erlebnisse des Selbstes geben; dass jede Erinnerung sich spiegelt durch das Versenktwerden in das Leben des physischen Leibes: dadurch wird sie zu einem Teile der Ich-Erlebnisse.

Es ist aus alledem ersichtlich, dass der Geistesforscher in seinem inneren Erleben dazu kommt anzuerkennen, wie dem sinnenfälligen Menschen ein übersinnlicher zu Grunde liegt. Er sucht ein Bewusstsein dieses übersinnlichen Menschen nicht durch Schlussfolgerungen und Spekulationen auf Grundlage der unmittelbar gegebenen Welt zu erlangen; sondern dadurch, dass er die Seelenverfassung so umwandelt, dass sie sich aus der Wahrnehmung des Sinnfälligen zum realen Miterleben des Übersinnlichen heraushebt. Dadurch kommt er zur Anerkenntnis eines Seeleninhaltes, der reicher, inhaltvoller sich erweist als der des gewöhnlichen Bewusstseins.

Wozu dieser Weg dann weiter führt, das kann hier allerdings nur angedeutet werden, da eine ausführliche Darstellung ein umfassendes Werk in Anspruch nehmen würde. Das Innere der Seele wird dem Geistesforscher zum Produzenten, zum Bildner dessen, was das einzelne Menschenleben der physischen Welt ausmacht. Und dieser Produzent erweist sich so, dass er in seinem Leben real einverwoben hat die Kräfte nicht des einen Lebens, sondern vieler Leben.

Das, was als Reinkarnation, Wiederholung des Erdenlebens, gelten kann, wird zu einer wirklichen Beobachtung. Denn die Erfahrung über den inneren Kern des Menschenlebens zeigt gewissermaßen die Einschachtelung sich aufeinander beziehender Menschenpersönlichkeiten. Und diese können nur im Verhältnis des Vorher und Nachher empfunden werden. Denn es erweist sich immer eine folgende als das Ergebnis einer anderen. Es ist in dem Verhältnis der einen zur anderen Persönlichkeit auch nichts von Kontinuität; es ist vielmehr ein solches Verhältnis, das sich in aufeinanderfolgenden Erdenleben ausdrückt, die durch Zwischenzeiten eines rein geistigen Daseins getrennt sind. Die Zeiten, in welchen der geistige Wesenskern des Menschen in physischer Leibesorganisation verkörpert war, unterscheiden sich für die Seelen-Innen-Beobachtung von denjenigen der übersinnlichen Existenz dadurch, dass für die ersteren das Erleben des Seeleninhaltes wie auf den Hintergrund des physischen Lebens projiziert erscheint, für die letzteren aber eingetaucht in ein ins Unbestimmte verlaufendes Übersinnliches.

Es sollte hier in bezug auf die sogenannte Reinkarnation nichts weiter gegeben werden als eine Art Ausblick in eine Perspektive, die sich aus den vorhergehenden Betrachtungen eröffnet. Wer die Möglichkeit zugibt, dass das menschliche Selbst sich einleben kann in den übersinnlich-anschaulichen Wesenskern, der wird es auch nicht mehr unverständlich finden können, dass beim weiteren Einblick in diesen Wesenskern sich dessen Inhalt differenziert zeigt, und dass sich durch diese Differenzierung der geistige Anblick einer in die Vergangenheit laufenden Reihe von Existenzformen ergibt. Dass diese Existenzformen in sich selbst ihre Zeitdaten tragen, kann durch die Analogie mit dem gewöhnlichen Gedächtnis begreiflich erscheinen. Ein in der Erinnerung auftretendes Erlebnis trägt ja auch in seinem Inhalte sein Zeitdatum. Die wirkliche, von strenger Selbstkontrolle gestützte «Rückerinnerung» an vergangene Existenzformen ist allerdings noch weit abgelegen von jener Schulung des Geistesforschers, die vorher beschrieben worden ist, und es türmen sich große Schwierigkeiten des inneren Seelenlebens auf, bevor sie einwandfrei erreicht wird. Trotzdem liegt sie in der geraden Fortsetzung des beschriebenen Erkenntnisweges. Ich wollte hier zunächst Erfahrungstatsachen der Seelen-Innen-Beobachtung gewissermaßen registrieren. Deshalb habe ich auch die Reinkarnation nur als eine solche beschrieben. Man kann dieselbe aber auch theoretisch belegen. Dies habe ich in meiner «Theosophie» in dem Kapitel «Karma und Reinkarnation» getan. Da versuchte ich zu zeigen, wie gewisse Ergebnisse der neueren Naturwissenschaft «zu Ende gedacht» zu der Annahme der Reinkarnationsidee für den Menschen führen.

Für die Betrachtung der Gesamtnatur des Menschen ergibt sich aus dem Vorhergehenden, dass seine Wesenheit verständlich werden kann, wenn man dieselbe als das Ergebnis des Zusammenwirkens von vier Gliedern ansieht: 1. der physischen Leibesorganisation; 2. des Ätherleibes; 3. des Astralleibes und 4. des in dem letzteren sich ausbildenden, durch Beziehung des Wesenskernes auf die physische Organisation zur Erscheinung kommenden «Ich». Auf die weiteren Gliederungen dieser vier Lebensäußerungen des Gesamtmenschen kann im Räume eines Vortrages nicht eingegangen werden. Hier sollte nur die Grundlage der Geistesforschung aufgezeigt werden; weiteres habe ich auszuführen versucht: erstens methodisch in der Schrift «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» und zweitens systematisch in meiner «Theosophie» und meiner «Geheimwissenschaft im Umriss».

Die Erlebnisse des Geistesforschers und die Erkenntnistheorie

Die hier gemachten Ausführungen werden erkennen lassen, dass der im rechten Sinne verstandenen Anthroposophie ein in sich streng zu systematisierender Entwickelungsweg der menschlichen Seele zu Grunde liegt und dass es ein Irrtum wäre zu glauben, dass in der Seelenverfassung des Geistesforschers etwas von dem lebt, was man im gewöhnlichen Leben als Enthusiasmus, Ekstase, Verzückung, Vision und so weiter bezeichnet. Gerade durch die Verwechselung der hier charakterisierten Seelenverfassung mit solchen Zuständen müssen die Missverständnisse entstehen, welche der wahren Anthroposophie entgegengebracht werden können.

Erstens wird durch diese Verwechselung der Glaube erweckt, als ob in der Seele des Geistesforschers ein Entrücktsein von der Selbstkontrolle des Bewusstseins vorhanden wäre, eine Art Streben nach unmittelbarer, instinktiver Schauung. Es ist aber das Gegenteil der Fall. Und von der gewöhnlich so genannten Ekstase, Vision, von allem landläufigen Sehertum entfernt sich die Seelenverfassung des Geistesforschers noch mehr als das gewöhnliche Bewusstsein. Selbst solche Seelenverfassungen, wie sie zum Beispiel Shaftesbury im Auge hat, sind nebulose Innenwelten neben dem, was durch die Übungen des echten Geistesforschers angestrebt wird. Shaftesbury findet, dass durch «kalten Verstand» ohne Entrücktsein des Gemütes zu tieferen Erkenntnissen kein Weg führt. Die wahre Geistesforschung nimmt den ganzen inneren Seelenapparat von Logik und Selbstbesonnenheit mit, wenn sie das Bewusstsein aus der sinnlichen in eine übersinnliche Sphäre zu verlegen sucht. Deshalb kann gegen sie auch nicht vorgebracht werden, dass sie das rationelle Element der Erkenntnis unberücksichtigt lasse. Sie kann allerdings ihren Inhalt nicht nach der Wahrnehmung in Begriffen denkerisch bearbeiten, weil sie das rationelle Element bei ihrem Hinausgehen aus der Sinnenwelt stets mitnimmt und es wie ein Skelett der übersinnlichen Erfahrung in aller übersinnlichen Wahrnehmung als einen integrierenden Bestandteil stets beibehält.

Es ist naturgemäß hier unmöglich, die Geistesforschung in Beziehung zu setzen zu den verschiedenen erkenntnistheoretischen Richtungen der Gegenwart. Es soll deshalb – gleichsam probeweise – versucht werden, mit einigen – mehr aphoristischen – Bemerkungen auf die erkenntnistheoretische Auffassung und deren Bezug zur Geistesforschung hinzuweisen, welche gegenüber dieser letzteren die größten Schwierigkeiten empfinden muss. Es ist vielleicht nicht unbescheiden, darauf hinzuweisen, dass man eine vollständige Grundlage für die Auseinandersetzung zwischen Philosophie und Anthroposophie aus meinen Schriften gewinnen kann: «Wahrheit und Wissenschaft» und «Philosophie der Freiheit».

Für die Erkenntnistheorie unserer Zeit ist es immer mehr zu einer Art Axiom geworden, dass in dem Bewusstseinsinhalte zunächst nur Bilder, oder gar nur «Zeichen» (Helmholtz) des Transzendent-Wirklichen gegeben seien. Es braucht hier nicht auseinandergesetzt zu werden, wie die kritische Philosophie und die Physiologie («spezifische Sinnesenergien», Ansichten von Johannes Müller und seiner Nachfolger) zusammengewirkt haben, um eine solche Vorstellung zu einer scheinbar unabweislichen zu machen.

Der «naive Realismus», welcher in den Erscheinungen des Bewusstseinshorizontes etwas anderes sieht als Repräsentanten subjektiver Art für ein Objektives, galt in der philosophischen Entwickelung des neunzehnten Jahrhunderts als eine für alle Zeit überwundene Sache. Aus dem aber, was dieser Vorstellung zu Grunde liegt, ergibt sich fast mit Selbstverständlichkeit die Ablehnung des theosophischen Gesichtspunktes. Dieser kann ja für den kritischen Standpunkt nur als ein unmögliches Überspringen der im Wesen des Bewusstseins liegenden Grenzen angesehen werden. Wenn man eine unermesslich große, scharfsinnige Ausprägung von kritischer Erkenntnistheorie auf eine einfache Formel bringen will, so kann man etwa sagen: Der kritische Philosoph sieht in den Tatsachen des Bewusstseinshorizontes zunächst Vorstellungen, Bilder oder Zeichen, und eine mögliche Beziehung zu einem Transzendent-Äußeren könne nur innerhalb des denkenden Bewusstseins gefunden werden. Das Bewusstsein könne sich eben nicht selber überspringen, könne nicht aus sich heraus, um in ein Transzendentes unterzutauchen.

Solch eine Vorstellung hat in der Tat etwas an sich, was wie eine Selbstverständlichkeit erscheint. Und dennoch – sie beruht auf einer Voraussetzung, die man nur zu durchschauen braucht, um sie abzuweisen. Es klingt ja fast paradox, wenn man dem subjektiven Idealismus, der sich in der gekennzeichneten Vorstellung ausspricht, einen versteckten Materialismus vorwirft. Und doch kann man nicht anders.

Es möge, was hier gesagt werden kann, durch einen Vergleich veranschaulicht werden. Man nehme Siegellack und drücke darin mit einem Petschaft einen Namen ab. Der Name ist mit allem, worauf es bei ihm ankommt, von dem Petschaft in den Siegellack übergegangen. Was nicht aus dem Petschaft in das Siegellack hinüberwandern kann, ist das Metall des Petschafts. Man setze statt Siegellack das Seelenleben des Menschen und statt Petschaft das Transzendente. Es wird dann sofort ersichtlich, dass man von einer Unmöglichkeit des Herüberwanderns des Transzendenten in die Vorstellung nur sprechen kann, wenn man sich den objektiven Inhalt des Transzendenten nicht spirituell denkt, was dann in Analogie mit dem vollkommen in das Siegellack herübergenommenen Namen zu denken wäre. Man muss vielmehr die Voraussetzung zum Behufe des kritischen Idealismus machen, dass der Inhalt des Transzendenten in Analogie zu denken sei zum Metall des Petschaftes. Das aber kann gar nicht anders geschehen, als wenn man die versteckte materialistische Voraussetzung macht, das Transzendente müsse durch ein materiell gedachtes Herüberfließen in die Vorstellung von dieser aufgenommen werden. In dem Falle, dass das Transzendente ein spirituelles ist, ist der Gedanke eines Aufnehmens desselben von der Vorstellung absolut möglich.

Eine weitere Verschiebung gegenüber dem einfachen Tatbestande des Bewusstseins geschieht von dem kritischen Idealismus dadurch, dass dieser außer acht lässt, welche faktische Beziehung zwischen dem Erkenntnisinhalte und dem «Ich» besteht. Setzt man nämlich von vornherein voraus, dass das «Ich» mit dem Inhalte der in Ideen und Begriffe gebrachten Weltgesetze außerhalb des Transzendenten stehe, dann wird es eben selbstverständlich, dass dies «Ich» sich nicht überspringen könne, das heißt, stets außerhalb des Transzendenten bleiben müsse.

Nun ist aber diese Voraussetzung gegenüber einer vorurteilsfreien Beobachtung der Bewusstseinstatsachen doch nicht festzuhalten. Es soll der Einfachheit halber zunächst hier auf den Inhalt der Weltgesetzlichkeit verwiesen werden, insofern dieser in mathematischen Begriffen und Formeln ausdrückbar ist. Der innere gesetzmäßige Zusammenhang der mathematischen Formeln wird innerhalb des Bewusstseins gewonnen und dann auf die empirischen Tatbestände angewendet. Nun ist kein auffindbarer Unterschied zwischen dem, was im Bewusstsein als mathematischer Begriff lebt, wenn dieses Bewusstsein seinen Inhalt auf einen empirischen Tatbestand bezieht; oder wenn es diesen mathematischen Begriff in rein mathematischem abgezogenen Denken sich vergegenwärtigt. Das heißt aber doch nichts anderes als: das Ich steht mit seiner mathematischen Vorstellung nicht außerhalb der transzendent mathematischen Gesetzmäßigkeit der Dinge, sondern innerhalb. Und man wird deshalb zu einer besseren Vorstellung über das «Ich» erkenntnistheoretisch gelangen, wenn man es nicht innerhalb der Leibesorganisation befindlich vorstellt, und die Eindrücke ihm «von außen» geben lässt; sondern wenn man das «Ich» in die Gesetzmäßigkeit der Dinge selbst verlegt, und in der Leibesorganisation nur etwas wie einen Spiegel sieht, welcher das außer dem Leibe liegende Weben des Ich im Transzendenten dem Ich durch die organische Leibestätigkeit zurückspiegelt.

Hat man sich einmal für das mathematische Denken mit dem Gedanken vertraut gemacht, dass das «Ich» nicht im Leibe ist, sondern außerhalb desselben und die organische Leibestätigkeit nur den lebendigen Spiegel vorstellt, aus dem das im Transzendenten liegende Leben des «Ich» gespiegelt wird, so kann man diesen Gedanken auch erkenntnistheoretisch begreiflich finden für alles, was im Bewusstseinshorizonte auftritt.

Und man könnte dann nicht mehr sagen, das «Ich» müsse sich selbst überspringen, wenn es in das Transzendente gelangen wollte; sondern man müsste einsehen, dass sich der gewöhnliche empirische Bewusstseinsinhalt zu dem vom menschlichen Wesenskern wahrhaft innerlich durchlebten, wie das Spiegelbild sich zu dem Wesen dessen verhält, der sich in dem Spiegel beschaut.

Durch eine solche erkenntnistheoretische Vorstellung würde nun der Streit zwischen der zum Materialismus neigenden Naturwissenschaft und einer das Spirituelle voraussetzenden Geistesforschung in eindeutiger Art wirklich beigelegt werden können. Denn für die Naturforschung wäre freie Bahn geschaffen, indem sie die Gesetze der Leibesorganisation unbeeinflusst von einem Dazwischenreden einer spirituellen Denkart erforschen könnte. Will man erkennen, nach welchen Gesetzen das Spiegelbild entsteht, so ist man an die Gesetze des Spiegels gewiesen. Von diesem hängt es ab, wie der Beschauer sich spiegelt. Es geschieht in verschiedener Art, ob man einen Planspiegel, einen konvexen oder einen konkaven Spiegel hat. Das Wesen dessen, der sich spiegelt, liegt aber außerhalb des Spiegels.

So könnte man sehen in den Gesetzen, welche die Naturforschung ergibt, die Gründe für die Gestaltung des empirischen Bewusstseins; und in diese Gesetze wäre nichts einzumischen von dem, was die  Geisteswissenschaft über das innere Leben des menschlichen Wesenskernes zu sagen hat.

Innerhalb der Naturforschung wird man mit Recht sich immer wehren gegen ein Einmischen rein spiritueller Gesichtspunkte. Und auf dem Felde dieser Forschung ist es nur naturgemäß, dass man mehr sympathisiert mit Erklärungen, die mechanisch gehalten sind, als mit spirituellen Gesetzen. Eine Vorstellung wie die folgende muss dem in klaren naturwissenschaftlichen Vorstellungen Lebenden sympathisch sein: «Die Tatsache des Bewusstseins durch Gehirnzellen-Erregung ist nicht wesentlich anderer Ordnung als die Tatsache der an den Stoff gebundenen Schwerkraft» (Moritz Benedikt). Jedenfalls ist mit einer solchen Erklärung exakt methodologisch das naturwissenschaftlich Denkbare gegeben. Sie ist naturwissenschaftlich haltbar, während die Hypothesen von einem Regeln der organischen Vorgänge unmittelbar durch psychische Einflüsse naturwissenschaftlich unhaltbar sind.

Der vorhin charakterisierte erkenntnistheoretische Grundgedanke kann aber in dem ganzen Umfange des naturwissenschaftlich Feststellbaren nur Einrichtungen sehen, welche der Spiegelung des eigentlichen seelischen Wesenskernes des Menschen dienen. Dieser Wesenskern aber ist nicht in das Innere des physischen Organismus, sondern in das Transzendente zu verlegen. Und Geistesforschung wäre dann als der Weg zu denken, sich in das Wesen dessen einzuleben, was sich spiegelt. Selbstverständlich bleibt dann die gemeinsame Grundlage der Gesetze des physischen Organismus und jener des Übersinnlichen hinter dem Gegensatz: «Wesen und Spiegel» liegen.

Doch ist dies gewiss kein Nachteil für die Praxis der wissenschaftlichen Betrachtungsweise nach den beiden Seiten hin. Diese würde bei der charakterisierten Festhaltung des Gegensatzes in zwei Strömungen fortfließen, die sich gegenseitig erhellen und erläutern. Denn es ist ja festzuhalten, dass man es in der physischen Organisation nicht mit einem von dem Übersinnlichen unabhängigen Spiegelungsapparat im absoluten Sinne zu tun hat. Der Spiegelungsapparat muss eben doch als das Ergebnis der sich in ihm spiegelnden übersinnlichen Wesenheit gelten. Der relativen gegenseitigen Unabhängigkeit der einen und der anderen von obigen Betrachtungsweisen muss ergänzend eine andere, in die Tiefe gehende, gegenübertreten, welche die Synthesis des Sinnlichen und Übersinnlichen anzuschauen in der Lage ist. Der Zusammenschluss der beiden Strömungen kann als gegeben gedacht werden durch eine mögliche Fortentwickelung des Seelenlebens zu der charakterisierten intuitiven Erkenntnis. Erst innerhalb dieser ist die Möglichkeit gegeben, den Gegensatz zu überwinden.

Man kann somit sagen, dass erkenntnistheoretisch unbefangene Erwägungen die Bahn frei machen für eine richtig verstandene Anthroposophie. Denn sie führen dazu, die Möglichkeit theoretisch verständlich zu finden, dass der menschliche Wesenskern ein von der physischen Organisation freies Dasein habe. Und dass die Meinung des gewöhnlichen Bewusstseins, das Ich sei als absolut innerhalb des Leibes gelegene Wesenheit zu betrachten, als eine notwendige Illusion des unmittelbaren Seelenlebens zu gelten habe. Das Ich – mit dem ganzen menschlichen Wesenskern – kann angesehen werden als eine Wesenheit, welche ihre Beziehung zu der objektiven Welt innerhalb dieser selbst erlebt, und die ihre Erlebnisse als Spiegelbilder des Vorstellungslebens aus der Leibesorganisation empfängt. Die Absonderung des menschlichen Wesenskernes von der Leibesorganisation darf naturgemäß nicht räumlich gedacht werden, sondern muss als relatives dynamisches Losgelöstsein gelten.

Dann löst sich auch ein scheinbarer Widerspruch, der etwa zwischen dem hier Gesagten und dem oben über das Wesen des Schlafes Bemerkten gefunden werden könnte. In wachem Zustande ist der menschliche Wesenskern der physischen Organisation so eingefügt, dass er durch sein dynamisches Verhältnis zu dieser sich in ihr spiegelt; im Schlafzustande ist die Spiegelung aufgehoben. Da nun das gewöhnliche Bewusstsein im Sinne der hier gemachten erkenntnistheoretischen Erwägungen nur durch die Spiegelung (durch die gespiegelten Vorstellungen) ermöglicht ist, so hört es während des Schlafzustandes auf. Die Seelenverfassung des Geistesforschers kann nur so verstanden werden, dass in ihr die Illusion des gewöhnlichen Bewusstseins überwunden ist, und dass ein Ausgangspunkt des Seelenlebens gewonnen wird, der den menschlichen Wesenskern real in freier Loslösung von der Leibesorganisation erlebt. Alles weitere, was dann durch Übungen erreicht wird, ist nur ein tieferes Hineingraben in das Transzendente, in welchem das Ich des gewöhnlichen Bewusstseins wirklich ist, obgleich es sich als solches nicht in demselben weiß.

Geistesforschung ist damit als erkenntnistheoretisch denkbar nachgewiesen. Diese Denkbarkeit wird naturgemäß nur derjenige zugeben, welcher der Ansicht sein kann, dass die sogenannte kritische Erkenntnistheorie ihren Satz von der Unmöglichkeit des Überspringens des Bewusstseins nur dann zu halten in der Lage ist, wenn sie die Illusion von dem Eingeschlossensein des menschlichen Wesenskernes in der Leibesorganisation und dem Empfangen der Eindrücke durch die Sinne nicht durchschaut. Ich bin mir bewusst, dass mit meinen erkenntnistheoretischen Ausführungen nur skizzenhafte Andeutungen gegeben sind. Doch wird man vielleicht aus diesen Andeutungen erkennen können, dass sie nicht vereinzelte Einfalle sind, sondern dass sie aus einer ausgebauten erkenntnistheoretischen Grundanschauung entspringen.