Loki | 1899

Rudolf Steiner, Magazin für Literatur 1899, 68. Jg. Nr. 16 u. 17 (GA 32S. 236-247)

I

Es gibt dichterische Aufgaben, denen gegenüber jeder Naturalismus versagen muss. Es sind diejenigen, die sich auf den Kampf der ewigen Mächte in der menschlichen Seele beziehen. Dieser Kampf stellt das menschliche Innenleben in seiner ganzen Entwickelung dar, von der Geburt bis zum Tode. Nicht in einzelnen Handlungen, Stimmungen oder Ereignissen erschöpft sich dieser Kampf. Mögen die einzelnen Ereignisse, die das Leben dem Menschen bringt, diesen oder jenen, tragischen oder freudigen Ausgang finden: der Grundkampf, den das Ewige in der Menschenbrust kämpft, erhebt sich stets von neuem. Nur die einzelnen in sich abgeschlossenen Kampfeskreise kann die naturalistische Kunst schildern. Denn nur sie allein gehören der Welt des Wirklichen an.

Um die Urkämpfe darzustellen, muss die Phantasie über dies Wirkliche hinausgehen. Sie muss in einer höheren idealen Sphäre als abgeschlossen darstellen, was die Wirklichkeit nie zum Abschluss bringt. Der Philosoph kann das in der Idee, der Künstler im Bilde. Die dichtende Phantasie auf einer gewissen Kulturstufe stellt diese Kämpfe des Ewigen in der Seele in Form der Götter- und Sagenwelt dar. Nichts anderes ist diese göttliche oder sagenhafte Welt als ein Bild dessen, was auf dem Grunde des menschlichen Geistes vorgeht. Will der Dichter das Walten des Ewigen darstellen, so löst er es los von den Zufälligkeiten des menschlichen Lebens, von den Leiden und Freuden des Alltags. Seine Gestalten werden dann zwar noch Menschen sein, aber Menschen, die des Zufälligen entkleidet sind.

Eine solche höchste künstlerische Aufgabe hat sich Ludwig Jacobowski in seinem neuesten Werke: «Loki. Roman eines Gottes» (Bruns Verlag, Minden i. W. 1899) gestellt. Zwei Mächte kämpfen stets in jeder Menschenbrust einen heißen, schweren, einen Kampf auf Leben und Tod miteinander.

Die eine birgt in sich: Güte, Liebe, Geduld, Freundlichkeit, Schönheit; die andere: Haß, Feindschaft, Jähzorn, Feindlichkeit und das Element, das über der Stärke die weichen Formen der Schönheit stets vergessen wird. Der dichtende Geist auf einer früheren Kulturstufe hat die beiden Mächte in den nordischen Gottheiten, des Balder und des Loki, einander gegenübergestellt.

Ludwig Jacobowski hat sie in seinem Roman wieder dargestellt. Die alten nordischen Gottheiten haben ihm als Modelle für seine Gestalten gedient. Aber die Charaktere, die die nordische Sage in diese Gottheiten gelegt, bilden für Jacobowski nicht mehr als den Ausgangspunkt. Denn anders kämpfen die Mächte in der modernen Seele als in derjenigen des vorzeitlichen Menschen. Der moderne Mensch führt ein vertiefteres Leben als derjenige der Vorzeit.

Der Mensch einer früheren Zeit stellte die Kräfte, die in seinem eigenen Innern walten, ähnlich den Naturkräften vor, die er mit seinen Sinnen in der Außenwelt wahrnimmt. Für den Modernen nehmen diese Kräfte einen geistigeren Inhalt an. Diesem veränderten Bewusstsein des Menschen über sich selbst entspricht die Umwandlung, die Jacobowskis Phantasie mit den Gestalten der Sage vollzogen hat. Wie ein Naturprozess, erfunden von der aus der sinnlichen Wirklichkeit sich nährenden Phantasie, erscheint Lokis Kampf gegen die Götter in der nordischen Sage. Wie eine Personifikation dessen, was die moderne Menschenseele bewegt, erscheint er bei Jacobowski. Der Dichter hat dadurch die Sage vertieft. Einen Kampf, der aus der Liebe entspringt, hat er geschildert.

Balder und Loki lieben Nanna. Aber Balder liebt, wie die Liebe selbst; er liebt mit einer Leidenschaft, die frei ist von Selbstsucht. Mit derjenigen Liebe, die Goethe im Auge hat, wenn er sagt: «Kein Eigennutz, kein Eigenwille dauert, / Vor ihrem Kommen sind sie weggeschauert. - Wir heißen's: fromm sein!» Loki liebt wie der Eigennutz liebt, der in der Liebe das Fest des höchsten Selbstgenusses feiert.

Den ewigen Kampf des Egoismus und der Selbstlosigkeit stellt der moderne Dichter dar. Es ist der Kampf, den die moderne Seele in seiner ganzen Tiefe auskämpft; der Kampf, welcher den Inhalt der streitenden Weltanschauungen der Gegenwart bildet. Mit der Ruhe, die aus der objektiv wirkenden Phantasie des wahren Dichters stammt, sieht Jacobowski auf diesen Kampf. Und aus dieser Objektivität ist ihm eine philosophische Dichtung ersten Ranges entsprungen. Er hat damit für das moderne Seelenleben einen höheren Ausdruck gefunden, als seine ewig tastenden und experimentierenden dichtenden Zeitgenossen finden können.

Ich konnte mich, als ich seinen Roman immer wieder und wieder auf mich wirken ließ, des Gefühles nicht entschlagen, dass hier erreicht ist, wonach ein Geist wie Maeterlinck immer strebt. Maeterlinck hat ein schönes Wort gesprochen. Der Mensch sei in allen seinen Teilen ein mystischer Mitschuldiger höherer göttlicher Wesen, meint der belgische Dichterphilosoph. Und wenn Maeterlinck als Dichter das Göttliche darstellen will, dessen Mitschuldiger der Mensch ist, dann versagen seine Kräfte. Er lässt es uns bloß ahnen.

Jacobowski schildert mit plastischer Phantasie dieses Göttliche. Wenn wir den Dichtungen Maeterlincks folgen, müssen wir etwas vom Philosophen in uns haben. Eine große Idee schwebt hinter seinen Dichtungen. Wir ahnen sie. Und wenn wir philosophischen Sinn genug haben, so ergänzen wir uns diese Idee. Aber sie bleibt philosophisch. Sie wird in dem Dichter selbst nicht zum Bilde. Das ist bei Jacobowski der Fall. Das Göttliche, dessen mystischer Mitschuldiger der Mensch ist, stellt er in individuellen Gestalten dar. Und aus dieser Phantasie, die mit dem Ewigen schaltet, fließt ihr eine lyrische Kraft, die dem Symbolischen, das er darstellt, das individuelle Blut gibt. Dieses lyrische Element ist wie eine Atmosphäre, in welcher diese ewigen Gestalten atmen und leben müssen. Sie steht über der sozialen Atmosphäre der Wirklichkeit, wie des Dichters Gestalten über der Wirklichkeit stehen. Hamerling sagt von seinem «Ahasver»: «Übergreifend, überragend, geheimnisvoll spornend und treibend, die Krisen beschleunigend, als die Verkörperung des ausgleichenden allgemeinen Lebens hinter den strebenden und ringenden Individuen stehend - so dachte ich mir die Gestalt des Ahasver.» Und so dachte sich Jacobowski die Gestalt seines Loki.

Die menschliche Natur ist ein Ganzes. Sie hat in sich ebenso das Element der selbstlosen Hingabe wie der rückhaltlosen Selbstsucht. Das Gute und das Böse sind in ihr. Das eine findet an dem andern seine natürliche Ausgleichung. Erscheint das Gute, so tritt sogleich das Böse auf den Plan als Ergänzung. Nur scheinbar kann das eine über den Menschen die Herrschaft gewinnen. Das Werden selbst ruft die Zerstörung hervor. Balder, die alles umschlingende Liebe, die Sonne des Daseins, kann nicht entstehen ohne Loki, die Selbstsucht, die Finsternis, wider sich wach zu rufen. Das Leben spinnt sich in ewigen Gegensätzen ab.

Eine Dichtung auf dem Grunde einer philosophischen Lebensauffassung ist «Loki, der Roman eines Gottes». Und so wenig die philosophische Vertiefung dem Leben schadet, so wenig schadet die philosophische Grundlage der Dichtung Jacobowskis. Denn dieser ist ein wahrer Dichter. Und dass er philosophischer Vertiefung fähig ist, erhöht den Wert seiner Dichtung. Dass seine Phantasie stets plastisch, gestaltend, individuell wirkt, bedingt den künstlerischen Charakter seines Werkes.

Dem modernen Bewusstsein hat dieser Dichter eine Form gefunden, in der er sich auszusprechen vermag, ohne irgend etwas von den höchsten ideellen Kunstforderungen und Weltideen einzubüßen. In freier Weise waltet er über der Sage, denn sie ist bei ihm künstlerisches Mittel geworden.

II

In einer Nacht werden die Asen durch ein böses Traumgesicht in Schrecken versetzt. Am Himmel spielen sich noch nie gesehene Dinge ab. Ein jeglicher Gott wird aus dem Schlafe aufgestört. Und ein jeglicher sieht das Lager der Asin neben sich verlassen. Aus der Lagerstatt aber steigt schwarzer Nebel auf. Und als der Ase sich erhebt, um nach der Gattin zu sehen, da liegt sie mit Schweißtropfen an der Stirn und mit schwerem Atem, als ob sie eben von einer weiten Reise heimgekehrt wäre. Die Asen teilen sich am Morgen das Sonderbare mit. Nur Urd, die Schicksalsgöttin, kann wissen, was das Geheimnisvolle bedeutet. Die aber können sie nicht befragen, denn ihr Mund spricht nur ungefragt. Urds Bote, der schwarze Bergfalke, kündet, dass in dieser Nacht ein Asenkind geboren wurde. Eine Asin sei seine Mutter. Welche, wisse auch Urd nicht. Auch wer der Vater ist, sei ihr unbekannt. Die Asinnen sollten das Kind abwechselnd nähren. Es sollte «Loki» heißen. So ist in die Götterwelt ein Wesen hineinversetzt, aus ihr selbst entsprossen, aber als Kind der Sünde, der Göttersünde.

Hoch im Norden, fern von Walhall wächst das Sündenkind heran. Frigg, Odins Weib, hat ihm in einer Hütte ein Lager zurecht gemacht. Und jeden Tag muss eine Asin nach der fernen Hütte ziehen, den kleinen Gott zu pflegen. Als Odins Weib zum ersten Male bei ihm war, da lächelte das Kind holdselig. Aber die Göttin schlägt den Knaben und darüber verlernt er das Lachen. Und alle Asinnen misshandeln das Kind. Mit Gletschermilch, Wolfsschaum und Uhufleisch nähren sie es. Dass es sündigen Ursprungs ist, solle es büßen. Zum Feinde der ganzen Götterwelt hat es dieser Ursprung gemacht; zum Feinde der Götterwelt erziehen es auch die Asinnen.

Bald bekümmerten sie sich um den Knaben nicht mehr. Eine elbische Alte, Sigyn, pflegt ihn mütterlich weiter. Unter ihrem Schutze wächst er heran. Er wird ein starkes, ernstes Wesen. Die Heiterkeit haben ihm die Asinnen ausgetrieben. Hart muss er arbeiten, um der Erde die Nahrung abzugewinnen. Das ist ihm rätselhaft, und er fragt Sigyn, ob denn alle Wesen im Schweiße ihres Angesichts das Brot des Lebens schaffen müssen. Der Alten Antwort schließt die Empfindungen aller Mühseligen und Beladenen ein, jene bange Frage, die sich die Enterbten alle Zeit stellen:

«O weise Welt der Asen! Über Luft und Sonne gehen die einen, greifen rechts und links in die lieblichen Lüfte und fassen feste Früchte und segenschwere Halme. Und die anderen kriechen mühsam über Kluft und Klippe; und zerren die Hände an der rauhen Erde, leer sind sie und feucht nur von eigenem Schweiß.»

Der Gott der Enterbten ist Loki, und seine Empfindungen den anderen Äsen gegenüber sind diejenigen des mühsalbeladenen freudlosen Lebens gegenüber dem mühelosen, freudeerzeugenden Glücks.

Loki zieht aus, um diejenigen seinesgleichen kennenzulernen, die in der Sonne des Glücks leben. Und als er in ihren Kreis tritt, da wird es klar, dass er etwas besitzt, was sie alle entbehren müssen, was der Schmerzbeladene voraus hat vor dem, der unverdientes Glück genießt: die Weisheit. Loki kennt die Zukunft der andern Götter. In ewiger Gegenwart lebt der Glückliche. Er genießt den Augenblick und kümmert sich nicht um die Triebräder, welche die Welt bewegen. Nur derjenige, dem diese Räder bei ihrem Gange wehe tun, der fragt nach ihrem Gange; und aus dieser Frage wird ihm das Wissen des Weltenlaufes. So wird aus dem Schmerz die Weisheit geboren. Und die Weisheit macht stark gegenüber der sorglosen Dumpfheit. Aber weil der Weg zur Weisheit durch den Schmerz führt, raubt er dem Wandelnden die selbstlose Liebe. Sie wird aus der Schmerzlosigkeit erzeugt. Wer sein Geschick sich selbst nicht verdient hat, kann sich auch selbstlos hingeben. Wer sich aber das Seinige unter Schmerzen erworben hat, der verlangt für sich sein ihm zukommend Teil und will das sauer Verdiente nicht aus Selbstlosigkeit hingeben. Die selbstlose Liebe wohnt nur inmitten der Welt des Glückes. Balder stellt diese Liebe innerhalb des Götterfreudenreiches dar. Und diese Liebe ist das Einzige, was dem Schmerzenkenner aus dem Reiche des Glückes heraus unheimliche Gefühle erweckt. Er muss den Wert reiner, edler Liebe anerkennen. Er bebt vor dieser Liebe. Loki muss Balder feindlich entgegentreten; aber er muss es mit dem bitteren Gefühl, dass er ein Hohes hasst, weil er seine Hoheit entbehren muss. Die Weisheit, die aus dem Schmerze stammt, muss neuen Schmerz gebären.

Warum muss der wissende Loki den unwissenden, aber Lieb-erfüllten Balder hassen? Vor dieser Frage endet Lokis Weisheit. Denn diese Frage stammt aus seinem eigenen Schicksal. Und das ist ihm unbekannt. Was aus allen anderen Göttern werden soll, liegt vor seinem Seherblicke offen. Was die dunklen Mächte mit ihm selbst vorhaben, davon hat er keine Kenntnis.

Das ist das Schicksal des Wissens: dass es aus dem Leid stammt und auch nie Freude bringen kann. Und deshalb glauben die Glücklichen, dass das Wissen aus der Sünde stamme.

Genuss und Entbehrung sind die Kräfte, die sich in unserer Seele ewig bekämpfen. Zur Liebe, zur Güte, zur Schönheit führt uns der Genuss; zum Egoismus, zur Härte, zur Macht führt uns die Entbehrung. Das Leben eines jeden ist erfüllt von dem Widerstreben dieser beiden Kräfte. Balder und Loki kämpfen immerwährend in unserer Seele. Wir könnten restlos glücklich sein, wenn wir bloß Genießende wären. Aber wir wüssten nichts von diesem Glücke. Ein freudiges Leben hätten wir; aber ein Leben, das gleich einem Traume wäre. Erst die Entbehrung klärt uns auf über unser Glück; aber sie zerstört zugleich ewig dieses Glück.

Es ist ein tiefer Zug in Jacobowskis Dichtung, dass nur zwei Wesen Loki lieben: Balder, der Quell aller Liebe, und Sigyn, die elbische Alte. Balder, weil er den Haß nicht kennt, Sigyn, weil sie keine Gegenliebe verlangt. In der Göttersage ist Sigyn die liebende Gattin, die natürlich wieder geliebt werden muss. In Jacobowskis Dichtung ist sie ein Wesen, das mit Ironie auf die Welt und ihr Glück blickt. Hass und Liebe liegen Sigyn fern. Aber dass das unverdiente Glück nicht übermächtig werde, daran liegt ihr. Deshalb hegt und pflegt sie den Anwalt der Enterbten.

Der Kampf für ein bloßes Prinzip würde uns nicht mit fortreißen. Es hätte etwas Frostiges, wenn Loki der Gegner der Götter wäre, nur weil innerhalb des Weltenplanes die verneinenden Gewalten ihre Vertretung haben müssen. Lokis Kampf gegen die Äsen ist keiner für eine Sache im allgemeinen; Loki kämpft für seine Sache. Balder entreißt Loki das Liebste, das angebetete Weib. Und gerade aus dem persönlichen Unglück Lokis entspringt das Glück der Götter. Dass Nanna nicht Lokis, sondern Balders Weib wird, darauf beruht dieses Glück. -

«Nanna und Balder ... Diese beiden Namen machten die Götter Walhalls vor tiefem Entzücken beben. Licht kam zu Licht, Sonne zu Sonne, und die Liebe beider schirmte die herrliche Welt der Götter gegen die Unholde der Finsternis und die Riesen im eisigen Jötunheim besser, als ungeheure Mauern aus Erz und Fels. Ihr Name war wie schimmernde Brünne und klangtiefer Schild. Unheil schlug dagegen an, aber die Brünne schimmerte weiter, und der Schild klang tief, als wäre der Schlag mit leichtem Weidenstabe geschlagen.»

Nicht allein ihr unverdientes Glück genießen die Götter, auch Lokis Glück haben sie ihm geraubt. Das gibt seiner Feindschaft die persönliche Farbe und das persönliche Recht. Die Schwächen im Leben und den Charakteren der Götter, die Unvollkommenheiten in der Welt, die von ihnen gelenkt wird: alles benutzt Loki, um den Äsen das Leben schwer zu machen und ihr Ende herbeizuführen.

«Lokis Streiche» schildern den Vernichtungskrieg, den der Götterfeind führt. Odins und Thors Lebensführung wird durch diese Streiche durchkreuzt, so dass göttliche Allmacht und Stärke vor dem Hohn, den die List über sie ausgießt, zurückweichen müssen. Die Einrichtungen im Menschenreiche, auf welche die Götter mit Wohlgefallen blicken, ja von denen sie leben: Loki zerstört sie. Er macht die Geknechteten zu seinen Schützlingen; er rüttelt die Sklaven aus ihrer Dumpfheit auf, damit die «heiligen», die göttlichen Ordnungen zerstört werden. Die Macht der Götter über die Erdenkinder zerstiebt vor der Klugheit Lokis. Das Götterreich selbst gibt Loki der Schmach und der Schande preis. Freya, die Schönste der Asinnen, liebt den Asenfeind. Gerade diese Liebe benutzt Loki, um den bittersten Spott über Walhall zu bringen. Er wird zum Teufel; er benützt Freyas Liebesbrunst, um sie von den hässlichen Zwergen entehren zu lassen.

Das wildeste von Lokis Werken ist die Vernichtung Balders und jenes Reiches, in dem nur Menschen leben, die nach Balders Herzen sind. Nach Balders Untergang lebte noch dieses Volk, sein Volk, «unter dem nie sich eine Faust gegen ein fremdes Haupt erhob, nie ein unzüchtiges Wort sich an Mädchenspuren heftete, wie schmutziger Sand an nasse Fersen, nie ein roter Goldreif oder eine bräunliche Bernsteinkette unreines Begehren weckte. Dort schössen die Halme frei in die Luft, und Wolken und Winde, Regen und Sonne drängten sich zur Gnade, über Balders Land ihre Segensfülle ausstreuen zu können. In durchleuchteter Luft schritten die Edelinge dahin, das stattliche Haupt stolz emporgeworfen, dass die goldenen Locken über die breiten Schultern rieselten; und ihre Frauen wandelten nebenher, klar und still die Stirnen und Sanftmut im holden Geleuchte des Blickes.»

Diesem Lande bringt Loki den Untergang. Denn alles, was an Balder und sein Wesen erinnert, soll zu Grunde gehen. Die Menschen aus dem Lande, in dem der Hunger herrscht, führt Loki gegen die Edelinge ins Feld. Die Baldersöhne fallen unter den mächtigen Hieben der Hungernden; und auf Balders Thron wird ein Hund gesetzt.

«Die Edeln neigen den Kopf tief vor dem zähnefletschenden Tiere, einer nach dem anderen, das Gesicht weiß wie Linnen auf dem Felde, wenn die Frühsonne darüber leckt. Dann nahen die Frauen. Von den runden Köpfen fällt das leuchtende Goldhaar und türmt sich neben dem Throne auf, dann wieder Kinder, jammernd und weinend über die Schmach, und sie reiben sich die Stirne am Boden blutig vor Scham.»

Damit hat Loki seine Aufgabe erfüllt. Balder und die Seinen sind überwunden. Auch die anderen Äsen sind ja Balder ins Totenreich gefolgt. -

Aber Loki bleibt nicht Sieger. Aus der Mitte der dem Tiere huldigenden Baldersöhne erscheint ein Jüngling. Und das Tier schiebt sich vom Thron herab, gleitet zur Erde und leckt dem Jüngling den Fuß. Loki muss bekennen: «‹Weh' euch und mir. Das ist Balders Sohn. Der Herr und König!›... Weit draußen warf er sich ins Feld, dass sein Haupt an Steine stieß. Aber er achtete nicht darauf. Unaufhörlich schrie er: ‹Das ist Balders Sohn! Balder ist nicht tot! Balder lebt, ... ewig wie ich ..., stärker als ich ..., Balder, der Sonnensohn! ... Weh mir! ...›»

In das große Weltgeheimnis klingt das Buch aus: Ewig ist das Schaffende. Und ewig erzeugt das Schaffende seinen Widerpart: die Vernichtung. Wir Menschen sind in diesem Weltenlauf eingesponnen. Wir leben ihn. Recht hat das Schaffen und recht hat die Vernichtung. Denn das Schaffen nimmt sich sein Recht. Es ist der notwendige Usurpator. Aber sein Schicksal ist es, dass es ewig das Böse mit sich, aus sich erzeugen muss. Und das Verneinende wird immer ein erworbenes Recht haben. Es wird kraft dieses erworbenen Rechtes den Usurpator vernichten. - Und dann beginnt ein neuer Tag des Glückes und des Rechtes.

Dass nur auf dem Grunde der großen Weltanschauungsfragen die großen Dichtungen erwachsen: das wird eine ewige Wahrheit bleiben. Und Jacobowski hat auf diesem Grunde gebaut.

Dass er eine große Weltanschauungsdichtung schaffen wollte, das drängte ihn, das Menschlich-Alltägliche zum Sagenhaft-Mythischen zu erheben. In diese Sphäre wird sich der tiefere Geist begeben, wenn er nicht den Umkreis unbedeutender Einzelheiten darstellen, sondern den großen Werdefluss der Dinge gestalten will. Auch Friedrich Nietzsche hat etwas dem Mythus Ähnliches geschaffen: als er die großen Aufgaben des weltfreudigen Menschen, des Daseinsbejahers, Zarathustra, darstellen wollte. Den Zug der Größe erhält die Dichtung, welche das Alltägliche zum Gleichnis und das Ewige-Bedeutende zum Ereignis macht.