Anthroposophie in Deutschland. Theosophische Weltanschauung und gesellschaftliche Praxis 1884-1945. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007.

Mit seiner Publikation »Anthroposophie in Deutschland« hat Helmut Zander ein Referenzwerk geschaffen, unabhängig von der Frage, wie man die Qualität dieser Publikation beurteilt. »Anthroposophie in Deutschland« stellt »das Ganze der Anthroposophie«, verstanden als Lebenswerk Rudolf Steiners, in einen akademischen Kontext und untersucht dieses Ganze unter vielerlei methodischen Gesichtspunkten.

Aufbau des Werkes:

Band I
1. Die Gegenwart einer unerforschten Vergangenheit | Kontexte: 2. Historiographie | Geschichte: 3. Theosophische Gesellschaften in Deutschland | 4. Sozialstruktur und Vereinsleben der deutschen Adyar-Theosophie | Die Grundlegung der Weltanschauung Rudolf Steiners vor 1900: 5. Steiner und Goethe  | 6. Philosophische Positionen in den 1890er Jahren | Steiners Theosophie: 7. Theosophie | 8. Christologie | 9. Wissenschaft: Die Theosophie in Konkurrenz mit den empirischen Naturwissenschaften

Band II
Ästhetik: 10. Freimaurerei | 11. Mysterientheater | 12. Architektur | 13. Eurythmie | Praxis: 14. Politik. Gestaltung der Gesellschaft durch weltanschauliche Praxis | 15. Waldorfpädagogik | 16. Medizin | 17. Landwirtschaft | Neuer Kult: 18. Die Christengemeinschaft | Von der Vergangenheit zur Zukunft: 19. Pluralisierung und Minderheitenkultur


Analysekategorien

Falsche Behauptungen.

Von Zander werden Behauptungen aufgestellt, die nachweislich falsch sind oder für die er die Beweise schuldig bleibt. Dies lässt sich durch einen Vergleich mit den Quellen leicht verifizieren. Solche falschen Behauptungen können durch Zitate oder Quellenverweise belegt werden. Sie werden aber auch unabhängig von diesen aufgestellt. Wenn falsche Behauptungen durch Zitate belegt werden, stehen sie häufig in Verbindung mit falschen Zitaten oder fehlenden Belegen. Sie werden dann auch unter »falsche Zitate« aufgeführt. Dasselbe gilt für »Scheinhypothesen«, Aussagen in der Möglichkeitsform, für die keinerlei oder nur zweifelhafte Belege existieren.

Falsche Behauptungen -->

Falsche Kontexte.

Zitate oder Aussagen Steiners werden von Zander aus dem Kontext gerissen, in dem sie ursprünglich stehen und in einen anderen Kontext gestellt, in dem sie eine völlig andere Bedeutung erhalten. Dabei geht es nicht um strittige »Interpretation« oder »Deutung«, sondern um unzulässige Übertragungen in einen anderen Zusammenhang und Verallgemeinerungen von Äusserungen, die nur für einen spezifischen Kontext gültig sind. Ein Beispiel: Wenn Steiner in seinen Darstellungen über die spirituelle Entwicklung des individuellen Menschen die Bedeutung eines geistigen Lehrers betont, kann diese Aussage nicht zu einer generellen Befürwortung des »Führerprinzips« im sozialen oder politischen Leben hochstilisiert werden.

Falsche Kontexte -->

Falsche Zitate / Vermeintliche Belege.

Falsche Zitate sind Originalaussagen Steiners, die von Zander sinnentstellend wiedergegeben werden. Tippfehler werden nicht berücksichtigt, jedoch nicht gekennzeichnete Auslassungen und falsch zugeordnete Zitate. Gravierend ist zum Beispiel die Auslassung einer Negation (»nicht«), durch die eine Aussage in ihr Gegenteil verkehrt wird, oder einer Relativierung (»insofern«, »zunächst«), durch die sie ein Gewicht erhält, die ihr im Original nicht zukommt. Vermeintliche Belege sind Zitate, die eine von Zander aufgestellte Behauptung belegen sollen, in Wahrheit aber etwas ganz anderes besagen.

Falsche Zitate -->

Dubiose Quellen.

Unter »dubiosen Quellen« sind Quellen zu verstehen, die von einer seriösen Historiographie nicht herangezogen werden sollten, wie Meinungen vom Hörensagen, unbelegte Behauptungen dritter oder explizite »Gegnerliteratur«, die von Autoren aus dem völkischen oder theologischen Lager stammt, die teilweise systematisch Unwahrheiten über Steiner in die Welt setzten.

Dubiose Quellen -->

Nicht immer ist die Zuordnung ausschließlich zu einer Kategorie möglich, die Abgrenzung zwischen falschen Behauptungen und falschen Kontexten nicht immer eindeutig. Sollte Ihnen eine Zuordnung zweifelhaft oder fehlerhaft erscheinen, wenden Sie sich bitte an den Webmaster.


Generelle Bewertung

Mit seinem Monumentalwerk »Anthroposophie in Deutschland« meldet Zander einen Anspruch auf Deutungshoheit über die Anthroposophie im akademischen und öffentlichen Raum an, der kaum mehr zu überbieten ist. Das Werk will eine wissenschaftliche, historisch-kritische Auseinandersetzung mit Rudolf Steiners Anthroposophie sein und diese zugleich – was keineswegs zwingende Folge einer solchen Auseinandersetzung ist – einem grundstürzenden Entmythologisierungsprozess unterziehen.

Ohne Zweifel handelt es sich bei Zanders enzyklopädischer Untersuchung, dem Ergebnis einer 15jährigen Arbeit, um ein Unikat, und zwar in mehrfacher Hinsicht.

Nicht nur der Umfang seiner Monografie, die eigentlich ein ganzes Bündel von mehr oder weniger gründlich ausgearbeiteten Monografien umfasst, ist einzigartig – auch die Tatsache, dass durch Zanders Arbeit die Anthroposophie selbst als Gesamtgegenstand zum Inhalt akademischer Forschung erhoben wird, ließe sich als bemerkenswerter Durchbruch dieser Anthroposophie in die universitäre Welt deuten.

Man könnte die Arbeit Zanders als Indiz eines Paradigmenwechsels sehen, der in einigen Ländern der westlichen Hemisphäre bereits vor Jahren mit der Etablierung von Esoterikforschung an Universitäten eingesetzt hat. Zumindest auf den ersten Blick. Denn erstens setzen sich die verschiedensten akademischen Disziplinen schon lange mit Teilgebieten der Anthroposophie eher mehr als weniger kritisch auseinander, und zweitens drängt sich bei näherem Hinsehen die Frage auf, ob in Zanders Werk überhaupt von Anthroposophie oder Esoterik die Rede ist. Diese Frage ist keineswegs abwegig, weil ja eine seiner leitenden Forschungsintentionen darin besteht zu zeigen, dass die grundlegenden, von Steiner ausgehenden Selbstinterpretationen der anthroposophischen Tradition letztlich Mythologeme sind, dass die Anthroposophie, als von Steiner ins Leben gerufene Erkenntnis des Übersinnlichen, ein Mythos ist.

Damit stellt Zander nicht nur den Wissenschaftsanspruch der Anthroposophie in Frage, sondern auch den Realitätsgehalt der geisteswissenschaftlichen Weltdeutung. In seinem Werk macht er sich gleichsam zum Sprachrohr einer wissenschaftlichen Rationalität, die sich gegen den Einbruch des scheinbar Irrationalen in die westliche Welt positioniert. Aber zugleich decouvriert er auch diese wissenschaftliche Rationalität, ohne es zu wollen. Denn letztlich dokumentiert er nur die Grenzen dieser Rationalität, die in der Verabsolutierung bestimmter methodischer Voraussetzungen liegen. In der methodischen Selbstbeschränkung, die sich diese Wissensform auferlegt, kommen erkenntnisphilosophische Grundentscheidungen zum Ausdruck, die auch Postulate über mögliche Weltinhalte einschließen. Es sind Postulate, die den Zugang zu Erfahrungsformen verhindern, ohne die das wissenschaftliche Bild der Wirklichkeit unvollständig bliebe. Diese Postulate spiegeln sich in der teilweise ins Hämische oder Sarkastische abgleitenden Distanz Zanders zu seinem Forschungsgegenstand.

Hat nicht Hans-Georg Gadamer mit seiner geisteswissenschaftlichen Hermeneutik, die auf einer empathischen Forschungshaltung beruht, gänzlich andere Ideale für ideengeschichtliche und biographische, auch erkenntnisbiografische Untersuchungen formuliert, die bei weitem fruchtbarer sein könnten? Zander unterscheidet sich in dieser Hinsicht auch von den Ansätzen französischer oder angelsächsischer Historiker der Esoterik wie Antoine Faivre oder Joscelyn Godwin, für die solche Distanz in der Regel keine Rolle spielt. Hier stehen ideengeschichtliche, anteilnehmende Traditionen im Vordergrund. Aber auch jemand wie Kocku von Stuckrad, der in der deutschen Forschungslandschaft dieses neue Fachgebiet repräsentiert, unterscheidet sich durch seine wohlwollende, Ideen, Personen und »Diskurse« würdigende Haltung von Zander.

Zanders öffentliche Beschäftigung mit seinem Gegenstand reicht bis in die 1990er Jahre zurück. 1993 ist seine Dissertation über »Reinkarnation und Christentum«, die von der katholischen Fakultät der Universität Bonn angenommen wurde, erschienen. Die katholische Dogmatik ist in seinem neuen Werk völlig in den Hintergrund getreten, nicht aber die Grundhaltung der Dissertation, das originäre Phänomen Anthroposophie an normativ gesetzten Inhalten oder Methoden zu messen, auch wenn deren Kompatibilität mit ihrem Gegenstand von Zander nicht kritisch diskutiert wird. Das Ergebnis einer solchen Untersuchung kann im Grunde kein anderes sein, als dass die Inkompatibilität des untersuchten Gegenstandes mit diesen Theorien und Methoden festgestellt wird. Logisch gesprochen, ist die Untersuchung zirkulär, die monumentale Konsequenz einer petitio principii.

Von grundlegender Bedeutung für die kritische Auseinandersetzung mit Zander dürfte die Frage nach dem Erkenntnisbegriff sein. Das Werk Steiners zielt seit seinen Frühschriften darauf ab, Erkenntnismethoden philosophisch zu begründen und zu rechtfertigen, die die Dogmatisierung eines bestimmten Empiriebegriffs in Frage stellen. Bereits die »Einleitungen zu Goethes Naturwissenschaftlichen Schriften« und die »Grundlinien einer Erkenntnistheorie ...« kritisieren die Verengung dieses Begriffs auf die sinnliche Erfahrung. Sie stellen das objektivistische oder empirizistische Wissenschaftsverständnis in Frage, das die Entstehung von Erkenntnis unter Ausklammerung des erkennenden Subjekts postuliert. Sie verweisen auf die entscheidende Bedeutung der »Zutaten« des erkennenden Subjekts zur Erfahrung, die ohne diese Zutaten nicht zur wissenschaftlichen Form erhoben werden könnte.

Zander vermeidet jegliche in die Tiefe gehende Auseinandersetzung mit Steiners erkenntniskritischen Reflexionen. Dadurch umgeht er die Notwendigkeit einer philosophischen Diskussion der erkenntnistheoretischen Voraussetzungen, auf denen sein gesamter eigener Forschungsansatz beruht. Die geistige Biografie Steiners und die Entstehung der späteren Anthroposophie sind nicht zu verstehen, wenn man nicht die Grundvoraussetzungen zur Kenntnis nimmt, von denen die gesamte spätere Werkentwicklung getragen ist. Bereits das philosophische Werk Steiners versucht eine Erkenntnisform zu begründen, die das Entstehen von Wirklichkeit als höchst subjektive Konstruktionsleistung des menschlichen Geistes begreift, in der sich zugleich eine objektive Gesetzmäßigkeit ausspricht. Nach Steiners Selbstverständnis kann der Inhalt der Anthroposophie nur aus der geistigen Produktivität des Erkenntnissubjekts hervorgehen, auch wenn sich in dessen Tätigkeit objektive Weltinhalte aussprechen. Dieses Verständnis setzt die einzelnen Erkenntnisakte nicht absolut oder außer alle Kritik, sondern setzt ausdrücklich Wiederholbarkeit und Intersubjektivität voraus.

Wie wenig Zander sich auf die philosophische Diskussion über die Synthese von Wirklichkeit im menschlichen Erkennen durch das Zusammenfließen von subjektiver Tätigkeit und objektivem Weltinhalt einlässt, zeigt sich an seiner Behauptung, Steiner habe die Rolle des erkennenden Subjekts beim Zustandekommen von Erkenntnis in seinen philosophischen Werken unterbewertet. So wenig das erkennende Subjekt in Steiners philosophischem Grundwerk von ihm wahrgenommen wird, so wenig wird das erkennende Subjekt Steiner von ihm im theosophisch-anthroposophischen Werk wahrgenommen. Da Steiner als Erkenntnissubjekt bereits im philosophischen Frühwerk verschwindet, kann es auch nach der Jahrhundertwende nicht mehr auftauchen. Die Originalitätsbehauptung Steiners muss ihm deshalb ebenso zweifelhaft erscheinen, wie der angebliche Mythos, die geschichtliche Entwicklung der Anthroposophie sei ein Ergebnis von eigenständigen Erkenntnisprozessen.

So muss Zander, der Steiner als Erkenntnissubjekt samt seinen ideellen Inhalten negiert, damit er an ihm überhaupt noch als Subjekt festhalten kann, diesen zum Machtmenschen bzw. zu einem von Emotionen getriebenen Individuum umdeuten. Machtrieb und Angst (um die eigene Existenz) werden zu zentralen Erklärungsmitteln, Erkenntnisdifferenzen zu Machtkämpfen, und Unvereinbarkeiten von Ideen zu persönlichen Animositäten und Rivalitäten. Bis in seine Deutung der Christologie oder der Waldorfpädagogik wirken die fatalen Grundentscheidungen Zanders hinein. So kommt es zu erstaunlichen Fehlinterpretationen aller wesentlichen Inhalte der Anthroposophie, vom Schulungsweg bis zu den Ideen Steiners für die Neugestaltung des sozialen Organismus. Überall taucht dasselbe ideenlose, vom Machttrieb gesteuerte Subjekt der Anthroposophie auf, das aber eine reine Phantasmagorie ist, die sich aus der Ideenblindheit eines Historikers ergibt, der Ideen erklären will, indem er sie nicht denkt, sondern aus etwas Nichtideellem herleitet.

Die zentrale These Zanders besteht darin, dass Steiners Anthroposophie nichts anderes als Plagiate theosophischer und anderer esoterischer Lehren hauptsächlich des 19. Jahrhunderts und Reflexe des zeitgenössischen wissenschaftlichen Diskurses enthalte. Zander bezeichnet die Methode, durch die er diese These zu belegen versucht, als Kontextualisierung. In Wahrheit wird das Werk Steiners nicht kontextualisiert, sondern entkernt, reduziert. Man kann Zanders Methode daher auch als historischen oder philologischen Reduktionismus bezeichnen. Der ideelle und historische Kontext, in dem sich Steiners Werk entfaltete, auf den es vielfältig interpretierend Bezug nahm, wird zur Quelle umgedeutet. Quellenhypothesen sind von den jeweiligen Kenntnissen des Forschers abhängig, der die Quellen postuliert. Viele ideelle Horizonte, aus denen die Anthroposophie weit angemessener interpretiert werden könnte, wie ein Aristoteles platonisans, ein empirischer Idealismus, die mystischen und esoterischen Erkenntnisströmungen des Abendlandes oder die »philosophia perennis« werden von Zander kaum ernsthaft in Betracht gezogen.

Der philologische Reduktionismus leidet am Problem, dass er die originäre Kreativität des Schöpfers der von ihm untersuchten Texte mit seinen Methoden nicht zu würdigen vermag. Gemäß seiner Voraussetzung kann er Texte stets nur aus anderen Texten ableiten. Der kreative Geist, der »Texte« hervorbringt, kommt in der Epistemologie des philologischen Reduktionismus nicht vor. Zander ist nicht der erste, der auf diese Weise versucht, Steiners Originalität zu bestreiten. Das ganze 20. Jahrhundert hindurch haben dies bereits andere getan, Zander selbst verweist auf eine Reihe von Vorläufern, besonders aus dem Lager der Konfessionen.

Auch die textgeschichtlichen (editionsgeschichtlichen) Untersuchungen Zanders, die die Genese von Steiners Hauptwerken aus einer Rezeption bzw. Plagiierung theosophischer Literatur nachweisen sollen, beruhen auf Voraussetzungen, die hinterfragt werden können. Die Grundannahme einer textgeschichtlichen Untersuchung, das Wahre stehe am Anfang, ist nicht zwingend. Ebenso gut könnte man die Auffassung vertreten, das Wahre stehe am Ende. Die ständigen Überarbeitungen, die Steiner an seinen Hauptwerken vornahm, können dann so verstanden werden, dass der eigentliche substantielle Aussagegehalt durch die Überarbeitungen immer stärker zum Vorschein gekommen, und nicht durch spätere Redaktionen verschleiert worden ist.

Ein Mathematiker, der den pythagoräischen Lehrsatz denkend reproduziert und sich und anderen zur Evidenz bringt, plagiiert deswegen nicht Pythagoras, sondern erzeugt die intuitive Evidenz der geistigen Anschauung, die dieser Lehrsatz zum Ausdruck bringt, neu in sich. Selbst wenn er sich derselben sprachlichen Ausdrucksmittel wie andere bedient, ist das entscheidende nicht die äußere Form, sondern die innere, geistige Erfahrung, die stets von neuem originär ist.

Wenn Steiner bestimmte Inhalte der theosophischen Tradition in seiner eigenen Lehre reproduzierte (falls er dies überhaupt getan hat), heißt dies nicht, dass er die theosophische Literatur plagiierte; es kann ebenso gut heißen, dass er die intuitiven oder spirituellen Evidenzen, die in diesen Inhalten zum Ausdruck kamen, durch individuelle Erkenntnisleistungen reproduzierte. Die Transformation, die Steiner mit den Inhalten der theosophischen Tradition vollbrachte, bestand nicht darin, dass er diese wie ein Schwamm aufsog, und danach – deren Herkunft verschleiernd und sie als seine eigenen Schöpfungen ausgebend – wieder aus sich herauspresste, sie bestand darin, dass er, ihrem eigenen Grundsatz gemäß, aus ihr den Wahrheitskern herausarbeitete. Die Theosophie, insbesondere das Werk Helena Petrowna Blavatskys, war der Zusammenfluss einer Fülle spiritueller Traditionen des Abendlandes und des Morgenlandes, die bis zu einem gewissen Grad mit modernen Begriffsformen durchdrungen waren.

Das Prinzip, von dem Steiner sich in seiner Adaption der Theosophie leiten ließ, war nicht das des Eklektizismus, sondern das der gewichtenden Selektion. Aber die geistige Kreativität Steiners erschöpfte sich nicht in einer Hermeneutik des Mythos. Mit dieser Arbeit ging eine originäre Neuschöpfung von Erkenntnissen und symbolischen Ausdrucksformen für diese Erkenntnisse einher, die solche Werke wie die »Mystik im Aufgang …« und das »Christentum als mystische Tatsache ...« dokumentieren. Sie stellen in seiner Erkenntnisbiografie den Übergang von einer Ideenmystik in eine Wesensmystik dar, die nicht weniger begriffskonform ist, als erstere. Die Spuren der Umwandlung des philosophisch-ideellen Erkenntnisprozesses in einen Vorgang der Wesensanschauung kommen in diesen Schriften deutlich und authentisch zum Ausdruck.

In seinen ersten Werken nach der Jahrhundertwende (»Die Mystik ... « und »Das Christentum als mystische Tatsache ...«) spricht Steiner von spirituellen Erkenntnisvorgängen, ohne sich auf theosophische Quellen zu beziehen. Ein exakter Vergleich des Schulungsweges der Anthroposophie mit entsprechenden Werken theosophischer Autoren wie H.P. Blavatsky oder Annie Besant lässt erkennen, dass Steiner die Inhalte und die Methoden des von ihm beschriebenen Schulungsweges nicht aus den von Zander angeführten angeblichen Quellen geschöpft hat. Generell sagt die Verwendung theosophischer Fachbegriffe nichts über die Interpretation von Inhalten aus, und strukturelle Ähnlichkeiten können auch auf die Identität des Erkenntnisgegenstands zurückzuführen sein. Zu oft bleiben Zanders Textvergleiche an der Oberfläche lexikalischer oder struktureller Ähnlichkeiten stehen und blenden die tiefgehenden ideellen Differenzen aus, die sich hinter diesen Oberflächenschichten verbergen.

Insofern handelt Zanders Werk ebensowenig von Anthroposophie wie ein beliebiges quellenkritisches Werk über die Evangelien vom Christentum handelt. In Zanders Werk fällt die ihre eigenen Erkenntnisvoraussetzungen verkennende kritische Rationalität hinter die Entwicklungsstufe zurück, die sie in der Anthroposophie als Vollendung der Aufklärung potenziell erreicht hat. Während in vielen Lebensbereichen der westlichen Gesellschaft die Grenzen der kritischen Rationalität bereits erkannt und Wege gesucht werden, die destruktiven Folgen ihrer Verabsolutierung zu heilen, zeigt sie uns in Zanders Generalabrechnung ihr intellektuell verschleiertes Antlitz.