Zander behauptet, Steiner habe ein Fragment der »Geheimwissenschaft im Umriss« hinterlassen, das bis heute nicht publiziert worden sei. Dieses Fragment wurde bereits 2001 veröffentlicht.

Auf S. 70 schreibt Zander:

»Im Regelfall ist es jedoch nicht möglich, Steiners Weg vom Manuskript zum Text nachzuvollziehen.«193

In der Fußnote 193 heisst es:

»So ist etwa eine erste Fassung der ›Geheimwissenschaft« nicht publiziert (s. 7.5.1).«

Diese Behauptung wird auf S. 649 noch einmal wiederholt, wo es heißt:

»1904 lag aber ein bislang unpubliziertes Manuskript vor412«;

Die Behauptung trifft nicht zu, das Fragment der »Geheimwissenschaft« sei nicht veröffentlicht worden. Dieses Fragment wurde 2001 in der Gesamtausgabe veröffentlicht. Es ist in Band 89, »Bewusstsein, Leben, Form« enthalten. Die Niederschrift mit dem Titel »Entwurf zur Darstellung der geisteswissenschaftlichen Kosmologie« nimmt die Seiten 21-66 ein.

In der Einführung des Herausgebers wird der Text Ende 1903/Anfang 1904 datiert und ausdrücklich als Fragment der »Geheimwissenschaft« ausgewiesen.

Der Querverweis (»s. 7.5.1«) führt ins Leere. Ein solches Kapitel gibt es in Zanders Buch nicht. Stattdessen greift Zander die Behauptung im Kapitel 7.6.1, »Genese und Intentionen« wieder auf, in dem sich die zitierte Wiederholung auf S. 649 befindet.

Zander behauptet fälschlicherweise, Steiner habe schon 1895 »die Theosophen verrissen«.

Auf S. 123 heisst es:

»Schon 1895 hatte er [Steiner] die Theosophen verrissen: ›Nichts als Redensarten ... die inneren Erlebnisse sind nichts als Heuchelei.‹ (GA 32, 195)«.

Der Aufsatz »Theosophen«, auf den Zander Bezug nimmt, erschien 1897 im Magazin für Literatur, nicht 1895. Siehe GA 35, Inhaltsverzeichnis S. 3, Text S. 194-196, 2. Auflage 1971.

Laut Zander ist unklar, welche Ausrichtung Steiner 1902 der von ihm vertretenen Theosophie geben wollte.

Auf S. 128 schreibt Zander:

»Steiner verkündete, er wolle über Blavatsky und Besant hinausgehen36 ... Wie diese Ausrichtungen en détail ausgesehen haben, ist augenblicklich unklar40, wenn es denn genauere Vorstellungen gab.«

Zumindest, was Steiner anbetrifft, war die Ausrichtung keineswegs unklar. In einem auch von Zander zitierten Brief an Wilhelm Hübbe-Schleiden, schrieb Steiner am 16. August 1902:

...

»Das Risiko, dem ich mich aussetze, schwebt mir klar vor Augen. Und ich glaube, ich muss mich demselben aussetzen. Was kann denn nur kommen? Entweder sind wir in der Lage, der Theosophical Society in Deutschland als Rahmen ein Bild einzusetzen, das wir für das richtige halten. Dann werden die bisherigen Persönlichkeiten sehen, wie sie sich zu uns stellen. Oder aber wir sind nicht in der Lage: dann ist die Summe der bisherigen Persönlichkeiten einfach durch diese Tatsache – selbst wenn sie eine Sektion zustande brächten, was gewiss nicht der Fall sein wird – ins Nichts zusammengesunken. Denn damit hätten sie ein für allemal auf die Bewegung innerhalb der deutschen Geistesbildung verzichtet. Und wir hätten es dann mit einer tabula rasa zu tun, die nicht wir erst gemacht haben und die uns unser Wirkensfeld eröffnet. Solange aber das nicht der Fall ist, sind wir zur Untätigkeit bestimmt. Ich möchte am liebsten ganz positiv in meiner Tätigkeit sein; die nutzlose und wesenlose Opposition möchte ich den Herren Bresch und Hubo überlassen. Ich will auf die Kraft bauen, die es mir ermöglicht, ›Geistesschüler‹ auf die Bahn der Entwicklung zu bringen. Das wird meine Inaugurationstat allein bedeuten müssen. Deshalb möchte ich in allem positiv sein.

Auch die Leipziger werden ja dann nachzusehen haben, ob sie ferne contra uns sein wollen oder sich mit uns vereinen wollen. Ich werde sie natürlich niemals als ›Gesellschaft‹ bekämpfen. Aber anschließen könnte ich mich den Leipzigern als ›Gesellschaft‹ nicht, weil ich einfach der Meinung bin, dass sie vielleicht bis zu einem gewissen Punkte kommen können, aber nicht darüber hinaus. Ich glaube, man braucht die Theosophical Society noch lange nicht für etwas auch nur relativ Vollkommenes zu halten, aber man wird doch zugeben müssen, dass sie mehr Entwicklungskeime in sich trägt als die Leipziger Gesellschaft. Ich mag vielleicht unrecht haben, aber ich stehe auf dem Standpunkte, dass ich mich der Theosophical Society anschließen darf, dass ich mit ihr wirken darf, – dass ich aber ein Gleiches mit der Leipziger Gesellschaft nicht dürfte. Ich glaube nämlich, dass die Bewegung, die H.P.B. und A. Besant eingeleitet haben, über H.P. Blavatsky und Annie Besant hinausschreiten kann, dass aber die Leipziger Gesellschaft höchstens bis zu H.P. Blavatsky und Annie Besant vordringen kann. Und damit habe ich für Sie, mein hochverehrter, lieber Herr Doktor, den Standpunkt präzisiert, den ja auch Sie einnehmen.«

In einer »Beilage zum vorhergehenden Brief« schreibt Steiner weiter:

...

»Nach meinen Erfahrungen ist es heute ebenso unzulänglich, auf diejenigen zu bauen, die in leichter Art die Erhebung durch zu schnell geistig gedeutete äußere Vorgänge suchen, wie auf diejenigen, die auf den ›Schwingen praktischer Begeisterung sich über das theoretische Verständnis leicht hinwegsetzen‹. Das sind wunderschöne Worte, die Sie im Sinne Ihres Briefes von gestern den ersten Seiten einzufügen gedenken. Für mich liegt nun in einer gewissen anderen Beziehung heute eine ebenso große Gefahr wie in dieser ›Begeisterung‹. Von Ihnen kann ich wohl nicht mißverstanden werden, wenn ich sage: ich sehe heute eine gewisse Gefahr in solchen Vorträgen wie in den Leadbeaterschen über die ›unsichtbaren Helfer‹. Ich weiß, dass hier für viele ein Weg zur Theosophie sich eröffnet. Aber unter diesen sind wieder viele, die zu bequem sind, den höheren Weg des mentalen Verständnisses sich anzueignen. Bei jeder spiritistischen Sitzung kann man das sehen. Der in den meisten Menschen latente materialistische Sinn feiert da wahre Orgien. Wir halten aber das mentale Verständnis zurück, wenn wir einer unzeitigen Deutung phänomenaler Erscheinungen Vorschub leisten. Und wir liefern Wasser auf die Mühlen des Materialismus.

Ich habe gerade darin Erfahrung, da ich es nie verschmäht habe, mich vor die ganze Front hinzustellen, welche der Materialismus unserer Tage aufzuführen in der Lage ist. Tut man dies, so muß man mit Mitteln arbeiten, welche aus der Werkstätte dieses Materialismus selbst entnommen sind; und ich bin oft genötigt, die materialistischen Ausdrucksmittel in einem geistigen Sinn zu gebrauchen, der einer äußerlichen Beobachtung nicht immer gleich durchsichtig ist. [Hervorhebung Red.] Meine Broschüre ›Haeckel und seine Gegner‹ ist ein voller Beweis dafür. Wer in ihr den Absatz von Seite 27 ›Nun aber wird die dualistische ...‹ bis Seite 30 › ... bloße Verdächtigung desselben hinausläuft‹ [liest], sollte keinen Augenblick zweifeln, dass der Sinn »theosophisch« ist, dass ich die Naturwissenschaft hier in die ›Theosophie‹ einmünden lasse, und zwar ganz bewußt. [Siehe den Auszug weiter unten, Red.] Dennoch stelle ich mich in der ganzen Broschüre auf den Standpunkt des Haeckelschen Religionsbekenntnisses, weil für mich jedes Religionsbekenntnis eine Entwicklungsstufe zur Wahrheit ist und ich mich bemühe, die Wahrheit in den Bekenntnissen zu suchen. Ich halte es eben nicht für richtig, es mit dem Haeckelismus zu machen, wie der Hofrat Seiling es macht. Dann tut man genau dasselbe, was Haeckel selbst mit dem Christentum tut.

Nun sind die meisten der gegenwärtig sich auf Gebetserhörungen Berufenden in genau demselben Sinn Materialisten, wie etwa Ludwig Büchner einer war. Für mich haben aber die Büchnerianer eines voraus: die Aufrichtigkeit und Beharrlichkeit in sich selbst. Sie sagen einfach: Für mich ist da ein Zufall, wo ich kein Gesetz wahrnehmen kann. Das tut ja auch Lehmann in seinem im üblen Sinne zeitgemäßen Buch über den ›Aberglauben‹. Ich glaube nun nicht, dass wir auf den vielen Materialismus innerhalb der theosophischen Bewegung bauen dürfen. [Hervorhebung Red.] Es ist wohl einer der geschicktesten Winkelzüge Franz Hartmanns, dass er sich in den Fragen, welche spiritistisch Gläubige an ihn stellen, ironisch verhält.

Man erlebt zu viele Enttäuschungen, wenn man auf diejenigen baut, auch ohne dass man es will, denen man von ›geistiger‹ Entwicklung spricht und die dann kommen und einem ›doch‹ von den ›Gesundbetern‹ vorschwärmen. Es scheint mir, dass wir vor allem nach dieser Richtung hin ganz klar sein müssen. Ich weiß, was mir noch alles für Missverständnisse nach dieser Seite hin blühen werden. Nehmen Sie mir nicht übel, dass ich meine Bedenken gerade über diesen Punkt rückhaltlos äußere. Ich glaube aber nicht, dass es gut wäre, wenn wir alles darauf anlegten, von den spiritualistischen Materialisten in Anspruch genommen zu werden, und dafür die Opposition der zwar noch unentwickelten, aber dafür innerlich strebenden und, wenn auch unbewusst, auf theosophischer Bahn wandelnden materialistischen Spiritualisten wachriefen. Wir haben dazu in Anbetracht der Geistesverfassung der Gegenwart keinen Grund. [Hervorhebung Red.]

Ich möchte vielmehr alles tun, um die Theosophie in der Gegenwart in das Fahrwasser zu bringen, das in Ihren Worten liegt: ›Dieser Weg ins spirituelle Reich des Geistes führt heute durch das intellektuelle Reich.‹ Die meisten aber, die heute etwa Leadbeaters Vortrag über die ›unsichtbaren Helfer‹ unterschreiben, wollen oder können (noch nicht) durch das intellektuelle Gebiet. ... Mir kommt es überall darauf an, dass eine Sache von dem wirklich verstanden wird, der sie zu verstehen vorgibt. Und das ist zweifellos mit den ›unsichtbaren Helfern‹ bei dem Troß der ›Theosophen‹ nicht der Fall.

Schreiben Sie diese meine Meinung nicht der Ängstlichkeit vor der materialistischen Borniertheit unserer Tage zu. Ich habe nicht die geringste Angst vor den Materialisten. Aber ich möchte nicht unnötig Mauern errichten, die von dieser Seite her den Eingang zu uns versperren, während es uns doch durchaus nicht darum zu tun sein kann, die materialistische Gesinnung in der theosophischen Bewegung zu pflegen.«

Rudolf Steiner, Brief an Wilhelm Hübbe-Schleiden, 16. August 1902, Briefe Band 2, Ausgabe 1953, S. 268 f.


Die Passage in »Haeckel und seine Gegner«, auf die Steiner hinweist, lautet:

»Nun wird aber die dualistische Weltanschauung durch nichts besser widerlegt als durch die Betrachtung des menschlichen Geistes. Wenn ich einen äußeren Vorgang, zum Beispiel die Bewegung einer elastischen Kugel, die durch eine andere gestoßen worden ist, erklären will, so kann ich nicht bei der bloßen Beobachtung stehen bleiben, sondern ich muß das Gesetz suchen, das Bewegungsrichtung und Schnelligkeit der einen Kugel durch Richtung und Schnelligkeit der anderen bestimmt. Ein solches Gesetz kann mir nicht die bloße Beobachtung, sondern nur die gedankliche Verknüpfung der Vorgänge liefern. Der Mensch entnimmt also aus seinem Geiste die Mittel, um das zu erklären, was sich ihm durch die Beobachtung darbietet. Er muß über die Beobachtung hinausgehen, wenn er sie begreifen will. Beobachtung und Denken sind die beiden Quellen unserer Erkenntnisse über die Dinge. Das gilt für alle Dinge und Vorgänge, nur nicht für das denkende Bewußtsein selbst. Ihm können wir durch keine Erklärung etwas hinzufügen, was nicht schon in der Beobachtung liegt. Es liefert uns die Gesetze für alles andere, es liefert uns zugleich auch seine eigenen. Wenn wir die Richtigkeit eines Naturgesetzes dartun wollen, so vollbringen wir dies dadurch, daß wir Beobachtungen, Wahrnehmungen unterscheiden, ordnen, Schlüsse ziehen, also uns Begriffe und Ideen über die Erfahrungen mit Hilfe des Denkens bilden. Über die Richtigkeit des Denkens entscheidet nur das Denken selbst. So ist es das Denken, das uns bei allem Weltgeschehen über die bloße Beobachtung, nicht aber über sich selbst hinausführt.

Diese Tatsache ist unvereinbar mit der dualistischen Weltanschauung. Was die Anhänger dieser Weltanschauung so oft betonen, daß die Äußerungen des denkenden Bewußtseins uns durch den inneren Sinn der Selbstbeobachtung zugänglich sind, während wir das physische, das chemische Geschehen nur begreifen, wenn wir die Tatsachen der Beobachtung durch logische, mathematische Kombination und so weiter, also durch die Ergebnisse der geisteswissenschaftlichen Gebiete, in die entsprechenden Zusammenhänge bringen: das dürften sie vielmehr niemals zugeben. Denn man ziehe nur einmal die richtige Folgerung aus der Erkenntnis, daß Beobachtung in Selbstbeobachtung umschlägt, wenn wir aus naturwissenschaftlichem in geisteswissenschaftliches Gebiet heraufgehen. Läge den Naturerscheinungen eine allgemeine Weltvernunft oder ein anderes geistiges Urwesen zugrunde (zum Beispiel Schopenhauers Wille oder Hartmanns unbewußter Geist), so müsste auch der denkende Menschengeist von diesem Weltwesen geschaffen sein. Eine Übereinstimmung der Begriffe und Ideen, die sich dieser Geist von den Erscheinungen bildet, mit der eigenen Gesetzmäßigkeit dieser Erscheinungen wäre nur möglich, wenn der ideelle Weltkünstler in der menschlichen Seele die Gesetze erzeugte, nach denen er vorher die ganze Welt geschaffen hat. Dann aber könnte der Mensch seine eigene geistige Tätigkeit nicht durch Selbstbeobachtung, sondern durch Beobachtung des Urwesens erkennen, von dem er gebildet ist. Es gäbe eben keine Selbstbeobachtung, sondern nur Beobachtung der Absichten und Zwecke des Urwesens. Mathematik und Logik zum Beispiel dürften nicht dadurch ausgebildet werden, daß der Mensch die innere, eigene Natur geistiger Zusammenhänge sucht, sondern daß er diese geisteswissenschaftlichen Wahrheiten aus den Absichten und Zwecken der ewigen Weltvernunft ableitet. Wäre die menschliche Vernunft nur Abbild einer ewigen, dann könnte sie ihre Gesetzmäßigkeit nimmermehr durch Selbstbeobachtung gewinnen, sondern sie müsste sie aus der ewigen Vernunft heraus erklären. Wo immer aber eine solche Erklärung versucht worden ist, ist stets einfach die menschliche Vernunft in die Welt hinaus versetzt worden. Wenn der Mystiker durch Versenken in sein Inneres sich zur Anschauung Gottes zu erheben glaubt, so sieht er in Wirklichkeit nur seinen eigenen Geist, den er zum Gott macht, und wenn Eduard von Hartmann von Ideen spricht, die sich der Naturgesetze als Handlanger bedienen, um den Weltenbau zu bilden, so sind diese Ideen nur seine eigenen, durch die er sich die Welt erklärt. Weil Beobachtung der Geistesäußerungen Selbstbeobachtung ist, deshalb spricht sich im Geiste das eigene Selbst und nicht eine äußere Vernunft aus.

Im vollen Einklange mit der Tatsache der Selbstbeobachtung steht aber die monistische Entwickelungslehre. Hat sich die menschliche Seele langsam und stufenweise mit den Seelenorganen aus niederen Zuständen entwickelt, so ist es selbstverständlich, daß wir ihr Entstehen von unten her naturwissenschaftlich erklären, daß wir aber die innere Wesenheit dessen, was sich zuletzt aus dem komplizierten Bau des menschlichen Gehirns ergibt, nur durch die Betrachtung dieser Wesenheit selbst gewinnen können. Wäre Geist in einer der menschlichen Form ähnlichen immer vorhanden gewesen und hätte sich zuletzt nur im Menschen sein Gegenbild geschaffen, so müssten wir den Menschengeist aus dem Allgeist ableiten können; ist aber der Menschengeist im Laufe der natürlichen Entwickelung als Neubildung entstanden, dann begreifen wir sein Herkommen, wenn wir seine Ahnenreihe verfolgen; wir lernen die Stufe, zu der er zuletzt gekommen ist, kennen, wenn wir ihn selbst betrachten.

Eine sich selbst verstehende und auf unbefangene Betrachtung des menschlichen Geistes gerichtete Philosophie liefert also einen weiteren Beweis für die Richtigkeit der monistischen Weltanschauung. Sie ist dagegen ganz unverträglich mit einer dualistischen Naturwissenschaft. (Die weitere Ausführung und ausführliche Begründung einer monistischen Philosophie, deren Grundgedanken ich hier nur andeuten konnte, habe ich in meiner ›Philosophie der Freiheit‹ gegeben.)

Wer die monistische Weltanschauung recht versteht, für den verlieren auch alle Einwendungen, die ihr von der Ethik gemacht werden, alle Bedeutung. Haeckel hat wiederholt auf das Unberechtigte solcher Einwendungen hingewiesen und auch darauf aufmerksam gemacht, wie die Behauptung, daß der naturwissenschaftliche Monismus zum sittlichen Materialismus führen müsse, entweder auf einer vollkommenen Verkennung des ersteren beruht, oder aber auf eine bloße Verdächtigung desselben hinausläuft.«

Auszug aus: Haeckel und seine Gegner, August/September 1899; jetzt in GA 30, S. 152-200, 3. Auflage 1989.

Über die Teilung der »Esoterischen Schule« der Theosophischen Gesellschaft in eine »östliche« unter der Leitung Annie Besants und eine »westliche« unter der Leitung Rudolf Steiners während des Münchner Kongresses im Mai 1907 schreibt Zander, es lägen »keine zeitnahen Aussagen« Steiners zu dieser Vereinbarung vor. Diese Behauptung ist falsch. Mit den im September 1907 verfassten Dokumenten von Barr liegen von Seiten Steiners zeitnahe Aufzeichnungen vor. Die Dokumente von Barr sind seit langem in der Gesamtausgabe zugänglich (GA 262).

Auf S. 142/143 schreibt Zander:

»Ereignisnahe Aussagen von den Münchner Vereinbarungen sind augenblicklich nur von Besant zugänglich, die die Unterschiedlichkeit der weltanschaulichen Orientierung als Begründung für die Trennung angab ... Steiners Darstellungen datieren allesamt Jahre später.«

Auszug aus den Dokumenten von Barr, September 1907, GA 262, S. 23 f. Ausgabe 2002.

[II.]

...

»Christian Rosenkreutz ging in der ersten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts nach dem Orient, um den Ausgleich zu finden zwischen der Initiation des Ostens und jener des Westens. Eine Folge davon war die definitive Begründung der Rosenkreuzerrichtung im Westen nach seiner Rückkehr. In dieser Form sollte das Rosenkreuzertum die streng geheimgehaltene Schule sein zur Vorbereitung dessen, was der Esoterik öffentlich als Aufgabe zufallen müsse um die Wende des 19. und 20. Jahrhunderts, wenn die äußere Naturwissenschaft zur vorläufigen Lösung gewisser Probleme gekommen sein werde.

Als diese Probleme bezeichnete Christian Rosenkreutz:

1) Die Entdeckung der Spektralanalyse, wodurch die materielle Konstitution des Kosmos an den Tag kam.

2) Die Einführung der materiellen Evolution in die Wissenschaft vom Organischen.

3) Die Erkenntnis der Tatsache eines anderen als des gewöhnlichen Bewusstseinszustandes durch die Anerkennung des Hypnotismus und der Suggestion.

Erst wenn diese materiellen Erkenntnisse innerhalb der Wissenschaft ausgereift wären, sollten gewisse rosenkreuzerische Prinzipien aus dem Geheimwissenschaftlichen in die öffentliche Mitteilung eintreten.

Für die Zeit bis dahin wurde die christlich-mystische Initiation in der Form dem Abendlande gegeben, in der sie durch den Initiator, dem ›Unbekannten aus dem Oberland‹ erfloss in St. Victor, Meister Eckhart, Tauler usw.

Als ein ›höherer Grad‹ wird innerhalb dieser ganzen Strömung die Initiation des Manes angesehen, der 1459 auch Christian Rosenkreutz initiierte: sie besteht in der wahren Erkenntnis von der Funktion des Bösen. Diese Initiation muss mit ihren Hintergründen noch für lange vor der Menge ganz verborgen bleiben. Denn wo von ihr auch nur ein ganz kleiner Lichtstrahl in die Literatur eingeflossen ist, da hat er Unheil angerichtet, wie durch den edlen Guyau, dessen Schüler Friedrich Nietzsche geworden ist.

[III].

Als Information; in dieser Form unmittelbar kann es noch nicht gesagt werden.

Die Theosophische Gesellschaft ist 1875 in New York gegründet worden durch H. P. Blavatsky und H. S. Olcott. Diese erste Gründung trug einen ausgesprochen westlichen Charakter. Und auch die Schrift ›Isis Unveiled‹, in welcher Blavatsky eine große Summe von okkulten Wahrheiten veröffentlichte, trägt einen solchen westlichen Charakter. Von dieser Schrift muss jedoch gesagt werden, dass sie die großen Wahrheiten, die in ihr mitgeteilt werden, in einer vielfach verzerrten, ja oft karikierten Art wiedergibt. Es ist so, wie wenn ein harmonisches Antlitz in einem Konvexspiegel ganz verzerrt erscheint. Die Dinge, die in der ›Isis‹ gesagt werden, sind wahr; aber die Art, wie sie gesagt werden, ist unregelmäßige Spiegelung der Wahrheit. Es rührt dies davon her, dass die Wahrheiten selbst inspiriert sind von den großen Initiierten des Westens, die auch die Initiatoren der Rosenkreuzerweisheit sind. Die Verzerrung rührt her von der unentsprechenden Art, wie diese Wahrheiten von der Seele H. P. Blavatskys aufgenommen worden sind. Für die gebildete Welt hätte gerade diese Tatsache ein Beweis sein müssen für die höhere Inspirationsquelle dieser Wahrheiten. Denn niemals hätte jemand durch sich selbst diese Wahrheiten haben können, der sie in einer so verzerrten Art wiedergab. Weil nun die Initiatoren des Westens sahen, wie wenig sie die Möglichkeit haben, auf diese Art den Strom spiritueller Weisheit in die Menschheit einfließen zu lassen, beschlossen sie, die Sache überhaupt vorläufig in dieser Form fallen zu lassen. Doch war aber nun einmal das Tor geöffnet: Blavatskys Seele war so präpariert, dass in sie spirituelle Weisheiten einfließen konnten. Es konnten sich ihrer östliche Initiatoren bemächtigen. Diese östlichen Initiatoren hatten zunächst das allerbeste Ziel. Sie sahen, wie durch den Anglo-Amerikanismus die Menschheit der furchtbaren Gefahr einer vollständigen Vermaterialisierung der Vorstellungsart entgegensteuerte. Sie – diese östlichen Initiatoren – wollten der westlichen Welt ihre Form von alters her bewahrter spiritueller Erkenntnis einimpfen. Unter dem Einfluss dieser Strömung nahm die Theosophische Gesellschaft den östlichen Charakter an, und unter dem gleichen Einfluss wurden Sinnetts ›Esoterischer Buddhismus‹ und Blavatskys ›Geheimlehre‹ inspiriert. Beides aber wurden wieder Verzerrungen der Wahrheit. Sinnetts Werk verzerrt die hohen Kundgebungen der Initiatoren durch einen hineingetragenen ungenügenden philosophischen Intellektualismus und Blavatskys ›Geheimlehre‹ durch deren eigene chaotische Seele.

Die Folge davon war, dass die Initiatoren, auch die östlichen, ihren Einfluss immer mehr von der offiziellen Theosophischen Gesellschaft zurückzogen, und dass diese ein Tummelplatz für allerlei die hohe Sache entstellende okkulte Mächte wurde. Es trat eine kleine Episode ein, in welcher Annie Besant durch ihre reine, hochsinnige Denkungsweise und Lebensführung in die Strömung der Initiatoren kam. Doch hatte diese kleine Episode ein Ende, als Annie Besant den Einflüssen gewisser Inder sich hingab, die unter dem Einfluss namentlich deutscher Philosopheme, die sie falsch interpretierten, einen grotesken Intellektualismus entwickelten. So war die Lage, als ich selbst mich vor die Notwendigkeit versetzt fand, der Theosophischen Gesellschaft beizutreten. An deren Wiege waren echte Initiatoren gestanden, und dadurch ist sie, wenn auch die nachfolgenden Ereignisse eine gewisse Unvollkommenheit gegeben haben, vorläufig ein Instrument für das spirituelle Leben der Gegenwart. Ihre gedeihliche Fortentwickelung in den westlichen Ländern hängt ganz davon ab, inwiefern sie sich fähig erweist, das Prinzip der westlichen Initiation unter ihre Einflüsse aufzunehmen. Denn die östlichen Initiationen müssen notwendig das Christusprinzip als zentralen kosmischen Faktor der Evolution unberührt lassen. Ohne dieses Prinzip müsste aber die theosophische Bewegung ohne bestimmende Wirkung auf die westlichen Kulturen bleiben, die an ihrem Ausgangspunkte das Christusleben haben. Die Offenbarungen der orientalischen Initiation müssten für sich selbst im Westen sich wie eine Sektiererei neben die lebendige Kultur hinstellen. Eine Hoffnung auf Erfolg in der Evolution könnten sie nur haben, wenn sie das Christusprinzip aus der westlichen Kultur vertilgten. Dies wäre aber identisch mit dem Auslöschen des eigentlichen Sinnes der Erde, der in der Erkenntnis und Realisierung der Intentionen des lebendigen Christus liegt. [Diese] Zu enthüllen in voller Weisheits-, Schönheit- und Tatform ist aber das tiefste Ziel des Rosenkreuzertums. Über den Wert der östlichen Weisheit als Studium kann nur die Meinung bestehen, dass dieses Studium von allerhöchstem Werte ist, weil die westlichen Völker den Sinn für Esoterik verloren, die östlichen sich ihn aber bewahrt haben. Über die Einführung der richtigen Esoterik im Westen sollte aber auch nur die Meinung bestehen, dass dies nur die rosenkreuzerisch-christliche sein kann, weil diese auch das westliche Leben geboren hat, und weil durch ihren Verlust die Menschheit der Erde ihren Sinn und ihre Bestimmung verleugnen würde. Allein in dieser Esoterik kann die Harmonie von Wissenschaft und Religion erblühen, während eine jede Verschmelzung westlichen Wissens mit östlicher Esoterik nur solche unfruchtbare Bastarde erzeugen kann, wie Sinnetts ›Esoterischer Buddhismus‹ einer ist.«

...

Dokumente von Barre, September 1907

Zander behauptet, Steiner habe sich zwischen 1891 und 1900 – nach angeblich schlechten Erfahrungen mit Wiener Theosophen – kaum mehr über Mystik geäussert. Diese Behauptung ist falsch.

Auf S. 225 schreibt Zander:

»So wundert es nicht, dass Steiner vor 1900 das Thema ›Mystik‹ kaum noch aufgriff.«

Steiner hat sich zwischen 1891 und 1900 in mehreren Schriften und Aufsätzen über die Mystik ausgesprochen, teilweise hat er diese in die Systematik seiner Wirklichkeitslehre eingebaut, wie in der »Philosophie der Freiheit« 1893/94 im Kapitel »Die Faktoren des Lebens«. Steiner grenzt sich in seinen verschiedenen Auslassungen einerseits von einer falschen »Gefühlsmystik« ab, rückt aber gleichzeitig die Goethesche Erkenntnisart in die Nähe der Mystik.

Hier einige Fundstellen:

Die Philosophie der Freiheit 1893/4, Kapitel »Die Faktoren des Lebens«, S. 131-132, zitiert nach der Erstausgabe 1893/94:

»Das Gefühl ist auf subjektiver Seite zunächst genau dasselbe, was die Wahrnehmung auf objektiver Seite ist. Nach dem Grundsatz des naiven Realismus: Alles ist wirklich, was wahrgenommen werden kann, ist daher das Gefühl die Bürgschaft der Realität der eigenen Persönlichkeit. Der Monismus muß aber dem Gefühle die gleiche Ergänzung angedeihen lassen, die er für die Wahrnehmung notwendig erachtet, wenn sie als vollkommene Wirklichkeit sich darstellen soll. Für den Monismus ist das Gefühl ein unvollständiges Wirkliche, das in der ersten Form, in der es uns gegeben ist, seinen zweiten Faktor, den Begriff oder die Idee, noch nicht mitenthält.

Deshalb tritt im Leben auch überall das Fühlen gleichwie das Wahrnehmen vor dem Erkennen auf. Wir fühlen uns zuerst als Daseiende; und im Laufe der allmählichen Entwicklung ringen wir uns erst zu dem Punkte durch, wo uns in dem dumpf gefühlten eigenen Dasein der Begriff unseres Selbst aufgeht. Was für uns erst später hervortritt, ist aber ursprünglich mit dem Gefühle unzertrennlich verbunden.

Der naive Mensch gerät durch diesen Umstand auf den Glauben: in dem Fühlen stelle sich ihm das Dasein unmittelbar, in dem Wissen nur mittelbar dar. Die Ausbildung des Gefühlslebens wird ihm daher vor allen andern Dingen wichtig erscheinen. Er wird den Zusammenhang der Welt erst erfaßt zu haben glauben, wenn er ihn in sein Fühlen aufgenommen hat. Er sucht nicht das Wissen, sondern das Fühlen zum Mittel der Erkenntnis zu machen. Da das Gefühl etwas ganz Individuelles ist, etwas der Wahrnehmung Gleichkommendes, so macht der Gefühlsphilosoph ein Prinzip, das nur innerhalb seiner Persönlichkeit eine Bedeutung hat, zum Weltprinzipe. Er sucht die ganze Welt mit seinem eigenen Selbst zu durchdringen. Was der Monismus im Begriffe zu erfassen strebt, das sucht der Gefühlsphilosoph mit dem Gefühle zu erreichen, und sieht dieses sein Zusammensein mit den Objekten als das unmittelbarere an.

Die hiermit gekennzeichnete Richtung, die Philosophie des Gefühls, ist die Mystik. Der Irrtum dieser Anschauungsweise besteht darinnen, daß sie erleben will, was sie wissen soll, daß sie ein Individuelles, das Gefühl, zu einem Universellen erziehen will.

Das Fühlen ist ein rein individueller Akt, die Beziehung der Außenwelt auf unser Subjekt, insofern diese Beziehung ihren Ausdruck findet in einem bloß subjektiven Erleben.«

Einleitungen zu Goethes Naturwissenschaftlichen Schriften, Band 4, »Goethes Weltanschauung in seinen Sprüchen in Prosa«, zitiert nach der Erstausgabe 1897

»Wer ausschließlich die sinnliche Erfahrung anpreist, dem muss man mit Goethe erwidern, ›dass die Erfahrung nur die Hälfte der Erfahrung ist‹ (Natw. Schr., 4. Bd., 2. Abt., S.503). ›Alles Faktische ist schon Theorie‹, d.h. es offenbart sich im menschlichen Geiste ein Ideelles, wenn er ein Faktisches betrachtet.

Diese Weltauffassung, die in den Ideen die Wesenheit der Dinge erkennt und die Erkenntnis auffasst als ein Einleben in das Wesen der Dinge, ist nicht Mystik. Sie hat aber mit der Mystik das gemein, dass sie die objektive Wahrheit nicht als etwas in der Außenwelt Vorhandenes betrachtet, sondern als etwas, das sich im Innern des Menschen wirklich ergreifen lässt.

Die entgegengesetzte Weltanschauung versetzt die Gründe der Dinge hinter die Erscheinungen, in ein der menschlichen Erfahrung jenseitiges Gebiet. Sie kann nun entweder sich einem blinden Glauben an diese Gründe hingeben, der von einer positiven Offenbarungsreligion seinen Inhalt erhält, oder Verstandeshypothesen und Theorien darüber aufstellen, wie dieses jenseitige Gebiet der Wirklichkeit beschaffen ist.

Der Mystiker sowohl wie der Bekenner der Goetheschen Weltanschauung lehnen sowohl den Glauben an ein Jenseitiges, wie auch die Hypothesen über ein solches ab, und halten sich an das wirkliche Geistige, das sich in dem Menschen selbst ausspricht. Goethe schreibt an Jacobi: ›Gott hat dich mit der Metaphysik gestraft und dir einen Pfahl ins Fleisch gesetzt, mich dagegen mit der Physik gesegnet ... Ich halte mich fest und fester an die Gottesverehrung des Atheisten (Spinoza) ... und überlasse euch alles, was ihr Religion heißt und heißen müßt ... Du hältst aufs Glauben an Gott, ich aufs Schauen.‹

Was Goethe schauen will, ist die in seiner Ideenwelt sich ausdrückende Wesenheit der Dinge. Auch der Mystiker will durch Versenkung in das eigene Innere die Wesenheit der Dinge erkennen; aber er lehnt gerade die in sich klare und durchsichtige Ideenwelt ab als untauglich zur Erlangung einer höheren Erkenntnis. Er glaubt nicht, sein Ideenvermögen, sondern andere Kräfte seines Innern entwickeln zu müssen, um die Urgründe der Dinge zu schauen.

Gewöhnlich sind es unklare Empfindungen und Gefühle, in denen der Mystiker das Wesen der Dinge zu ergreifen glaubt. Aber Gefühle und Empfindungen gehören nur zum subjektiven Wesen des Menschen. In ihnen spricht sich nichts über die Dinge aus. Allein in den Ideen sprechen die Dinge selbst. Die Mystik ist eine oberflächliche Weltanschauung, trotzdem die Mystiker den Vernunftmenschen gegenüber sich viel auf ihre ›Tiefe‹ zugute tun. Sie wissen nichts über die Natur der Gefühle, sonst würden sie sie nicht für Aussprüche des Wesens der Welt halten; und sie wissen nichts von der Natur der Ideen, sonst würden sie diese nicht für flach und rationalistisch halten. Sie ahnen nicht, was Menschen, die wirklich Ideen haben, in diesen erleben. Aber für viele sind Ideen eben bloße Worte. Sie können die unendliche Fülle ihres Inhaltes sich nicht aneignen. Kein Wunder, dass sie ihre eigenen ideenlosen Worthülsen als leer empfinden.«

Goethes Weltanschauung, 1897, GA 6, zitiert nach der Erstausgabe 1897

S. VII-VIII

»Unsere Zeit liebt es, die Ideen da, wo von psychologischer Betrachtung einer Persönlichkeit die Rede ist, in einem mystischen Halbdunkel zu lassen. Die gedankliche Klarheit in solchen Dingen wird gegenwärtig als nüchterne Verstandesweisheit verachtet. Man glaubt tiefer zu dringen, wenn man von mystischen Abgründen des Seelenlebens, von dämonischen Gewalten innerhalb der Persönlichkeit spricht.

Ich muß gestehen, daß mir diese Schwärmerei für mystische Psychologie als Oberflächlichkeit erscheint. Sie ist bei Menschen vorhanden, in denen der Inhalt der Ideenwelt keine Empfindungen erzeugt. Sie können in die Tiefen dieses Inhaltes nicht hinabsteigen, sie fühlen die Wärme nicht, die von ihm ausströmt. Deshalb suchen sie diese Wärme in der Unklarheit. Wer imstande ist, sich einzuleben in die hellen Sphären der reinen Gedankenwelt, der empfindet in ihnen das, was er sonst nirgends empfinden kann. Persönlichkeiten wie die Goethes kann man nur erkennen, wenn man die Ideen, von denen sie beherrscht sind, in ihrer lichten Klarheit in sich aufzunehmen vermag. Wer die Mystik in der Psychologie liebt, wird vielleicht meine Betrachtungsweise kalt finden. Ob es aber meine Schuld ist, daß ich das Dunkle und Unbestimmte nicht mit dem Tiefsinnigen für ein und dasselbe halten kann?«

S. 51-52

»Die Naturen, die nicht zu erkennen vermögen, daß es die Sprache der Dinge ist, die im Innern des Menschen gesprochen wird, sind der Ansicht, alle Wahrheit müsse von außen in den Menschen eindringen. Solche Naturen halten sich entweder an die bloße Wahrnehmung und glauben, allein durch Sehen, Hören, Tasten, durch Auflesung der geschichtlichen Vorkommnisse und durch Vergleichen, Zählen, Rechnen, Wägen des aus der Tatsachenwelt Aufgenommenen die Wahrheit erkennen zu können; oder sie sind der Ansicht, daß die Wahrheit nur zu dem Menschen kommen könne, wenn sie ihm durch ein übermenschliches Wesen offenbart werde, oder endlich, sie wollen durch Kräfte besonderer Natur, durch Ekstase oder mystisches Schauen in den Besitz der höchsten Einsichten kommen, die ihnen, nach ihrer Ansicht, die dem Denken zugängliche Ideenwelt nicht darbieten kann. Den Offenbarungsgläubigen und den Mystikern reihen sich noch die Metaphysiker an. Diese suchen zwar durch das Denken sich Begriffe von der Wahrheit zu bilden. Aber sie suchen den Inhalt für diese Begriffe nicht in der menschlichen Ideenwelt, sondern in einer hinter den Dingen liegenden zweiten Wirklichkeit.«

S. 59-60

»Die befriedigende Grundstimmung, die Goethes Weltanschauung für ihn hat, ist derjenigen ähnlich, die man bei den Mystikern beobachten kann. Die Mystik geht darauf aus, in der menschlichen Seele den Urgrund der Dinge, die Gottheit zu finden. Der Mystiker ist gerade so wie Goethe davon überzeugt, daß ihm in inneren Erlebnissen das Wesen der Welt offenbar werde. Nur gilt ihm die Versenkung in die Ideenwelt nicht als das innere Erlebnis, auf das es ihm ankommt. Über die klaren Ideen der Vernunft hat er ungefähr dieselbe Ansicht wie Kant. Sie stehen für ihn außerhalb des schaffenden Ganzen der Natur und gehören nur dem menschlichen Verstande an. Er sucht durch Entwicklung ungewöhnlicher Zustände, z. B. durch Ekstase, zu einem Schauen höherer Art zu gelangen. Er tötet die sinnliche Beobachtung und das vernunftgemäße Denken in sich ab, und sucht sein Gefühlsleben zu steigern. Dann meint er in sich die wirkende Gottheit unmittelbar zu fühlen. Er glaubt in Augenblicken, in denen ihm das gelingt, Gott lebe in ihm.

Eine ähnliche Empfindung ruft auch die Goethesche Weltanschauung in dem hervor, der sich zu ihr bekennt. Nur schöpft sie ihre Erkenntnisse nicht aus Erlebnissen, die nach Ertötung von Beobachtung und Denken eintreten, sondern eben aus diesen beiden Tätigkeiten. Sie flüchtet nicht zu abnormen Zuständen des menschlichen Geisteslebens, sondern sie ist der Ansicht, daß die gewöhnlichen naiven Verfahrungsarten des Geistes einer solchen Vervollkommnung fähig sind, daß der Mensch das Schaffen der Natur in sich erleben kann. ›Es sind am Ende doch nur, wie mich dünkt, die praktischen und sich selbst rektifizierenden Operationen des gemeinen Menschenverstandes, der sich in einer höheren Sphäre zu üben wagt.‹ (Vgl. Goethes Werke in der Sophien-Ausgabe. z. Abt., Band II, S. 41)

In eine Welt unklarer Empfindungen und Gefühle versenkt sich der Mystiker; in die klare Ideenwelt versenkt sich Goethe. Die Mystiker verachten die Klarheit der Ideen. Sie halten diese Klarheit für oberflächlich. Sie ahnen nicht, was Menschen empfinden, welche die Gabe haben, sich in die belebte Welt der Ideen zu vertiefen. Es friert den Mystiker, wenn er sich der Ideenwelt hingibt. Er sucht einen Weltinhalt, der Wärme ausströmt. Aber der, welchen er findet, klärt über die Welt nicht auf. Er besteht nur in subjektiven Erregungen, in verworrenen Vorstellungen. Wer von der Kälte der Ideenwelt spricht, der kann Ideen nur denken, nicht erleben. Wer das wahrhafte Leben in der Ideenwelt lebt, der fühlt in sich das Wesen der Welt in einer Wärme wirken, die mit nichts zu vergleichen ist. Er fühlt das Feuer des Weltgeheimnisses in sich auflodern. So hat Goethe empfunden, als ihm die Anschauung der wirkenden Natur in Italien aufging.«

Magazin für Literatur 1897, 66. Jg. Nr. 35, GA 32, S. 194 f.

Theosophen

»Vor kurzem ist eine Übersetzung des tiefsinnigen indischen Gedichtes ›Bhagavad-Gita‹ von Franz Hartmann erschienen. Das Gedicht enthüllt die tiefsten Erlebnisse, die die Auserwählten, die Priesternaturen eines sinnigen Volkes in besonderen Zuständen hatten. Wie im Traume gingen diesen Priesternaturen die Lösungen derjenigen Lebensfragen auf, deren Beantwortung sie ihrer Veranlagung nach bedurften. Nicht durch abstraktes Denken, auf das wir Abendländer nun einmal angewiesen sind, sondern durch mystisches Schauen, durch Intuition suchten diese orientalischen Wahrheitssucher zu ihren Zielen zu gelangen.

Es wäre vergebens, wenn wir Abendländer es ihnen nachmachen wollten. Unsere Natur ist von der ihrigen verschieden; und deshalb muß auch der Weg ein anderer sein, auf dem wir zum Gipfel der Erkenntnis und zur Höhe einer freien Lebensführung gelangen. Nicht so denken die Theosophen. Sie sehen mit Achselzucken auf die ganze europäische Wissenschaft; lächeln über deren Verstandes- und Vernunftmäßigkeit und verehren die morgenländische Art des Wahrheitssuchens als die einzige. O, es ist köstlich, die überlegen sein wollende Miene zu beobachten, wenn man mit einem Theosophen in ein Gespräch kommt über den Wert abendländischer Erkenntnisse. ›Das ist alles Außenwerk‹; die ›Vernunftgelehrten gehen nur um eine Sache herum und beschauen ihre Oberfläche‹; ›wir hingegen leben in der Sache drinnen; wir leben sogar in Gott selbst drinnen; wir erleben die Gottheit in uns‹.

So etwa sind die Redensarten, die man zu hören bekommt. Und man wird kaum davonkommen, ohne daß einem der Stempel eines ›beschränkten Verstandesmenschen‹ aufgedrückt worden ist, wenn man nur mit wenigen Worten verrät, daß man von der Minderwertigkeit der abendländischen Wissenschaft doch nicht in gleicher Weise denken kann. Aber man tut nicht gut, ein solches Bekenntnis so bald abzulegen. Ich rate vielmehr jedem, der mit einem Theosophen zusammenkommt, sich zunächst vollständig gläubig zu stellen und zu versuchen, etwas von den Offenbarungen zu hören, die ein solcher von morgenländischer Weisheit vollzogener Erleuchteter in ›seinem Inneren‹ erlebt.

Man hört nämlich nichts; nichts als Redensarten, die den morgenländischen Schriften entlehnt sind, ohne eine Spur von Inhalt. Die inneren Erlebnisse sind nichts als Heuchelei. Es ist billig, Phrasen aus einer immerhin tiefsinnigen Literatur aufzunehmen und mit ihnen die ganze abendländische Erkenntnisarbeit wertlos zu erklären. Welche Tiefe, welche Innerlichkeit in der angeblich dem oberflächlichen Verstande, dem äußerlichen Begriffe angehörigen Wissenschaft des Abendlandes steckt, davon haben die Theosophen keine Ahnung. Aber die Art, wie sie von den höchsten Erkenntnissen sprechen, die sie nicht haben, die mystische Weise, in der sie unverstandene fremde Weisheit vorbringen, wirkt verführend auf nicht wenige Zeitgenossen. Und die Theosophische Gesellschaft ist über ganz Europa verbreitet, hat in allen größeren Städten ihre Anhänger; und die Zahl derer, die sich lieber dem dunklen Gerede vom Erleben der Gottheit im Innern zuwenden als der klaren, lichten, begrifflichen Erkenntnis des Abendlandes ist nicht gering. Dabei kommt den Theosophen zugute, daß sie in der Lage sind, gute Beziehungen zu den Spiritisten und ähnlichen sonderbaren Geistern zu halten. Sie sagen zwar auch von den Spiritisten, diese behandeln die Erscheinungen der Geisterwelt äußerlich; während sie selbst sie nur innerlich, ganz geistig erleben wollen. Aber sie lehnen es nicht ab, mit den Spiritisten Hand in Hand zu gehen, wenn es gilt, die freie, auf Vernunft und Beobachtung allein sich stützende freie Wissenschaft der Neuzeit zu bekämpfen.«