Die Aufsatzfolge »Aus der Akasha-Chronik« zeigt in Zanders Augen »die Merkmale eines nur begrenzt systematisch durchgeführten Konzepts«, voller »Vorgriffe und Rücksprünge«. Sie bestehe aus »zwei kaum verbundenen Blöcken«: einem über die Geschichte der Menschheit und einer Kosmologie, eine Gliederung, die mit vertauschter Reihenfolge an die »Geheimlehre« der Blavatsky erinnere, in der auf die Kosmogenese die Anthropogenese folge.

Auf S. 616 schreibt Zander:

»Die Aufsatzfolge zeigt einmal mehr die Merkmale eines nur begrenzt systematisch durchgeführten Konzeptes. Vorgriffe und Rücksprünge wechseln ab, vor allem aber besteht die Reihe aus zwei kaum verbundenen Blöcken« ...

Die »Gliederung erinnert (in umgekehrter Reihenfolge) an die ›Kosmogenesis‹ und ›Anthropogenesis‹ in Blavatskys beiden ersten, zu ihren Lebzeiten erschienenen Bänden der ›Geheimlehre‹.«

Warum die »Gliederung« der Aufsätze Steiners an Blavatskys »Geheimlehre« erinnern soll, zumal sie ja gerade die Reihenfolge der Glieder vertauscht, ist schleierhaft. Nicht die Gliederung könnte an die »Geheimlehre« erinnern, höchstens die Tatsache, dass Steiner die Geschichte der Menschheit und des Kosmos behandelt. Aber diese Fragestellungen waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts so ubiquitär, dass die Auseinandersetzung Steiners mit ihnen an alles mögliche erinnern könnte, zum Beispiel auch an die »Natürliche Schöpfungsgeschichte« Haeckels.

»Einmal mehr« ist Zanders Behauptung mangelnder Konsistenz und Systematik sachfremd und willkürlich.

Erstens war die Aufsatzfolge »Aus der Akasha-Chronik« von Steiner gar nicht als in sich geschlossenes Buch konzipiert, als solches wurde es erst nach seinem Tod durch Marie Steiner 1935 herausgegeben. Legitimerweise könnte man nur fragen, ob die einzelnen Aufsätze in sich konsistent und systematisch sind. Das Gegenteil zu behaupten, dürfte selbst Zander schwer fallen.

Zweitens lassen sich Anthropogenese und Kosmogenese nicht trennen, denn Menschheit und Erde entwickeln sich in Steiners Geschichtsdarstellung gemeinsam: die Entwicklung des Kosmos ist zugleich die Entwicklung der Menschheit und umgekehrt.

Drittens lässt sich – entgegen der Behauptung Zanders – durchaus eine Systematik in der Aufsatzfolge erkennen, die sich aus der näheren Betrachtung der Schilderungen von selbst ergibt: sie verläuft zunächst entgegen dem Zeitstrom rückwärts, von der Beschreibung der atlantischen Zeit bis zum Beginn der »jetzigen« Erde.

Steiner beginnt mit einem Überblick über die großen geschichtlichen Epochen der Menschheitsevolution: er behandelt die »atlantische« Zeit und geht in einem Ausblick auf den Übergang von der atlantischen in die nachatlantische Zeit ein. Es folgt eine Beschreibung der vorangegangenen »lemurischen« Zeit mit den wesentlichen Transformationen des Menschengeschlechts und des Kosmos, der Geschlechtertrennung und der Zeit vor der Geschlechtertrennung, darauf eine Schilderung der »polarischen« und »hyperboräischen« Epoche, mit dem Anfang der gegenwärtigen Erde, dem Austritt der Sonne und des Mondes aus der Erde. Die erinnernde Rückschau und die rückläufige Schilderung führt also bis zum Beginn der »jetzigen Erde« zurück.

Danach folgt ein methodisches Zwischenkapitel (»Einige notwendige Zwischenbemerkungen«), das einen Vorausblick auf die folgenden Darstellungen und Ausführungen über die Grundlegung der zukünftigen Entwicklung von Erde und Menschheit in geistigen Gesetzen enthält.

Der zweite Teil der Aufsatzreihe behandelt in einer Reihenfolge, die dem linearen Zeitstrom entspricht, zunächst überblicksweise die Vergangenheit und Zukunft der Erde, um sich dann den einzelnen Inkarnationen des Planeten, dem Alten Saturn, der Alten Sonne und dem Alten Mond zuzuwenden und im Kapitel über »Das Leben der Erde« die zwei Evolutionslinien der geistigen und physischen Menschheit, die in den vorangehenden Kapiteln beschrieben wurden, zusammenzuführen.

Das letzte Kapitel »Der viergliedrige Erdenmensch« gibt einen zusammenfassenden Überblick über die gesamte Entwicklung vom Gesichtspunkt der Umwandlung und Vollkommenheitsgrade der einzelnen Wesensglieder.

Zander findet in der heute als »Vorwort« betitelten Einleitung des ersten Aufsatzes »Aus der Akasha-Chronik« eine »Abrechnung mit der Geschichtsforschung und ihrer Methodik«. Steiners Hinweisen auf die »Begrenztheit« des Zugriffs der Historiografie auf die geschichtlichen Fakten und deren »Unsicherheit« kann er durchaus noch »folgen«. Allerdings trifft Zanders Behauptung nicht zu, Steiner habe sich mit diesen Hinweisen allein auf die »durch das Quellenmaterial bedingten Grenzen der historischen Forschung« bezogen.

Auf S. 617 schreibt Zander:

»Die erst heute als ›Vorwort‹ marginalisierte Passage (GA 11,21) war de facto eine Abrechnung mit der Geschichtsforschung und ihrer Methodik. ... Die Historiographie besitze  ... einen unzureichenden Zugriff auf die geschichtlichen Fakten. ... Steiner bezog sich damit auf die durch das Quellenmaterial bedingten Grenzen historischer Forschung. In diesen theoretisch nicht sehr ausgefalteten Überlegungen kann man ihm leicht folgen, selbst wenn man etwa seine Bedenken hinsichtlich der Widersprüchlichkeit in der von ihm postulierten Schärfe nicht teilt.«

Steiners »Überlegungen« erweisen sich bei genauerem Hinsehen als erheblich »ausgefalteter«, als Zanders Anmerkungen unterstellen.

Steiner verweist in der Einleitung des ersten Aufsatzes (GA 11, 1969, S. 21-26) nicht nur

• auf das Problem der Zugänglichkeit der Quellen, sondern auch

• auf die Abhängigkeit ihrer Deutung vom Bewusstsein des jeweiligen Historikers oder

• den jeweiligen (epochalen) Paradigmen der Geschichtswissenschaft.

Er verweist also

1. auf die objektiven Bedingtheiten und

2. die subjektiven Bedingungen der Möglichkeit aller Historiographie.

1. Das Bild der Geschichte (auch der kosmischen oder Naturgeschichte) ist abhängig von den Zufälligkeiten der Daten und Quellen, die äußerlich überliefert und vergänglich sind. Niemand weiß, ob die Spuren des Zeitlichen, die sich erhalten haben, das Wesentliche der Geschichte zum Ausdruck bringen.

2. Das Bild der Geschichte ist aber auch abhängig vom Bewusstsein des Historikers, der die überlieferten Materialien interpretiert. Bei dieser Interpretation spielen epochale und persönliche Begriffssysteme, die der jeweilige Historiker als verbindlich betrachtet, eine Rolle.

Für beide Bedingtheiten des Geschichtsbildes bietet Zander selbst ein gutes Beispiel. Nicht nur der Quellenbestand, auch die Auswahl der Quellen ist Zufälligkeiten unterworfen. Erstere sind objektiver, letztere subjektiver Natur.

Aber selbst die scheinbare Objektivität schriftlicher Quellen ist problematisch: beruhen sie doch auf Einstellungen, Entschlüssen, Urteilen derer, die diese Quellen geschaffen haben. Schon ob die »ursprünglichen Quellen« die »wirkliche Geschichte« erzählen, ist fraglich. Das Ausmaß, in dem Zander die Authentizität und Verlässlichkeit der Schriften Steiners bezweifelt, zeugt von dieser Problematik. Gerade, weil er die Reinheit und Ursprünglichkeit der Steinerschen Quelle bezweifelt, versucht er diese durch Zuflüsse aus anderen Quellen abzuleiten. Aber die Skepsis ist nur dann nicht selbstwidersprüchlich, wenn sie sich auf alle Quellen erstreckt. Um im Bild zu bleiben: alle denkbaren Zuflüsse müssten wiederum aus anderen Zuflüssen abgeleitet werden, es gibt keine aus sich selbst fließende Ursprungsquelle. Die Frage, wo das Wasser letztlich herkommt, bleibt dann natürlich unbeantwortbar.

Die Auswahl der Quellen und ihre Gewichtung hängt vom Urteil und den Kenntnissen des einzelnen Historikers ab. Eine größere Zahl von Texten, auf die er sich bezieht, besagt nicht größere Objektivität oder Wirklichkeitsnähe. Bezüge auf andere Texte sind stets Bezüge auf Urteile anderer, nicht auf ursprüngliche Wahrnehmungen. Welche Referenztexte werden herangezogen und warum gerade diese? Mit welchem Recht werden manche dieser Referenztexte normativ überhöht, andere ignoriert oder abgewertet? Besonders deutlich wird dies in den generell abschätzigen Urteilen Zanders über anthroposophische Sekundärliteratur.

Erst recht ist die Deutung der Quellen durch die Forschungshypothesen bedingt, von denen sich der einzelne Historiker leiten lässt und durch die hermeneutischen Kategorien, die er bei seiner Rekonstruktion von Geschichte anwendet. Ergebnis all dieser historischen »Zufälligkeiten« sind die jeweils unterschiedlichen »Geschichtsbilder«, die im Verlauf der Geschichte aufeinander folgen, in denen stets »dieselbe Geschichte« auf unterschiedliche Art erzählt wird. Diese Bedingtheit der Geschichtsbilder durch die Interessen und Fragestellungen der aufeinanderfolgenden Generationen macht es notwendig, »Geschichte« stets von Neuem zu erzählen, um den jeweils aktuellen, geschichtspolitischen Interessen zu genügen.

All diese Geschichtsbilder sind abhängig von den Auffassungen des jeweiligen Erzählers über das Wesen der Geschichte. Sieht er in ihr ein Ensemble von handelnden Personen, die mit jeweils unterschiedlichen Interessen, Bedürfnissen und Zielsetzungen in komplexen persönlichen Beziehungen zueinander und zum Weltganzen stehen, sieht er in ihr einen Mechanismus, in dem nach dem Vorbild von Naturgesetzen gedachte geschichtsbildende Kräfte aufeinander wirken, sieht er in ihr eine ewige Aufeinanderfolge von Klassen- oder Rassenkämpfen, um nur zwei herrschende Paradigmen des 19. Jahrhunderts zu nennen, oder sieht er in ihr ein Konglomerat von zufälligen Ereignissen ohne Bezug auf einen erklärenden Sinnhorizont, – stets wird das Ergebnis seiner Imagination ein anderes Geschichtsbild sein. Dabei können sich die unterschiedlichen Historiker sogar im Wesentlichen auf denselben Datenbestand beziehen: die von ihren Fragestellungen und vorausgesetzten Paradigmen abhängigen Ergebnisse werden dennoch höchst unterschiedlich ausfallen.

Die Entscheidung für bestimmte Forschungshypothesen und Deutungskategorien findet außerhalb der eigentlichen Geschichtsforschung statt und geht dieser immer schon voraus. Das ist der methodologische Selbstbegründungszirkel.

Was Geschichte ist, kann nicht aus der Geschichte abgeleitet werden, da die Erkenntnis von Geschichte immer schon ein Wissen um ihr Wesen voraussetzt. Um so dringlicher wäre eine selbstkritische Reflexion über das Verständnis von Geschichte und die Begründung der Möglichkeit ihrer Erkenntnis, die man jedoch bei Zander vergeblich sucht.

Diese grundsätzlichen Probleme aller Geschichtserkenntnis werden von Steiner durch den Hinweis auf eine Forschungsebene beleuchtet, die jenseits dieser Zufälligkeiten liegt, allerdings durchaus mit ihren eigenen epistemologischen Aporien behaftet ist. Steiner nennt sie »Akasha-Chronik«.

Der Begriff dieser »Akasha-Chronik« wird von ihm in der einleitenden Passage des ersten Aufsatzes entwickelt. Da alles Zeitliche aus dem Ewigen entspringt, kann, wer »das Ewige« wahrzunehmen vermag, aus dem ewigen Ursprung der Zeit das in der Zeit Entstandene erkennen. Das Ewige ist der Geist. Der Geist ist das formative Prinzip der Geschichte. Aus ihm gehen alle Erscheinungen hervor, die wir als geschichtlich, zeitlich bezeichnen können. Sowohl der Natur- als auch der Geistesgeschichte der Menschheit liegen diese formativen Kräfte zugrunde, die den sinnlichen Erscheinungen, dem Inhalt der Zeit, ihre Gestalt geben.

Grundlage dieser Überlegungen bilden die philosophischen Erörterungen über die Idee und den Typus, wie sie beispielsweise in den »Grundlinien ...« und in den »Einleitungen zu Goethes Naturwissenschaftlichen Schriften« enthalten sind.

Dass die formativen Kräfte der Geistes- und Kulturgeschichte ideeller Art sind, liegt auf der Hand, denn alle Äußerungen der spezifisch menschlichen Existenz, sofern der Mensch kein bloßes Naturwesen, sondern ein Kultur- und damit Geschichtswesen ist, gehen aus dem Bewusstseinsinhalt der handelnden Menschen hervor. Dieser Bewusstseinsinhalt schlägt sich in sinnlich wahrnehmbaren Zeugnissen nieder, zu denen nicht nur Texte, sondern auch die Gesamtheit der von Menschen erzeugten Artefakte gehört. In weiter zurückliegenden geschichtlichen Epochen, in denen die Menschheit noch nicht das begriffliche Denken und die damit verbundene individuelle Autonomie errungen hatte (magisches und mythisches Zeitalter), kommen als formative geistige Kräfte auch hierarchische Wesenheiten in Betracht, die den Inhalt der Geschichte durch Inspiration oder auf andere Weise formten.

Der Geschichte der Natur und des Kosmos liegen ebensolche ideellen Kräfte zugrunde, deren Träger aber nicht das menschliche Bewusstsein, sondern diese hierarchischen Mächte sind. Sogenannte Naturkräfte und Naturgesetze sind Ausdruck geistiger Wirkungen und Wesensbeziehungen. Die mathematisch-abstrakte Form ist lediglich eine von vielen möglichen Darstellungsarten, die sich auf die quantitativen Aspekte dieser Wesensbeziehungen beschränkt und von den Qualitäten und Substanzen absieht, die sich in diesen formalen Relationen ausdrücken. Die Folge der sinnlichen Erscheinungen ist Ausdruck der ideellen, gestaltbildenden Kräfte, die in der Evolution der Naturwesen und des Kosmos wirken. Diese Kräfte wirken ebensowenig bewusstlos, wie der Mensch bewusstlos handelt. So wie das Handeln der Menschen aus ihren Ideen und Absichten verstanden werden kann, kann die Folge der Erscheinungen, die im Lauf der Evolution von Kosmos und Natur auftreten, aus den ideellen Bildekräften verstanden werden, die ihnen zugrunde liegen.

Diese ideellen Bildekräfte sind nicht zeitlich, sondern generieren das, was man als Zeit bezeichnet. Die zeitliche Aufeinanderfolge von sinnlichen Erscheinungen ist lediglich Ausdruck der Tatsache ihrer ideellen Abhängigkeit.

»Die Zeit ist der sinnenfällige Ausdruck für den Umstand, dass die Tatsachen ihrem Inhalte nach voneinander in einer Folge abhängig sind. Hier sehen wir, dass die Zeit erst da auftritt, wo das Wesen einer Sache in die Erscheinung tritt. Die Zeit gehört der Erscheinungswelt an. Sie hat mit dem Wesen selbst noch nichts zu tun. Dieses Wesen ist nur ideell zu erfassen. Nur wer diesen Rückgang von der Erscheinung zum Wesen in seinen Gedankengängen nicht vollziehen kann, der hypostasiert die Zeit als ein den Tatsachen Vorhergehendes. ... Kann ich denn von dem Wesen einer Tatsache sagen: es entsteht oder vergeht? Ich kann nur sagen, dass ihr Inhalt einen andern bedingt, und dass dann diese Bedingung als Zeitenfolge erscheint. Das Wesen einer Sache kann nicht zerstört werden; denn es ist außer aller Zeit und bedingt selbst die letztere. Damit haben wir zugleich eine Beleuchtung auf zwei Begriffe geworfen, für die noch wenig Verständnis zu finden ist, auf Wesen und Erscheinung. Wer die Sache in unserer Weise richtig auffasst, der kann nach einem Beweis von der Unzerstörbarkeit des Wesens einer Sache nicht suchen, weil die Zerstörung den Zeitbegriff in sich schließt, der mit dem Wesen nichts zu tun hat. Nach diesen Ausführungen können wir sagen: Das sinnenfällige Weltbild ist die Summe sich metamorphosierender Wahmehmungsinhalte ohne eine zugrunde liegende Materie.« (GA 1, Kap. XVI, »Goethe als Denker und Forscher«, 1977, S. 273-274)

Das Beharrende im Fluss der Zeit sind demnach nicht die sich metamorphosierenden Wahrnehmungsinhalte, sondern das zeitlose, ideelle Wesen, das die Folge seiner essenziell voneinander abhängigen Erscheinungen aus sich generiert. Dass im Fall der Geistes- und Kulturgeschichte die Inhalte des menschlichen Bewusstseins wieder auf das ideelle Wesen zurückwirken, das die Gesetzmäßigkeit des Geschichtsverlaufs bestimmt, widerspricht diesem Gedanken nicht. Denn der Inhalt des menschlichen Bewusstseins ist selbst ideelles Wesen und bestimmt somit sich selbst. Aber dieses selbstbestimmte Bewusstsein ist seinerseits Ergebnis der Geschichte, ein Wesen, das in die Zeit eingetreten ist, diese ergreift und mit seiner Substanz zu durchdringen beginnt. Der Mensch als Geschöpf und Kind der Hierarchien wird dadurch zum Schöpfer neuer Hierarchien und nimmt die bestimmenden Gesetze der Zeit in sein Bewusstsein auf. Steiner thematisiert dieses Problem in den methodischen Zwischenbemerkungen, die die Berichte der hier besprochenen Aufsatzfolge unterbrechen. (GA 11, 1969, S. 129 ff.)

Wer sein Erkenntnisvermögen zur Wahrnehmung des Wesens, des ewigen Ursprungs des zeitlich Vergänglichen erhebt, ist in seiner Geschichtserkenntnis nicht auf vergängliche Zeugnisse angewiesen. Er nimmt an den Dingen wahr, was unvergänglich ist. Dieses Unvergängliche besteht in der Zeit fort, das heißt, das scheinbar Vergangene ist in der Gegenwart für den Sinn zugänglich, der das Ewige zu erfassen vermag. Dieser fortbestehende, unvergängliche Ursprung der Geschichte wird von Steiner als »Akasha-Chronik« bezeichnet.

Die »geistige Welt«, das heißt, das Unvergängliche, das im Vergänglichen gegenwärtig ist, birgt das Vergangene in seiner unvergänglichen Form in sich. Im ewigen Geist ist es lebendig.

»Schrift« und »Chronik« sind symbolische Bilder, Metaphern für Erinnerung und Gedächtnis. Die »Chronik« ist Bild für ein kosmisches Gedächtnis, die »Schrift« ist Bild für die Inhalte dieses Gedächtnisses, in dem der ewige Gehalt der Zeit lebendig ist. Die Schrift ist jene symbolische »Zeichenschrift«, in der die Inhalte des Eingeweihtenwissens tradiert werden, von der Steiner erstmals in »Wie erlangt man Erkenntnisse ...« (Luzifer-Gnosis, Heft 17, Oktober 1904) als Inhalt der inspirativen Erkenntnis spricht.

So wie das menschliche Gedächtnis den wesentlichen Gehalt des vergangenen Lebens bewahrt, bewahrt das »Weltgedächtnis« den wesentlichen Gehalt des Weltgeschehens. So wie der individuelle Mensch die Inhalte seiner Erinnerung aus seiner Organisation (dem Ätherleib) abliest und sie in aktuelle Erinnerungsvorstellungen umformt, kann das inspirative Bewusstsein die Inhalte aus der Substanz des Weltenäthers ablesen und in aktuelle Vorstellungen übersetzen.

Gemäß der Analogie müsste ein Wesen oder eine Gruppe von Wesenheiten vorausgesetzt werden, die mit ihren Ätherleibern oder den entsprechenden geistigen Wesensgliedern die Träger dieser kosmischen Erinnerung sind. Über diese lässt sich Steiner 1904 noch nicht näher aus. 1923 hat er die Wesensgrundlage dieser »Akasha-Chronik« angedeutet: sie ist im Bewusstsein der Throne zu sehen, jener Wesen, die seit Anbeginn der kosmischen Geschichte, seit dem »Alten Saturn«, mit der Evolution des Menschen, der Verzeitlichung seines ewigen, makrokosmischen Wesens verbunden sind (GA 228, 27.7.1923) und deren sinnlicher Ausdruck heute die sogenannte Saturnsphäre ist. Diese ist aber auch im Menschen gegenwärtig, d.h. jeder einzelne Mensch trägt die Substanz der Throne, die »Akasha-Chronik«, wenn auch zunächst unbewusst, in sich. Da der menschliche Ätherleib aus der Substanz des Weltenäthers besteht, eine individualisierte, zeitlich begrenzte Verdichtung dieses Weltenäthers ist, trägt dieser Ätherleib nicht nur die individuellen Gedächtnisspuren in sich, sondern auch die Spuren des kosmischen Gedächtnisses.

Unter Berufung auf GA 105 aus dem Jahr 1908 wirft Zander Steiner vor, er habe die indianische Rasse als »degeneriert« betrachtet und die afrikanische als »defiziente Spezies«.

Auf S. 631 schreibt Zander:

»Steiner ordnete die Rassen einer Fortschrittsgeschichte zu, in der beispielsweise heutige Indianer als ›degenerierte Menschenrasse‹ im ›Hinsterben‹ (GA 105,106.107 [1908]) oder schwarze Afrikaner als defiziente Spezies der Menschen- und Bewusstseinsentwicklung, als ›degenerierte‹, ›zurückgebliebene‹ Rasse (ebd., 106) erschienen.«

Abgesehen von der zweifelhaften Beschaffenheit der Textquelle, auf die Zander sich bezieht, ist die Interpretation dieses Vortrages keineswegs so eindeutig, wie er unterstellt.

Zieht man aber andere Darstellungen über die Entstehung der unterschiedlichen »Menschenrassen« hinzu, insbesondere GA 121 aus dem Jahr 1910, zeigt sich, dass die betreffenden Äußerungen Steiners aus dem Jahr 1908 nur eine Entwicklungsstufe der »Rassentheorie« Steiners darstellen.

Während nämlich in GA 105 die Vorfahren der »weißen Rasse« diejenigen sind, die sich in ihrer physischen Organisation im Unterschied zu den anderen am längsten bildsam erhalten haben, gehören in GA 121 auch die Vorfahren der »kaukasischen«, »weißen Rasse« in die Reihe der Vereinseitigungen eines ideellen Urtypus, wie alle anderen »Rassenformen«. Hier sind es die Kräfte des Nervensystems, der Sinne, die in der Vereinseitigungsform der kaukasischen Rasse in Erscheinung treten, während die übrigen Rassen jeweils andere Bildekräfte in die Vereinseitigung getrieben haben. Steiner hat die von Zander herangezogene Theorie nur in einem einzigen Vortrag vertreten und sie 1910 revidiert.

Darüber hinaus hat er später verschiedentlich die Auffassung vertreten, dass die Menschheit in physischer Beziehung als Ganze, in all ihren »Rassenformen« sich bereits in der Dekadenz befinde.

Die Menschheit ist seit der Mitte der atlantischen Zeit in einer physisch absteigenden Entwicklung, d.h. in Degeneration begriffen und zwar die gesamte Menschheit einschließlich ihrer europäischen Teile.

»Wir sind eigentlich heute gar nicht mehr auf der Welt, um für unsere eigene Organisation [d.h. für den Leib] zu sorgen. Wir verkörpern uns zwar noch, aber das hat nicht mehr den Sinn, für die eigene Organisation zu sorgen, denn diese eigene Organisation war in einer aufsteigenden Entwicklung bis in die Mitte der atlantischen Zeit. ... Da waren die Körper der Menschen so vollkommen, wie sie während der Erdenzeit sein können. ... Wir sind eigentlich dazu da, um einer abklingenden Entwicklung nunmehr anzugehören, um uns so zu verkörpern, dass wir allerlei erleben, erfahren dadurch, dass wir in absterbenden, in immer mehr und mehr abbröckelnden, verdorrenden Leibern sind. Die Ausdrücke sind natürlich sehr radikal. Aber das, was wir seelenhaft entwickeln, was wir innerlich sind, das geht nicht mehr in demselben Maße wie früher in die äußere Leiblichkeit über.« (GA 177, 7.10.1917, Dornach 1985, S. 78)

Diese absteigende Entwicklung, in der sich die Menschheit insgesamt befindet, hat zur Folge, dass sie nichts mehr von den Kräften des Leibes, der physischen Organisation und der Vererbung erhoffen darf. Diese Auffassung Steiners ist natürlich auch als Stellungnahme gegen jegliche Form von Eugenik oder Rassenhygiene zu verstehen, die glaubte, die »rassische Dekadenz« durch Zucht- oder Einhegungsmaßnahmen aufhalten zu können.

Noch einmal Steiner, diesmal im Jahr 1919:

»Wir haben eine verfallende Organisation, und mit uns ist die Erde in der Dekadenz. Das Physische der Erde ist in der Dekadenz. ... Wir sind zwar in brüchigen Leibern, aber gerade aus unseren brüchigen Leibern entwickelt sich um so mehr an Geistigkeit, wenn wir uns ihr nur hingeben. ... Alles Physische auf der Erde ist schon im Verfall, und man darf nicht mehr auf die Physis hoffen ...« (GA 191, 12.10.1919, Dornach 1989, S. 115-117)

Steiner betrachtet also die Degeneration oder Dekadenz nicht als ein Alleinstellungsmerkmal bestimmter »Rassenformen«, zumindest dann nicht, wenn man sich nicht willkürlich auf bestimmte isolierte Äußerungen Steiners beschränkt, deren Authentizität zudem zweifelhaft ist.

Auch der Hinweis auf die Arbeitervorträge aus dem Jahr 1923 leitet in die Irre. Denn in GA 349 stellt Steiner ebenfalls die verschiedenen »Rassenformen« als Vereinseitigungen eines allgemeinen Menschentypus dar, ohne die »weiße Rasse« gegenüber den anderen zu bevorzugen. Die Bemerkung, die »weiße Rasse« sei die »zukünftige, die am Geiste schaffende« »Rasse«, ist so zu verstehen, dass ihr gerade die Aufgabe zugeschrieben wird, den Rassismus zu überwinden. Dazu ist sie aber nicht aufgrund irgendwelcher »Rasseneigenschaften« befähigt, denn die neue Spiritualität, die die Menschheit in einem solidarischen Bewusstsein zusammenführt, kann nicht mehr aus »Rasseneigenschaften« entwickelt werden. Die Menschen, so Steiner in diesem Arbeitervortrag, müssen »über die ganze Erde hin« zusammenwirken, das ergibt sich bereits aus ihren »Naturanlagen«, die jeweils den (physischen) Menschen in einer bestimmten Vereinseitigung repräsentieren.

Zander behauptet, die Völker seien für Steiner »Substrukturen der Rassen«.

Auf S. 632 schreibt Zander:

»Als Substruktur der Rassen betrachtete Steiner das ›Volk‹, das er mit der gleichen Konstruktionslogik modellierte.«

Nach Steiners Verständnis dürfte man nicht von »Substrukturen«, man müsste vielmehr von »Hyperstrukturen« sprechen. Völker sind nach Steiners Definition in GA 121 Gruppen von Menschen, in deren Ätherleib ein und derselbe Erzengel wirkt. (GA 121, 1982, S. 27, 49, 66.)

»Rasseneigenschaften« sind auf das Wirken von zurückgebliebenen Geistern der Form im physischen Leib des Menschen zurückzuführen.

Durch die Kultureigenschaften der Völker wachsen die Menschen über die physischen Eigenschaften hinaus, die Kulturformen sind emergente Formen, die nicht von biologischen Eigenschaften abhängig sind oder aus diesen abgeleitet werden können. Kulturen sind auf Inspirationen von Erzengeln zurückzuführen bzw. auf die individuellen Leistungen von Menschen, die in der Geschichte als Kulturstifter in Erscheinung treten. Dass Völker im Lauf der Geschichte untergehen oder verschwinden, ist keine Erfindung Steiners, sondern schlicht eine historische Tatsache.

Eine Fülle von geschichtlichen Völkern, als relativ homogene Kultur- und Sprachgemeinschaften, als Schöpfer spezifischer historischer Kulturen, sind im Lauf der Geschichte hervorgetreten und wieder verschwunden, angefangen mit den Trägern alter Hochkulturen, bis in die Gegenwart. In diesem Sinne sind die alten Ägypter, die Kelten, die alten Griechen, die Germanen verschwunden, die von ihnen hervorgebrachten Kulturen sind entweder erloschen oder in abgewandelter Form mehr oder weniger zum Gemeingut der Menschheit geworden, sie selbst aber sind als abgrenzbare geschichtliche Einheiten in anderen Völkern und Kulturen aufgegangen. Völker werden nicht zur »Konkursmasse der Rassengeschichte«, wie Zander behauptet, denn Völker gehören nicht der »Rassengeschichte« an.

In GA 121 heißt es: »Ein Volk ist keine Rasse. Der Volksbegriff hat nichts zu tun mit dem Rassenbegriff ... Rassengemeinschaften sind andere Gemeinschaften als Volksgemeinschaften.« (GA 121, 9.6.1910, Ausgabe 1982, S. 66-67)

»Auslöschung von Rassenmerkmalen.« Zander setzt sich mit den von anthroposophischer Seite vorgetragenen Argumenten gegen die Behauptung auseinander, Steiner sei Rassist gewesen. Seine Gegenargumente sind wenig überzeugend.

Auf S. 633 schreibt Zander:

»In der Zukunft komme es zu einer Auslöschung von Rassenmerkmalen. –

Aber damit verlagert man die Lösung der Probleme aktueller Rassenkonstruktion auf eine künftige Zeit. Die negativen Wertungen, die für die absehbare Zukunft in Kraft bleiben, gelten dann heute fort.«

 

Steiner vertritt die Auffassung, bereits in der Gegenwart könnten Rassenbegriffe keine Anwendung mehr finden.

»Wenn man heute von ›Rassen‹ spricht, bezeichnet man etwas, was nicht mehr ganz richtig ist. ... Es hat zum Beispiel schon gegenüber der heutigen Menschheit keinen rechten Sinn mehr, von einer bloßen Rassenentwicklung zu sprechen. Von einer solchen Rassenentwicklung im wahren Sinne des Wortes können wir nur während der atlantischen Entwicklung sprechen. ...

In unserer Zeit wird der Rassenbegriff in einer gewissen Weise verschwinden, da wird aller von früher her gebliebene Unterschied nach und nach verschwinden. So dass alles, was in Bezug auf Menschenrassen heute existiert, Überbleibsel aus der Differenzierung sind, die sich in der atlantischen Zeit herausgebildet hat. Wir können noch von ›Rassen‹ sprechen, aber nur in einem solchen Sinn, dass der eigentliche Rassenbegriff seine Bedeutung verliert.« (GA 105, Welt, Erde und Mensch, 16.08.1908, S. 183-184)

Man muss zwischen dem Verschwinden von »Rassenmerkmalen« und der Anwendung von Rassenbegriffen unterscheiden.

Das Verschwinden von »Rassenmerkmalen« ist ein ontologischer, naturgeschichtlicher Prozess, die Anwendung von Rassenbegriffen ein Erkenntnisprozess. Die Begriffe sind bereits heute nicht mehr anwendbar, die physischen Merkmale verschwinden bereits seit Jahrtausenden unter den Kulturmerkmalen und werden in Zukunft immer mehr auch als physische Merkmale verschwinden. Darüber hinaus sind Steiners Äußerungen über die unterschiedlichen »Rassen« auch nicht als positive oder negative Wertungen zu verstehen, sondern als bloße Charakterisierungen bzw. als Wiedergabe des damaligen wissenschaftlichen Diskussionsstands.