Eine glänzende Miniatur der Verfälschung durch Komplexitätsreduktion stellt folgende Passage bei Zander dar, in der er sich über Steiners Gotteslehre auslässt.

Auf S. 830 schreibt Zander:

»Steiner, der in seiner idealistischen Phase zeitweise einer deistischen Konzeption anhing160, neigte von seinem theosophischen Monismus her zu einer pantheisierenden Gottesvorstellung, die in den ersten Jahren nach 1900 auch in manifeste Pantheismen umgeschlagen ist.

Anmerkung 160: ›Die erhabenste Gottesidee bleibt doch immer die, welche annimmt, dass Gott sich nach der Schöpfung des Menschen ganz von der Welt zurückgezogen und den letzteren ganz sich selbst überlassen habe.‹ (GA1, 125 [1887]).«

Leider lässt sich diese Phasenlehre, die Steiner vom Deismus zum Pantheismus führen will, bei näherer Betrachtung nicht aufrecht erhalten und enthält einige Widersprüche.

Was den »Deismus« anbetrifft, so schreibt Steiner 1886, in seiner »idealistischen Phase«, in den »Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung«, »ganz pantheistisch«, wie Zander wohl sagen würde:

»Der Weltengrund hat sich in die Welt vollständig ausgegossen; er hat sich nicht von der Welt zurückgezogen, um sie von außen zu lenken, er treibt sie von innen; er hat sich ihr nicht vorenthalten. Die höchste Form, in der er innerhalb der Wirklichkeit des gewöhnlichen Lebens auftritt, ist das Denken und mit demselben die menschliche Persönlichkeit. Hat somit der Weltengrund Ziele, so sind sie identisch mit den Zielen, die sich der Mensch setzt, indem er sich darlebt. Nicht indem der Mensch irgendwelchen Geboten des Weltenlenkers nachforscht, handelt er nach dessen Absichten, sondern indem er nach seinen eigenen Einsichten handelt. Denn in ihnen lebt sich jener Weltenlenker dar. Er lebt nicht als Wille irgendwo außerhalb des Menschen; er hat sich jedes Eigenwillens begeben, um alles von des Menschen Willen abhängig zu machen.« (Grundlinien einer Erkenntnistheorie ..., GA 2, Dornach 1960, S. 95-96)

Diese Sätze sind zugleich ein Zeugnis für Steiners »philosophischen«, nicht »theosophischen« Monismus, der ihn 1887 in den »Einleitungen zu Goethes Naturwissenschaftlichen Schriften« schreiben lässt:

»Indem sich das Denken der Idee bemächtigt, verschmilzt es mit dem Urgrunde des Weltendaseins; das, was außen wirkt, tritt in den Geist des Menschen ein: er wird mit der objektiven Wirklichkeit auf ihrer höchsten Potenz eins. Das Gewahrwerden der Idee in der Wirklichkeit ist die wahre Kommunion des Menschen.« (S. 127)

Neben »deistischen« Zeugnissen stehen also nicht nur »pantheistische« aus dem selben Jahr, sondern auch monistische vor der »theosophischen« Phase. Ein Beispiel für einen »manifesten Pantheismus« (Vorsicht Ironie!) in den ersten Jahren nach 1900 stellt diese Äußerung Steiners dar:

»Ich suche keinen Gottesgeist in der Natur, weil ich das Wesen des Menschengeistes in mir zu vernehmen glaube. Zu meinen Tier-Ahnen bekenne ich mich ruhig, weil ich zu erkennen glaube, dass dort, wo diese Tier-Ahnen ihren Ursprung haben, kein seelenartiger Geist wirken kann. Ich kann Ernst Haeckel nur zustimmen, wenn er einer Unsterblichkeit, wie sie manche Religion lehrt, die ›ewige Ruhe des Grabes‹ vorzieht. Denn ich finde eine Herabwürdigung des Geistes, eine widerwärtige Sünde wider den Geist in der Vorstellung einer nach Art eines sinnlichen Wesens fortdauernden Seele.« (»Die Mystik im Aufgange des neuzeitlichen Geisteslebens ...«, 1. Auflage 1901, S. 117)

In Steiners Bemerkung über Haeckel, dessen Forschungsergebnisse stellten das »erste Kapitel der Theosophie« dar, liest Zander eine »Verweltanschaulichung« und »ideologische Überhöhung« hinein.

Auf S. 861 schreibt Zander:

»›Die Haeckelschen Forschungsergebnisse bilden sozusagen das erste Kapitel der Theosophie oder Geisteswissenschaft‹ (GA 54, 20), befand Steiner 1905. Eine solche Verweltanschaulichung wird vor dem Hintergrund einer Deutungstradition verständlich, die die Entstehung der neuzeitlichen Naturwissenschaften als die Geschichte unabsehbarer Erkenntnisfortschritte und technischer Erfolge las. Neben aller ideologischen Überhöhung besaß diese Wahrnehmung einen ausgesprochen harten Kern ...«

Es ist schleierhaft, wie Zander zu dem Urteil kommt, Steiners Bemerkung stelle eine ideologische Überhöhung und Verweltanschaulichung – von was? – dar. Steiner weist im herangezogenen öffentlichen Vortrag »Haeckel, die Welträtsel und die Theosophie« vom 5. Oktober 1905 deutlich auf die Grenzen der Haeckelschen Forschung und der Naturwissenschaft im allgemeinen hin:

»Derjenige, welcher die ›Anthropogenie‹ Haeckels durchnimmt, der sieht, wie die Gestalt sich aufbaut von den einfachsten Lebewesen bis zu den kompliziertesten, von den einfachsten Organismen bis hinauf zum Menschen. Wer zu dem, was der Materialist sagt, noch den Geist hinzuzufügen versteht, der studiert in diesem Haeckelismus die schönste elementare Theosophie ... Mit den Mitteln der Naturforschung können wir ... in das Geistige nicht hineindringen. Die Naturforschung stützt sich darauf, was sinnlich wahrnehmbar ist. ... Nicht früher kann man über dasjenige etwas aussagen, was über das rein Materielle, das Sinnliche, hinausgeht, als bis – wovon der Naturforscher als solcher, wenn er nur auf das Sinnenfällige ausgeht, nichts wissen kann – Organe, geistige Augen geschaffen sind, die auch das sehen, was über das Sinnliche hinausgeht. Deshalb darf man nicht sagen, hier sind die Grenzen der Erkenntnis, sondern nur, hier sind die Grenzen der sinnlichen Erkenntnis. Der Naturforscher nimmt sinnlich wahr, ist aber nicht geistiger Seher. Seher muss er aber werden, um das schauen zu können, was der Mensch Geistiges in sich hat. Das ist es auch, was alle tiefere Weisheit in der Welt anstrebt, nicht eine bloße Erweiterung der sinnlichen Erkenntnis, dem Umkreise nach, sondern eine Erhöhung der menschlichen Fähigkeiten. Das ist auch der große Unterschied zwischen der heutigen Naturwissenschaft und dem, was die Theosophie lehrt.«

Steiner charakterisiert deutlich inwiefern die Theosophie die Naturwissenschaft ergänzt bzw. über sie hinausgeht. Inwiefern in dieser Abgrenzung eine »Verweltanschaulichung« oder »ideologische Überhöhung« – von was? – liegen soll, ist schleierhaft.

Steiners Ausführungen im Kontext:

»Wichtig ist es, dass das Sinnenfällige einmal seinem inneren Zusammenhange nach dargestellt wurde. Das ist im Grunde genommen durch Haeckel in einer großen und umfassenden Weise geschehen. Es ist so geschehen, dass derjenige, der sehen will, auch sehen kann, wie gerade das Geistige bei der Bildung der Formen wirksam ist, wo scheinbar nur die Materie waltet und webt. Daraus kann man viel lernen; man kann ersehen, wie man geistig den materiellen Zusammenhang in der Welt mit Ernst, Würde und Ausdauer erfasst. Derjenige, welcher die ›Anthropogenie‹ Haeckels durchnimmt, der sieht, wie die Gestalt sich aufbaut von den einfachsten Lebewesen bis zu den kompliziertesten, von den einfachsten Organismen bis hinauf zum Menschen. Wer zu dem, was der Materialist sagt, noch den Geist hinzuzufügen versteht, der studiert in diesem Haeckelismus die schönste elementare Theosophie.

Die Haeckelschen Forschungsresultate bilden sozusagen das erste Kapitel der Theosophie oder Geisteswissenschaft. Viel besser als durch irgend etwas anderes kann man sich in das Werden und Umgestalten der organischen Formen hineinfinden, wenn man seine Werke studiert. Allen Grund haben wir, zu zeigen, was durch den Fortschritt dieser vertieften Naturerkenntnis Großes geleistet wurde.

In den Zeiten, da Haeckel diesen Wunderbau aufgeführt hat, stand man den tieferen Rätseln der Menschheit als unlösbaren Problemen gegenüber. In einer rhetorisch glänzenden Rede hat Du Bois-Reymond im Jahre 1872 über die Grenzen der Naturforschung und des Naturerkennens gesprochen. Über weniges ist in den letzten Jahrzehnten mehr gesprochen worden als über diese Rede mit dem berühmten ›Ignorabimus‹. Sie war eine wichtige Tat und stellt einen wichtigen Gegensatz zu Haeckels eigener Entwickelung und seiner Lehre von der Abstammung des Menschen dar. In einer andern Rede hat Du Bois-Reymond als die großen Rätselfragen des Daseins, die der Naturforscher nur teilweise oder gar nicht beantworten kann, ›Sieben Welträtsel‹ aufgestellt, nämlich:

1. Den Ursprung von Kraft und Materie.

2. Wie ist in diese ruhende Materie die erste Bewegung hineingekommen ?

3. Wie ist innerhalb der bewegten Materie Leben entstanden?

4. Wie erklärt es sich, dass in der Natur so vieles ist, das den Stempel der Zweckmäßigkeit an sich trägt, wie sie nur bei den von der menschlichen Vernunft ausgeführten Taten vorhanden zu sein pflegt?

5. Wie erklärt es sich, da, wenn wir unser Gehirn untersuchen könnten, wir doch nur durcheinanderwirbelnde kleine Kügelchen finden würden, dass diese Kügelchen es zustande bringen, dass ich ›rot‹ sehe, Orgelton höre, Schmerz empfinde und so weiter? – Denken Sie sich wirbelnde Atome und es wird Ihnen sofort klar sein, dass nie die Empfindung daraus entstehen kann, die sich ausdrückt in den Worten, ›ich sehe rot, ich rieche Rosenduft und so weiter‹.

6. Wie entwickelt sich innerhalb der Lebewesen Verstand, Vernunft, das Denken und die Sprache?

7. Wie kann ein freier Wille entstehen in einem Wesen, das so gebunden ist, dass jede Handlung hervorgerufen werden muss durch das Wirbeln der Atome?

In Anknüpfung an diese ›Welträtsel‹ von Du Bois-Reymond hat Haeckel eben sein Buch ›Die Welträtsel‹ genannt. Er wollte die Antwort auf die Ausführungen Du Bois-Reymonds geben. Eine besonders wichtige Stelle ist in jener Rede Du Bois-Reymonds, die er über die Grenzen des Naturerkennens gehalten hat. Auf diese wichtige Stelle werden wir hingeführt und können durch sie zur Theosophie hinübergeleitet werden.

Als Du Bois-Reymond in Leipzig vor den Naturforschern und Ärzten sprach, da schaute der Geist der Naturforschung aus nach einer reinen, freieren und höheren Luft, nach der Luft, welche in die theosophische Weltanschauung führte. Du Bois-Reymond sagte damals folgendes: Wenn wir den Menschen naturwissenschaftlich betrachten, so ist er für uns ein Zusammenwirken unbewusster Atome. Den Menschen naturwissenschaftlich erklären, heißt diese Atombewegungen bis ins letzte hinein verstehen. – Er meint, wenn man in der Lage ist, anzugeben, wie die Bewegung der Atome an irgendeiner Stelle des Gehirns ist, wenn man sagt, ›ich denke‹, oder ›gib mir einen Apfel‹, so hat man dieses Problem naturwissenschaftlich gelöst. Du Bois-Reymond nennt dieses die ›astronomische‹ Erkenntnis des Menschen. Wie ein Sternenhimmel im kleinen würden sich die bewegten Gruppen von menschlichen Atomen ausnehmen. Was man da nicht begriffen hat, ist der Umstand, wie es kommt, dass in dem Bewusstsein des Menschen, von dem ich, sagen wir, ganz genau weiß, so und so bewegen sich seine Atome – Empfindung, Gefühl und Gedanke entstehen. Das kann keine Naturwissenschaft feststellen. Wie das Bewusstsein entsteht, kann keine Naturwissenschaft sagen. Du Bois-Reymond schloss nun wie folgt: Beim schlafenden Menschen, der sich der Empfindung nicht bewusst ist, die sich ausdrückt in den Worten: ›ich sehe rot‹, haben wir die physische Gruppe der bewegten Körperteile vor uns. Bezüglich dieses schlafenden Körpers brauchen wir nicht zu sagen: ›Wir werden nicht wissen‹, ›Ignorabimus‹. Den schlafenden Menschen können wir verstehen. Der wache Mensch ist dagegen für keinen Naturforscher verständlich. Im schlafenden Menschen ist das nicht vorhanden, was beim wachenden vorhanden ist, nämlich das Bewusstsein, durch das er uns als Geisteswesen entgegentritt.

Damals war bei der Mutlosigkeit der Naturwissenschaft ein weiteres Vordringen nicht möglich; man konnte damals noch nicht an Theosophie oder Geisteswissenschaft denken, weil die Naturwissenschaft scharf den die Grenze bezeichnenden Punkt hingesetzt hatte, bis wohin sie in ihrer Weise gehen will. Wegen dieser Selbstbeschränkung, die sich die Naturforschung hiermit auferlegt hat, hat die theosophische Weltanschauung in derselben Zeit ihren Anfang genommen. Niemand wird behaupten, dass der Mensch, wenn er abends einschläft und des Morgens wieder aufwacht, am Abend aufhöre zu sein und am nächsten Morgen von neuem entstehe. Dennoch sagt Du Bois-Reymond, dass in der Nacht beim Menschen dasjenige nicht da ist, was bei Tag in ihm vorhanden ist. Hier liegt für die theosophische Weltanschauung die Möglichkeit einzusetzen. Das Sinnesbewusstsein spricht nicht bei dem schlafenden Menschen. Indem aber der Naturforscher sich darauf stützt, was dieses Sinnesbewusstsein vermittelt, so kann er nichts über das, was darüber hinausgeht, über das Geistige, sagen, weil ihm dadurch gerade dasjenige fehlt, was den Menschen zum geistigen Wesen macht. Mit den Mitteln der Naturforschung können wir also in das Geistige nicht hineindringen. Die Naturforschung stützt sich darauf, was sinnlich wahrnehmbar ist. Was nicht mehr wahrnehmbar ist, wenn der Mensch schläft, das kann nicht Objekt ihrer Forschung sein. In diesem, bei dem schlafenden Menschen nicht mehr wahrnehmbaren Etwas haben wir aber gerade die Wesenheit zu suchen, die den Menschen zum Geisteswesen macht. Nicht früher kann man über dasjenige etwas aussagen, was über das rein Materielle, das Sinnliche, hinausgeht, als bis – wovon der Naturforscher als solcher, wenn er nur auf das Sinnenfällige ausgeht, nichts wissen kann – Organe, geistige Augen geschaffen sind, die auch das sehen, was über das Sinnliche hinausgeht. Deshalb darf man nicht sagen, hier sind die Grenzen der Erkenntnis, sondern nur, hier sind die Grenzen der sinnlichen Erkenntnis. Der Naturforscher nimmt sinnlich wahr, ist aber nicht geistiger Seher. Seher muss er aber werden, um das schauen zu können, was der Mensch Geistiges in sich hat. Das ist es auch, was alle tiefere Weisheit in der Welt anstrebt, nicht eine bloße Erweiterung der sinnlichen Erkenntnis, dem Umkreise nach, sondern eine Erhöhung der menschlichen Fähigkeiten. Das ist auch der große Unterschied zwischen der heutigen Naturwissenschaft und dem, was die Theosophie lehrt. Der Naturforscher sagt sich: Der Mensch hat Sinne, mit denen er wahrnimmt, und einen Verstand, mit dem er die Sinneswahrnehmungen kombiniert. Was man damit nicht erreichen kann, das liegt außerhalb der naturwissenschaftlichen Erkenntnis. - Die Theosophie hat eine andere Anschauung. Sie sagt: Du hast recht, Naturforscher, wenn du von deinem Standpunkte aus urteilst, du hast damit genau so recht, wie der Blinde von seinem Standpunkte aus recht hat zu sagen, die Welt sei licht- und farbenlos.

Ich mache keine Einwendungen gegen den naturwissenschaftlichen Standpunkt; ich möchte ihm nur die Anschauung der Theosophie oder Geisteswissenschaft gegenüberstellen, welche sagt: Es ist möglich, nein, es ist sicher, dass der Mensch nicht stehenzubleiben braucht auf dem Standpunkte, auf welchem er heute steht. Es ist möglich, dass sich Organe, Geistesaugen entwickeln, in ähnlicher Weise, wie sich in diesem physischen Leibe Sinnesorgane, Augen und Ohren, entwickelt haben. Sind diese Organe entwickelt, dann treten höhere Fähigkeiten auf. Das muss man zunächst glauben – nein, man braucht es nicht einmal zu glauben, man nehme es nur unbefangen als eine Erzählung hin. So wahr aber, wie nicht alle Gläubigen der ›Natürlichen Schöpfungsgeschichte‹ gesehen haben, was in ihr an Tatsachen angeführt ist – denn wie viele sind es, die diese Tatsachen wirklich gesehen haben –, ebensowenig kann man die Tatsache der Erkenntnis des Übersinnlichen hier jedermann vorweisen. Es gibt für den gewöhnlichen Sinnenmenschen keine Möglichkeit, in dieses Gebiet hineinzukommen. Wir können nur mit Hilfe der okkulten Forschungsmethoden in die geistigen Gebiete hineingelangen. Wenn der Mensch sich zu einem Werkzeug umwandelt für die höheren Kräfte, um hineinzuschauen in die dem Sinnenmenschen verborgenen Welten, dann treten in ihm ... ganz besondere Erscheinungen auf. Der gewöhnliche Mensch ist nicht imstande, sich selbst zu schauen oder die Gegenstände in seiner Umgebung bewusst in sich aufzunehmen, wenn seine Sinne schlafen. Wenn aber der Mensch die okkulte Forschungsmethode anwendet, dann hört diese Unfähigkeit auf, und er fängt dann an, in einer bewussten Weise die Eindrücke in der astralen Welt wahrzunehmen.«

Rudolf Steiner, »Haeckel, die Welträtsel und die Theosophie«, in: GA 54, Die Welträtsel und die Anthroposophie, Dornach 1985 (tb), S. 19-25.

Zander stellt die verwegene Behauptung auf, Steiner sei bei seinem Versuch, den Materialismus zu unterwerfen, von diesem »unterwandert« worden und habe infolgedessen einen »geistigen Materialismus mit naturwissenschaftlichem Anspruch« formuliert.

Auf S. 868 schreibt Zander:

»Das Programm der Unterwerfung des Materialismus mit seinen eigenen Waffen führte allerdings fast zwangsläufig zur subversiven Unterwanderung der Theosophie mit materialistischen Vorstellungen. So sollte der Zugriff auf übersinnliche Welten in Zukunft nicht nur mit Hilfe meditativer Schulung, sondern mit materialen Organen möglich werden. ›Es ist möglich, dass sich Organe, Geistesaugen entwickeln, in ähnlicher Weise, wie sich in diesem physischen Leibe Sinnesorgane, Augen und Ohren, entwickelt haben‹, meinte Steiner 1905. ›Dann treten höhere Fähigkeiten auf. Das muss man zunächst glauben‹ (GA 54,24). 1913 postulierte er die Entwicklung des neuronalen Sprachzentrums, von ›Brocas Organ‹, zum Reinkarnationsgedächtnis: ›Dieses physische Organ wird das physische Mittel für die Erinnerung an eine frühere Inkarnation sein, was jetzt nur erreicht werden kann durch eine höhere geistige Entwickelung.‹ (GA 152,21). Steiner formulierte eine Art von geistigem Materialismus mit naturwissenschaftlichem Anspruch, der letztlich ein Erbe des Spiritismus in der Theosophie war.«

Zander zitiert aus dem Vortrag »Haeckel, die Welträtsel und die Theosophie« von 1904.

Zunächst zitiert er verfälschend. Die von ihm angeführten Sätze: »Dann treten höhere Fähigkeiten auf. Das muss man zunächst glauben«, lauten im Original: »Es ist möglich, dass sich Organe, Geistesaugen, entwickeln, in ähnlicher Weise, wie sich in diesem physischen Leibe Sinnesorgane, Augen und Ohren, entwickelt haben. Sind diese Organe entwickelt, dann treten höhere Fähigkeiten auf. Das muss man zunächst glauben – nein, man braucht es nicht einmal zu glauben, man nehme es nur unbefangen als eine Erzählung hin ...« (GA 54, Die Welträtsel und die Anthroposophie, Dornach 1985 [tb], S. 24.)

Wenn Zander behauptet, Steiner habe den »Zugriff auf übersinnliche Welten« mit »materialen Organen« für möglich erklärt, dann ist dies eine groteske Unterstellung. Sie beruht auf einer Fehlinterpretation des von ihm zitierten Vergleichs. Wenn sich »in ähnlicher Weise« wie die physischen Organe geistige Organe – »Geistesaugen« – entwickeln, heißt dies nicht, dass die geistigen Organe »materiell« sind. Ebensowenig wie die Seele und der Geist für Steiner »materiell« sind, sind es deren Organe. Deutlich spricht dies Steiner in seinem Vortrag über die »Innere Entwicklung« aus, der einige Wochen später von ihm am selben Ort gehalten wurde, in dem er über die Entwicklung der höheren Erkenntnisorgane folgendes ausführt:

»In Wahrheit ist das Leben, das der Mensch auf diese Art kennenlernt, das geistige Leben, das der Mensch im Inneren schon fortwährend führt, von dem er aber nichts weiß, weil er sich selbst nicht kennt, bevor er die Organe für die höhere Welt sich entwickelt hat. Denken Sie sich einmal, Sie wären Mensch mit den Eigenschaften, die Sie jetzt haben, hätten aber keine Sinnesorgane. Sie wüssten nichts von der Welt um Sie herum, Sie hätten kein Verständnis für den physischen Leib, und doch gehörten Sie der physischen Welt an. So gehört die Seele des Menschen der geistigen Welt an, weiß es aber nicht, weil sie nicht hört und nicht sieht. Wie unser Körper aus den Kräften und Stoffen der physischen Welt genommen ist, so ist unsere Seele aus den Kräften und Stoffen der geistigen Welt genommen. Wir erkennen uns nicht in uns, sondern erst in unserer Umgebung. So wahr Sie nicht Herz und Gehirn sehen können, ohne dass Sie es durch Ihre Sinnesorgane an andern wahrnehmen – selbst mit Hilfe der Röntgenstrahlen können nur Ihre Augen das Herz sehen –, so wahr ist es, dass Sie Ihre eigene Seele nicht sehen oder hören können, ohne dass Sie sie durch geistige Sinnesorgane in der Umwelt erkennen. Sie können sich nur durch Ihre Umwelt erkennen. Es gibt in Wahrheit keine Innenerkenntnis, keine Selbstbeschauung, es gibt nur eine Erkenntnis, eine Offenbarung durch Organe sowohl des physischen als des geistigen Lebens um uns herum. Wir gehören den Welten um uns her an, der physischen, der seelischen und der geistigen Welt. Wir lernen aus der physischen, wenn wir physische Organe haben und aus der geistigen Welt, aus allen Seelen, wenn wir geistige, seelische Organe haben. Es gibt keine andere Erkenntnis als Welterkenntnis.

Müßig ist es und leere Beschaulichkeit, wenn der Mensch in sich brütet und glaubt, durch bloße Selbstschau irgend etwas erreichen zu können. Den Gott in sich findet der Mensch, wenn er die göttlichen Organe in sich erweckt und dann in seiner Umwelt sein höheres, göttliches Selbst findet, wie er sein niederes Selbst auch nur durch seine Augen und Ohren in der Umwelt finden kann. Wir selbst werden uns klar als physische Wesen durch den Umgang mit der Sinnenwelt, und wir werden uns klar in geistiger Beziehung dadurch, dass wir geistige Sinne in uns entwickeln. Entwickelung des Inneren heißt, sich erschließen für das göttliche Leben in der Außenwelt um uns herum.«

Rudolf Steiner, »Innere Entwicklung« in GA 54, »Die Welträtsel und die Anthroposophie«, Dornach 1985 (tb), S. 223-224.

Die Behauptung Zanders, Steiner habe die Umwandlung von »Brocas Organ« zu einem Organ für das Reinkarnationsgedächtnis postuliert, enthält gleich drei Irrtümer. Erstens sprach Steiner im genannten Vortrag nicht davon, dass sich »Brocas Organ« zum Organ für ein Reinkarnationsgedächtnis entwickeln werde, sondern dass sich in der Nähe des Brocaschen Organs ein solches Organ entwickle. Zweitens handelt es sich um ein Organ für die Erinnerung an frühere Inkarnationen – also gerade nicht um ein Organ, das einen »Zugriff auf übersinnliche Welten« erlaubt, wie Zander behauptet. Es ist insofern jenen Organen vergleichbar, die schon heute der gewöhnlichen Erinnerung zugrunde liegen. Und drittens wies Steiner darauf hin, dass dieses Organ gerade nicht ein Organ sei, das auf dem Wege der spirituellen Schulung entwickelt werde, sondern ein Organ, das sich auf natürlichem Weg entwickle. »Dem Eingeweihten«, so Steiner 1913, »ist es möglich, gewisse Kenntnisse ohne den Gebrauch eines physischen Organes zu erlangen, aber dieses Wissen kann nur dann das Gemeingut der Menschheit werden, wenn die Menschheit als Ganzes im Laufe der Evolution ein äußeres physisches Organ entwickelt, wodurch es erlangt werden kann.«

Die betreffenden Ausführungen Steiners im Wortlaut:

»Dieser Fortschritt der äußeren Körper, der physischen und ätherischen, von einem Zeitalter zum anderen, würde denen, die Anatomie und Physiologie studieren, nicht bemerkbar sein, aber er ist trotzdem vorhanden und kann durch die okkulte Wissenschaft erkannt werden. Und so wird der menschliche physische Körper wieder ganz verschieden sein im Laufe der normalen Entwickelung der Menschheit, wenn nach unserem jetzigen Leben unsere Seelen in einer zukünftigen Verkörperung wieder auf der Erde erscheinen werden.

In der jetzigen Menschheitsperiode wird ein zartes Organ vorbereitet, das für den äußeren Anatomen und Physiologen nicht bemerkbar ist. Und doch existiert es anatomisch. Dieses Organ liegt im menschlichen Gehirn, in der Nähe des Sprachorgans.

Die Entwickelung dieses Organs in den Gehirnwindungen ist nicht das Ergebnis des Karma individueller Seelen, sondern sie ist ein Ergebnis der menschlichen Evolution als eines Ganzen auf der Erde, und in der Zukunft werden alle Menschen dieses Organ besitzen, ganz gleich was die Entwickelung der Seelen sein mag, die sich in diesem Körper inkarnieren werden, und ganz unabhängig von dem Karma, das mit diesen Seelen verbunden ist.

Dieses Organ wird in einer zukünftigen Inkarnation von Menschen besessen werden, die gegenwärtig vielleicht der Anthroposophie feindlich sind, wie von denjenigen, die ihr jetzt sympathisch gegenüberstehen. Dieses Organ wird in der Zukunft das physische Instrument für gewisse Seelenkräfte sein, genauso wie zum Beispiel Brocas Organ in der dritten Gehirnwindung das Organ für die menschliche Fähigkeit der Sprache ist.

Wenn dieses Organ entwickelt ist, kann es von der Menschheit entweder richtig angewendet werden oder auch nicht. Diejenigen werden es richtig anwenden können, die jetzt die Möglichkeit vorbereiten, die jetzige Inkarnation wahrheitsgemäß in der Erinnerung zu haben, wenn sie in der nächsten sein werden. Denn dieses physische Organ wird das physische Mittel für die Erinnerung an eine frühere Inkarnation sein, was jetzt nur erreicht werden kann durch eine höhere geistige Entwickelung.

Gegenwärtig kann für die weitaus größte Zahl von Menschen die Erinnerung an frühere Inkarnationen nur erlangt werden durch höhere geistige Entwickelung, durch Initiation. Aber das, was in jetzigen Zeiten nur durch Initiation erlangt werden kann, wird später gewissermaßen Gemeingut der Menschheit. Unser heutiges Wissen war früher das besondere Wissen der atlantischen Eingeweihten allein, jetzt kann es jeder besitzen. In derselben Weise ist die Erinnerung an frühere Erdenleben gegenwärtig nur den Eingeweihten möglich, aber in der Zukunft wird jede menschliche Seele im Besitz derselben sein.

Dem Eingeweihten ist es möglich, gewisse Kenntnisse ohne den Gebrauch eines physischen Organes zu erlangen, aber dieses Wissen kann nur dann das Gemeingut der Menschheit werden, wenn die Menschheit als Ganzes im Laufe der Evolution ein äußeres physisches Organ entwickelt, wodurch es erlangt werden kann. Die reinkarnierten Seelen müssen jedoch dieses Organ richtig gebrauchen können, mit dessen Hilfe man sich später an seine früheren Inkarnationen erinnern wird. Nur diejenigen, die in der jetzigen Inkarnation okkulte Gedanken und Ideen deutlich in die Akasha-Substanz eingeschrieben haben, werden dieses Organ auf die richtige Weise gebrauchen können.«

Rudolf Steiner, »Okkulte Wissenschaft und okkulte Entwicklung. Einweihung«, Vortrag vom 1. Mai 1913, in GA 152, »Vorstufen zum Mysterium von Golgatha«, Dornach 1980, S. 20-21.

Steiner glaubte laut Zander die »Vorläufigkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse« sei durch seine »objektivistische Epistemologie« überholt.

Auf S. 872 schreibt Zander:

»Die Unabschließbarkeit wissenschaftlicher Theoriebildung und die daraus resultierende Vorläufigkeit ihrer Erkenntnisse sah Steiner durch seine objektivistische Epistemologie überholt. Er hat deshalb nicht in Erwägung gezogen, dass alles, was er mit naturwissenschaftlicher Emphase als theosophische Fakten vortrug, immer auch hypothetischen oder gar fiktionalen Charakter besitzen musste.«

Gegen Zanders These sprechen Äußerungen Steiners, in denen die Revidierbarkeit der Erkenntnisse der Geistesforschung betont wird. Dies gilt sowohl in bezug auf ihre prinzipielle Fehlbarkeit als auch in bezug auf die mögliche Irrtümlichkeit einzelner Ergebnisse.

So schreibt Steiner zum Beispiel in seinen Aufsätzen »Aus der Akasha-Chronik« 1904/05:

»Wer sich die Fähigkeit errungen hat, in der geistigen Welt wahrzunehmen, der erkennt da die verflossenen Vorgänge in ihrem ewigen Charakter. Sie stehen vor ihm nicht wie die toten Zeugnisse der Geschichte, sondern in vollem Leben. Es spielt sich vor ihm in einer gewissen Weise ab, was geschehen ist. – Die in das Lesen solcher lebenden Schrift eingeweiht sind, können in eine weit fernere Vergangenheit zurückblicken als in diejenige, welche die äußere Geschichte darstellt; und sie können auch – aus unmittelbarer geistiger Wahrnehmung – die Dinge, von denen die Geschichte berichtet, in einer weit zuverlässigeren Weise schildern, als es dieser möglich ist. Um einem möglichen Irrtum vorzubeugen, sei hier gleich gesagt, dass auch der geistigen Anschauung keine Unfehlbarkeit innewohnt. Auch diese Anschauung kann sich täuschen, kann ungenau, schief, verkehrt sehen. Von Irrtum frei ist auch auf diesem Felde kein Mensch; und stünde er noch so hoch. Deshalb soll man sich nicht daran stoßen, wenn Mitteilungen, die aus solchen geistigen Quellen stammen, nicht immer völlig übereinstimmen.«

»Aus der Akasha-Chronik«, 1904/05, GA 11, Dornach 1969, S. 23

»Eine wirkliche Selbsterkenntnis des Menschen ersprießt ja doch aus diesen ›Akasha-Aufzeichnungen‹, die für den Geheimforscher so sichere Wirklichkeiten sind wie Gebirge und Flüsse für das sinnliche Auge. Ein Wahrnehmungsirrtum ist natürlich dort wie da möglich.«

Ebenda, S. 99-100

Ausführlicher dazu: die beiden Vorträge Steiners aus dem Jahr 1912 Wahrheiten der GeistesforschungIrrtümer der Geistesforschung.

Grundsätzliche Überlegungen zum Problem des Irrtums und der Erkenntniskriterien enthalten Steiners Eröterungen über den esoterischen Schulungsweg in der »Geheimwissenschaft im Umriss«.

Zander meint, die »theosophische Geisteswissenschaft« entzöge sich empirischer Überprüfung. Diese These gilt nur, wenn man den Begriff der Empirie willkürlich einschränkt.

Auf S. 874 schreibt Zander:

»Steiner schien nicht wahrzunehmen, dass die Erkenntnisse der theosophischen Geisteswissenschaft – von der Herstellung von Lebensätherkräften aus ›Pfirschblüt‹ [!] bis zu den Informationen der ›Akasha-Chronik‹ – in ihrer Funktion komplementärer ›Ergänzung‹ (GA 73, Titel) die beanspruchte naturwissenschaftliche Methodik aushebelte [!], da er den empirischen Ansatz durch Zusatzannahmen erweiterte, die einen [!] empirischen Anspruch unzugänglich sind. ...

Die von Steiner postulierten ›kosmischen Wirkungen‹ entzogen sich empirischer Überprüfung, sie sind als naturphilosophische Konstrukte keine Gegenstände exakter Wissenschaft.«

Die Behauptung, die von Steiner »postulierten kosmischen Wirkungen« seien keine Gegenstände exakter Wissenschaft, gilt nur, wenn man den Begriff der exakten Wissenschaft willkürlich normativ auf den historischen Methodenkanon bestimmter Wissenschaftsdisziplinen einengt und die Möglichkeit einer Erweiterung dieses Kanons von vornherein verneint.

In Wahrheit handelt es sich bei den Ergebnissen der theosophischen Geisteswissenschaft prinzipiell nicht um »naturphilosophische Konstruktionen«, sondern um Ergebnisse einer geistigen Empirie.