Zander kann nicht verstehen, dass die Rechtsschöpfung als geistige Leistung von Steiner dem Geistesleben zugeordnet wird und dass das Recht als Regelsystem sozialer Beziehungen zugleich als eigenständiges System darstellt, das die Beziehungen von Mensch zu Mensch regelt, insofern die Menschen gleich sind. Atem- und Blutkreislauf wirken auch in das Nerven-Sinnes-System und das Stoffwechsel-Gliedmaßensystem hinein, ohne dass dies einen Widerspruch zu der relativen Selbstständigkeit dieser physiologischen Funktionssysteme bedeutet. So konstruiert er eine »Transformationsgeschichte der Inhalte« zwischen 1917 und 1919, die es gar nicht gibt.

Auf S. 1300 schreibt Zander:

»Im Rückblick auf den Ausgangspunkt von Steiners Dreigliederungskonzept, den [sic!] Memoranden des Jahres 1917, wird die Transformationsgeschichte der Inhalte deutlich. Aus der Trennung [sic!] »politischen, wirtschaftlichen und allgemeinmenschlichen Verhältnisse« von 1917 wurde 1919 die Differenzierung in Wirtschafts-, Rechts- und Geistesleben. Dabei handelte es sich 1917 aber noch um ein in seinen Einzelteilen für Steiner verschiebbares Strukturmodell, dessen Elemente er bis 1919 mehrfach neu organisierte. Beispielsweise ressortierte der 1919 schlussendlich autonome Rechtsbereich 1917 noch als ›juristische … Angelegenheit‹ neben ›pädagogischen und geistigen Angelegenheiten‹ unter der »Freiheit der Person« (GA 24,352), mithin (in der Terminologie von 1919) im »geistigen Leben«, in dem 1919 nur der Richter mit dem Akt des Urteils verblieb ...

Zur Verknüpfung der getrennten Bereiche hatte Steiner 1917 noch eine Institution ausgewiesen, die 1919 fehlte. Er hatte ›eine Art Senat‹ (GA 24,354) zur Koordination ›gemeinsamer Angelegenheiten‹ für die an dieser Textstelle »politisch-militärisch, wirtschaftlich und juristisch-pädagogisch« genannten Sparten vorgesehen ...

Aus dem Programm der Trennung der Ethnien im Jahr 1917 war 1919 eine funktionale Differenzierung einer ethnisch homogenen Gesellschaft geworden.«

Zander übersieht, dass der Begriff »Rechtsleben« bei Steiner Politik, Staat und Recht – im Sinn der Gesetzgebung – zusammenfasst und dass das politische Parlament der Memoranden – dem damals ein Kulturparlament und ein Wirtschaftsparlament zur Seite gestellt wurden – die staatlich-rechtlich-politische Sphäre repräsentieren.

Völlig schleierhaft ist, wie Zander die Memoranden von 1917 zu einem »Programm der Trennung von Ethnien« umdeuten kann. Hier verwechselt Zander offenbar das Wilsonsche Programm der »Völkerbefreiung«, das sich auf das »Selbstbestimmungsrecht der Völker« berief, mit Steiners Programm der »Menschenbefreiung«, das sich auf die Freiheit des einzelnen Menschen berief.

Steiner war 1917 sogar überzeugt davon, die Dreigliederung sei geeignet, »nationale Gegensätze« zu überwinden und sie werde »nationalen Agitatoren« den Boden unter den Füßen wegziehen:

»Alle juristischen, pädagogischen und geistigen Angelegenheiten werden in die Freiheit der Personen gegeben. Auf diesem Gebiete hat der Staat nur das Polizeirecht, nicht die Initiative. Es ist, was hier gemeint ist, nur scheinbar radikal. In Wirklichkeit kann sich nur derjenige an dem hier gemeinten stoßen, der den Tatsachen nicht unbefangen ins Auge sehen will. Der Staat überlässt es den sach-, berufs- und völkermäßigen Korporationen, ihre Gerichte, ihre Schulen, ihre Kirchen und so weiter zu errichten, und er überlässt es dem einzelnen, sich seine Schule, seine Kirche, seinen Richter zu bestimmen. Natürlich nicht etwa von Fall zu Fall, sondern auf eine gewisse Zeit. Im Anfange wird dies wohl durch die territorialen Grenzen beschränkt werden müssen, doch trägt es die Möglichkeit in sich, auf friedlichem Wege die nationalen Gegensätze – auch andere – auszugleichen. Es trägt sogar die Möglichkeit in sich, etwas Wirkliches zu schaffen an Stelle des schattenhaften Staaten-Schiedsgerichts. Nationalen oder anderweitigen Agitatoren werden dadurch ihre Kräfte ganz genommen.« (GA 24, S. 354)

Zur Frage des Rechtes und des Rechtslebens im sozialen Organismus siehe ausführlicher: Christoph Strawe, Über das Rechtsleben im sozialen Organismus, Sozialimpulse 3 (2005)

Zander meint, Steiner habe den Unternehmensgewinn abschaffen wollen. Davon kann jedoch keine Rede sein.

Auf S. 1306 schreibt Zander:

»Die damit einhergehende Abschaffung von Gewinnen führt letztlich zu einem an Tauschbeziehungen orientierten ökonomischen Verkehr, und Steiner endete konsequenterweise auch bei einer Konzeption von ›Leihung und Schenkung‹ (GA 340, 69-63, 96, 98 f).«

Steiner spricht im »Nationalökonomischen Kurs« (GA 340) nirgends von der Abschaffung von Gewinnen, sondern davon, dass Gewinne als Schenkung frei werden können. Wie soll man verschenken, was man gar nicht hat?

Über den im volkswirtschaftlichen Prozess entstehenden Gewinn äußert sich Steiner in GA 340 explizit an zwei Stellen, die erste bezieht sich auf den Unternehmergewinn und die zweite auf den Gewinn, der im Austausch von Waren gegen Geld entsteht:

»Nun habe ich schon davon gesprochen, daß eigentlich der Lohnarbeiter in Wirklichkeit ja nicht das bekommt, was man unter dem Begriff des Lohnes gewöhnlich versteht, sondern dass er eigentlich das Ergebnis seiner Arbeit auf Heller und Pfennig verkauft an den Unternehmer und auch bezahlt bekommt, und der Unternehmer erst durch die Konjunktur demjenigen, was er dem Arbeiter abgekauft hat, nun den richtigen Wert, einen höheren Wert verleiht. Der Gewinn wird da nicht, volkswirtschaftlich betrachtet, als Mehrwert aus der Arbeit geholt. Man kann nicht auf volkswirtschaftlichem Weg zu einem solchen Urteil kommen, kann höchstens durch ein moralisches Urteil dazu kommen. Der Gewinn wird dadurch geholt, dass der Arbeiter in einer ungünstigeren sozialen Situation ist, und dass daher die Ergebnisse seiner Arbeit, die er verkauft, an der Stelle, wo er sie verkauft, weniger Wert haben, als wenn der Unternehmer, der in einer anderen Position ist, sie weiterverkauft. Der kennt einfach die Verhältnisse besser, kann besser verkaufen. Es gilt dasselbe für das Verhältnis zwischen Arbeiter und Unternehmer wie für denjenigen, der auf den Markt geht und da für irgendeinen Preis irgendeine Ware kauft. Er muß sie dort kaufen. Warum? Aus dem einfachen Grunde, weil seine Verhältnisse nicht gestatten, sagen wir, sie sich irgendwo anders zu kaufen. Ein anderer kann sie irgendwo anders viel billiger kaufen. Es ist gar kein Unterschied. Es ist einfach das, was zwischen dem Unternehmer und dem Lohnarbeiter ist, eine Art Markt, volkswirtschaftlich angesehen.

Nun aber ist tatsächlich ein gewisser Unterschied, ob ich mir vollbewußt bin, dass das der Fall ist, oder ob ich glaube, dass ich dem Arbeiter die Arbeit bezahle. Sie könnten das vielleicht für einen bloßen theoretischen Unterschied ansehen; aber lassen Sie einmal solch eine Anschauung oder zwei solche Anschauungen, lassen Sie diese, die eine und die andere, real werden, dann werden Sie sehen, wie sich die realen volkswirtschaftlichen Verhältnisse unter der einen und der anderen Anschauung verändern; denn dasjenige, was vorgeht unter Menschen, ist eben auch das Ergebnis der Anschauungen. Es verändern die Anschauungen dasjenige, was vorgeht, je nachdem sie selbst anders werden. Heute baut das ganze Proletariat seine Agitation darauf auf, dass die Arbeit entsprechend bezahlt werden muß; aber nirgends wird Arbeit bezahlt, sondern immer werden nur die Ergebnisse der Arbeit bezahlt. Und das würde, wenn man es verstehen würde im rechten Sinn, auch in der Wirklichkeit der Preise zum Ausdruck kommen. Man kann nicht sagen: Es ist gleichgültig, ob man etwas Warenpreis oder Lohn nennt; denn in dem Augenblick, wo man vom Lohn spricht, glaubt man, dass man Arbeit in Wirklichkeit bezahlt. Und dann kommt man auf all diejenigen weiteren sekundären Begriffe, welche die Arbeit als solche zusammenbringen mit anderen volkswirtschaftlichen Prozessen, die werterzeugend sind, und es entstehen die sozialen Wirren in einer falschen Weise. Es entstehen die sozialen Wirren insofern richtig, als sie aus Empfindungen, aus Gefühlen heraus entstehen. Gefühle und Empfindungen haben immer in einer gewissen Weise recht; aber man kann nicht korrigieren, was man korrigieren soll, wenn man nicht die richtigen Begriffe hat. Und das ist im sozialen Leben das Fatale, dass auf eine ganz richtige Weise oftmals die Diskrepanzen entstehen, die Korrekturen sich aber unter falschen Begriffen vollziehen. Und im allereinzelnsten entwickeln die Menschen solche falschen Begriffe, die dann auch hinausgetragen werden in die ganze volkswirtschaftliche Anschauung und dann eben Verheerendes anrichten.«

(GA 340 – »Nationalökonomischer Kurs«, Dornach 2002, S. 119-120)

»Die Gewinnfrage ... ist eine außerordentlich schwierige Frage. Denn, nehmen wir an, dass sich abspielt ein Kauf. Der A kauft beim B. Nun, man wendet gewöhnlich im laienhaften Denken den Begriff des Gewinnes auf den Verkäufer allein an. Der Verkäufer soll gewinnen. Dann haben wir ja eigentlich nur den Austausch zwischen dem, was der Käufer gibt, und dem, was der Verkäufer gibt. Nun werden Sie aber keineswegs, wenn Sie die Sache genau durchdenken, zugeben können, dass bei einem Kauf oder auch bei einem Tausch lediglich der Verkäufer gewinnt; denn wenn lediglich der Verkäufer gewinnen würde im volkswirtschaftlichen Zusammenhang, so würde ja der Käufer immer der Benachteiligte sein müssen, wenn ohne weiteres ein Austausch stattfinden würde. Der Käufer müsste immer der Benachteiligte sein. Das werden Sie aber von vornherein zugeben, dass das nicht sein kann. Sonst würden wir es bei jedem Kauf zu tun haben mit einer Übervorteilung des Käufers; das ist aber doch ganz offenbar nicht der Fall. Denn wir wissen ja, dass derjenige, der kauft, durchaus vorteilhaft kaufen will, nicht unvorteilhaft. Unbedingt. Also auch der Käufer kann so kaufen, dass auch er einen Gewinn hat. Wir haben also die merkwürdige Erscheinung, dass zwei austauschen und jeder muss – wenigstens im normalen Kaufen und Verkaufen – eigentlich gewinnen. Das ist viel wichtiger zu beachten in der praktischen Volkswirtschaft, als man gewöhnlich denkt.

Nehmen wir also an, ich verkaufe irgend etwas, bekomme dafür Geld; so muss ich dadurch gewinnen, dass ich meine Ware weggebe und Geld dafür bekomme. Ich muss das Geld mehr begehren als die Ware. Der Käufer, der muss die Ware mehr begehren als das Geld. So dass beim gegenseitigen Austausch das stattfindet, dass das Ausgetauschte, sowohl das, was hinübergeht, wie das, was zurückgeht, mehr wert wird. Also durch den bloßen Austausch wird dasjenige, was ausgetauscht wird, mehr wert, sowohl auf der einen wie auf der anderen Seite. Nun, wie kann das eigentlich sein?

Das kann ja nur dadurch sein, dass, wenn ich etwas verkaufe und Geld dafür bekomme, das Geld mir die Möglichkeit bietet, mehr damit zu erreichen als derjenige, der mir das Geld gibt; und der andere, der die Ware bekommt, muss mit der Ware mehr erreichen, als ich mit der Ware erreichen kann. Es liegt also das vor, dass wir – jeder, der Käufer und der Verkäufer – in einem anderen volkswirtschaftlichen Zusammenhang drinnenstehen müssen. Diese Höherbewertung kann erst durch das zustande kommen, was hinter dem Verkauf und Kauf liegt. Also ich muss, wenn ich verkaufe, in einem solchen volkswirtschaftlichen Zusammenhang drinnenstehen, dass durch diesen volkswirtschaftlichen Zusammenhang bei mir das Geld einen größeren Wert hat als bei dem anderen, und bei ihm die Ware einen größeren Wert hat als bei mir durch den volkswirtschaftlichen Zusammenhang.

Daraus wird Ihnen aber schon hervorgehen, dass es in der Volkswirtschaft nicht allein darauf ankommen kann, ob man überhaupt kauft oder verkauft, sondern es kommt darauf an, in welchem volks- wirtschaftlichen Zusammenhang Käufer und Verkäufer stehen. Wir werden also geführt, wenn wir genau uns die Sachen anschauen, von demjenigen, was sich unmittelbar an einem Orte abspielt, wiederum, wie wir schon öfter geführt worden sind, zum ganzen volkswirtschaftlichen Zusammenhang. Dieser volkswirtschaftliche Zusammenhang enthüllt sich uns aber noch bei einer anderen Gelegenheit.

Das kann man bemerken, wenn man ausgeht zunächst von dem Tauschhandel. Im Grunde genommen gerade eine solche Betrachtung, wie ich sie jetzt angestellt habe, kann Ihnen ja sagen: Eigentlich ist auch dadurch, dass Geld eingeführt wird in irgendeine Volkswirtschaft, der Tauschhandel nicht vollständig überwunden; denn man tauscht halt einfach Waren gegen Geld. Und gerade dadurch, dass jeder gewinnt, werden wir sehen, dass etwas ganz anderes das Wichtige ist, als dass der eine die Ware, der andere das Geld hat. Dasjenige ist das Wichtigste, was jeder mit dem machen kann, was er bekommt, durch seinen volkswirtschaftlichen Zusammenhang.

...

Ich habe es Ihnen gerade vorhin gezeigt, dass fortwährend gewisse Kräfte entstehen, sowohl beim Käufer wie beim Verkäufer; bei jedem, der mit dem anderen etwas zu tun hat im volkswirtschaftlichen Prozess, gar nicht im  moralischen Sinn, sondern im rein volkswirtschaftlichen Sinn, entsteht Vorteil und Gewinn. So dass es keine Stelle im volkswirtschaftlichen Prozess gibt, wo nicht von Vorteil und Gewinn gesprochen werden muss. Und dieser Gewinn, der ist nicht etwas bloß Abstraktes; dieser Gewinn, an dem hängt das unmittelbare wirtschaftliche Begehren des Menschen und muss daran hängen. Ob der Betreffende Käufer oder Verkäufer ist, es hängt sein wirtschaftliches Begehren an diesem Gewinn, an diesem Vorteil. Und dieses Hängen an diesem Vorteil ist dasjenige, was eigentlich den ganzen volkswirtschaftlichen Prozess hervorbringt, was die Kraft in ihm ist. Es ist dasjenige, was beim physikalischen Arbeitsprozess die Masse darstellt.« (GA 340 – »Nationalökonomischer Kurs«, Dornach 2002, S. 141-142, 145)

Hinzuzuziehen sind allerdings seine Ausführungen über die unterschiedlichen Formen der Wertschöpfung, deren eine sich aus der Bearbeitung von Naturgegenständen und deren andere sich aus der Organisation von Arbeit ergibt.

Im Interesse seiner steilen These von der »autoritären Herrschaft eines aristokratischen Geisteslebens« im dreigegliederten sozialen Organismus biegt Zander bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit Zitate zurecht.

Auf S. 1307 schreibt Zander:

»Offenbar um dem Missbrauch durch eine (zu lange) Arbeitszeit zu begegnen, hatte Steiner schon im Februar 1919 vorgeschlagen, die Zeitregelung ›durch ein von dem Wirtschaftsleben unabhängiges Leben‹, also durch das Geistesleben vornehmen zu lassen (GA 328,121).«

Die Behauptung, die Regelung der Arbeitszeiten habe »durch das Geistesleben« zu erfolgen, ist schlicht erlogen. In dem von Zander zitierten Vortrag ist ausdrücklich vom Rechtsleben als dem Gebiet die Rede, auf dem die genannten Regelungen getroffen werden müssen. Dieses Rechtsleben wird sogar in dem Satz ausdrücklich genannt, den Zander verstümmelt zitiert. Er lautet im Original:

»Man wird sich in der Zukunft, wenn der soziale Organismus lebensfähig sein soll, auch danach zu richten haben, wie produziert werden muss, wie die Warenzirkulation verlaufen muss. Wenn nicht diese Warenzirkulation bestimmt Entlohnung, Arbeitszeit, Arbeitsrecht überhaupt, sondern wenn unabhängig von der Warenzirkulation, von dem Warenmarkt, auf dem Gebiete des staatlichen Rechtslebens, bloß aus den menschlichen Bedürfnissen, bloß aus rein menschlichen Gesichtspunkten heraus die Arbeitszeit festgesetzt werden wird, dann wird es so sein, dass einfach eine Ware so viel kostet, als das Notwendige kostet zu[r] ... Aufbringung der Zeit, die für eine bestimmte Arbeit notwendig ist, die aber geregelt ist durch ein von dem Wirtschaftsleben unabhängiges Leben, während zum Beispiel das Wirtschaftsleben heute von sich aus regelt das Arbeits-Verhältnis, so dass nach den Preisen der Ware sich vielfach im volkswirtschaftlichen Prozess regeln muss Arbeitszeit, Arbeits-Verhältnis. Das Umgekehrte wird eintreten bei einer richtigen Gliederung des sozialen Organismus.« (GA 328, S. 121)

Angeblich war für Steiner das Thema »Arbeitslosigkeit« peripher. In dem von Zander herangezogenen Zusammenhang spricht aber Steiner gar nicht über Arbeitslosigkeit, sondern über arbeitsloses Einkommen, also Einkommen, das ohne Arbeit – zum Beispiel aus Zinsen – erzielt wird. Zander entdeckt in Steiners Ausführungen seitens Steiners sogar ein Zugeständnis von »Inkompetenz«. 

Auf S. 1307 schreibt Zander:

»Auch das Problem der Arbeitslosigkeit blieb peripher. Aufgrund seiner Trennung von Arbeit und Einkommen musste Steiner auch dem Arbeitslosen eine auf seine individuellen Bedürfnisse bezogene Mittelzuweisung anbieten, dies jedenfalls scheint er in Beantwortung einer Frage zu tun (GA 332a,210 f.). Aber eine tragfähige Antwort fehlte, und Steiner spürte wohl in seiner angefügten Bemerkung seinen Mangel an Kompetenz: ›Also es ist der wirtschaftliche Prozess ein viel zu komplizierter, als dass man ihn mit so einfachen Begriffen sollte umfassen wollen‹ (ebd., 211).«

Ob Steiners Antwort auf die Frage nach Zinsen und »arbeitslosem Einkommen« von Inkompetenz zeugt, mag der Leser beurteilen. Dass aber Zanders Interpretation von Inkompetenz zeugt, dürfte aber keinem Zweifel unterliegen.

»Ich habe – nicht in polemischer Form, aber in aufbauender Form – ja darüber gehandelt in meinem Buche ›Die Kernpunkte der sozialen Frage‹. Mir ist vielfach vorgeworfen worden, dass der Zins nicht ganz geschwunden sei aus dem, was mir als soziale Struktur der menschlichen Gesellschaft vorschwebt. Nun scheint es mir, dass es ehrlicher ist, auf den Boden der Wirklichkeit sich zu stellen und das Mögliche und Notwendige wirklich zu betonen, als auf irgendeinen nebulosen Boden, auf dem man bloß Forderungen aufstellt. Ich habe in meinen ›Kernpunkten der sozialen Frage‹ versucht zu zeigen, dass ja durchaus das Arbeiten mit Kapital notwendig ist. Man kann nicht ohne Kapitalansammlungen große Betriebe schaffen, überhaupt im heutigen Sinne keine Volkswirtschaft zustandebringen. Ob nun dieses Kapital in Geldform gedacht wird oder in anderer Form, das ist ja eine Sache für sich.

Die meisten Menschen begehen, indem sie sich über die soziale Frage hermachen, sehr häufig den Fehler, dass sie nur die Gegenwart gewissermaßen wie einen einzigen Augenblick ins Auge fassen und für diesen einzigen Augenblick nachdenken: Wie ist da das Wirtschaftsleben zu gestalten? – Aber wirtschaften heißt zu gleicher Zeit, mit dem in einem gewissen Zeitpunkt Gewirtschafteten eine Grundlage für das Wirtschaften der Zukunft schaffen. Ohne dass man irgendwie eine Grundlage für die Zukunft schafft, würde man die Kontinuität des Wirtschaftslebens nicht aufrechterhalten können, das Wirtschaftsleben würde immer abreißen. Das begründet aber nicht Zins aus Zinserträgnissen, wohl aber Zinserträgnis, weil die Möglichkeit bestehen muss, dass immer in irgendeinem Zeitpunkt so viel gearbeitet wird, dass aus dieser Arbeit Leistungen entstehen, die auch einer zukünftigen Arbeit wieder dienen können. Das ist nicht zu denken, ohne dass der Betreffende für das, was er für die Zukunft leistet, eine Art von Äquivalent erhält, und das würde eine Art von Zins bedeuten. Ich hätte es auch anders nennen können, wenn ich hätte schmeicheln gewollt denen, die heute wettern über Zins im Einkommen. Aber es schien mir ehrlicher, die Sache so zu benennen, wie sie in der Wirklichkeit ist. Es ist notwendig, dass diejenigen, welche irgend etwas dazu beisteuern – das wird ja der einfachste Ausdruck für komplizierte Vorgänge sein – dazu, dass Kapital angesammelt, verwendet werden kann, dass diese ihre Arbeit, die sie aus der Vergangenheit, aus der Gegenwart her in die Zukunft leisten, auf diese Weise in die Zukunft vergütet erhalten. Zins in der Form, wie ich es schildere in meinen ›Kernpunkten der sozialen Frage‹, ist nichts anderes als Vergütung desjenigen, was in der Gegenwart geleistet worden ist, für die Zukunft.

Nun, bei solchen Dingen kommt aber natürlich immer in Betracht, was sonst im sozialen Organismus als ein notwendiges Glied mitenthalten ist. Es kommt beim Menschen zum Beispiel darauf an, dass er alle seine Glieder hat, denn sie wirken alle zusammen. So kann man ein Glied auch nur verstehen aus dem gesamten Menschen heraus. So ist es auch im sozialen Organismus, dass man das Einzelne nur aus dem Ganzen verstehen kann. Wenn Sie sich an das erinnern können, was ich mit Bezug darauf auseinandergesetzt habe, wie aufzufassen ist das Verhältnis des Bearbeitens von Produktionsmitteln, so werden Sie sehen, dass es sich dabei darum handelt, dass Produktionsmittel nur so lange etwas kosten, nur so lange verkäuflich sind, als sie nicht fertig sind. Sind sie fertig, bleiben sie allerdings bei dem, der die Fähigkeit hat, sie fertigzubringen; dann aber gehen sie durch rechtliche Verhältnisse über, sind also nicht mehr verkäuflich. Dadurch wird auch für das Geldvermögen eine ganz bestimmte Wirkung herauskommen. Es kommt nicht darauf an, dass man Gesetze macht, das Geld solle keine Zinsen tragen, sondern es kommt darauf an, dass Ergebnisse herauskommen, die dem sozialen Organismus entsprechen.

Dadurch wird das, was als Geldvermögen existiert, einen ähnlichen Charakter bekommen wie andere Güter. Andere Güter unterscheiden sich heute vom Gelde dadurch, dass sie zugrunde gehen oder verbraucht werden; das Geld aber braucht nicht zugrunde zu gehen. Über längere Zeiträume geht es ja auch zugrunde, aber in kürzeren Zeiträumen nicht. Daher glauben manche Leute, auch in längeren Zeiträumen halte es sich.

Es hat sogar Menschen gegeben, die haben Testamente gemacht, dass sie Irgendeiner Stadt das oder jenes vermacht haben. Dann haben sie ausgerechnet, wieviel das nach ein paar Jahrhunderten ist. Das sind so große Summen, dass man dann damit die Staatsschulden eines sehr stark verschuldeten Staates zahlen könnte. Aber der Witz ist nur der, dass es dann nicht mehr da ist, weil es unmöglich ist, über so lange Zeiten das Geld in der Verzinsung zu erhalten. Dafür aber ist die regelrechte Verzinsung für kürzere Zeit aufrechtzuerhalten. Aber wenn im volkswirtschaftlichen Prozess das einträte, dass tatsächlich Produktionsmittel nichts mehr kosten, wenn sie da sind, Grund und Boden tatsächlich Rechtsobjekte werden – nicht ein Kaufobjekt, nicht ein Wirtschafts-Zirkulationsobjekt –, dann tritt für das Geldvermögen ein, dass es, ich habe es öfter ausgedrückt, nach einer bestimmten Zeit anfängt einen üblen Geruch zu haben, wie Speisen, die verdorben sind und einen üblen Geruch haben, nicht mehr brauchbar sind. Einfach durch den wirtschaftlichen Prozess selber stellt es sich heraus, dass Geld seinen Wert verliert nach einem bestimmten Zeitraume, der durchaus nicht etwa ungerecht kurz ist; aber es ist eben so. Dadurch sehen Sie, wie sehr dieser Impuls für den dreigliederigen sozialen Organismus aus den Realitäten heraus gedacht ist. Wenn Sie Gesetze geben, so geben Sie Abstraktionen, durch die Sie die Wirklichkeit beherrschen wollen. Denken Sie über die Wirklichkeit, so wollen Sie die Wirklichkeit so gestalten, dass sich die Dinge so ergeben, wie sie dem tieferen Bewusstsein des Menschen entsprechen.

Ebenso ist in einem solchen Organismus, wie ich ihn denke, durchaus nicht das arbeitslose Einkommen als solches enthalten. Nur muss man über diese Dinge auch klare Begriffe haben. Was ist denn schließlich ein arbeitsloses Einkommen? In diesem Begriff ›arbeitsloses Einkommen‹ steckt ja sehr, sehr viel von Unklarheiten drinnen, und mit unklaren Begriffen kann man wahrhaftig keine Reformen durchführen. Sehen Sie, für denjenigen, der ›Arbeit‹ bloß Holzhacken nennt, für den ist ganz sicher ein arbeitsloses Einkommen dasjenige, was jemand für ein Bild erhält, das er malt, und dergleichen. Es ist nur etwas radikal ausgesprochen, aber so wird oftmals das sogenannte ›arbeitslose Einkommen‹ durchaus beurteilt. Es setzt sich das, was wirtschaftliche Werte begründet, eben aus verschiedenen Faktoren im Leben zusammen. Es setzt sich zusammen erstens aus den Fähigkeiten der Menschen, zweitens aus der Arbeit, drittens aber auch aus Konstellationen, und es ist einer der größten Irrtümer, wenn man gar definiert hat, dass irgendein Gut, das in der wirtschaftlichen Zirkulation ist, nur ›kristallisierte Arbeit‹ sei. Das ist es durchaus nicht. Über Arbeit habe ich mich ja in diesen Vorträgen ausgesprochen. Es kommt also darauf an, dass man überhaupt den Begriff der Arbeit nicht in irgendeiner Weise zusammenbringt, wie er heute vielfach zusammengebracht wird, mit dem Begriff des Einkommens. Sein Einkommen bekommt ja ein Mensch wahrhaftig nicht bloß dafür, dass er isst und trinkt oder sonst irgendwelche leiblichen oder seelischen Bedürfnisse befriedigt, sondern auch dafür, dass er für andere Menschen arbeitet. Also es ist der wirtschaftliche Prozess ein viel zu komplizierter, als dass man ihn mit so einfachen Begriffen sollte umfassen wollen.«

GA 332a (Dornach 1977), S. 208-211

Zander meint, im Dreigliederungskonzept Steiners, sei »der Staat« nicht der Ort, wo divergierende gesellschaftliche Interessen zusammengeführt würden. Vielmehr schreibe er diese Macht »dem Geistesleben« zu.

Auf S. 1307-1308 schreibt Zander:

Der Staat war nun im Dreigliederungskonzept nicht der Ort, wo divergierende gesellschaftliche Interessen zusammengeführt und grundlegende Entscheidungen des Gemeinwesens getroffen würden. Vielmehr lag die Macht dazu, folglich auch über die Ökonomie, für Steiner im »Geistesleben« ...«

Im dreigegliederten sozialen Organismus gibt es den Staat, von dem Zander spricht, nicht mehr. Der »Ort«, wo divergierende gesellschaftliche Interessen politischer Art zum Ausgleich gebracht werden, ist hier das Rechtsleben. Es ist ein unwegdenkbarer Teil des sozialen Organismus und von Wirtschafts- und Geistesleben gleichermaßen unabhängig. Das geht schon aus Steiners Ausführungen in den »Kernpunkten der sozialen Frage« hervor, die Zander, trotzdem er sie unmittelbar im Anschluss an diese Aussage zitiert, nicht gelesen zu haben scheint.

»Der Mensch kann nur dann das Rechtsverhältnis richtig erleben, das zwischen ihm und anderen Menschen bestehen muss, wenn er dieses Verhältnis nicht auf dem Wirtschaftsgebiet erlebt, sondern auf einem davon völlig getrennten Boden. Es muss deshalb im gesunden sozialen Organismus neben dem Wirtschaftsleben und in Selbständigkeit ein Leben sich entfalten, in dem die Rechte entstehen und verwaltet werden, die von Mensch zu Mensch bestehen. Das Rechtsleben ist aber dasjenige des eigentlichen politischen Gebietes, des Staates. Tragen die Menschen diejenigen Interessen, denen sie in ihrem Wirtschaftsleben dienen müssen, in die Gesetzgebung und Verwaltung des Rechtsstaates hinein, so werden die entstehenden Rechte nur der Ausdruck dieser wirtschaftlichen Interessen sein. Ist der Rechtsstaat selbst Wirtschafter, so verliert er die Fähigkeit, das Rechtsleben der Menschen zu regeln. Denn seine Maßnahmen und Einrichtungen werden dem menschlichen Bedürfnisse nach Waren dienen müssen; sie werden dadurch abgedrängt von den Impulsen, die auf das Rechtsleben gerichtet sind.

Der gesunde soziale Organismus erfordert als zweites Glied neben dem Wirtschaftskörper das selbständige politische Staatsleben. In dem selbständigen Wirtschaftskörper werden die Menschen durch die Kräfte des wirtschaftlichen Lebens zu Einrichtungen kommen, welche der Warenerzeugung und dem Warenaustausch in der möglichst besten Weise dienen. In dem politischen Staatskörper werden solche Einrichtungen entstehen, welche die gegenseitigen Beziehungen zwischen Menschen und Menschengruppen in solcher Art orientieren, dass dem Rechtsbewusstsein des Menschen entsprochen wird.

Der Gesichtspunkt, von dem aus hier die gekennzeichnete Forderung nach völliger Trennung des Rechtsstaates von dem Wirtschaftsgebiet gestellt wird, ist ein solcher, der im wirklichen Menschenleben drinnen liegt. Einen solchen Gesichtspunkt nimmt derjenige nicht ein, der Rechtsleben und Wirtschaftsleben miteinander verbinden will. Die im wirtschaftlichen Leben stehenden Menschen haben selbstverständlich das Rechtsbewusstsein; aber sie werden nur aus diesem heraus und nicht aus den wirtschaftlichen Interessen Gesetzgebung und Verwaltung im Sinne des Rechtes besorgen, wenn sie darüber zu urteilen haben in dem Rechtsstaat, der als solcher an dem Wirtschaftsleben keinen Anteil hat. Ein solcher Rechtsstaat hat seinen eigenen Gesetzgebungs- und Verwaltungskörper, die beide nach den Grundsätzen aufgebaut sind, welche sich aus dem Rechtsbewusstsein der neueren Zeit ergeben. Er wird aufgebaut sein auf den Impulsen im Menschheitsbewusstsein, die man gegenwärtig die demokratischen nennt. Das Wirtschaftsgebiet wird aus den Impulsen des Wirtschaftslebens heraus seine Gesetzgebungs- und Verwaltungskörperschaften bilden. Der notwendige Verkehr zwischen den Leitungen des Rechts- und Wirtschaftskörpers wird erfolgen annähernd wie gegenwärtig der zwischen den Regierungen souveräner Staatsgebiete. Durch diese Gliederung wird, was in dem einen Körper sich entfaltet, auf dasjenige, was im andern entsteht, die notwendige Wirkung ausüben können. Diese Wirkung wird dadurch gehindert, dass das eine Gebiet in sich selbst das entfalten will, was ihm von dem anderen zufließen soll. Wie das Wirtschaftsleben auf der einen Seite den Bedingungen der Naturgrundlage (Klima, geographische Beschaffenheit des Gebietes, Vorhandensein von Bodenschätzen und so weiter) unterworfen ist, so ist es auf der andern Seite von den Rechtsverhältnissen abhängig, welche der Staat zwischen den wirtschaftenden Menschen und Menschengruppen schafft.«

GA 23 (Dornach 1976, S. 69-71)