Steiner soll die Reinkarnationsidee nach Zander durch die Theosophie kennengelernt und als asiatischen Import betrachtet haben.

Zander schreibt auf S. 561:

»Dass die europäische Tradition der Reinkarnationsvorstellung keine Rolle in seinem Konzept spielte und er zugleich einen Anschluss an die westliche Tradition suchte, zeigt überdeutlich eine Marginalie: Zwischen den beiden Teilen des Aufsatzes ›Reinkarnation und Karma‹ schrieb er am Schluss des Oktoberheftes von ›Luzifer‹, dass Goethe, Novalis, Schelling und Jean Paul, also Vertreter der ihm aus vortheosophischen Zeiten gut bekannten Literatur, hinsichtlich der Reinkarnationsvorstellung nichts oder nicht viel austrügen. Aber ›diese umfassenden Wahrheiten‹ der Theosophie, und dazu zählten für ihn auch die ›grossen Weltgesetze von Reincarnation und Karma‹ respektive ›die Lehre von der Wiederverkörperung‹, ›wird die theosophische Bewegung der deutschen Kultur einverleiben‹ (ebd., 535).«

 

Zander zieht hier als Beleg das von Steiner verfaßte Autoreferat seines Vortrages auf dem Londoner Kongress der Europäischen Sektionen der Theosophischen Gesellschaft heran, der im Juli 1903 stattgefunden hatte.

Dieses Autoreferat erschien in der Oktobernummer des »Luzifer«, der Vortrag selbst fand am 4. Juli 1903 statt. Laut seinem Autoreferat (GA 34, S. 533-535, das Autoreferat ist hier im vollen Wortlaut zugänglich) ließ Steiner die Gelegenheit seines ersten Auftritts bei einer internationalen Zusammenkunft von Theosophen nicht vorüber gehen, ohne nachdrücklich auf sein spezifisches Verständnis von Theosophie hinzuweisen.

Steiner betonte, »das ganze Wesen des deutschen Volksgeistes« dränge zur Theosophie hin. Das zeige sich in den schönten Blüten der deutschen Geisteskultur. Ihr liege eine theosophische Gesinnung zugrunde. Und nun führt Steiner an: die »tiefe Mystik« eines Eckhart und Tauler, eines Valentin Weigel, Jakob Böhme und Angelus Silesius (die er in seiner »Mystik im Aufgang ...« behandelt hatte), aber auch die neueren Denker Fichte, Schelling und Hegel, Goethe, in dessen Schöpfungen eine theosophische Betrachtungsart verborgen sei, etwa in seiner Naturanschauung, im Faust, in seinem Märchen, das man als »geheime Offenbarung« Goethes betrachten könne, Novalis mit seinem magischen Idealismus, Schellings »Philosophie der Mythologie« und Offenbarung.

Was allerdings in den theosophischen Bestrebungen der Deutschen (nicht der Europäer) fehle, sei ein »tieferes Verständnis« der Weltgesetze von Reinkarnation und Karma. Zwar habe Jean Paul die Lehre von der Reinkarnation aus seiner Intuition vertreten, aber »organisch« sei sie mit der genannten Strömung nicht verbunden gewesen. Die theosophische Bewegung werde sie der deutschen Kultur einverleiben.

Mit keinem Wort wird in diesem Autoreferat davon gesprochen, die Reinkarnation sei ein Import aus Asien, der der deutschen oder europäischen Kulturtradition von außen vermittelt werden müsse. Wie Steiner in seinem Buch über das »Christentum als mystische Tatsache ...« ausgeführt hatte, war es die Entwicklung der kirchlichen Lehre, die das genuin europäische Wissen und die Überzeugung von der Reinkarnation in den Untergrund drängte. Eine Ergänzung der theosophischen Strömung, die durch die vorgenannten Namen bezeichnet ist, konnte also auch durch eine Rückbesinnung auf die spezifisch abendländisch-europäischen Traditionen erfolgen, wie Steiner dies ja bereits im »Christentum als mystische Tatsache ...« getan hatte und wie er es in der zweiten Hälfte des Jahres 1903 auf andere Art tat, indem er die Ideen von Reinkarnation und Schicksal aus der naturwissenschaftlichen Vorstellungsart ableitete.

Die Ableitungen in den behandelten Aufsätzen sind übrigens mit den Ansichten verwandt, die Lessing zur Begründung seiner Reinkarnationsauffassung in der »Erziehung des Menschengeschlechts« anführte. Auch wenn Steiner nicht explizit auf Lessing Bezug nahm, implizit ist dieser durchaus präsent.

Laut Zander dokumentiert die im Januar 1904 beginnende Artikelserie »Von der Aura des Menschen« einen neuen »Rezeptionsschub der theosophischen Anthropologie«. Steiner selbst weise auf Leadbeaters Buch »Man visible and invisible« als »Quelle« seiner Ausführungen über die menschliche Aura hin.

Auf S. 563-564 schreibt Zander:

»Im Januar 1904 begann Steiner in seiner inzwischen mit der ›Gnosis‹ vereinigten Zeitschrift ›Luzifer‹ eine vierteilige Artikelserie ›Von der Aura des Menschen‹. Sie dokumentiert einen weiteren Rezeptionsschub der theosophischen Anthropologie.

...

In den frühen Schriften war Steiner ... von einer für den Historiker lebensrettenden Ehrlichkeit. ›Ich mache‹, schrieb er im Anschluss an die zitierte Passage, ›zur Vergleichung mit meinen Angaben auf die Schrift C. W. Leadbeaters: Man visible and invisible aufmerksam, die 1902 in London, Theosophical publishing Society, erschienen ist.‹ (ebd., 117)

...

Die Offenlegung dieser Quelle kann ein Indiz sein, dass Steiner den Umgang mit theosophischer Literatur als Forschungsprozess analog zum universitären Verfahren darzustellen versuchte, mit Grundlagenliteratur, die diskutiert werden und als Basis weiterer Forschungen dienen sollte.«

Dazu ist zu bemerken, dass Steiner bereits im September 1903 in einem weiter oben zitierten Aufsatz auf Leadbeaters Forschungen eingegangen ist. (GA 34, S. 421-430. Der Artikel Steiners im vollen Wortlaut hier.) Der von Zander behauptete Rezeptionsschub hätte also bereits im September 1903 eingesetzt. Wie der weiter oben zitierten Rezension zu entnehmen ist, kritisierte Steiner aber Leadbeaters Forschungen und zwar unter Berufung auf eigene Forschungen auf übersinnlichem Gebiet.

Steiner spricht in seiner Rezension im Hinblick auf Leadbeaters Buch »Die Astral-Ebene« von der Notwendigkeit, »schlummernde Erkenntniskräfte« zu wecken, von »eigenen Erfahrungen« auf Gebieten jenseits der sinnlichen Tatsachen, von »Beobachtern der übersinnlichen Gebiete«, von Regionen, die »immer und überall da«, aber »nicht sinnlich wahrnehmbar« sind, von der Erweckung der Erkenntniskräfte für die astralen Vorgänge, die die Quellen der Erkenntnis dieser Gebiete eröffne, von »Beobachtungen« in »übersinnlichen Regionen«, davon, dass über das, was beobachtet worden sei, auch gesprochen werden könne und so weiter und so fort.

In der Aufsatzfolge über die menschliche Aura, für die Steiner angeblich Leadbeaters Buch als Quelle »offenlegt«, ist weiter von dieser übersinnlichen Beobachtung als Quelle der Erkenntnis die Rede. Hier spricht Steiner von den geistigen Organen, die erweckt werden müssen (GA 32, S. 112), von den Wahrnehmungen der »geistigen Sinne« (S. 113), vom »geistigen Auge« (S. 115) und so weiter. Es ist offensichtlich, dass Steiner beansprucht, aus eigener Anschauung, aus eigener Erfahrung, aus eigener Beobachtung von der menschlichen Aura zu sprechen und dass er sich auf Leadbeaters Publikation nicht als »Grundlagenliteratur« bezieht, über die man »diskutieren« könnte, wie über die Semesterarbeit eines Theologiestudenten.

Vielmehr bezieht er sich auf beobachtbare »Gegenstände« (dieser Ausdruck natürlich im metaphorischen Sinn verstanden), die verschiedene Beobachter unabhängig voneinander erforschen können. Er bezieht sich auf einen geistigen Forschungsprozess, der zu Resultaten führt, die unterschiedlich sein können, »weil die Beobachtungen auf diesem Felde natürlich unsicher sind«. (S. 117)

Steiner will sich also nicht von Kennern einer Literatur korrigieren lassen, sondern von Beobachtern derselben Forschungsgebiete und er nimmt selbst in Anspruch, Forschungen anderer aufgrund eigener Beobachtungen korrigieren zu können. Deshalb sagt er auch ausdrücklich: »Ich lasse mich von anderen Forschern gerne korrigieren.«

Die Überprüfung und Korrektur, von der Steiner hier spricht, ist nicht textgeschichtlichen oder hermeneutischen Interpretationsverfahren analog, sondern einem naturwissenschaftlichen Beobachtungsverfahren.

Es ist gegen Zander festzuhalten, dass Steiner sich in diesem Text als Forscher darstellt, der aus eigener Beobachtung und Erfahrung schöpft und keineswegs das Buch von Leadbeater als Quelle seiner Beschreibungen »offenlegt«.

Zander behauptet, Steiner habe bis zum Frühjahr 1904 seine Anthropologie »im Rahmen klassisch europäischer« Vorstellungen erläutert, und erst zu diesem Zeitpunkt mit dem Umbau seiner Anthropologie unter dem Einfluss der theosophischen Literatur begonnen, ab März 1904 habe sich diese Anthropologie »unmerklich, aber massiv« verändert.

Auf S. 565 schreibt Zander:

»Im Februar 1904 rief er nochmals eine klassische Vorstellung, den Ternar ›Leib, Seele und Geist‹ als die ›drei Glieder‹ der ›Wesenheit des Menschen‹ auf, aber er verband sie schon mit theosophischen Vorstellungen, denn diese drei Glieder fänden in der ›dreifachen Aura‹ ihren ›übersinnlich sichtbaren Ausdruck‹ (GA 34,120 f.).

Bis zu diesem Zeitpunkt fehlten substantielle Veränderungen der hergebrachten Anthropologie, Steiner fügte nur unterschiedliche Traditionen zusammen. Dies änderte sich im März 1904 unmerklich, aber mit massiven Folgen. In der ›Lucifer-Gnosis‹-Ausgabe dieses Monats sprach Steiner vom ›Empfindungsleib, oder, wie es unter Theosophen üblich geworden ist, [vom] Astralleib‹ (ebd., 129).

Auch seine weiteren Kombinationen belegen den theosophischen Hintergrund.

Zum einen korrelierte er ›Astralleib‹ explizit mit theosophischen Vorstellungen, zum anderen identifizierte er wenig später ›drei Glieder‹ ›im Leibe‹ (ebd.), nämlich ›physischer Leib, das Leben und der Empfindungsleib‹, mit drei seelischen Gliedern, ›Empfindungsseele, Verstandesseele und Bewusstseinsseele‹, die nun ihrerseits mit der dreigliedrigen Aura ›zu begreifen‹ seien (ebd., 132).

Diese Verschachtelung anthropologischer Traditionen hat Steiner später aufgegeben und insbesondere die leibliche Dreiheit (mit dem sonderbaren Kollektivsingular ›das Leben‹) sowie den Aurabezug zurückgenommen.«

Diese Behauptungen sind nachweislich alle falsch. Nicht nur Steiners philosophische Schriften enthalten bereits ideelle Präformationen seiner ab 1901 entwickelten Schichtenanthropologie, sondern auch seine zwischen 1898 und 1904 erschienenen Werke. Darüber hinaus verändert sich seine Anthropologie auch nicht »unmerklich, aber massiv« ab März 1904, wie Zander behauptet.

Zander vertritt die Auffassung, Steiner habe noch im Oktober 1903 die Seele des Menschen »klassisch« in »vegetative«, »animalische« und »Verstandesseele« differenziert, im Februar 1904 den »klassischen Ternar« von Leib, Seele und Geist entwickelt, diesen aber schon mit theosophischen Vorstellungen (von der Aura) verbunden, um nun im März 1904 in der »Luzifer«-Ausgabe (in der Aufsatzfolge über die menschliche Aura) erstmals vom »Empfindungsleib« oder dem »Astralleib« zu sprechen, um wenig später drei leibliche und drei seelische Glieder zu unterscheiden.

Die »Verschachtelung anthropologischer Traditionen«, besonders die leibliche Dreiheit, habe Steiner aber »später wieder zurückgenommen«.

Die Schichtenanthropologie war bereits in Steiners philosophischen Werken enthalten – insbesondere in den »Grundlinien einer Erkenntnistheorie«, aber auch in der »Philosophie der Freiheit«. Sie tauchte in der »Mystik im Aufgang ...« von 1901 auf, in der – im Anschluss an Paracelsus –, von folgenden Wesensschichten des Menschen die Rede ist:

• physischer Leib (»elementarischen Leib«),
• Lebensleib (»organischen Lebensprozess«, »Archaeus«, »Spiritus vitae«),
• Astralleib (»astralischen Erscheinungen«),
• Empfindungsseele (dem »tierischen Geist«),
• Verstandesseele (»Verstandesseele),
• Bewusstseinsseele (»Geistseele«)

höheres geistiges Wesen des Menschen:

• der in der Geistseele erlebbare, »tiefste Untergrund des Weltendaseins«,
• das in ihr sprechende »Urwesen«,
• das »sich selbst anschauende Allwesen«.

Wenn Steiner in einem öffentlichen Vortrag im Oktober 1903 an die aristotelische Unterscheidung von »vegetativer«, »animalischer« und »intellektiver« Seele anknüpft, dann muss der Kontext dieser (öffentlichen) Rede berücksichtigt werden, die die komplexe Schichtenanthropologie nicht voraussetzt.

Aber es ist offensichtlich, dass diese drei »Seelen« lediglich eine andere Ausdrucksform für das sind, was er in der »Mystik im Aufgang ...« als »organischer Lebensprozess«, »astralische Erscheinungen« und »Geistseele« bezeichnet wird.

Wohl spricht Steiner im Februar 1904 vom »Ternar« Leib, Seele und Geist. Aber er hat bereits im Dezember 1903 (im Aufsatz »Wie Karma wirkt«, GA 34, S. 107, Text hier) einen Abriss seiner drei-, neun- bzw. siebengliedrigen Anthropologie veröffentlicht, in dem der angebliche »klassische Ternar« sich in jeweils drei Glieder auffaltete, das dritte und vierte sowie das sechste und siebte »im verkörperten Menschen« zur Einheit verschmolzen und dieser Anthropologie die »übliche theosophische Einteilung« zugeordnet worden ist. Dass schließlich Steiner die »leibliche Dreiheit« »später wieder zurückgenommen« habe, ist eine Aussage Zanders, die jedes Sinns entbehrt.

Es trifft auch nicht zu, dass Steiner im März 1904 ein »viergliedriges Menschenbild« (»physischer Körper, Ätherdoppelkörper, astralischer Körper, Ich«) benutzte, um dieses »wenig später« mit theosophischen Begriffen zu identifizieren, denn diese Zuordnung erfolgte bereits im Dezember 1903.

Erst recht trifft es nicht zu, dass Steiner seine Anthropologie von Besant übernommen hätte, deren Anthropologie mit der seinigen identisch sei, wie Zander unterstellt (S. 565). Wenn Zander hier auf die Publikation Besants »Der Mensch und seine Körper« aus dem Jahr 1896 als Beleg verweist, dann genügt schon ein Blick in das Inhaltsverzeichnis der deutschen Übersetzung, um zu erkennen, dass nicht einmal die Terminologie übereinstimmt.

In der deutschen Übersetzung von 1896 ist die Rede vom »physischen Körper«, der aus zwei Teilen bestehe: dem »dichten Körper« (1) und dem »ätherischen Doppelkörper« (2), daran anschließend vom »Astralkörper« (3), vom »Mental-Körper«, der wiederum aus »Denkkörper« (4) und »Kausalkörper« (5) gebildet werde und schließlich vom »spirituellen Körper« (6).

Erst recht aber zeigt sich die Abwegigkeit dieser Behauptung, wenn man die Darstellungen Besants und Steiners inhaltlich mit einander vergleicht. Hier fallen, abgesehen von den alleräußerlichsten Analogien (etwa, dass überhaupt eine Gliederung vorgenommen wird, dass diese sechs-, sieben- oder neunschichtig ist) vor allem die Differenzen ins Auge. So schließt für Besant der Begriff des physischen Leibes »die beiden niederen Prinzipien des Menschen«, »den dichten Körper und den ätherischen Körper« ein (es wird nach dem englischen Original von 1896 zitiert und übersetzt). Beide sind aus physischen Stoffen zusammengesetzt, und lösen sich gemeinsam beim Tod des Menschen in der »physischen Welt« auf.

Bei Steiner ist der Ätherleib des Menschen dagegen nicht physisch und löst sich auch nicht in der physischen Welt auf. Das »ätherische Doppel« ist bei Besant in all seinen Teilchen eine exakte Duplikation, ein Schatten und Abbild des sichtbaren Körpers.

Bei Steiner ist der Ätherleib des Menschen der Architekt und Bildner des physischen Leibes, letzterer ist ein Abbild des ätherischen.

Besant kennt zwar einen Astralleib, aber keine Seelenglieder, weder eine Empfindungsseele, noch eine Verstandes-, noch eine Bewusstseinsseele. Sie spricht von einem »Denkkörper«, der das Vehikel des Ego, des »Denkers« ist. Das Ich, das im Denkkörper entsteht, ist eine »Illusion«.

Steiner kennt weder einen Denkkörper, noch ist das Ich bei ihm eine Illusion. Aus seiner Sicht betätigt sich das Denken in der Verstandes- und in der Bewusstseinsseele des Menschen, während das Ich im verhangenen Allerheiligsten der Seele zu sich selbst erwacht. Es ist der göttliche Wesenskern des Menschen, und – im Unterschied zu allen leiblichen Hüllen – das ewige, sich selbst gleiche, substanziell unzerstörbare Dauerwesen.

Der Begriff des Selbstbewusstseins beinhaltet den »Sinn des menschlichen Daseins« und nicht bloß eine Illusion.

Besant spricht von einem zweiten Denk- oder Geistkörper, dem Kausalkörper, dem Körper des Manas, dem »Formaspekt des wahren Menschen«, dem Träger der Keime, die in die nächste Inkarnation gelangen. Der Kausalkörper ist nicht der höchste Körper, über diesem steht das »Vehikel von Buddhi«, der »spirituelle Körper«, in dem das mit Buddhi vereinigte Manas, das »spirituelle Ego« des Menschen wohnt, das nicht dem Kreislauf der Wiedergeburt unterworfen ist. Sie unterscheidet also sechs Prinzipien am Menschen, sieben, wenn man das »lebendige atmische Feuer« noch hinzurechnet, das »durch die spirituellen Körper der Initiierten« wirkt.

Aus der Sicht Steiners hat es keinen Sinn, die Wesensglieder jenseits der drei Leiber (physischer, ätherischer und astralischer Leib) noch als Körper zu bezeichnen. Die Seele des Menschen mit ihren drei Gliedern ist kein Körper, erst recht nicht die geistigen Wesensglieder des Menschen.

Zander glaubt, in der »nervösen« anthropologischen «Kombinatorik« Steiners eine »Folge des Überdrucks« zu erkennen, unter dem Steiners monistischer Anspruch »angesichts des einzuschmelzenden Materials« gestanden habe (S. 566).

Das einzige, was von »Nervosität« und »Überdruck« zeugt, ist seine eigene Unfähigkeit, in der systematischen Entwicklung der Darstellungen Steiners einen inneren Zusammenhang zu erkennen.

Steiner habe sich, so Zander, auf seinen »theosophischen Lesewegen« mit großen Schritten seiner »kanonisierten Anthropologie« genähert, die im April 1904 (im Aufsatz über die menschliche Aura) erreicht worden sei, als er noch die drei geistigen Glieder »hinzufügte«, und das »neue siebengliedrige theosophische Menschenbild« »komplett übernommen« habe.

Diese Behauptungen sind schon logisch inkonsistent: wie kann Steiner ein »neues theosophisches Menschenbild« »komplett übernommen« haben, und von wem soll er es »übernommen« haben, wenn es neu war? Aber auch an dieser Stelle übersieht Zander wieder die Anmerkung im Aufsatz »Wie Karma wirkt« vom Dezember 1903, die bereits die drei höheren geistigen Wesensglieder kennt und ebenso die Verschmelzung von Empfindungsleib auf der einen und Bewusstseinsseele und Geistselbst auf der anderen Seite – »im inkarnierten Menschen«.

Die Bemerkung Steiners im Aufsatz, auf den Zander sich bezieht: »Wir setzen hier die in der theosophischen Literatur gebräuchlichen Ausdrücke in Klammern bei«, zeugt eben nicht davon, dass für Steiner die »theosophischen Bezüge und Wurzeln entscheidend« waren (Zander, S. 566), sondern davon, dass er eine aus eigener Forschung entwickelte Anthropologie zur Erläuterung und zum besseren Verständnis für die Teilnehmer der theosophischen Tradition mit der theosophischen Nomenklatur in Beziehung setzte.

Auch der Hinweis Zanders auf eine von Sinnett bereits Anfang der 1890er Jahre vorgelegte siebenteilige Anthropologie (S. 566), kann nicht als Beleg dafür dienen, dass Steiner ein theosophisches Menschenbild »komplett« übernommen hätte. Denn Zander muss selbst konzedieren, dass im Vergleich mit Sinnetts Gliederung bei Steiner Begriffe »verschoben«, »eliminiert« und das Ganze durch »Hinzufügung dreier weiterer Glieder dynamisiert« worden sei –  mit anderen Worten: was in Steiners Anthropologie vorliegt, ist etwas völlig anderes.

Entlarvend wiederum die Feststellung Zanders, um das »Ausmaß der Umbesetzungen« Steiners erkennen zu können, müsse die Literatur der zwanzig Jahre zwischen Sinnett und Steiner durchgesehen werden – etwas, das er offensichtlich nicht getan hat. Aber selbst wenn er es getan hätte, dann wäre das Ergebnis kein anderes gewesen: wo keine Identität vorhanden ist, kann auch keine gefunden, höchstens eine erfunden werden.

Die »Ideengeschichte der Hüllenvorstellung« sei verwickelt, muss Zander am Ende zugestehen (S. 567), aber für ihn ist trotz aller Verwicklungen klar, »dass Steiner sie von der Theosophie übernommen« hat.

Nun, das ist überhaupt nicht klar. Klar ist vielmehr, dass Zander nicht nur die Ideengeschichte der Hüllenvorstellung überaus unklar ist, sondern dass sie Steiner auch nicht »von der Theosophie übernommen hat«.

Tatsächlich hat er von Anfang an betont: »Es ist besser, wenn jeder genau das schildert, was gerade er zu sagen hat. ... Mit dem bloßen Nachbeten der theosophischen Dogmen kommen wir nicht weiter.« (GA 34, S. 137)

In einer langen Anmerkung lässt Zander seinen Konjekturen über die »Ideengeschichte der Hüllenvorstellung« freien Lauf (S. 567). Er glaubt an einen paracelsischen Ursprung, finden sich doch die von Steiner verwendeten Begriffe »teilweise wörtlich« bei Paracelsus und Steiner habe ja selbst 1906 und 1907 Hinweise auf Paracelsus »als Quelle« gegeben.

Es ist völlig rätselhaft, wie Zander die Tatsache entgangen ist, dass Steiner in der »Mystik im Aufgang ...« ausdrücklich in Anknüpfung an Paracelsus eine neungliedrige Anthropologie einführte. Nur ist die These von Paracelsus als Quelle wieder nicht mit der kompletten Übernahme einer theosophischen Anthropologie vereinbar, es sei denn, man operiert mit einer »verwickelten Hüllengeschichte«, in der alles möglich ist.

Es kann uns schon gar nicht mehr wundern, wenn die angeblichen Hinweise Steiners auf Paracelsus als »Quelle« seiner Stufenanthropologie oder seiner Terminologie (GA 94, 54, 284) auch nicht die Spur einer solchen Aussage enthalten. Vielmehr ist in diesen Vorträgen von Paracelsus als einem »Theosophen« die Rede, der eine Erkenntnis des Astralleibes besessen habe, so wie Steiner ja auch.

Schließlich hat Steiner nicht erst in der »Theosophie« die Empfindungsseele mit dem Empfindungsleib und die Bewusstseinsseele mit dem Geistselbst verschmolzen, sondern er hat dies bereits im Dezember 1903 getan und dies auch nicht, weil er seine Anthropologie »nachjustieren« musste, wie Zander unterstellt (S. 568), sondern weil diese zwei Wesensglieder »im inkarnierten Menschen« so miteinander verbunden sind, dass man sie auch als Einheit betrachten kann.

Die neun- und die siebenteilige Anthropologie stehen auch nicht unverbunden nebeneinander, sondern stellen logisch begründete Möglichkeiten einer Gliederung des in sich differenzierten Menschenwesens dar.

Auch ist die These Zanders abenteuerlich, Steiner habe »Zuordnungsprobleme mit dem Ich« gehabt, was er daraus schließt, dass es im April 1904 in der Bewusstseinsseele geboren werde, in der »Theosophie« in der Verstandesseele »aufblitze«, um später in den »klassischen Siebenteilungen« allein »auf der vierten Ebene« lokalisiert zu werden (S. 568).

Es kommt eben darauf an, zu denken, was Steiner im jeweiligen Zusammenhang an Begriffen entwickelt. Die von ihm oft zitierte Schilderung Jean Pauls spricht vom Aufleuchten des Ichbewusstseins bereits im zarten Kindesalter: das Ich kann sich an jedem Wesensglied spiegeln und an diesem eine spezifische Form des Bewusstseins von sich selbst durch diese Spiegelung entwickeln. Man hat es also jeweils mit unterschiedlichen Formen des Bewusstseins von diesem Ich zu tun, die den verschiedenen Wesensgliedern zugeordnet sind, an denen dieses Bewusstsein entsteht.

Für Steiners im Frühjahr 1904 erschienene »Theosophie«, seine »Einführung in übersinnliche Welterkenntnis und Menschenbestimmung«, postuliert Zander theosophische und spiritistische Quellen, ohne diese näher zu benennen.

Auf S. 574 schreibt Zander:

»Religionsphänomenologisch handelt es sich um Visionsschilderungen, historisch stammt dieses Material weitgehend aus theosophischen Quellen, wie wiederum die in der Theosophischen Gesellschaft üblichen Begriffe dokumentieren ... Daneben könnten andere Quellen zumindest indirekt verarbeitet sein, vielleicht in der Theosophie weitergetragene spiritistische Jenseitsberichte.«

Auf S. 575:

» ...strukturell vergleichbare Aussagen sind sowohl in der christlichen wie in der hinduistischen und mahayana-buddhistischen Literatur über das Purgatorium weit verbreitet, und natürlich auch im Spiritismus.«

Zusammenfassend auf S. 580:

»Einmal mehr bestätigten dieser Befund oder die Quellen zur Aurenlehre die massive und dominante Abhängigkeit von theosophischer Literatur. Steiners Einstieg in die europäische Esoterik ging nicht über alte oder christliche oder deutsche Traditionen (allesamt Optionen, die Steiner später mehr und mehr der theosophischen vorzog), sondern nachweislich über theosophische Literatur.«

Zander läßt sich bei seinen Abhängigkeits- und Quellenpostulaten, wie stets, von Äußerlichkeiten leiten, etwa von der Verwendung der in der theosophischen Literatur gebräuchlichen Terminologie, die Steiner an manchen Stellen der »Theosophie« in Klammern anfügt (dieses und jenes wird in der »gebräuchlichen theosophischen Literatur« so oder so genannt), bzw. Zander stellt nicht näher geprüfte Vermutungen als Tatsachen hin.

Im Gegensatz dazu spricht Steiner selbst von eigener »Erfahrung und Selbsterlebtem«, das allein von ihm dargestellt werde. Zander meint, Steiner habe sich zu diesem Zeitpunkt schon stark genug gefühlt, »seine Eigenständigkeit« in »übersinnlichen Angelegenheiten herauszustreichen« (S. 572)

Diese Eigenständigkeit der geistigen Erfahrung ist aber bereits ein wesentliches Motiv der »Mystik« 1901, des »Christentums« 1902 und der Aufsätze, die Steiner 1903 in der Zeitschrift »Luzifer« veröffentlichte. Nicht erst 1904 streicht er diese heraus, er betonte sie von Anfang an und setzte die Ergebnisse seiner eigenen Forschung auch von Anfang an den »theosophischen Traditionen« entgegen.

Er »leugnete« nicht »seine theosophischen Abhängigkeiten«, weil es solche im Substantiellen nicht gab und Zanders Bemerkung, »welche eigenen Erlebnisse« in die »Theosophie« eingegangen sein könnten, »sei nicht mehr zu klären«, erscheint angesichts der offenkundigen Authentizität, von der Steiners »theosophische« Publikationen seit 1901 geprägt sind, nachgerade lächerlich.

Steiner betreibt keine »bewusste Verschleierung«, er unterschlägt nicht, dass er eine »Leseerfahrung« an »theosophischer Literatur« zum »eigenen Erlebnis« umdeutete (S 572), dies alles sind Unterstellungen, für die Zander nicht im entferntesten eine Begründung zu liefern vermag.

Die Widmung der Erstauflage der »Theosophie« an den »Geist Giordano Brunos« ist auch nicht als »Ehrbezeugung« an Annie Besant zu verstehen, die in theosophischen Kreisen als Reinkarnation Giordano Brunos galt. Sie kann, wenn man sie denn auf Annie Besant beziehen will, auch als Anspielung darauf verstanden werden, dass Steiners »Theosophie« dem »wahren Geist« Giordano Brunos, des Renaissanceplatonikers und Hermetikers gewidmet ist, der die Theosophie des Altertums im Anbruch der Neuzeit wiederaufleben ließ, von der Vereinbarkeit dieser Theosophie mit dem Christentum durchdrungen war und für diese Esoterik mit seinem Leben zeugte.

Durch die Widmung schon stellt Steiner seine »Theosophie« in eine abendländische philosophische Denktradition und befreit den »wahren Geist« Giordano Brunos von einer orientalischen Überlieferung, für die das Ich des Menschen nichts als eine Illusion ist.

Aber auch, wenn man die Autoren, auf die seine »Theosophie« Referenzen enthält, berücksichtigt, ist dieser Bezug auf die abendländische Denktradition unübersehbar. Es gibt keinen einzigen nicht-abendländischen Autor, den Steiner zitiert, und nur eine einzige Stelle, in den Ausführungen über das Geisterland, an der er auf eine indische Anschauung Bezug nimmt (die Anschauung des Vedanta von der Identität des menschlichen Geistes mit Brahman).

Neben Giordano Bruno (1), dem Steiner durch die Widmung Reverenz erweist, treten auf:

Fichte (2), der in der »Einleitung« ein Gleichnis über die Blindgeborenen beisteuert, deren Augen eröffnet werden müssen,

Goethe (3), der einen grundlegenden Text liefert, aus dem der Verfasser im Kapitel über das »Wesen des Menschen« dessen Gliederung nach Leib, Seele und Geist – ja im Grunde das ganze Buch –  entwickelt,

Carl Gustav Carus (4), der im selben Kapitel als Autor zitiert wird, der die Verschiedenheit des menschlichen Leibes vom tierischen und dessen Hinordnung auf den denkenden Geist beschrieben habe,

Jean Paul (5), der ebenda mit seiner Schilderung über das Erwachen des Ichbewusstseins auftritt,

Goethe (6), der im Kapitel über die Reinkarnation auf die unterschiedlichen seelenleiblichen Eigenschaften hinweist, die das Kind von Vater und Mutter annimmt,

Lotze (7) und Goethe (8), die im Kapitel über die Seelenwelt mit Äußerungen über die Abhängigkeit des Erscheinungsbildes der Welt von entsprechenden Wahrnehmungsorganen herangezogen werden,

Kepler (9), auf den im Kapitel über den Zusammenhang der drei Welten verwiesen wird, weil er das Zusammenstimmen der menschlichen Gedankenwelt mit der Natur zum Ausdruck brachte, und schließlich

Plato (10) im Kapitel über den »Pfad der Erkenntnis«, der seinen Schülern eine mathematische Schulung abverlangte, auf den Steiner an einer Stelle hinweist, an der er von der Notwendigkeit einer strengen Gedankenschulung spricht, durch die das Denken des Geistesschülers von Sympathien und Antipathien unabhängig werden soll.

Aber keinem dieser Autoren kommt die Funktion einer Quelle zu: sie alle werden mit ihren Texten nur als illustrative Referenzen angeführt, die eine durch sich selbst gestützte, systematische Gedankenentwicklung veranlassen oder begleiten und an den betreffenden Stellen in Positionen rücken, durch die sie geradezu symbolische Bedeutung erhalten.

Über die Gründe für die Auswahl dieser Referenzen und die systematischen Orte, an denen sie eingesetzt werden, wäre es lohnend, weitere Überlegungen anzustellen, aber das ist nicht Aufgabe dieser Untersuchung. Immerhin: wenn man vom Sonderfall der Widmung absieht, die außerhalb des Buchtextes steht und in der Auflage von 1908 wegfiel, sind es neun Autoren, die als Referenzen im Text stehen bleiben, wobei Goethe dreimal vorkommt ...

Die beiden einzigen theosophischen Autoren, auf die Steiner verweist, erscheinen gegenüber diesen Bezügen auf die abendländische philosophische Tradition marginal: Annie Besant wird im Kapitel über das Geisterland zugestimmt, weil sie dessen fünfte Region richtig als »sternenglänzend« bezeichnet habe und im Kapitel über die menschliche Aura wird auf das Buch von Leadbeater hingewiesen. Hier heißt es in einem Klammerzusatz: »Ich möchte ausdrücklich bemerken, dass ich mich gerne korrigieren lasse von andern Forschern. Die Beobachtungen auf diesem Felde sind natürlich unsicher. Und diese Unsicherheit läßt sich gar nicht vergleichen mit der, die schon auf dem physischen Felde möglich ist, obwohl doch auch diese – Forscher wissen es – eine sehr große ist. Ich mache zur Vergleichung mit meinen Angaben auf die Schrit C.W. Leadbeaters: ›Man visible and invisible‹ aufmerksam, die 1902 in London, Theosophical publishing Society, erschienen ist.)« (S. 138, 1. Auflage 1904).

Zander widerspricht sich selbst. Einerseits behauptet er, Steiner habe seine »Theosophie« wie kein anderes Werk permanent überarbeitet. Aber diese Überarbeitungen hätten zu »keinen grundstürzenden inhaltlichen Veränderungen« geführt. Kurz darauf jedoch meint er, die ständige Überarbeitung des Buches zeige, dass Steiner auch den »Inhalt seiner Weltanschauung« geändert habe, dass die Veränderungen nicht »bloße Erweiterungen und Ergänzungen« seien, sondern einen kontinuierlichen Wandel der Vorstellungen Steiners dokumentierten.

Auf S. 571 schreibt Zander:

»Die Beschreibung der Inhalte dieses Buchs [Theosophie] steht vor dem Problem, dass Steiner es so oft wie kein anderes Werk überarbeitet hat. Die Veränderungen sind in seinen Vorworten offen angesprochen (z. B. GA 9,7-9.11), und im Gegensatz zu den Überarbeitungen vortheosophischer Publikationen stimmt es, dass sich dabei keine grundstürzenden inhaltlichen Veränderungen ergeben haben.«

Auf S. 579 dagegen:

»Die Analyse der ›Theosophie‹ erweist Steiner als einen beständig seine Texte überarbeitenden Autor. Der Konsequenz, dass er auch beständig deren Inhalte, seine ›Weltanschauung›, änderte, ist nicht auszuweichen. Man könnte diese Veränderungen mit leichterer Hand positiv bewerten, hätte sich Steiner nicht so massiv gegen das Zugeständnis tiefgreifender Veränderungen gewehrt. Dass es sich bei den Eingriffen in den Text um bloße ›Erweiterungen und Ergänzungen‹ handle, wie er 1918 im Vorwort schrieb (GA 9,8), stimmt immer weniger, je weiter die Neuausgaben vom Erstdruck wegrücken. Die ›Theosophie‹ ist ein eminentes Dokument für den kontinuierlichen Wandel von Steiners Vorstellungen.«

Was nun? Sind die Veränderungen Zeugnisse eines gravierenden, »grundstürzenden«, »tiefgreifenden« Wandels der Weltanschauung oder nicht? Wie können Textbearbeitungen, die »keine grundstürzenden inhaltlichen« Veränderungen darstellen, gleichzeitig Zeugnisse eines tiefgreifenden Wandels der Weltanschauung sein?