Angeblich ist laut Zander das Geistesleben im dreigliedrigen sozialen Organismus den anderen Gliedern übergeordnet und die Dreigliederung in Wahrheit eine Hierarchisierung zugunsten des autoritär waltenden Geisteslebens. Zanders Umdeutung des freien Geisteslebens ist ein Beispiel für gravierende Sinnverfälschung durch Dekontextualisierung. 

Auf S. 1309 schreibt Zander:

»Aber zum anderen war das Geistesleben den anderen Bereichen übergeordnet: »Im geistigen Gebiet waltet eine über das materielle Außenleben hinausgehende Wirklichkeit, die ihren Inhalt in sich selber trägt.« (ebd. [=GA 23] 82) Dahinter stand eine Hierarchisierung, die der gleichberechtigten Koexistenz der drei Funktionsbereiche der Dreigliederung zuwiderläuft und die Frage nach deren Zuordungsverhältnis [sic!] scharf aufwarf ...«

Aus dem angeführten Zitat, das mit einer unterstellten Überordnung nichts zu tun hat, will Zander einen Beweis für eben diese Überordnung des geistigen Lebens über die anderen gesellschaftlichen Bereiche und eine damit verbundene Aushebelung der Demokratie ableiten. Wenn man die Begründung des Theologen und Historikers Zander zu Ende denkt, wäre jeder ein Gegner der demokratischen Grundordnung, der der Auffassung ist, in der kirchlichen Messe gehe es um eine über das Materielle hinausgehende Wirklichkeit oder ein Beethovensches Streichquartett habe einen über diese hinausgehenden künstlerischen Wert, weil er damit den demokratischen Rechtsstaat dem Geistesleben unterordnen würde.

Liest man das von Zander herangezogene Zitat im Kontext, handelt es von etwas ganz anderem. Es handelt von der Notwendigkeit eines von staatlicher Gängelung und wirtschaftlicher Bevormundung freien Geisteslebens. Dieses Geistesleben ruht allein auf freier Produktivität der Einzelnen und freier Empfänglichkeit für die von ihnen erbrachten Leistungen und wird vom Prinzip des Wettbewerbs beherrscht. Es ist das Gebiet der sozialen Freiheit schlechthin. Wie Zanders Unterstellung, dem Geistesleben komme bei Steiner eine autoritäre Stellung zu, mit dem Prinzip der freien Empfänglichkeit oder dem freien Seelenbedürfnis vereinbar ist, das bei der Aufnahme der Produktionen dieses Geisteslebens walten soll, ist völlig schleierhaft.

»In alles, was durch das Wirtschaftsleben und das Rechtsbewusstsein in der Organisation des sozialen Lebens hervorgebracht wird, wirkt hinein, was aus einer dritten Quelle stammt: aus den individuellen Fähigkeiten des einzelnen Menschen. Dieses Gebiet umfasst alles von den höchsten geistigen Leistungen bis zu dem, was in Menschenwerke einfließt durch die bessere oder weniger gute körperliche Eignung des Menschen für Leistungen, die dem sozialen Organismus dienen. Was aus dieser Quelle stammt, muss in den gesunden sozialen Organismus auf ganz andere Art einfließen, als dasjenige, was im Warenaustausch lebt, und was aus dem Staatsleben fließen kann.

Es gibt keine andere Möglichkeit, diese Aufnahme in gesunder Art zu bewirken, als sie von der freien Empfänglichkeit der Menschen und von den Impulsen, die aus den individuellen Fähigkeiten selbst kommen, abhängig sein zu lassen. Werden die durch solche Fähigkeiten erstehenden Menschenleistungen vom Wirtschaftsleben oder von der Staatsorganisation künstlich beeinflusst, so wird ihnen die wahre Grundlage ihres eigenen Lebens zum größten Teile entzogen.

Diese Grundlage kann nur in der Kraft bestehen, welche die Menschenleistungen aus sich selbst entwickeln müssen. Wird die Entgegennahme solcher Leistungen vom Wirtschaftsleben unmittelbar bedingt, oder vom Staate organisiert, so wird die freie Empfänglichkeit für sie gelähmt. Sie ist aber allein geeignet, sie in gesunder Form in den sozialen Organismus einfließen zu lassen. Für das Geistesleben, mit dem auch die Entwickelung der anderen individuellen Fähigkeiten im Menschenleben durch unübersehbar viele Fäden zusammenhängt, ergibt sich nur eine gesunde Entwickelungsmöglichkeit, wenn es in der Hervorbringung auf seine eigenen Impulse gestellt ist, und wenn es in verständnisvollem Zusammenhange mit den Menschen steht, die seine Leistungen empfangen ...

Man spricht ja wohl von ›Freiheit der Wissenschaft und des Lehrens‹. Aber man betrachtet es als selbstverständlich, dass der politische Staat die ›freie Wissenschaft‹ und das ›freie Lehren‹ verwaltet. Man entwickelt keine Empfindung dafür, wie dieser Staat dadurch das Geistesleben von seinen staatlichen Bedürfnissen abhängig macht. Man denkt, der Staat schafft die Stellen, an denen gelehrt wird; dann können diejenigen, welche diese Stellen einnehmen, das Geistesleben ›frei‹ entfalten.

Man beachtet, indem man sich an eine solche Meinung gewöhnt, nicht, wie eng verbunden der Inhalt des geistigen Lebens ist mit dem innersten Wesen des Menschen, in dem er sich entfaltet. Wie diese Entfaltung nur dann eine freie sein kann, wenn sie durch keine andern Impulse in den sozialen Organismus hineingestellt ist als allein durch solche, die aus dem Geistesleben selbst kommen. Durch die Verschmelzung mit dem Staatsleben hat eben nicht nur die Verwaltung der Wissenschaft und des Teiles des Geisteslebens, der mit ihr zusammenhängt, in den letzten Jahrhunderten das Gepräge erhalten, sondern auch der Inhalt selbst. Gewiss, was in Mathematik oder Physik produziert wird, kann nicht unmittelbar vom Staate beeinflusst werden. Aber man denke an die Geschichte, an die andern Kulturwissenschaften. Sind sie nicht ein Spiegelbild dessen geworden, was sich aus dem Zusammenhang ihrer Träger mit dem Staatsleben ergeben hat, aus den Bedürfnissen dieses Lebens heraus? Gerade durch diesen ihnen aufgeprägten Charakter haben die gegenwärtigen wissenschaftlich orientierten, das Geistesleben beherrschenden Vorstellungen auf das Proletariat als Ideologie gewirkt. Dieses bemerkte, wie ein gewisser Charakter den Menschengedanken aufgeprägt wird durch die Bedürfnisse des Staatslebens, in welchem den Interessen der leitenden Klassen entsprochen wird. Ein Spiegelbild der materiellen Interessen und Interessenkämpfe sah der proletarisch Denkende. Das erzeugte in ihm die Empfindung, alles Geistesleben sei Ideologie, sei Spiegelung der ökonomischen Organisation.

Eine solche, das geistige Leben des Menschen verödende Anschauung hört auf, wenn die Empfindung entstehen kann: Im geistigen Gebiet waltet eine über das materielle Außenleben hinausgehende Wirklichkeit, die ihren Inhalt in sich selber trägt. Es ist unmöglich, dass eine solche Empfindung ersteht, wenn das Geistesleben nicht aus seinen eigenen Impulsen heraus sich innerhalb des sozialen Organismus frei entfaltet und verwaltet. Nur solche Träger des Geisteslebens, die innerhalb einer derartigen Entfaltung und Verwaltung stehen, haben die Kraft, diesem Leben das ihm gebührende Gewicht im sozialen Organismus zu verschaffen. Kunst, Wissenschaft, Weltanschauung und alles, was damit zusammenhängt, bedarf einer solchen selbständigen Stellung in der menschlichen Gesellschaft.

Denn im geistigen Leben hängt alles zusammen. Die Freiheit des einen kann nicht ohne die Freiheit des andern gedeihen Wenn auch Mathematik und Physik in ihrem Inhalt nicht von den Bedürfnissen des Staates unmittelbar zu beeinflussen sind: Was man von ihnen entwickelt, wie die Menschen über ihren Wert denken, welche Wirkung ihre Pflege auf das ganze übrige Geistesleben haben kann, und vieles andere wird durch diese Bedürfnisse bedingt, wenn der Staat Zweige des Geisteslebens verwaltet. Es ist ein anderes, wenn der die niederste Schulstufe versorgende Lehrer den Impulsen des Staatslebens folgt; ein anderes, wenn er diese Impulse erhält aus einem Geistesleben heraus, das auf sich selbst gestellt ist.

Die Sozialdemokratie hat auch auf diesem Gebiete nur die Erbschaft aus den Denkgewohnheiten und Gepflogenheiten der leitenden Kreise übernommen. Sie betrachtet es als ihr Ideal, das geistige Leben in den auf das Wirtschaftsleben gebauten Gesellschaftskörper einzubeziehen. Sie könnte, wenn sie dieses von ihr gesetzte Ziel erreichte, damit den Weg nur fortsetzen, auf dem das Geistesleben seine Entwertung gefunden hat. Sie hat eine richtige Empfindung einseitig entwickelt mit ihrer Forderung: Religion müsse Privatsache sein. Denn im gesunden sozialen Organismus muss alles Geistesleben dem Staate und der Wirtschaft gegenüber in dem hier angedeuteten Sinn ›Privatsache‹ sein. Aber die Sozialdemokratie geht bei der Überweisung der Religion auf das Privatgebiet nicht von der Meinung aus, dass einem geistigen Gute dadurch eine Stellung innerhalb des sozialen Organismus geschaffen werde, durch die es zu einer wünschenswerteren, höheren Entwickelung kommen werde als unter dem Einfluss des Staates. Sie ist der Meinung, dass der soziale Organismus durch seine Mittel nur pflegen dürfe, was ihm Lebensbedürfnis ist. Und ein solches sei das religiöse Geistesgut nicht. In dieser Art, einseitig aus dem öffentlichen Leben herausgestellt, kann ein Zweig des Geisteslebens nicht gedeihen, wenn das andere Geistesgut gefesselt ist. Das religiöse Leben der neueren Menschheit wird in Verbindung mit allem befreiten Geistesleben seine für diese Menschheit seelentragende Kraft entwickeln.

Nicht nur die Hervorbringung, sondern auch die Aufnahme dieses Geisteslebens durch die Menschheit muss auf dem freien Seelenbedürfnis beruhen.

Lehrer, Künstler und so weiter, die in ihrer sozialen Stellung nur im unmittelbaren Zusammenhange sind mit einer Gesetzgebung und Verwaltung, die aus dem Geistesleben selbst sich ergeben und die nur von dessen Impulsen getragen sind, werden durch die Art ihres Wirkens die Empfänglichkeit für ihre Leistungen entwickeln können bei Menschen, welche durch den aus sich wirkenden politischen Staat davor behütet werden, nur dem Zwang zur Arbeit zu unterliegen, sondern denen das Recht auch die Muße gibt, welche das Verständnis für geistige Güter weckt. Den Menschen, die sich ›Lebenspraktiker‹ dünken, mag bei solchen Gedanken der Glaube aufsteigen: Die Menschen werden ihre Mußezeit vertrinken, und man werde in den Analphabetismus zurückfallen, wenn der Staat für solche Muße sorgt, und wenn der Besuch der Schule in das freie Verständnis der Menschen gestellt ist. Möchten solche ›Pessimisten‹ doch abwarten, was wird, wenn die Welt nicht mehr unter ihrem Einfluss steht. Dieser ist nur allzu oft von einem gewissen Gefühle bestimmt, das ihnen leise zuflüstert, wie sie ihre Muße verwenden, und was sie nötig hatten, um sich ein wenig ›Bildung‹ anzueignen. Mit der zündenden Kraft, die ein wirklich auf sich selbst gestelltes Geistesleben im sozialen Organismus hat, können sie ja nicht rechnen, denn das gefesselte, das sie kennen, hat auf sie nie eine solch zündende Kraft ausüben können.«

GA 23 (Dornach 1976), S. 80-85

Laut Zander beschränkte Steiner demokratische Verfahren auf das Rechtsgebiet und ließ sie nur in einem beschränkten Rahmen zu. Des »Pudels Kern« habe Steiner schließlich selbst in einem öffentlichen Vortrag 1919 enthüllt: »Höhere Einsicht« für eine »elitäre« Gruppe solle »die sozialpolitische Debatte steuern«.

Auf S. 1314-1316 schreibt Zander:

»Steiner hat die Geltung demokratischer Verfahrensregeln nur in einem bestimmten Rahmen zugelassen ... Deshalb läuft die Logik der Eigengesetzlichkeit des Geisteslebens mit Steiners Differenzierungsmodell in eine selbstgestellte Falle, weil er demokratische Verfahren auf das Rechtsgebiet beschränkte und nicht einkalkulierte, dass es auch in den [sic!] Wirtschafts- und Geistesleben umstrittene und mit jeweils guten Argumenten untermauerte Positionen geben könnte .... die unter Zugrundelegung demokratischer Verfahrensweisen entschieden werden müssen ...

Dass dies ein Autoritätsargument ist, bestätigte Steiner öffentlich am 19. Dezember 1919: ›Das Vorrücken zu jenen Fragen, die von den Wesenheiten der übersinnlichen Welten in tieferem Sinne handeln, das ist allerdings gebunden an mancherlei Erlebnisse, zu denen heute noch nicht jeder geeignet ist.‹ Es gehe um ›Erkenntnisse …, was das Geistige ist, was der Welt zugrunde liegt. Nicht alle Menschen können diesen Weg so weit durchmachen.‹ (GA 333,112) ...

Dies ist des Pudels Kern. Mit diesen Äußerungen legte Steiner nach dem faktischen Scheitern seiner Dreigliederungsbemühungen auch in einem öffentlichen Vortrag ... seine Karten relativ offen auf den Tisch: Höhere Einsicht (›Erkenntnisse …, was das Geistige ist‹) für eine elitäre Gruppe (›nicht jeder geeignet‹) sollte die sozialpolitische Debatte steuern. Steiner übertrug damit die theosophische Hierarchisierung des Wissens und der Wissensträger auf die Politik ....«

Für einen Autor, dessen Forschungsarbeit jahrelang von der DFG finanziert wurde und dessen Publikation nur mit Hilfe von Zuschüssen der Thyssen-Stiftung gedruckt werden konnte, ist die damit umrissene Perspektive äußerst gewagt.

Auf S. 1717 schreibt Zander über seine Abhängigkeit von undemokratischen Verfahren: »Mit Hilfe von Herrn vom Bruch war hingegen die Einwerbung eines Habilitationsstipendiums der Deutschen Forschungsgemeinschaft möglich (nachdem hier ein erster Antrag gescheitert war). Den Mitgliedern der Philosophischen Fakultät I der Humboldt-Universität in Berlin danke ich im Angesicht solcher Fallstricke für das faire Habilitationsverfahren. Derartige Berührungsängste besaß der geheime Nestor der religionswissenschaftlichen Esoterikforschung in Deutschland, Karl Hoheisel, Religionswissenschaftler an der Universität Bonn, nie. Ihm verdanke ich nicht nur einen Teil meiner Interessen an diesen Fragen, sondern auch die Unterstützung für ein Forschungsprojekt bei der Fritz Thyssen-Stiftung, die bereit war, die Erforschung der Anwendungsfelder der Anthroposophie zu finanzieren und schlussendlich auch die Druckkosten großzügig bezuschusst hat.«

Ob Zanders Arbeit je zustande gekommen wäre, wenn das Geistesleben in jenem Sinn demokratisch organisiert wäre, wie er ihm offenbar vorschwebt? Was würde Zander sagen, wenn über den Wahrheitsgehalt seiner Deutung Steiners und der Anthroposophie demokratische Abstimmungen anberaumt würden?

Wie dem auch sei. Dass Freiheit von Steiner als das axiale Prinzip des Geisteslebens betrachtet wird, bedeutet nicht, dass es dort keine Rechtsfragen gibt. Steiner selbst hat in solchen Fragen den demokratischen Entscheid nicht nur für möglich gehalten, sondern ihn auch selbst praktiziert. Beispiele sind Abstimmungsprozeduren bei der »Zettelwahl« für die Findungskommission des Verwaltungsrats der ersten Waldorfschule und die drei Lesungen der Statuten der Weihnachtstagung der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft. (GA 300b, S. 239)

Einmal mehr spricht Zander von einem Zugeständnis Steiners (»bestätigte Steiner öffentlich«), eine Formulierung, die wie stets, mit Vorsicht zu genießen ist. In dem von Zander als Beleg herangezogenen Text ist, wie eine Nachprüfung zeigt, auch nirgends von einer »sozialpolitischen Debatte« die Rede, die von höherer Einsicht gesteuert werden solle. Vielmehr zieht Steiner in seinen Ausführungen einen Vergleich zwischen den Urteilsvoraussetzungen, die im gewöhnlichen akademischen Leben gelten und jenen, die für die Geisteswissenschaft gelten. Des »Pudels Kern« ist gerade der, dass Steiner die Ergebnisse der Geistesforschung für ebenso verstehbar und überprüfbar hält wie jene des naturwissenschaftlichen Laboratoriums und betont, es gebe, auch ohne dass man Geistesforscher im engeren Sinne sei, Möglichkeiten, die Ergebnisse dieser Forschung durch den gesunden Menschenverstand zu überprüfen:

»Wenn man immer wieder einwendet: Ja, von dem, was die äußere Wissenschaft sagt, kann sich jeder überzeugen, so ist das richtig. Es braucht einer nur die Laboratoriumsmethoden zu behandeln, so kann er es. Ebenso kann man aber auch sagen: Jeder kann sich überzeugen, dass das richtig ist, was beschrieben ist in meinem Buche ›Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?‹ und ›Theosophie‹; man kann aus der Art, wie der Geistesforscher ist, auf den inneren Wert seiner Erkenntnisse schließen. Dann sind diese Erkenntnisse für das Leben so viel wert wie in der Seele des Geistesforschers selber. Aus den äußeren Tatsachen kontrolliert man den Forscher in der äußeren Wissenschaft; aus der Art und Weise, wie gesprochen wird, wie eingekleidet werden die Erkenntnisse, kontrolliert man das, was der Geistesforscher zu sagen hat. Kontrolliert werden kann er durch den gesunden Menschenverstand.«

Steiners Ausführungen im Kontext:

»Es gibt heute gutmeinende Menschen, die sagen: Der bloße Verstand, der bloße Intellekt, der sich in den letzten Jahr- hunderten und bis in unsere Zeit herein entfaltet hat, sie taugen nicht mehr zur Gesundung unseres Lebens. Wenn man sie aber fragt, was denn taugt, dann geben sie allgemeine Antworten – eine Wiederbefruchtung der Seele durch den ›Geist‹. Redet man von wahrer Geisteswissenschaft, so lehnen sie sie ab, weil sie noch Furcht vor ihr haben, oder gebrauchen die sonderbarsten Ausreden. So findet man immer wieder, dass die Leute sagen: Es kann doch nicht ein jeder ein Geistesforscher werden. Gewiss, das kann nicht jeder, das habe ich auch hier immer wieder und wiederum betont. Denn man kann zwar jene ersten Schritte in die geistigen Welten, ins übersinnliche Dasein hinein tun, wie ich sie beschrieben habe in meinem Buche ›Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?‹ und im zweiten Teil meiner ›Geheimwissenschaft‹; es kann sie jeder jederzeit tun, aber das Vorrücken zu jenen Fragen, die von den Wesenheiten der übersinnlichen Welten in tieferem Sinne handeln, das ist allerdings gebunden an mancherlei Erlebnisse, zu denen heute noch nicht jeder geeignet ist. Derjenige, der hineinschauen will in die geistige Welt, der in dem eigentlichsten Sinn geistiger Forscher werden will, muss manche Überwindungen durchmachen. Sie brauchen nur zu bedenken, dass in dem Augenblick, wo man wirklich mit einer Erkenntnis, die sich nicht der Sinne bedient, in dem Augenblick, da man in ein leibfreies Erkennen eintritt und die gewohnte äußere Welt nicht mehr da ist, – dass man da in einer Welt ist, die allerlei Ungewohntes darbietet: Alle Dinge, die einen gewöhnlich stützen, die sichere äußere Erfahrung, der gewöhnliche Intellekt, sie müssen anderen, inneren Richtkräften weichen. Man ist wie über einem Abgrund und muss sich durch den Schwerpunkt seines eigenen Wesens halten. Davor haben viele Leute eine unbewusste oder unterbewusste Furcht, die sie dann in Logik kleiden gegenüber der Geisteswissenschaft. Die schönsten Gründe können Sie hören; in Wahrheit ist es nur die Furcht vor dem Unbekannten.

Dann aber müssen Sie auch bedenken, dass man ja, so wie man ist als Mensch, nicht angepasst ist an die geistige Welt, dass man nur angepasst ist an die äußere Sinneswelt. Man kommt in eine vollständig andere Welt hinein, für die man keine Lebensgewohnheiten entwickelt hat. Das verursacht, wenn man tiefer dringt, jene furchtbar schmerzvollen Erfahrungen, die überwunden werden müssen in wirklicher Geist-Erkenntnis. Dann, wenn sie überwunden sind, folgen die Erkenntnisse aus dem Innersten unseres Wesens, die Aufschluss geben über das, was das Ewige in der Menschennatur ist, was das Geistige ist, das der Welt zugrunde liegt. Nicht alle Menschen können diesen Weg so weit durchmachen. Aber ich musste auch immer wieder behaupten, dass es nicht nötig ist, diesen Weg durchzumachen, sondern dass nur nötig ist der gesunde Menschenverstand. Denn dieser gesunde Menschenverstand, wenn er nur nicht beirrt ist durch die Vorurteile der äußeren Anschauungen, kann unterscheiden, ob der, der als Geistesforscher auftritt und von zunächst unbekannten Welten spricht, logisch spricht oder wie ein Spiritist oder sonstwie. Logik hat man, und man kann beurteilen, ob der Betreffende logisch spricht und so spricht, dass die Art seines Sprechens darauf hinweist, dass die Erfahrungen, von welchen er erzählt, in geistiger Gesundheit durchgemacht werden.

Wenn man immer wieder einwendet: Ja, von dem, was die äußere Wissenschaft sagt, kann sich jeder überzeugen, so ist das richtig. Es braucht einer nur die Laboratoriumsmethoden zu behandeln, so kann er es. Ebenso kann man aber auch sagen: Jeder kann sich überzeugen, dass das richtig ist, was beschrieben ist in meinem Buche ›Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?‹ und ›Theosophie‹; man kann aus der Art, wie der Geistesforscher ist, auf den inneren Wert seiner Erkenntnisse schließen. Dann sind diese Erkenntnisse für das Leben so viel wert wie in der Seele des Geistesforschers selber. Aus den äußeren Tatsachen kontrolliert man den Forscher in der äußeren Wissenschaft; aus der Art und Weise, wie gesprochen wird, wie eingekleidet werden die Erkenntnisse, kontrolliert man das, was der Geistesforscher zu sagen hat. Kontrolliert werden kann er durch den gesunden Menschenverstand.

Bedenken Sie, welche sozialen Kräfte es einmal entbinden wird, wenn immer mehr und mehr Menschen da sein werden, die als Zeugen auftreten für die geistigen Kräfte, die nur im Übersinnlichen gefunden werden können, und die andere Menschen, die nicht selber Geistesforscher sein können – es kann ja auch nicht jeder Chemiker, nicht jeder Physiker sein –, annehmen aus ihrem gesunden Menschenverstand heraus, aus dem Vertrauen, das sich auf den gesunden Menschenverstand gründet. Welche Art des sozialen Zusammenlebens aus dieser Bewertung des Menschen entsteht, ist gerade einer der wichtigsten Punkte, um soziale Vertrauenskräfte zu erwecken. Untergraben werden sie in unserer Zeit, wo jeder, ohne dass er erst seine Entwicklung in die Hand nimmt, kaum dass er erwachsen ist, über alles mögliche urteilen will.« (GA 333, S. 111-113)

Vollends halluzinant werden Zanders Ausführungen an einer Stelle, an der er sich mit dem Thema individueller Wille und »volonté générale« auseinandersetzt. Hier greift er auf Darstellungen Steiners zurück, die sich auf einen völlig anderen – nämlich einen ökonomischen und nicht politischen – Kontext beziehen und deutet diese in einer Weise um, die durch nichts mehr zu entschuldigen ist. Er meint sogar, Steiner habe in seinen Darlegungen für eine konstitutionelle Monarchie plädiert.

Auf S. 1318-1319 schreibt Zander:

»Zum anderen gestand er dem Individuum eine freie Willensbildung nur in engen Grenzen zu, es habe sich den Konsequenzen der genannten ›objektiven Betrachtung der geschichtlichen Entwickelung‹ (GA 332a,153) zu unterwerfen.

In politiktheoretischer Perspektive geht es um die Bestimmung des Verhältnisses von Individuum und sozialen Zielbestimmungen, klassisch gesagt, um das Verhältnis des einzelnen zur volonté générale. Steiner reflektierte dies im Rahmen von Überlegungen zur ›Gemeingesellschaft‹, in der ›das Aufeinanderprallen von Einzelwille auf Einzelwille‹, wie es in der ›Tauschgesellschaft‹ vorliege, überwunden sein soll, am 29. Oktober 1919: ›Geradeso wie in der Gewaltgesellschaft, in der Machtgesellschaft der Einzelwille in der Gesamtheit gewirkt hat, so wird in der Gemeingesellschaft der Zukunft ein gemeinsamer Wille, ein Gesamtwille in dem einzelnen wirken müssen.« (GA 332a,170)

Der einzelne wurde mit anderen Worten in seinem Handeln von transsubjektiven Zielen her bestimmt. Steiner sah nun deutlich, dass aufgrund des Zusammenwirkens der ›Einzelwillen‹ in seinem Konzept eine ›demokratische Tyrannis‹ drohte (ebd.), aber er fand letztlich keinen Ausweg, weil er Zustandekommen und Kontrolle dieses Gemeinwillens nicht nochmals als politisches Problem reflektierte, sondern als Schutz vor Mißbrauch an eine geisteswissenschaftliche, ›höhere‹ Einsicht band: ›Dann darf niemand, der an der Gestaltung dieses Gesamtwillens teilnimmt, unverständig sein gegenüber dem, was das wahrhaft Menschliche ist. … Dann muss man mit Geisteswissenschaft an die Lebensanschauung heranrücken, mit jener Geisteswissenschaft, die, weil sie den ganzen Menschen umfaßt nach Leib, Seele und Geist, auch empfindungsgemäß und willensgemäß ein Verständnis hervorruft für diesen einzelnen Menschen.« (ebd.)

›Geisteswissenschaft‹ als Garantin des ›wahrhaft Menschlichen‹ und als solche des ›Gesamtwillens‹ setzte esoterische Einsicht der ›Eingeweihten‹ an die Stelle der demokratischen Gestaltung des Gemeinwesens. Dies war von der Struktur her bestenfalls eine Art konstitutioneller Monarchie, für das Individuum bedeutete sie jedenfalls eine Unterwerfung unter übersinnlich legitimierte Regularien und Inhalte, die nicht zum Bereich der gestaltbaren Welt gehören sollten ...«

Zunächst das Thema Machtgesellschaft – Tauschgesellschaft – Gemeingesellschaft sowie das Motiv der Tyrannis.

In seinen Vorträgen über »Soziale Zukunft«, die Steiner im Oktober 1919 in Zürich hielt (GA 332a), spielte das Motiv der »Tyrannis« eine große Rolle. Er diagnostizierte eine solche in Sowjetrussland in Gestalt einer durch die Verstaatlichung von Wirtschaftszweigen bedingten »Tyrannis des Konsums« über die Produktion, er sprach von einer »Tyrannisierung des Konsums« durch Kollektivierung, von einer »Tyrannisierung der Herrschaftsverhältnisse im Leninismus« – der er entgegenhielt: »Wenn irgend etwas sozialisiert werden soll, so handelt es sich doch darum, dass vor allen Dingen die Herrschaftsverhältnisse sozialisiert werden.« Des weiteren sprach er von einer »Tyrannis Einzelner«, die sich aus der Forderung nach der Diktatur des Proletariats ergebe. Außerdem sprach er von einer »Tyrannis des Geldes«, das an die Stelle alter Eroberermächte trete.

Die Trias Machtgesellschaft – Tauschgesellschaft – Gemeingesellschaft bezieht sich auf die historische Entwicklung Europas und umfasst die Zeit des Mittelalters (Machtgesellschaft aufgrund territorialer Eroberung, Feudalismus, Lehenswesen), der Neuzeit (Tauschgesellschaft durch Heraufkunft des Kapitalismus) und die Zukunft, in der eine auf wirtschaftlichen Assoziationen beruhende »Gemeingesellschaft« die beiden früheren Entwicklungsstufen ablöse.

In der mittelalterlichen Machtgesellschaft bestimmte der Wille der Anführer den Willen der Gefolgschaft. Die kapitalistische Tauschgesellschaft zerbrach diese feudalistischen Gefolgschaftsbeziehungen und setzte durch die Arbeitsteilung den Willen des Einzelnen frei, sodass nun Einzelwille dem Einzelwillen gegenüberstehe und sich der Gesamtwille zufällig (oder durch die berühmte »unsichtbare Hand«) ergebe. Während in der Machtgesellschaft der Einzelwille oder der Wille einer Aristokratie, also auch eine Art Einzelwille, in der Gesamtheit wirkte, und die Tauschgesellschaft durch das Aufeinanderprallen von Einzelwille auf Einzelwille charakterisiert war, strebe die Gesellschaft gegenwärtig zu einer neuen wirtschaftlichen Ordnung, in der eine neue Art von »Gesamtwille« auf den Einzelwillen zurückwirke.

Dieser Gesamtwille wird sich laut Steiner aus dem freien Zusammenschluss der Einzelwillen in Assoziationen ergeben. »Die Assoziationen werden Verträge miteinander schließen. Es wird sich innerhalb von Gruppen, die größer oder kleiner sind, eine Art von Gesamtwille bilden.«

Es ist also nicht irgendeine Art von mystischem Eingreifen einer geistigen Welt oder ein autoritäres Eingreifen von Eingeweihten, von dem Steiner redet, sondern er spricht von einem gemeinsamen Wollen, das aus dem Zusammenwirken der wirtschaftlich Beteiligten in Assoziationen von unten – basisdemokratisch – entsteht. Der Gesamtwille entsteht »aus dem Zusammenwirken der Einzelwillen« und in diesem Gesamtwillen muss sich der Einzelne frei fühlen können und er entsteht so, dass er zugleich eine »demokratische Tyrannis« verhindert, wie sie im Sowjetkommunismus beobachtbar ist. Wie ist das möglich? Es ist dadurch möglich, dass alle Einzelnen an der Entstehung dieses Gesamtwillens mit ganzer Seele und ganzem Herzen beteiligt sind: durch Partizipation und gegenseitiges Verständnis.

Steiners Idee des neuen Gesamtwillens ist also ebensoweit von einer »konstitutionellen Monarchie« entfernt wie von einer »Hegemonie der Eingeweihten«.

Schließlich kehrt die Trias der drei Gesellschaftsformen noch einmal in Ausführungen Steiners zur Frage wieder: Wie ist eine Weltwirtschaft möglich, die nicht auf Egoismus beruht?

Was Steiner dort über den Nationalismus als Staatsegoismus ausführt, schlägt allem ins Gesicht, was Zander über hunderte von Seiten hinweg in seinem Machwerk über Steiners deutschen Nationalismus und Kulturimperialismus zusammenfantasiert und nimmt Ideen des fairen Handels und der gerechten globalen Wirtschaftsordnung vorweg, die erst in unserer Gegenwart wirklich auf die Agenda der Weltgemeinschaft gesetzt wurden. Diese Weltwirtschaft setzt nämlich eine globale »Gemeingesellschaft voraus«, in welcher von wirtschaftlichen Assoziationen freie Verträge über Produktion und Konsumtion geschlossen werden. Sie muss das globale Wirtschaftsleben in das Interesse jedes einzelnen Wirtschaftenden ziehen. Eine gerechte Wirtschaftsordnung lässt sich nur auf globaler Ebene realisieren.

Die Texte im Kontext.

Motiv der Tyrannis:

»Nun kann man sagen: Einzelerkenntnisse haben sich auch schon sozialistisch Denkende heute errungen, und es ist interessant, wie diese Einzelerkenntnisse durchaus schon in sozialistischen Kreisen wirksam sind. Man sagt heute schon: Ja, gemeinschaftlich verwaltet werden sollen die Produktionsmittel oder das Kapital, welches ja der Repräsentant der Produktionsmittel ist. Aber man hat gesehen, wozu geführt hat zum Beispiel die Verstaatlichung gewisser Produktionsmittel, die Verstaatlichung der Post und der Eisenbahnen und so weiter, und man kann durchaus nicht sagen, dass die Schäden dadurch beseitigt seien, dass der Staat nun zum Kapitalisten geworden ist. Also man kann nicht verstaatlichen. Man kann auch nicht kommunalisieren. Man kann auch nicht etwas Fruchtbringendes dadurch erreichen, dass  man Konsumgenossenschaften gründet, in denen sich die Leute zusammentun, die für irgendwelche Artikel Konsum nötig haben. Diejenigen Leute, die diesen Konsum regeln und auch danach regeln wollen die Produktion der zu konsumierenden Güter, die werden, auch nach der Ansicht von sozialistisch Denkenden, als Konsumierende zu Tyrannen der Produktion. Und so ist die Erkenntnis schon durchgedrungen, dass sowohl die Verstaatlichung wie die Kommunalisierung, wie auch die Verwaltung durch Konsumgenossenschaften zur Tyrannis wird der Konsumierenden. Die Produzierenden würden ganz in tyrannische Abhängigkeit kommen von den Konsumierenden. So denken dann manche, dass gegründet werden können, als eine Art von gemeinschaftlicher Verwaltung, Arbeiter-Produktivassoziationen, Arbeiter-Produktivgenossenschaften; da würden sich die Arbeiter selbst zusammenschließen, würden nach ihren Meinungen, nach ihren Grundsätzen für sich selber produzieren.« (GA 332a, S. 42-43)

»Heute wird der Preis bestimmt durch den Markt, danach, ob Leute da sind, die diese Güter kaufen können, die das nötige Geld haben. Eine wirkliche soziale Ordnung muss dahin orientiert sein, dass die Menschen, die aus ihren berechtigten Bedürfnissen heraus Güter haben müssen, sie auch bekommen können, das heißt, dass der Preis dem Werte der Güter wirklich angeähnelt wird, dass er ihm entspricht. An die Stelle des heutigen chaotischen Marktes muss eine Einrichtung treten, durch welche nicht etwa die Bedürfnisse der Menschen, der Konsum der Menschen tyrannisiert wird, wie durch Arbeiter-Produktivgenossenschaften oder durch die sozialistische Großgenossenschaft, sondern durch welche der Konsum der Menschen erforscht und danach bestimmt wird, wie diesem Konsum entsprochen werden soll.« (GA 332a, S. 57)

»Mir trat das, wie einem an Symptomen manchmal die wichtigsten Dinge entgegentreten, vor einigen Monaten besonders schön in Basel entgegen, wo ich vor einer Versammlung auch über den Gegenstand, über den ich jetzt zu Ihnen spreche, gesprochen habe. Da stand ein Herr auf, der sagte: Ja, das ist ja alles ganz schön und wäre auch sogar schön, wenn es verwirklicht würde; aber das kann nicht früher verwirklicht werden, als bis Lenin Weltherrscher wird. – Ich musste dazumal antworten: Wenn irgend etwas sozialisiert werden soll, so handelt es sich doch darum, dass vor allen Dingen die Herrschaftsverhältnisse sozialisiert werden. Aber dieser Sozialist, der ein Anhänger des Lenin war, der will Lenin zum Weltherrscher machen, zum Weltkaiser oder zum Weltpapst wirtschaftlicher Sorte. Da werden die Herrschaftsverhältnisse nicht sozialisiert, auch nicht demokratisiert, sondern da werden sie monarchisiert, tyrannisiert, da wird eine Autokratie geschaffen. Wer so etwas behauptet, versteht noch nicht einmal, wie man anfangen muss damit, vor allem die Herrschaftsverhältnisse zu sozialisieren.

So stellt sich für den, der genauer zusieht, für die Wirklichkeitsstruktur des heutigen Ostens etwas sehr Merkwürdiges heraus: Es glauben diejenigen, die Bekenner der Intentionen des heutigen Ostens sind, dass damit etwas erzielt werde. Nein, was da gewollt wird, das ist in seinem Wesen nicht in Opposition gegen den Zarismus, das ist nur das ganze Wesen des Zarismus für eine andere Klasse weiter ausgebaut, in schlimmerer Weise der Zarismus fortgesetzt als er war, wie überhaupt diejenigen, die auf dem linkesten Flügel der radikalen Parteien stehen, heute schon gar nicht mehr damit zurückhalten, dass sie nicht Fortschrittsmenschen sind, sondern noch viel ärgere Reaktionäre als diejenigen waren, die früher Reaktionen getragen haben. Indem gefordert wird die Diktatur einer Klasse, würde ja aus dieser Klasse nichts anderes herauskommen als die Tyrannis einzelner – ich will nicht einmal sagen: Erwählter –; es würden ganz gewiss nicht die Erwählten sein, sondern diejenigen, die den anderen Sand in die Augen streuen. Es würde die Tyrannis derjenigen aus den einzelnen Klassen herauskommen, die den anderen Sand in die Augen streuen. Es würde nur eine Umkugelung der Menschheit stattfinden. Aber die Verhältnisse, sie würden sich ganz gewiß nicht verbessern, sondern im wesentlichen eher verschlechtern.

Also es handelt sich da darum, dass man wirklich auf das Prinzip sieht, dass man aus der Wirklichkeit heraus denkt, nicht aus vorgefassten grauen Theorien heraus denkt. Sehen Sie, manchmal haben diejenigen, die gesund aus der Wirklichkeit heraus denken, von einzelnen Erscheinungen her schon ein sehr gesundes Urteil. Ich habe Ihnen heute ausgeführt, dass die Geldherrschaft eigentlich verwirrend wirkt über die wirklichen sozialen Zustände. Das muss man nur durchschauen. Sie wirkt tatsächlich so, dass das Geld Machtverhältnisse, tyrannisierte Verhältnisse bewirkt, dass an die Stelle alter Eroberermächte und dergleichen einfach Geldmacht tritt.« (GA 332a, S. 66-67)

»Diese Feststellung der Bedürfnisse möchten sozialistische Denker heute nach der Statistik machen. Das kann nicht nach der Statistik gemacht werden. Das lebendige Leben lässt sich nie nach der Statistik formen, sondern allein nach dem unmittelbaren Beobachtungssinn der Menschen. Es müssen also innerhalb des Wirtschaftsorganismus die Menschen durch die sozialen Zustände in gewisse Ämter oder dergleichen gebracht werden, die da sind zur Verteilung der Bedürfniserkenntnisse an die Produktion. Gerade weil die Bedürfnisse verschieden sind, handelt es sich darum, nicht etwa eine Tyrannisierung der Bedürfnisse hervorzurufen, die ganz gewiß entstehen würde auf Grundlage des heutigen sozialdemokratischen Programms, sondern es handelt sich darum, aus den lebendigen Bedürfnissen zu erkennen, wie diese Bedürfnisse befriedigt werden sollen. Dass selbstverständlich gewisse Bedürfnisse dann nicht befriedigt werden können, das wird auch die Praxis als solche ergeben. Aus einem Dogma heraus, weil irgend jemand meint, dies oder das sei kein richtiges menschliches Bedürfnis, darf darüber nicht entschieden werden. Aber wenn eine Anzahl von Menschen Bedürfnisse haben, die nach Gütern rufen, zu deren Herstellung Menschen ausgenützt werden müssten – das wird sich gerade im lebendigen Wirtschaftsleben ergeben, das auf seine eigenen Füße gestellt ist –, wird man diese Güter nicht herstellen können, für die einzelne Bedürfnisse haben. Es wird sich gerade darum handeln, zu erfassen, ob die Bedürfnisse ohne Vernachlässigung, ohne Schaden für die menschlichen Kräfte wirklich berücksichtigt werden können.« (GA 332a, S. 103-104)

Machtgesellschaft – Tauschgesellschaft – Gemeingesellschaft:

»Nicht aus den Leidenschaften, aus den Antrieben und Emotionen heraus, aus denen heute oftmals soziale Forderungen gestellt werden, stellt der Impuls für die Dreigliederung des sozialen Organismus seine sozialen Forderungen. Er stellt sie aus einem Studium der wirklichen Entwickelung der Menschheit in der neueren Zeit und bis in die Gegenwart herein. Er sieht zum Beispiel, wie im Laufe langer Jahrhunderte eine soziale Form die andere abgelöst hat. Gehen wir zurück hinter das letzte Mittelalter – es hat sich noch etwas hineinerstreckt ins letzte Mittelalter, namentlich in der europäischen zivilisierten Welt –, so finden wir das gesellschaftliche Leben in einer solchen Struktur, dass wir sprechen können von einer Machtgesellschaft. Diese Machtgesellschaft war dadurch heraufgekommen, dass, um nur ein Beispiel anzuführen, meinetwillen irgendein Eroberer mit einer Gefolgschaft sich irgendwo sesshaft gemacht, seine Gefolgschaft gewissermaßen zu seiner Arbeiterschaft gemacht hat. Dann wurde dadurch, dass der Führer angesehen wurde vermöge seiner individuellen Eigenschaften, individuellen Tüchtigkeit oder vermeintlichen individuellen Tüchtigkeit, das soziale Verhältnis zustande gebracht zwischen seiner Macht und der Macht derer, die er erst anführte und die dann seine Diener beziehungsweise seine Arbeiterschaft waren. Da ging gewissermaßen als das Maßgebliche für den sozialen Organismus dasjenige, was in einem entsprang oder in einer aristokratischen Gruppe, auf die Gesamtheit über, das lebte in der Gesamtheit weiter. Der Wille, der in der Gesamtheit war, war gewissermaßen in dieser Machtgesellschaft nur die Abzeichnung, die Projektion des Einzelwillens.

Unter dem Einflusse der neueren Zeit, der Arbeitsteilung, des Kapitalismus, der technischen Kultur, trat an die Stelle dieser Machtgesellschaft, aber durchaus ihre Impulse fortsetzend unter den Menschen und dem menschlichen Zusammenleben, die Tauschgesellschaft. Was der einzelne hervorbrachte, wurde zur Ware, die er mit dem anderen austauschte. Denn schließlich ist die Geldwirtschaft auch nichts anderes, insofern sie Verkehr mit dem anderen einzelnen oder mit der anderen Gruppe ist. Es ist ein Tauschverkehr. Die Gesellschaft ist eine Tauschgesellschaft geworden. Während in der Machtgesellschaft die Gesamtheit es zu tun hat mit dem Willen des einzelnen, den sie aufnimmt, hat es die Tauschgesellschaft, in der wir noch mitten drinnen sind und aus der ein großer Teil der heutigen Menschheit herausstrebt, zu tun mit dem Willen des einzelnen, der gegen den Willen des einzelnen steht, und aus dem Zusammenwirken von Einzelwille zu Einzelwille entsteht erst, wie ein Zufallsergebnis, der Gesamtwille. Da sprießt auf aus dem, was von einzelnem zu einzelnem geschieht, was sich bildet als Wirtschaftsgemeinschaft, was sich bildet als Reichtümer, was sich herausbildet in der Plutokratie und so weiter. In all dem wirkt aber dasjenige drinnen, was zu tun hat mit dem Aufeinanderprallen von Einzelwillen auf Einzelwillen.

Es ist kein Wunder, dass die alte Machtgesellschaft nicht nach irgendeiner Emanzipation des Geistigen streben konnte. Denn derjenige, der der Führer war, wurde vermöge seiner Tüchtigkeit auch anerkannt als der Führer des Geistigen und als der Führer der Rechtsordnung. Es ist aber auch begreiflich, dass das Rechts-, das Staats-, das politische Prinzip in der Tauschgesellschaft besonders überhandgenommen hat. Haben wir doch gesehen, worauf das Recht eigentlich beruhen will, wenn auch dieses Wollen nicht zum richtigen Ausdrucke kommt in der heutigen sozialen Ordnung. Das Recht hat es eigentlich zu tun mit dem, was der einzelne Mensch als ein gleicher dem anderen gegenüber, der ihm gleich ist, auszumachen hat. In der Tauschgesellschaft hat der einzelne mit dem einzelnen zu tun. So hat die Tauschgesellschaft das Interesse, ihr Wirtschaftsleben, wo auch der einzelne mit dem einzelnen zu tun hat, in ein Rechtsleben umzuwandeln, das heißt, zu Rechtssatzungen umzugestalten, was wirtschaftliche Interessen sind.

Geradeso wie die alte Machtgesellschaft übergegangen ist in eine Tauschgesellschaft, so strebt heute aus innersten Impulsen der Menschheitsentwickelung heraus diese Tauschgesellschaft in eine neue Gesellschaft hinein, namentlich auf wirtschaftlichem Boden. Denn die Tauschgesellschaft ist nach und nach, indem sie sich angeeignet hat das Geistesleben, es unfrei gemacht hat, lebensfremd gemacht hat, eine bloße Wirtschaftsgesellschaft geworden, und sie wird als solche gefordert von gewissen radikalen Sozialisten. Aber aus tiefsten Impulsen der heutigen Menschheit heraus will diese Tauschgesellschaft, namentlich auf wirtschaftlichem Gebiete, in das übergehen, was ich nennen möchte – wenn auch der Name etwas hinkt, es ist aber eben eine neue Sache, und man hat in der Regel für die neuen Sachen nicht zutreffende Bezeichnungen, die ja aus der Sprache heraus gebildet werden müssen – die Gemeingesellschaft. Es muss übergehen die Tauschgesellschaft in die Gemeingesellschaft.

Wie wird diese Gemeingesellschaft gestaltet sein? Geradeso wie in der Machtgesellschaft der Einzelwille oder der Wille einer Aristokratie, also auch eine Art Einzelwille, gewissermaßen fortwirkt in der Gesamtheit, so dass die einzelnen in ihren Wollungen nur darstellen Fortsetzungen des Willens der einzelnen, und wie die Tauschgesellschaft zu tun hatte mit dem Aufeinanderprallen von Einzelwille auf Einzelwille, so wird es die wirtschaftliche Ordnung der Gemeingesellschaft zu tun haben mit einer Art von Gesamtwille, der nun umgekehrt auf den Einzelwillen zurückwirkt. Denn ich habe es im zweiten Vortrage auseinandergesetzt, wie auf dem Gebiete des Wirtschaftslebens Assoziationen der verschiedenen Produktionszweige auftreten sollen, Assoziationen von Produktionszweigen mit den Konsumierenden, so dass überall sich die Wirtschaftenden und auch die wirtschaftlich Konsumierenden zusammenschließen sollen. Die Assoziationen werden Verträge miteinander schließen. Es wird sich innerhalb von Gruppen, die größer oder kleiner sind, eine Art von Gesamtwille bilden. Nach diesem Gesamtwillen streben ja viele sozialistisch sich Sehnende. Nur stellen sie sich die Sache oftmals in einer höchst unklaren, durchaus nicht vernünftigen Weise vor.

Geradeso wie in der Gewaltgesellschaft, in der Machtgesellschaft der Einzelwille in der Gesamtheit gewirkt hat, so wird in der Gemeingesellschaft der Zukunft ein gemeinsamer Wille, ein Gesamtwille in dem einzelnen wirken müssen.

Wie aber wird das möglich sein? Was muss in dem Gesamtwillen – er muss ja entstehen durch das Zusammenwirken der Einzelwillen, die Einzelwillen müssen etwas ergeben, was keine Tyrannis ist, keine demokratische Tyrannis ist für den einzelnen, innerhalb dessen sich der einzelne frei fühlen kann –, was muss denn drinnenstecken in diesem Gesamtwillen? In diesem Gesamtwillen muss drinnenstecken, was die einzelne Seele und der einzelne menschliche Geist aufnehmen können, womit sie sich einverstanden erklären können, worinnen sie sich einleben können. Das heißt, das, was im einzelnen Menschen lebt, Geist und Seele, das muss im Gesamtwillen der Gemeingesellschaft leben. Das ist nicht anders möglich, als wenn diejenigen, die diesen Gesamtwillen ausgestalten, aus dem Einzelwillen heraus in sich tragen in ihrem Wollen, in ihrem Empfinden, in ihrem Vorstellen das völlige Verständnis für den einzelnen Menschen. Einfließen muss in diesen Gesamtwillen, was der einzelne Mensch als sein eigenes Geistiges und Seelisches und Leibliches empfindet. Dann muss es aber hineingelegt werden.

Anders war das in der instinktiven Machtgesellschaft, wo der einzelne anerkannt wurde von der Gesamtheit, weil die einzelnen in der Gesamtheit nicht geltend machten ihren eigenen Willen; anders war es in der Tauschgesellschaft, wo der Einzelwille aufgeprallt ist und eine Art Zufallsgemeinsamkeit herausgekommen ist; anders aber muss es sein, wenn ein organisierter Gesamtwille auf den einzelnen wirken soll. Dann darf niemand, der an der Gestaltung dieses Gesamtwillens teilnimmt, unverständig sein gegenüber dem, was das wahrhaft Menschliche ist. Dann darf man nicht mit einer abstrakten Naturwissenschaft, mit einer Naturwissenschaft, die bloß auf die äußere Natur gerichtet ist und die niemals den ganzen Menschen verstehen kann, heranrücken an die Lebensanschauung. Dann muss man mit Geisteswissenschaft an die Lebensanschauung heranrücken, mit jener Geisteswissenschaft, die, weil sie den ganzen Menschen umfasst nach Leib, Seele und Geist, auch empfindungsgemäß und willensgemäß ein Verständnis hervorruft für diesen einzelnen Menschen.« (GA 332a, S. 167-171)

Globale gerechte Wirtschaftsordnung:

»Unter welchen Bedingungen ist allein die Weltwirtschaft möglich? Das kann man wahrlich nur einsehen, wenn man zunächst seinen Blick darauf richtet, wie sich – und ich habe das im gestrigen Vortrage ausgeführt – die soziale Ordnung gegen die Zukunft hin gestalten muss, wenn an die Stelle der alten Gewaltgemeinschaft, Gewaltgesellschaft, der gegenwärtigen Tauschgesellschaft, die Gemeingesellschaft tritt. Das ist eben die Gesellschaft, in welcher von den Assoziationen, durch die Verträge der Assoziationen produziert wird.

Wenn man das wirklich geltend macht, worin zeigt sich dann der reale Unterschied einer solchen Gemeingesellschaft von der bloßen Tauschgesellschaft, die heute noch vielfach die herrschende ist? Der Unterschied zeigt sich darinnen, dass es in der Tauschgesellschaft vorzugsweise der einzelne oder die einzelne Gruppe mit dem anderen einzelnen oder der anderen Gruppe zu tun haben. Wofür interessieren sich dann dieser andere einzelne oder diese Gruppe in ihrem Verhältnis zueinander? Ob sie Konsumenten sind, ob sie Produzenten sind – ihre Produktion, ihre Konsumtion stehen gewissermaßen durch einen Abgrund voneinander getrennt durch den Zufallsmarkt, und der Zufallsmarkt vermittelt die Warenzirkulation, vermittelt den Handel. Wie man auch sonst, in berechtigter oder unberechtigter Weise, über die Herrschaft des Kapitals, der Arbeit und dergleichen, über Bedeutung des Kapitals und Bedeutung der Arbeit spricht, man muss sagen: Das Wesentliche für unsere Tauschgesellschaft ist, dass das Herrschende die Warenzirkulation ist. Die ist es, welche die Brücke baut zwischen der Produktion und der Konsumtion, während Produktion und Konsumtion durch den Abgrund des Marktes voneinander geschieden sind, so dass sie nicht durch die Vernunft miteinander vermittelt sind.

Was wird in der Gemeingesellschaft an die Stelle der herrschenden Zirkulation treten? Das ganze Gebiet des Wirtschaftslebens wird in das Interesse jedes Wirtschaftenden hereingezogen! Während sich heute der Wirtschaftende zu interessieren hat, wie er seine Produkte bekommt oder seine Produkte absetzt, dafür zu sorgen hat aber aus Interesse an sich selber, wird es in der Gemeingesellschaft so sein müssen, dass jeder Wirtschaftende ein volles Interesse für Konsumtion, Handel und Produktion habe, das heißt, dass das gesamte Wirtschaften sich widerspiegle in den Wirtschaftsinteressen des einzelnen. Das ist es, um was es sich bei der Gemeingesellschaft handeln muss.

Sehen wir uns aber jetzt an, wie es sich mit dieser Gemeingesellschaft, die auch im einzelnen Staate heute durchaus noch eine Zukunftsforderung ist, in bezug auf das internationale Problem verhalten müsse. Dieses internationale Problem, wie stellt es sich uns denn besonders mit Bezug auf das Wirtschaftsleben dar? Da können wir sehen, dass zwar die Weltforderung besteht nach Weltwirtschaft, dass sich aber innerhalb der gesamten Weltwirtschaft die einzelnen Nationalstaaten abgliedern. Diese einzelnen Nationalstaaten, ganz abgesehen von den anderen historischen Bedingungen ihres Entstehens, sie werden zunächst zusammengehalten durch das, was aus dem Egoismus der beisammen lebenden Menschen aufsteigt. Selbst im Edelsten des Nationalen, in Literatur, Kunst und so weiter, ist es die aus dem Egoismus aufsteigende Phantasie, die die Volksgruppen zusammenhält. Diese so zusammengehaltenen Volksgruppen stellten sich nun in das ganze Gebiet der Weltwirtschaft hinein, und sie stellten sich besonders stark, immer stärker und stärker hinein im Laufe des 19. Jahrhunderts, und dieses Hineinstellen erreichte seinen Höhepunkt im Beginn des 20. Jahrhunderts. Wollen wir charakterisieren, was da eigentlich geschah, dann müssen wir sagen: Während noch andere Interessen, Interessen, die viel mehr ähnelten der alten Gewaltgesellschaft, früher zwischen den Staaten herrschten, wurde das Prinzip der Tauschgesellschaft gerade im gegenseitigen Verkehre im internationalen Leben der Staaten vorwiegend, so dass ein Höhepunkt erreicht wurde im Beginne des 20. Jahrhunderts. Wie in den einzelnen Staaten produziert und konsumiert wurde, was an andere Staaten verabreicht oder von anderen Staaten bezogen wurde, das war durchaus hineinbezogen in den Egoismus der einzelnen Staaten. Dafür wurde nur geltend gemacht, wofür der einzelne Staat als solcher sich interessierte. Wie man gegenseitige Beziehungen auf wirtschaftlichem Gebiete zwischen den Staaten herstellte, das beruhte ganz und gar auf dem Handelsprinzip, das beruhte auf dem Prinzip, das in der Tauschgesellschaft bezüglich der Warenzirkulation waltete.

Auf diesem Felde, aber im großen, da zeigte sich insbesondere, wie sich die bloße Tauschgesellschaft ad absurdum führen musste. Und das Ad-absurdum-Führen, das war im wesentlichen eine der Hauptveranlassungen, Hauptursachen zu dem, was diese Weltkriegskatastrophe herbeigeführt hat. Es wird ja nachgerade den Menschen immer klarer und klarer, dass dieser große Gegensatz bestand zwischen der Forderung nach Weltwirtschaft und dem Hineinstellen der einzelnen Staaten in diese Weltwirtschaft, die sich abschlössen, statt in ihren Grenzen die Weltwirtschaft zu fördern, durch Zölle und anderes, und das, was Ergebnis der Weltwirtschaft sein konnte, für sich in Anspruch nehmen wollten und auch in Anspruch nahmen. Das führte zu jener Krise, die wir als die Weltkriegskatastrophe bezeichnen. Gewiss mischen sich andere Ursachen hinein, aber das ist gerade eine der Hauptursachen.

Und so wird es sich darum handeln, zu erkennen, wie gerade gegenüber dem internationalen Leben in allererster Linie nötig ist, dass die Möglichkeit gefunden werde, über die Grenzen hinüber nach anderen Prinzipien zu wirtschaften, als die der bloßen Tauschgesellschaft sind. Möglich muss es werden, geradeso wie in der Gemeingesellschaft der einzelne das Interesse für Produktion, wo sie immer auftritt, das Interesse für Konsumtion, wo sie immer auftritt, haben muss, wenn er mitarbeiten will, wie er sich für das gesamte Gebiet der Wirtschaft – Warenkonsumtion, Warenproduktion, Warenzirkulation – interessieren muss, so muss es möglich sein, Impulse zu finden, durch die ein jedes Staatsgebilde der Welt ein wirkliches inneres, wahrhaftiges Interesse haben könne für jedes andere Staatsgebilde, so dass nicht etwas anderes, dem Zufallsmarkt Ähnliches sich gestaltet zwischen den Völkern, sondern ein wirklich inneres Verständnis zwischen den Völkern walte.

Da kommen wir zu den tieferen Quellen dessen, was heute in der Abstraktheit in dem sogenannten Völkerbund gesucht wird, der ja darauf ausgeht, dass gewisse Schäden, die im Volkszusammenleben bestehen, korrigiert werden. Allein er entspringt aus demselben Prinzip, aus dem heute sehr vieles entspringt. Wer heute nachdenkt über die Schäden des Lebens, er denkt vielfach an die nächsten Korrekturen, durch die das eine oder andere ausgeführt werden kann. Da sieht einer, dass viel Luxus existiert, also will er den Luxus besteuern und dergleichen. Er denkt nicht daran, an die Quellen desjenigen zu gehen, um was es sich handelt, die Struktur des sozialen Zusammenlebens zu finden, durch die ein unmöglicher Luxus nicht entstehen kann. Dass man an solche Quellen gehen muss, das ist es aber, worauf es auch im Völkerleben ankommt. Daher wird man nicht durch irgendwelche Bestimmungen, die bloß korrigierend wirken sollen, zu einem internationalen innerlichen Zusammenleben kommen, sondern dadurch, dass man wirklich an die Quellen herangeht, durch die Volksverständnis gegenüber Volksverständnis gefunden werden kann.

Nun, es kann kein Volksverständnis gefunden werden, wenn man bloß auf das eine hält, das sich gewissermaßen wie das Wachstum selber aus dem Menschen heraus ergibt, wenn man bloß auf dasjenige sieht, was, wie ich gezeigt habe, zum Nationalismus, zur Abschließung innerhalb der Volkheit führen muss. Was haben wir denn im geistigen Leben heute, das im Grunde einzig und allein einen internationalen Charakter trägt und ihn nur während dieses Krieges deshalb nicht verloren hat, weil die Menschen nicht imstande waren, ihn auf diesem Gebiete zu nehmen? Denn hätten sie ihn genommen, so hätten sie das Gebiet selber vernichten müssen. Was ist da, das wirklich heute über die ganze Erde eigentlich international ist? Nichts anderes im Grunde genommen, als das Gebiet der auf die äußere Sinneswelt gehenden Naturwissenschaft. Die intellektualistische Wissenschaft – ich habe in den Vorträgen gezeigt, wie die Naturwissenschaft intellektualistisch genannt werden muss –, die hat einen internationalen Charakter angenommen. Und leicht war es zu bemerken in diesen Zeiten, wo so viel Unwahres in die Welt getreten ist: Wenn irgend jemand der Wissenschaft das Leid angetan hat, sie im nationalen Sinne zu missbrauchen, so benahm er ihr sozusagen dadurch ihren wahren Charakter. Aber sieht man nicht auf der anderen Seite, gerade durch die Tatsache, die ich eben anführen musste, dass diese Art des Geisteslebens, die sich im Intellektualismus auslebt, nicht imstande war, ein internationales Leben zu begründen? Man sieht es, denke ich, klar genug, dass jene Ohnmacht, die ich von den verschiedensten Gesichtspunkten aus für diese intellektualistische Geistesrichtung geschildert habe, sich ganz besonders deutlich gezeigt hat in dem Verhältnis dieses intellektualistischen Geisteslebens zum Internationalismus.

Die Wissenschaft war nicht imstande, so tiefe internationale Impulse in die Menschenseele hineinzugießen, dass diese standgehalten hätten gegenüber den furchtbaren Ereignissen der letzten Jahre. Und da, wo diese Wissenschaft auftreten wollte, Sozialimpulse zu bilden wie im sozialistischen Internationalismus, da hat sich gezeigt, dass dieser internationalistische Sozialismus sich auch nicht halten konnte, sondern zumeist ins nationale Fahrwasser abströmte. Warum? Weil er eben gerade von den alten Erbgütern der Menschheit nur den Intellektualismus übernommen hat, und der Intellektualismus nicht stark genug ist, um ins Leben hinein gestaltend zu wirken. Das ist es, was auf der einen Seite bezeugt, dass diese neuere wissenschaftliche Richtung, die zugleich mit Kapitalismus und Kulturtechnik heraufgekommen ist, zwar ein internationales Element enthält, aber zu gleicher Zeit bezeugt, wie ohnmächtig zur Begründung eines wirklichen internationalen Lebens der Menschheit sie ist.

Demgegenüber muss nun geltend gemacht werden, was ich im vierten Vortrage über die geisteswissenschaftliche Richtung auseinandergesetzt habe, die auf der Anschauung, auf der Erkenntnis des Geistes beruht. Diese Geistesanschauung, sie beruht nicht auf äußerer Sinnesanschauung; sie geht hervor aus der Entwickelung der eigenen Menschennatur. Sie sprießt aus dem heraus, woraus auch die Phantasie sprießt. Aber sie sprießt aus tieferen Tiefen der Menschennatur heraus. Deshalb erhebt sie sich nicht bloß zu den individualistischen Gebilden der Phantasie, sondern zu dem objektiven Erkenntnisgebilde der geistigen Wirklichkeit der Welt. In dieser Beziehung wird ja diese Geistanschauung heute noch vielfach missverstanden. Die sie nicht kennen, die sagen: Ja, was auf diese Weise durch die Geistesanschauung gefunden wird, das ist ja nur subjektiv, das kann niemand beweisen. – Die mathematischen Erkenntnisse sind auch subjektiv und sind nicht beweisbar; und niemals kann man durch Übereinstimmung der Menschen mathematische Wahrheiten erhärten! Wer den pythagoräischen Lehrsatz kennt, der weiß, dass er richtig ist, und wenn ihm Millionen Menschen widersprechen würden. So kommt auch zu einem innerlich Objektiven, was mit Geisteswissenschaft hier gemeint ist. Aber es nimmt denselben Weg, den die Phantasie nimmt, und steigt höher hinauf, wurzelt in objektiven Tiefen der Menschennatur und steigt bis zu objektiven Höhen hinauf. Daher erhebt sich diese geistige Anschauung über alles, was sonst als Phantasie die Völker durchglüht. Und gleichzeitig wird in diesem oder jenem Volke aus diesen oder jenen Sprachen heraus diese Geistesanschauung gesucht. Sie ist ein und dieselbe, durch alle Menschen hindurch, über die ganze Erde hin, wenn sie nur tief genug gesucht wird.

Daher begründet diese Geistesanschauung, von der ich zeigen musste, dass sie wirklich gestaltend in das praktische, in das soziale Leben eingreifen kann, zugleich die Möglichkeit, einzugreifen in das internationale Leben, ein Band zu sein von Volk zu Volk. Seine Dichtung, die Eigentümlichkeiten auch seiner übrigen Kunstgebiete wird ein Volk auf individualistische Art hervorbringen. Aus dem Individualismus des Volkes heraus wird für die Geistanschauung etwas entstehen, was ganz gleich ist dem, was irgendwo anders entsteht. Die Grundlagen, aus denen die Dinge hervorgehen, sind an verschiedenen Orten; worinnen sie zuletzt ihre Ergebnisse finden, das ist über die ganze Erde hin gleich. Es reden heute viele Menschen vom Geiste; sie wissen nur nicht, dass der Geist erklärt werden muss. Wenn er aber erklärt wird, dann ist er etwas, was nicht Menschen trennt, sondern Menschen verbindet, weil es zurückgeht bis auf das innerste Wesen des Menschen, indem ein Mensch dasselbe hervorbringt wie der andere Mensch, indem ein Mensch den anderen Menschen völlig verstehen kann.

Dann aber, wenn man wirklich, was sonst nur individualistisch in der einzelnen Volksphantasie zum Ausdrucke kommt, bis zur Geistanschauung vertieft, dann werden die einzelnen Volksoffenbarungen nur mannigfaltige Ausdrücke sein für das, was in der Geistanschauung eine Einheit ist. Dann wird man über die ganze Erde hin bestehen lassen können die verschiedenen Volksindividualitäten, weil nicht eine abstrakte Einheit zu herrschen braucht, sondern weil sich das konkrete Eine, das gefunden wird durch die Geistanschauung, in der mannigfaltigsten Weise wird zum Ausdruck bringen lassen. Und dadurch werden sich in dem geistigen Einen die vielen verstehen können. Dann werden sie aus ihrem vielartigen Begreifen des Einheitlichen die Möglichkeit finden von Satzungen für ein Bündnis der Nationen, dann wird aus dem Geisteszustand, aus der geistigen Verfassung heraus auch die Rechtssatzung entstehen können, welche die Völker verbindet. Und dann wird Platz greifen in den einzelnen Völkern, was bei jedem einzelnen Volke sein kann: Interesse für Produktion und Konsumtion anderer Völker. Dann wird, was Geistesleben der Völker, was Rechtsleben der Völker ist, das Verständnis für andere Völker über die ganze Erde hin wirklich entwickeln können. (GA 332a, S. 192-198)

Ein zentrales methodisches Element der Waldorfpädagogik, den Epochenunterricht, versteht Zander nicht.

Auf S. 1410 schreibt Zander:

»In den Waldorfschulen ist der Lehrplan als ›Epochenunterricht‹ (GA 307,186) konzipiert, d.h. als chronologische Gliederung nach Geschichtsepochen, denen die anderen Unterrichtsgegenstände zugeordnet werden.«

Diese Definition ist falsch. Unter Epochenunterricht versteht die Waldorfpädagogik nicht eine chronologische Gliederung der Unterrichtsinhalte nach Geschichtsepochen, sondern die Erteilung bestimmter Fächer in meist drei bis vier Wochen dauernden zusammenhängenden Unterrichtsepochen während des täglichen Hauptunterrichts. Eine Vielzahl von Fächern, darunter Mathematik, Physik, Chemie, Menschenkunde, Hausbau, Landbau, Landeskunde werden in solchen mehrwöchigen Epochen unterrichtet. Unter dieser Voraussetzung sind auch die gesamten Ausführungen Zanders über den Zusammenhang zwischen Epochenunterricht und »Kulturstufen« falsch, die aus dieser Definition abgeleitet werden (S. 1410-1414).

Der Verweis Zanders führt ins Leere. In GA 307, S. 186 spricht Steiner zwar vom Epochenunterricht, aber nicht in dem von Zander referierten Sinn, sondern in dem hier richtiggestellten Sinn. Der Gesichtspunkt von dem aus Steiner in diesem Vortrag den Epochenunterricht begründet, ist der, dass die Pädagogik nicht nur mit der Erinnerung und den im Bewusstsein anwesenden Inhalten arbeiten müsse, sondern auch mit dem Vergessen und den Inhalten des unbewussten Seelenlebens:

»Es ist in diesen Tagen einmal gefragt worden, ob es denn gut sei, den Unterricht epochenweise zu erteilen, so wie er in der Waldorfschule erteilt wird. Wenn er richtig erteilt wird, dann ist gerade das epochenweise Erteilen dasjenige, was am allerfruchtbarsten sich erweist. Epochenartiger Unterricht heißt: ich nehme nicht so, dass fortwährend eines das andere beeinträchtigt, etwa von acht bis neun Uhr Rechnen, von neun bis zehn Uhr Geschichte oder Religion oder irgend etwas, was gerade passt, oder je nachdem der Lehrer in den Stundenplan hineinkommt; sondern ich setze mir drei, vier, fünf Wochen vor, in denen morgens durch zwei Stunden der Hauptunterricht in einem Fach erteilt wird. Es wird immer dasselbe getrieben. Dann wiederum durch fünf bis sechs Wochen im Hauptunterricht irgend etwas, das sich meinetwillen aus dem anderen entwickelt, aber wiederum in diesen zwei Stunden das gleiche. So dass durch Wochen hindurch das Kind auf etwas Bestimmtes konzentriert ist.

Nun entstand die Frage, ob denn dadurch nicht zu viel vergessen werde, ob dadurch nicht die Kinder wiederum das alles aus der Seele herausbekommen, was man in sie hineingebracht hat? Wird aber der Unterricht in der richtigen Weise getrieben, dann arbeitet ja während der Zeit, in welcher ein anderer Gegenstand gegeben wird, der frühere Gegenstand in den unterbewussten Regionen fort. Man muss in einem solchen Epochenunterricht gerade mit dem rechnen, was unbewusst arbeitet; und es gibt nichts Fruchtbareres, als wenn man einen Unterricht, den man durch drei, vier Wochen erteilt hat, in seinen Konsequenzen ruhen lässt, damit er nun ohne Zutun des Menschen weiter im Menschen arbeitet. Dann wird man schon sehen: hat man richtig unterrichtet, und frischt gedächtnismäßig die Sache wieder auf, dann kommt es bei der nächsten Epoche, wo dasselbe Fach getrieben wird, in ganz anderer Weise  wieder herauf, als wenn  man es eben nicht richtig getrieben hat. Aber mit solchen Dingen rechnet man gar nicht, wenn man den Einwand macht: ob auch die Dinge so richtig getrieben werden, da die Dinge vergessen werden könnten! Der Mensch muss ja so viel mit dem Vergessen rechnen. Denken Sie nur, was wir nicht alles im Kopfe haben müssten, wenn wir nicht richtig vergessen könnten und das Vergessene wiederum herauf bringen könnten! Deshalb muss ein richtiger Unterricht nicht nur mit dem Unterricht, sondern auch mit dem Vergessen richtig rechnen.

Das bedeutet nicht, dass man entzückt darüber zu sein braucht, dass die Kinder vergessen, das besorgen sie schon von selbst; sondern darauf kommt es an, was in die unterbewussten Regionen so hinuntergegangen ist, dass es dann in entsprechender Weise wieder heraufgeholt werden kann. Zu dem ganzen Menschen gehört eben nicht bloß das Bewusste, sondern auch das jeweilig Unbewusste.« (GA 307, Vortrag vom 14. August 1923, Dornach 1986, S. 186 f)

Von einem systematischen Willen zum Missverstehen, wenn nicht zur absichtlichen Verleumdung, zeugen Zanders Ausführungen über die »Erziehungsgrundsätze« der Waldorfpädagogik. Besonderen Widerwillen rufen in ihm offenbar Steiners Ausführungen über das Prinzip der »Autorität« hervor.

 

Auf S. 1414 schreibt Zander:

»Das Verhältnis von Lehrern und Schülern war in Steiners Konzeption durch ein dominantes Kennzeichen geprägt: Autorität. Die alle Lebensphasen durchziehende Distanz zwischen Lehrern und Schülern solle sich zwar in verschiedenen Altersstufen unterschiedlich manifestieren, aber als Regulativ blieb sie ... bis zum Schulabgang ... maßgebend. ...

Derart rigide Festlegungen zielten auf eine Festlegung der Autorität im vorbewussten Raum ...«

Auf S. 1415:

»Davon abweichendes Verhalten bewehrte Steiner mit Straffolgen ...«

»Das unmündig gehaltene Kind wird ... zum Objekt des Belehrens. Prange nennt dieses Konzept sehr kritisch ›Manipulation‹«.

Auf S. 1416:

»Steiner suchte die Kinder in einer Aktion kollektiven Brüllens nicht nur auf die Anerkennung der Autorität des Lehrers, sondern auf Liebe zu verpflichten.«

Auf S. 1417:

»Fragt man nach den Quellen dieser partiell autoritären Pädagogik mit Zügen der Indoktrination, kann man in Steiners eigener Erziehungsgeschichte suchen.«

Auf S. 1418:

»Steiners Konzeption ... ist geradezu eine Pädagogik vom Lehrer aus.« Hier ist auch die Rede von einer »weitverbreiteten autoritären Mentalität«.

Auf S. 1418 enthüllt Zander den »weltanschaulichen Kern der Rolle des der [sic] Lehrers: Er ist ein esoterischer Eingeweihter, der Kinder aufgrund des Wissens um die verborgenen Geheimnisse erzieht.«

Auf S. 1419 schließlich:

»Der wahre Anthroposoph war der Initiierte, der Hellsichtige, und es war nichts als konsequent, dass Steiner das Bild des Lehrers, des Eingeweihten und des Hellsehers ineinanderschob. Diese Konzeption und das ihr inhärente Autoritätskonzept wurde zur hintergründigen Matrix der Waldorfschule.«

Man muss den dekontextualisierenden Entstellungen der anthroposophischen Erziehungsgrundsätze und ihrer Grundlagen durch Zander nur einige zusammenhängende Ausführungen Steiners gegenüberstellen, um die Bodenlosigkeit der Behauptungen seines Interpreten zu erkennen. Zum Beispiel aus einem Vortrag Steiners vom 19. August 1922 in Oxford:

»Eigentlich müssten alle unsere höheren Empfindungen beginnen können mit der Grundempfindung des Dankes dafür, dass uns die kosmische Welt aus sich herausgeboren und in sich hineingestellt hat.  ... Diese Dankbarkeit aber muss vor allen Dingen der Lehrer, der Erzieher haben. Es muss sie auch instinktiv jeder Mensch haben, dem ein Kind zur Erziehung anvertraut ist. Es ist auch das erste Bedeutungsvolle, das durch eine spirituelle Erkenntnis erreicht wird, dass man die Dankbarkeit schöpft für die Tatsache, dass man ein Kind zur Erziehung erhalten hat. Ehrfurcht vor dem geheimnisvollen Wesen des Kindes – Ehrfurcht und Dankbarkeit sind in diesem Punkte nicht zu trennen – muss der Anfang der Gesinnung sein, mit welcher der Erzieher an seine Aufgabe geht. Es gibt nur eine Stimmung gegenüber dem Kinde, welche die richtigen Impulse zum Erziehen und Unterrichten gibt; und das ist gerade dem Kinde gegenüber die religiöse Stimmung.

Man empfindet vielem gegenüber religiös. Man empfindet der Blume auf dem Felde gegenüber religiös, wenn wir sie als ein Geschöpf der göttlich-geistigen Weltordnung auf uns wirken lassen. Man empfindet so dem Blitze gegenüber, wenn er in den Wolken zuckt, und wenn man empfinden kann, wie er in der göttlich-geistigen Weltordnung drinnensteht. Man muss so vor allen Dingen empfinden, wenn aus dem tiefen Schoße der Weltenordnung heraus uns die höchstmögliche Offenbarung, durch die gesagt wird, was die Welt ist, einem in dem Kinde entgegentritt. In dieser Stimmung liegt einer der wichtigsten Impulse der Erziehungstechnik.

Erziehungstechnik ist andere Technik als diejenige, die angewendet wird auf Undurchgeistigtes. Erziehungstechnik setzt überall voraus, dass der Erzieher alles, was er tut, aus religiös-moralischen Impulsen heraus tut. ...

Dankbarkeit ist vor allen Dingen die Grundstimmung, die den Lehrenden, den Erziehenden durchziehen soll, wenn er in der ersten Lebensepoche bis zum Zahnwechsel der kindlichen Entwickelung gegenübersteht.

Ein neues Element tritt auf in der zweiten Lebensepoche. Diejenige Entwickelung des Kindes, die vor allen Dingen auf das rhythmische System gebaut ist, erfordert, dass alle Tätigkeit des Erziehers einen künstlerischen Charakter hat. Man wird niemals das zustande bringen, was in der Umgebung des Kindes wirken soll, wenn man nicht durchtränken kann die religiöse Stimmung gegenüber dem Kinde, die fortdauern muss, mit einer intensiven Liebe zu unseren Erziehungstaten, unserer Erziehungsaktivität. Denn in dieser Liebe waltet diejenige Kraft, welche den Erzieher zu einer Betätigung führt, welche von dem Kinde ästhetisch-liebend empfunden wird.

Vom Zahnwechsel bis zur Geschlechtsreife ist nichts in das Kind hinein wirksam, das nicht beim Erziehenden getragen ist von der Liebe zur Erziehungstat selber. Was man in Liebe als Erzieher ausführt, das wird von dem Kinde in diesem Lebensalter als etwas empfunden, das es sich aneignen muss, um ein Mensch zu sein.

Von dem Intellekt allein kann keine Erziehungskunst kommen; sondern allein von dem, was die charakterisierte Dankbarkeit und Liebe für das Erziehen offenbaren.

In der Erziehungskunst, welche in der Stuttgarter Waldorfschule versucht wird, sieht man viel mehr darauf, wie der Lehrer ist, als was er intellektualistisch an technischer Handhabung abstrakter Unterrichtsmethoden sich erworben hat. Der Lehrer soll nicht nur das Kind lieben können, sondern er soll seine Methode lieben können, weil im Wirken dieser Methode sich das Kind entwickelt. Auf das letztere kommt es an. In eine Methode verliebt sein, weil sie die eigene ist, taugt nicht für den Erzieher. Er soll an dem, was das Kind wird, seine Methode liebhaben. Kinder liebhaben genügt allein auch nicht für den Lehrer; sondern das Lehren liebhaben, das Erziehen liebhaben, und es liebhaben mit derjenigen Objektivität, die am Kinde sich offenbart, das eignet man sich an, wenn man von einer spirituellen Grundlage für die physische, seelische und moralische Erziehung aus an seine Aufgabe geht. Und wenn man diese rechte Liebe für das Erziehen, für das Unterrichten als Gesinnung hat, dann wird man auch das Kind heranbilden bis zur Geschlechtsreife so, dass man wirklich es der Freiheit, dem freien Gebrauche seiner Intellektualität im weiteren Leben überliefern kann.

Hat man das Kind in religiöser Ehrfurcht empfangen, hat man es in Liebe zu den Erziehungstaten bis zur Geschlechtsreife erzogen, dann kann man auch das rechte Erlebnis dem werdenden Menschen gegenüber haben: ihn in Freiheit als unseresgleichen neben sich zu haben. Ist man dann in der Lage, noch weiter erzieherisch auf den Menschen wirken zu können, so wird man dem frei gewordenen Wesen gegenüber von Intellekt zu Intellekt wirken können. Indem man so erzieht, wie das angedeutet worden ist, indem man vorher nicht antastet, was sich frei entwickeln soll, sondern den Geist stufenweise wach werden lässt durch das, was man als Erzieher tut, wird der Mensch, wenn er geschlechtsreif geworden ist, sein eigenes Wesen als ein erwachendes erleben; und dieser Moment des Erwachens wird der Quell einer Kraft sein, die im ganzen folgenden Leben nachwirkt.

Man soll sich nicht sagen: du sollst dies oder jenes in die Kinderseele hineingießen, sondern du sollst Ehrfurcht vor seinem Geiste haben. Diesen Geist kannst du nicht entwickeln, er entwickelt sich selber. Dir obliegt es, ihm die Hindernisse seiner Entwickelung hinwegzuräumen, und das an ihn heranzubringen, das ihn veranlasst, sich zu entwickeln. Du kannst dem Geist die Hindernisse wegräumen im Physischen und auch noch ein wenig im Seelischen. Was der Geist lernen soll, das lernt er dadurch, dass du ihm diese Hindernisse wegnimmst. Der Geist entwickelt sich auch in allerfrühester Jugend schon am Leben. Aber sein Leben ist dasjenige, das man als Erzieher in seiner Umgebung entfaltet. Die allergrößte Selbstverleugnung ist Aufgabe des Erziehers. Er muss in der Umgebung des Kindes so leben, dass der Kindesgeist in Sympathie das eigene Leben an dem Leben des Erziehers entfalten kann. Man darf niemals die Kinder zu einem Abbild von sich selbst machen wollen. Es soll in ihnen nicht fortleben in Zwang, in Tyrannei dasjenige, was in dem Erzieher selbst war, noch in derjenigen Zeit, in denen sie hinausgewachsen sind über Schule und Erziehung. Man muss so erziehen können, dass man für dasjenige, was aus einer göttlichen Weltordnung neu in jedem Zeitalter in den Kindern in die Welt hereintritt, die physischen und seelischen Hindernisse wegräumt, und dem Zögling eine Umgebung schafft, durch die sein Geist in voller Freiheit in das Leben eintreten kann.

Die drei goldenen Regeln der Erziehungs- und Unterrichtskunst, die in jedem Lehrer, jedem Erzieher, ganz Gesinnung, ganz Impuls der Arbeit sein müssen, die nicht bloß intellektualistisch gefasst werden dürfen, sondern die von dem ganzen Menschen erfasst werden müssen, die müssen sein:

Religiöse Dankbarkeit gegenüber der Welt, die sich in dem Kinde offenbart, vereinigt mit dem Bewusstsein, dass das Kind ein göttliches Rätsel darstellt, das man mit seiner Erziehungskunst lösen soll.

In Liebe geübte Erziehungsmethode, durch die das Kind sich instinktiv an uns selbst erzieht, so dass man dem Kinde die Freiheit nicht gefährdet, die auch da geachtet werden soll, wo sie das unbewusste Element der organischen Wachstumskraft ist.« (GA 305, Vortrag vom 19. August 1922, Dornach 1991, S. 71 ff.)