Zander unterstellt Steiner, er habe Troxler lediglich deshalb in den Vordergrund gespielt, weil dessen Begriff der »Anthroposophie« sich in den theosophischen Vereinsquerelen habe gegen Besant instrumentalisieren lassen.

Auf S. 922 schreibt Zander:

»Im Ersten Weltkrieg häuften sich dann die Bezüge. Der Grund für die Karriere Troxlers liegt in seiner Benutzung des Begriffs ›Anthroposophie‹, und der wiederum wurde auf dem Hintergrund der theosophischen Vereinsquerelen für Steiner zu einem elektrisierenden Stichwort: Am 28. Dezember 1912 hatte er ja die Theosophische Gesellschaft in Anthroposophische Gesellschaft umgetauft. Die Bezüge auf Troxler und dessen Anthroposophie stellte Steiner mithin in dem Augenblick her, als er die Namensgleichheit für die Behauptung einer europäischen Tradition der neu gekürten theosophischen Anthroposophie verwenden wollte und als sein theosophisches Weltbild in seinen Grundzügen ausgebildet war. ...

Doch in den Details brechen die Unterschiede zwischen Troxler und Steiners theosophischem Denken auf. Troxler wies als Quelle der Philosophie ›diesen dem Menschen eingebornen und von dem Menschen aus sich zu entbindenden Geist‹ aus. Bei allen neuplatonischen Anklängen blieb Troxler damit, wie er explizit betonte, der Tradition einer spezifisch christlichen ›Theosophie‹ verpflichtet. Die daraus folgenden Differenzen zur Adyar-Theosophie zeigen sich etwa [sic!] einer Passage aus Troxlers ›Vorlesungen über Philosophie‹ von 1835: ›Wenn es nun höchst erfreulich ist, dass die neueste Philosophie … in jeder Anthroposophie, also in Poesie wie in Historie sich offenbaren muss, emporwindet, so ist doch nicht zu übersehen, dass diese Idee nicht eine Frucht der Spekulation sein kann und die wahrhafte Persönlichkeit oder Individualität des Menschen weder mit dem, was sie als subjektiven Geist oder absolute Persönlichkeit diesem gegenüberstellt, verwechselt werden darf.‹.242

Anmerkung 242: Troxler, Vorlesungen über Philosophie, 101; Zit. bei Steiner GA 35,216.«

Zanders Behauptung: »Die Bezüge auf Troxler und dessen Anthroposophie stellte Steiner mithin in dem Augenblick her, als er die Namensgleichheit für die Behauptung einer europäischen Tradition der neu gekürten theosophischen Anthroposophie verwenden wollte ...« ist aus der Luft gegriffen. Warum häufen sich Steiners Bezüge auf Troxler erst während des Ersten Weltkriegs und danach und nicht bereits 1912, wenn er diesen als Waffe gegen die Adyar-Theosophie benutzen wollte und diesen nachweislich bereits 1906 kannte? Hätte er dann nicht bereits 1912/13 diese Bezüge deutlich herausgestellt? Und hätte er dann nicht ebenso wie an der »ätherischen Wiederkehr Christi« – wie Zander mehrfach behauptet – 1916 längst das Interesse an Troxler verloren haben müssen, da die Notwendigkeit, sich gegen die Adyar-Theosophie abzugrenzen, längst passé war?

Zander erweckt im übrigen den Eindruck, als habe er Troxlers »Vorlesungen über Philosophie« im Original gelesen, zitiert jedoch samt Auslassungszeichen nur das verstümmelte Zitat, das in GA 35 abgedruckt ist.

Im Original der Berner Ausgabe 1843 lautet der Satz auf S. 101 jedenfalls wie folgt [Auslassung unterstrichen]:

»Wenn es nun höchst erfreulich ist, dass die neueste Philosophie, welche wir längst als diejenige anerkannt haben, die alle lebendige Religion begründet, und in jeder Anthroposophie, also in Poesie, wie in Historie sich offenbaren muss, emporwindet, so ist doch nicht zu übersehen, dass diese Idee nicht eine Frucht der Spekulation sein kann, und die wahrhafte Persönlichkeit oder Individualität des Menschen weder mit dem, was sie als subjektiven Geist, noch mit dem , was sie als absoluten Geist oder absolute Persönlichkeit diesem gegenüberstellt, verwechselt werden darf.

Hätte Zander das Original dieses Textes gelesen, hätte er wohl kaum ausgerechnet unter Berufung auf dieses Zitat – behaupten können, Troxler sei »der Tradition einer spezifisch christlichen ›Theosophie‹ verpflichtet« gewesen, denn dann hätte Troxler wohl kaum schreiben können: »die neueste Philosophie« sei von ihm »längst als diejenige anerkannt« worden, »die alle lebendige Religion begründet«.

Im übrigen zitiert Troxler an dieser Stelle Paracelsus. Er schreibt:

»›Der Mensch‹, wie Hohenheim ferner sagt, ›erfindet nichts, und der Teufel kann nichts erfinden. Gott ist es allein, der uns Alles durch das Licht der Natur offenbart. Gott bleibt in allen Dingen der oberste Skribent, der erste, der höchste, und unser aller Text. Der Geist, der von demselben ausgeht, wird uns, wie die Schrift sagt, in alle Wahrheit führen, und alle Dinge lehren.‹

Und diesen dem Menschen eingeborenen und von dem Menschen aus sich zu entbindenden Geist Gottes halten auch wir für die einzige Quelle der Philosophie; denn dieser Geist in dem Menschen ist das sich selbst beleuchtende und erschauende Lichtleben oder Seelwesen, das Ewige und Alleine der menschlichen Erkenntnis, welches von dem Philosophen vor allem aus anerkannt werden muss. Der neueren Philosophie hat es daher besonders am Erkennen des menschlichen Erkennens gefehlt.« (Naturlehre des menschlichen Erkennens, Neuausgabe Troxler Verlag Bern 1944, S. 27).

Zanders gesamte Argumentation weist eine Reihe weiterer Inkonsistenzen auf. Es ist nicht ersichtlich, warum Troxlers Aussage, die Quelle der Philosophie sei der »dem Menschen eingeborene und von dem Menschen aus sich zu entbindende Geist« eine Differenz zu Steiners theosophischem Denken darstellen soll, warum Steiners Denken ausgerechnet im Kontext einer Distanzierung von der Adyar-Theosophie »adyar-theosophisch« sein soll und inwiefern der von Zander zitierte Text Troxlers im Widerspruch zu einer adyar-theosophischen Position stehen soll.

Was die Bezugnahme Steiners auf Troxler im Jahr 1916 anbetrifft, so führt ihn jener nicht als Gewährsmann gegen die Adyar-Theosophie ins Feld, sondern als Zeugen dafür, dass »im Lauf der neueren Zeit deutlich das Bestreben auftritt« zu der von ihm vertretenen Geisteswissenschaft zu kommen. Im übrigen enthält die Bezugnahme Steiners auf Troxler in diesem Text die Pointe, dass Steiner auf Troxlers Defizite hinweist und darauf, dass er gegenüber der Philosophie J. G. Fichtes, Schellings und Hegel nicht einen »Fortschritt, sondern einen Rückschritt« darstelle.

Steiner schreibt 1916:

»So wenig nun eine Geisteswissenschaft mit solchen Zielen mit älteren Weltanschauungsrichtungen, wie der Gnosis und ähnlichem, verwechselt werden darf, so ist doch die Tatsache vorhanden, dass im Laufe der neueren Zeit deutlich das Bestreben auftritt, zu ihr zu kommen, dass sie nicht also wie ein willkürlich Ersonnenes in der Gegenwart auftritt, sondern wie eine Erfüllung von Hoffnungen, die im geistigen Entwickelungsprozess des Abendlandes zu bemerken sind. Um dies zu belegen, ließe sich vieles anführen. Es sollen hier aber nur zwei Beispiele gebracht werden, welche zeigen, das ›Anthroposophie‹ etwas ist, woran seit lange gedacht wird.

Troxler, ein viel zu wenig gewürdigter Denker aus der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, gab 1835 ›Vorlesungen über Philosophie‹ heraus. Darin findet sich der Satz: ›Wenn es nun höchst erfreulich ist, dass die neueste Philosophie, die... in jeder Anthroposophie, also in Poesie, wie in Historie, sich offenbaren muss, emporwindet, so ist doch nicht zu übersehen, dass diese Idee nicht eine Frucht der Spekulation sein kann, und die wahrhafte Persönlichkeit oder Individualität des Menschen weder mit dem, was sie als subjektiven Geist oder endliches Ich aufstellt, noch mit dem, was sie als absoluten Geist oder absolute Persönlichkeit diesem gegenüberstellt, verwechselt werden darf.‹

Und was er über diese seine Idee einer Anthroposophie vorbringt, ist bei Troxler angeschlossen an Sätze, die deutlich zeigen, wie er der Annahme von Wesensgliedern der Menschennatur über den physischen Leib hinaus nahe steht. Sagt er doch: ›Schon früher haben die Philosophen einen feinen, hehren Seelenleib unterschieden von dem gröberen Körper, oder in diesem eine Art von Hülle des Geistes angenommen, eine Seele, die ein Bild des Leibes an sich habe, das sie Schema nannten, und das ihnen der innere höhere Mensch war.‹

Der Zusammenhang, in dem diese Worte bei Troxler stehen, und dessen ganze Weltanschauung bezeugen, dass man bei ihm Bestrebungen sehen darf, die sich durch eine Geisteswissenschaft im Sinne dieser Schriften erfüllen lassen. Nur weil Troxler nicht in der Lage ist, zu erkennen, dass Anthroposophie nur möglich ist durch Entwicklung von Seelenfähigkeiten in der Richtung wie diese Schrift dies andeutet, fällt er mit seinen eigenen Anschauungen in Gesichtspunkte zurück, die gegenüber dem von J. G. Fichte, Schelling, Hegel errungenen nicht ein Fortschritt, sondern ein Rückschritt sind. (Vgl. mein Buch: ›Die Rätsel der Philosophie‹.)«

Rudolf Steiner: »Die Aufgabe der Geisteswissenschaft und deren Bau in Dornach« (April 1916), in GA 35, Dornach 1965, S. 215-217.

Skandalös ist Zanders Auseinandersetzung mit dem Thema »Rudolf Steiner und die Freimaurerei«, das in das umfangreiche Kapitel »Esoterische Schule« gehört. Zander konzentriert sich nahezu ausschließlich auf Rituale und Zeremonien und wischt die auf rund 3000 Seiten der Gesamtausgabe dokumentierten Inhalte der »Esoterischen Schule« mit der Bemerkung, dass es sich um »ausufernde Erläuterungen« handle, beiseite. Diese skandalöse Bemerkung ist der Kategorie »zertrümmerter Kontext« zuzurechnen.

Auf S. 995 schreibt Zander:

»In GA 265 dürften, wenn man Steiners ausufernde Erläuterungen aus den ›Instruktionsstunden‹ abzieht, vielleicht drei Dutzend großzügig bedruckte Textseiten zur Organisation der Rituale  ... übrigbleiben.«

Vielleicht hatte Zander einfach keine Lust, vielleicht war er auch überfordert, sich mit den in den Bänden 93, 264, 265 und 266, 1-3 enthaltenen Inhalten der »Esoterischen Schule« auseinanderzusetzen, die von 1904-1914 bestand. Als »wissenschaftlich« kann man diese Art der Auseinandersetzung jedenfalls nicht bezeichnen.

So wie die ideellen Inhalte der Anthroposophie versucht Zander auch die architektonischen und gestalterischen Motive in Steiners Werk aus irgendwelchen zeitgenössischen Vorbildern zu »erklären«. Das »Vorbild« für die Kapitellformen des Goetheanumbaus will er in den Proszeniumsbögen des Münchner Schauspielhauses gefunden haben. Ähnlich will er in Haeckels Quallenbildern Vorbilder für Steiners Planetensiegel erkannt haben. Ein weiteres Beispiel für Dekontextualisierung.

Auf S. 1071 schreibt Zander:

»Das kunsthistorische Vorbild für die Kapitellformen der hängenden Tropfen [Abb. 1], das sich wie ein Leitmotiv durch die Münchener Ausstattung (es findet sich beispielsweise auch auf der Kleidung der ›Demeter‹ in Schurés Mysterientheaterstück) [... sic!], war bislang unbekannt.

Es stammt aber nicht aus ›esoterischen‹ Traditionen oder Milieus, sondern aus dem unmittelbaren Münchener Umfeld: Es handelt sich um die friesartige Kapitellzone im Münchener Schauspielhaus (seit 1926: Kammerspiele), dem von Richard Riemerschmidt im floralen Jugendstil 1900 / 1901 gestalteten Theater. [Abb. 2.] Riemerschmidts Umbau wurde reichsweit bewundert. Er galt schon den Zeitgenossen als ein Meisterwerk des Jugendstils und besaß in seiner ›amphiatralischen‹, auf Egalität zielenden Innenarchitektur ein avantgardistisches Konzept, das ebenfalls im Johannesbau wieder auftauchte. In diesem Raum hatten auch Aufführungen von Steiners Mysterienspielen stattgefunden (s. 11.2.2); er und seine Anhänger und Anhängerinnen haben das Schauspielhaus mit Sicherheit gekannt.«

Abbildung 1, Steiners Sonnenkapitell ↓

Abbildung 2, Riemerschmidts Proszeniumsbogen ↓

Und auf S. 1073:

»Daneben fand sich im Programmbuch zum Münchener Kongress eine weitere Siegelreihe mit biomorphen Motiven. Sie sind vor allem aus kunsthistorischen Gründen interessant, da sie wie vereinfachte Umzeichnungen von Haeckels Quallen aussehen und von diesem Steiner gut bekannten Oeuvre auch abhängen dürften [Abb. 3 und Abb. 4].«

Abbildung 3, Steiners Mondsiegel ↓

Abbildung 4, Haeckels Quallen ↓

Für seinen vermeintlichen Nachweis greift Zander eines der sieben Kapitellmotive heraus, auf dem eine tropfenartige Form zu sehen ist und versieht es in seiner Bildlegende mit der allgemeinen Bezeichnung »Planetensäule«, was den unkundigen Leser völlig in die Irre führt. Zander hätte ebensogut das Cadeceus-Motiv der Merkursäule heranziehen können, ohne dass er sich dafür weit nach historischen Vorbildern hätte umsehen müssen.

Diese Methode, die Zander auch bei den Siegelvignetten bemüht, bleibt unter dem Elementarniveau einer brauchbaren kunstwissenschaftlichen Herleitung, weil Zander lediglich einzelne Motive oder motivische Elemente aus einem komplexen Bestand herausgreift, ohne dabei zugleich auch deren Status im Ganzen zu ermitteln und daraufhin die bloße Ähnlichkeit zu Formen aus anderen, nicht weniger komplexen Zusammenhängen als hinreichend für die Behauptung einer faktischen Abhängigkeit betrachtet. Während somit auf der einen Seite punktuell herausgegriffen wird, muss das herausgegriffene Motiv auf der anderen Seite wiederum so unspezifisch sein (z.B. »Tropfen«, »zentriert«, »organisch«) um Vergleichbares zu finden  und vermeintliche Anhängigkeiten postulieren zu können.

Zander bleibt sich auch in seinen »kunsthistorischen« Betrachtungen treu, denn er iteriert hier lediglich die von ihm praktizierte Patchwork-Methode, die er auch in allen anderen Bereichen angewandt hat, um anschließend zu behaupten, Steiner habe diese »Methode« angewandt. Der scheinbare Befund seiner Analyse ist in Wahrheit das Ergebnis einer systematisch durchgeführten, entweder bewussten oder unbewussten Projektion.

Hier findet, wie auch in allen anderen Fällen, eine von Zander verfasste, auf Steiner gemünzte, aber Zander selbst entlarvende Charakterisierung ihre Anwendung, die hier nur ein wenig umformuliert werden muss:

Die Methode von Zanders Konstruktion lässt sich aufgrund der selten deutlichen Lage bei der Rezeption der Bildmotive genauer als an vielen anderen Stellen bestimmen (und deren Ergebnisse gelten m. E. nicht nur für diese).

Zanders Behauptungen über Steiners Anschlüsse an Riemerschmidt und Haeckel sind homologe Interpretationen analoger Phänomene.

Zander amalgamiert keineswegs beliebige Versatzstücke, sondern wählt gezielt ›augenscheinlich‹ adaptierbare Vorstellungen wie die ›Tropfenform‹ oder die ›Quallenform‹ aus. Diese an der Gegenstands›oberfläche‹ sichtbaren Übereinstimmungen kontrolliert Zander aber nicht auf ihre Reichweite in die Tiefe der ikonografischen und morphologischen Kontexte hinein. Die materialen Differenzen innerhalb formaler Übereinstimmungen bleiben damit ausgeblendet, mögliche Widersprüche kommen – ob bewusst oder unbewusst, bleibe dahingestellt – nicht in den Blick.

Aus Überschneidungen formaler Details folgert Zander die grundsätzliche Integrationsfähigkeit Steiners in die Bilderwelt und Motivsprache der von ihm ausgesuchten Vorbilder, aus strukturellen Ähnlichkeiten werden materiale Übereinstimmungen.

Je weiter man sich allerdings von den Ähnlichkeiten an der ›Oberfläche› entfernt, um so schmaler werden die Segmente möglicher Übereinstimmungen. Weil keine Homologien mehr vorliegen, und dies ist bei Steiners Siegeln und Kapitellen der Fall, deutet Zander analog interpretierbare Elemente in Homologien um.

Im Original lautet Zanders Text wie folgt:

»Die Methodik von Steiners Traditionskonstruktion lässt aufgrund der selten deutlichen Lage bei der Rezeption Troxlers genauer als an vielen anderen Stellen bestimmen (und deren Ergebnisse gelten m. E. nicht nur für die naturphilosophische Dimension). Steiners Anschlüsse an Troxler sind homologe Interpretationen analoger Phänomene. Steiner amalgamierte keineswegs beliebige Versatzstücke, sondern wählte gezielt ›augenscheinlich‹ adaptierbare Vorstellungen wie den wortgleichen Anthroposophiebegriff oder die strukturelle Ähnlichkeit im Menschenbild aus. Diese an der Gegenstands›oberfläche‹ sichtbaren Übereinstimmungen kontrollierte Steiner aber nicht auf ihre Reichweite in die Tiefe von Troxlers Vorstellungen hinein. Die materialen Differenzen innerhalb formaler Übereinstimmungen blieben damit ausgeblendet, mögliche Widersprüche kamen – ob bewusst oder unbewusst, bleibe dahingestellt – nicht in den Blick.

Aus Überschneidungen formaler Details folgerte Steiner die grundsätzliche Integrationsfähigkeit  Troxlers, aus strukturellen Ähnlichkeiten wurden materiale Übereinstimmungen. Je weiter man sich allerdings von den Ähnlichkeiten an der ›Oberfläche‹ entfernt, um so schmaler werden die Segmente möglicher Übereinstimmungen. Weil keine Homologien mehr vorliegen, und dies ist bei Troxlers Anthroposophiebegriff und seiner Anthropologie der Fall, deutete Steiner analog interpretierbare Elemente in Homologien um.«

Vgl. Anthroposophie in Deutschland, S. 924

Zander überhöht durch seine dekontextualisierende Interpretation die Bewegungskunst der Eurythmie zu einer Offenbarung, ja sogar zu einem »Agens für die Erlösung der Menschheit«. Er unterstellt Steiner, dieser habe die Eurythmie religiös aufgeladen.

Auf S. 1191-92 schreibt Zander:

»Konsequenterweise versah Steiner die Eurythmie mit einem zentralen Legitimationsbegriff der clairvoyanten Erkenntnis, er bezeichnete sie – explizit und an vielen Stellen – als Offenbarung.57 Mit dieser religiösen Deutung wurde sie zum Agens für die ›Erlösung der Menschheit‹ (GA 277a, 54 [1914]).

Anmerkung 57:

Exemplarisch Steiner in: Steiner: Der künstlerische Impuls, 173 (3.5.1924).«

Abgesehen davon, dass der Begriff der »Offenbarung« kein exklusiver »Legitimationsbegriff der clairvoyanten Erkenntnis« ist – stammt er doch aus dem Kontext der Offenbarungsreligionen, wo er die historische und soziale Legitimität dieser Religionen begründen soll – , gibt es auch einen säkularisierten Begriff der Offenbarung, an den Steiner in seiner Kunsttheorie anschließt, dessen historischer Referenzpunkt für ihn Goethe ist. Oft genug zitiert er Goethes »Sprüche in Prosa«: »Das Schöne ist eine Manifestation geheimer Naturgesetze, die uns ohne dessen Erscheinung ewig wären verborgen geblieben« sowie »Wem die Natur ihr offenbares Geheimnis zu enthüllen anfängt, der empfindet eine unwiderstehliche Sehnsucht nach ihrer würdigsten Auslegerin, der Kunst.«

Ebenso oft bezieht er sich auf Goethes Ausführungen über Winckelmann, in dem er vom Schönen als einer Offenbarung dieser geheimen Naturgesetze spricht. Goethe schreibt in »Winckelmann und sein Jahrhundert«:

»Das letzte Produkt der sich immer steigernden Natur ist der schöne Mensch. Zwar kann sie ihn nur selten hervorbringen, weil ihren Ideen gar viele Bedingungen widerstreben, und selbst ihrer Allmacht ist es unmöglich, lange im  Vollkommnen zu verweilen, und dem hervorgebrachten Schönen eine Dauer zu geben. Denn genau genommen kann man sagen, es sei nur ein Augenblick, in welchem der schöne Mensch schön sei.

Dagegen tritt nun die Kunst ein, denn indem der Mensch auf den Gipfel der Natur gestellt ist, so sieht er sich wieder als eine ganze Natur an, die in sich abermals einen Gipfel hervorzubringen hat. Dazu steigert er sich, indem er sich mit allen Vollkommenheiten und Tugenden durchdringt, Wahl, Ordnung, Harmonie und Bedeutung aufruft, und sich endlich bis zur Produktion des Kunstwerkes erhebt, das neben seinen übrigen Taten und Werken einen glänzenden Platz einnimmt. Ist es einmal hervorgebracht, steht es in seiner idealen Wirklichkeit vor der Welt, so bringt es eine dauernde Wirkung, es bringt die höchste hervor: denn indem es aus den gesamten Kräften sich geistig entwickelt, so nimmt es alles herrliche, verehrungs- und liebenswürdige in sich auf und erhebt, indem es die menschliche Gestalt beseelt, den Menschen über sich selbst, schließt seinen Lebens und Tatenkreis ab und vergöttert ihn für die Gegenwart, in der das Vergangene und Zukünftige begriffen ist. Von solchen Gefühlen wurden die ergriffen, die den olympischen Jupiter erblickten, wie wir aus den Beschreibungen, Nachrichten und Zeugnissen der Alten uns entwickeln können. Der Gott war zum Menschen geworden, um den Menschen zu Gott zu erheben. Man erblickte die höchste Würde und ward für die höchste Schönheit begeistert.« (Goethe, »Winckelmann und sein Jahrhundert«, Münchner Ausgabe 1989, Bd. 6.2., S. 355)

Daneben offenbart sich für Steiner die Seele des Menschen auch im Sprechen, in allen artikulierten Äußerungen, ohne dass dieser Offenbarung ein religiöser Sinn unterlegt würde.

Auch die Belege, die Zander anführt, decken seine weitreichenden Behauptungen nicht ab.

In Anmerkung 57 verweist er auf eine Publikation »Der künstlerische Impuls«, die sich in der Gesamtausgabe nicht findet und die Rede von der »Erlösung der Menschheit« durch die Eurythmie, die angeblich in GA 277 steht, handelt zwar von einer Erlösung, aber nicht von der totalen »Erlösung der Menschheit«, sondern von der »Erlösung des Denkens«, die für Steiner darin besteht, dass »das menschliche Denken«, der menschliche Gedanke »aus seiner gegenwärtigen Erstarrung, aus seinem Eingefrorensein« durch die Eurythmie befreit wird. Der Text der betreffenden Ansprache vom 21.01.1914 lautet wie folgt:

»Meine lieben Freunde!

Vielleicht werden Sie einen gewissen Zusammenhang herausfinden zwischen demjenigen, was ich gestern Abend von intimen Angelegenheiten des menschlichen Denkens gesagt habe, und dem, was unsere jetzige Darstellung sein soll. Eine fundamentale Forderung für die Denk- und Weltanschauungsgesundung unserer Zeit sollte gestern Abend einmal dargestellt werden: die Möglichkeit, wieder das menschliche Denken, den menschlichen Gedanken aus seiner gegenwärtigen Erstarrung, aus seinem Eingefrorensein in Bewegung zu bringen. Wenn wir in diesen Tagen öfter und mehr, als es uns recht sein konnte, genötigt waren, hinzuweisen auf die Schäden des erstarrten Denkens, so hat die Empfindung, die sich knüpft an einen solchen Hinweis, wahrhaftig nicht nötig, irgend etwas in sich zu schließen, was Hochmut oder Überhebung ist über dasjenige, was in unserer Zeit durch den erstarrten, durch den sich nicht zur Bewegung, zur Beweglichkeit aufraffenden Gedanken hereingekommen ist. Denn alles dasjenige, was wir besprechen mussten, hat eine ernste, tragische Seite.

Meine lieben Freunde! Zu den signifikantesten Symptomen unserer Zeit gehört das jetzt von mir öfter erwähnte Buch, dessen dritten Band ich hier in der Hand habe: ›Kritik der Sprache‹ von Fritz Mauthner. In diesem Buch ist, wie ich Ihnen gesagt habe, viel Treffliches enthalten, allein es ist zugleich ein Ausfluss des unendlich traurigen, erstarrten Denkens unserer Zeit. Und wie traurig es ist, das entnehmen Sie aus den wenigen Worten, die auf der allerletzten Seite des dritten Bandes, auf der letzten Seite der drei Bände stehen als das Resultat, das Ergebnis einer ersten, aber eben im tragischen Sinne unserer Zeit gehaltenen Kritik der Sprache, die doch sein sollte eine Kritik aller Weisheit und Erkenntnis:

›So steht denn die Menschheit mit ihrer unstillbaren Sehnsucht nach Erkenntnis in der Welt, ausgerüstet allein mit ihrer Sprache. Die Worte dieser Sprache sind wenig geeignet zur Mitteilung, weil Worte Erinnerungen sind, und niemals zwei Menschen die gleichen Erinnerungen haben. Die Worte der Sprache sind wenig geeignet zur Erkenntnis, weil jedes einzelne Wort umschwebt ist von den Nebentönen seiner Geschichte. Die Worte der Sprache sind endlich ungeeignet zum Eindringen in das Wesen der Wirklichkeit, weil die Worte nur Erinnerungszeichen sind für die Empfindungen unserer Sinne, und weil diese Sinne Zufallssinne sind, die von der Wirklichkeit wahrlich nicht mehr erfahren als eine Spinne von dem Palaste, in dessen Erkerlaubwerk sie ihr Netz gesponnen hat.

So muss die Menschheit ruhig daran verzweifeln, jemals die Wirklichkeit zu erkennen. Alles Philosophieren war nur das Auf und Ab zwischen wilder Verzweiflung und dem Glücke der ruhigen Illusion. Die ruhige Verzweiflung allein kann nicht ohne dabei über sich selbst zu lächeln den letzten Versuch wagen, sich das Verhältnis des Menschen zur Welt bescheidentlich klar zu machen durch Verzichten auf den Selbstbetrug, durch das Eingeständnis, dass das Wort nicht hilft, durch eine Kritik der Sprache und ihrer Geschichte. Das wäre freilich die erlösende Tat, wenn die Kritik geübt werden könnte mit dem ruhig verzweifelnden Freitode des Denkens oder Sprechens, wenn sie nicht geübt werden müsste mit scheinlebendigen Worten ... ‹

Meine lieben Freunde! Nicht von mir ausgesprochen, von dem Manne ausgesprochen, der in seiner Art sich bemüht hat, den Sinn unserer Zeit zu enträtseln, haben Sie hier die ganze Verzweiflung an dem geistigen Gehalt unserer Zeit ausgedrückt, die ganze Verzweiflung zu nichts anderem kommen zu können als zu dem Eingeständnis, ›daß das Wort nicht hilft, durch eine Kritik der Sprache und ihrer Geschichte. Das wäre freilich die erlösende Tat, wenn die Kritik geübt werden könnte mit dem ruhig verzweifelnden Freitode des Denkens oder Sprechens, wenn sie nicht geübt werden müsste mit scheinlebendigen Worten.‹

An solche Dinge musste man denken, als jetzt vor mehr als einem Jahr es möglich wurde, weil ich zunächst die geeignete Persönlichkeit in Fräulein Smits fand, den Versuch zu machen, aus dem Born des schöpferischen Gedankens der Welt heraus, aus den Quellen heraus, in denen der Logos, das Wort schöpferisch in der Welt sich betätigt, dasjenige zu suchen im menschlichen Ätherleib, woran unsere Zeit noch nicht glaubt, was auch im Äußeren aus diesem ruhenden Menschenleibe heraus jene Gebärde aufruft, welche der Ausdruck davon ist, dass nicht der Tod eingeprägt ist dem menschlichen Leibe, sondern das Leben. Die kurze Zeit, die seither verflossen ist, hat ja vielen unserer Freunde schon gezeigt, in Köln und in Leipzig, dass widerlegt werden kann der Glaube an das Nicht-Dasein des Ätherleibes, denn das, was als Geheimnis in der menschlichen Sprache ruht, so drinnen ruht, dass es Leben gewinnen kann, wenn der menschliche Leib zum Ausdruck der naturgemäßen Gesetze des menschlichen Ätherleibes wird, wurde Ihnen vorgeführt und wird Ihnen nun auch in dieser Stunde vorgeführt werden.

Sie werden sehen, dass in Bewegung übergehen kann das Erhabenste, zu dem sich menschliches Wort erheben kann. Haben Sie gestern gesehen, wie erhabenste Worte, zu denen sich irdisches Denken und irdisches Sprechen durchgerungen haben, umgesetzt werden in Bewegungen, welche in uns wirklich die Ahnung hervorrufen: Ja, es gibt eine Fortsetzung desjenigen, was die Menschheit immer in der Kunst gewollt hat, ein Sprechen des menschlichen Leibes selbst, das tief ins Herz uns dringen kann ..., so werden Sie das auch heute sehen, wo Ihnen vorgeführt werden soll aus der Sprache des menschlichen Schaffens heraus solch ein bedeutendes Gedicht wie Hölderlins ›Schicksalslied‹, wie ein anderes, das in russischer Sprache gesprochen wird, oder solche bedeutsamen Dinge, wie die drei Büßerinnen aus Goethes ›Faust‹, die Sie im Verlauf der heutigen Vorführungen sehen werden. Sie werden sogar eine Szene aus dem Evangelium sehen, von der man den Eindruck bekommen kann, wie selbst unendlich Erhabenstes wunderbar vor uns hingestellt werden kann, wenn es in jene Bewegungen überfließt, die den natürlichen Gesetzen des menschlichen Ätherleibes entsprechen.

Diejenigen unter uns, die künstlerische Sehnsuchten empfinden, mögen aus dem, was hier zunächst nur versucht ist, was wie ein Anfang hingestellt ist, den Mut und die Hoffnung schöpfen, dass die Kunst in neuer Gestalt und Metamorphose wirklich von unserer Zeit hervorgebracht werden kann. Und diejenigen, welche heute der Anschauung sind, dass in alles Leben das hineinfließen muss, was wir wollen, mögen hier ein solches Gebiet des Lebens, ein solch gesundes Gebiet des Lebens erblicken, denn nichts wäre schöner, als wenn möglichst viele Freunde, wenn recht viele Anthroposophen sich bemühen würden, dass diese mit den naturgemäßen weltgesetzlichen Bewegungen des ätherischen Menschenleibes zusammenhängenden Ausdrucksformen, die zu Tanzbewegungen werden, als ein gesundendes Element in die menschliche Kultur einströmen.

Man erlebt so viele Sehnsuchten in unserer Zeit. Was alles wird in unserer Zeit gemacht von allerlei gymnastischen Tanz- und Sprachübungen bis zu einer aussichtslosen Erneuerung der Olympischen Spiele und so weiter, alles hervorgehend aus der Unmöglichkeit des menschlichen Denkens, etwas Neues zu schaffen. Sehen wir aber in alledem die Sehnsucht nach einem lebendigen Beweise dessen, was der Mensch aus den Quellen der Ewigkeit in sich hat. Mögen unsere Anthroposophen es in rechter Stunde einsehen, dass sie hier etwas haben, was sie wirklich hinaustragen können ins Leben, was gesundend wirken wird. Schon im frühesten Kindesalter wird durch die entsprechenden Übungen der kindliche Organismus so in die naturgemäßen Bewegungen des Ätherleibes sich hineinfinden, dass er Gesundheit und gesundende Kraft für sein ganzes Leben hinüberträgt. Aber nicht nur im physischen Sinne gilt das, sondern es werden sich Menschen, die später auf die Sache zurückblicken werden, sagen müssen, dass nicht nur physische, sondern auch moralische Kräfte gewonnen werden für das Leben.

Wichtig ist es, dass die hohen und erhabenen Gedanken von früh auf in den menschlichen Ätherleib hineinstrahlen, dass der Mensch eins wird damit; dann wird sein ganzes Wesen schon vom Ätherleibe aus durchdrungen mit gesundem moralischem Fühlen und moralischem Denken. Und von dem, wie sich der Leib bewegen wird, wird ein Abdruck werden in der Zukunft dasjenige, was der Mensch mit seinem Kehlkopf sprechen wird, denn nur aus den gesund gemachten Leibern werden auch wieder schöne, gesunde Stimmen hervorgehen, und nicht mehr werden wir genötigt sein zu demjenigen, wozu wir heute gezwungen sind, zu unserem jämmerlichen Gekrächze, mit dem wir die erhabenen Wahrheiten mit verstimmten Stimmen mitteilen müssen. Endlich wird die Zeit kommen, in welcher dasjenige, was aus den ewigen Gesetzen des Äthers herausgewellt ist, übergehen wird bis in das hinein, wo es heute so wenig vorhanden ist, dass einer, der in dem heute charakterisierten Sinne es erfasst, nur zu der Aussicht auf den Freitod aller Erkenntnis kommen konnte!

Ja, auch in dieses Gebiet hinein wird sich das erstrecken, was wir suchen, in das hinein, was man den menschlichen Gedanken nennt, so dass zuletzt auch unsere Gedanken lernen, künstlerisch sich zu bewegen. Dann wird die Erlösung der Menschheit auf diesem einen Gebiet vor uns stehen. Oh, wenn uns in diesen Tagen öfters vorgeworfen worden ist, wir schlössen uns nicht in richtiger Weise dem Geiste an, der aus der tiefsten Erkenntnisohnmacht unserer Zeit bis zur Krankhaftigkeit das unendlich Traurige, das Erstarrte alles Denkens und Empfindens unserer Zeit gegenüber aller Philosophie und Weltanschauung in sich selber erlebt hat, dass wir nicht richtig im Nietzscheschen Sinne Nietzsche verständen, Nietzsche, von dem wir vor allen Dingen lernen wollen, nicht wie man es erreichen kann, sondern wie man verzweifeln kann, krank werden kann an Philosophie und Weltanschauung der Gegenwart, bis zu dem Grade, bis zu dem Nietzsche krank wurde -, dann wollen wir aber auch hinschauen auf ihn, nicht da, wo seine Gedanken ihre ja noch von der Gegenwart infizierte Form angenommen haben, sondern hinschauen auf das, was er hinzustellen versuchte aus seiner unklaren Sehnsucht heraus, die zugleich aber doch auch die Sehnsucht der Zeit ist. Demjenigen in unserer Zeit, was zu dem furchtbaren Bild des  Freitodes kommt, versuchte er gegenüberzustellen in seinem «Also sprach Zarathustra » sein Ideal. Nietzsche versuchte hinzustellen abgesehen von allen Gedanken, die darin stehen das  Bestreben, sich in den Rhythmus,  in  die  Bewegungen  des  Zarathustra  zu  versetzen, in den ganzen künstlerischen Bewegungsklang und -sang. In all das, was darinnen harmonisierend und melodisierend ist, versuchen Sie nun, sich hinein zu versetzen, und dann zu fühlen, was in Nietzsche lebte, als er das eine Wort empfand, das in ihm lebte, in dem, was er nicht konnte, in dem, was er wollte, wonach er bis zur Krankheit sich sehnte und was sich ihm auspresste in der Empfindung : Zarathustra. Ihn stellt er als Ideal des Erkennenden hin, ihn, der in solch musikalisch-tanzhafter Weise versuchte, die menschlichen Begriffe und Ideen und Vorstellungen wieder zu beleben. Und dann atmete er das aus, was da in seiner starken Sehnsucht lebte: Zarathustra ist ein Tänzer.

Vielleicht ist das auch ein Verständnis, das man diesem Geiste entgegenbringt, wenn man versucht, unsere Weltanschauung so ins Leben einzuführen, wie wir versuchen wollen mit demjenigen, was heute den Beginn unserer Auseinandersetzungen ausmacht.«

GA 277a, Dornach 1998, S. 53 f.

Zander unterstellt Steiner, er habe durch Hinweise auf die »Akasha-Chronik« die »Anciennität« der Eurythmie nachweisen wollen. Die von ihm angeführten Hinweise dienten entweder einem gänzlich anderen Zweck oder stammen nicht von Steiner. Ein weiteres Beispiel für Dekontexualisierung.

Auf S. 1192 schreibt Zander:

»Die Akasha-Chronik als Referenz findet sich möglicherweise ausschließlich vor dem Krieg und diente dem Anciennitätsnachweis der Eurythmie, deren Wurzeln in alte Bewusstseinsepochen verlagert wurde.«

Er verweist auf zwei Fundstellen in GA 277a: S. 9 und S. 154 f.

Keine der Erwähnungen der Akasha-Chronik in GA 277a dient dem von Zander unterstellten »Anciennitätsnachweis« der Eurythmie. Bei der ersten Fundstelle handelt es sich um den berühmten Bericht von Lory Maier-Smits über die Entstehung der Eurythmie. Die zweite Fundstelle wurde von den Herausgebern in GA 277a eingefügt.

Eine dritte Fundstelle, die Zander nicht erwähnt, handelt von der Entstehung gewisser ornamentaler Motive an griechischen Tempelfriesen.

Im Bericht von Lory Maier-Smits heißt es unter anderem:

»Meine Mutter hat mir oft und ausführlich erzählt, wie aus diesem Gespräch, das unter dem Schatten eines ihr kaum fasslichen, viel zu frühen Todes begann, mehr und mehr zukunftfrohes, hellstes Leben erblühte. Wie Rudolf Steiner davon gesprochen habe, dass er schon lange diese neue, wie sie richtig gefühlt habe, auf ätherischen Bewegungsimpulsen beruhende Bewegungskunst erstrebt habe, weil er sie mehr und mehr für lebensnotwendig für das Ganze der anthroposophischen Erkenntnis halte, aber man sei auf seine Anregungen bisher nicht eingegangen. Und doch brauche er selbst diese neue Bewegungskunst, zum Beispiel dann, wenn Dinge an die Menschen herangebracht werden sollten, die so tief seien, dass man sie überhaupt nicht in Worte fassen könnte, auch solche, die entweder von den Zuhörern eine kaum aufzubringende Konzentrationsfähigkeit oder von ihm selbst lange, umständliche und zeitraubende Ausführungen verlangten. Dann  sollte  diese  neue  Kunst  einsetzen  und  an andere Erkenntnismöglichkeiten appellierend, den Menschen ein Verständnis auch solcher Wahrheiten vermitteln.

›Es wird sich aber um das Wort, nicht um Musik handeln!‹

Um ihr ein Verständnis für diese damals immerhin ungewohnte Vorstellung zu erleichtern, habe er ihr folgende Stelle aus  der ›Akasha-Chronik‹ gezeigt mit  Schilderungen gewisser Maßnahmen am Ende der lemurischen Zeit, durch welche eingeweihte Führer eine auserlesene Menschengruppe als Stamm der kommenden atlantischen Rasse herangebildet hätten.

›Die Akasha-Chronik zeigt auf diesem Gebiete schöne Szenen. Es soll eine solche beschrieben werden. Wir sind in einem Walde, bei einem mächtigen Baum. Die Sonne ist eben im Osten aufgegangen. Mächtige Schatten wirft der palmenartige Baum, um den ringsherum die anderen Bäume entfernt worden sind. Das Antlitz nach Osten gewendet, verzückt, sitzt auf einem aus seltenen Naturgegenständen und Pflanzen zurecht gemachten Sitz die Priesterin. Langsam, in rhythmischer Folge strömen von ihren Lippen wundersame, wenige Laute, die sich immer wiederholen. Im Kreise herum sitzt eine Anzahl Männer und Frauen mit traumverlorenen Gesichtern, inneres Leben aus dem Gehörten saugend. Noch andere Szenen können gesehen werden. An einem ähnlich eingerichteten Platze  ‚singt’ eine Priesterin ähnlich, aber ihre Töne haben etwas Mächtigeres, Kräftigeres. Und die Menschen um sie herum bewegen sich in rhythmischen Tänzen. Denn dies war die andere Art, wie ‚Seele’ in die Menschheit  kam. Die  geheimnisvollen Rhythmen,  die man  der Natur abgelauscht hatte,  wurden in  den  Bewegungen der  eigenen  Glieder nachgeahmt.  Man fühlte sich dadurch eins mit der Natur und den in ihr waltenden Mächten.‹

Dann habe Rudolf Steiner weiter gesprochen: ›Nicht nur ‚Seele’ kam auf diese Art in die Menschheit; durch diese rhythmischen Tänze, hervorgerufen durch Töne und Rhythmen, die den weisen Priesterinnen auf geheimnisvolle Art von höheren Führern eingeflößt worden waren, wurden die ersten Keime für unseren heutigen Sprachorganismus, für Kehlkopf und Nachbarorgane, in der damals noch nicht sprachbegabten Menschheit veranlagt.‹«

GA 277a, Dornach 1998, S. 8-9

Der Hinweis Steiners auf die Akasha-Chronik diente also nicht dem »Anciennitätsnachweis« der Eurythmie, sondern sollte ein »Verständnis für eine ungewohnte Vorstellung« erleichtern.

Die zweite Fundstelle ist ein Zitat aus der Aksasha-Chronik und wurde von den Herausgebern in GA 277a eingefügt. Sie handelt überhaupt nicht von der Eurythmie.

»Die ganze Art ihres Seelenlebens war aber noch eine solche, die beherrscht war von den ›geheimen‹ Seelenkräften des Menschen. Man trifft die Sache nicht ganz, aber annähernd, wenn man von einem somnambulen Anschauen dieser Frauen spricht. In einem gewissen höheren Träumen enthüllten sich ihnen die Geheimnisse der Natur und erflossen ihnen die Antriebe zu ihrem Handeln. Alles war für sie beseelt und zeigte sich ihnen in seelischen Kräften und Erscheinungen. Sie überließen sich dem geheimnisvollen Weben ihrer seelischen Kräfte. Das, was sie zu ihren Handlungen trieb, waren ›innere Stimmen‹ oder das, was Pflanzen, Tiere, Steine, Wind und Wolken, das Säuseln der Bäume und so weiter ihnen sagten.

Aus solcher Seelenverfassung erstand das, was man menschliche Religion nennen kann. Das Seelenhafte in der Natur und im Menschenleben wurde allmählich verehrt und angebetet. Einzelne Frauen gelangten zu besonderer Vorherrschaft, weil sie aus besonderen geheimnisvollen Tiefen heraus zu deuten wussten, was in der Welt enthalten ist.

So konnte es kommen, dass bei solchen Frauen das, was in ihrem Innern lebte, sich in eine Art Natursprache umsetzte. Denn der Anfang der Sprache liegt in etwas, was dem Gesänge ähnlich ist. Die Kraft des Gedankens setzte sich in die hörbare des Lautes um. Der innere Rhythmus der Natur erklang von den Lippen «weiser» Frauen. Man versammelte sich um solche Frauen und empfand in ihren gesangartigen Sätzen die Äußerungen höherer Mächte. Der menschliche Gottesdienst hat mit solchen Dingen seinen Anfang genommen. Von einem «Sinn» in dem Gesprochenen kann für die damalige Zeit nicht die Rede sein. Man empfand Klang, Ton und Rhythmus. Man stellte sich dabei nichts weiter vor, sondern sog die Kraft des Gehörten in die Seele. Der ganze Vorgang stand unter der Leitung der höheren Führer. Sie hatten in einer Art, über welche jetzt nicht weiter gesprochen werden kann, Töne und Rhythmen den ›weisen‹ Priesterinnen eingeflößt. So konnten sie veredelnd auf die Seelen der Menschen wirken. Man kann sagen, dass in dieser Art überhaupt erst das eigentliche Seelenleben erwachte.«

GA 277a, Dornach 1998, S. 154 f.

Die dritte Fundstelle, die Zander nicht erwähnt, handelt von der Entstehung des Palmettenmotives und wurde ebenfalls von den Herausgebern in GA 277a eingefügt.

»Dasjenige, was allem künstlerischen Schaffen zugrunde liegt, ist ein Bewusstsein, welches, ich möchte sagen, vor den Pforten der historischen Entwickelung der Menschheit, der äußeren historischen Entwickelung, die durch äußere Dokumente festgelegt ist, haltmacht. Ein gewisses Bewusstsein, das vor den Pforten dieser Entwickelung im Menschen tätig war und das noch ein Überbleibsel des alten Hellsehertums der Menschheit war, war etwas, was dem vierten nachatlantischen Zeitraume angehörte. Wenn auch die ägyptische Kultur dem dritten nachatlantischen Zeiträume angehört, so ist doch das, was in der ägyptischen Kultur zur Kunst hintendiert, dem vierten nachatlantischen Zeitraume angehörig. Im vierten nachatlantischen Zeitraume hat sich dieses Bewusstsein so geltend gemacht, dass inneres Gefühl, innere Empfindung des Menschen so Platz gegriffen hat, dass man fühlte, wie die Bewegung des Menschen, wie Haltung und Geste, die menschliche Form und die menschliche Figur und Bewegung sich herausentwickelt ins Physische und ins Ätherische. Sie werden mich verstehen, wenn Sie sich darüber klar sind, dass für jene Zeiten einer, ich möchte sagen richtigen Auffassung des künstlerischen Wollens viel wichtiger als die Anschauung einer Blume oder einer Ranke das Gefühl war: Ich muss etwas tragen, schwer tragen; ich beuge den Rücken und mache mit meiner menschlichen Figur die Kraftentwickelung, die mich Menschen nötigt, mich so zu bilden, um die Last zu tragen. Man fühlte in sich gewissermaßen das gebunden, was man in der eignen Geste ausführen muss. Und so führte man die Greifbewegung, so zum Beispiel auch das Tragen mit der Hand aus. Man fühlt dieses Tragen mit den Händen, wo man nötig hat, die Hände nach auswärts zu spreizen. Da entstanden die Linien und Formen, die ins künstlerische Gestalten übergingen. Man fühlt sozusagen an der eigenen Menschlichkeit, wie der Mensch über das, was er sieht mit den Augen und was er mit den übrigen Sinnen wahrnimmt, hinausgehen kann, wenn er sich einfügt einem Allgemeinen. Und ich möchte sagen: Schon bei diesem Allgemeinen, wenn man  nicht mehr bloß hinzuschlendern braucht, sondern genötigt  ist, sich dem Tragen einer Last zu fügen, ordnet man sich dem Organismus der ganzen Welt ein. Und aus dem Fühlen solcher Linien, die man in sich selber zu bilden hat, entstanden jene Linien, die zur künstlerischen Gestalt führten. Das sind Linien, die nicht in der äußeren Wirklichkeit zu finden sind.

Nun tritt einem in der spirituellen Forschung eines oftmals entgegen. Ich möchte sagen, wie ein wunderbares Akashabild tritt einem immer wiederum das Einfügen einer Anzahl von Menschen in ein Ganzes entgegen, aber ein gesetzmäßiges, harmonisches Einfügen von Menschen in ein Ganzes. Denken Sie sich das etwa so:  Wir hätten eine Art Bühne, ringsherum, wie amphitheatralisch, Sitze, wo Zuschauer sind, und es würden Menschen einen Umgang formieren; sie gehen herum, sie haben einen Umgang im Innern zu formen. Nicht etwas naturalistisch Gebildetes, sondern etwas Höheres, Übersinnliches sollte vor des Menschen Auffassung treten. Denken Sie sich eine Anzahl von hintereinander gehenden Menschen. Die bilden sozusagen den Umzug, der da im Kreise herumgeht. Die anderen sitzen im Kreise und schauen zu.

Nun handelt es sich darum, dass diese Personen etwas Wichtiges darstellen, was es sozusagen nicht ausgebildet auf der Erde gibt, sondern wovon es auf der Erde nur Analogien gibt, was den Menschen in Zusammenhang mit dem großen Weltenzusammenhang brachte. Und da liegt nun ja nahe, vor diesen Menschen der damaligen Zeit das Verhältnis der Erdenwirkungen zu den Sonnenwirkungen darzustellen. Wie kann der Mensch das Verhältnis der Erdenwirkungen zu den Sonnenwirkungen fühlen? Wenn er es ähnlich fühlt, wie man zum Beispiel das Getragensein, wenn man eine Last trägt, fühlen kann. Man kann also das Verhältnis der Erden- zu den Sonnenwirkungen so fühlen: Alles Irdische steht nur eben auf der Bodenfläche der Erde auf, und indem es sich von der Erde entfernt –das alles ist nur in Kräften gedacht –, spitzt es sich zu. Also, man fühlte sozusagen das Verbundensein des Menschen mit der Erde dadurch, dass man ein nach unten Breites und nach oben sich Zuspitzendes darstellte. Gar nichts anderes! Das heißt, indem man diese Kraftwirkung so fühlte, sagte man: Ich fühle mich stehen auf der Erde.

Nun wurde der Mensch ebenso seiner Zugehörigkeit zur Sonne gewahr. Dieses Hereinwirken der Sonne auf die Erde fühlte man, indem man die Kraftlinien eben so gestaltete, dass die Sonne, indem sie um die Erde herumgeht, in dieser Weise ihre Strahlen der Reihe nach hereinsendet, sie nach unten zuspitzend, weil die Sonne scheinbar um die Erde herumgeht.

Denken Sie sich diese beiden Darstellungen in Abwechslung, so können Sie das Erden- und das Sonnenmotiv sehen, das von diesen umhergehenden Menschen immer getragen wurde. Das gehörte zu dem, was in alten Zeiten im Umgang vorgeführt wurde. Da saßen die Menschen herum, und da gingen die Darsteller herum. Die einen trugen gleichsam dasjenige, was man als Hinaufleben zur Sonne darstellte, denn so konnte man das Hereinstrahlen des Sonnenmäßigen auch darstellen. Und sie wechselten ab:  Sonne-Erde, Sonne-Erde und so weiter. Diese Kraft, ich möchte sagen diese kosmische Kraft: Erde-Sonne fühlte man. Dann erst dachte man darüber nach, wie man das nun am besten machen könnte. Und da stellte sich heraus, dass man als Mittel, um das am besten zu machen, gleichsam als ein Kunstmittel am besten eine solche Pflanze oder einen solchen Baum verwendet, der seine Wipfelentfaltung nach oben so hat, dass er unten breit ist und nach oben spitz zuläuft, und dass man dann abwechselt mit Palmen. So dass sich herausbildet das Hintereinandertragen von solchen Pflanzen, die etwas wie breite Knospen darstellen, welche sich nach oben zuspitzen, und von Palmen. Palmen als Entfaltung der sonnenhaften Kräfte und nach oben sich zuspitzende Knospen als charakteristisch für die Erdenkräfte ... Aus dem lebendigen Erfühlen des Weltenzusammenhanges heraus ist das künstlerische Schaffen entstanden, das deshalb auch einem Entfalten des Schaffensdranges entspricht, der im Menschen liegt, und nicht einer bloßen Nachahmung irgendeines bloß äußerlich Natürlichen ...

Dasjenige, was sich nun jetzt den Menschen darbot, und was alles für die Zuschauer ringsherum dargestellt wurde, und was durchaus die Darstellung von lebendigen kosmischen Kräften war, wurde später zu jenem Ornamente vereinfacht, in dessen Linien man das zusammenfasste, was da der Mensch lebendig erfühlte, indem er diese Dinge darstellte. ... Die Abwechselung von Sonnen- und Erdenmotiv bot sich sozusagen dem menschlichen Empfinden als Schmuckmotiv dar, als richtiges ornamentales Schmuckmotiv. Dass man selbstverständlich, möchte ich sagen, in diesem ornamentalen Schmuckmotiv eine ins Unbewusste übergegangene Nachbildung eines uralten Tanzmotives zu sehen hat, eines feierlichen Tanzes, das wusste man später nicht mehr. Aber erhalten hat sich das im Palmettenmotiv.«

GA 277a, Dornach 1998, S. 56 f. (Vortrag in Dornach vom 7. Juni 1914, Über den Ursprung des künstlerischen Schaffens in der Menschheitsentwickelung)