Angeblich fand der zweite Theologenkurs in einer konfliktgeladenen Atmosphäre statt, die besonders Friedrich Rittelmeyer zum Ausdruck gebracht habe.

Auf S. 1622 schreibt Zander:

»Rittelmeyer, der aus Krankheitsgründen nicht teilnehmen konnte, legte in einem offenen Brief die Probleme auf den Tisch, die Steiner sonst, meist von treuen Anhängern umgeben, in dieser Deutlichkeit wohl nicht oft zu hören bekam: Anthroposophie erzeuge ein Gefühl der ›Hilflosigkeit‹ angesichts ›der Fülle von Behauptungen auf allen möglichen Gebieten‹ (GA 343,50). Sie sei zudem hierarchisch strukturiert, weil sie zwar die subjektive Autonomie der Erkenntnis aller behaupte, aber zugleich ›Einzelne ihnen an Tiefeneinsichten weit voraus sein sollen‹. So fühlten sich viele Teilnehmer ›zu Menschen niederer Klasse herabgedrückt‹ (ebd., 51).«

Zanders steile These stellt wieder einmal ein Musterbeispiel seiner Verfälschungstechnik dar. Zander erdreistet sich sogar, die Ausführungen Rittelmeyers auf die Teilnehmer des Theologenkurses zu beziehen. In Wahrheit spricht Rittelmeyer in seinem offenen Brief an Rudolf Steiner, der vor den Teilnehmern des Theologenkurses verlesen wurde, gar nicht von sich und den Teilnehmern dieses Kurses, sondern von den Zeitgenossen, die – trotz ihrer großen Sehnsucht nach der Anthroposophie – dieser ablehnend, ja sogar feindselig gegenüberstehen. Über diese Zeitgenossen sagt er: »Als einer, der sonst in diesen Kreisen, wo er nur konnte, für das Verständnis Ihres Werkes eingetreten ist, möchte ich hier einmal ganz der Sprecher dieser Kreise Ihnen gegenüber werden. Auf diese Weise hoffe ich, Sie zu veranlassen, etwas Zusammenhängendes und Zusammenfassendes für die Stimmung dieser Menschen zu sagen, was ihnen hilft, das anthroposophische Denken und Handeln besser zu verstehen. Denn so lebhaft ich auf der einen Seite mitempfinde, wie fremd, ja abstoßend vielen dieser Menschen die Anthroposophie zunächst erscheint, so sicher ist auf der anderen Seite meine Erfahrung, dass eine Erfüllung des großen, tiefen Sehnens unserer Zeit gerade durch die rechte Erkenntnis der anthroposophischen Lebenserrungenschaften gewonnen wird. ... Lassen Sie mich noch für unverständige Leser – die sonst sagen könnten, man habe den deutlichen Eindruck, dass ich selbst schon wieder an der Anthroposophie irre geworden sei –, wenigstens andeuten, dass ich glaube, recht wohl zu wissen, was auf alle diese Einwände zu antworten ist, und dass ich es fast tägliche tue.« (GA 343, 27. September 1921, Dornach 1993, S. 49 ff.)

Angeblich betrachtete Steiner den Glauben als »defiziente Wissensform« und bevorzugte auch für die Christengemeinschaft eine allegorische Auslegung des Alten Testaments.

Auf S. 1653 schreibt Zander:

»Glaube galt demgegenüber als defiziente Wissensform, etwa als Gefährdung, weil es an die ›zeitlichen Kräfte des Menschen« binde (GA 343, 99) ...

So bevorzugte Steiner auch für die Christengemeinschaft eine ›allegorische Auslegung des Alten Testamentes‹ ( GA 343, 239) ...«

Beide Aussagen treffen nicht zu.

Steiner bezeichnete nicht den Glauben als »defiziente Wissensform«, sondern wies auf die Notwendigkeit hin, sich von einem defizienten »Glaubensbegriff« zu verabschieden, also einen nicht-defizienten zu entwickeln.

Steiner bevorzugte auch nicht die »allegorische Auslegung des Alten Testamentes, sondern wies darauf hin, dass die Kirchenväter die allegorische Auslegung praktizierten und das Neue Testament missverstanden hätten.

Zum Glaubensbegriff:

»Sehen Sie, das ist eine Sache, die mich immer bedenklich macht, wenn ich so etwas finde – was ich ja sehr gut verstehen kann – wie die Schleiermachersche Religionsphilosophie. Lizentiat Bock hat mir neulich gesagt, dass man bei Schleiermacher ganz anderes enthüllen könne. Das würde sehr schön sein, wenn es geschehen könnte, aber so wie Schleiermacher gewöhnlich interpretiert wird, finde ich selbst in diesem Schleiermacherschen Weg, dass die Beziehungen und der Verkehr mit dem Göttlichen eben nur hergestellt werden durch Kräfte, die uns verlorengehen, die dem Menschen verlorengehen mit dem Tode. Und was ist denn das, was mit dem Tode verlorengeht, meine lieben Freunde? Auch wenn es Religiöses ist, wenn es mit dem Tode verlorengeht, ist es nichts anderes als eine, wenn auch noch so verfeinerte Wollust der Seele, eine Steigerung des zeitlichen Lebens. Man fühlt sich etwas wohler dadurch, dass man sich durch die Gottheit geborgen fühlt.

Sehen Sie, so möchte ich religiös sprechen von der Notwendigkeit, aus einem Glaubensbegriff herauszukommen, der eben gerade in der Gefahr lebt, sich nur an die zeitlichen Kräfte des Menschen zu binden. Diese haben natürlich auch ihren Bezug zum Göttlichen. Und da erschien mir immer als etwas Furchtbares die große Illusion, in der zahlreiche Menschen der Gegenwart leben, die darin besteht, dass die Menschen nicht sehen, wie das Abweisen eines gewissen Inhaltes, der ja immer ein Wissensinhalt sein muss – Sie können ihn ja Anschauungsinhalt nennen, aber das ist ja schließlich nur Terminologie –, wie die Abweisung eines solchen Inhaltes das religiöse Leben schwer gefährdet. Alte Religionen haben nie ohne Inhalt gelebt, und der Inhalt der christlichen Lehre ist einmal lebendig gewesen, er ist erst zu dem, was wir heute Dogma nennen, mit Abschluss des vierten nachchristlichen Jahrhunderts geworden. Also man kann sagen, dieses Nichtwollen des Inhaltes, dieses Sichfürchten vor dem sogenannten Wissen – ich sage mit vollem Bewusstsein ›vor dem sogenannten Wissen‹ –, das, meine lieben Freunde, ruft in mir immer den Gedanken wach, wie die Menschen in dieser Illusion leben, dass diese Furcht vor dem Wissen des Übersinnlichen doch auch vom Materialismus hervorgebracht wird. Ich sehe in diesem Glaubensbegriff eine Folge des Materialismus, ich kann mir nicht helfen, eine Folge des Materialismus, nicht eine bewusste Folge, aber etwas, was sich durch die unbewussten Untergründe der Seele als Folge des Materialismus ergibt.« (GA 343, 28. September 1921, Dornach 1993, S. 99-100)

Zur allegorischen Auslegung:

»Nun, diese drei Charakteristika finden Sie eben durchaus in der unmittelbar nachapostolischen Literatur der ersten drei bis vier Jahrhunderte: die allegorische Auslegung des Alten Testamentes, der Hinweis auf das Wiederkommen des Christus und auf die Zertrümmerung der alten Welt, und die Ermahnung zum Gehorsam gegenüber den Oberen. Uns muss in diesem heutigen Zusammenhang vor allen Dingen das mittlere interessieren, der Hinweis auf den kommenden Christus, denn wir müssen diesen Hinweis auf den kommenden Christus in Zusammenhang bringen mit dem Satz 6 des 13. Kapitels des Markus-Evangeliums, in dem es heißt: Viele werden unter meinem Namen auftreten und sagen: Ich bin es, und werden viele irreführen. – Sie finden ja in diesem Kapitel den außerordentlich merkwürdigen Hinweis, dass viele kommen werden, [die im Namen des Christus auftreten,] und Sie werden geradezu hingewiesen auf den einen oder anderen, der sich selbst als Christus bezeichnet. Nun, darauf ist besonders zu sehen. Es ist aus dem Grund besonders darauf zu sehen – ich werde auf diese Dinge noch näher zu sprechen kommen, also ich leite zunächst dazu über –, weil ja schon in dieser Stelle des Markus-Evangeliums der Hinweis liegt auf den Standpunkt der Kirchenväter der nachapostolischen Zeit. Indem diese vorbringen, dass der Christus so, wie sie es sich vorstellen, erscheinen wird, ist das [für sie zugleich] die Erfüllung [der Prophezeiung], dass die Verführer kommen werden, auf die man hinweisen will als auf die, die sich als Christusse bezeichnen; und solches ist auch in den ersten Jahrhunderten geschehen, aus dieser Stimmung heraus sind viele aufgetreten, die sich tatsächlich als den wiedergekommenen Christus bezeichneten. Es ist ja so außerordentlich viel verlorengegangen von der Literatur der ersten Jahrhunderte, dass eben diese Dinge heute eigentlich nur noch geisteswissenschaftlich gefunden werden können.

Und so müssen wir ja sagen – und dazu habe ich das eben Ausgesprochene vorgebracht –, dass, wenn wir den ganzen Tatbestand überblicken, schon die ersten christlichen Kirchenväter in einem Missverständnis des Evangeliums lebten, und zwar vielleicht in einem sehr schlimmen Missverständnis des Evangeliums.« (GA 343, 2. Oktober 1921, Dornach 1993, S. 239-240)

Laut Zander erwartete Steiner, die Christengemeinschaft werde aus ihrem »Katakombendasein zu hegemonialer Bedeutung aufsteigen«.

Auf Seite 1663 schreibt Zander:

»Den Priestern der Christengemeinschaft blieb Steiners Aktualisierung dieser Vision, hinter der die Hoffnung auf die Dominanz des anthroposophischen Christentums stand, im Ohr: ›In hundert Jahren wird es keine christliche Kirche mehr geben, es sei denn, es entsteht etwas im Sinne des hier Gewollten.‹299«

Anmerkung 299:

»Steiner zit. bei Heidenreich: Aufbruch, 25. Vgl. auch Steiners Erwartung, dass die Christengemeinschaft wie die Urkirche aus ihrem Katakombendasein zu hegemonialer Bedeutung aufsteigen werde: ›In einigen Jahrhunderten wird sich die Sache geändert haben‹ (GA 982,254).«

»Aber Steiners apokalyptische Zeitdeutung machte auch vor der Christengemeinschaft nicht Halt. ›Wenn die Christengemeinschaft im Laufe der kommenden 30 Jahre nicht zu einer großen, weltweiten Kirche wird, dann wird sie wieder vergehen und es wird sein, als wäre sie nie gewesen.301 Diese Voraussage ist spätestens 1955 abgelaufen.«

Anmerkung 301:

»Zit. nach Finsterlin: Editorial (1988).«

Zander belegt seine Behauptung, Steiner habe erwartet, dass die Christengemeinschaft wie die Urkirche aus ihrem Katakombendasein zu hegemonialer Bedeutung aufsteigen werde, mit einem Zitat aus einem Vortrag vom 14. Juni 1908, 14 Jahre vor der Gründung der Christengemeinschaft. Der betreffende Vortrag bezieht sich erwartungsgemäß auch gar nicht auf die Christengemeinschaft, sondern auf die »geisteswissenschaftliche Bewegung«.

Was die »1955 abgelaufene Voraussage« anbetrifft, so stellt das angebliche Steiner-Zitat auf das Anmerkung 301 verweist, eine freie Erfindung von Finsterlin dar.

Coda.

Σοφίαν δὲ λαλοῦμεν ἐν τοῖς τελείοις, σοφίαν δὲ οὐ τοῦ αἰῶνος τούτου οὐδὲ τῶν ἀρχόντων τοῦ αἰῶνος τούτου τῶν καταργουμένων: ἀλλὰ λαλοῦμεν θεοῦ σοφίαν ἐν μυστηρίῳ, τὴν ἀποκεκρυμμένην, ἣν προώρισεν ὁ θεὸς πρὸ τῶν αἰώνων εἰς δόξαν ἡμῶν: ἣν οὐδεὶς τῶν ἀρχόντων τοῦ αἰῶνος τούτου ἔγνωκεν, εἰ γὰρ ἔγνωσαν, οὐκ ἂν τὸν κύριον τῆς δόξης ἐσταύρωσαν. ἀλλὰ καθὼς γέγραπται, Ἃ ὀφθαλμὸς οὐκ εἶδεν καὶ οὖς οὐκ ἤκουσεν καὶ ἐπὶ καρδίαν ἀνθρώπου οὐκ ἀνέβη, ἃ ἡτοίμασεν ὁ θεὸς τοῖς ἀγαπῶσιν αὐτόν. ἡμῖν δὲ ἀπεκάλυψεν ὁ θεὸς διὰ τοῦ πνεύματος: τὸ γὰρ πνεῦμα πάντα ἐραυνᾷ, καὶ τὰ βάθη τοῦ θεοῦ. τίς γὰρ οἶδεν ἀνθρώπων τὰ τοῦ ἀνθρώπου εἰ μὴ τὸ πνεῦμα τοῦ ἀνθρώπου τὸ ἐν αὐτῷ; οὕτως καὶ τὰ τοῦ θεοῦ οὐδεὶς ἔγνωκεν εἰ μὴ τὸ πνεῦμα τοῦ θεοῦ. ἡμεῖς δὲ οὐ τὸ πνεῦμα τοῦ κόσμου ἐλάβομεν ἀλλὰ τὸ πνεῦμα τὸ ἐκ τοῦ θεοῦ, ἵνα εἰδῶμεν τὰ ὑπὸ τοῦ θεοῦ χαρισθέντα ἡμῖν: ἃ καὶ λαλοῦμεν οὐκ ἐν διδακτοῖς ἀνθρωπίνης σοφίας λόγοις ἀλλ' ἐν διδακτοῖς πνεύματος, πνευματικοῖς πνευματικὰ συγκρίνοντες. ψυχικὸς δὲ ἄνθρωπος οὐ δέχεται τὰ τοῦ πνεύματος τοῦ θεοῦ, μωρία γὰρ αὐτῷ ἐστιν, καὶ οὐ δύναται γνῶναι, ὅτι πνευματικῶς ἀνακρίνεται: ὁ δὲ πνευματικὸς ἀνακρίνει [τὰ] πάντα, αὐτὸς δὲ ὑπ' οὐδενὸς ἀνακρίνεται. τίς γὰρ ἔγνω νοῦν κυρίου, ὃς συμβιβάσει αὐτόν; ἡμεῖς δὲ νοῦν Χριστοῦ ἔχομεν.

Die Weisheit der Geweihten sprechen wir aus. Nicht die Weisheit des gegenwärtigen Äons, und auch nicht die der bereits kraftlos werdenden Archonten dieses Äons. Sondern wir sprechen die Gottes-Weisheit [Theosophie] in einem Mysterium aus, die im Verborgenen gelebt hat, nachdem sie durch Gott bereits vor allen Äonen vorgebildet worden ist, um uns geoffenbart zu werden. Keiner der Archonten des gegenwärtigen Äons hat diese Weisheit erkannt. Hätten sie sie erkannt, so hätten sie den nichts ans Kreuz geschlagen, der der Herr der Offenbarung ist. So sagt die Schrift:

»Was nie ein Auge gesehen und nie ein Ohr gehört hat,
was nie im Herzen eines Menschen bewusst geworden ist,
das hat Gott denen zubereitet, die ihn lieben.«

Uns hat es nun Gott durch das Pneuma offenbart.

Das Pneuma durchdringt alles, selbst die Abgründe der Gottheit. Welcher Mensch vermöchte das Wesen des Menschen zu erkennen, wenn nicht das Pneuma des Menschen selber in ihm wäre? So auch kann das Wesen der Gottheit nur durch das Pneuma Gottes selbst erkannt werden. Das Pneuma, das wir empfangen haben, ist nicht das des sichtbaren Kosmos, sondern das Pneuma, das von Gott selber ausgeht, damit wir klar erkennen, was uns von Gott geschenkt ist. Daher sprechen wir auch nicht Worte aus, die uns menschliche Weisheit gelehrt hat: Es sind Worte, die uns das Pneuma selber lehrt; pneumatisch begreifen wir was pneumatisch ist. Der psychische Mensch kann nicht in sich aufnehmen, was aus dem Pneuma Gottes hervorfließt. Es ist für ihn Torheit; er kann es nicht verstehen, denn nur auf pneumatische Art kann es begriffen werden. Der pneumatische Mensch jedoch vermag alles zu verstehen, obwohl er selbst von niemandem verstanden wird. Wer hätte je den Geist des Herrn erkannt; wer könnte sein Ratgeber sein? Uns aber ist der Geist des Christus gegeben.