Wie nicht anders zu erwarten, sind auch Zanders Auslassungen über Steiners Sicht des Judentums von falschen Deutungen und infamen Unterstellungen durchsetzt.

Auf S. 318-319 schreibt Zander:

»Der Status des Judentums ist in Steiners Rassentheorie durch zwei Merkmale bestimmt: Es wird zum einen als rassische, nicht als kulturelle Größe verstanden; deshalb lokalisiert Steiner beispielsweise die ›Jehova-Kraft‹ ›im Vererbungsprozess‹ (GA 176,250). Zum andern ist es in seine Konzeption der Menschheitsevolution eingeordnet: In der Bewusstseinsentwicklung wird das alttestamentliche Judentum als kollektives, präindividuelles Phänomen behandelt:

›Der Bekenner des Alten Testaments sagte noch nicht in seiner Persönlichkeit: Ich bin ein Ich. Er fühlte sich in dem ganzen alten jüdischen Volke und fühlte das Gruppen-Volks-Ich.‹ (GA 103,58)

Im ›althebräischen Volk [...] ist das Bewusstsein noch nicht durchgedrungen bis zum individuellen Einzelwesen des Menschen‹ (GA 131,159).

Der Vorwurf, Steiner verstehe das Judentum »nicht als kulturelle Größe«, sondern »als Rasse«, lässt sich durch den angeführten Beleg (GA 176) nicht erhärten. Denn nirgends in Steiners Vortrag vom 14. August 1917 wird das »Judentum als Rasse« bezeichnet, ja dieses wird überhaupt nicht erwähnt. Beiläufig kommt Steiner hingegen auf »Jehova« zu sprechen, »der dem Menschen durch den Atem das Leben eingehaucht hat« und daraufhin »im Vererbungsprozess« wirkte.

Außerdem geht Zander allzu leichtfüßig über die Untiefen der jüdischen Identitätsprobleme hinweg, wenn er seinerseits das Judentum schlicht als »kulturelle Größe« definiert. Denn dem historisch-ideellen Komplex des Judentums wohnt eine Ambivalenz inne, die tatsächlich beide Komponenten in sich enthält. Große Teile des Alten Testamentes stellen die Geschichte der Entstehung des jüdischen Volkes dar, das sich in seinen identitätsstiftenden Chroniken als Abstammungs- und Blutsgemeinschaft versteht. Das Alte Testament ist eine Geschichte des jüdischen Volkes, des »Volkes Jahves«, und »Jahve« ist darin tatsächlich »der Gott dieses Volkes«. Er trägt zwar auch den Aspekt des Schöpfergottes in sich, der die gesamte Menschheit geschaffen hat, aber aus dieser sondert er das »auserwählte Volk« heraus, das einen besonderen Bund mit ihm geschlossen hat. Und dieser Bund hängt einerseits mit der Treue zu dem Gesetz zusammen, das Jahve seinem Volk gegeben hat (der kulturell-religiöse Aspekt), andererseits aber auch mit der Abstammungslinie (der ethnisch-religiöse Aspekt).

Es ist daher nicht völlig abwegig, das Judentum auch als Bluts-, Vererbungs- und damit als »Rassen«gemeinschaft zu betrachten, da dies weitgehend seiner Selbstdefinition im Alten Testament entspricht, die bis heute nicht völlig ihre Gültigkeit verloren hat. Noch heute ist Jude der, der von einer jüdischen Mutter geboren wird. Die Zugehörigkeit zum Judentum wird über die mütterliche Blutlinie vererbt, nicht durch rein kulturelle Faktoren, wie zum Beispiel die Konversion oder eine Taufe. Stellvertretend für viele andere Passagen bringt dies das Buch Esra mit seinem Verbot der Mischehen zum Ausdruck (9, 1 ff): »Das Volk Israel und die Priester und Leviten haben sich nicht ferngehalten von der Bevölkerung des Landes und ihren Gräueltaten, von den Kanaanitern, Hetitern, Perisitern, Jebusitern, Ammonitern, Moabitern, Ägyptern und Amoritern. Sie haben von deren Töchtern Frauen genommen für sich und ihre Söhne. So hat sich der heilige Same mit den Völkern des Landes vermischt, und die Obersten und Beamten waren bei diesem Treubruch die ersten ...

Das Land, in das ihr kommt, um es in Besitz zu nehmen, ist ein beflecktes Land; denn die Völker im Land haben es befleckt; in ihrer Unreinheit haben sie es mit ihren Gräueltaten erfüllt, vom einen Ende bis zum anderen ...

Darum dürft ihr eure Töchter nicht ihren Söhnen als Frauen geben, noch dürft ihr ihre Töchter für eure Söhne nehmen ...

Dann werdet ihr stark sein und die Güter des Landes genießen und sie euren Kindern vererben für alle Zeit ...

Ja, wir haben unserem Gott die Treue gebrochen; wir haben Frauen aus der Bevölkerung des Landes geheiratet. Doch auch jetzt gibt es noch Hoffnung für Israel: Wir wollen jetzt mit unserem Gott einen Bund schließen und uns verpflichten, dass wir alle fremden Frauen samt ihren Kindern wegschicken nach dem Rat meines Herrn und aller, die das Gebot unseres Gottes fürchten. Man handle nach dem Gesetz! ...

Da stand Esra auf; er ließ die Obersten der Priester, der Leviten und ganz Israels schwören, nach diesem Vorschlag zu handeln, und sie leisteten den Eid ...

Da versammelten sich nach drei Tagen alle Männer von Juda und Benjamin in Jerusalem ...

Das ganze Volk ließ sich auf dem Platz vor dem Haus Gottes nieder ...

Der Priester Esra stand auf und sagte zu ihnen: Ihr habt dem Herrn die Treue gebrochen: ihr habt fremde Frauen genommen und so die Schuld Israels noch größer gemacht. So legt nun vor dem Herrn, dem Gott eurer Väter, ein Bekenntnis ab, und tut, was er wünscht: Trennt euch von der Bevölkerung des Landes, insbesondere von den fremden Frauen! Darauf antwortete die ganze Gemeinde laut: Alles, was du uns gesagt hast, müssen wir tun. ...

Alle diese hatten fremde Frauen geheiratet, sie trennten sich nun von ihren Frauen, auch wenn sie gemeinsame Kinder hatten

Andererseits unterschlägt Zander die gesamten, immens komplexen hierarchologischen Ausführungen Steiners, nach denen Jahve eine Christusoffenbarung vor dem Erscheinen Christi auf Erden war. Es stellt also eine unzulässige Verkürzung dar, wenn Zander über Jahve nichts weiter sagt, als dass dieser »im Vererbungsprozess« wirke. (Siehe: Lorenzo Ravagli, Abrahamitische Kultur – Die Kultur, von der alles Heutige ausgegangen ist, sowie: Lorenzo Ravagli: »Das JAHWE-Geheimnis im esoterischen Werk Rudolf Steiners«, Jahrbuch für anthroposophische Kritik 2005).

Auch der Vorwurf, »das alttestamentliche Judentum« werde »in der Bewusstseinsentwicklung als kollektives, präindividuelles Phänomen behandelt«, enthält bestenfalls die halbe Wahrheit. Denn nicht nur das alttestamentliche Judentum ist in der Bewusstseinsentwicklung ein »kollektives, präindividuelles Phänomen«, sondern die gesamte Menschheit. Die präindividuelle Kollektivität ist kein besonderes Kennzeichen des alttestamentlichen Judentums, kann diesem also auch nicht zum diskriminierenden Merkmal gereichen, geschweige denn gegen Steiner als Vorwurf verwendet werden.

Pikanterweise finden sich ausgerechnet in GA 121, »Die Mission der einzelnen Volksseelen ...«, Ausführungen über die Germanen – denen Zander gerne die Rolle eines »auserwählten Volkes« unterstellt – , die noch zur Zeit des Tacitus in diesem Gruppenseelen-Bewusstsein lebten, während sich andere Völker zu dieser Zeit längst aus ihm herausentwickelt hatten.

»Der germanisch-nordische Mensch fühlte sich selbst noch wie mit einer Gruppenseele behaftet, wie zu einer ganzen Gemeinschaft gehörig, wie ein Glied in der großen Zusammengehörigkeit des Stammes. Nur so konnte es kommen, dass noch fast hundert Jahre, nachdem der christliche Impuls der Erde gegeben worden ist, Tacitus die Germanen Mitteleuropas so schildern konnte, dass sie immer als zu einzelnen Stämmen gehörig erscheinen, dass sie wie die Glieder eines Organismus sind und zu der Einheit des Organismus gehören.

So fühlte sich der einzelne in jener Zeit noch wie ein Glied des Stammes-Ich. Er fühlte das nach und nach Heraus-geboren-Werden des individuellen Ich aus dem Stammes-Ich, und er fühlte in dem Gotte Thor den Geber, den Verleiher des Ich, den Gott, der ihn eigentlich mit dem individuellen Ich begabte. Aber er fühlte diesen Gott noch verbunden mit dem gesamten Geiste des Stammes, mit dem, was in der Gruppenseele lebt. Für diese Gruppenseele findet sich nun der Ausdruck ›Sif‹. Das ist der Name für die Gemahlin des Thor. Sif muss sprachlich verwandt sein mit dem Worte Sippe, Stammeszusammengehörigkeit und ist es auch in der Tat, wenn das auch maskiert und verborgen ist. Okkult bedeutet aber Sif die Gruppenseele der einzelnen Gemeinschaft, aus der herauswächst das einzelne Individuum.« (16. Juni 1910)

Demgegenüber standen die anderen nachatlantischen Kulturen auf weit höheren Stufen der Entwicklung:

»Am weitesten waren die Inder entwickelt, als ihr Ich mit vollem Selbstbewusstsein erwachte. Da waren sie schon so, dass sie ein sehr reiches inneres Seelenleben hatten, das gar nicht mehr diejenigen Zustände besonders in sich zeigte, welche die Völker Europas noch lange erlebten. Diese hatten sie schon durchgemacht. Sie erwachten zum Selbstbewusstsein, als sie bereits mit geistigen Kräften und geistigen Fähigkeiten ausgestattet waren, durch die sie in hohem Grade hineindringen konnten in die geistigen Welten ... Sie erwachten, als ihre Seele mit einem ungeheueren Reifegrade bereits behaftet war ...

Weniger weit entwickelt waren die Völker der persischen Kultur. Sie waren so weit durch ihr eigenartiges Erkenntnisvermögen und durch das Erwachen ihres Ich auf einer niedrigeren Stufe, dass sie sich beschäftigen konnten mit den Wesenheiten der Gewalten oder Geister der Form. Mit diesen wurden sie ganz besonders vertraut. Diese durchschauten sie in gewisser Weise, und sie interessierten sich auch vorzugsweise für sie. Eine Stufe tiefer als die Inder, aber doch auf einer Stufe, auf die dann wieder die Völker des Westens sich heraufarbeiten mussten, erwachten die Völker der persischen Gemeinschaften ...

Dann kommen wir zu den chaldäischen Völkern. Die hatten schon ein Bewusstsein von dem, was wir als Urkräfte, als führende Zeitgeister kennen. Sie hatten ein Bewusstsein von den Wesenheiten, die als Urkräfte, als Geister der Persönlichkeit erfasst werden sollen. In einer anderen Weise hatten wiederum die Völker der griechisch-lateinischen Zeit gerade auch von diesen Urkräften oder Geistern der Persönlichkeit ein gewisses Bewusstsein. Aber bei ihnen war noch etwas ganz anderes vorhanden, und das war das, was uns ein Stück weiter in der Erkenntnis führen könnte. Die Griechen standen den germanischen Völkern noch näher. Aber doch erwachte dort das Ich auf einer höheren Stufe als bei den germanisch-nordischen Völkern.« (GA 121, 14 Juni 1910)

Die Entwicklung von der Gruppenbildung aufgrund von Blutsverwandtschaft und Nahehe, vom Stammes- und Gruppenseelenbewusstsein und dem damit verbundenen instinktiven Hellsehen hin zur Herauslösung des Einzelmenschen aus dem Stammes- und Sippenverband durch Fernehe, durch Auflösung des Prinzips der Blutsverwandtschaft und dem damit verbundenen verstandesklaren Ichbewusstsein, steht als zentrales Motiv mit Steiners Interpretation der Auswirkungen des Christus-Ereignisses in Verbindung. Denn Christus als Gottessohn, als menschgewordener Gott, ist es, der dieses Ichbewusstsein an die Menschheit vermittelt, das die Bluts- und Rassenbande durchbricht, und den Menschen zum Erleben seiner geistigen Individualität befreit, die eins mit dem Vater ist, der nun nicht mehr im Blut, sondern im Geist erfahren wird. Hier nur, stellvertretend für viele andere, ein zweites Beispiel aus dem Jahr 1908:

»Nur langsam lernen die Menschen den tiefen Sinn dieses ›Ich-bin‹ völlig verstehen. Nicht gleich haben sich die Menschen als Einzelmenschen gefühlt. Sie können es finden noch im Alten Testament: da fühlten sich die Menschen noch nicht als Einzelmenschen. Auch die Angehörigen der deutschen Stämme, selbst noch in den Zeiten der christlichen Kirche, fühlten sich nicht als Einzelmenschen. Denken Sie zurück an die Cherusker, Teutonen und so weiter, an die deutschen Stämme, in deren Land nun das heutige Deutschland ist. Der einzelne Cherusker fühlte mehr das, dem gegenüber er sich als Glied erschien. Der einzelne hätte nicht in der scharfen Weise, wie heute, ›Ich bin‹ gesagt. Er fühlte sich zusammengefügt zum einigen Organismus derjenigen, die blutsverwandt waren.« (GA 104, Nürnberg, 17. Juni 1908)

Präzise heißt es dazu in der »Geheimwissenschaft im Umriß«, die geradezu ein Gesetz der Bewusstseinsentwicklung formuliert, dessen Scharnier das Christusereignis ist:

»Die Menschheit ist von einer Einheit ausgegangen; aber die bisherige Erdenentwickelung hat zur Sonderung geführt. In der Christus-Vorstellung ist zunächst ein Ideal gegeben, das aller Sonderung entgegenwirkt, denn in dem Menschen, der den Christusnamen trägt, leben auch die Kräfte des hohen Sonnenwesens, in denen jedes menschliche Ich seinen Urgrund findet.«

Im Kontext heißt es:

»Was durch die Christus-Erscheinung der Menschheitsentwickelung zugeflossen ist, wirkte wie ein Same in derselben. Der Same kann nur allmählich reifen. Nur der allergeringste Teil der Tiefen der neuen Weistümer ist bis auf die Gegenwart herein in das physische Dasein eingeflossen. Dieses steht erst im Anfange der christlichen Entwickelung. Diese konnte in den aufeinanderfolgenden Zeiträumen, die seit jener Erscheinung verflossen sind, nur immer so viel von ihrem inneren Wesen enthüllen, als die Menschen, die Völker fähig waren, zu empfangen, als diese in ihr Vorstellungsvermögen aufnehmen konnten.

Die erste Form, in welche sich dieses Erkennen gießen konnte, lässt sich als ein umfassendes Lebensideal aussprechen.

Als solches stellte es sich entgegen dem, was in der nachatlantischen Menschheit sich als Lebensformen herausgebildet hatte. Es sind oben die Verhältnisse geschildert worden, welche in der Entwickelung der Menschheit seit der Wiederbevölkerung der Erde in der lemurischen Zeit gewirkt haben. Die Menschen sind demgemäß seelisch auf verschiedene Wesenheiten zurückzuführen, welche aus anderen Welten kommend in den Leibesnachkommen der alten Lemurier sich verkörperten. Die verschiedenen Menschenrassen sind eine Folge dieser Tatsache.

Und in den wiederverkörperten Seelen traten, infolge ihres Karmas, die verschiedensten Lebensinteressen auf. Solange alles das nachwirkte, konnte es nicht das Ideal der ›allgemeinen Menschlichkeit‹ geben.

Die Menschheit ist von einer Einheit ausgegangen; aber die bisherige Erdenentwickelung hat zur Sonderung geführt. In der Christus-Vorstellung ist zunächst ein Ideal gegeben, das aller Sonderung entgegenwirkt, denn in dem Menschen, der den Christusnamen trägt, leben auch die Kräfte des hohen Sonnenwesens, in denen jedes menschliche Ich seinen Urgrund findet.

Noch das israelitische Volk fühlte sich als Volk, der Mensch als Glied dieses Volkes.

Indem zunächst in dem bloßen Gedanken erfasst wurde, dass in Christus Jesus der Idealmensch lebt, zu dem die Bedingungen der Sonderung nicht dringen, wurde das Christentum das Ideal der umfassenden Brüderlichkeit. Über alle Sonderinteressen und Sonderverwandtschaften hinweg trat das Gefühl auf, dass des Menschen innerstes Ich bei jedem den gleichen Ursprung hat. (Neben allen Erdenvorfahren tritt der gemeinsame Vater aller Menschen auf. ›Ich und der Vater sind Eins.‹)« (GA 13, S. 293-294).

Im Folgenden die Ausführungen Steiners vom 14. August 1917 (GA 176), die nur am Rande von Jahwe handeln, im Kontext:

»In der Zeit vor dem Mysterium von Golgatha stand der Mensch – wie das aus den verschiedenen Betrachtungen unserer Anthroposophie begreiflich sein kann – selbstverständlich zu geistigen Wesenheiten des Weltenalls, zu den Wesen der höheren Hierarchien in Beziehung.

Aber wie?

Unter den Wesen der höheren Hierarchien unterscheiden wir zunächst, unmittelbar angrenzend an das Reich der Menschen, die Angeloi, die Archangeloi und so weiter. Die nächsten Wesen also, zu denen wir aufschauen, wenn wir in die geistige Welt aufblicken, sind die Angeloi.

Wir stehen als Menschen in Beziehung zu den Angeloi, und die Angeloi wieder fühlen ihre Beziehung zu uns Menschen. Auch für sie ist es nicht gleichgültig, welche Beziehung sie zu dem Menschen haben. Und den Unterschied zwischen dem Menschen vor dem Mysterium von Golgatha und nach demselben, können wir uns vor die Seele führen, wenn wir gerade die Beziehung des Menschen zu der Wesenheit der Angeloi ins Auge fassen.

Da ist es sehr merkwürdig, dass vor dem Mysterium von Golgatha eine intime Beziehung bestand zwischen den Angeloi in ihrer ganzen Tätigkeit, in ihrem ganzen Wesen und dem menschlichen Intellekt. Man könnte förmlich sagen: der Hauptwohnsitz der Angeloi war für die Menschen vor dem Mysterium von Golgatha der menschliche Intellekt.

Die Menschen wussten nichts davon, dass die Angeloi in ihrem Intellekt wohnten; aber die Folge davon, dass sie dort wohnten, war, dass diese Menschen, in abnehmender Stärke allerdings, aber dennoch eines hatten: atavistisches, imaginatives Hellsehen.

Was ich eben sagte: die Angeloi wohnten in dem Intellekt der Menschen vor dem Mysterium von Golgatha, gilt für das Leben der Menschen zwischen Geburt und Tod.

Anders war es in dem Leben der Menschen zwischen dem Tode und einer neuen Geburt. Da wohnten die Angeloi, und auch der einzelne der Angeloi, der einzelne Engel, der einem Menschen zugeteilt war, in den Erinnerungen an die Sinnesempfindungen; sie wohnten in den Bildern von dem, was den Menschen auf der Erde sinnlich umgab. Daher war bei den Menschen vor dem Mysterium von Golgatha in der Zeit zwischen Tod und neuer Geburt ein lebendiges Wissen von den Vorgängen auf der Erde vorhanden. Gewissermaßen könnte man sagen: Die Angeloi trugen das, was auf der Erde geschah, zu den Menschen hinauf. Ein recht anschauliches Wissen von dem Geschehen auf der Erde entwickelten die Menschen vor dem Mysterium von Golgatha in der Zeit zwischen dem Tode und einer neuen Geburt.

Da sehen wir hinein in die Beziehung zwischen den Angeloi und dem Menschenwesen in der Zeit vor dem Mysterium von Golgatha.

Nach dem Mysterium von Golgatha wurde das anders; anders, indem natürlich dieses Anderswerden in Entwickelung begriffen ist. Wie ist es nun bei uns, den Menschen, nach dem Mysterium von Golgatha? Wie ist da die Beziehung des Menschen zu den Wesenheiten der Hierarchie der Angeloi?

Bei uns ist es jetzt so, dass – allerdings unbewusst – in unseren sinnlichen Wahrnehmungen im Leben zwischen Geburt und Tod die Angeloi wohnen. Ja, wenn wir unsere Augen aufmachen und hinausschauen in die Welt, die uns umgibt und auf unsere Sinne wirkt, so wissen wir zwar nicht, dass, während der Sonnenstrahl in unser Auge dringt und die Dinge sichtbar werden, auf dem Sonnenstrahl der Ort zu finden ist, auf dem unser Engel wohnt. Aber es ist so: In den Schwingungen des Tones, in den Strahlungen des Lichtes und der Farben, in den anderen Sinneswahrnehmungen lebt die Wesenheit der Angeloi. Nur indem der Mensch die Sinneswahrnehmungen verwandeln muss in Vorstellungen, dringen die Angeloi nicht in das Vorstellungswesen mit ein, und der Mensch weiß nicht, wie er umgeben ist von der Wesenheit der Angeloi.

Im allgemeinen sagt man in geisteswissenschaftlichen Vorträgen oftmals, man solle sich die geistige Welt nicht in einem Wolkenkuckucksheim vorstellen, sondern man soll sich vorstellen, dass uns die geistige Welt überall umgibt. Sie umgibt uns tatsächlich überall. Man kann auch konkret hinweisen, wie sie uns umgibt. Hier haben wir den Fall für die Angeloi; doch in unseren Intellekt kommt in der Zeit des Lebens zwischen Geburt und Tod das Bewusstsein nicht von dem Angeloi.

Dagegen entwickelt der jetzige Mensch ein starkes Bewusstsein von seinem Zusammenhange mit den Wesen der Angeloi in dem Leben zwischen Tod und neuer Geburt; denn da wohnen gewissermaßen die Angeloi in seinem Intellekt.

Was ich eben auseinandergesetzt habe, hat für das menschliche Leben eine bedeutsame Folge.

Nehmen wir noch einmal den Menschen vor dem Mysterium von Golgatha; in seinem Intellekt wohnten die Angeloi, der seine besonders. Dadurch war sein Sinnesleben ganz besonders zugänglich den luziferischen Gewalten. Das ganze Bewusstseinsleben des Menschen überhaupt war in der alten Zeit den luziferischen Gewalten zugänglich.

Das ist anders geworden seit dem Mysterium von Golgatha. In unseren Intellekt dringen nicht ein, wie ich geschildert habe, die auf den Schwingen des Lichtes und der Farben, auf den Flügeln der Tonschwingungen und so weiter schreitenden Wesenheiten aus der Hierarchie der Angeloi.

Dadurch sind wir in der Zeit zwischen Geburt und Tod in unserem Intellekt durchsetzt von den Angriffen der ahrimanischen Machte. Während sich der Mensch von diesem Gesichtspunkte aus vor dem Mysterium von Golgatha im wesentlichen den Attacken Luzifers ausgesetzt sah, ist der Intellekt ganz besonders seit dem Mysterium von Golgatha den Einflüssen der ahrimanischen Mächte ausgesetzt. Diese haben vor allem das Bestreben, in dem Menschen das Bewusstsein von seinem Zusammenhange mit der geistigen Welt zu erdrücken. Alle die Neigungen, welche der Mensch zum Materialismus entwickelt, in seinen Gedanken entwickelt, kommen in dieser direkten Beziehung auf den Intellekt von den Attacken der ahrimanischen Mächte her. Und wenn die in diesen Betrachtungen genugsam geschilderten materialistischen Zeittendenzen heute die Oberhand haben, so dürfen wir nicht vergessen, dass diese materialistischen Zeittendenzen von den Verwirrungen herrühren, welche Ahriman in dem menschlichen Intellekt anzurichten sich bestrebt.

Die Dinge, von denen ich jetzt spreche, was sind sie? Wir haben vorhin gesagt: der Atmungsprozess ist unterbewusst. Aber das, was ich jetzt meine, dieser Zusammenhang des Menschen mit der Wesenheit der Angeloi, ist auch nicht im Bewusstsein; er liegt über das Bewusstsein hinaus. Was in unserem Atmen vorgeht, liegt unterhalb des Bewusstseins; was durch dieses Zusammenwirken der Geistwelten, des nächststufigen Zusammenwirkens der Geistwelten in uns vorgeht in der Weise, wie ich das jetzt geschildert habe, ist überbewusst.

In diesem überbewussten Prozesse wirkt und arbeitet geradeso die Kraft, welche durch das Mysterium von Golgatha in die Welt eingezogen ist, wie vor demselben die Jehova-Kraft in dem Menschen gewirkt hat. Wenn wir uns in den Geist – aber eben in den Geist – einer Schrift vertiefen, wie es zum Beispiel das Buch Hiob ist, und da gewahr werden, wie das Walten der Jehova-Kraft in den menschlichen Entwicklungen dargestellt werden soll – etwas was ja gerade im Buch Hiob ganz besonders stark zutage tritt –, so bekommen wir eine Vorstellung davon, wie diese Jehova-Kraft wirkte, die, wie gesagt, durch den Atmungsprozess dem Menschen das Leben gegeben hat. Sie wirkte im Vererbungsprozess, wirkte darin so, wie es geschildert wird, bis ins dritte und vierte Glied hinunter.

Wollen wir ein Analogon haben für die Zeit nach dem Mysterium von Golgatha, so müssen wir die Christus-Kraft nehmen. So, wie die Jehova-Kraft ihre Beziehung hat zu dem menschlichen Atmungsprozess, so hat die Christus-Kraft, überhaupt das ganze Mysterium von Golgatha, eine Beziehung zu dem, was ich eben geschildert habe, als zu einem überbewussten Vorgang.« (GA 176, Berlin, 14. August 1917)

Als skandalös erweist sich der bemühte Versuch Zanders, eine Verwandtschaft zwischen Anthroposophie und Nationalsozialismus nachzuweisen. Hier schreckt er selbst vor massivsten Zitatfälschungen nicht zurück.

Auf S. 328-329 schreibt Zander:

»Schwierig beantwortbar und erwartungsgemäß umstritten ist die Frage der Verwandtschaften zwischen Anthroposophie und Nationalsozialismus ...

Ein philosophisch ambitionierter Nationalsozialist wie Alfred Baeumler sah an der Anthroposophie viele gute Seiten und suchte die Anknüpfungspunkte zwischen der nationalsozialistischen und der anthroposophischen Weltanschauung nicht zuletzt in der Rassenvorstellung:

›Insofern Rasse eine Naturwirklichkeit ist, scheint schon im Ansatzpunkt eine wesentliche Übereinstimmung zwischen der Menschenkunde des Nationalsozialismus und der Rudolf Steiners vorzuliegen‹.100«

Anmerkung 100 verweist auf: »Alfred Baeumler: Gutachten über die Waldorfschulen. Berlin 1942, ohne Seitenangabe zitiert bei Grandt: Schwarzbuch [Anm. 15], S. 191 ...«

Aus dem Baeumler-Gutachten zieht Zander den Satz aus:

»Insofern Rasse eine Naturwirklichkeit ist, scheint schon im Ansatzpunkt eine wesentliche Übereinstimmung zwischen der Menschenkunde des Nationalsozialismus und der Rudolf Steiners vorzuliegen.«

Er unterschlägt allerdings die Absätze, die unmittelbar darauf folgen. die ganze Passage im von Leschinsky veröffentlichten Gutachten (Achim Leschinsky: Waldorfschulen im Nationalsozialismus. Im Neue Sammlung 23, 1983, S. 255-283) lautet jedoch:

»Die nationalsozialistische Menschenkunde kann nur von der Rasse her entworfen werden. Insofern Rasse eine Naturwirklichkeit ist, scheint schon im Ansatzpunkt eine wesentliche Übereinstimmung zwischen der Menschenkunde des Nationalsozialismus und der Rudolf Steiners vorzuliegen. Denn Steiner geht ja von den bildenden Kräften der wirkenden Natur aus und gründet die Schulerziehung auf die Entwicklung der natürlichen Kräfte. Insofern könnte man seine Pädagogik »biologisch« fundiert nennen.

Würde man jedoch versuchen, den Begriff der Rasse in unserem Sinne in diese biologische Fundierung einzuführen, dann würde er die Menschenkunde Steiners zersprengen. Denn der Nationalsozialismus geht zwar von der Wirklichkeit des Blutes aus, aber zugleich auch von den Unterschieden, die zwischen Menschengruppen verschiedenen Blutes bestehen ...

Zu diesem von der Erkenntnis der rassischen Wirklichkeit geleiteten geschichtlichen Denken gibt es von der Menschenkunde Steiners her keinen Zugang. Der Platz, den in unserem Weltbilde der von rassischen Kräften bestimmte geschichtlich gestaltende Mensch einnimmt, ist in der Weltanschauung Rudolf Steiners besetzt durch den über aller Geschichte thronenden Geistesmenschen.«

Besser kann man die Unvereinbarkeit zwischen NS-Rassismus und Anthroposophie kaum mehr ausdrücken. Bei Zander wird die radikale Ablehnung der Anthroposophie durch einen prominenten Nationalsozialisten allerdings zu einer geistigen Verwandtschaft umgelogen.

Zander hat in einem privaten Schreiben, das der Redaktion vorliegt, diesen Befund übrigens zugestanden: »Ihre sachlichen Richtigstellungen (Ostara, Baeumler-Gutachten) akzeptiere ich selbstverständlich.« Allerdings hat er diese Richtigstellungen bisher nirgends veröffentlicht. Stattdessen schickte er noch im Jahr 2007 aus Anlass eines Prüfverfahrens zu zwei Bänden der Rudolf-Steiner-Gesamtausgabe, das durch eine Anzeige »besorgter Bürger« zustande gekommen war, der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften unaufgefordert Kopien seines Beitrages zum Sammelband Ullbricht/Schnurbein zu, der in Bezug auf die Einschätzung der Anthroposophie durch Baeumler das Gegenteil der Wahrheit enthält.

Zander verfolgt mit seinen Publikationen zur Anthroposophie kein wissenschaftliches, sondern ein politisches oder ideologisches Projekt. Deutlich bringt er dies in seinem Beitrag zu diesem Sammelband zum Ausdruck. Seine Absicht oder seine Hoffnung ist, in der anthroposophischen Bewegung »einen legitimationsgefährdenden Domino-Effekt« auszulösen, der dazu führt, dass sich die Anthroposophen von Steiner erst distanzieren und dann gänzlich abwenden müssen. Als Keil benutzt er den »Rassismusvorwurf«, den er zwischen Steiner und die Anthroposophen treibt und den er solange als politische Waffe zu nutzen gedenkt, bis die Abspaltung der Anthroposophen von ihren geistigen Wurzeln erfolgt und die Anthroposophie selbst vernichtet ist.

 

Auf S. 340 schreibt Zander:

»Aber dann stellt sich die Frage um so dringlicher, warum man Steiners Aussagen in ihren rassistischen Elementen nicht als Falschmeldung außer Kraft setzt oder revidiert – zumindest aus heutiger Perspektive.

Das entscheidende Problem scheint mir die Furcht von Anthroposophen vor einem legitimitationsgefährdenden Domino-Effekt zu sein. Wenn ein Teil von Steiners Weltanschauung fällt, weiß niemand, was am Ende noch stehen bleibt ...

Die Folgen der Revision hellseherisch begründeter Rassentheorien wären in der Tat gewaltig. Das evolutive und partiell sozialdarwinistische Gerüst, das sich durch die gesamte Anthroposophie zieht und in Steiners Rassenlehre nur binnenkonsequent angewandt ist, wäre mit einer prinzipiellen Anfrage konfrontiert. Mehr noch: Der gesamte Legitimationskomplex der ›Erkenntnis‹ ›höherer Welten‹, den Steiner Rassen- und Völkertheorie konkretisiert, stünde in seiner jetzigen Hermeneutik zur Disposition.«

Wenn man nicht erst in Steiners Deutung der Evolution und in seine Ausführungen über Rassen einen sozialdarwinistischen Subtext, der Diskriminierung und schlimmeres impliziert, hineininterpretiert, besteht auch keine Notwendigkeit, Steiners Aussagen »als Falschmeldung außer Kraft« zu setzen oder zu »revidieren«.

Es besteht auch nicht die Gefahr eines »legitimationsgefährdenden Dominoeffektes«, wenn man sich nicht dem Druck einer veröffentlichten Meinung beugt, die aus ihrem Nichtverstehen von Steiners Deutungen der Rassengeschichte der Menschheit eine Waffe gegen die Anthroposophie zu schmieden versucht.

Steiners Erzählung bietet auch keinen Anlass zu »prinzipiellen Anfragen«, denn ihre prinzipiellen Elemente halten jeder kritischen Prüfung stand. Diese prinzipiellen Elemente können nicht besser zum Ausdruck gebracht werden, als Steiner selbst dies in seinem »Gesetz der Bewusstseinsentwicklung« in der »Geheimwissenschaft im Umriss« getan hat:

»Die Menschheit ist von einer Einheit ausgegangen; aber die bisherige Erdenentwickelung hat zur Sonderung geführt. In der Christus-Vorstellung ist zunächst ein Ideal gegeben, das aller Sonderung entgegenwirkt, denn in dem Menschen, der den Christusnamen trägt, leben auch die Kräfte des hohen Sonnenwesens, in denen jedes menschliche Ich seinen Urgrund findet ...

Indem zunächst in dem bloßen Gedanken erfasst wurde, dass in Christus Jesus der Idealmensch lebt, zu dem die Bedingungen der Sonderung nicht dringen, wurde das Christentum das Ideal der umfassenden Brüderlichkeit. Über alle Sonderinteressen und Sonderverwandtschaften hinweg trat das Gefühl auf, dass des Menschen innerstes Ich bei jedem den gleichen Ursprung hat. (Neben allen Erdenvorfahren tritt der gemeinsame Vater aller Menschen auf. ›Ich und der Vater sind Eins.‹)« (GA 13, S. 293-294)

Die Menschheit ist von einer Einheit ausgegangen und sie wird zu dieser Einheit wieder zurückkehren. Ihre bisherige Entwicklung hat zur Sonderung geführt.

Zu dieser Sonderung gehören auch die in der atlantischen Zeit entstandenen unterschiedlichen Erscheinungsformen des Menschenleibes, die sogenannten Rassen.

Durch die Christus-Vorstellung, in der der Ideal-Mensch lebt, zu dem die Bedingungen der Sonderung nicht dringen, ist ein ethisches und zugleich evolutives Prinzip der künftigen Menschheitsentwicklung gegeben, das Ideal der umfassenden Brüderlichkeit, das die Menschheit über alle »Sonderinteressen und Sonderverwandtschaften« hinausführen wird.

Denn in ihm wird erkennbar, dass des Menschen innerstes Ich in jedem Menschen den gleichen Ursprung hat. Durch die Kraft, die von diesem Ideal ausgeht, wird sich die Menschheit, wenn sie denn diese Kraft in sich aufnimmt, nicht nur den Rassismus überwinden – die Theorie also, die an diesen »Sonderinteressen und Sonderverwandtschaften« festhalten und auf ihr Ordnungen der Ungleichheit errichten will – , vielmehr wird sie auch die noch vorhandenen Residuen der tatsächlichen Sonderung im Geiste einer umfassenden Brüderlichkeit überwinden und die verbliebenen Rassenunterschiede tatsächlich auslöschen.

Der Rassismus als Theorie und gesellschaftliche Praxis erweist sich aus der Sicht der Anthroposophie, der modernen Verkündigung des Christus, daher als das, was er ist: als ein defizienter, zum Aussterben verurteilter Modus des Bewusstseins.

Deutlich genug hat Steiner zum Ausdruck gebracht, was der Menschheit droht, wenn sie sich diesem umfassenden Ideal der Brüderlichkeit nicht zuwendet. Sie wird in den kulturellen, politischen und ethischen Niedergang geraten:

»In alten Zeiten hatten die Geister der Finsternis die Aufgabe, entgegenzuarbeiten den vererbten Merkmalen der Menschen; seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts bleiben sie zurück, wollen zurückbleiben, wollen die Menschen immer wieder und wiederum hinweisen, auf ihre Stammes- und Bluts- und Vererbungszusammenhänge zu pochen.

Diese Dinge sind einfach eine Wiedergabe der Wahrheit, aber einer Wahrheit, die den Menschen heute im höchsten Grade unbequem ist, die die Menschen heute nicht hören wollen, denn sie haben sich durch Jahrtausende das Pochen auf die Blutsbande eingeimpft. Und diese Gewohnheit lassen sie aus Bequemlichkeit übergehen in die Führung der Geister der Finsternisse.

Und so sehen wir, dass gerade im 19. Jahrhundert ein Pochen auf Stammes- und Volks- und Rassenzusammenhänge beginnt, und dass man von diesem Pochen als einem idealistischen spricht, während es in Wahrheit der Anfang ist einer Niedergangserscheinung der Menschen, der Menschheit. Denn während alles dasjenige, was auf die Herrschaft des Blutes gebaut war, Fortschritt bedeutete, solange das Blut unter der Herrschaft der Geister des Lichts war, bedeutet es unter der Herrschaft der Geister der Finsternisse Niedergangserscheinung.

Im stärksten Maße werden sich die Geister der Finsternis anstrengen, wie sie sich früher angestrengt haben, den rebellischen Sinn für die Freiheit in die Menschen zu pflanzen, als die Vererbungsmerkmale im guten Sinne von den fortschrittlichen Geistern vererbt wurden, so werden sie sich im äußersten Maße anstrengen in den drei folgenden Zeiten der Menschheitsentwickelung bis zu der großen Katastrophe, durch die Konservierung der alten Vererbungsmerkmale und der aus der Konservierung dieser Vererbungsmerkmale folgenden Gesinnung die notwendigen Niedergangsmerkmale in die Menschheit zu bringen ...

Ein Mensch, der heute von dem Ideal von Rassen und Nationen und Stammeszusammengehörigkeiten spricht, der spricht von Niedergangsimpulsen der Menschheit. Und wenn er in diesen sogenannten Idealen glaubt, fortschrittliche Ideale vor die Menschheit hinzustellen, so ist das die Unwahrheit. Denn durch nichts wird sich die Menschheit mehr in den Niedergang hineinbringen, als wenn sich die Rassen-, Volks- und Bluts- ideale fortpflanzen. Durch nichts wird der wirkliche Fortschritt der Menschheit mehr aufgehalten als dadurch, dass aus früheren Jahrhunderten stammende, von luziferisch-ahrimanischen Mächten fortkonservierte Deklamationen herrschen werden über die Ideale der Völker, während das wirkliche Ideal dasjenige werden müsste, was in der reingeistigen Welt, nicht aus dem Blute heraus, gefunden werden kann.

Der Christus, der im Laufe des 20. Jahrhunderts erscheinen soll, in besonderer Form erscheinen soll, der wird nichts wissen von jenen sogenannten Idealen, von denen heute die Menschen deklamieren. Denn so wie da das Wesen aus der Hierarchie der Archangeloi, das wir als Michael bezeichnen, gewissermaßen der Statthalter Jahves in früheren Zeiten war, wird er sein durch jene Funktionen, die er 1879 übertragen erhalten hat, der Statthalter des Christus, des Christus-Impulses, der darauf hinausläuft, an die Stelle der bloß natürlichen Blutsbande geistige Bande unter den Menschen zu schaffen.

Denn nur durch geistige Zusammengehörigkeitsbande wird in das Niedergehende, das ganz naturgemäß ist, Fortschreitendes hineinkommen.

Ich sage: das Niedergehende ist naturgemäß. Denn geradeso wie der Mensch, wenn er ins Alter kommt, nicht ein Kind bleiben kann, sondern mit seinem Leib in eine absteigende Entwickelung eintritt, so trat auch die ganze Menschheit in eine absteigende Entwickelung ein.

Wir haben den vierten Zeitraum [die vierte Kulturepoche] überschritten, wir sind im fünften [seit dem 15. Jahrhundert] darinnen; der sechste und der siebente werden mit dem fünften zusammen das Alter der gegenwärtigen Weltentwickelung sein. Zu glauben, dass die alten Ideale fortleben können, ist geradeso gescheit, wie zu glauben, dass der Mensch sein ganzes Leben hindurch buchstabieren lernen soll, weil es dem Kinde gut ist, buchstabieren zu lernen.

Ebenso gescheit wäre es, wenn man in der Zukunft davon reden wollte, dass über die Erde hin eine soziale Struktur sich ausbreiten soll auf Grundlage der Blutszusammengehörigkeit der Völker.« (GA 177, Dornach 26. Oktober 1917. – Der Vortrag in vollem Wortlaut findet sich hier.)