Zanders Interpretation von Steiners »Rassentheorie« fußt auf drei fundamentalen Grundirrtümern.

Auf S. 297-298 schreibt Zander:

»Steiners Rassentheorie ist Bestandteil einer ausgreifenden, aus der Theosophie stammenden Kosmologie, die die Emanationsgeschichte der Welt von ihrem Austritt aus dem ›Geistigen‹ bis zur Respiritualisierung am Ende der Geschichte beschreibt ... Die theosophische Einfärbung des Modells zeigt sich in der Parallelisierung der ›planetarischen (d.h. nach Planetennamen benannten) Stufen‹ mit der Entwicklung der menschlichen Körperhüllen und der Entfaltung des Bewusstseins. Die Bewertung von Rassen greift auf dieses sozialdarwinistische Entwicklungsmodell zurück, indem sie einen Bewusstseinsstand einem Ort in der Rassengenese zuweist.«

Zanders gesamte Ausführungen beruhen auf drei fundamentalen Grundirrtümern:

1. der Annahme, Steiner habe eine biologistische Rassentheorie im Stile des zeitgenössischen Rassismus geschaffen,

2. dieser Theorie sei ein sozialdarwinistisches Prinzip konstitutiv eingeschrieben,

3. Steiners Aussagen über das, was er unter Rassen verstand, enthielten Werturteile.

Der erste Irrtum beruht auf einer Verkennung des Menschenbildes der Anthroposophie, der zweite auf einer Verkennung ihrer ethisch-moralischen und politischen Prinzipien, der dritte auf einer Verwechslung ontologischer und moralischer Urteile.

Zu 1.

Bereits in der »Philosophie der Freiheit« (1893) hat Steiner die Gültigkeit oder Anwendbarkeit von Rassenkategorien auf eine dem Wesen des Menschen äußerliche ontologische Ebene eingeschränkt:

»Wer die Menschen nach Gattungscharakteren beurteilt, der kommt eben gerade bis zu der Grenze, über welcher sie anfangen, Wesen zu sein, deren Betätigung auf freier Selbstbestimmung beruht. Was unterhalb dieser Grenze liegt, das kann natürlich Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung sein. Die Rassen-, Stammes-, Volks- und Geschlechtseigentümlichkeiten sind der Inhalt besonderer Wissenschaften.

Nur Menschen, die allein als Exemplare der Gattung leben wollten, könnten sich mit einem allgemeinen Bilde decken, das durch solche wissenschaftliche Betrachtung zustande kommt. Aber alle diese Wissenschaften können nicht vordringen bis zu dem besonderen Inhalt des einzelnen Individuums.

Da, wo das Gebiet der Freiheit (des Denkens und Handelns) beginnt, hört das Bestimmen des Individuums nach Gesetzen der Gattung auf. Den begrifflichen Inhalt, den der Mensch durch das Denken mit der Wahrnehmung in Verbindung bringen muss, um der vollen Wirklichkeit sich zu bemächtigen, kann niemand ein für allemal festsetzen und der Menschheit fertig hinterlassen.

Das Individuum muss seine Begriffe durch eigene Intuition gewinnen. Wie der einzelne zu denken hat, lässt sich nicht aus irgendeinem Gattungsbegriffe ableiten. Dafür ist einzig und allein das Individuum maßgebend. Ebensowenig ist aus allgemeinen Menschencharakteren zu bestimmen, welche konkrete Ziele das Individuum seinem Wollen vorsetzen will.

Wer das einzelne Individuum verstehen will, muss bis in dessen besondere Wesenheit dringen, und nicht bei typischen Eigentümlichkeiten stehen bleiben. In diesem Sinne ist jeder einzelne Mensch ein Problem. Und alle Wissenschaft, die sich mit abstrakten Gedanken und Gattungsbegriffen befasst, ist nur eine Vorbereitung zu jener Erkenntnis, die uns zuteil wird, wenn uns eine menschliche Individualität ihre Art, die Welt anzuschauen, mitteilt, und zu der anderen, die wir aus dem Inhalt ihres Wollens gewinnen.« (GA 4, S. 239-241)

An dieser Wesensbestimmung des Menschen hat er auch in der theosophischen und anthroposophischen Zeit uneingeschränkt festgehalten. In seiner »Theosophie« schrieb er 1904:

»Der Mensch ist außer mit den bei Pflanzen und Tieren genannten Fähigkeiten noch mit derjenigen ausgestattet, die Empfindungen zu Vorstellungen und Gedanken zu verarbeiten und seine Triebe denkend zu regeln. Der Gedanke, der in der Pflanze als Gestalt, im Tiere als seelische Kraft erscheint, tritt bei ihm als Gedanke selbst, in seiner eigenen Form, auf. Das Tier ist Seele; der Mensch ist Geist. Die Geistwesenheit ist noch um eine Stufe tiefer herabgestiegen. Beim Tiere ist sie seelenbildend. Beim Menschen ist sie in die sinnliche Stoffwelt selbst eingezogen. Der Geist ist innerhalb des menschlichen Sinnenleibes anwesend. Und weil er im sinnlichen Kleide erscheint, kann er nur als jener schattenhafte Abglanz erscheinen, welchen der Gedanke vom Geistwesen darstellt. Durch die Bedingungen des physischen Gehirnorganismus erscheint im Menschen der Geist – Aber der Geist ist dafür auch des Menschen innerliche Wesenheit geworden.« (GA 9, S. 153)

Und in seiner »Geheimwissenschaft im Umriss« (1909): »Das ›Ich‹ als Bezeichnung für ein Wesen hat nur dann einen Sinn, wenn dieses Wesen sich diese Bezeichnung selbst beilegt. Niemals kann von außen an eines Menschen Ohr der Name ›Ich‹ als seine Bezeichnung dringen; nur das Wesen selbst kann ihn auf sich anwenden. ›Ich bin ein Ich nur für mich; für jeden andern bin ich ein Du; und jeder andere ist für mich ein Du.‹

Diese Tatsache ist der äußere Ausdruck einer tief bedeutsamen Wahrheit. Das eigentliche Wesen des «Ich» ist von allem Äußeren unabhängig; deshalb kann ihm sein Name auch von keinem Äußeren zugerufen werden. Jene religiösen Bekenntnisse, welche mit Bewusstsein ihren Zusammenhang mit der übersinnlichen Anschauung aufrechterhalten haben, nennen daher die Bezeichnung ›Ich‹ den ›unaussprechlichen Namen Gottes‹. Denn gerade auf das Angedeutete wird gewiesen, wenn dieser Ausdruck gebraucht wird.

Kein Äußeres hat Zugang zu jenem Teile der menschlichen Seele, der hiermit ins Auge gefasst ist. Hier ist das ›verborgene Heiligtum‹ der Seele. Nur ein Wesen kann da Einlass gewinnen, mit dem die Seele gleicher Art ist. ›Der Gott, der im Menschen wohnt, spricht, wenn die Seele sich als Ich erkennt.‹ Wie die Empfindungsseele und die Verstandesseele in der äußeren Welt leben, so taucht ein drittes Glied der Seele in das Göttliche ein, wenn diese zur Wahrnehmung ihrer eigenen Wesenheit gelangt.« (GA 13, S. 67-68)

Diese Wesensbestimmung des Menschen – jedes Menschen – macht jede denkbare »Gattungseigenschaft«, die der Individualität anhaftet, zu einer akzidentellen Bestimmung, die nicht sein Wesen betrifft, sondern nur gewisse Eigenschaften, die mit dieser in einer äußerlichen Form verbunden sind. Wenn das Wesen des Menschen der Geist ist, wenn dieser Geist im Ich eines jeden als sein Allerheiligstes, als das Göttliche aufleuchtet, dann können leibliche Eigenschaften nicht zu diesem Wesen des Menschen gehören und aus ihnen auch keine Wesensbestimmung des Menschen geschöpft werden. Aussagen über Rasseneigenschaften betreffen also grundsätzlich nicht das »heiligste« Wesen des Menschen.

Von der geisteswissenschaftlichen Erkenntnis – also auch seiner eigenen – forderte Steiner explizit, dass sie sich gänzlich von »Rassenvorurteilen« frei machen müsse. In »Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?« schrieb er (1905):

»Zu den Eigenschaften, die zum Beispiel ebenso bekämpft werden müssen wie Zorn und Ärger, gehören Furchtsamkeit, Aberglaube und Vorurteilssucht, Eitelkeit und Ehrgeiz, Neugierde und unnötige Mitteilungssucht, das Unterschiedmachen in bezug auf Menschen nach äußerlichen Rang-, Geschlechts-, Stammeskennzeichen und so weiter.

In unserer Zeit wird man recht schwer begreifen, dass die Bekämpfung solcher Eigenschaften etwas zu tun habe mit der Erhöhung der Erkenntnisfähigkeit. Aber jeder Geheimwissenschafter weiß, dass von solchen Dingen viel mehr abhängt als von der Erweiterung der Intelligenz und von dem Anstellen künstlicher Übungen.

Insbesondere kann leicht ein Missverständnis darüber entstehen, wenn manche glauben, dass man sich tollkühn machen solle, weil man furchtlos sein soll, dass man sich vor den Unterschieden der Menschen verschließen soll, weil man die Standes-, Rassen- und so weiter Vorurteile bekämpfen soll. Man lernt vielmehr erst richtig erkennen, wenn man nicht mehr in Vorurteilen befangen ist. Schon in gewöhnlichem Sinne ist es richtig, dass mich die Furcht vor einer Erscheinung hindert, sie klar zu beurteilen, dass mich ein Rassenvorurteil hindert, in eines Menschen Seele zu blicken. Diesen gewöhnlichen Sinn muss der Geheimschüler in großer Feinheit und Schärfe bei sich zur Entwickelung bringen.« (GA 10, S. 67)

Steiner schränkte die Gültigkeit von Rassenkategorien aber nicht nur ontologisch, sondern auch zeitlich ein. Seiner Auffassung nach waren sie »im eigentlichen Sinne« nur auf die »atlantische Zeit« anwendbar. So heißt es in einem Vortrag am 20. Juni 1908:

»Deshalb sprechen wir auch von Kulturzeitaltern im Gegensatz zu Rassen. Alles das, was etwa verknüpft ist mit dem Rassenbegriff, ist noch Überbleibsel des Zeitraumes, der dem unseren vorangegangen ist, des atlantischen. Wir leben im Zeitraum der Kulturepochen. Die Atlantis war der Zeitraum, wo sich nach und nach sieben aufeinanderfolgende große Rassen bildeten. Natürlich, die Früchte dieser Rassenbildung ragen herein auch in unser Zeitalter, daher spricht man auch heute noch von Rassen. Das sind aber schon Verwischungen jener scharfen Trennungen in der atlantischen Zeit. Heute hat schon der Kulturbegriff den Rassenbegriff abgelöst. Daher sprechen wir von der alten indischen Kultur, von welcher die Kultur, die uns in den Veden angekündigt wird, nur ein Nachklang ist. Die uralt-heilige indische Kultur ist die erste Morgenröte der nachatlantischen Kultur, sie folgt unmittelbar auf die atlantische Zeit.« (GA 104, 20. Juni 1908, S. 69) Mit anderen Worten: Rassenbegriffe sind auf die Menschheitsentwicklung seit rund zehntausend Jahren nicht mehr anwendbar (die alte indische Kultur begann im 8. Jahrtausend vor Christus), was heute noch als »Rasse« bezeichnet wird, ist ein ephemeres Residuum und als historische Kategorie wertlos.

Zu 2.

Genauso absurd, wie die Unterstellung, Steiner habe einen biologistischen Reduktionismus und damit einen Rassismus vertreten, für dessen Begriff die Reduktion des Menschen auf seine Gattungseigenschaften konstitutiv ist –  ist die Unterstellung, Steiner sei Sozialdarwinist gewesen.

Der Sozialdarwinismus ist die Anwendung des Darwinismus auf die Politik und ist ebenso wie der Rassismus durch einen biologistischen Reduktionismus und Determinismus gekennzeichnet. Die menschlichen Gesellschaften sind dem Prinzip des Kampfs ums Dasein und der natürlichen Selektion unterworfen. Die Auslese der Stärkeren und die Vernichtung der Schwächeren ist in sozialer, ökonomischer und moralischer Hinsicht maßgeblich für das soziale Leben (das natürlich unter diesen Voraussetzung nicht sozial, sondern zutiefst antisozial ist). Steiner verabscheute den Sozialdarwinismus.

Bereits in der »Philosophie der Freiheit« setzte er die höchsten Maximen des moralischen Handelns in 1. das größtmögliche Wohl der Gesamtmenschheit rein um dieses Wohles willen; 2. den Kulturfortschritt oder die sittliche Entwicklung der Menschheit zu immer größerer Vollkommenheit; 3. die Verwirklichung rein intuitiv erfasster individueller Sittlichkeitsziele. (GA 4, S. 109)

Für letztere gilt der Grundsatz: »Leben in der Liebe zum Handeln und Lebenlassen im Verständnisse des fremden Wollens.« (GA 4, S. 116) »Läge nicht in der menschlichen Wesenheit der Urgrund zur Verträglichkeit« so Steiner, »man würde sie ihr durch keine äußeren Gesetze einimpfen! Nur weil die menschlichen Individuen eines Geistes sind, können sie sich auch nebeneinander ausleben. Der Freie lebt in dem Vertrauen darauf, dass der andere Freie mit ihm einer geistigen Welt angehört und sich in seinen Intentionen mit ihm begegnen wird. Der Freie verlangt von seinen Mitmenschen keine Übereinstimmung, aber er erwartet sie, weil sie in der menschlichen Natur liegt.« (GA 4, S. 116)

Das höchste ethische Prinzip ist für Steiner die Liebe:

»Nur wenn ich meiner Liebe zu dem Objekte folge, dann bin ich es selbst, der handelt. Ich handle auf dieser Stufe der Sittlichkeit nicht, weil ich einen Herrn über mich anerkenne, nicht die äußere Autorität, nicht eine sogenannte innere Stimme. Ich erkenne kein äußeres Prinzip meines Handelns an, weil ich in mir selbst den Grund des Handelns, die Liebe zur Handlung gefunden habe. Ich prüfe nicht verstandesmäßig, ob meine Handlung gut oder böse ist; ich vollziehe sie, weil ich sie liebe.« (GA 4, S. 113)

Dieses Prinzip war für ihn auch in der theosophischen und anthroposophischen Zeit uneingeschränkt gültig:

»Will der Mensch den Liebe schaffenden und Liebe ausströmenden Gott erkennen, dann muss er seine Seele selbst zur Liebe heranbilden. Das ist der wichtigste Grundsatz, den die theosophische Bewegung zu dem ihrigen gemacht hat: Den Kern einer allgemeinen Menschenverbrüderung zu bilden, welche auf Menschenliebe gebaut ist. Dadurch wird die theosophische Bewegung die Menschheit in umfassender Weise zubereiten zu einer Weltanschauung, in der nicht der Kampf, sondern die Liebe schafft und bildet.« (GA 53, 29.9.1904, S. 25)

In einem öffentlichen Vortrag über »Bruderschaft und Daseinskampf« führte er 1905 aus:

»Diese einheitliche Seele im ganzen Menschengeschlecht wahrhaft und wirklich zu entwickeln, das ist die Aufgabe der geisteswissenschaftlichen Weltanschauung. Das spricht sich in unserem ersten Grundsatz aus: einen Bruderbund zu gründen über die ganze Erde hin, ohne Rücksicht auf Rasse, Geschlecht, Farbe und so weiter ... Bis in die Leidenschaften hinein muss die Läuterung stattfinden, die es dem Menschen selbstverständlich macht, dass in seinem Bruder die gleiche Seele lebt. Im Physischen sind wir getrennt, im Seelischen sind wir eine Einheit als Ich des Menschengeschlechtes« (23.11.1905, GA 54, S. 52-53).

Diesen Gedanken verknüpfte er mit dem Prinzip der »gegenseitigen Hilfeleistung« (ebd.) Die gegenseitige Hilfeleistung (Mutualismus, Solidarität) zwischen allen Menschen stellt zusammen mit der Idee der »gleichen Seele in allen Menschen« die Grundlage für den Bruderbund dar, der die ganze Menschheit, über alle physischen Unterschiede hinweg, einschließt. Nur eine Gesellschaft, die sich auf das Prinzip des Mutualismus und die Erkenntnis stützt, dass die Menschheit eine geistige Einheit ist, kann wirklichen Frieden auf der Erde schaffen und Kriege und Konflikte überwinden: »Eine wirkliche Friedensgesellschaft ist eine solche, die nach Geist-Erkenntnis strebt, und die wirkliche Friedensbewegung ist die geisteswissenschaftliche Strömung« (23.11.1905, GA 54, S. 53).

Und zwar, weil sie sich von der Maxime leiten lässt:

»Wir bekämpfen nicht, wir tun etwas anderes: Wir pflegen die Liebe, und wir wissen, dass mit diesem Pflegen der Liebe der Kampf verschwinden muss. Wir stellen nicht Kampf gegen Kampf. Wir stellen die Liebe, indem wir sie hegen und pflegen, gegen den Kampf. Das ist etwas Positives. Wir arbeiten an uns in der Ausgießung der Liebe und begründen eine Gesellschaft, die auf Liebe gebaut ist. Das ist unser Ideal ... Nicht durch Kampf überwindet man den Kampf, nicht durch Hass überwindet man den Hass, sondern den Kampf und den Hass überwindet man in Wahrheit allein durch die Liebe« (23.11.1905, GA 54, S. 55-56).

Diese Grundsätze hat Steiner später nicht etwa aufgegeben:

»Deshalb ist es notwendig, dass diejenige Bewegung, welche die anthroposophische genannt wird, welche vorbereiten soll den sechsten Zeitraum, gerade in ihrem Grundcharakter dieses Abstreifen des Rassencharakters aufnimmt, dass sie nämlich zu vereinigen sucht Menschen aus allen Rassen, aus allen Nationen und auf diese Weise überbrückt diese Differenzierung, diese Unterschiede, diese Abgründe, die zwischen den einzelnen Menschengruppen vorhanden sind.« (GA 117, 4.12.1909, S. 151-2)

In seinen »Kernpunkten der sozialen Frage« (1919) fasste Steiner die drei regulativen Prinzipien einer menschenwürdigen Gesellschaft wie folgt zusammen: »das Zusammenwirken der Menschen im Wirtschaftsleben« muss »auf derjenigen Brüderlichkeit ruhen ..., die aus den Assoziationen heraus ersteht. In dem zweiten Gliede, in dem System des öffentlichen Rechts, wo man es zu tun hat mit dem rein menschlichen Verhältnis von Person zu Person, hat man zu erstreben die Verwirklichung der Idee der Gleichheit. Und auf dem geistigen Gebiete, das in relativer Selbständigkeit im sozialen Organismus steht, hat man es zu tun mit der Verwirklichung des Impulses der Freiheit. So angesehen, zeigen diese drei Ideale ihren Wirklichkeitswert.« (GA 23, S. 89-90)

Zu 3.

Steiners Aussagen über »Rasseneigenschaften« und sogenannte »Rassen« sind seinem eigenen epistemologischen Selbstverständnis nach Zuordnungen von Erkenntnisbegriffen zu Wahrnehmungsinhalten und betreffen vermutete oder tatsächliche Merkmale bestimmter Bestandteile der Wahrnehmungswelt zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Sie unterliegen damit prinzipiell der Falsifikation.

Es handelt sich grundsätzlich nicht um moralische Werturteile. Sie schließen auch keine solchen Werturteile ein.

Der Begriff der »Dekadenz« beispielsweise betrifft eine bestimmte leibliche Konstitution in Relation zu ihren eigenen früheren Zuständen und gewissen Umweltbedingungen. Er sagt etwas über die mögliche Beschaffenheit eines Wahrnehmungsinhaltes aus und enthält keinerlei moralische Verurteilung dieses Wahrnehmungsinhaltes. Dies ist schon allein deshalb nicht möglich, weil sich die betreffenden Aussagen nicht auf das moralische Wesen des Menschen beziehen, in dem sein unveräußerlicher Wert verankert ist, sondern auf akzidentelle, leibliche Merkmale.

Darüberhinaus leitet Steiner nie irgendwelche Handlungsanweisungen aus solchen Aussagen ab, also soziale oder regulative politische Ideen, die aus vermuteten oder zugesprochenen Eigenschaften das Recht zur Schädigung der betreffenden Menschengruppen oder zur Beschränkung ihrer Rechte ableiten. Will man wissen, welche moralischen und ethischen Prinzipien Steiner in bezug auf das Zusammenleben der Menschheit auf der Erde vertrat, muss man seine diesbezüglichen Ausführungen zu Rate ziehen, die unter 2. aufgeführt wurden.

Es ist vollkommen absurd, wenn Zander Ausführungen Steiners über »Wurzelrassen« unter eine biologistische »Rassentheorie« subsumiert.

Auf S. 299 schreibt Zander:

»In den Aufsätzen ›Aus der Akasha-Chronik‹ ... findet sich im Juli 1904 das Gerüst der oben tabellarisch dargestellten Rassenvorstellungen, wobei sich Steiners Detailausführungen auf drei Wurzelrassen: ›Lemurier‹, ›Atlantier‹ und ›arische Wurzelrasse‹, beschränken.

Ihre Zuordnung erfolgt in einem evolutionären Schema, deren Kern die Entwicklung des menschlichen Selbstbewusstseins sei: Habe in der vierten Wurzelrasse von den Tolteken zu den Ur-Turaniern hin ›die persönliche Erfahrung immer mehr an Bedeutung‹ gewonnen (GA 11,38), so hätten die Ur-Semiten ›die Antriebe zum Handeln in das menschliche Innere verlegt‹ (GA 11,40) und die Akkadier die ›Denkkraft‹ weiter ausgebildet (GA 11,41). In der fünften Wurzelrasse seien die Beseelung mit ›höheren Ideen‹, aber auch der persönliche ›Eigennutz‹ zum Kennzeichen der Rassenentwicklung geworden – Steiner sah also eine ambivalente Entwicklung. In der fünften Wurzelrasse treten ›die menschlichen Eingeweihten, die heiligen Lehrer, ... die großen Priesterkönige‹ auf (GA 11,55), die die Menschheit nun weiterführen.«

Wie Zander richtig bemerkt, konzentriert sich Steiner bei seinen Ausführungen in seinen Aufsätzen »Aus der Akasha-Chronik« auf die Entwicklung des menschlichen Selbstbewusstseins, sie geben daher nichts her, wenn man eine entscheidende Frage beantworten will: Wie sahen eigentlich diese Lemurier oder Atlantier aus?

Diese Frage ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Denn wenn man behauptet, dass die Lemurier oder Atlantier eine »biologische Rasse« im heutigen Sinn waren und sie deswegen Bestandteil biologischer »Rassenvorstellungen« im Sinne der Theorie der Menschenrassen sind, wird ja wohl die Beschaffenheit ihrer Biologie von zentraler Bedeutung sein.

Sollte sich aber herausstellen, dass diese Wurzelrassen vom heutigen Menschen so vollkommen verschieden waren, dass sie »in keiner Weise« mit dem heutigen Menschen zu vergleichen sind, dann können sie auch nicht unter eine »sozialdarwinistische Theorie der Rassenevolution« subsumiert werden. Sollte dies der Fall sein, dann folgt daraus, dass alle Aussagen, die sich auf die lemurischen oder atlantischen »Rassen« beziehen, nicht für den Vorwurf des Rassismus ausgeschlachtet werden können.

Wie sahen sie also aus? Um eine Antwort auf diese Frage zu erhalten, muss man ein wenig herumsuchen, dann wird man fündig.

Der Lemurier entwickelte sich »aus dem noch nicht menschlichen Genossen der Ichthyosaurier, Plesiosaurier«, er bestand aus gallertartigen, durchsichtigen Stoffen, er bewegte sich mit Hilfe einer Schwimmblase schwebend fort, besaß noch keine Lunge, er sah äußerlich aus wie ein sehr weichkörperiger Lindwurm. Seine Genossen waren Kröten, Fische, Frösche, eine urtümliche Reptilien- und Amphibienwelt, deren heutige Nachkommen allerdings nicht mehr damit verglichen werden können – weder von jenen Tieren noch vom damaligen Menschen sind heute noch Reste aufzufinden.

In einem öffentlichen Vortrag in Berlin am 9. November 1905 führte Steiner dazu aus:

»Der Lemurier war in höherem Grade noch als der Atlantier ein hellsehender Mensch. Er war mit einer riesigen Kraft des Willens begabt, er war ein Mensch, bei dem noch nicht Sprache und Gedächtnis ausgebildet waren. Erst im späteren Lemurien fing die Sprache an. Der Lemurier konnte aber die Pflanzen wachsen machen, er konnte dem Winde gebieten, er konnte Naturkräfte wie mit Zauber aus der Erde hervorholen, kurz, den heutigen Vorstellungen gegenüber grenzt das, was der Lemurier konnte, ans Wunderbare. Aber das alles war in einem völlig dumpfen Bewusstsein, in einem tieferen Traumschlaf, als er bei dem Atlantier vorhanden war. Ganz geleitet von höheren Einflüssen, von höheren geistigen Wesenheiten, war dieser Lemurier ein abhängiges Geschöpf in den Händen höherer Mächte, die ihm die Impulse zu seinen Willensentschlüssen, zu allem was er tat, gaben ...

Dieser Lemurier entwickelte sich heraus aus dem noch nicht menschlichen Genossen der Ichthyosaurier, Plesiosaurier und so weiter. Das sind jene fabelhaften Tiere, die noch vor unseren Säugetieren da waren und die durch die großen, gewaltigen Naturrevolutionen in diesen Kontinenten zugrunde gegangen sind. Alles das, was als vulkanische Bildungen aus dem Ozean herausragt, sind Überreste jener alten lemurischen Zeit ...

Der Naturforscher von heute, an materialistische Vorstellungsweisen gewöhnt, nimmt an, dass der Mensch sich aus niederen Tierformen entwickelt hat. Das kann der Geistesforscher nicht. Er nimmt an, dass dem Materiellen das Geistige vorangegangen ist, dass in dem Geistigen der Urgrund des Äußeren, des Materiellen liegt, dass des Menschen äußerer Leib Ausdruck von des Menschen Seele sei.

Das, was der Geistesforscher als Astralkörper schildert, war viel früher ausgebildet als des Menschen physischer Leib. Dieser Astralleib hat eine Verdichtung durchgemacht und bildet so den Ätherleib, und erst dieses Ätherleibes Verdichtung bildet den physischen Leib. Das Dichtere hat sich erst später gebildet. Das Dünnere, das Astrale namentlich, war in viel früheren Zeiten vorhanden.

So zeigt uns die Geisteswissenschaft, dass nicht aus zufälliger Zusammenballung physischer Materie ein Wesen entstanden ist, welches solche Triebe, Leidenschaften und Instinkte hat wie der Mensch, sondern dass diese Triebe und Leidenschaften in einer ihnen zukommenden Materie das Ursprüngliche sind. Diese Materie hat nicht die Leidenschaft geschaffen, sondern die früheren Leidenschaften haben die Formen der Physiognomie geschaffen.

So geht der Mensch durch einen Verdichtungsprozess hindurch. Und in der Tat, wenn wir zurückgehen auf jene Lemurier, so sehen wir, dass ihr Leib immer dünner und dünner wird, bis wir zu Menschen zurückkommen, welche ihrer physischen Materie nach gewissen Tieren, die heute eine gallertartige Materie haben, sehr ähnlich sind. Wenn wir noch weiter zurückgingen, so würden wir uralte Menschenvorfahren finden, in einer Materie ausgebildet, welche nicht mit dem gewöhnlichen physischen Auge gesehen werden kann: den Äthermenschen. Doch auf diese urälteste Zeit will ich heute nicht zurückgehen. (GA 54, 9. November 1905)

Eine wichtige Ergänzung stellen Ausführungen in einem Vortrag in Leipzig im Jahr 1906 dar:

»Wir haben den Entwickelungsgang der Menschheit zurückverfolgt bis in die Atlantis hinein und wollen nun zur Betrachtung von Lemurien übergehen und von den lemurischen Menschengestalten reden. Diese Menschen repräsentieren als erste den eigentlichen Menschen, bei dem der Körper von einer Seele durchdrungen ist.

Betrachten wir zunächst die Beschaffenheit des lemurischen Kontinentes und die jenes Menschentypus, der ihn bewohnte. In der lemurischen Zeit war alles erfüllt von einer wasserartigen Masse, aus der Inseln herausragten, die sämtlich vulkanisch waren. Typisch für Lemurien ist das Wechselvolle in der Natur, in den Formen und im Leben. Da herrschte ein rasches Sich-Verwandeln der einzelnen Gestalten und Arten.

Die Seeleneigenschaften der Atlantier waren bei den Lemuriern noch stärker ausgeprägt, insbesondere der Wille, der den allergrößten Einfluss auch auf die Gestaltung des physischen Leibes hatte.

Dieser selbst bestand nur aus gallertartigen, durchsichtigen Stoffen, in die das, was heute Knochen und Muskeln sind, erst hineingebaut werden musste. Ein Organ, das heute eine sehr große Rolle spielt, befand sich damals erst in den allerersten Anfängen. Das ist sehr bedeutsam, denn mit der Ausbildung der Lunge hängt die Beseelung des Menschen zusammen. Diese Beseelung geschah nicht in einem Augenblick, sondern sie dauerte sehr lange Zeitepochen.

Welche Beziehungen hatte nun die Menschenseele, bevor sie den damaligen physischen Leib beseelte, zu diesem Leibe, der nach unseren heutigen Begriffen sehr missgestaltet war? Es waren dieselben Beziehungen, die sie heute zu ihm im Schlafe hat: sie war außerhalb des Leibes, umschwebte ihn und zog ihn mit sich, auf einer Erde, die damals noch von mächtigen Lebensströmungen durchzogen war.

Der Lemurier befand sich dauernd in einem schlafartigen Zustand, der sich mit unserem Traumbewusstsein vergleichen lässt, in dem eine lebhafte Bilderwelt sich darstellt. Nur in dieser Weise konnte er wahrnehmen; er wusste die Bedeutung der einzelnen Bilder und kannte dadurch das Seelische der Dinge.

Ein großer Entwickelungsaugenblick war der, als er zum ersten Mal seinen Körper zum Wahrnehmen benützte. Die Bewegung des Menschen bestand in einem Schweben.

In seiner Leibeshöhle besaß er ein besonderes Organ dafür, eine Art von Schwimmblase. Aus dieser Schwimmblase entwickelte sich dann unter dem Einfluss der ihn umschwebenden Seele die Lunge allmählich heraus. In dem Maße, als der Mensch mit der Lunge zu atmen begann, zog seine Seele in den Körper ein. Mit der Atemluft atmete der Mensch tatsächlich seine Seele ein. Dieser Vorgang wird wiederum wörtlich richtig in der Genesis im Sechstagewerk geschildert durch den Satz: Und Gott blies dem Menschen seinen Odem ein, und er ward eine lebendige Seele.

Äußerlich sah der Mensch in jener Zeit etwa aus wie ein sehr weichkörperiger Lindwurm – Schlange trifft nicht ganz die Wirklichkeit. Seine Genossen waren Kröten, Fische, Frösche und so weiter, kurz, eine urtümliche Reptilien- und Amphibienwelt, deren heutige Nachkommen allerdings nicht mehr damit verglichen werden können, denn es sind dies ganz herabgekommene Nachkommen. Säugetiere gab es damals noch keine. Weder von jenen Tieren noch vom damaligen Menschen sind heute noch Reste aufzufinden.« (GA 94, Leipzig, 7. Juli 1906)

Wie verhielt es sich mit der »atlantischen Wurzelrasse«?

Sie sind »in keiner Weise« mit den heutigen Menschen zu vergleichen, sie hatten »einen ganz anderen physischen Leib«, sie konnten »verlorene Gliedmaßen ergänzen«, der heutige Forscher wird keinerlei Überreste der Atlantier finden können, weil der Mensch ein Wesen war, »dessen Teile stofflich noch weich waren«.

»Die Atlantier sind in keiner Weise zu vergleichen mit denjenigen Menschen, die heute den Erdball bewohnen.« (GA 93a, Berlin, 5. November 1905)

»Selbst der physische Leib ist der Veränderung unterworfen. Die alten Atlantier hatten einen ganz anderen und die ersten Lemurier hatten überhaupt noch keinen wirklichen physischen Leib.« (GA 94, München, 2. November 1906)

»Die Atlantier hatten einen viel beweglicheren Körper und vor allen Dingen in der allerersten Zeit einen mächtigen, starken Willen. Sie konnten zum Beispiel verlorene Gliedmaßen ergänzen, Pflanzen schnell wachsen lassen und übten dadurch einen gewaltigen Einfluss auf die Natur aus. Sie hatten mächtig ausgebildete Sinnesorgane; sie konnten Metalle durch das Gefühl unterscheiden, wie wir Gerüche unterscheiden. Dann aber hatten sie in hohem Grade die Gabe des Hellsehens. Sie schliefen in der Nacht nicht wie der heutige Mensch, der höchstens verworrene Träume hat, sondern wie der Hellseher, nur dumpfer. Sie standen nachts im Verkehr mit den Göttern, und was sie da erlebten, das lebt noch fort in den Mythen und Sagen.« (Stuttgart, 31. August 1906)

»Dem lemurischen Zeitraum folgte der alte atlantische Zeitraum ... Immer mehr verdichtete sich da der Mensch. Im Anfang seiner Entwickelung sind die Knochen nur als Kraftlinien im Menschen angedeutet; dann ist der Mensch ein luftiges, später ein gallertartiges Wesen. Es bilden sich nun mehr und mehr die Formen des Knochensystems aus. Dagegen war in demselben Maße die seelische Kraft dazumal  stärker.

Die Lemurier, die in alten Zeiten in dickflüssigen Leibern waren, hatten viel größere Seelenkräfte als die folgenden Rassen. Ähnlich war es noch  bei  den  Atlantiern. Hätte  es damals schon Kanonenkugeln gegeben, so hätte zum Beispiel ein solcher Atlantier eine gegen ihn geschleuderte  Kugel einfach wegreflektieren können durch Seelenkraft, wenn auch sein physischer Leib nicht so dicht war wie heute. Die Atlantier waren also als physische Leiblichkeit noch viel dünner.« (GA 104a, Kristiania, 15. Mai 1909)

»Der Mensch verliert jetzt allmählich die Fähigkeit, seinen Leib zu formen. Knorpel und Knochen, die harten Teile gliedern sich ein, und immer ähnlicher wurde der Mensch seiner heutigen Gestalt.

Das vorher Geschilderte geschah erst in der atlantischen Zeit. Es ist daher begreiflich, dass für den Forscher der alte Atlantier nicht zu finden ist. Auch die Hoffnung der Gelehrten, Spuren solcher alten Zeiten menschlicher Entwickelung doch noch zu finden, wird sich nie erfüllen, denn der Mensch war damals ein Wesen, dessen Teile stofflich noch weich waren. Solch ein Körper kann sich nicht erhalten, ebensowenig wie von den heutigen Weichtieren nach hundert Jahren noch etwas zu finden sein wird. Tierüberreste sind noch aus solchen alten Perioden zu finden, denn die Tiere waren ja schon verhärtet, als der Mensch noch weich war. Die Tiere sind zu früh in die Materie gestiegen, sie haben nicht warten können. (GA 109, 10. Juni 1909)

Eine »Systematisierung seiner verstreuten Aussagen zu Rassenfragen« glaubt Zander in einem Vortrag Steiners aus dem Jahr 1909 erkennen zu müssen. Die Frage ist nur, wovon spricht Steiner eigentlich? Spricht er von Rassen im Sinne des biologistischen Reduktionismus des 19. und 20. Jahrhunderts?

Auf S. 301-302 schreibt Zander:

»Hier postulierte er die Differenzierung von drei Rassen aufgrund eines unterschiedlichen ›Ich-Gefühls‹:

1. ›Diejenigen Völker, bei denen der Ich-Trieb zu stark entwickelt war‹, wanderten nach Westen, degenerierten (GA 107,292) und seien in ihren ›letzten Resten› die ›indianische Bevölkerung Amerikas‹. Somit sei ›die Farbe der Egoität [..,] die rote, die kupferrote oder auch die gelblichbraune Farbe‹ (GA 107,286).

2. Die nach Osten wanderten, besaßen nach Steiner ein unzureichendes ›Ich-Gefühl‹, waren ›ganz hingegeben [...] an die Außenwelt‹ (GA 107,285) und wurden zu ›passiven Neger-Seelen‹ (GA 107, 288). Die Außenorientierung ließ sie der ›Sonneneinwirkung zu stark ausgesetzt‹ sein, ›sie waren wie Pflanzen, sie setzten unter ihrer Haut zu viel kohlenstoffartige Bestandteile ab und wurden schwarz. Daher sind die Neger schwarz.‹ (GA 107, 286). Sie ›sind die nachherige Negerbevölkerung Afrikas geworden‹ (GA 107, 286).

3. ›Also die Normalmenschen waren für die Eingeweihten am besten zu brauchen als Material für die Zukunftsentwickelung, und sie waren auch diejenigen, welche der große Sonnen-Eingeweihte, der Manu, um sich sammelte als das entwickelungsfähigste Volk.‹  (GA 107, 285f.)

Von ihnen spalteten sich durch Wanderung die Asiaten ab, die eine Art Mischung aus ›Negern‹ und ausgewanderten Europäern seien und aufgrund ihrer ›Neger‹-Vergangenheit ›passive, hingebende Naturen‹ (GA 107,288). Während die anderen Rassen degenerierten, blieben die Europäer entwicklungsfähig, habe doch die weiße Rasse ›das Persönlichkeitsgefühl am stärksten ausgebildet‹ (GA 107,288): ›Nur diejenigen, welche imstande waren, die Balance zu halten in bezug auf ihr Ich, das waren die, welche sich in die Zukunft hinein entwickeln konnten‹. (GA 107,292).«

Sieht man sich den am 3. Mai 1909 in Berlin gehaltenen Vortrag (GA 107) näher an, stellt man fest, dass Steiner über die Urzeiten der Erdentwicklung spricht, insbesondere über die lemurische und die atlantische Zeit. Dass zu dieser Zeit »Rassen« im Sinne des biologistischen Reduktionismus des 19. und 20. Jahrhunderts noch nicht existierten, wurde bereits zur Genüge betont. Und dass diese Menschenvorfahren der lemurischen und atlantischen Zeit nicht mit den heutigen Menschen vergleichbar sind, ist ebenfalls deutlich zum Ausdruck gebracht worden. Wenn daher Steiner in seinem Vortrag die Ausdrücke »Menschen« oder »Menschheit« oder »Rassen« verwendet, dann darf man hier einmal mit Recht von einem »metaphorischen« Gebrauch sprechen, was auch aus den folgenden Zitaten erneut hervorgeht. Steiner »postuliert« jedenfalls nicht »drei Rassen« im biologischen Sinn.

In bezug auf die lemurische und die atlantische Zeit spricht Steiner von einer Differenzierung der Menschheit, die im wesentlichen auf zwei Faktoren zurückzuführen war: auf die unterschiedlichen Einwirkungen der Sonne am Nordpol der Erde und am Äquator (Lemuris) und auf eine unterschiedliche Entwicklung des Selbstbewusstseins oder des Ich-Gefühls (Atlantis).

Die unterschiedlichen Sonneneinwirkungen führten in der lemurischen Zeit dazu, dass »um den Nordpol herum in den lemurischen Zeiten eine Art Geistergeschlecht« lebte, »das sich nicht viel kümmerte um die physischen Leiber, die da unten auf der Erde herumwimmelten, ein Geschlecht, das in geistiger Beziehung für ein heutiges Auge aus durchsichtigen und daher nicht eigentlich sichtbaren Gestalten bestand, die als solche hoch ausgebildet waren, aber in bezug auf ihre physischen Gestalten eine niedere Menschlichkeit zeigten. Sie lebten in einem Ätherleibe, sie waren mehr ätherische Wesenheiten und standen in einem losen Verhältnis zu den primitiven Leibern, die sich unten auf der Erde entwickelten und auch noch keine besondere Dichtigkeit hatten.«

Um den Äquator herum verhielt es sich zur lemurischen Zeit ganz anders: »Die Luft wurde sozusagen von den Sonnenstrahlen durchsetzt, durchwärmt. Alle diejenigen Erscheinungen, die in der Luftregion sich abspielten, wurden abhängig von Sonne und Mond. Und die Folge war, dass in diesen Gegenden gerade im alten Lemurien die Menschen am tiefsten herunterstiegen in ihre physischen Leiber, dass da die ätherischen Leiber am tiefsten die physischen Leiber durchsetzten. Wiederum würde ein heutiger Mensch mit sinnlichen Augen diese Wesen als die höchst entwickelten physischen Menschengestalten hinnehmen, während er die nördlichen Völkerschaften hinstellen würde als solche, die wenig entwickelt sind.«

In den heutigen gemäßigten Zonen dagegen entwickelten sich Menschenvorfahren, die zwischen den beiden Extremen die Mitte hielten: »Und die Folge war, dass der beste Teil der Bevölkerung auswanderte in jene Gegenden, die zwischen dem Äquator und den nördlichen Ländern lagen. Denn in den lemurischen Zeiten haben wir die zukunftssichersten Glieder der Menschheit in den Zwischenländern zwischen dem Äquator und dem Nordpol.«

»Von dem, was wir die lemurische Bevölkerung der Erde nennen, jene eigentümliche Bevölkerung des Nordens, die stark entwickelte Ätherleiber und wenig entwickelte physische Leiber hatte, und jene andere äquatoriale Bevölkerung, die stark ausgebildete physische Leiber und wenig entwickelte Ätherleiber hatte, von denen ist nichts zurückgeblieben, die sind untergegangen. Denn diese Leiber waren so, dass wir nicht einmal die Überreste finden können; die Substanz war noch so weich, dass von Überresten nicht die Rede sein kann.«

Wie ging die Geschichte nun in der atlantischen Zeit weiter?

»Bei ihren Nachkommen in der Atlantis handelte es sich vorzugsweise darum, dass der Keim des Ichs, des Selbstbewusstseins, der ja im Grunde genommen schon von der alten lemurischen Zeit her veranlagt war, immer mehr und mehr herauskam, sich immer mehr auf der Erde entwickelte. Wären die Menschen nicht zu einem großen Teil hinübergezogen nach der Atlantis, so hätte es nicht zu einer regen Ich-Entwickelung kommen können.«

»Dadurch, dass die besseren Teile der lemurischen Bevölkerung nach Atlantis auswanderten, gestaltete sich der menschliche Leib zu einer solchen Form um, dass er der Träger des Selbstbewusstseins im richtigen Maße werden konnte. Und in den Gebieten der heutigen gemäßigten Zone erlangte der Menschenleib erst allmählich diese Form. Denn in diesen Entwickelungszeiten gestaltete sich der menschliche Leib noch immer um. In der atlantischen Zeit war der menschliche Leib noch nicht wie heute in feste Formen gebannt, sondern es war noch so, dass geistig sehr bedeutende, hochentwickelte Menschen in der damaligen Zeit physisch klein waren, kleine Menschen waren. Dagegen hatte der, der geistig nicht sehr bedeutend war, in der atlantischen Zeit einen riesig entwickelten physischen Körper. Und man konnte, wenn man damals einem solchen Riesen begegnete, sich sagen: Der steht auf keiner sehr hohen Stufe der Geistigkeit, denn der ist mit seiner ganzen Wesenheit in den Leib hineingerannt! «

»Also wir sehen, wie der menschliche Leib in der atlantischen Zeit  sich noch gestalten konnte nach den geistigen Eigenschaften. Daher konnte er auch die Gestalt annehmen, die ihn befähigte, alle Organe, das Herz, das Gehirn und so weiter, so zu bauen, dass sie der Ausdruck wurden für ein eigentliches Ich-Wesen, für ein selbstbewusstes Wesen. Nun aber entwickelten sich diese Fähigkeiten und auch diese Eigenschaften in den mannigfaltigsten Graden.«

Das Selbstbewusstsein oder Ich-Gefühl entwickelte sich in der atlantischen Bevölkerung unterschiedlich. Es bildete sich bis in die damals ja noch stark durch die Seele und den Geist formbare Leiblichkeit ab. Ein »starkes« Ichgefühl führte zu einer »kupferroten oder auch gelblichbraunen« Färbung der betreffenden Menschenvorfahren, die »schwache« Ausprägung des Ichgefühls zu einer schwarzen Färbung und eine moderate Ausprägung des Ich-Gefühls zu einer weißlichen Färbung.

Diese drei Bevölkerungstypen der atlantischen Zeit wanderten in unterschiedliche Gegenden aus: der erste (von Atlantis aus gesehen) in den Westen, der zweite ein den Osten, der dritte ebenfalls in den Osten, blieb aber unterwegs nach Asien zurück. Aus diesen deutlich unterschiedenen atlantischen Typen entstanden später, sehr viel später, nach mannigfaltigen Wanderungen und Mischungen, als Nachkömmlinge, die indianische Bevölkerung Nordamerikas, die »Negerbevölkerung« Afrikas und die Bevölkerung der europäischen Gegenden.

»Diejenigen Völker, bei denen der Ich-Trieb zu stark entwickelt war und von innen heraus den ganzen Menschen durchdrang und ihm die Ichheit, die Egoität aufprägte, die wanderten allmählich nach Westen, und das wurde die Bevölkerung, die in ihren letzten Resten auftritt als die indianische Bevölkerung Amerikas. Die Menschen, welche ihr Ich-Gefühl zu gering ausgebildet hatten, wanderten nach dem Osten, und die übrig-gebliebenen Reste von diesen Menschen sind die nachherige Neger-bevölkerung Afrikas geworden.«

Aber es waren nicht die »Europäer«, die »am entwicklungsfähigsten« blieben, wie Zander behauptet, denn: »Es gab Menschen, die gerade recht waren in bezug auf ihre Innerlichkeit, gerade normal, die den Egoismus nicht auf eine zu starke Höhe gebracht und auch das Ich-Gefühl nicht nur auf eine niedere Art ausgebildet hatten. Bei ihnen hielten sich die Hingabe an die Außenwelt und das Ich-Gefühl die Waage. Solche Leute waren überall verstreut. Das waren aber diejenigen, mit denen die atlantischen Eingeweihten am meisten machen konnten.«

Die Rede ist vom Ende der atlantischen Zeit und dem allerersten Übergang in die nachatlantische Zeit, heißt es doch:

»Mitten hineingekeilt war der Manu mit seinen Normalmenschen [in Asien]. Jeder einzelnen Schattierung dieser Bevölkerung musste er die richtige Kultur geben. Da hatte er die Weistümer und Lehren so zu schattieren, wie es den äußeren Verhältnissen der Bevölkerung angemessen war.«

Manu – oder Noah – wirkte zwischen dem Untergang des atlantischen Kontinents und dem Beginn der nachatlantischen Kulturepochen auf der Erde, also zwischen dem Ende der letzten Eiszeit und dem 8. Jahrtausend vor Christus. Es ist nicht von gegenwärtigen Europäern, gegenwärtigen Indianern oder gegenwärtigen »Negern« die Rede, die Aussagen in diesem Vortrag können also nicht auf die biologischen »Rassen« des 19. oder 20. Jahrhunderts übertragen werden. Außerdem gilt der Grundsatz, dass die nachatlantische Entwicklung der Menschheit nicht mehr als Rassenentwicklung beschrieben werden kann, sondern nur noch als Kulturentwicklung. Was auch immer von jenen atlantischen Leibern zurückgeblieben sein mag, es wird seit rund zehntausend Jahren von der seelischen oder kulturellen Entwicklung der Menschheit überformt und verdrängt.

Darüberhinaus vertritt Steiner in diesem Vortrag auch keinen biologischen Reduktionismus oder Determinismus, waren es doch gerade die Seelen, die den Leib und die leiblichen Eigenschaften bildeten und nicht umgekehrt, wie es bei einem biologischen (rassistischen) Determinismus der Fall sein müsste.

Die Darstellungen in der »Geheimwissenschaft im Umriss« (1909) stimmen mit dem Grundsätzlichen dieser Schilderungen weitgehend überein. Auch sie sprechen von der Formung der atlantischen Leiber durch das Geistig-Seelische, davon, dass diese Leiber aus einer weichen, formbaren Stofflichkeit bestanden, und dass die »gegenwärtige physische Menschengestalt«, »die von den seelischen Eigenschaften verhältnismäßig wenig abhängig ist« (eine geringe Abhängigkeit, die ihr Korrelat in der geringen Abhängigkeit des Seelisch-Geistigen von der physischen Menschengestalt hat), durch »Zusammenziehen, Verdichtung und Verfestigung des atlantischen Menschen entstanden« ist:

»Die physische Gestalt des Menschen ist in der urfernen Vergangenheit, von welcher hier die Rede ist, noch weit verschieden von der gegenwärtigen. Diese Gestalt war in einem hohen Grade noch der Ausdruck der seelischen Eigenschaften. Der Mensch bestand noch aus einer feineren, weicheren Stofflichkeit, als er später angenommen hat. Was gegenwärtig verfestigt ist, war in den Gliedern weich, biegsam und bildsam. Ein mehr seelischer, geistigerer Mensch war von zartem, beweglichem, ausdrucksvollem Körperbau. Ein geistig wenig entwickelter von groben, unbeweglichen, wenig bildsamen Körperformen. Seelische Vorgeschrittenheit zog die Glieder zusammen; die Gestalt wurde klein erhalten; seelische Zurückgebliebenheit und Verstricktheit in die Sinnlichkeit drückte sich in riesenhafter Größe aus. Während der Mensch in der Wachstumsperiode war, formte sich in einer Art, die für gegenwärtige Vorstellungen fabelhaft, ja phantastisch erscheinen muß, der Körper nach dem, was in der Seele sich bildete. Verdorbenheit in den Leidenschaften, Trieben und Instinkten zog ein Anwachsen des Materiellen im Menschen ins Riesenhafte nach sich. Die gegenwärtige physische Menschengestalt ist durch Zusammenziehen, Verdichtung und Verfestigung des atlantischen Menschen entstanden. Und während vor der atlantischen Zeit der Mensch als ein getreues Abbild seiner seelischen Wesenheit vorhanden war, trugen gerade die Vorgänge der atlantischen Entwickelung die Ursachen in sich, welche zu dem nachatlantischen Menschen führten, der in seiner physischen Gestalt fest und von den seelischen Eigenschaften verhältnismäßig wenig abhängig ist. (GA 13, S. 255-256)

Über die weiteren Darstellungen in der Vortragsreihe »Die Mission einzelner Volksseelen ...« weiß Zander zu vermelden, Steiner habe die »Rassenentwicklung« mit den biographischen Lebensaltern korreliert. Er deutet in Steiners Darstellungen einen Präsentismus hinein, der in ihnen nicht zu finden ist.

Auf S. 305 schreibt Zander:

»Im weiteren Verlauf des Zyklus korreliert Steiner die Rassenentwicklung mit der Entwicklung des Menschen von der Kindheit zum Alter. ›Neger‹ sind ›Kräften‹ unterworfen, ›welche den Menschen namentlich in seiner ersten Kindheitszeit ergreifen können‹ (GA 121,77), den ›gelben und bräunlichen Rassen‹ in Asien werden  ›die späteren Jugendmerkmale dem Menschen aus den Erdenkräften heraus bleibend aufgedrückt‹ (GA 121,77), die ›reifsten Merkmale‹ dem Menschen ›im europäischen Gebiete‹ ›aufgedrückt‹ (GA 121,78).«

Auch hier lohnt sich ein genauerer Blick in Steiners Ausführungen.

Während Zander die Präsensform verwendet, um den Eindruck zu erwecken, Steiner spreche von gegenwärtigen Rassen, verwendet Steiner in seinem Vortrag das Präsens historicum.

Seine Ausführungen beziehen sich auf die späte lemurische und die atlantische Zeit. Es wird geschildert, welche Absichten die regulären Geister der Form (die in der Bibel als »Elohim« bezeichnet werden) mit dem Menschen verfolgten und wie diese Absichten von den abnormen Geistern der Form durchkreuzt wurden. Hätten allein die regulären Geister der Form auf den Menschen in der späten lemurischen und der atlantischen Zeit eingewirkt, dann hätten alle Menschen, die die Erde betraten die gleiche Gestalt gehabt. Das geistige Wesen des Menschen hätte sich erst im zweiten Lebensdrittel mit seinem Leib verbunden und diesen am Ende dieses Drittels bereits wieder verlassen.

Die abnormen Geister der Form bewirkten jedoch eine stärkere Verbindung des Leibes des Menschen mit der Erde und dieser geriet unter den Einfluss unterschiedlicher geographischer, klimatischer und geologischer Verhältnisse, die dem einheitlichen Menschenleib unterschiedliche Gestalt gaben.

Diese unterschiedlichen Gestalten stellten Vereinseitigungen des einheitlichen Menschenleibes, Abweichungen von der Idealgestalt dar, die nirgends auf der Erde, in keiner Rasse erschien. Die Kräfte der unterschiedlichen Planeten Mond, Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn, die im ersten und dritten Lebensdrittel auf den Menschen einwirkten, formten an unterschiedlichen Erdenorten (Afrika, Asien, Europa, Amerika) Gestaltmerkmale aus, die, nachdem sie einmal entstanden waren, durch Vererbung an die Nachkommen weitergegeben wurden.

Aber all das, was mit dieser Individualisierung der einen leiblichen Menschenform zu tun hat, bezieht sich »nur auf den Menschen, insofern er von den physisch-organisatorischen Kräften abhängig ist, von den Kräften, die nicht sein Wesen als Menschen ausmachen, sondern in denen er« als geistig-seelisches Wesen lebt.

Mit anderen Worten: die Geschichte des Leibes ist nicht die Geschichte der Seele oder des geistigen Wesens des Menschen, das Wesen des Menschen, der in einen bestimmten Leib hineingeboren wird, ist durch diesen Leib nicht bestimmt, die »Kindheitsmerkmale«, »Jugendmerkmale«, »Merkmale des späteren Lebensalters« sind nicht Merkmale des geistigen oder seelischen Wesens des Menschen, sondern Merkmale des Leibes, der Gestalt. Die atlantischen Wanderzüge der Menschenvorfahren kamen auf dem amerikanischen Kontinent an ihr Ende.

Danach schloss sich die Kulturentwicklung der nachatlantischen Zeit an. Dazu finden neue Wanderungsbewegungen statt.

»Um aufzufrischen die Menschheit mit neuer Jugendkraft, findet der Zug nach Osten statt, der Zug, der von Atlantis herüber über Europa nach Asien sich bewegt. Dann geschieht eine Wiederholung des Zuges nach dem Westen. Es wiederholt sich aber jetzt nicht die Bewegung der Rassen, sondern gleichsam eine höhere Stufe der Rassenentwickelung, die Entwickelung der Kulturen ...«

Auf dieser höheren Stufe werden, wie bereits mehrfach bemerkt, die Residuen der Rassen von den seelisch-geistigen, emergenten Eigenschaften überformt und verdrängt.

»Damals in urferner Vergangenheit [d.h. in der atlantischen Zeit]« fährt Steiner bei seiner Schilderung der Kulturentwicklung fort, »wurde der physische Rassecharakter aus der Erde heraus bestimmt; jetzt bei wiederholter Anwesenheit an demselben Erdenorte wurde mehr eine Seelenbeschaffenheit, die des altindischen Menschen [des ersten nachatlantischen Kulturzeitraums] bestimmt. Durch den Zug von Westen nach Osten ist eine solche Jugendfrische aufgetreten, dass durch diesen Vorgang die eigentümliche Geisteskonfiguration hervorgehen konnte, welche die ursprüngliche indische Kultur charakterisiert ...

Wenn wir nunmehr die Kulturen, die sich in der nachatlantischen Zeit gefolgt sind, betrachten, so können wir sehen, dass sie die aufeinanderfolgende Wiederholung früherer im physischen Leibe durchgemachter, aber wieder durch Verjüngung ganz anders gewordener Verhältnisse darstellen.« (GA 121, 10. Juni 1910) Die Entwicklung der Menschheit in der nachatlantischen Zeit, in deren Verlauf die »heutige Menschheit« entstanden ist, war also eine Seelenentwicklung, eine Entwicklung der Kulturen, durch die sich die unterschiedlichen »Geisteskonfigurationen« dieser Kulturen herausbildeten.

Die Schilderungen Steiners im Zusammenhang:

»Wenn das alles so geworden wäre, wie es nicht geworden ist, wenn der Mensch erhöht im Umkreis der Erde das erste und dritte Drittel seines Lebens durchgemacht und nur im mittleren Teile die Erde berührt hätte, also im Grunde genommen ein ganz anderes Wesen geworden wäre, dann würde der Mensch nicht in dem Grade an die Erde gebunden sein, in dem er tatsächlich heute an dieselbe gebunden ist.

Wenn das eingetreten wäre, dann würden alle Menschen, welche die Erde betreten, von gleicher Gestalt und Wesenheit sein; dann würden alle Menschen, die über die Erde hingegangen sind, gleichgestaltet gewesen sein. Eine Menschheit gäbe es nur. Dasjenige, was uns zu einem solchen Wesen macht, dass sich daraus die spezifischen Eigenschaften der Rassen ergeben, die im Menschentum zum Ausdruck kommen, das ist nicht im mittleren Drittel des Lebens enthalten. Durch alles das, was in der Zeit vorher liegt, was im ersten Drittel des Lebens sich vollzieht, sind wir mehr mit allen unseren Kräften an die Erde gebunden, als es die normalen Geister der Form für uns bestimmt haben. Dadurch aber ist der Mensch mehr von der Erde, auf der er lebt, abhängig geworden, als er es sonst geworden wäre. Er ist abhängig geworden von dem Orte der Erde, auf dem er lebt.

Dadurch, dass der Mensch – sozusagen gegen die Intentionen der Geister der Form – früher auf die Erde heruntersteigt, wird er abhängig von dem Orte, weil er sich in einem Zustande mit der Erde verbindet, der ihm gar nicht vorgezeichnet ist. Unabhängig wäre der Mensch geworden davon, ob er im Norden oder Süden, im Osten oder Westen die Erde betreten hätte, wenn er sie nur im mittleren Drittel seines Lebens betreten hätte.

Dadurch aber, dass er abhängig wird von der Erde, dadurch, dass er eine Jugend durchmacht in der Weise, wie wir es charakterisiert haben, wird er erdgebunden, wird er ein mit dem Gebiete, auf dem er geboren ist, zusammenhängendes, zu ihm gehörendes Wesen. Dadurch wird er abhängig von all den Verhältnissen der Erde, die diesem Orte zugehören, von dem Einfallen der Sonnenstrahlen, von dem Umstand, ob die Gegend nahe dem Äquator in der heißen Zone oder in einem mehr gemäßigten Gebiete sich befindet, ob er auf einem niedrig gelegenen Gebiet oder auf einem Hochplateau geboren ist. Man atmet ja ganz verschiedenartig in der Ebene oder im Gebirge. Der Mensch wird also ganz abhängig von den irdischen Verhältnissen, von dem Ort, an dem er geboren ist.

So sehen wir, dass der Mensch förmlich mit seiner Erdenmutter zusammengewachsen ist dadurch, dass er so eng zusammenhängt mit dem Orte, mit dem Gebiete der Erde, auf dem er jeweils geboren wird, und dass er bestimmt wird durch diejenigen Eigenschaften, die er dadurch erhält, dass diese Kräfte der Erde, die durch den betreffenden Ort bestimmt sind, in ihm wirken.

Das alles bestimmt seinen Rassencharakter, und auf diesem Umwege sind die abnormen Geister der Form – diejenigen Geister der Form oder Gewalten, die zu einer anderen Zeit als zwischen dem einundzwanzigsten bis dreiundvierzigsten Jahre dem Menschen das geben, was wir heutiges Erdenbewusstsein nennen – die Verursacher der Rassenverschiedenheit des Menschen über die ganze Erde hin, die also von dem Orte auf der Erde abhängt, auf dem der Mensch geboren wird.

Nun erlangt der Mensch während dieser Zeit – die also im Grunde genommen unter der Herrschaft der abnormen Geister der Form steht – auch die Möglichkeit, die Fähigkeit, seinesgleichen hervorzubringen. Auch diese Fähigkeit wird während der Zeit erworben, in welcher der Mensch gar nicht rein von den normalen Geistern der Form dirigiert wird.

Dadurch ist die Möglichkeit gegeben, dass der Mensch nicht nur in der geschilderten Weise abhängig wird von dem Orte, auf dem er geboren ist, sondern dass die Eigenschaften, die er dadurch erhält, auch auf seine Nachkommen vererbt werden können, dass also die Rassenzusammengehörigkeit nicht nur sich ausspricht in den Einflüssen des Wohnplatzes, sondern auch in dem, was durch die Rasse vererbt ist.

Darin haben Sie die Erklärung dafür, warum die Rasse dasjenige ist, was vererbbar ist, und wir werden verstehen, was die Geisteswissenschaft zeigt: dass nur in der Vergangenheit die Rassenmerkmale durch den Ort hervorgebracht sind, an dem die Menschen geboren wurden. Das war in der letzten lemurischen und in der ersten atlantischen Zeit der Fall, als der Mensch direkt von der irdischen Umgebung abhängig war.

In späterer Zeit beginnt die Rasse den Charakter zu haben, dass sie an die Vererbung gebunden ist und nicht mehr an den Ort. So sehen wir in der Rasse etwas, was ursprünglich an einen bestimmten Ort der Erde gebunden war und das sich dann in der Menschheit durch die Vererbung fortpflanzte, aber vom Orte immer unabhängiger wurde ...

Wir sehen also, wie die Rassenentwickelung erst beginnt in der lemurischen Zeit durch das Hineinwirken der abnormen Geister der Form ...

Wir werden diese Verhältnisse noch genauer begreifen durch die folgende Betrachtung. Da können wir in gewisser Weise angeben, wieder Untergrund, der Bodengrund, sein Wesen nach oben strahlt und die menschliche Organisation durchdringt, so dass der Mensch abhängig wird von diesem Erdenuntergrund. In dieser Beziehung können wir also bestimmte Punkte der Erde angeben, die mit der menschlichen Wesenheit entwickelungsgeschichtlich zusammenhängen. Wir werden auf diese Verhältnisse noch genauer eingehen. Ich will sie jetzt in abstracto charakterisieren.

Da haben Sie zum Beispiel einen Punkt, der im Innern von Afrika liegt. An diesem Punkte wirken gleichsam von der Erde ausstrahlend alle diejenigen Kräfte, welche den Menschennamentlich während seiner ersten Kindheitszeit ergreifen können. Später wird der Einfluss solcher Kräfte auf den Menschen geringer; er ist dann diesen Kräften weniger ausgesetzt, aber sie prägen sich ihm mit dem, was aus ihnen kommt, doch in der stärksten Weise auf.

So also wirkt jener Punkt auf der Erde, auf dem der Mensch lebt, am allerstärksten in der ersten Kindheitszeit und bestimmt dadurch diejenigen Menschen, die ganz abhängig sind von diesen Kräften, ihr ganzes Leben hindurch so, dass jener Punkt ihnen die ersten Kindheitsmerkmale bleibend aufprägt. Das ist ungefähr eine Charakteristik aller derjenigen Menschen – in bezug auf ihren Rassencharakter –, die sozusagen um diesen Erdenpunkt herum die bestimmenden Kräfte aus der Erde heraus erhalten. Das, was wir schwarze Rasse nennen, ist im wesentlichen durch diese Eigenschaften bedingt.

Wenn Sie nun weiter nach Asien hinübergehen, da haben Sie einen Punkt auf der Erdoberfläche, wo die späteren Jugendmerkmale dem Menschen aus den Erdenkräften heraus bleibend aufgedrückt werden, wo das, was die besonderen Eigenschaften des späteren Jugendzeitalters sind, aus der Erdenwesenheit heraus auf den Menschen übertragen wird und ihm den Rassencharakter gibt. Die hier in Betracht kommenden Rassen sind die gelben und bräunlichen Rassen unserer Zeit.

Wenn wir dann weiter von Osten nach Westen gehen, so finden wir einen Punkt, der von Asien her gegen Europa zu liegt und der die spätesten Merkmale, diejenigen Merkmale, welche gerade in dem späteren, auf die erste Jugendzeit folgenden Lebensalter dem Menschen zukommen, dem Menschen bleibend aufdrückt, den Punkt, wo der Mensch nicht schon in der Kindheit von den Erdenkräften ergriffen wird, sondern dann, wenn die Jugend in das spätere Lebensalter übergeht ...

Wenn wir dann diese Linie weiterziehen, so kommen wir weiter nach Westen nach den amerikanischen Gebieten hinüber, in jene Gebiete, wo diejenigen Kräfte wirksam sind, die jenseits des mittleren Lebensdrittels liegen. Und da kommen wir – ich bitte das nicht misszuverstehen, was eben gesagt wird; es bezieht sich nur auf den Menschen, insofern er von den physisch-organisatorischen Kräften abhängig ist, von den Kräften, die nicht sein Wesen als Menschen ausmachen, sondern in denen er lebt –, da kommen wir zu den Kräften, die sehr viel zu tun haben mit dem Absterben des Menschen, mit demjenigen im Menschen, was dem letzten Lebensdrittel angehört. Diese gesetzmäßig verlaufende Linie gibt es durchaus; sie ist eine Wahrheit, eine reale Kurve, und drückt die Gesetzmäßigkeit im Wirken unserer Erde auf den Menschen aus. Diesen Gang nehmen die Kräfte, die auf den Menschen rassebestimmend wirken.« (GA 121, 10. Juni 1910)

In all diesen Ausführungen Steiners findet sich nichts, was den Rassismus des 19. und 20. Jahrhunderts auszeichnet: keinen biologischen Reduktionismus (die »Rasseneigenschaften« machen nicht das Wesen des Menschen aus, die Kulturentwicklung ist von den Rasseneigenschaften unabhängig), keine Hierarchisierung (die unterschiedlichen Lebensalter stehen nicht in einem hierarchischen Verhältnis zu einander), keinerlei moralischen Wertungen, keine politischen oder rechtlichen Grundsätze, die der einen oder anderen Rasse Rechte oder dergleichen absprechen.

Ja, dadurch, dass die Einzelseele sich in unterschiedlichen Völkern (und Rassen) reinkarniert, hat sie an »den Sonnen- und Schattenseiten aller Rassen und Völker teil« und nimmt die »Segnungen aller Rassen und Volkstümer« in sich auf:

»Denn was man auch hören soll über die Charaktere dieses oder jenes Volkstums, und wie sehr man auch deshalb, weil man doch innerhalb irgendeiner Rasse, innerhalb eines Volkstums steht mit seinen Empfindungen, Gefühlen und so weiter, dabei sein könnte, man hat ein genügendes Gegengewicht als Geisteswissenschafter, um es in die andere Waagschale zu legen. Das ist die wirklich verstandene Lehre von dem Karma und der Reinkarnation. Sie bietet uns ja einen Ausblick darauf, dass wir mit dem innersten Kern unseres Wesens in den aufeinanderfolgenden Zeiten in den verschiedensten Rassen, in den verschiedensten Völkern inkarniert werden. So können wir also gewiss sein, wenn wir auf diesen Kern unseres Wesens schauen, dass wir mit ihm teilnehmen werden nicht nur an den Sonnen- oder vielleicht auch Schattenseiten aller Rassen, aller Volkstümer, sondern wir können gewiss sein, dass wir in unserem innersten Wesen aufnehmen Beitrag auf Beitrag der Segnungen aller Rassen und Volkstümer, indem wir einmal da, einmal dort inkarniert werden.

Es wird unser Bewusstsein, unser Horizont weiter, umfassender durch diese Ideen von Karma und Reinkarnation.« (GA 121, 11. Juni 1910)

Eine Stufe der »Popularisierung« seiner »Rassenlehre« sieht Zander mit Steiners Vortrag vom 3. März 1923 für die Arbeiter am Goetheanumbau erreicht. Auch diesen Vortrag missversteht Zander als biologistische Rassentheorie, die sich auf die Rassen des 19. und 20. Jahrhunderts bezieht, während sie in Wahrheit ebenfalls von der Entstehung und den Eigenschaften der Rassen der atlantischen Zeit handelt.

Auf S. 308-309 schreibt Zander:

»Die Grundstruktur ist seit 1910 erhalten geblieben, Steiner berichtet von fünf ›hauptsächlichen‹ Hautfarben:

– ›die gelbe Rasse‹, die Mongolen, in Asien;
– ›die weiße Rasse oder die kaukasische Rasse‹ in Europa;
– ›die schwarze Rasse oder die Negerrasse‹ in Afrika;
– die ›braunen Malaien‹ firmieren als ›ausgewanderte Mongolen‹;
– ›kupferrot‹ seien die Indianer (GA 349,53; Mongolen S. 60).

Um dieses Grundgerüst herum kreisen eine Vielzahl älterer Theorieteile auf neuen Bahnen, wie sich an seiner Darstellung der ›Neger‹ ablesen lässt. Die ›Neger‹ werden zwar weiterhin von außen, durch körperliche, sinnliche Triebe gesteuert (GA 349,55), aber an die Stelle des Merkur und seiner Geister ist nun die Sonne getreten, statt über das Drüsensystem werden sie von ›Hinterhirn‹ und ›Rückenmark‹ gesteuert (also vom Nervensystem, das 1910 den ›Venusgeistern‹ reserviert war), die Kindheitskräfte fehlen, dafür ist das Triebleben nun der entscheidende Faktor für die Rassencharakteristiska der ›Neger‹ (GA 349,55); last but, not least ist der ›Neger‹ nun ›Egoist‹ (GA 349,56), während er 1909 noch über mangelndes Ich-Gefühl definiert worden war.

Die entscheidenden evolutiven Koordinaten bleiben jedoch bestehen. Die ›Neger‹ sind eine degenerierende Rasse, die ›Weißen‹ bleiben der Zukunft zugewandt: ›Die Weißen sind eigentlich diejenigen, die das Menschliche in sich entwickeln. Daher sind sie auf sich selber angewiesen‹ (GA 349,62). Sie erhalten von Steiner bestätigt, dass sie – Steiner spricht von ›wir‹ – ›als Europäer [...] eine Aufgabe haben‹: ›Wir müssen natürlich über die ganze Erde hin eine Zivilisation begründen, die aus den Besten zusammengesetzt ist‹ (GA 349,66): ›Die weiße Rasse ist die zukünftige, die am Geiste schaffende Rasse‹ (GA 349,67).«

Auch im Vortrag vom 3. März 1923 verdeckt die präsentische Redeweise, dass Steiner nicht von der Gegenwart, sondern von der atlantischen Zeit spricht.

In diesem Vortrag ist von Wanderungen weißer, gelber und brauner Rassen der atlantischen Zeit die Rede. Die schwarze Rasse wanderte nach Amerika, wurde kupferrot und starb aus. Die gelbe wanderte nach Osten, wurde braun und starb aus.

Es kann sich also nicht um die gegenwärtigen schwarzen, roten, gelben und braunen »Rassen« handeln, da diese ja nicht ausgestorben sind. Vielmehr spricht Steiner hier von denselben Vorgängen, über die er bereits 1910 in GA 121 geredet hatte, wenn auch vor diesem gänzlich anderen Publikum äußerst abbreviatorisch und bis zur Mißverständlichkeit popularisiert. Gerade, weil dieser Vortrag äußerst popularisiert ist und weitaus differenziertere Darstellungen Steiners zu diesen Fragen vorliegen (vor allem GA 121), ist es schlicht unredlich, diesen Vortrag zur Erhebung irgendwelcher systematischer Positionen Steiners heranzuziehen.

Dass Steiner von der atlantischen Zeit gesprochen hat, geht dennoch deutlich aus folgenden Sätzen hervor, in denen von »alten Zeiten« und »Urzeiten« die Rede ist:

»Wenn man in alte Zeiten zurückgehen würde, so würde man schon finden, dass zu Asien die gelbe Rasse, zu Europa die weiße Rasse und zu Afrika die schwarze Rasse gehört. Aber immer ist es auch vorgekommen, dass die Menschen nun ausgewandert sind.

Und da können sie nun entweder so herwandern, die Gelben können nach Osten wandern, oder die Schwarzen können nach Westen wandern. So ist es wohl einmal gewesen. Die Gelben sind immer nach Osten gewandert. Da sind sie auf diese Inseln gekommen, die zwischen Asien und Australien sind. Die Gelben wandern nach Osten hinüber. Wenn die Gelben nach Osten hinüberwandern, dann werden sie braun«,

sowie:

»Wenn die Neger – was sie allerdings heute weniger tun können, heute sind die Verhältnisse schon anders, aber in Urzeiten war das schon so, wie ich es erzähle – nach dem Westen hinüberwandern – eine Schifffahrt hat es ja immer gegeben, und es waren ja außerdem durch den ganzen Atlantischen Ozean noch Inseln, der Atlantische Ozean war ja früher auch ein Kontinent –, also wenn die Schwarzen nach dem Westen auswandern, da können sie nicht mehr so viel Licht und Wärme aufnehmen wie in ihrem Afrika. Da kommt ihnen weniger Licht und Wärme zu. Was ist die Folge? Ja, ihre Natur ist eingerichtet darauf, so viel als möglich Licht und Wärme aufzunehmen. Ihre Natur ist eigentlich eingerichtet, dadurch schwarz zu werden. Jetzt kriegen sie nicht so viel Licht und Wärme, als sie brauchen, um schwarz zu werden. Daher werden sie kupferrot, werden Indianer.«

Man mag ja Steiner manches unterstellen, aber die Ansicht, die heutigen »Neger« würden zu »Indianern«, wenn sie »nach Amerika auswandern«, dürften ihm nicht einmal seine dreistesten Verleumder beilegen wollen (wenn man einmal von Zander absieht).

Ganz offensichtlich hat Steiner auch in diesem Vortrag nicht von gegenwärtigen Verhältnissen gesprochen. Dadurch lassen sich auch seine Äußerungen über die »weiße Rasse« erst richtig einordnen: Die »weiße Rasse« der atlantischen Zeit wanderte nach Nordindien und bildete die uraltindische Kultur aus. Auf die »weiße Rasse« der atlantischen Zeit bezieht sich der Satz: »Die weiße Rasse ist die zukünftige, ist die am Geiste schaffende Rasse. Wie sie nach Indien gezogen ist, bildete sie ...« Er bezieht sich nicht auf eine gegenwärtige europäische weiße Rasse, wie Zander unterstellt. Der Eindruck, es wäre so, kann nur dadurch erweckt werden, dass nur der eine, im Präsens formulierte Satz zitiert wird, nicht aber der unmittelbar darauffolgende, der den Zeitraum präzisiert, der gemeint ist: »Wie sie nach Indien gezogen ist, bildete sie ...« Von einer »Rasse«, und sei sie auch die weiße, erwartete Steiner gewiss nicht das Heil der Zukunft, denn, wie er bereits 1909 betonte:

»Wenn wir hinter die große atlantische Katastrophe zurückgehen, so sehen wir ja, wie sich die menschlichen Rassen vorbereiten. In der alten atlantischen Zeit haben wir durchaus die Menschen gruppiert nach äußeren Merkmalen in ihrem Körperbau, noch viel stärker als heute. Was wir heute Rassen nennen, das sind nur noch Überbleibsel jener bedeutsamen Unterschiede der Menschen, wie sie in der alten Atlantis üblich waren. So recht anwendbar ist der Rassenbegriff nur auf die alte Atlantis. Daher haben wir, da wir rechnen mit einer wirklichen Entwickelung der Menschheit, für die nachatlantische Zeit gar nicht den Begriff der Rasse im eminentesten Sinne gebraucht. Wir sprechen nicht von einer indischen Rasse, persischen Rasse und so weiter, weil das nicht mehr richtig ist. Wir sprechen von einem altindischen Kulturzeitraum, von einem altpersischen Kulturzeitraum und so weiter.

Und vollends würde es jeden Sinn verlieren, wenn wir davon sprechen wollten, dass sich in unserer Zeit vorbereite eine sechste Rasse. Wenn noch in unserer Zeit Reste der alten atlantischen Unterschiede, der alten atlantischen Gruppenseelenhaftigkeit vorhanden sind, so dass man noch sprechen kann davon, dass die Rasseneinteilung noch nachwirkt – was sich vorbereitet für den sechsten Zeitraum, das besteht gerade darinnen, dass der Rassencharakter abgestreift wird. Das ist das Wesentliche.

Deshalb ist es notwendig, dass diejenige Bewegung, welche die anthroposophische genannt wird, welche vorbereiten soll den sechsten Zeitraum, gerade in ihrem Grundcharakter dieses Abstreifen des Rassencharakters aufnimmt, dass sie nämlich zu vereinigen sucht Menschen aus allen Rassen, aus allen Nationen und auf diese Weise überbrückt diese Differenzierung, diese Unterschiede, diese Abgründe, die zwischen den einzelnen Menschengruppen vorhanden sind.« (GA 117, 4.12.1909)

Wenn man Steiner also nicht unterstellen will, er sei aus unerfindlichen Gründen hinter systematische Positionen zurückgefallen, die er ja nicht erst 1909 erreicht, sondern bereits in seinem philosophischen Werk vor der Jahrhundertwende vertreten hatte, dann kann man nicht ernsthaft der Auffassung sein, er habe die künftige Menschheitsentwicklung von einer »Rasse« und ihren »Rasseneigenschaften« abhängig gemacht.

Die »weiße Rasse«, von der es im Vortrag heißt, sie sei »die zukünftige«, ist in Wahrheit eine vergangene atlantische Rasse. Bei dieser »weißen Rasse« der Atlantis handelt es sich um die »Ursemiten«, aus denen die gesamte nachatlantische Menschheit hervorgegangen ist:

»Die fünfte Unterrasse, die wir die Ursemiten nennen und die ihren Hauptsitz in dem heutigen Irland hatten, bildete die erste Keimanlage für unsere gegenwärtige kaukasische oder, wie wir sie auch in der Geisteswissenschaft nennen, arische Menschenrasse.« (GA 54, Berlin, 9. November 1905) »Diese fünfte Wurzelrasse wird gewöhnlich die arische Rasse genannt und umfasst als erste Unterrasse [Kultur] die alte indische Rasse [Kultur], welche sich auf dem Boden Südasiens entwickelte ... «, sie umfasst als »nachatlantischer Zeitraum« auch alle weiteren Kulturen, die sich an diese erste anschlossen: die Kulturepochen der nachatlantischen Zeit (die persische, die assyrisch-chaldäisch-babylonische, die ägyptische, die griechisch-lateinische, die germanisch-angelsächsische, die slawische, die amerikanische).

Daher muss das folgende Zitat auf die atlantische Zeit und das Ende der atlantischen Zeit zwischen dem 10. und dem 8. Jahrtausend vor Christus bezogen werden:

»Und so ist es wirklich ganz interessant: Auf der einen Seite hat man die schwarze Rasse, die am meisten irdisch ist. Wenn sie nach Westen geht, stirbt sie aus. Man hat die gelbe Rasse, die mitten zwischen Erde und Weltenall ist. Wenn sie nach Osten geht, wird sie braun, gliedert sich zu viel dem Weltenall an, stirbt aus. Die weiße Rasse ist die zukünftige, ist die am Geiste schaffende Rasse. Wie sie nach Indien gezogen ist, bildete sie die innerliche, poetische, dichterische, geistige indische Kultur aus. Wenn sie jetzt nach dem Westen geht, wird sie eine Geistigkeit ausbilden, die nicht so sehr den innerlichen Menschen ergreift, aber die äußere Welt in ihrer Geistigkeit begreift.« (Dornach, 3. März 1923, GA 349)