Erneut kommt Zander auf Steiners angeblichen Determinismus und Sozialdarwinismus im Kontext der Volksgeister zu sprechen und interpretiert alle möglichen Widersprüche in dessen Darstellungen hinein, wo keine vorhanden sind, oder macht ihm eine Dialektik zum Vorwurf, die er nicht erfunden hat, sondern die ein konstitutiver Bestandteil der Wirklichkeit selbst ist.

Auf S. 311-312 schreibt Zander:

1.

»Die Zugehörigkeit zu einem Volk bestimmt Steiner wie bei den Rassen 1917 sowohl durch biologische als auch durch ›karmische‹ Größen: Er kennt den Aspekt einer naturalen Zugehörigkeit (GA 174,57), doch postuliert er in seiner ›Karmadoktrin‹, dass der Mensch sich die Eltern und damit ein Volk bei einer neuen Inkarnation aussuche (GA 174,58). Zwei Theoriemodelle, Vererbung und Reinkarnation, stoßen hier, nur locker miteinander verbunden, aufeinander und sollen beide die Zugehörigkeit zu einer ›Nationalität‹ begründen, ohne dass Steiner die Vereinbarkeit dieser Modelle weiter reflektiert. Nicht weiter reflektiert wird, wie sich Steiner den Wechsel der Zugehörigkeit zu einem Volk41, die er als Freiheit von genetischen Bindungen versteht, vorstellt und wie sich ein solcher Wechsel zur ›blutsmäßigen‹ Zugehörigkeit und zu karmischen Bedingungen verhält.«

Anmerkung 41 verweist auf: Steiner: Aus dem mitteleuropäischen Geistesleben. Dornach 1962, S. 608.

2.

»Der Aufstieg und Niedergang von Völkern, unterliegt, wie schon die Rassengeschichte, einem notwendig ablaufenden Fortschrittsmodell:

›Aber in allem, was sich in und mit den Völkern entwickelt, entwickelt sich noch etwas anderes. Es ist ein Fortschritt in der menschlichen Entwickelung‹ (GA 121,25) – für Steiner ein ›notwendiger Gang‹. Er realisierte dabei 1908 durchaus die sozialdarwinistische Erniedrigung von Völkern zur Konkursmasse der Kosmologie:

›Ist das nicht ein ungeheuer harter Gedanke, dass ganze Völkermassen unreif werden und nicht die Fähigkeit entwickeln, sich zu entfalten, dass nur eine kleine Gruppe fähig wird, den Keim zur nächsten Kultur abzugeben? – Aber dieser Gedanke wird für Sie nicht mehr etwas Beängstigendes haben .... Die Rasse kann zurückbleiben, eine Völkergemeinschaft kann zurückbleiben, die Seelen aber schreiten über die einzelnen Rassen hinaus.‹ (GA 104.89)

Der Determinismus, denen die ›Völkermassen‹ unterliegen, soll durch eine ›individuelle Schicksalsgestaltung‹ überwunden werden.«

Zu 1.

Entgegen Zanders Behauptung, in »Biologie und Karma« stießen zwei »nur locker miteinander verbundene Theoriemodelle« aufeinander, deren »Vereinbarkeit« Steiner »nicht weiter« reflektiere, handelt es sich bei »Vererbung und Reinkarnation«, um zwei Aspekte ein und desselben Sachverhalts, die durch einfache Logik zueinander in Beziehung stehen.

Wenn man die geistige Individualität des Menschen nicht zur Resultante der Vererbung erklärt (biologischer Reduktionismus) oder sie gänzlich als Funktion der sozialen Konstellationen auffasst (soziologischer Reduktionismus), dann muss man davon ausgehen, dass sie bereits vor der Geburt bzw. Empfängnis existiert.

Der Leib wird von Eltern gezeugt und – sofern keine Reproduktionsmedizin diesen natürlichen Prozess konterkariert – von der Mutter geboren. Geboren wird der Leib, der Geist aber wird vom Leib empfangen, er inkarniert sich. Der Leib unterliegt der Vererbung, der Geist der Reinkarnation. Der Leib ist ein Ergebnis der Vererbung, der Geist ein Ergebnis seiner eigenen geistigen Vorgeschichte.

Die geistige Individualität wird nicht nur in eine Familie hineingeboren, sondern auch in ein Volk, da die Familie ja ihrerseits wiederum dem kulturellen Raum eines Volkes angehört. Völker sind im übrigen nach Steiners Auffassung keine »Rassen«, also auch nicht durch »naturale« – sprich biologische –  Faktoren bestimmt, sondern durch Sprache, Kultur und Tradition, also durch geistige Faktoren.

Und natürlich wird das Kind in einen Kulturraum hineingeboren, in dem es aufwächst und dessen »eigentümliche Geisteskonfiguration es sich im Laufe seines Heranwachsens aneignet. Die durch die Vererbung geschaffenen leiblichen Bedingungen der Inkarnation entsprechen wiederum der geistigen Vorgeschichte der Individualität, die sich in der betreffenden Familie inkarniert, ebenso wie die kulturellen Ausgangsbedingungen dieser geistigen Vorgeschichte entsprechen.

Die geistige Individualität aber schöpft ihren geistigen Inhalt weder aus den Bedingungen der Vererbung (aus der Biologie, was einem biologischen Reduktionismus entspräche), noch aus den Bedingungen der Volkskultur (aus den sozialen und kulturellen Konstellationen, was einem sozialen oder nationalen Reduktionismus entspräche), sondern wächst über all diese Bedingungen hinaus. »Die Natur macht aus dem Menschen bloß ein Naturwesen; die Gesellschaft ein gesetzmäßig handelndes; ein freies Wesen kann er nur selbst aus sich machen. Die Natur lässt den Menschen in einem gewissen Stadium seiner Entwicklung aus ihren Fesseln los; die Gesellschaft führt diese Entwicklung bis zu einem weiteren Punkte; den letzten Schliff kann nur der Mensch selbst sich geben«, heißt es bereits in der »Philosophie der Freiheit« 1893.

Auf diese Fragestellung ging Steiner wiederholt ein. Zum Beispiel in einem Vortrag am 17. Dezember 1916 in Dornach. Hier erläuterte er das Zusammenspiel von »Vererbung und Reinkarnation«, das bei der Geburt eines jedes Menschen eine Rolle spielt, am Beispiel Dantes:

»Ich habe in der letzten Zeit an verschiedenen Orten von dem Zusammenhange der Menschenseele zwischen Tod und neuer Geburt mit dem, was auftritt, wenn der Mensch durch die Geburt ins Dasein tritt, gesprochen. Ich habe darauf aufmerksam gemacht, dass der Mensch zwischen dem Tod und neuer Geburt mit den Kräften in Verbindung ist, die die Menschen durch Generationen zusammenführen. Durch das Immer-wieder-Zusammenkommen von Elternpaaren und so weiter in der Nachkommenschaft und in den sonstigen Bedingungen, die mit der Generationenfolge zusammenhängen, wird bewirkt, dass der Mensch, der zwischen Tod und Geburt in der ganzen Strömung darinnen ist, zuletzt zu dem Elternpaar geführt wird, durch das er sich verkörpern kann. So wie man im physischen Leben mit seinem physischen Leib zusammenhängt, so hängt man zwischen Tod und neuer Geburt zusammen mit den Verhältnissen, welche die Geburt aus einem bestimmten Elternpaar heraus vorbereiten. In den Kräften, die einen Menschen schließlich zu einem bestimmten Elternpaar führen, die bewirken, dass dieser Vater, diese Mutter wieder ihre Eltern hatten und so weiter rückwärts, in alldem, was sich da in verschiedenen Verzweigungen verästelt, was in der verschiedensten Weise zusammenwirkt, in alledem steckt man drinnen wahrend Jahrhunderten!

Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass es schon eine stattliche Anzahl von Jahrhunderten gibt, wenn man nur in dem darinnensteckt, was durch dreißig Generationen zieht. Denn von Karl dem Großen bis auf unsere Zeit sind etwa dreißig Generationen, und in allem, was sich da so vollzieht an Sich-Lieben, Sich-Finden, Nachkommenschaft erzeugen, das zuletzt zu dem Elternpaar führt, aus dem man geboren wird, in alledem steckt man selbst darinnen, das hat man alles selber vorbereitet.

Ich wiederhole dies aus dem Grunde, weil bei denjenigen Persönlichkeiten, die man die Führenden nennt und die man als Führende in einer gewissen Weise anerkennen kann, es wichtig ist, einzusehen, wie gerade durch die eben angeführte Tatsache das zustande kommt, was sie dann für die Menschheit bedeuten. Ich möchte Ihren Blick auf eine führende Persönlichkeit lenken, aber das, was über sie zu sagen ist, zuletzt gipfeln lassen in einem Ausspruch, den ein anderer über diese Persönlichkeit getan hat. Sie werden gleich sehen, warum.

Wir haben in Dante eine ganz hervorragende Persönlichkeit am Ausgang des vierten nachatlantischen Zeitraums. Wir können eine solche hervorragende Persönlichkeit jenen Persönlichkeiten gegenüberstellen, die nach Eintritt des fünften nachatlantischen Zeitraums eine gewisse Bedeutung erlangt haben, wie zum Beispiel Thomas Morus. Fassen wir dasjenige, was wir bei einer solchen Persönlichkeit wie Dante im Allgemeinen erkannt haben, im Speziellen ins Auge. Eine Persönlichkeit wie Dante wirkt weithin impulsierend, weithin bedeutungsvoll. Da ist es schon interessant, wenigstens ahnend darüber nachzudenken, wie eine solche Seele, bevor sie durch die Geburt in ein physisches Erdendasein tritt, das für die Menschheit bedeutend sein wird, sich gewissermaßen, wenn ich den etwas barocken Ausdruck gebrauchen darf, zusammenstellt dasjenige, was sie werden soll, um in der richtigen Weise durch das richtige Elternpaar geboren zu werden. Selbstverständlich werden diese Verhältnisse aus der geistigen Welt heraus zustande gebracht; aber sie werden mit Hilfe der physischen Werkzeuge realisiert. Es wird also gewissermaßen aus der geistigen Welt heraus dieses Blut zu jenem Blut dirigiert und so weiter.

In der Regel kann eine Persönlichkeit wie Dante nie zustande kommen aus einem homogenen Blut heraus. Einem Volke anzugehören, ist für eine solche Seele geradezu unmöglich. Da muss schon eine geheimnisvolle Alchimie stattfinden, das heißt, es muss verschiedenes Blut zusammenfließen. Was auch diejenigen sagen mögen, welche in Überpatriotismus die großen Persönlichkeiten für ein Volk in Anspruch nehmen wollen, es steckt nicht viel Reales dahinter!

Was Dante betrifft, so möchte ich zunächst, damit Sie sehen, dass ich nicht parteiisch bin, einen andern schildern lassen, was in seinem Wesen deutlich zutage tritt für den, der auf dieses Wesen einzugehen versteht. Man könnte sehr leicht glauben, dass ich irgendwie Politik treibe, was mir natürlich so fern wie möglich liegt. Deshalb habe ich bei Carducci, dem großen italienischen Dichter der neueren Zeit, der ein großer Dante-Kenner war, angefragt. ...

Nun sagt Carducci: In Dante wirken drei Elemente zusammen, und nur durch das Zusammenwirken dieser drei Elemente konnte Dantes Wesenheit das werden, was sie war. Erstens durch gewisse Glieder seiner Abstammung ein altetruskisches Element. Von diesem habe Dante dasjenige erhalten, was ihm die übersinnlichen Welten erschlossen hat, dadurch konnte er in so tiefer Weise über die übersinnlichen Welten sprechen. Zweitens liege in ihm das romanische Element, welches ihn das rechte Verhältnis gewinnen lässt zu dem Leben des Tages und das Ausgehen von gewissen Rechtsbegriffen. Und als drittes, sagt Carducci, liegt in Dante das germanische Element. Von diesem hat er die Kühnheit und Frische der Anschauung, einen gewissen Freimut und festes Eintreten für dasjenige, was er sich vorgesetzt hat. Aus diesen drei Elementen setzt Carducci das Seelenleben Dantes zusammen.

Das erste weist uns hin auf Altkeltisches, das ihn irgendwie durchblutet und ihn zurückführt in den dritten nachatlantischen Zeitraum, denn das Keltische im Norden führt zurück in dasjenige, was wir kennengelernt haben als den dritten nachatlantischen Zeitraum. Dann finden wir den vierten nachatlantischen Zeitraum im romanischen, den fünften im germanischen Elemente. Aus den drei Zeiträumen und ihren Impulsen setzt Carducci die Elemente in Dantes Seele zusammen, so dass wir also wirklich drei Schichten haben, welche nebeneinander oder vielmehr übereinander gelagert sind: dritter, vierter, fünfter Zeitraum, keltisch, romanisch, germanisch. Gute Dante-Forscher haben viele Bemühungen angestellt, um dahinterzukommen, wie Dante von der geistigen Welt aus sein Blut in der Weise hat mischen können, dass es ein derartig zusammengesetztes wurde. Sie haben es natürlich nicht mit diesen Worten ausgesprochen, wie ich es jetzt sage, aber sie haben diese Bemühungen angestellt, und manches ist, wie man glaubt, dadurch zustande gekommen, dass ein gutes Stück von Dantes Vorfahrenschaft in Graubünden zu finden ist. Das kann die Geschichte schon bis zu einem gewissen Grade bestätigen: Nach allen Windrichtungen hin, aber auch nach dieser Gegend, wo so viel Blutmischung stattgefunden hat, weist der Vorfahrenzug Dantes hin.

Wir sehen so, wie an einer einzelnen Persönlichkeit das merkwürdige Zusammenwirken der drei Schichten europäischer Menschheitsentwickelung zutage tritt. Und Sie sehen, ein Mann wie Carducci, der dieses Urteil nicht gefällt hat unter dem Einfluss der heutigen völkischen Tollheit, sondern aus einer gewissen Objektivität heraus, weist auf dasjenige hin, was bei Dante zugrunde liegt.« (GA 173, Dornach, 17. Dezember 1916)

Auch die Behauptung, von Steiner werde der »Wechsel der Volkszugehörigkeit« nicht weiter reflektiert, trifft nicht zu. Denn in dem von Zander herangezogenen Vortrag heißt es:

» ... eine solche Volksseele wirkt aus gewissen Tiefen des Geisteswesens heraus das ganze Leben auf den Menschen ein. Selbstverständlich muss das nicht sein. Der Mensch kann das eine Volk verlassen, in das andere aufgenommen werden. Aber die Wirkungen sind trotzdem so, wenn sie sich dadurch auch modifizieren. ... Wer während seines ganzen Lebens in seinem Volke stehenbleibt, hat eben diese Wirkung sein ganzes Leben hindurch. Wer von einem Volk in das andere geht, wird eben zuerst die Wirkung der einen Volksseele, nachher auch die der anderen Volksseele haben. Darauf kommt es jetzt nicht an. Es wäre interessant, die einzelnen Wirkungen des Wechselns der Volksseele anzudeuten, aber dazu ist nicht die Zeit.« (GA 65, Berlin, 13. April 1916)

Der betreffende Mensch wird also zunächst die Wirkungen der einen Volksseele in sich aufnehmen, danach die einer anderen, so dass die zweiten die ersten modifizieren usw..

Auf diese Frage kam Steiner des öfteren zurück. Zum Beispiel am 7. Januar 1917 in Dornach. Dieser Vortrag ist noch aus einem weiteren Grund von Bedeutung. Denn Steiner entkräftet in ihm den auch von Zander erhobenen Vorwurf, seine Charakterisierung europäischer Völker oder Volksseelen führe zu einer Hierarchisierung oder Abwertung.

Was die Beziehung des Einzelnen zur Volksseele betrifft, so ließen sich Steiners Erörterungen gut mit Freuds Formel: »Wo Es war, soll Ich werden«, zusammenfassen: Was unbewusst und damit unfrei an der Verbindung zum Volk ist, soll ins Bewusstsein gehoben und dadurch vergeistigt und frei werden. Durch die Anthroposophie wird das Allgemein-Menschliche ins Bewusstsein gehoben, das für alle Menschen, unabhängig von ihrer Volkszugehörigkeit gilt. Sie lehrt aber auch verstehen, in welcher Beziehung die Differenzierungen des Allgemein-Menschlichen, die durch die Völker zustande kommen, zu diesem stehen. Und sie lehrt einen Weg zur Befreiung von den Vereinseitigungen, die durch diese Differenzierungen zustande kommen. Schließlich zeigt sie auf, dass und wie diese Differenzierungen aus Freiheit bejaht werden können, ohne dass sie das Allgemein-Menschliche oder die Freiheit des Einzelnen einschränken.

»Wir haben verschiedene Erwägungen angestellt über die Zugehörigkeit des Menschen zu diesem oder jenem Volkstum, oder, wie man auch sagt in der neueren Zeit, zu dieser oder jener Nation oder Nationalität.

Nun ist gerade das Allgemein-Menschliche das, was der Mensch an sich trägt, ohne dass es sich in dieses oder jenes Volkstum individualisiert, spezifiziert, was man sich durch die Geisteswissenschaft voll zum Bewusstsein bringen kann, weil ja alles das, was den Hauptinhalt der anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft ausmacht, wirklich für jeden Menschen gilt, ohne irgendeinen Gruppenunterschied.

Und wenn man vom anthroposophischen Standpunkte aus nationale Differenzierungen betrachtet, so betrachtet man sie ja auch anders als vom nichtanthroposophischen Standpunkte, indem man gewissermaßen objektiv ins Auge fasst, worauf diese Differenzierungen beruhen. Die Dinge können objektiv ins Auge gefasst werden.

Wir sind uns ja der Dreigliedrigkeit unserer Seele in Empfindungsseele, Verstandes- oder Gemütsseele und Bewusstseinsseele bewusst, welche drei Glieder ausgefüllt, durchgeistigt, durchlebt werden von der Ichheit. Die Empfindungsseele ist dasjenige, was von der italienischen Volksseele besonders beeinflusst wird, wenn die Kräfte und Impulse der Volksseele in die einzelne Menschenseele hineinwirken. Die Verstandes- oder Gemütsseele im einzelnen Menschen ist für die französische, die Bewusstseinsseele für die britische Volksseele, das Ich für die mitteleuropäischen und das Geistselbst für die Volksseelen der slawischen Völker besonders empfänglich. Wenn wir dies erkennen und durchdringen, so sollten wir nicht mehr dazu verführt werden, Urteile zu fällen, wie sie eben sehr häufig gefällt werden.

Jemand, der diese Dinge gehört hat, ist nun gewissermaßen wütend geworden aus dem Grunde, weil er vernommen hat: Durch die anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft wird das deutsche Volkstum so interpretiert, als ob die Volksseele hereinwirkt in das Ich. –

Sein Irrtum war, dass er dies für etwas Höheres gehalten hat, als wenn die Bewusstseinsseele von der Volksseele beeinflusst wird. Das lag an ihm!

In der Geisteswissenschaft werden die Dinge in ihrer Objektivität nebeneinander hingestellt. Die Volksseelen haben ihre Aufgaben, und die bestehen in diesem Hereinwirken. Aber bei diesem Hereinwirken der Volksseele in die Menschenseele müssen wir uns durchaus klar sein, dass gerade in unserem fünften nachatlantischen Zeitraum eine gewisse Entwickelung vor sich gehen muss. Und als das erste Glied dieser Entwickelung müssten eigentlich diejenigen sich fühlen, die jetzt zur anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft hinneigen.

Wodurch wirkt denn eigentlich die Volksseele in das Menschengemüt herein? Wenn wir so, wie die Menschheit einmal ist, betrachten, was in bezug auf diese Sache geschieht, so müssen wir sagen:

Das Hereinwirken der Volksseele in die individuelle Menschenseele ist zunächst ein unterbewusstes, das nur teilweise heraufsteigt in das Bewusstsein. Der Mensch fühlt sich diesem oder jenem Volkstum angehörig, und in der Hauptsache geschieht ja die Einwirkung der Volksseele auf die Individualität des Menschen durch den Umweg des mütterlichen Prinzips. Das mütterliche Prinzip ist eingebettet in das Volksseelentum. Was den Menschen als physisch-ätherisches Naturwesen mehr herausreißt aus dem Gruppenhaften, ist die Einwirkung des väterlichen Impulses. Das habe ich in früheren Jahren öfter auseinandergesetzt. Für die christliche Weltanschauung liegt das schon in den Evangelien ausgedrückt. Auch darüber ist in früheren Jahren gesprochen worden.

Im wesentlichen wird, so wie die Dinge heute noch liegen, zunächst durch das Blut vom Volkstume aus in den Menschen hereingewirkt, und durch dasjenige, was im Ätherleibe dem Blute entspricht. Natürlich haben wir es da mit einem mehr oder weniger animalischen Impulse zu tun, und er bleibt animalisch für den weitaus größten Teil der heutigen Menschen. Der Mensch gehört einem gewissen Volkstum an durch sein Blut. Welche geheimnisvollen Kräfte und Impulse in das Blut hineinwirken, ist schwierig im einzelnen auseinanderzusetzen, weil diese Impulse außerordentlich vielgestaltig, mannigfaltig sind. Aber sie liegen unter der Oberfläche des Bewusstseins.

Viel bewusster lebt der Mensch in all dem, was an Menschlichkeit ohne Unterschied der Nation in ihm lebt.

Daher wird auch das Pathos, die Leidenschaft, der Affekt, mit dem sich der Mensch einer Nationalität angehörig fühlt, mit einer gewissen elementaren Kraft hervortreten. Der Mensch wird nicht versuchen, logische Gründe oder Urteile geltend zu machen, wenn es sich für ihn darum handelt, seine Zusammengehörigkeit mit seiner Nationalität zu bestimmen oder zu empfinden. Das Blut und das Herz, das unter dem Einflusse des Blutes steht, bringt den Menschen mit seiner Nationalität zusammen, lässt ihn in der Nationalität drinnen leben.

Die Impulse, die da in Betracht kommen, sind unterbewusst, und es ist schon viel gewonnen, wenn man sich dieses unterbewussten Charakters bewusst ist. Gerade in bezug darauf ist es wichtig, wenn der Mensch, der an die Geisteswissenschaft herantritt, in sich selber eine Entwickelung durchmacht, wenn er in bezug auf diese Dinge gewissermaßen anders empfindet als die übrige Menschheit.

Wenn Menschen, die nicht der Geisteswissenschaft angehören, gefragt werden, wie sie mit ihrer Nationalität zusammenhängen, so werden und müssen sie sagen: Durch das Blut! – Das ist die einzige Idee, die sie sich über die Zugehörigkeit zu ihrer Nationalität machen können. Der Geisteswissenschafter soll allmählich dazu kommen, sich nicht diese Antwort zu geben, sondern eine andere.

Würde er sich nicht allmählich zu dieser andern Antwort entwickeln können, so würde er die Geisteswissenschaft nur theoretisch nehmen, nicht im eigentlichen Sinne praktisch und lebendig.

Während also der Nichtgeisteswissenschafter sich nur die Antwort geben kann: Durch mein Blut hänge ich mit meiner Nationalität zusammen, durch mein Blut verteidige ich dasjenige, was in der Nation lebt, durch mein Blut fühle ich die Verpflichtung, mich zu identifizieren mit meiner Nationalität –, muss der Geisteswissenschaf ter sich die andere Antwort geben: Durch mein Karma bin ich mit der Nationalität verbunden, denn es ist ein Teil des Karma. – Sobald man Karmabegriffe einführt, vergeistigt man allerdings das gesamte Verhältnis. Und während der Nichtgeisteswissenschafter für alles das, was er als Angehöriger eines bestimmten Volkes tut, das Pathos, die Impulsivität, das Blut aufrufen wird, wird derjenige, der die geisteswissenschaftliche Entwickelung durchgemacht hat, sich durch das Karma verbunden fühlen mit diesem oder jenem Volkstum.

Das ist eine Vergeistigung der Sache. Äußerlich mag dasselbe ablaufen, äußerlich mag der Mensch, wenn er diese Vergeistigung empfindet, das gleiche geltend machen; aber innerlich wird die Sache vergeistigt sein, und er wird ganz anders empfinden als derjenige, der die Zugehörigkeit gewissermaßen nur animalisch empfindet.

Da sehen Sie gerade einen Punkt, in dem die Zugehörigkeit zur Geisteswissenschaft die Seele zu etwas anderem macht, eine andere Stimmung in die Seele hineinbringt. Sie sehen aber zugleich, wie weit das allgemeine Zeitbewusstsein zurück ist hinter dem, was heute von den willigen Leuten wohl gewusst werden könnte.

Das allgemeine Zeitbewusstsein kann gar nicht anders, als die Zugehörigkeit des Menschen zur Nationalität nach dem Blute, oder nach dem, was sehr wenig blutsmäßig, aber eben im Zusammenhange mit dem Blut und aus diesem Anschauen des Blutes heraus geregelt wird, auffassen. Es wird eine viel freiere Auffassung dieser Zugehörigkeit Platz greifen, wenn die ganze Angelegenheit als eine Karmaangelegenheit betrachtet wird. Dann werden gewisse feine Begriffe auftauchen für denjenigen, der sich vielleicht der oder jener Nationalität bewusst anschließt und dadurch eine Karmaschwenkung vollzieht. (GA 174, Dornach, 7. Januar 1917)

Zu 2.

In den unter 2. zitierten Sätzen bietet Zander wieder ein aus dem Zusammenhang gerissenes Konglomerat von Satz- und Gedankenfragmenten, das sich in dieser Zusammenstellung bei Steiner nicht findet. Zuerst zitiert er anderthalb Sätze aus GA 121 von 1909 und schließt daran die Behauptung an, die in diesen anderthalb Sätzen implizierte »sozialdarwinistische Erniedrigung« habe Steiner 1908 realisiert. Wie konnte aber Steiner die Konsequenz aus einem Gedanken, den er erst 1909 aussprach, bereits 1908 realisieren?

Dass in den Sätzen »Es ist ein Fortschritt in der menschlichen Entwickelung. Es kommt dabei nicht in Betracht, ob wir das eine höher oder niedriger stellen. Es kann zum Beispiel einer sagen: Mir gefällt die indische Kultur am besten. Das mag ein persönliches Urteil sein. Wer aber nicht auf persönliche Urteile schwört, der wird sagen: Es ist gleichgültig, wie wir die Dinge bewerten; der notwendige Gang führt die Menschheit vorwärts, mag man das später auch Niedergang nennen. Die Notwendigkeit führt die Menschheit vorwärts ...« keine »sozialdarwinistische Erniedrigung von Völkern zur Konkursmasse der Kosmologie« steckt, wurde bereits weiter oben nachgewiesen. Vielmehr verweist das Zitat im Kontext auf das Wirken der Zeitgeister, durch welche die einzelnen Völker, die zeitlich koexistieren, an einer sie alle umfassenden geistigen Sphäre teilhaben, durch die sie sich gegenseitig verstehen und harmonisch zusammenwirken können. Es geht also gerade nicht um eine »sozialdarwinistische Erniedrigung von Völkern zur Konkursmasse«, sondern um eine Erhöhung der Völker zum gemeinsamen Menschheitsgeist, dem sie alle zustreben.

Das Zitat, das Zander nun anschließt: »Ist das nicht ein ungeheuer harter Gedanke, dass ganze Völkermassen unreif werden ...«, das belegen soll, dass Steiner die »sozialdarwinistische Erniedrigung von Völkern« realisiert haben soll, bezieht sich nicht auf Völker der Gegenwart oder der nachatlantischen Zeit, sondern auf die »Rassen« der atlantischen Zeit. Es ist daher nicht auf den Kontext übertragbar, auf den Zander es anwendet. Auch in diesem zweiten Zitat lässt Zander in einer für seine Zitierweise charakteristischen Art gewisse Sätze aus, die für das Verständnis des tatsächlich Gesagten von entscheidender Bedeutung sind.

Steiner spricht in der zitierten Passage aus GA 104 nicht über gegenwärtige Völker oder »Völkermassen«, sondern über die alte Atlantis und er weist in diesem Zusammenhang explizit darauf hin, dass das für die nachatlantischen Zeit maßgebliche Entwicklungsprinzip nicht die »Rassen-«, sondern die »Seelenentwicklung« sei, denn »keine Seele ist dazu verdammt, innerhalb irgendeiner Rasse zu bleiben«, die »Seelenentwicklung« schreitet über die »Rassenentwickelung« hinaus.

Nach Auseinandersetzungen über die zukünftige Epoche von Philadelphia (von der die Apokalypse des Johannes spricht), in der sich aus allen Völkern und Rassen, »aus allen Stämmen und Nationen« Menschen, die das »Prinzip des Fortschritts, die innere Freiheit und die Bruderliebe« in sich tragen, zu einem Bruderbund zusammenschließen werden, um durch die umfassende Verwirklichung des Christus-Prinzip die Menschheit auf ihrem Weg der spirituellen Evolution einen Schritt weiterzubringen, wirft Steiner einen Blick zurück in die atlantische Zeit:

»So ging es auch beim Herüberleben vom vierten Zeitlauf [der atlantischen Zeit] in unsere Zeit herein. Derjenige, der mit hellseherischen Blicken den Zeitenlauf zurückverfolgen kann, der kommt, wenn er hindurchgegangen ist durch die Zeiträume, die wir betrachtet haben – den griechisch-römischen, den ägyptisch-babylonischen, den altpersischen und den altindischen –, wenn er hindurchgegangen ist auch durch die Zeit der großen Flut, er kommt dann in die atlantische Zeit hinein.

Wir brauchen sie nicht ausführlich zu betrachten, aber wir müssen uns wenigstens klarmachen, wie sich diese atlantische Kultur herüberentwickelt hat. Auch da war es so, dass der große Teil der atlantischen Bevölkerung unreif war, sich weiterzuentwickeln, unfähig war, herüberzukommen in unsere Zeiten. Ein kleiner Teil, der in einem Gebiete in der Nähe des heutigen Irland lebte, entwickelte sich zur höchsten Kulturblüte des atlantischen Landes und zog gegen Osten. Wir müssen uns klar sein, dass dies nur der Hauptzug ist. Immer wanderten Völker von Westen nach Osten, und alle die späteren Völker in europäischen Gegenden, im nördlichen und im mittleren Europa, alle diese rührten her von jenem Zug, der da ging von Westen nach Osten.

Nur war unter der Leitung eines großen Führers der Menschheit derjenige Teil der Bevölkerung, der es zur höchsten Blüte gebracht hatte, am weitesten vorgeschritten. Der siedelte sich in Mittelasien an als ein ganz kleiner Volksstamm von auserwählten Menschen, und von da aus ging die Kolonie nach jenen Kulturgebieten, die wir angeführt haben, von da aus ging die Kulturströmung nach Alt-Indien, nach Persien, Ägypten, Griechenland und so weiter.

Sie können nun leicht fragen: Ist das nicht ein ungeheuer harter Gedanke, dass ganze Völkermassen unreif werden und nicht die Fähigkeiten entwickeln, sich zu entfalten, dass nur eine kleine Gruppe fähig wird, den Keim zur nächsten Kultur abzugeben? – Aber dieser Gedanke wird für Sie nicht mehr etwas Beängstigendes haben, wenn Sie unterscheiden zwischen Rassenentwickelung und Seelenentwickelung. Denn keine Seele ist dazu verdammt, innerhalb irgendeiner Rasse zu bleiben. Die Rasse kann zurückbleiben, eine Völkergemeinschaft kann zurückbleiben, die Seelen aber schreiten über die einzelnen Rassen hinaus. ... Keine Seele ist an einen zurückgebliebenen Leib gebunden, wenn sie sich nicht selber bindet.« (GA 104, Nürnberg, 21. Juni 1908)

Diese Ausführungen Steiners sind nicht zuletzt ein weiterer Beleg dafür, dass er kein Rassist war, denn nicht nur ist die Seelenentwicklung von der Rassenentwicklung völlig unabhängig, besteht doch der Fortschritt der Menschheit darin, dass sich erstere von der letzteren emanzipiert, sondern das »Prinzip des Fortschritts«, das moralische Ideal, dem die Menschheit zustrebt wird von ihm ausdrücklich in die »innere Freiheit und die Bruderliebe« gesetzt. Das »Prinzip der inneren Freiheit« kann man auch so formulieren, dass »keine Seele dazu verdammt ist, innerhalb irgendeiner Rasse zu bleiben« – d.h. keine Seele ist dazu verdammt, durch ihren Leib, durch ihren Organismus determiniert zu sein, denn eine jede kann sich von den Eigenschaften und Merkmalen des Leibes emanzipieren – ja darin besteht gerade der Fortschritt der Menschheit als Ganzer, dass die einzelnen Seelen diese Freiheit realisieren. Und das »Prinzip der Bruderliebe«, der »Selbstlosigkeit«, das neben jenes der inneren Freiheit tritt, ist der Gegensatz des Bruderhasses, des Egoismus, der sich unter anderem im Rassenhass manifestiert, der auf der Liebe zu dem beruht, das ist wie man selbst, und der dazu antreibt, andere zu bekämpfen, weil sie nicht so sind, wie man selbst ist. Der Egoismus aber, das Überhandnehmen der Selbstliebe wird laut Steiners Apokalypsedeutung »zum Kriege des einzelnen gegen den einzelnen auf den mannigfaltigsten Gebieten des Lebens« führen, »zum Kriege der Stände gegen die Stände, der Kasten gegen die Kasten, der Geschlechter gegen die Geschlechter.«

Besonders pikant sind Zanders Auslassungen über Steiners Kritik an René Marans »Veritable roman nègre« »Batouala«. Wie bereits in der Analyse des Beitrags »Sozialdarwinistische Rassentheorien« dargestellt, handelt es sich bei Steiners Vortragsäußerungen um ein vielschichtiges Spiel mit Metaphern, das Zander kritiklos wörtlich versteht.

Auf S. 316-318 schreibt Zander:

»Verräterische Indizien sind dafür die alltäglichen mentalen oder umgangssprachlichen (und nicht spezifisch anthroposophischen) Diskriminierungen: ... bei der Lektüre von ›Negerromanen‹ durch Schwangere befürchtet Steiner Mulatten – geistiger Wirkungen wegen:

›Wir geben diese Negerromane den schwangeren Frauen zu lesen, da braucht gar nicht dafür gesorgt zu werden, dass Neger nach Europa kommen, damit Mulatten entstehen; da entsteht durch rein geistiges Lesen von Negerromanen eine ganze Anzahl von Kündern in Europa, die ganz grau sind, Mulattenhaare haben werden, die mulattenähnlich aussehen werden!‹ (GA 348,189)

Dass Steiner jenseits konkreter Erfahrung spricht, dokumentiert seine Farbvermutung über Mulattenkinder: Kinder von schwarzen und weißen Elternteilen werden nicht, wie im Farbkasten, grau, sondern braun ...

Es ist nicht auszuschließen, dass Steiner in seinem Leben nie einen schwarzen Afrikaner zu Gesicht bekommen hat. Aber er las populäre Literatur. Rene Marans Roman Batuala, ein echter Negerroman aus dem Jahr 1922 findet sich in Steiners Bibliothek – möglicherweise hängt damit die oben zitierte Polemik gegen Negerromane (GA 348,189) zusammen. Dass es sich bei diesem Roman um ein ›Vorbild für Steiners umstrittene Neger-Zitate‹ gehandelt habe, wie Kritiker laut und Anthroposophen offenbar eher kleinlaut konstatieren, kann aber nur behaupten, wer den Roman nicht gelesen hat. Der 1887 geborene französische Kolonialbeamte, Sohn eines schwarzen Vaters und einer Mischlingsmutter, formulierte eine harsche Kritik an der Rolle der weißen Kolonialherren, die sich nicht gerade wie Steiners Mitglieder der ›am Geiste schaffenden Rasse‹ (GA 349,67) verhalten. Und Marans Darstellung eines lustvollen Fruchtbarkeitskults wird dem puritanischen Steiner selbst, dann, wenn dies seinem Stereotyp der Triebhaftigkeit von ›Negern‹ entgegengekommen sein sollte und er den Roman wirklich gelesen hat, nicht gefallen haben.«

Steiners Äußerungen über »Mulatten« im Vortrag vom 30. Dezember 1923 (GA 348) sind insgesamt als ein Spiel mit Metaphern zu verstehen. Sie beinhalten nicht eine Kritik an der schwarzafrikanischen Kultur oder an den Mulatten (Mischlingen), sondern eine Kritik an der europäischen Zivilisation und am Kolonialismus. Der »Negerroman« auf den Steiner Bezug nahm, stammte von einem französischen Kolonialbeamten, und handelte von »Negern« (»Batouala, Véritable roman nègre«) von René Maran (1887-1960), als Sohn guyanesischer Eltern in Bordeaux aufgewachsen, Regierungsbeamter in der Zentralafrikanischen Republik.) Zwar spricht sich Maran in seinem Nachwort gegen den Kolonialismus aus, und wirft den europäischen Kolonisatoren geistige Mediokrität und moralischen Verfall vor, gleichzeitig bestätigt er aber durch das Bild, das er vom Leben der Afrikaner entwarf, vollumfänglich deren Vorurteile. Wäre Zander nicht positiv voreingenommen für Maran und negativ voreingenommen gegen Steiner, müsste er gegen ersteren genau dieselben Vorwürfe erheben, die er auch gegen Steiner erhebt. Es ist nicht auszuschließen, dass Zander nie einen Blick in dieses Buch hineingeworfen hat, denn seine Auslassungen bewegen sich jenseits konkreter Anschauungen. Die Schwarzen werden in Marans Buch als faul, dumm und sexbesessen dargestellt. Außerdem wird die weibliche Beschneidung darin verherrlicht. Der Untergang des Bewusstseins in besinnungslosem Rausch und sexuelle Orgien werden als naturnahes afrikanisches Leben angepriesen, das frei von den Verirrungen der westlichen Zivilisation sei. Das Buch ist nicht nur rassistisch, sondern auch frauenfeindlich. Es ist ein Beispiel für den in Europa zu Beginn der 1920er Jahre grassierenden »Negerkult«, der die kolonialistische Unterdrückung und Entwürdigung im Medium der kulturellen Aneignung fortsetzte und überbot. Die ironische Pointe besteht darin, dass der Verfasser selbst Schwarzer war.

Der Roman ist für Steiner eine Metapher der geistigen Verwüstung, die der Kolonialismus in der Welt anrichtete und der Verlogenheit, die darin bestand, dass die Kulturen der kolonialisierten Völker zu Vorbildern der europäischen Erneuerung stilisiert wurden und die Kolonialisierung mit geistigen Mitteln fortgesetzt wurde. »Der Mulatte« ist eine Metapher für diese geistige Verwüstung, ebenso das »mulattenähnliche Kind«. Schwangere, die diesen Roman lesen, bekommen nicht mulattenähnliche Kinder, weil sie durch einen geheimnisvollen Vorgang während der Lektüre durch Schwarze befruchtet werden, sondern weil sie ihre Seelen mit Schundliteratur erfüllen und sich die Verödung ihrer Seelen auf ihre Kinder überträgt, die daraufhin, wie Zander richtig bemerkt, nicht »braun«, sondern »grau« werden. Grauheit ist als Metapher für Farblosigkeit, geistige Ödnis, zu verstehen.

Im Folgenden einige Auszüge aus Marans »Roman«.

Batuala, die schwarze Hauptfigur sagt über sich selbst:

»Was ihn, Batuala, betraf, so hielt er bis auf weiteres daran fest, dass Nichtstun einfach nur das Hinnehmen alles dessen, was uns umgibt, bedeutet. In den Tag hineinleben, ohne sich des Gestern zu erinnern, noch sich um morgen zu bekümmern, nicht voraussorgen – das war die wahre Vollkommenheit.« (S. 15)

Yassigindja, eine Frau sinniert: »Eine Frau darf sich dem Mann, der sie begehrt, nie entziehen. Gerade das Gegenteil ist wahr. Das einzige geltende Gesetz ist der Instinkt. Seinen Mann betrügen  oder vielmehr nicht nur ihm allein gehören, das ist doch vollständig gleichgültig.

Es genügt, den gewohnten Besitzer, von dessen Gut man genossen hat, mit Hühnern, Böcken oder Negerschürzen für den ihm zugefügten Schaden abzufinden. Und alle ist wieder gut.« (S. 41)

Den Höhepunkt des Buches stellt aber die seitenlange Schilderung dessen dar, was Zander als »lustvollen Fruchtbarkeitskult« bezeichnet, bei dem es sich in Wahrheit um einen Ritus weiblicher Beschneidung und an ihn anschließende Massenvergewaltigungen handelt:

»Nackt, den Körper mit Asche und Maniok gebleicht – wer diese Sitte vernachlässigt, den treffe der Tod – mit glatt geschorenem Haar und wilden Augen näherten sie sich tanzend.

Ihre Tänze begleiteten sie mit dem Rhythmus teils näselnder, teils gutturaler Laute, die man nicht verstand ... Und sie bewegten sich in einer Art Raserei, die zum Lärm der Lieder und Kundehs den Takt angab ...

Als der Augenblick der Männer gekommen war, brach ein wahres Delirium aus.

Man sah nur noch unmäßig heulende Münder in von Schweiß triefenden Gesichtern. Das war nur noch ein einziges Gestampf, das die Erde bis in weite Fernern erschütterte.

Was waren das für Schreie, für Gelächter, für Gesten! Denn das Beisammensein so vieler Männer und Frauen, das Bier, der Hand, die Bewegung und die Freude hatten bebend heiße Begierden entfacht ...

Die jungen Mädchen, von denen einige auffallend bleich waren, drehten sich tanzend um sich herum. Trotzdem zitterten sie vor Schreck, so sehr sie sich auch bemühten, dagegen anzukämpfen ...

Die Alte tat einige Schritte vorwärts, spreizte ihr kräftig die Schenkel auseinander, packte mit beiden Händen, was sie zu packen hatte, zog daran wie an einer Gummiliane, und mit einem einzigen Ruck – ratsch – schnitt sie es heraus.

Ohne auch nur den Kopf zu drehen, warf sie diese heißen blutigen Fleischfetzen aufs Geradewohl hinter sich, so dass sie zuweilen jemanden ins Gesicht trafen.

Das alles war vollständig gleichgültig. Wenn es einmal auf der Erde lag, konnten sich die Hunde darüber hermachen ...

Jetzt erreichte der Tumult seinen Höhepunkt.

Dagegen war alles, was sich vorher abgespielt hatte, nichts. Alles Geschrei, alle wirren Tänze waren nur Vorbereitung für die letzte Steigerung: den Liebestanz, den man nur an diesem Abend tanzt, an dem es erlaubt ist, sich Ausschweifung und Verbrechen hinzugeben ...

Zwei Frauen tauchten auf ...Beide waren nackt, enthaart und trugen Glasketten um den Hals, einen Ring in der Nase und im Ohr ...

Außer den Festtagsjuwelen trug Yassigindja noch einen enormen Phallus aus bemaltem Holz. Dieses Symbol des männlichen Gliedes, das am Gürtel um ihre Taille befestigt war und an ihrem Unterleib baumelte, deutete die Rolle an, die sie in dem Tanz zu spielen hatte ... Dann kam sie, mehr gleitend als gehend, auf ihre Partnerin zu ... Als der beschleunigte Tanzrhythmus schließlich den Krampf anzeigte, den das Verlangen auslöst – hielten sie sich, die Körper von kurzen Schauern geschüttelt, unbeweglich, unbeweglich, glückselig umschlingen ...

Ein seltsamer Wahnsinn ergriff nun dieses menschliche Durcheinander, das die Tänzerinnen umgab. Die Männer entledigten sich des Stofffetzens, der ihnen als Schambinde diente, und die Frauen taten ihre buntgescheckten Schürzen ab. Brüste baumelten. Kinder ahmten die Bewegungen der Älteren nach. Ätzend wie Rauch breitete sich ein schwerer Geruch von Geschlecht, Urin, Schweiß und Alkohol aus. Die Paare paarten sich. Sie tanzten wie Yassigindja und ihre Freundin zuvor getanzt hatten. Man kämpfte, heisere Schreie wurden laut. Hier und da warfen sich die Körper an die Erde und setzten die getanzten Gesten in Wirklichkeit um. Verdoppelt durch den Rausch des Alkohols wuchs sich der sexuelle Rausch zur schrankenlosen, ungeheuren, rohen Freude aus. Flüche ertönten. Blut spritzte auf. Umsonst. Nur die Gier allein beherrschte sie noch ... In der Menge verloren, tanzten sie den Tanz der Liebe, den ersten aller Tänze, von dem alle anderen abstammen und dem keiner gleichkommt.« Und so weiter und so fort. (S. 81 ff)

Wie nicht anders zu erwarten, sind auch Zanders Auslassungen über Steiners Sicht des Judentums von falschen Deutungen und infamen Unterstellungen durchsetzt.

Auf S. 318-319 schreibt Zander:

»Der Status des Judentums ist in Steiners Rassentheorie durch zwei Merkmale bestimmt: Es wird zum einen als rassische, nicht als kulturelle Größe verstanden; deshalb lokalisiert Steiner beispielsweise die ›Jehova-Kraft‹ ›im Vererbungsprozess‹ (GA 176,250). Zum andern ist es in seine Konzeption der Menschheitsevolution eingeordnet: In der Bewusstseinsentwicklung wird das alttestamentliche Judentum als kollektives, präindividuelles Phänomen behandelt:

›Der Bekenner des Alten Testaments sagte noch nicht in seiner Persönlichkeit: Ich bin ein Ich. Er fühlte sich in dem ganzen alten jüdischen Volke und fühlte das Gruppen-Volks-Ich.‹ (GA 103,58)

Im ›althebräischen Volk [...] ist das Bewusstsein noch nicht durchgedrungen bis zum individuellen Einzelwesen des Menschen‹ (GA 131,159).

Der Vorwurf, Steiner verstehe das Judentum »nicht als kulturelle Größe«, sondern »als Rasse«, lässt sich durch den angeführten Beleg (GA 176) nicht erhärten. Denn nirgends in Steiners Vortrag vom 14. August 1917 wird das »Judentum als Rasse« bezeichnet, ja dieses wird überhaupt nicht erwähnt. Beiläufig kommt Steiner hingegen auf »Jehova« zu sprechen, »der dem Menschen durch den Atem das Leben eingehaucht hat« und daraufhin »im Vererbungsprozess« wirkte.

Außerdem geht Zander allzu leichtfüßig über die Untiefen der jüdischen Identitätsprobleme hinweg, wenn er seinerseits das Judentum schlicht als »kulturelle Größe« definiert. Denn dem historisch-ideellen Komplex des Judentums wohnt eine Ambivalenz inne, die tatsächlich beide Komponenten in sich enthält. Große Teile des Alten Testamentes stellen die Geschichte der Entstehung des jüdischen Volkes dar, das sich in seinen identitätsstiftenden Chroniken als Abstammungs- und Blutsgemeinschaft versteht. Das Alte Testament ist eine Geschichte des jüdischen Volkes, des »Volkes Jahves«, und »Jahve« ist darin tatsächlich »der Gott dieses Volkes«. Er trägt zwar auch den Aspekt des Schöpfergottes in sich, der die gesamte Menschheit geschaffen hat, aber aus dieser sondert er das »auserwählte Volk« heraus, das einen besonderen Bund mit ihm geschlossen hat. Und dieser Bund hängt einerseits mit der Treue zu dem Gesetz zusammen, das Jahve seinem Volk gegeben hat (der kulturell-religiöse Aspekt), andererseits aber auch mit der Abstammungslinie (der ethnisch-religiöse Aspekt).

Es ist daher nicht völlig abwegig, das Judentum auch als Bluts-, Vererbungs- und damit als »Rassen«gemeinschaft zu betrachten, da dies weitgehend seiner Selbstdefinition im Alten Testament entspricht, die bis heute nicht völlig ihre Gültigkeit verloren hat. Noch heute ist Jude der, der von einer jüdischen Mutter geboren wird. Die Zugehörigkeit zum Judentum wird über die mütterliche Blutlinie vererbt, nicht durch rein kulturelle Faktoren, wie zum Beispiel die Konversion oder eine Taufe. Stellvertretend für viele andere Passagen bringt dies das Buch Esra mit seinem Verbot der Mischehen zum Ausdruck (9, 1 ff): »Das Volk Israel und die Priester und Leviten haben sich nicht ferngehalten von der Bevölkerung des Landes und ihren Gräueltaten, von den Kanaanitern, Hetitern, Perisitern, Jebusitern, Ammonitern, Moabitern, Ägyptern und Amoritern. Sie haben von deren Töchtern Frauen genommen für sich und ihre Söhne. So hat sich der heilige Same mit den Völkern des Landes vermischt, und die Obersten und Beamten waren bei diesem Treubruch die ersten ...

Das Land, in das ihr kommt, um es in Besitz zu nehmen, ist ein beflecktes Land; denn die Völker im Land haben es befleckt; in ihrer Unreinheit haben sie es mit ihren Gräueltaten erfüllt, vom einen Ende bis zum anderen ...

Darum dürft ihr eure Töchter nicht ihren Söhnen als Frauen geben, noch dürft ihr ihre Töchter für eure Söhne nehmen ...

Dann werdet ihr stark sein und die Güter des Landes genießen und sie euren Kindern vererben für alle Zeit ...

Ja, wir haben unserem Gott die Treue gebrochen; wir haben Frauen aus der Bevölkerung des Landes geheiratet. Doch auch jetzt gibt es noch Hoffnung für Israel: Wir wollen jetzt mit unserem Gott einen Bund schließen und uns verpflichten, dass wir alle fremden Frauen samt ihren Kindern wegschicken nach dem Rat meines Herrn und aller, die das Gebot unseres Gottes fürchten. Man handle nach dem Gesetz! ...

Da stand Esra auf; er ließ die Obersten der Priester, der Leviten und ganz Israels schwören, nach diesem Vorschlag zu handeln, und sie leisteten den Eid ...

Da versammelten sich nach drei Tagen alle Männer von Juda und Benjamin in Jerusalem ...

Das ganze Volk ließ sich auf dem Platz vor dem Haus Gottes nieder ...

Der Priester Esra stand auf und sagte zu ihnen: Ihr habt dem Herrn die Treue gebrochen: ihr habt fremde Frauen genommen und so die Schuld Israels noch größer gemacht. So legt nun vor dem Herrn, dem Gott eurer Väter, ein Bekenntnis ab, und tut, was er wünscht: Trennt euch von der Bevölkerung des Landes, insbesondere von den fremden Frauen! Darauf antwortete die ganze Gemeinde laut: Alles, was du uns gesagt hast, müssen wir tun. ...

Alle diese hatten fremde Frauen geheiratet, sie trennten sich nun von ihren Frauen, auch wenn sie gemeinsame Kinder hatten

Andererseits unterschlägt Zander die gesamten, immens komplexen hierarchologischen Ausführungen Steiners, nach denen Jahve eine Christusoffenbarung vor dem Erscheinen Christi auf Erden war. Es stellt also eine unzulässige Verkürzung dar, wenn Zander über Jahve nichts weiter sagt, als dass dieser »im Vererbungsprozess« wirke. (Siehe: Lorenzo Ravagli, Abrahamitische Kultur – Die Kultur, von der alles Heutige ausgegangen ist, sowie: Lorenzo Ravagli: »Das JAHWE-Geheimnis im esoterischen Werk Rudolf Steiners«, Jahrbuch für anthroposophische Kritik 2005).

Auch der Vorwurf, »das alttestamentliche Judentum« werde »in der Bewusstseinsentwicklung als kollektives, präindividuelles Phänomen behandelt«, enthält bestenfalls die halbe Wahrheit. Denn nicht nur das alttestamentliche Judentum ist in der Bewusstseinsentwicklung ein »kollektives, präindividuelles Phänomen«, sondern die gesamte Menschheit. Die präindividuelle Kollektivität ist kein besonderes Kennzeichen des alttestamentlichen Judentums, kann diesem also auch nicht zum diskriminierenden Merkmal gereichen, geschweige denn gegen Steiner als Vorwurf verwendet werden.

Pikanterweise finden sich ausgerechnet in GA 121, »Die Mission der einzelnen Volksseelen ...«, Ausführungen über die Germanen – denen Zander gerne die Rolle eines »auserwählten Volkes« unterstellt – , die noch zur Zeit des Tacitus in diesem Gruppenseelen-Bewusstsein lebten, während sich andere Völker zu dieser Zeit längst aus ihm herausentwickelt hatten.

»Der germanisch-nordische Mensch fühlte sich selbst noch wie mit einer Gruppenseele behaftet, wie zu einer ganzen Gemeinschaft gehörig, wie ein Glied in der großen Zusammengehörigkeit des Stammes. Nur so konnte es kommen, dass noch fast hundert Jahre, nachdem der christliche Impuls der Erde gegeben worden ist, Tacitus die Germanen Mitteleuropas so schildern konnte, dass sie immer als zu einzelnen Stämmen gehörig erscheinen, dass sie wie die Glieder eines Organismus sind und zu der Einheit des Organismus gehören.

So fühlte sich der einzelne in jener Zeit noch wie ein Glied des Stammes-Ich. Er fühlte das nach und nach Heraus-geboren-Werden des individuellen Ich aus dem Stammes-Ich, und er fühlte in dem Gotte Thor den Geber, den Verleiher des Ich, den Gott, der ihn eigentlich mit dem individuellen Ich begabte. Aber er fühlte diesen Gott noch verbunden mit dem gesamten Geiste des Stammes, mit dem, was in der Gruppenseele lebt. Für diese Gruppenseele findet sich nun der Ausdruck ›Sif‹. Das ist der Name für die Gemahlin des Thor. Sif muss sprachlich verwandt sein mit dem Worte Sippe, Stammeszusammengehörigkeit und ist es auch in der Tat, wenn das auch maskiert und verborgen ist. Okkult bedeutet aber Sif die Gruppenseele der einzelnen Gemeinschaft, aus der herauswächst das einzelne Individuum.« (16. Juni 1910)

Demgegenüber standen die anderen nachatlantischen Kulturen auf weit höheren Stufen der Entwicklung:

»Am weitesten waren die Inder entwickelt, als ihr Ich mit vollem Selbstbewusstsein erwachte. Da waren sie schon so, dass sie ein sehr reiches inneres Seelenleben hatten, das gar nicht mehr diejenigen Zustände besonders in sich zeigte, welche die Völker Europas noch lange erlebten. Diese hatten sie schon durchgemacht. Sie erwachten zum Selbstbewusstsein, als sie bereits mit geistigen Kräften und geistigen Fähigkeiten ausgestattet waren, durch die sie in hohem Grade hineindringen konnten in die geistigen Welten ... Sie erwachten, als ihre Seele mit einem ungeheueren Reifegrade bereits behaftet war ...

Weniger weit entwickelt waren die Völker der persischen Kultur. Sie waren so weit durch ihr eigenartiges Erkenntnisvermögen und durch das Erwachen ihres Ich auf einer niedrigeren Stufe, dass sie sich beschäftigen konnten mit den Wesenheiten der Gewalten oder Geister der Form. Mit diesen wurden sie ganz besonders vertraut. Diese durchschauten sie in gewisser Weise, und sie interessierten sich auch vorzugsweise für sie. Eine Stufe tiefer als die Inder, aber doch auf einer Stufe, auf die dann wieder die Völker des Westens sich heraufarbeiten mussten, erwachten die Völker der persischen Gemeinschaften ...

Dann kommen wir zu den chaldäischen Völkern. Die hatten schon ein Bewusstsein von dem, was wir als Urkräfte, als führende Zeitgeister kennen. Sie hatten ein Bewusstsein von den Wesenheiten, die als Urkräfte, als Geister der Persönlichkeit erfasst werden sollen. In einer anderen Weise hatten wiederum die Völker der griechisch-lateinischen Zeit gerade auch von diesen Urkräften oder Geistern der Persönlichkeit ein gewisses Bewusstsein. Aber bei ihnen war noch etwas ganz anderes vorhanden, und das war das, was uns ein Stück weiter in der Erkenntnis führen könnte. Die Griechen standen den germanischen Völkern noch näher. Aber doch erwachte dort das Ich auf einer höheren Stufe als bei den germanisch-nordischen Völkern.« (GA 121, 14 Juni 1910)

Die Entwicklung von der Gruppenbildung aufgrund von Blutsverwandtschaft und Nahehe, vom Stammes- und Gruppenseelenbewusstsein und dem damit verbundenen instinktiven Hellsehen hin zur Herauslösung des Einzelmenschen aus dem Stammes- und Sippenverband durch Fernehe, durch Auflösung des Prinzips der Blutsverwandtschaft und dem damit verbundenen verstandesklaren Ichbewusstsein, steht als zentrales Motiv mit Steiners Interpretation der Auswirkungen des Christus-Ereignisses in Verbindung. Denn Christus als Gottessohn, als menschgewordener Gott, ist es, der dieses Ichbewusstsein an die Menschheit vermittelt, das die Bluts- und Rassenbande durchbricht, und den Menschen zum Erleben seiner geistigen Individualität befreit, die eins mit dem Vater ist, der nun nicht mehr im Blut, sondern im Geist erfahren wird. Hier nur, stellvertretend für viele andere, ein zweites Beispiel aus dem Jahr 1908:

»Nur langsam lernen die Menschen den tiefen Sinn dieses ›Ich-bin‹ völlig verstehen. Nicht gleich haben sich die Menschen als Einzelmenschen gefühlt. Sie können es finden noch im Alten Testament: da fühlten sich die Menschen noch nicht als Einzelmenschen. Auch die Angehörigen der deutschen Stämme, selbst noch in den Zeiten der christlichen Kirche, fühlten sich nicht als Einzelmenschen. Denken Sie zurück an die Cherusker, Teutonen und so weiter, an die deutschen Stämme, in deren Land nun das heutige Deutschland ist. Der einzelne Cherusker fühlte mehr das, dem gegenüber er sich als Glied erschien. Der einzelne hätte nicht in der scharfen Weise, wie heute, ›Ich bin‹ gesagt. Er fühlte sich zusammengefügt zum einigen Organismus derjenigen, die blutsverwandt waren.« (GA 104, Nürnberg, 17. Juni 1908)

Präzise heißt es dazu in der »Geheimwissenschaft im Umriß«, die geradezu ein Gesetz der Bewusstseinsentwicklung formuliert, dessen Scharnier das Christusereignis ist:

»Die Menschheit ist von einer Einheit ausgegangen; aber die bisherige Erdenentwickelung hat zur Sonderung geführt. In der Christus-Vorstellung ist zunächst ein Ideal gegeben, das aller Sonderung entgegenwirkt, denn in dem Menschen, der den Christusnamen trägt, leben auch die Kräfte des hohen Sonnenwesens, in denen jedes menschliche Ich seinen Urgrund findet.«

Im Kontext heißt es:

»Was durch die Christus-Erscheinung der Menschheitsentwickelung zugeflossen ist, wirkte wie ein Same in derselben. Der Same kann nur allmählich reifen. Nur der allergeringste Teil der Tiefen der neuen Weistümer ist bis auf die Gegenwart herein in das physische Dasein eingeflossen. Dieses steht erst im Anfange der christlichen Entwickelung. Diese konnte in den aufeinanderfolgenden Zeiträumen, die seit jener Erscheinung verflossen sind, nur immer so viel von ihrem inneren Wesen enthüllen, als die Menschen, die Völker fähig waren, zu empfangen, als diese in ihr Vorstellungsvermögen aufnehmen konnten.

Die erste Form, in welche sich dieses Erkennen gießen konnte, lässt sich als ein umfassendes Lebensideal aussprechen.

Als solches stellte es sich entgegen dem, was in der nachatlantischen Menschheit sich als Lebensformen herausgebildet hatte. Es sind oben die Verhältnisse geschildert worden, welche in der Entwickelung der Menschheit seit der Wiederbevölkerung der Erde in der lemurischen Zeit gewirkt haben. Die Menschen sind demgemäß seelisch auf verschiedene Wesenheiten zurückzuführen, welche aus anderen Welten kommend in den Leibesnachkommen der alten Lemurier sich verkörperten. Die verschiedenen Menschenrassen sind eine Folge dieser Tatsache.

Und in den wiederverkörperten Seelen traten, infolge ihres Karmas, die verschiedensten Lebensinteressen auf. Solange alles das nachwirkte, konnte es nicht das Ideal der ›allgemeinen Menschlichkeit‹ geben.

Die Menschheit ist von einer Einheit ausgegangen; aber die bisherige Erdenentwickelung hat zur Sonderung geführt. In der Christus-Vorstellung ist zunächst ein Ideal gegeben, das aller Sonderung entgegenwirkt, denn in dem Menschen, der den Christusnamen trägt, leben auch die Kräfte des hohen Sonnenwesens, in denen jedes menschliche Ich seinen Urgrund findet.

Noch das israelitische Volk fühlte sich als Volk, der Mensch als Glied dieses Volkes.

Indem zunächst in dem bloßen Gedanken erfasst wurde, dass in Christus Jesus der Idealmensch lebt, zu dem die Bedingungen der Sonderung nicht dringen, wurde das Christentum das Ideal der umfassenden Brüderlichkeit. Über alle Sonderinteressen und Sonderverwandtschaften hinweg trat das Gefühl auf, dass des Menschen innerstes Ich bei jedem den gleichen Ursprung hat. (Neben allen Erdenvorfahren tritt der gemeinsame Vater aller Menschen auf. ›Ich und der Vater sind Eins.‹)« (GA 13, S. 293-294).

Im Folgenden die Ausführungen Steiners vom 14. August 1917 (GA 176), die nur am Rande von Jahwe handeln, im Kontext:

»In der Zeit vor dem Mysterium von Golgatha stand der Mensch – wie das aus den verschiedenen Betrachtungen unserer Anthroposophie begreiflich sein kann – selbstverständlich zu geistigen Wesenheiten des Weltenalls, zu den Wesen der höheren Hierarchien in Beziehung.

Aber wie?

Unter den Wesen der höheren Hierarchien unterscheiden wir zunächst, unmittelbar angrenzend an das Reich der Menschen, die Angeloi, die Archangeloi und so weiter. Die nächsten Wesen also, zu denen wir aufschauen, wenn wir in die geistige Welt aufblicken, sind die Angeloi.

Wir stehen als Menschen in Beziehung zu den Angeloi, und die Angeloi wieder fühlen ihre Beziehung zu uns Menschen. Auch für sie ist es nicht gleichgültig, welche Beziehung sie zu dem Menschen haben. Und den Unterschied zwischen dem Menschen vor dem Mysterium von Golgatha und nach demselben, können wir uns vor die Seele führen, wenn wir gerade die Beziehung des Menschen zu der Wesenheit der Angeloi ins Auge fassen.

Da ist es sehr merkwürdig, dass vor dem Mysterium von Golgatha eine intime Beziehung bestand zwischen den Angeloi in ihrer ganzen Tätigkeit, in ihrem ganzen Wesen und dem menschlichen Intellekt. Man könnte förmlich sagen: der Hauptwohnsitz der Angeloi war für die Menschen vor dem Mysterium von Golgatha der menschliche Intellekt.

Die Menschen wussten nichts davon, dass die Angeloi in ihrem Intellekt wohnten; aber die Folge davon, dass sie dort wohnten, war, dass diese Menschen, in abnehmender Stärke allerdings, aber dennoch eines hatten: atavistisches, imaginatives Hellsehen.

Was ich eben sagte: die Angeloi wohnten in dem Intellekt der Menschen vor dem Mysterium von Golgatha, gilt für das Leben der Menschen zwischen Geburt und Tod.

Anders war es in dem Leben der Menschen zwischen dem Tode und einer neuen Geburt. Da wohnten die Angeloi, und auch der einzelne der Angeloi, der einzelne Engel, der einem Menschen zugeteilt war, in den Erinnerungen an die Sinnesempfindungen; sie wohnten in den Bildern von dem, was den Menschen auf der Erde sinnlich umgab. Daher war bei den Menschen vor dem Mysterium von Golgatha in der Zeit zwischen Tod und neuer Geburt ein lebendiges Wissen von den Vorgängen auf der Erde vorhanden. Gewissermaßen könnte man sagen: Die Angeloi trugen das, was auf der Erde geschah, zu den Menschen hinauf. Ein recht anschauliches Wissen von dem Geschehen auf der Erde entwickelten die Menschen vor dem Mysterium von Golgatha in der Zeit zwischen dem Tode und einer neuen Geburt.

Da sehen wir hinein in die Beziehung zwischen den Angeloi und dem Menschenwesen in der Zeit vor dem Mysterium von Golgatha.

Nach dem Mysterium von Golgatha wurde das anders; anders, indem natürlich dieses Anderswerden in Entwickelung begriffen ist. Wie ist es nun bei uns, den Menschen, nach dem Mysterium von Golgatha? Wie ist da die Beziehung des Menschen zu den Wesenheiten der Hierarchie der Angeloi?

Bei uns ist es jetzt so, dass – allerdings unbewusst – in unseren sinnlichen Wahrnehmungen im Leben zwischen Geburt und Tod die Angeloi wohnen. Ja, wenn wir unsere Augen aufmachen und hinausschauen in die Welt, die uns umgibt und auf unsere Sinne wirkt, so wissen wir zwar nicht, dass, während der Sonnenstrahl in unser Auge dringt und die Dinge sichtbar werden, auf dem Sonnenstrahl der Ort zu finden ist, auf dem unser Engel wohnt. Aber es ist so: In den Schwingungen des Tones, in den Strahlungen des Lichtes und der Farben, in den anderen Sinneswahrnehmungen lebt die Wesenheit der Angeloi. Nur indem der Mensch die Sinneswahrnehmungen verwandeln muss in Vorstellungen, dringen die Angeloi nicht in das Vorstellungswesen mit ein, und der Mensch weiß nicht, wie er umgeben ist von der Wesenheit der Angeloi.

Im allgemeinen sagt man in geisteswissenschaftlichen Vorträgen oftmals, man solle sich die geistige Welt nicht in einem Wolkenkuckucksheim vorstellen, sondern man soll sich vorstellen, dass uns die geistige Welt überall umgibt. Sie umgibt uns tatsächlich überall. Man kann auch konkret hinweisen, wie sie uns umgibt. Hier haben wir den Fall für die Angeloi; doch in unseren Intellekt kommt in der Zeit des Lebens zwischen Geburt und Tod das Bewusstsein nicht von dem Angeloi.

Dagegen entwickelt der jetzige Mensch ein starkes Bewusstsein von seinem Zusammenhange mit den Wesen der Angeloi in dem Leben zwischen Tod und neuer Geburt; denn da wohnen gewissermaßen die Angeloi in seinem Intellekt.

Was ich eben auseinandergesetzt habe, hat für das menschliche Leben eine bedeutsame Folge.

Nehmen wir noch einmal den Menschen vor dem Mysterium von Golgatha; in seinem Intellekt wohnten die Angeloi, der seine besonders. Dadurch war sein Sinnesleben ganz besonders zugänglich den luziferischen Gewalten. Das ganze Bewusstseinsleben des Menschen überhaupt war in der alten Zeit den luziferischen Gewalten zugänglich.

Das ist anders geworden seit dem Mysterium von Golgatha. In unseren Intellekt dringen nicht ein, wie ich geschildert habe, die auf den Schwingen des Lichtes und der Farben, auf den Flügeln der Tonschwingungen und so weiter schreitenden Wesenheiten aus der Hierarchie der Angeloi.

Dadurch sind wir in der Zeit zwischen Geburt und Tod in unserem Intellekt durchsetzt von den Angriffen der ahrimanischen Machte. Während sich der Mensch von diesem Gesichtspunkte aus vor dem Mysterium von Golgatha im wesentlichen den Attacken Luzifers ausgesetzt sah, ist der Intellekt ganz besonders seit dem Mysterium von Golgatha den Einflüssen der ahrimanischen Mächte ausgesetzt. Diese haben vor allem das Bestreben, in dem Menschen das Bewusstsein von seinem Zusammenhange mit der geistigen Welt zu erdrücken. Alle die Neigungen, welche der Mensch zum Materialismus entwickelt, in seinen Gedanken entwickelt, kommen in dieser direkten Beziehung auf den Intellekt von den Attacken der ahrimanischen Mächte her. Und wenn die in diesen Betrachtungen genugsam geschilderten materialistischen Zeittendenzen heute die Oberhand haben, so dürfen wir nicht vergessen, dass diese materialistischen Zeittendenzen von den Verwirrungen herrühren, welche Ahriman in dem menschlichen Intellekt anzurichten sich bestrebt.

Die Dinge, von denen ich jetzt spreche, was sind sie? Wir haben vorhin gesagt: der Atmungsprozess ist unterbewusst. Aber das, was ich jetzt meine, dieser Zusammenhang des Menschen mit der Wesenheit der Angeloi, ist auch nicht im Bewusstsein; er liegt über das Bewusstsein hinaus. Was in unserem Atmen vorgeht, liegt unterhalb des Bewusstseins; was durch dieses Zusammenwirken der Geistwelten, des nächststufigen Zusammenwirkens der Geistwelten in uns vorgeht in der Weise, wie ich das jetzt geschildert habe, ist überbewusst.

In diesem überbewussten Prozesse wirkt und arbeitet geradeso die Kraft, welche durch das Mysterium von Golgatha in die Welt eingezogen ist, wie vor demselben die Jehova-Kraft in dem Menschen gewirkt hat. Wenn wir uns in den Geist – aber eben in den Geist – einer Schrift vertiefen, wie es zum Beispiel das Buch Hiob ist, und da gewahr werden, wie das Walten der Jehova-Kraft in den menschlichen Entwicklungen dargestellt werden soll – etwas was ja gerade im Buch Hiob ganz besonders stark zutage tritt –, so bekommen wir eine Vorstellung davon, wie diese Jehova-Kraft wirkte, die, wie gesagt, durch den Atmungsprozess dem Menschen das Leben gegeben hat. Sie wirkte im Vererbungsprozess, wirkte darin so, wie es geschildert wird, bis ins dritte und vierte Glied hinunter.

Wollen wir ein Analogon haben für die Zeit nach dem Mysterium von Golgatha, so müssen wir die Christus-Kraft nehmen. So, wie die Jehova-Kraft ihre Beziehung hat zu dem menschlichen Atmungsprozess, so hat die Christus-Kraft, überhaupt das ganze Mysterium von Golgatha, eine Beziehung zu dem, was ich eben geschildert habe, als zu einem überbewussten Vorgang.« (GA 176, Berlin, 14. August 1917)

Zander verfolgt mit seinen Publikationen zur Anthroposophie kein wissenschaftliches, sondern ein politisches oder ideologisches Projekt. Deutlich bringt er dies in seinem Beitrag zu diesem Sammelband zum Ausdruck. Seine Absicht oder seine Hoffnung ist, in der anthroposophischen Bewegung »einen legitimationsgefährdenden Domino-Effekt« auszulösen, der dazu führt, dass sich die Anthroposophen von Steiner erst distanzieren und dann gänzlich abwenden müssen. Als Keil benutzt er den »Rassismusvorwurf«, den er zwischen Steiner und die Anthroposophen treibt und den er solange als politische Waffe zu nutzen gedenkt, bis die Abspaltung der Anthroposophen von ihren geistigen Wurzeln erfolgt und die Anthroposophie selbst vernichtet ist.

Auf S. 340 schreibt Zander:

»Aber dann stellt sich die Frage um so dringlicher, warum man Steiners Aussagen in ihren rassistischen Elementen nicht als Falschmeldung außer Kraft setzt oder revidiert – zumindest aus heutiger Perspektive.

Das entscheidende Problem scheint mir die Furcht von Anthroposophen vor einem legitimitationsgefährdenden Domino-Effekt zu sein. Wenn ein Teil von Steiners Weltanschauung fällt, weiß niemand, was am Ende noch stehen bleibt ...

Die Folgen der Revision hellseherisch begründeter Rassentheorien wären in der Tat gewaltig. Das evolutive und partiell sozialdarwinistische Gerüst, das sich durch die gesamte Anthroposophie zieht und in Steiners Rassenlehre nur binnenkonsequent angewandt ist, wäre mit einer prinzipiellen Anfrage konfrontiert. Mehr noch: Der gesamte Legitimationskomplex der ›Erkenntnis‹ ›höherer Welten‹, den Steiner Rassen- und Völkertheorie konkretisiert, stünde in seiner jetzigen Hermeneutik zur Disposition.«

Wenn man nicht erst in Steiners Deutung der Evolution und in seine Ausführungen über Rassen einen sozialdarwinistischen Subtext, der Diskriminierung und schlimmeres impliziert, hineininterpretiert, besteht auch keine Notwendigkeit, Steiners Aussagen »als Falschmeldung außer Kraft« zu setzen oder zu »revidieren«.

Es besteht auch nicht die Gefahr eines »legitimationsgefährdenden Dominoeffektes«, wenn man sich nicht dem Druck einer veröffentlichten Meinung beugt, die aus ihrem Nichtverstehen von Steiners Deutungen der Rassengeschichte der Menschheit eine Waffe gegen die Anthroposophie zu schmieden versucht.

Steiners Erzählung bietet auch keinen Anlass zu »prinzipiellen Anfragen«, denn ihre prinzipiellen Elemente halten jeder kritischen Prüfung stand. Diese prinzipiellen Elemente können nicht besser zum Ausdruck gebracht werden, als Steiner selbst dies in seinem »Gesetz der Bewusstseinsentwicklung« in der »Geheimwissenschaft im Umriss« getan hat:

»Die Menschheit ist von einer Einheit ausgegangen; aber die bisherige Erdenentwickelung hat zur Sonderung geführt. In der Christus-Vorstellung ist zunächst ein Ideal gegeben, das aller Sonderung entgegenwirkt, denn in dem Menschen, der den Christusnamen trägt, leben auch die Kräfte des hohen Sonnenwesens, in denen jedes menschliche Ich seinen Urgrund findet ...

Indem zunächst in dem bloßen Gedanken erfasst wurde, dass in Christus Jesus der Idealmensch lebt, zu dem die Bedingungen der Sonderung nicht dringen, wurde das Christentum das Ideal der umfassenden Brüderlichkeit. Über alle Sonderinteressen und Sonderverwandtschaften hinweg trat das Gefühl auf, dass des Menschen innerstes Ich bei jedem den gleichen Ursprung hat. (Neben allen Erdenvorfahren tritt der gemeinsame Vater aller Menschen auf. ›Ich und der Vater sind Eins.‹)« (GA 13, S. 293-294)

Die Menschheit ist von einer Einheit ausgegangen und sie wird zu dieser Einheit wieder zurückkehren. Ihre bisherige Entwicklung hat zur Sonderung geführt.

Zu dieser Sonderung gehören auch die in der atlantischen Zeit entstandenen unterschiedlichen Erscheinungsformen des Menschenleibes, die sogenannten Rassen.

Durch die Christus-Vorstellung, in der der Ideal-Mensch lebt, zu dem die Bedingungen der Sonderung nicht dringen, ist ein ethisches und zugleich evolutives Prinzip der künftigen Menschheitsentwicklung gegeben, das Ideal der umfassenden Brüderlichkeit, das die Menschheit über alle »Sonderinteressen und Sonderverwandtschaften« hinausführen wird.

Denn in ihm wird erkennbar, dass des Menschen innerstes Ich in jedem Menschen den gleichen Ursprung hat. Durch die Kraft, die von diesem Ideal ausgeht, wird sich die Menschheit, wenn sie denn diese Kraft in sich aufnimmt, nicht nur den Rassismus überwinden – die Theorie also, die an diesen »Sonderinteressen und Sonderverwandtschaften« festhalten und auf ihr Ordnungen der Ungleichheit errichten will – , vielmehr wird sie auch die noch vorhandenen Residuen der tatsächlichen Sonderung im Geiste einer umfassenden Brüderlichkeit überwinden und die verbliebenen Rassenunterschiede tatsächlich auslöschen.

Der Rassismus als Theorie und gesellschaftliche Praxis erweist sich aus der Sicht der Anthroposophie, der modernen Verkündigung des Christus, daher als das, was er ist: als ein defizienter, zum Aussterben verurteilter Modus des Bewusstseins.

Deutlich genug hat Steiner zum Ausdruck gebracht, was der Menschheit droht, wenn sie sich diesem umfassenden Ideal der Brüderlichkeit nicht zuwendet. Sie wird in den kulturellen, politischen und ethischen Niedergang geraten:

»In alten Zeiten hatten die Geister der Finsternis die Aufgabe, entgegenzuarbeiten den vererbten Merkmalen der Menschen; seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts bleiben sie zurück, wollen zurückbleiben, wollen die Menschen immer wieder und wiederum hinweisen, auf ihre Stammes- und Bluts- und Vererbungszusammenhänge zu pochen.

Diese Dinge sind einfach eine Wiedergabe der Wahrheit, aber einer Wahrheit, die den Menschen heute im höchsten Grade unbequem ist, die die Menschen heute nicht hören wollen, denn sie haben sich durch Jahrtausende das Pochen auf die Blutsbande eingeimpft. Und diese Gewohnheit lassen sie aus Bequemlichkeit übergehen in die Führung der Geister der Finsternisse.

Und so sehen wir, dass gerade im 19. Jahrhundert ein Pochen auf Stammes- und Volks- und Rassenzusammenhänge beginnt, und dass man von diesem Pochen als einem idealistischen spricht, während es in Wahrheit der Anfang ist einer Niedergangserscheinung der Menschen, der Menschheit. Denn während alles dasjenige, was auf die Herrschaft des Blutes gebaut war, Fortschritt bedeutete, solange das Blut unter der Herrschaft der Geister des Lichts war, bedeutet es unter der Herrschaft der Geister der Finsternisse Niedergangserscheinung.

Im stärksten Maße werden sich die Geister der Finsternis anstrengen, wie sie sich früher angestrengt haben, den rebellischen Sinn für die Freiheit in die Menschen zu pflanzen, als die Vererbungsmerkmale im guten Sinne von den fortschrittlichen Geistern vererbt wurden, so werden sie sich im äußersten Maße anstrengen in den drei folgenden Zeiten der Menschheitsentwickelung bis zu der großen Katastrophe, durch die Konservierung der alten Vererbungsmerkmale und der aus der Konservierung dieser Vererbungsmerkmale folgenden Gesinnung die notwendigen Niedergangsmerkmale in die Menschheit zu bringen ...

Ein Mensch, der heute von dem Ideal von Rassen und Nationen und Stammeszusammengehörigkeiten spricht, der spricht von Niedergangsimpulsen der Menschheit. Und wenn er in diesen sogenannten Idealen glaubt, fortschrittliche Ideale vor die Menschheit hinzustellen, so ist das die Unwahrheit. Denn durch nichts wird sich die Menschheit mehr in den Niedergang hineinbringen, als wenn sich die Rassen-, Volks- und Bluts- ideale fortpflanzen. Durch nichts wird der wirkliche Fortschritt der Menschheit mehr aufgehalten als dadurch, dass aus früheren Jahrhunderten stammende, von luziferisch-ahrimanischen Mächten fortkonservierte Deklamationen herrschen werden über die Ideale der Völker, während das wirkliche Ideal dasjenige werden müsste, was in der reingeistigen Welt, nicht aus dem Blute heraus, gefunden werden kann.

Der Christus, der im Laufe des 20. Jahrhunderts erscheinen soll, in besonderer Form erscheinen soll, der wird nichts wissen von jenen sogenannten Idealen, von denen heute die Menschen deklamieren. Denn so wie da das Wesen aus der Hierarchie der Archangeloi, das wir als Michael bezeichnen, gewissermaßen der Statthalter Jahves in früheren Zeiten war, wird er sein durch jene Funktionen, die er 1879 übertragen erhalten hat, der Statthalter des Christus, des Christus-Impulses, der darauf hinausläuft, an die Stelle der bloß natürlichen Blutsbande geistige Bande unter den Menschen zu schaffen.

Denn nur durch geistige Zusammengehörigkeitsbande wird in das Niedergehende, das ganz naturgemäß ist, Fortschreitendes hineinkommen.

Ich sage: das Niedergehende ist naturgemäß. Denn geradeso wie der Mensch, wenn er ins Alter kommt, nicht ein Kind bleiben kann, sondern mit seinem Leib in eine absteigende Entwickelung eintritt, so trat auch die ganze Menschheit in eine absteigende Entwickelung ein.

Wir haben den vierten Zeitraum [die vierte Kulturepoche] überschritten, wir sind im fünften [seit dem 15. Jahrhundert] darinnen; der sechste und der siebente werden mit dem fünften zusammen das Alter der gegenwärtigen Weltentwickelung sein. Zu glauben, dass die alten Ideale fortleben können, ist geradeso gescheit, wie zu glauben, dass der Mensch sein ganzes Leben hindurch buchstabieren lernen soll, weil es dem Kinde gut ist, buchstabieren zu lernen.

Ebenso gescheit wäre es, wenn man in der Zukunft davon reden wollte, dass über die Erde hin eine soziale Struktur sich ausbreiten soll auf Grundlage der Blutszusammengehörigkeit der Völker.« (GA 177, Dornach 26. Oktober 1917. – Der Vortrag findet sich in vollem Wortlaut hier.)