Ein weiteres Beispiel für eine Zitatfälschung stellen angebliche Vorschriften dar, die von Zander angeführt werden, um die Behauptung zu untermauern, Steiner habe den »theosophischen Meditationsrahmen mit vielen Details« angefüllt und in der esoterischen Schule rigoros sein autoritäres Regiment durchgesetzt.

Auf S. 245 schreibt Zander:

»Den theosophischen Meditationsrahmen füllte er [Steiner] mit vielen Details. Meditiert wurde mit gekreuzten Beinen und ›mit den zwei Handflächen nach unten auf den Knien‹ ...

Dazwischen ›muss‹ der Schüler ›wenigstens eine halbe Stunde täglich ein Buch aus der beigefügten Liste studieren‹. Jeder ›muss‹ einer Ortsgruppe angehören oder mit ihr korrespondieren, eine Abwesenheit ist schriftlich zu entschuldigen. Der ›Zögling‹ ›muss‹ ein Meditationstagebuch führen ...«

Einen Beleg für all diese Behauptungen führt Zander nicht an. Die Recherche nach Quellen lässt uns in GA 264 fündig werden. Hier wurden die »Regeln der Esoteric School of Theosophy der T.S. zur Zeit von Rudolf Steiners Anschluss« abgedruckt. In diesen heißt ein Unterkapitel »Regeln der allgemeinen resp. raja-yoga Disziplin«. Darin finden sich die von Zander zitierten Vorschriften. Von diesen Vorschriften gilt, was Steiner in seinem »Lebensgang« ausführt: »Dass ich innerhalb der ›Esoterischen Schule‹ der Mrs. Besant hätte etwas Besonderes lernen können, lag schon deshalb außer dem Bereich der Möglichkeit, weil ich von Anfang an nicht an Veranstaltungen dieser Schule teilnahm, außer einigen wenigen, die zu meiner Information, was vorgeht, dienen sollten.

Es war ja in der Schule damals kein anderer wirklicher Inhalt als derjenige, der von H.P. Blavatsky herrührt, und der war ja schon gedruckt.

Außer diesem Gedruckten gab Mrs. Besant allerlei indische Übungen für den Erkenntnisfortschritt, die ich aber ablehnte.« (Kapitel 32)

Entscheidend ist, dass Steiner bereits esoterische Schüler auf deren ausdrücklichen Wunsch unterrichtete, bevor er im Mai 1904 als Landesleiter der Esoterischen Schule autorisiert wurde und zwar seit der Begründung der Deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft im Oktober 1902. Diesen Schülern gab er konkrete, individuelle Meditationsanweisungen, die auf die jeweilige Person zugeschnitten waren. Dokumente dazu finden sich in GA 264, S. 157 f. Erst durch die offizielle Autorisierung ergab sich die Notwendigkeit, sich mit den »Regeln« der ES auseinanderzusetzen, die Steiner sofort in charakteristischer Weise umzuformen begann. (Siehe GA 264)

Die Regeln der ES, die Zander fälschlicherweise als Steiners »Vorschriften« ausgibt, sind die folgenden.

»1. Der Angehörige der Schule soll zu einer bestimmten Zeit aufstehen (entsprechend seiner Gesundheit und seinen Familienverhältnissen) und soll, nachdem er gebadet hat, sich der Meditation zuwenden, bevor er Nahrung zu sich genommen hat.

2. Jeder Angehörige der Schule soll wenigstens eine viertel Stunde an die ihm gegebene Meditation wenden; mittags muss er den Satz sagen, der ihm gelehrt wird; bevor er zu Bett geht, muss er eine Rückschau auf den Tag halten und sein eigenes Verhalten einem Urteil unterwerfen.

3. Jeder Angehörige der Schule muss wenigstens eine halbe Stunde täglich ein Buch aus der beigefügten Liste studieren.

4. Jeder Angehörige der Schule muss einer lokalen Gruppierung angehören oder durch Korrespondenz an sie angeschlossen sein, und muss die Arbeiten mitmachen, welche von der Gruppe beschlossen werden. Die Gruppe wird von einem Sub-Warden (Gruppenleiter) betreut.

5.  Die  Gruppe soll zu  bestimmten Zeiten zusammenkommen, die vom Sub-Warden bestimmt werden, und Mitglieder am Ort müssen regelmäßig teilnehmen bzw. im Falle von unvermeidlicher Abwesenheit sich schriftlich entschuldigen. Der Sub-Warden führt eine Anwesenheitsliste. Korrespondenz-Mitglieder müssen in Verbindung stehen mit einem Gruppenteilnehmer, der sie auf dem Laufenden hält über Angelegenheiten von Interesse sowie von Beschlüssen, die gefasst werden.

6. Jeder Angehörige der Schule muss ein Tagebuch führen über seine Beobachtung der Regeln 2 und 3, und muss dem Sub-Warden an der ersten Zusammenkunft des Monats eine schriftliche Bescheinigung geben, dass er die Regeln befolgt hat, oder, wenn dies nicht der Fall war, welche Unterlassungen er begangen hat, und aus welchem Grunde. Nachlässige Schüler werden nach drei Verwarnungen aufgefordert, ihre Papiere zurückzugeben und gelten nicht mehr als Mitglieder der Schule.

7.  Die Diät betreffend: Wein, überhaupt alle alkoholischen Getränke so wie jede  narkotische oder giftige Droge sind strengstens verboten. Wenn dies nicht beachtet wird, gibt es keinen Fortschritt und die Bemühungen des Lehrers sowohl wie des Schülers sind nutzlos. Alle solche Substanzen haben eine geradezu vernichtende Wirkung auf den Verstand, und besonders auf die Zirbeldrüse.

8.  Fleisch ist nicht verboten, aber wenn der Schüler ohne es auskommen kann,   wird empfohlen, darauf zu verzichten. Enthaltsamkeit von Fleisch und Fisch ist obligatorisch vom ersten Grad an. Fleischessen stärkt die Leidenschaftsnatur und das Bedürfnis, Besitzungen anzuhäufen und macht den Kampf mit der niederen Natur des Menschen zu einem schwereren.

9. Der Hörer, in dieser Disziplin Shravaka genannt, muss seinem Sub-Warden eine hinreichende Kenntnis von zweien der für das Studium vorgeschriebenen Bücher nachweisen, bevor er in den ersten Grad aufsteigen kann.«

Auch die Anweisungen zur Meditationshaltung (»gekreuzte Beine« etc) stammen aus diesem Dokument und werden hier unter der Zwischenüberschrift »Die tägliche Praxis des Shravaka« ausgeführt.

Da die ganze Geisterkenntnis Steiners nichts als ein grotesker Schwindel ist, kann man auch seine Anleitungen zur Meditation nicht Ernst nehmen, meint zumindest Zander. Das eigentliche Problem besteht jedoch darin, dass er sich in skandalös oberflächlicher Weise mit dem gesamten Fragenkomplex befasst. Besonders deutlich wird dies an seiner kurzen Wiedergabe einer zentralen Meditationsanleitung in »Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?«, der sogenannten Samenkornmeditation.

Auf S. 240 schreibt Zander:

»In der Samenkornmeditation ... sollte man ein Samenkorn betrachten und sich vorstellen, wie daraus eine Pflanze wachse. Dazu lasse man seine ›Phantasie‹ spielen. Dann, so Steiner, erkenne man eine ›Lichtwolke‹ um das Korn und schaue das Unsichtbare ›auf geistig sichtbare Art‹. Will sagen: Der Meditierende habe nun eine übersinnliche Erkenntnis.«

Laut Zander lasse man also ein wenig seine Phantasie spielen und schon hat man eine übersinnliche Erkenntnis. Lächerlich. Zugleich jedoch tragisch, wenn man nachliest, wie Steiner diese Samenkornmeditation beschreibt und was er im Einzelnen dazu ausführt. Aus seiner komplexen Beschreibung wird deutlich, dass die geistigen Anschauungen, die im Gefolge dieser Übung entstehen, gerade kein Produkt der Phantasie sind und dass es darauf ankommt, »Phantasie und geistige Wirklichkeit nicht miteinander zu verwechseln«! Der gesamte Prozess, der darauf abzielt, bestimmte Kräfte (Organe) der Anschauung in der Seele zu erwecken, verläuft über eine Reihe von Stufen:

1. Man geht von der sinnlichen Wahrnehmung eines Samenkorns aus und macht sich möglichst umfassend klar, was man sieht,

2. an diese Bestandsaufnahme schließen sich gedankliche Überlegungen an, ein Vorstellungsprozess, der die Pflanze in ihrem ausgewachsenen Stadium so exakt wie möglich vor dem inneren Auge entstehen lässt,

3. über diese durch die Phantasie erschaffene ausgewachsene Gestalt denkt man nach und kommt zur Einsicht, dass in der Pflanze selbst eine unsichtbare Kraft liegt, die sie aus ihrem Samenzustand in ihren ausgewachsenen Zustand überführt,

4. man wird erkennen, dass ohne die Tätigkeit des Denkens kein Bewusstsein jener Kraft entstehen könnte, die jenseits des sinnlich Wahrnehmbaren liegt und das sinnlich Wahrnehmbare aus einer Erscheinungsform in eine andere überführt,

5. diese Einsicht wird mit intensiven Gefühlen verbunden – die Bedeutung des Denkens für das Erfassen der übersinnlichen Kraftgestalt der Pflanze wird intensiv erlebt,

6. wird diese Übung lange genug fortgesetzt, wird man in der Seele eine Kraft verspüren und diese Kraft wird eine neue Anschauung erschaffen,

7. das Samenkorn erscheint wie von einer Lichtwolke, einer Art Flamme eingeschlossen, deren Mitte gegenüber man so empfindet, wie beim Eindruck der Farbe Lila, deren Rand gegenüber, wie bei der Farbe bläulich und diese Lichtwolke stellt eine Erscheinung jener Bildekraft dar, die die sichtbare Pflanze zur Entfaltung bringt,

8. diese Erscheinung wurde von der Kraft des Gedankens und der Gefühle geschaffen, die man in sich erregt hat,

9. auf diese Weise erscheint die sinnlich nicht sichtbare Bildekraft der Pflanze der geistigen Anschauung. –

Die geistige Anschauung ist also ein Produkt jener gedanklichen Kraft, die durch fortgesetzte Übung erst in der Seele hervorgerufen werden muss. Es handelt sich nicht um eine sinnliche Wahrnehmung, kein Phantasma, kein Phantasieprodukt, sondern um eine durch geistige Tätigkeit erzeugte ideelle Anschauung jener Kraft, die in der Pflanze tatsächlich wirkt.

Die Empfindungen, die das flammenähnliche Gebilde hervorruft, entsprechen jenen, die unterschiedliche Farben in der Seele hervorrufen. Und der gesamte Vorgang muss von einer tatsächlichen sinnlichen Wahrnehmung ausgehen und auf diese bezogen bleiben, denn nur dem wirklichen Samenkorn wohnt die lebendige Bildekraft auch inne, die dem ihr zugewandten geistigen Blick in der beschriebenen Form erscheinen kann: »darauf kommt es an, dass nicht ich in bloßer Willkür mir Anschauungen schaffe, sondern darauf, dass die Wirklichkeit sie in mir erschafft.«

»Man lege ein kleines Samenkorn einer Pflanze vor sich hin. Es kommt darauf an, sich vor diesem unscheinbaren Ding die, rechten Gedanken intensiv zu machen und durch diese Gedanken gewisse Gefühle zu entwickeln.

Zuerst mache man sich klar, was man wirklich mit Augen sieht. Man beschreibe für sich Form, Farbe und alle sonstigen Eigenschaften des Samens.

Dann überlege man folgendes. Aus diesem Samenkorn wird eine vielgestaltige Pflanze entstehen, wenn es in die Erde gepflanzt wird. Man vergegenwärtige sich diese Pflanze. Man baue sie sich in der Phantasie auf. Und dann denke man: Was ich mir jetzt in meiner Phantasie vorstelle, das werden die Kräfte der Erde und des Lichtes später wirklich aus dem Samenkorn hervorlocken. Wenn ich ein künstlich geformtes Ding vor mir hätte, das ganz täuschend dem Samenkorn nachgeahmt wäre, so dass es meine Augen nicht von einem wahren unterscheiden könnten, so würde keine Kraft der Erde und des Lichtes aus diesem eine Pflanze hervorlocken.

Wer sich diesen Gedanken ganz klar macht, wer ihn innerlich erlebt, der wird sich auch den folgenden mit dem richtigen Gefühle bilden können. Er wird sich sagen: in dem Samenkorn ruht schon auf verborgene Art – als Kraft der ganzen Pflanze – das, was später aus ihm herauswächst. In der künstlichen Nachahmung ruht diese Kraft nicht. Und doch sind für meine Augen beide gleich. In dem wirklichen Samenkorn ist also etwas unsichtbar enthalten, was in der Nachahmung nicht ist. Auf dieses Unsichtbare lenke man nun Gefühl und Gedanken.

Man stelle sich vor: dieses Unsichtbare wird sich später in die sichtbare Pflanze verwandeln, die ich in Gestalt und Farbe vor mir haben werde. Man hänge dem Gedanken nach: das Unsichtbare wird sichtbar werden. Könnte ich nicht denken, so könnte sich mir auch nicht schon jetzt ankündigen, was erst später sichtbar werden wird. Besonders deutlich sei es betont: Was man da denkt, muss man auch intensiv fühlen. Man muss in Ruhe, ohne alle störenden Beimischungen anderer Gedanken, den einen oben angedeuteten in sich erleben. Und man muss sich Zeit lassen, so dass sich der Gedanke und das Gefühl, die, sich an ihn knüpfen, gleichsam in die, Seele einbohren. –

Bringt man das in der rechten Weise zustande, dann wird man nach einiger Zeit – vielleicht erst nach vielen Versuchen – eine Kraft in sich verspüren. Und diese Kraft wird eine neue Anschauung erschaffen.

Das Samenkorn wird wie in einer kleinen Lichtwolke eingeschlossen erscheinen. Es wird auf sinnlich-geistige Weise, als eine Art Flamme empfunden werden. Gegenüber der Mitte dieser Flamme empfindet man so, wie man beim Eindruck der Farbe Lila empfindet; gegenüber dem Rande, wie man der Farbe bläulich gegenüber empfindet. –

Da erscheint das, was man vorher nicht gesehen hat und was die Kraft des Gedankens und der Gefühle geschaffen hat, die man in sich erregt hat. Was sinnlich unsichtbar war, die Pflanze, die erst später sichtbar werden wird, das offenbart sich da auf geistig sichtbare Art.

Es ist begreiflich, dass mancher Mensch das alles für Illusion halten wird. Viele werden sagen: ›Was sollen mir solche Gesichte, solche Phantasmen?‹ Und manche werden abfallen und den Pfad nicht fortsetzen. Aber gerade darauf kommt es an: in diesen schwierigen Punkten der menschlichen Entwickelung nicht Phantasie und geistige Wirklichkeit miteinander zu verwechseln. Und ferner darauf, den Mut zu haben, vorwärts zu dringen und nicht furchtsam und kleinmütig zu werden. Auf der anderen Seite aber muss allerdings betont werden, dass der gesunde Sinn, der Wahrheit und Täuschung unterscheidet, fortwährend gepflegt werden muss. Der Mensch darf während all dieser Übungen nie die volle bewusste Herrschaft über sich selbst verlieren. So sicher, wie er über die Dinge und Vorgänge des Alltagslebens denkt, so muss er auch hier denken. Schlimm wäre es, wenn er in Träumerei verfiele. Verstandesklar, um nicht zu sagen: nüchtern, muss er in jedem Augenblicke bleiben ...

Es muss ausdrücklich betont werden, dass man, was hier als «Farben» bezeichnet wird, nicht so sieht, wie physische Augen die Farben sehen, sondern dass man durch die geistige Wahrnehmung ähnliches empfindet, wie wenn man einen physischen Farbeneindruck hat. Geistig ›blau‹ wahrnehmen heißt etwas empfinden oder erfühlen, was ähnlich dem ist, was man empfindet, wenn der Blick des physischen Auges auf der Farbe ›Blau‹ ruht. Dies muss berücksichtigen, wer allmählich wirklich zu geistigen Wahrnehmungen aufsteigen will. Er erwartet sonst, im Geistigen nur eine Wiederholung des Physischen zu finden. Das müsste ihn auf das bitterste beirren ...

Ein folgenschwerer Irrtum würde sich ergeben, wenn jemand glauben wollte, er könne, um bequemer zum Ziele zu gelangen, sich das besprochene Samenkörnchen oder die Pflanze bloß vorstellen, bloß in der Phantasie vorhalten. Wer dies tut, kann wohl auch zum Ziele kommen, doch nicht so sicher wie auf die angegebene Art. Die Anschauung, zu der man kommt, wird in den meisten Fällen nur ein Blendwerk der Phantasie sein. Bei ihr müsste dann die Umwandlung in geistige Anschauung erst abgewartet werden. Denn darauf kommt es an, dass nicht ich in bloßer Willkür mir Anschauungen schaffe, sondern darauf, dass die Wirklichkeit sie in mir erschafft. Aus den Tiefen meiner eigenen Seele muss die Wahrheit hervorquellen; aber nicht mein gewöhnliches Ich darf selbst der Zauberer sein, der die Wahrheit hervorlocken will, sondern die Wesen müssen dieser Zauberer sein, deren geistige Wahrheit ich schauen will.« (GA 10, S. 60-67)

 

In seinen Aufsätzen über die »Stufen der höheren Erkenntnis« kommt Steiner ab 1905 auf diese Anweisungen übrigens zurück und präzisiert sie. Hier heißt es:

»Es ist gezeigt worden in ›Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?‹, wie durch die Geheimschulung künstlich solche Visionen usw. erzeugt werden. Durch das Hinlenken des Bewusstseins auf ein Samenkorn oder auf eine absterbende Pflanze werden gewisse Gestalten vor die Seele gezaubert, die nichts weiter zunächst sind als Halluzinationen. Die ›Flammenbildung‹, von der dort gesagt wurde, dass sie in der Seele auftreten kann durch die Betrachtung einer Pflanze oder dergleichen und die sich nach einer Zeit ganz loslöst von der Pflanze, ist, äußerlich betrachtet, einer Halluzination gleich zu achten. Und so geht es noch weiter in der Geheimschulung, wenn man in die imaginative Welt eintritt. Das, wovon man gewöhnt war, dass es von den Dingen ›draußen im Raum‹ ausgeht oder ihnen als Eigenschaft ›anhaftet‹, die Farben, Töne, Gerüche usw., erfüllen nun freischwebend den Raum. Die Wahrnehmungen lösen sich los von allen äußeren Dingen und schweben frei im Raume oder fliegen darinnen herum. Und man weiß dabei doch ganz genau, dass die Dinge, die man da vor sich hat, diese Wahrnehmungen nicht hervorgebracht haben, dass man sie vielmehr ›selbst‹ verursacht hat. So kommt es, dass man meinen muss, man habe den ›Boden unter den Füßen verloren‹. Im gewöhnlichen Leben in der physischen Welt muss man sich ja gerade davor hüten, Vorstellungen zu haben, die nicht von den Dingen herrühren, die sozusagen ›ohne Grund und Boden‹ sind. Zur Hervorrufung der imaginativen Erkenntnis aber kommt es gerade darauf an, zunächst Farben, Töne, Gerüche usw. zu haben, die ganz losgelöst von allen Dingen ›frei im Raume schweben‹.

Nun muss die nächste Stufe der imaginativen Erkenntnis darin bestehen, einen neuen ›Grund und Boden‹ für die herrenlos gewordenen Vorstellungen zu finden. Das muss eben in der anderen Welt geschehen, die sich jetzt offenbaren soll. Es bemächtigen sich neue Dinge und Wesenheiten dieser Vorstellungen. In der physischen Welt ›haftet‹ zum Beispiel die blaue Farbe an einer Kornblume. In der imaginativen Welt darf sie nun auch nicht ›freischwebend‹ bleiben. Sie strömt gleichsam zu einer Wesenheit hin, und während sie noch vorher herrenlos war, wird sie jetzt der Ausdruck einer Wesenheit. Es spricht etwas durch sie zu dem Beobachter, was dieser eben nur innerhalb der imaginativen Welt wahrnehmen kann. Und so sammeln sich die ›freischwebenden‹ Vorstellungen um bestimmte Mittelpunkte. Und man wird gewahr, dass Wesen durch sie zu uns sprechen. Und wie es in der physischen Welt körperliche Dinge und Wesenheiten sind, an denen Farben, Gerüche und Töne usw. ›haften‹ oder von denen sie herstammen, so sprechen sich jetzt «geistige Wesenheiten» durch sie aus. Diese ›geistigen Wesenheiten‹ sind ja tatsächlich immer da; sie umschwirren den Menschen beständig. Aber sie können sich diesem nicht offenbaren, wenn er nicht die Gelegenheit dazu gibt. Und diese Gelegenheit gibt er nur dadurch, dass er in sich die Fähigkeit hervorruft, Töne, Farben usw. auch dann vor seiner Seele entstehen zu lassen, wenn diese durch keinen physischen Gegenstand veranlasst werden.

Ganz anders sind die ›geistigen Tatsachen und Wesenheiten‹ als die Dinge und Wesen der physischen Welt. Es ist nicht ganz leicht, in der gewöhnlichen Sprache einen Ausdruck zu finden, welcher die Verschiedenheit auch nur annähernd charakterisiert. Vielleicht kommt man der Sache am nächsten, wenn man sagt: in der imaginativen Welt spricht alles so zum Menschen, wie wenn es unmittelbar intelligent wäre, während in der physischen Welt auch die Intelligenz nur auf dem Umwege durch die physische Körperlichkeit sich offenbaren kann. Das macht eben die Beweglichkeit und Freiheit der imaginativen Welt aus, dass das Zwischenglied der äußeren Dinge fehlt, dass das Geistige ganz unmittelbar in den freischwebenden Tönen, Farben usw. sich auslebt. (GA 12, S. 41-44)

Manchmal belegt Zander seine Behauptungen auch schlicht durch fingierte Beweise. Auf diese Methode wissenschaftlichen Arbeitens, die sich bereits in »Anthroposophie in Deutschland« bewährt hat, verzichtet er auch nicht in seiner »Biografie«.

Auf S. 241-242 behauptet Zander:

»Eine einschneidende Veränderung betrifft Steiners Einstellung zu Atemübungen. In den ersten Jahren finden sich Hinweise, beim Ein- und Ausatmen Sprüche auf den Atem zu legen23, wobei diese Übungen nur unter der Kontrolle des Geheimlehrers erfolgen dürfen.«24

Anmerkung 23 verweist auf: Bd 267, S, 94; Anmerkung 24 auf: Bd 267, S. 39.

In GA 267 findet man auf S. 94 zwar ein Beispiel für eine Meditationsübung, die »Suche den Weg« der Einatmung, »Suche den Weg in der Versenkung« dem Atemhalten und »Suche den Weg, indem du kühn heraus aus dir selbst trittst« der Ausatmung zuordnet. Aber sowohl auf S. 94 als auch auf S. 39 sucht man vergeblich nach einem Hinweis auf die »Kontrolle durch den Geheimlehrer«. Dafür ist auf S. 39 in der Einleitung von Hella Wiesberger ein Zitat aus der Besprechung Steiners zu Besants Vorträgen »Der Pfad der Jüngerschaft« vom Mai 1905 abgedruckt, in der es unter anderem heißt, Besants Ausführungen seien für das indische Volk zwar richtig sind, der Pfad der Jüngerschaft müsse für den gegenwärtigen europäischen Menschen seiner Form nach jedoch ein anderer sein: »Das Wesen bleibt dasselbe; die Formen ändern sich auf diesem Gebiete. Deshalb muss es nur naturgemäß gefunden werden, dass in den Artikeln dieser Zeitschrift ›Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?‹ manches anders gesagt ist, als man es in den für das indische Volk gehaltenen Vorträgen Annie Besants angegeben findet. Der Weg, der in dieser Zeitschrift geschildert wird, ist derjenige, welcher in Anpassung an das Leben im Abendlande, an die Entwickelungsstufe des europäischen Menschen, als der richtige sich herausgebildet hat in den Geheimschulen Europas seit dem 14. Jahrhundert. Und der Europäer kann nur Erfolg haben, wenn er diesen ihm durch seine eigenen Geheimlehrer vorgezeichneten Weg wandelt.«

Was also hier als weiterer Beleg der Abgrenzung Steiners von Besant bereits 1905 dienen könnte, verwandelt sich in Zanders Bewusstsein auf wundersame Weise zu einem weiteren Beleg für Steiners Autoritarismus. Auf diese Weise wird aus Phantasie Wissenschaft.

Laut Zander hat Steiner seine »autoritäre Lehrerrolle« in der Praxis der esoterischen Schulung – oder seinem gesamten Wirken überhaupt – nie zurückgenommen.

Auf S. 242 schreibt Zander:

»Er selbst hat seine autoritäre Lehrerrolle in der Praxis nie zurückgenommen, vermutlich haben die Anthroposophen ihm diese Lehrerrolle auch aufgedrängt.«

Gegen diese Behauptungen sei eine Äußerung Friedrich Rittelmeyers, der zu den Begründern der Christengemeinschaft gehörte, angeführt, also eines unmittelbaren Zeitzeugen und esoterischen Schülers Rudolf Steiners.

In seinem Buch »Rudolf Steiner als Führer zu neuem Christentum« schreibt er:

»Die allerfeinste Zartheit erlebte man an Rudolf Steiner, wenn man mit ihm über geistige Übungen sprach. Kein Hauch eines fremden Wollens streifte da unsere Seele. Nur suggestionsfreie geistige Winke wurden gegeben. Gerade ›Suggestion‹ wirft man dem Mann vor, der von ihr am weitesten entfernt war von allen Menschen der Gegenwart ...

Eben dass Menschen mit unbedingtem Freiheitswillen [zu denen Rittelmeyer zweifellos gehörte] sich in der Nähe dieses überragenden Geistes so menschlich wohl fühlen konnten, war das Besondere im Umkreis Rudolf Steiners. Man lebte in seinem Geist wie im Sonnenschein, der wohl wärmend für die Pflanze am Himmel leuchtet, aber sie nicht im leisesten drückt und knetet. Eher zu frei gelassen hat man sich von ihm gefühlt. Man hätte gern zum eigenen Vorwärtskommen von diesem überragenden Menschentum sich manchen kräftigen Stoß gefallen lassen.

Diese Freiheit aber gehörte zu der Christusatmosphäre, in die man bei Rudolf Steiner aufgenommen war.« (S. 123 f).

Dass Rittelmeyer von einer »Christusatmosphäre« der Freiheit sprach, ist kein Zufall. Denn Steiner selbst hatte das Wesen des Christus in die Freiheit und die aus ihr entspringende Liebe gesetzt. Um ein Zitat aus gerade jenem Kontext anzuführen, den Zander immer eingehüllt in die Aura des Autoritären halluziniert, aus einer esoterischen Unterweisung im Jahr 1909:

»Und endlich halte der Schüler fest in seiner Seele: Stets bleibe bewahrt die Freiheit und Selbständigkeit des Ich. Das ist unser Höchstes! Und aufblickend zum Christus stehe immer in unserer Seele: Der Christus ist das Urbild des Ich, es strebe mein Ich danach, zu werden ein Abbild dieses Urbildes. Und dieses Urbild kann durch keinen andern Namen bezeichnet werden als durch ›Ich bin‹.« (GA 266a, 3.3.1909, S. 456)

Oder ein weiteres Beispiel aus der Vortragsreihe »Geistige Hierarchien und ihre Widerspiegelung in der physischen Welt« 1909:

» ... der Christus ist ein Gott, welcher nicht so wirkt, dass seine Impulse unbedingt befolgt werden müssen, sondern nur, wenn man sie einsieht, nur in Freiheit. Er ist daher der Gott, der niemals diese individuelle, freie Entwickelung des Ich nach dieser oder jener Richtung hemmen kann. Der Christus konnte sagen im allerhöchsten Sinne: Ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen ...

So verstehen wir erst die ganze Würde und Bedeutung des Menschen innerhalb der Glieder unserer Hierarchien, und wir sagen uns, wenn wir zu der Herrlichkeit und zu der Größe der höheren Hierarchien hinaufschauen: Sind sie auch so groß, so weise, so gut, dass sie niemals von dem rechten Pfade abirren können, so ist doch die große Mission des Menschen, dass er die Freiheit in die Welt bringen soll und mit der Freiheit erst dasjenige, was man im wahren Sinne des Wortes Liebe nennt. Denn ohne die Freiheit ist Liebe unmöglich. Ein  Wesen, welches unbedingt einem Impuls folgen muss, folgt ihm eben; ein Wesen, das auch anders handeln kann, für dieses gibt es nur eine Kraft, um zu folgen: die Liebe. Freiheit und Liebe sind zwei Pole, die zusammengehören. Sollte daher in unserem Kosmos die Liebe einziehen, so konnte das nur geschehen durch die Freiheit, das heißt durch Luzifer und seinen Besieger, und zu gleicher Zeit durch des Menschen Erlöser, durch den Christus. Daher ist die Erde der Kosmos der Liebe und Freiheit ...« (GA 110, Düsseldorf, 18.4.1909, S.172-173)

Schließlich ein drittes aus der Vortragsreihe »Von Jesus zu Christus«:

»Den Freiheitsgedanken sollten die Menschen nicht ergreifen können ohne den Erlösungsgedanken des Christus. Dann allein ist der Freiheitsgedanke ein berechtigter. Wenn wir frei sein wollen, müssen wir das Opfer bringen, unsere Freiheit dem Christus zu verdanken! Dann erst können wir sie wirklich wahrnehmen. Und die Menschen, die ihre Menschenwürde beschränkt glauben, wenn sie sie dem Christus verdanken, die sollten erkennen, dass menschliche Meinungen gegenüber Weltentatsachen nichts bedeuten, und dass sie einmal recht gern ihre Freiheit als von dem Christus erworben anerkennen werden.« (GA 131, Karlsruhe, 14.10.1911, S. 229)

Angeblich sollen unter der Steiners Anleitung in der Esoterischen Schule »Psychotechniken« angewendet worden sein, die zu seelischen Schäden führen konnten.

Auf S. 242 schreibt Zander:

»Steiner fürchtete ›gewisse Wirkungen auf den Menschen  ..., die das sofortige Eingreifen eines erfahrenen Geheimkundigen und jedenfalls dessen fortwährend Aufsicht nötig machen.‹25 Im Klartext: Bei Psychotechniken, wie sie in der Esoterischen Schule angewandt wurden, drohten seelische Schäden, allemal, kann man ergänzen, bei einem Meditationslehrer, dem es an Erfahrung mangelt.«

Als Beleg für seine Behauptung führt Zander Sätze aus »Wie erlangt man Erkenntnisse ...« an, die aber gerade das Gegenteil besagen, denn Steiner weist hier auf Techniken hin, die er explizit ablehnte und vor denen er warnte. Die wissenschaftliche Technik, durch aus dem Kontext gerissene Zitatfragmente den Eindruck zu erwecken, Steiner bestätige seine absurden Behauptungen, wird von Zander häufig angewandt. Das Satzfragment, das er zitiert, soll laut Anmerkung 25 in »Lucifer Gnosis Heft 18, November 1904, S. 16« stehen. In Wahrheit stehen die zitierten Worte auf S. 165 dieses Heftes. Steiner führt in diesem Aufsatz aus, wie notwendig es für den Geistesschüler ist, Geduld zu üben und nicht zu schnell Ergebnisse zu erwarten: »Du darfst nicht erwarten, dass du sogleich siehst und hörst in der Seelen- und Geisterwelt« (ebd., S. 164) In diesem Kontext spricht er von »anderen Wegen, die schneller zum Ziele führen«, vor denen er ausdrücklich warnt. Der Text im Zusammenhang:

»Außerdem durften hier nur solche Dinge mitgeteilt werden, die von keinerlei Art von Gefahren begleitet sind für die körperliche und seelische Gesundheit. Es gibt ja auch andere Wege, die schneller zum Ziele führen; aber diese dürfen nicht öffentlich besprochen werden, weil sie gewisse Wirkungen auf den Menschen haben können, die zuweilen das sofortige Eingreifen eines erfahrenen Geheimkundigen und jedenfalls dessen fortwährend Aufsicht nötig machen. – Da einiges von solchen Wegen doch immer wieder in die Öffentlichkeit dringt, so muss ausdrücklich davor gewarnt werden, sie ohne persönliche Leitung zu betreten. Aus Gründen, die nur der Eingeweihte verstehen kann, können diese Wege nie in ihrer wahren Gestalt öffentlich bekannt gemacht werden. Und die Bruchstücke, die dort und da erscheinen, könne zu nichts Gedeihlichem, wohl aber zur Untergrabung von Gesundheit, Glück und Seelenfrieden führen. Wer sich nicht ganz dunklen Mächten anvertrauen will, von deren wahren Wesen und Ursprung er nichts wissen kann, der vermeide es, sich auf solche Dinge einzulassen.« (ebd, S. 164-165) In späteren Auflagen lautete die Passage etwas emendiert: »Außerdem durften hier nur solche Dinge mitgeteilt werden, die von keinerlei Art von Gefahren begleitet sind für die körperliche und seelische Gesundheit. Es gibt ja auch andere Wege, die schneller zum Ziele führen; aber mit diesen hat, was hier gemeint ist, nichts zu tun, weil sie gewisse Wirkungen auf den Menschen haben können, die ein erfahrener Geheimkundiger nicht anstrebt. Da einiges von solchen Wegen doch immer wieder in die Öffentlichkeit dringt, so muss ausdrücklich davor gewarnt werden, sie zu betreten. Aus Gründen, die nur der Eingeweihte verstehen kann, können diese Wege nie in ihrer wahren Gestalt öffentlich bekanntgegeben werden. Und die Bruchstücke, die dort und da erscheinen, können zu nichts Gedeihlichem, wohl aber zur Untergrabung von Gesundheit, Glück und Seelenfrieden führen. Wer sich nicht ganz dunklen Mächten anvertrauen will, von deren wahrem Wesen und Ursprung er nichts wissen kann, der vermeide es, sich auf solche Dinge einzulassen.« (GA 10, S. 98-99).