Da die verleumderische Behauptung schon einmal in die Welt gesetzt ist, Steiners Schulungsmethoden hätten zu seelischen Schäden geführt, kann Zander nachkarten und behaupten, solche Probleme seien auch bald in die Öffentlichkeit gedrungen. »Bald«, das heißt bei Zander 1915-1917.

Auf S. 242-243 schreibt Zander:

»Es ist kaum überraschend, dass die psychischen Probleme aus den Schulungen bald an die Öffentlichkeit drangen.26 Aber öffentlich hat sich Steiner zu den Gerüchten und Fakten dazu kaum geäußert.«

Anmerkung 26 verweist auf: Bamler, Erich: »Erlebnisse in der Schulung Dr. Steiners«, in: Theosophie, 6/1915-16, S. 326-334; ders.: »Dr. Steiners Geheimschulung«, in Psychische Studien, 44/1917, S. 127-133.

Nun ist wichtig zu wissen, dass sowohl die Zeitschrift Theosophie als auch die Psychischen Studien Plattformen von Steinergegnern waren. Die Theosophie vertrat den Standpunkt der Adyar-Theosophen und wurde von Hugo Vollrath herausgegeben, der 1908 aus der deutschen Sektion ausgeschlossen worden war, bekanntlich wesentlich zum Bruch zwischen Besant und Steiner beigetragen hatte und von ersterer 1911 zum Sekretär des Ordens des »Sterns im Osten« ernannt worden war.

Die Äußerung Ellic Howes, Vollrath sei ein »geistreicher Schurke mit einem Hang zum Okkultismus« gewesen, wurde bereits zitiert, wobei es sich bei dieser Äußerung noch um ein englisches Understatement handelt.

Der 1887 geborene Vollrath fälschte nicht nur eine Dissertation, um sich mit dem Doktortitel zu schmücken, er wurde 1914 nicht nur von einem Kriegsgericht wegen Fahnenflucht verurteilt, er war auch Plagiator eines Plagiators: er gab unter dem Pseudonym Walter Heilmann die von Max Heindel (alias Max Grashoff) in Amerika veröffentlichten »Lehrbriefe für Rosenkreuzer«, die Plagiate von Mitgliedervorträgen Steiners darstellten, nach dem I. Weltkrieg gegen Bezahlung an Mitglieder einer fiktiven Rosenkreuzergesellschaft ab, als deren angeblicher Sekretär sein alter ego Heilmann fungierte.

Vollrath pflegte später innige Beziehungen zu keinem Geringeren als Rudolf von Sebottendorf, dem Gründer der Thulegesellschaft. Sebottendorf wurde im Spätherbst 1920, nach dem Verkauf des »Völkischen Beobachters« an die NSDAP, Redakteur der von Vollrath herausgegebenen »Astrologischen Rundschau«, schrieb und edierte für dessen Verlag ein halbes Dutzend Bücher und übersetzte das Buch »The Message of the Stars« von – Max Heindel. Vollrath trat im Frühjahr 1933 eilends in die NSDAP ein und vollzog einen Schwenk seiner »Astrologischen Rundschau« auf die Linie des NS-Rassismus. Vollrath starb im Jahr 1943 vermutlich in Leipzig.

Die von Alexander Aksakow begründeten und von Friedrich Mayer herausgegebenen Psychischen Studien, die sich hauptsächlich mit Spiritismus befassten, veröffentlichten ebenfalls Aufsätze von Gegnern Steiners.

Die Psychischen Studien führten seit 1916 eine Kampagne gegen Steiner, veröffentlichten von Januar bis Oktober 1917 gegen die Anthroposophie gerichtete Beiträge des Plagiators Max Seiling und eben auch den Aufsatz Erich Bamlers. Seiling scheute nicht davor zurück, für seine Kampagne die Wahnvorstellungen einer Geisteskranken (Ruth von Schmettau) auszuschlachten. Diese beschuldigte in einem Aufsatz in den Psychischen Studien Steiner, »sexuelle Magie« ausgeübt zu haben.

1918 veröffentlichte Seiling sein Pamphlet »Die anthroposophische Bewegung und ihr Prophet«, das eine erweiterte Ausgabe der Aufsätze aus den Psychischen Studien darstellte. Darin teilte er mit: »Hier habe ich zu bekennen, dass ich, angezogen von der theosophischen Lehre, 8 Jahre lang Mitglied der Theosophischen bzw. Anthroposophischen Gesellschaft war und, unter der suggestiven Macht Steiners stehend meine Christus-Schrift ... verfasst habe, dass aber mein allmählich wieder erwachendes kritisches Verhalten mich schließlich zur gänzlichen Lossagung vom neuen Propheten und seiner Gemeinde geführt hat.« In seinem Nachwort gab er bekannt, zur katholischen Kirche übergetreten zu sein. Er sei »immer mehr zu der Überzeugung« gekommen, »dass das wahre Heil einzig in der katholischen Kirche zu finden ist«.

Angeblich hat sich Steiner »zu den Gerüchten und Fakten öffentlich kaum geäußert«. Abgesehen davon, dass es keine Fakten, sondern nur Gerüchte gab, äußerte sich Steiner durchaus über Seiling, Bamler und Konsorten. Seine grundsätzliche Haltung gegenüber diesen verleumderischen Pamphletisten: »Man ist eigentlich töricht, wenn man das Wesenlose ernsthaftig widerlegen will.« (Im Grunde gilt diese Bemerkung auch für unsere Auseinandersetzung mit Zander. Aber da das Wesenlose starke Wirkungen hervorruft, lässt es sich leider nicht vermeiden, töricht zu sein.)

Über Bamler äußerte sich Steiner zum Beispiel am Rande eines Vortrags im Mai 1917:

»Da ist ein Mensch – vor vielen Jahren kam sein Name zum ersten Mal vor unsere Augen –, er stammt aus einer kleinen Stadt, und Frau Dr. Steiner empfing eines Tages ein Schreiben, wie sie so oft vorkommen: Ich fühle mich unglücklich in meiner Lage, ich möchte meine Lage verbessern. –

Und einer der Briefe, die diesen Ton hatten, stellte die Frage nach einem Rat, der dem betreffenden Menschen gegeben werden sollte: ob er besser täte, in irgendein Haus, in ein Geschäft einzuheiraten, oder aber auf irgendeine andere Weise seinen weiteren Weg in der Welt zu suchen. Ja, man muss schon die Wahrheit ungeschminkt sagen, wenn man den Dingen auf den Grund kommen will, und wenn man nicht blind demjenigen, was sich in der nächsten Zeit abspielen wird, gegenüberstehen will. Nun wurde dem Manne zwar begreiflich gemacht, dass wir uns mit der Frage nicht beschäftigen können, ob er irgendwo hineinheiraten solle oder nicht, aber da er nicht nachließ, so wurde ihm auch bereitwillig manches zur Verfügung gestellt, was geeignet war, seinen Bedürfnissen nach geistiger Belehrung, die er zu haben vorgab, entgegenzukommen. Indem er sich solchen geistigen Dingen hingab, wie er sie sich vorstellte, kam er sehr bald darauf, dass es doch für einen so großen Geist nichts wäre, in einer kleinen Stadt ein Geschäft zu versorgen. Er sehnte sich nach größeren Kreisen. Er hatte sich offenbar einiges erspart und kam nach Berlin. Er fand, dass es ja ganz schön ist, Geisteswissenschaft zu treiben, allein er fühlte in sich auch ein besonderes künstlerisches Talent, und er verlangte nun von der Gesellschaft, dass sie dieses fördere. Man kommt ja gerne den Leuten zu Hilfe, nicht wahr. Die Proben, die der Betreffende aus seiner Kunst gab, sprachen zwar gegen alles Talent, aber mancher lernt ja auch ohne Talent so viel, dass es knappen Ansprüchen manchmal genügt. Und so kam es denn, dass der Betreffende an verschiedene Mitglieder, die das oder jenes ihm schaffen konnten, empfohlen wurde, dass man ihn förderte. Allein immer stellte es sich heraus, dass die Sache namentlich daran scheiterte, dass der Betreffende zwar eine Kunst ausüben, aber nichts lernen wollte, weil er der Ansicht war, mehr zu können als alle die Lehrer, die für ihn sorgen wollten. Und die Folge war, dass, weil er jedem Lehrer davonlief, man am Schlüsse gar nichts mehr tun konnte. Man hatte Nachsicht über Nachsicht, konnte aber nichts Besonderes mehr tun, es gefiel dem Betreffenden nichts. Denn selbstverständlich war das wiederum in seinen Augen so ein eklatanter Fall, wie die Welt das werdende Genie verkennt! Dass niemand anderer diese Ansicht in ehrlicher Weise teilen konnte, ja, meine lieben Freunde, es war wahrhaftig nicht unsere Schuld. Das ist die Hauptsache, alle anderen Dinge sind Nebensache. Und so ging es denn bei diesem Menschen so, wie es bei vielen geht. Sie suchen zuerst eine Förderung innerhalb unserer Gesellschaft, und wenn ihnen diese Förderung nach ihrem Sinn nicht zuteil wird, werden sie Gegner. Und dann treten sie mit allerlei Dingen auf. Von dem, was hinter den Dingen steht, davon reden sie nie, selbstverständlich. Sie treten mit allerlei Dingen auf, die man dann am besten widerlegt, wenn man erst die Gründe darlegt. Selbstverständlich war es die purste gekränkte Eitelkeit und Unfähigkeit in diesem Falle. Und alles übrige, was nun als Brimborium darauf aufgerichtet wurde, war die allertörichteste Erfindung, die allertörichteste Phantasterei. Aber heute findet man selbstverständlich die Journale, die diese Dinge aufnehmen. Denn der Betreffende, den ich meine, heißt Erich Bamler. Und wenn man den Dingen bei solchen Unternehmungen wahrhaftig auf den Grund geht, dann hat man nicht nötig, sich solch einen Aufsatz herzunehmen, der zumeist gar nichts besagt, weil alle einzelnen Dinge ja gar nicht das ausdrücken, was sie sagen, sondern sie gehen ja aus ganz anderen Dingen hervor. Und man ist eigentlich töricht, wenn man das Wesenlose ernsthaftig widerlegen will. Denn darauf kommt es ja gar nicht an, sondern auf dasjenige, was dahinter liegt.« (GA 174b, Stuttgart, 11. Mai 1917)

Abenteuerlich sind die Thesen, die Zander über die Verwandtschaft zwischen Freuds Psychoanalyse und Steiners Anthroposophie aufstellt, die sich auf rein formale Analogien stützen.

Auf S. 241-242 schreibt Zander:

»Die Frage, wer der Mensch in seinem Innersten sei, hatte Steiner zeitgleich mit einem hochberühmten Zeitgenossen gestellt, an dem er in Wien vorbeigegangen war: Sigmund Freud. Als Steiner 1904 seinen großen Schulungsweg zu schreiben begann, lag Freuds epochales Schwesterwerk seit fünf Jahren vor: die Traumdeutung von 1899. Beide versuchten, ein komplexes Subjekt, das mehr als die schlichte Person sei, zu erklären. Ihre Antworten scheinen diametral auseinanderzugehen ... Aber Steiner und Freud waren näher beieinander als Steiner es sich zugestand. Beiden ging es um einen Mehrwert im Bewusstsein, der nicht greifbar war und doch zugänglich gemacht werden sollte. Beide gingen von einer ›unbewussten‹ Dimension aus ... Freud kam aus der Hypnoseforschung, die wiederum ohne den Spiritismus und den Mesmerismus des 19. Jahrhunderts ganz unverständlich bleibt ... Auch Steiners theosophische Vorfahren kamen aus dem gleichen Milieu, in dem Mesmerismus, Spiritismus und hypnotische Phänomene verschwistert waren, und Steiner selbst hat seit 1916 als Medium praktiziert.«

In der Tat ging es sowohl Freud als auch Steiner darum, Unbewusstes bewusst zu machen. Damit enden aber auch schon die Parallelen.

Denn sobald man sich auf die inhaltliche Bestimmung dieses Unbewussten und die Methoden seiner Erforschung einlässt, kann einem der diametrale Gegensatz nicht entgehen.

Während Freud das Unbewusste mit der polymorph-perversen Sexualität anfüllte, und seine alles erklärende sollende Sexualtheorie als »Bollwerk gegen die schwarze Schlammflut des Okkultismus« (zitiert nach C.G. Jung) betrachtete, enthüllte das unbewusste Seelenleben sich der Geistesforschung als Schauplatz des Wirkens realer geistiger Wesenheiten.

Aus Steiners Sicht war Freuds Pansexualismus eine »besonders abscheuliche Weltanschauungsströmung« ja eine »Ferkeleitheorie« (GA 253, S. 108, 121).

Hypnose, Spiritismus und Mediumismus lehnte Steiner zeitlebens aus prinzipiellen Gründen ab, weil sie der Forschungsmethode der Geisteswissenschaft diametral entgegengesetzt waren. Über sie führte er beispielweise am 6. November 1919 in Bern aus:

»Für denjenigen, der im Sinne wahrer Geisteswissenschaft arbeitet, für den entsteht die Frage: Was ist es für eine Seelenverfassung, in der der Mensch im Traume ist? Was ist es für eine Seelenverfassung, in der der Mensch ist, wenn er in einem solchen hypnotischen oder medialen – der ist ja auch einem hypnotischen Zustand ähnlich –, wenn er in einem solchen hypnotischen Zustand solche Einflüsse erfahren kann von irgendeinem Mitmenschen oder auch von anderer Umgebung?

In hypnotischem Zustand ist es in der Tat möglich, dass Gedankenübertragungen über weite Entfernungen sich darstellen können, sie können experimentell dargeboten, bewiesen werden. Aber es fragt sich nur, in welche Regionen man einen Menschen bringt, mit seinem ganzen menschlich-leiblich-seelisch-geistigen Wesen, wenn man in diese Regionen hinuntersteigt. Man bringt ihn dann in eine Region, die ein Untermenschliches ist, die das Tierische in dem Menschen darstellt.

In der Tat wird der Mensch heruntergeschraubt, herunterhypnotisiert, herunterprofaniert in dasjenige, was als Tierisches in ihm spielt. Und gerade dadurch lernt man das Tierische im Menschen kennen, das doch noch etwas ganz anderes als das Tierische der Tierreihe ist; aber man gelangt in die Region des Untermenschlichen hinein.

Im Gegensatz zu alledem, was da sich darbietet, möchte die hier gemeinte anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft dahin führen, das Seelisch-Geistige im Menschen dadurch zu erreichen, dass man nicht das, was schon im Menschen ist, herunterdämpft, um scheinbar etwas Geistig-Seelisches zu empfinden, sondern dass man hinaufentwickelt dasjenige, was schon in der Sinneswelt da ist, zu einer höheren Anschauung dadurch, dass man den Gedanken, den Willen, die Empfindung durch Meditation, Konzentration so erzieht, wie es in meinem Buche ›Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?‹ dargestellt ist. – Den Menschen über sich hinausführen, in gesunder Weise über sich hinausführen über das, was in der Sinnesanschauung und gewöhnlichen Wissenschaft schon da ist, das will anthroposophische Geisteswissenschaft.« (GA 329, S. 269 f)

Steiner ging in seiner Wiener Zeit nicht an seinem – damals noch keineswegs »hochberühmten Zeitgenossen« – vorüber, sondern nahm die Entstehung der Psychoanalyse an der Quelle wahr, war er doch mit Josef Breuer, dem Hausarzt der Familie Specht befreundet, der zu den Begründern der Psychoanalyse gehörte. Wie intensiv sich Steiner mit der Psychoanalyse auseinandersetzte, zeigen seine Vorträge 1915 und 1917 über Freud, Adler und C.G. Jung (GA 253; GA 178).

Natürlich ist auch die Behauptung Zanders, Steiner habe »seit 1916 als Medium praktiziert« das Gegenteil der Wahrheit. Die Bemerkung bezieht sich auf Mitteilungen über seelisch-geistige Erlebnisse des verstorbenen Helmuth von Moltke, die Steiner seiner Witwe zukommen ließ. Bei diesen handelte es sich nicht um mediumistische »Durchgaben«, vielmehr beruhten diese Mitteilungen darauf, dass Steiner die Seele des Verstorbenen mit den Methoden der Geistesforschung hellseherisch begleitete und dessen Erlebnisse in eine verständliche Sprache übersetzte.

Vgl dazu: Thomas Meyer, Helmuth von Moltke 1848-1916, Dokumente zu seinem Leben und Wirken, 2 Bde. Bd.1: Briefe Helmuth von Moltkes an seine Frau 1877-1915; Briefe und Dokumente zu Kriegsausbruch und Kriegsschuldfrage | Helmuth von Moltke 1848-1916. Dokumente zu seinem Leben und Wirken, Band 2 : Briefe von Rudolf Steiner an Helmuth und Eliza von Moltke (1904-1916)

Nur noch als Groteske kann man Zanders Ausführungen über Steiners »geistigen Materialismus« lesen, den er in dessen Schulungsweg hineinprojiziert.

Auf S. 245 schreibt Zander:

»... im Frühsommer 1904 standen bei Steiner für diesen Weg physische Zugänge hoch im Kurs. Der Adept sollte lernen, ›geistige Wahrnehmungsorgane‹, ›höhere Organe‹ oder einen ›höheren Sinn‹ auszubilden. Steiner hielt sein Leben lang daran fest, dass es solche Organe gebe ... Steiner formulierte eine Art von geistigem Materialismus mit naturwissenschaftlichem Erkenntnisanspruch.«

Zander scheint den eklatanten Widerspruch gar nicht zu bemerken der in seinen zwei aufeinanderfolgenden Sätzen liegt: »physische Zugänge« – »geistige Wahrnehmungsorgane«, »höhere Organe«.

Will man Steiner wirklich zumuten, er hätte die widersinnige Theorie vertreten, dass es möglich ist, Nichtphysisches – also Geistiges – mit Hilfe physischer Wahrnehmungsorgane wahrzunehmen?

Bereits in den »Grundlinien ...« hatte er das Danken als Wahrnehmungsorgan für Ideen bezeichnet, aber als Organ, das seine Wahrnehmungsgegenstände tätig hervorbringt. In diesem Kontext faselte Zander noch von Platonismus und Idealismus. Nun aber soll die Idee solcher geistiger Organe Ausdruck eines »geistigen Materialismus« sein. Stattdessen sind die Organe der übersinnlichen Wahrnehmung, die der Geistesschüler in seiner Seele heranbildet ebensowenig physisch oder materiell, wie das Denken physisch oder materiell ist.

»Aus Gefühlen und Gedanken ... bauen sich die Hellseherorgane ebenso auf, wie sich durch Naturkräfte aus belebtem Stoffe Augen und Ohren des physischen Körpers aufbauen«, heißt es in »Wie erlangt man ...« (S. 46), »die Organe, welche sich auf solche Art bilden, sind Geistesaugen« (S. 54), die Chakren werden als »Sinnesorgane der Seele«, als »geistige Sinnesorgane« bezeichnet (S. 117).

Man muss so frei von Logik wie Zander sein, um solche Sätzen wie die zitierten als sinnvolle Aussagen betrachten zu können. Wieder einmal kann man sich nur über das Lektorat des Piperverlages wundern, der doch immerhin einst die Werke Christian Morgensterns herausgab!

Erneut zieht Zander für seine Anklagen gegen Steiner fingierte Beweise heran, wenn er aus »Wie erlangt man ...« zitiert, um die Behauptung zu stützen, Steiner habe aus seinem Anspruch, der »meisterliche Geheimlehrer für die Unerleuchteten« zu sein, »kein Hehl« gemacht.

Auf S. 248 schreibt Zander:

»Schon auf den allerersten Seiten in Wie erlangt man ... hatte er die theosophische Hierarchie offenbart. Der ›Geheimschüler‹ sei am Beginn seiner Laufbahn meilenweit von selbständiger Erkenntnissuche entfernt, denn er benötige als ›Grundstimmung den Pfad der Verehrung, der Devotion. Nur wer diese Grundstimmung hat, kann Geheimschüler werden ... Hast du einmal vor der Tür eines verehrten Mannes gestanden, und hast du bei diesem deinem ersten Besuche eine heilige Scheu empfunden, auf die Klinke zu drücken, um in das Zimmer zu treten, das für dich ein ‚Heiligtum’ ist, so hat sich in die ein Gefühl geäußert, das der Keim sein kann für deine spätere Geheimschülerschaft.«33

Die Anmerkung 33 verweist auf Lucifer-Gnosis, Heft 13, Juni 1904, S. 2 f. und darauf, dass diese Stelle später abgewandelt worden sei.

Ob ursprüngliche Fassung oder spätere Abwandlung: eines hat sich nicht verändert – die Tatsache nämlich, dass nirgends davon die Rede ist, der »Geheimschüler« sei »am Beginn seiner Laufbahn meilenweit von selbständiger Geistessuche entfernt«.

Und eine weitere Assoziation, die Zander durch seine Collagetechnik des Zitierens dem Leser nahelegt, trifft nicht zu, nämlich die, dass sich die Verehrung, die Steiner dem Geheimschüler nahelegt, auf Personen richtet, genauer gesagt, auf Steiner selbst.

Sehen wir uns die Passagen über die Devotion in der Urfassung von »Wie erlangt man ...« von 1904 näher an!

Deutlich wird aus dem Zusammenhang, dass die Devotion, die das Kind oder der Heranwachsende gegenüber Menschen empfindet, lediglich eine Anlage darstellt, die sich später, insbesondere beim Geistesschüler, in eine Devotion gegenüber der Erkenntnis wandelt.

»Höhe des Geistes kann nur erklommen werden, wenn durch das Tor der Demut geschritten wird«, das gilt selbst – oder gerade – für den Eingeweihten, also den »Lehrer«. Demut dort, wo sie am Platze ist.

Solche Gefühle der Verehrung sind nach Steiners Auffassung keineswegs Keime zur Unterwürfigkeit und Sklaverei, vielmehr lehrt die Erfahrung, »dass diejenigen Menschen auch am besten verstehen, das Haupt frei zu tragen, die verehren gelernt haben, da wo Verehrung am Platze ist«. Die Verehrung soll also die Freiheit gerade nicht einschränken, sondern ermöglichen. Von wahrer Devotion spricht Steiner, nicht von Unterwürfigkeit oder hündischer Unterwerfung, einer Devotion deren Wahrheit darin besteht, dass sie echt ist und dass sie würdigen Gegenständen entgegengebracht wird.

Diese Hinweise auf die Erziehung zur Devotion seien aufgrund der Eigenart der gegenwärtigen Zivilisation nötig, da diese viel mehr zur Kritik, zum Richten, zum Aburteilen, als zur Verehrung neige, aber jede Kritik, jedes richtende Urteil vertreibe ebenso sehr die Kräfte der Seele zur höheren Erkenntnis, wie jede hingebungsvolle Ehrfurcht sie entwickle. Damit will Steiner nicht diese Zivilisation verurteilen, sondern lediglich charakterisieren. Denn ihre Größe verdankt sie gerade dieser Kritik, dem »selbstbewussten menschlichen Urteil«. Dennoch ist diese Größe eine Größe »im Äußeren«, die mit dem Verlust spiritueller Größe erkauft wurde. Wer kurz die Geschichte der letzten Jahrhunderte, spätestens seit der Aufklärung Revue passieren lässt, wird diese Bemerkung kaum für verfehlt halten.

Hier der Wortlaut von 1904:

»Nur in seiner eigenen Seele kann der Mensch die Mittel finden, die ihm den Mund der Eingeweihten öffnen. Gewisse Eigenschaften muss er in sich bis zu einem bestimmten hohen Grade entwickeln, dann können ihm die höchsten Geistesschätze zuteil werden.

Eine gewisse Grundstimmung der Seele muss den Anfang bilden. Der Geheimforscher nennt diese Grundstimmung den Pfad der Verehrung, der Devotion. Nur wer diese Grundstimmung hat, kann Geheimschüler werden. Wer Erlebnisse auf diesem Gebiete hat, der weiß, welche Anlagen bei denen schon in der Kindheit zu bemerken sind, welche später Geheimschüler werden. Es gibt Kinder, die mit heiliger Scheu zu gewissen von ihnen verehrten Personen emporblicken. Sie haben eine Ehrfurcht vor ihnen, die ihnen im tiefsten Herzensgrunde verbietet, irgend einen Gedanken aufkommen zu lassen, von Kritik, von Opposition. Solche Kinder wachsen zu Jünglingen and Jungfrauen hieran, denen es wohltut, wenn sie zu irgend etwas Verehrungsvollem aufsehen können. Aus den Reihen dieser Menschenkinder gehen viele Geheimschüler hervor. Hast du einmal vor der Türe eines verehrten Mannes gestanden, und hast du bei diesem deinem ersten Besuche eine heilige Scheu empfunden, auf die Klinke zu drücken, um in das Zimmer zu treten, das für dich ein ›Heiligtum‹ ist, so hat sich in dir ein Gefühl geäußert, dass der Keim sein kann für deine spätere Geheimschülerschaft. Es ist ein Glück für jeden heranwachsenden Menschen, solche Gefühle als Anlagen in sich zu tragen. Man glaube nur ja nicht, dass solche Anlagen den Keim zur Unterwürfigkeit und Sklaverei bilden. Die Erfahrung lehrt, dass diejenigen Menschen auch am besten verstehen, das Haupt frei zu tragen, die verehren gelernt haben da, wo Verehrung am Platze ist. Und am Platze ist sie überall da, wo sie aus den Tiefen des Herzens entspringt.

Wenn wir nicht das tiefgründige Gefühl in ans entwickeln, dass es etwas Höheres gibt, als wir sind, werden wir auch nicht in uns die Kraft finden, um zu einem Höheren hinaufzuentwickeln. Der Eingeweihte hat sich nur dadurch die Kraft errungen, sein Haupt zu den Höhen der Erkenntnis zu erheben, dass er sein Herz in die Tiefen der Ehrfurcht, der Devotion geführt hat. Höhe des Geistes kann nur erklommen werden, wenn durch das Tor der Demut geschritten wird. Ein rechtes Wissen kannst du nur erlangen, wenn du gelernt hast, dieses Wissen zu achten. Der Mensch hat gewiss das Recht, sein Auge dem Lichte entgegenzuhalten; aber er muss dieses Recht erwerben. ...

Und ebenso weiß man, wenn man die Anfangsgründe der Geheimwissenschaft kennt, dass jedes in der Seele entwickelte Gefühl von wahrer Devotion eine Kraft entwickelt, die in der Erkenntnis früher oder später weiter führen kann.

Wer in seinen Anlagen die devotionellen Gefühle hat, oder wer das Glück hat, sie durch eine entsprechende Erziehung eingepflanzt zu erhalten, der bringt vieles mit, wenn er im späteren Leben den Zugang zu höheren Erkenntnissen sucht. Wer eine solche Vorbereitung nicht mitbringt, dem erwachsen schon auf der ersten Stufe des Erkenntnispfades Schwierigkeiten, wenn er nicht durch Selbsterziehung die devotionelle Stimmung energisch in sich zu erzeugen unternimmt. In unserer Zeit ist es ganz besonders wichtig, dass auf diesen Punkt die volle Aufmerksamkeit gelenkt wird. Unsere Zivilisation neigt viel mehr zur Kritik, zum Richten, zum Aburteilen, und wenig zur Devotion, zur hingebungsvollen Verehrung. Unsere Kinder schon kritisieren viel mehr, als sie hingebungsvoll verehren. Aber jede Kritik, jedes richtende Urteil vertreiben ebenso sehr die Kräfte der Seele zur höheren Erkenntnis, wie jede hingebungsvolle Ehrfurcht sie entwickelt. Damit soll gar nichts gegen unsere Zivilisation gesagt sein. Es handelt sich hier gar nicht darum, Kritik an dieser unserer Zivilisation zu üben. Gerade der Kritik, dem selbstbewussten menschlichen Urteil, dem ›prüfet alles, und das beste behaltet‹ verdanken wir die Größe unserer Kultur. Nimmermehr hätte der Mensch die Wissenschaft, die Industrie, den Verkehr, die Rechtsverhältnisse unserer Zeit erlangt, wenn er nicht überall Kritik geübt, überall den Maßstab seines Urteils angelegt hätte. Aber was wir dadurch an äußerer Kultur gewonnen haben, mussten wir mit einer entsprechenden Einbuße an höherer Erkenntnis, an spirituellem Leben bezahlen.«

In späteren Auflagen verdeutlichte Steiner das Gemeinte, indem er zwei präzisierende Ergänzungen einfügte: »Es wird später die erst kindliche Verehrung gegenüber Menschen zur Verehrung gegenüber Wahrheit und Erkenntnis« und: »Betont muss werden, dass es sich beim höheren Wissen nicht um Verehrung von Menschen, sondern um eine solche gegenüber Wahrheit und Erkenntnis handelt.«

Erkennbar ist, was diese Ergänzungen zum Ausdruck bringen, aber bereits im Text der ersten Auflage.

Hier der ergänzte Wortlaut:

»Nur in seiner eigenen Seele kann der Mensch die Mittel finden, die ihm den Mund der Eingeweihten öffnen. Gewisse Eigenschaften muss er in sich bis zu einem bestimmten hohen Grade entwickeln, dann können ihm die höchsten Geistesschätze zuteil werden.

Eine gewisse Grundstimmung der Seele muss den Anfang bilden. Der Geheimforscher nennt diese Grundstimmung den Pfad der Verehrung, der Devotion gegenüber der Wahrheit und Erkenntnis. Nur wer diese Grundstimmung hat, kann Geheimschüler werden. Wer Erlebnisse auf diesem Gebiete hat, der weiß, welche Anlagen bei denen schon in der Kindheit zu bemerken sind, welche später Geheimschüler werden. Es gibt Kinder, die mit heiliger Scheu zu gewissen von ihnen verehrten Personen emporblicken. Sie haben eine Ehrfurcht vor ihnen, die ihnen im tiefsten Herzensgrunde verbietet, irgendeinen Gedanken aufkommen zu lassen von Kritik, von Opposition. Solche Kinder wachsen zu Jünglingen und Jungfrauen heran, denen es wohltut, wenn sie zu irgend etwas Verehrungsvollem aufsehen können. Aus den Reihen dieser Menschenkinder gehen viele Geheimschüler hervor. Hast du einmal vor der Türe eines verehrten Mannes gestanden und hast du bei diesem deinem ersten Besuche eine heilige Scheu empfunden, auf die Klinke zu drücken, um in das Zimmer zu treten, das für dich ein ›Heiligtum‹ ist, so hat sich in dir ein Gefühl geäußert, das der Keim sein kann für deine spätere Geheimschülerschaft. Es ist ein Glück für jeden heranwachsenden Menschen, solche Gefühle als Anlagen in sich zu tragen. Man glaube nur ja nicht, dass solche Anlagen den Keim zur Unterwürfigkeit und Sklaverei bilden. Es wird später die erst kindliche Verehrung gegenüber Menschen zur Verehrung gegenüber Wahrheit und Erkenntnis. Die Erfahrung lehrt, dass diejenigen Menschen auch am besten verstehen, das Haupt frei zu tragen, die verehren gelernt haben da, wo Verehrung am Platze ist. Und am Platze ist sie überall da, wo sie aus den Tiefen des Herzens entspringt.

Wenn wir nicht das tiefgründige Gefühl in uns entwickeln, dass es etwas Höheres gibt, als wir sind, werden wir auch nicht in uns die Kraft finden, uns zu einem Höheren hinaufzuentwickeln. Der Eingeweihte hat sich nur dadurch die Kraft errungen, sein Haupt zu den Höhen der Erkenntnis zu erheben, dass er sein Herz in die Tiefen der Ehrfurcht, der Devotion geführt hat. Höhe des Geistes kann nur erklommen werden, wenn durch das Tor der Demut geschritten wird. Ein rechtes Wissen kannst du nur erlangen, wenn du gelernt hast, dieses Wissen zu achten. Der Mensch hat gewiss das Recht, sein Auge dem Lichte entgegenzuhalten; aber er muss dieses Recht erwerben. ...

Und ebenso weiß man, wenn man die Anfangsgründe der Geheimwissenschaft kennt, dass jedes in der Seele entwickelte Gefühl von wahrer Devotion eine Kraft entwickelt, die in der Erkenntnis früher oder später weiter führen kann.

Wer in seinen Anlagen die devotionellen Gefühle hat, oder wer das Glück hat, sie durch eine entsprechende Erziehung eingepflanzt zu erhalten, der bringt vieles mit, wenn er im späteren Leben den Zugang zu höheren Erkenntnissen sucht. Wer eine solche Vorbereitung nicht mitbringt, dem erwachsen schon auf der ersten Stufe des Erkenntnispfades Schwierigkeiten, wenn er nicht durch Selbsterziehung die devotionelle Stimmung energisch in sich zu erzeugen unternimmt. In unserer Zeit ist es ganz besonders wichtig, dass auf diesen Punkt die volle Aufmerksamkeit gelenkt wird. Unsere Zivilisation neigt mehr zur Kritik, zum Richten, zum Aburteilen und wenig zur Devotion, zur hingebungsvollen Verehrung. Unsere Kinder schon kritisieren viel mehr, als sie hingebungsvoll verehren. Aber jede Kritik, jedes richtende Urteil vertreiben ebensosehr die Kräfte der Seele zur höheren Erkenntnis, wie jede hingebungsvolle Ehrfurcht sie entwickelt. Damit soll gar nichts gegen unsere Zivilisation gesagt sein. Es handelt sich hier gar nicht darum, Kritik an dieser unserer Zivilisation zu üben. Gerade der Kritik, dem selbstbewussten. menschlichen Urteil, dem «Prüfet alles und das Beste behaltet», verdanken wir die Größe unserer Kultur. Nimmermehr hätte der Mensch die Wissenschaft, die Industrie, den Verkehr, die Rechtsverhältnisse unserer Zeit erlangt, wenn er nicht überall Kritik geübt, überall den Maßstab seines Urteils angelegt hätte. Aber was wir dadurch an äußerer Kultur gewonnen haben, mussten wir mit einer entsprechenden Einbuße an höherer Erkenntnis, an spirituellem Leben bezahlen. Betont muss werden, dass es sich beim höheren Wissen nicht um Verehrung von Menschen, sondern um eine solche gegenüber Wahrheit und Erkenntnis handelt.« (GA 10. S. 19 f.)

Nicht anders als blasphemisch kann jeder, der sich noch einen Rest religiösen Empfindens bewahrt hat, Ausführungen Zanders über Steiners Arbeit an der Statue des Menschheits-Repräsentanten empfinden. Denn in dieser Skulptur soll Steiner angeblich sich selbst verewigt haben.

Auf S. 320 schreibt Zander:

»Es spricht viel dafür, dass Steiner sich in dem ›Christus‹ selbst verewigt hat. Vielleicht hat er dazu auch ein Porträtfoto benutzt, das neben der Statue stand ... und vielleicht hat man, um diese Spur zu vertuschen, später dieses Porträt aus dem Atelierphoto wegretuschiert.«

Vielleicht, vielleicht ..., vielleicht war Zander ja wieder einmal bekifft, als er diese Zeilen schrieb; auf jeden Fall spricht viel dafür ...

Wenn hier von Blasphemie gesprochen wird, ist nicht etwa eine Blasphemie gegenüber Rudolf Steiner gemeint, sondern eine Blasphemie dem Heiligsten gegenüber, das in der Geschichte der Erde menschliche Gestalt angenommen hat. Über diese Gestaltwerdung des Christus, der »urewigen, äonischen allwaltenden, kosmischen Liebe« (GA 148, S. 32), sprach sich Steiner in einem Vortrag am 14. Mai 1912 in Berlin aus. Dass er über seine eigene Arbeit am Menschheitsrepräsentanten sprach, ist offensichtlich.

Was ihn bei dieser Arbeit leitete, drücken die Sätze aus: »Du darfst nicht hinschauen auf etwas, was da ist, wenn du den Christus bilden willst, sondern du musst in dir kraften und wirken lassen und dich innerlich durchdringen mit alledem, was eine geistige Versenkung in den geistigen Werdegang der Welt durch die drei wichtigen Impulse: Erstaunen, Mitgefühl und Gewissen hindurch, dir geben kann.«

»So müssen wir das Überwinden des egoistischen Prinzips in der Erdenentwickelung in Betracht ziehen. Daher wird der Christus-Impuls sich immer weiter und weiter in der Menschenkultur einleben, und das, was im letzten Vortrage hier gezeigt worden ist, indem aufmerksam gemacht worden ist, wie zum Beispiel in Raffaels Bildern sich der Christus-Impuls in einer interkonfessionellen Weise in die Menschheit eingelebt hat, das wird seine Fortsetzung erfahren.

Ja, auch die äußere bildhafte Darstellung des Christus, wie er äußerlich bildhaft vorgestellt werden soll, ist eine Frage, die erst noch gelöst werden soll. Es werden viele Gefühle durch die Menschenseelen auf der Erde gehen müssen, wenn zu den vielen Versuchen, die im Laufe der Epochen gemacht worden sind, derjenige kommen soll, der einigermaßen zeigen wird, was der Christus ist als der übersinnliche Impuls, der sich in die Erdenentwickelung hineinlebt.

Zu einer solchen Christus-Darstellung sind in den bisherigen Versuchen nicht einmal die Ansätze vorhanden. Denn es müsste das hervortreten, was die werdende Äußerlichkeit darstellt des Herum-sich-Gliederns der Impulse des Erstaunens, des Mitgefühles und des Gewissens. Was sich darin ausdrückt, muss sich so ausdrücken, dass das Christus-Antlitz so lebendig wird, dass dasjenige, was den Menschen zum Erdenmenschen macht, das Sinnlich-Begierdenhafte, überwunden wird durch das, was das Antlitz vergeistigt, verspiritualisiert. Es muss höchste Kraft in dem Antlitz sein dadurch, dass alles, was als höchste Entfaltung des Gewissens zu denken ist, sich in dem eigentümlich geformten Kinn und Mund zeigt, wenn er vor einem steht, wenn ihn der Maler oder der Bildhauer formen wird, ein Mund, an dem man fühlen kann, dass er nicht zum Essen da ist, sondern dazu, um auszusprechen, was als Sittlichkeit und Gewissen in der Menschheit jemals gepflegt worden ist, und dass dazu das ganze Knochensystem, sein Zahnsystem und Unterkiefer als Mund geformt ist.

Das wird zum Ausdruck kommen in einem solchen Antlitz. Mit dieser Unterform des Gesichtes wird eine solche Kraft verbunden sein, die ausstrahlt, zerstückelt und zerpflückt den ganzen übrigen menschlichen Leib, dass dieser zu einer anderen Gestalt wird, wodurch andere gewisse Kräfte überwunden werden, so dass es unmöglich sein wird, dem Christus, der einen solchen Mund zeigen wird, irgendwie eine Leibesform zu geben, wie sie der heutige physische Mensch hat.

Dagegen wird man ihm Augen geben, aus denen alle Gewalt des Mitgefühls sprechen wird, mit der nur Augen Wesen ansehen können – nicht um Eindrücke zu empfangen, sondern um mit der ganzen Seele in ihre Freuden und Leiden überzugehen. Und eine Stirn wird er haben, wo man nicht vermuten kann, dass die Sinneseindrücke der Erde gedacht werden, sondern eine Stirn, die etwas vorn über den Augen vorstehen wird, sich wölben wird über jenem Gehirnteil: aber nicht eine ›Denkerstirn‹, die wieder verarbeitet, was da ist, sondern es wird sich Verwunderung aussprechen aus der Stirn, die über die Augen hervortritt und sanft sich wölbt nach rückwärts über den Kopf, dadurch ausdrückend, was man Verwunderung über die Mysterien der Welt nennen kann. Das wird ein Kopf sein müssen, den der Mensch nicht in der physischen Menschheit antreffen kann.

Jenes Nachbild des Christus müsste eigentlich etwas sein wie das Ideal der Christus-Gestalt. Und das ist das Gefühl, das diesem Ideal zustrebt, wenn man es in der Entwickelung anstreben wird: immer mehr und mehr muss für die Menschheitsentwickelung, insofern sich die Menschheit künstlerisch betätigen wird in der Darstellung des höchsten Ideals durch die spirituelle Wissenschaft, das Gefühl entstehen: Du darfst nicht hinschauen auf etwas, was da ist, wenn du den Christus bilden willst, sondern du musst in dir kraften und wirken lassen und dich innerlich durchdringen mit alledem, was eine geistige Versenkung in den geistigen Werdegang der Welt durch die drei wichtigen Impulse: Erstaunen, Mitgefühl und Gewissen hindurch, dir geben kann.« (GA 133, 14. Mai 1912)