Einen weiteren Topos aus dem polemischen Diskurs gegen die Esoterik reproduziert Zander, wenn er Steiner eine geheime Verschwörung zur Errichtung einer Diktatur der Eingeweihten (!) unterstellt. Bedenkt man Zanders akademischen Bildungshintergrund, liegt der Gedanke nahe, in diesem Vorwurf eine Projektion zu sehen.

Auf S. 434 schreibt Zander:

»Denn Steiner hielt das Geistesleben für den ›Kopf‹ und deshalb etwa das ›Eingreifen des Geisteslebens‹ in die Wirtschaft für selbstverständlich ...

Wie radikal er hier letztendlich dachte, hat er in den für die Öffentlichkeit bestimmten ›Kernpunkten‹ nicht preisgegeben. Doch seine Anhänger kannten aus internen Mitgliedsvorträgen längst des Pudels Kern. Schon am 24. November 1918 hatte Steiner Klartext geredet: Es liege ›die Notwendigkeit vor, dass von jenseits der Schwelle gerade die wichtigsten Ideen für das soziale Werden geholt werden‹, dass ›soziale Ideen‹ ›von jenseits der Schwelle herrühren‹ – natürlich – ›müssen‹. Es sollten Menschen mit übersinnlicher Erkenntnis die gesellschafts-politisch relevanten Entscheidungen fällen. Doch misslicherweise werde man ›den Initiierten aus dem Mangel an Vertrauen, das heute der Mensch dem Menschen entgegenbringt, ebene einfach nicht glauben‹.

Wo bleibt aber in dieser Aristokratie der Eingeweihten die Demokratie?«

Endlich, denkt der arglose Leser, hat er ihn am Schlawittchen, diesen Tausendsassa, der auf dem Umweg über die Dreigliederungsidee nicht die Diktatur des Proletariats errichten wollte, sondern die Diktatur der Eingeweihten, also seine eigene Diktatur, weil er sowieso der einzige Eingeweihte war!

Doch bevor wir diesem großartigen Enthüllungsscoop auf den Grund gehen, sehen wir uns die Behauptung an, Steiner habe das Geistesleben für den Kopf der Gesellschaft und deswegen dessen Eingreifen in das Wirtschafsleben für selbstverständlich gehalten.

Steiner sagt wörtlich das Gegenteil: Das Wirtschaftsleben ist der Kopf des sozialen Organismus!

»Wenn man so äußerlich Analogien bilden würde, dann würde man sagen: Wir haben die Dreigliederung des sozialen Organismus und die Dreigliederung des menschlichen Organismus. Der Kopf ist das geistige Organ, also muss man es vergleichen mit dem geistigen Leben des dreigliedrigen Organismus; das rhythmische System, das bringt Einklang zwischen den verschiedenen Funktionen als Herztätigkeit, als Atmungstätigkeit – also Rechtsteil des sozialen Organismus; den Stoffwechsel, das Gröbste, Materiellste, dasjenige, worauf der Mystiker mit einer gewissen Verachtung herabsieht, trotzdem auch er erklärt, dass er essen und trinken muss, den vergleicht man mit dem wirtschaftlichen Leben. Das ist aber nicht so!

Ich habe öfter darauf aufmerksam gemacht bei andern Gelegenheiten, dass die Dinge eben in Wirklichkeit anders liegen, als man nach bloßen Analogien glaubt, dass man zum Beispiel nicht sagen kann, die Sommerzeit lasse sich mit dem Wachzustand der Erde vergleichen und die Winterzeit mit dem Schlafzustand. Die Wahrheit ist eine andere. Im Sommer schläft die Erde, im Winter wacht sie.

Das habe ich ja in seinen Einzelheiten ausgeführt.

Aber so ist es auch, wenn man auf die Wirklichkeit und nicht auf Analogien geht, bei dem Vergleichen des sozialen Organismus mit dem menschlichen Organismus. Da muss man vergleichen just das Wirtschaftsleben im sozialen Organismus mit der menschlichen Kopftätigkeit; dasjenige, was Rechtsleben ist, das muss man allerdings – weil es das Mittlere ist, so haben sich die Leute auch nicht geirrt bei der Analogie – mit der rhythmischen Tätigkeit vergleichen. Aber das Geistesleben, das muss man vergleichen mit dem Stoffwechsel. Also das Wirtschaftsleben ist zu vergleichen mit den geistigen Organen, das geistige Leben im sozialen Organismus mit den Stoffwechselorganen. Da hilft nichts.

Das Wirtschaftsleben ist der Kopf des sozialen Organismus, und das geistige Leben ist Magen, Leber und Milz für den sozialen Organismus, nicht für den einzelnen individuellen Menschen. Das ist natürlich wieder viel zu unbequem, wenn man in spanischen Stiefeln steckt, dass man zu unterscheiden hat das soziale Leben und das Leben des einzelnen, des individuellen Menschen.

Hier kommt es abermals darauf an, durch Geisteswissenschaft vorbereitet auf die Wirklichkeit hinzusehen und nicht Analogien und vertrackte Symbolistik zu treiben. Dann kommt man schon auf mancherlei wichtige Dinge. Man kommt zum Beispiel darauf, dass man sich sagen kann: Ja, dann aber muss ja das Wirtschaftsleben, wenn es eigentlich der Kopf ist im sozialen Organismus, so wie der menschliche Kopf von dem übrigen Organismus zehren. Dann kann man nicht sagen, Sittlichkeit, Erkenntnis, religiöses Leben sei eine Ideologie, die aufsteigt aus dem Wirtschaftsleben. Nein, ganz im Gegenteil!

Das Wirtschaftsleben ist etwas, was abhängt von dem geistigen Leben, vom Stoffwechsel des sozialen Organismus, wie der menschliche Kopf abhängt vom Atmen, von Magen und Leber und Milz. Dann kommt man darauf, einzusehen, dass das Wirtschaftsleben dasjenige ist, was aufsteigt aus dem geistigen und religiösen Leben. Wenn der Mensch keinen Magen hätte, könnte er keinen Kopf haben. Gewiss könnte er auch keinen Magen haben, wenn er keinen Kopf hätte, aber schließlich wird der Kopf vom Magen genährt, und ebenso wird unterhalten das Wirtschaftsleben vom geistigen Leben und nicht umgekehrt.

Daher ist das ein Irrwahn, ein furchtbarer Aberglaube, der heute sich als sozialistische Theorie über die ganze zivilisierte Welt zu verbreiten droht, weil niemand darauf bedacht war in den letzten Jahrhunderten, die Wahrheit zu erforschen, sondern jeder nur aus den Emotionen heraus dasjenige als Wahrheit verkündigte, was ihm nach seiner Klasse und nach seinem Standpunkt angemessen war.

Jetzt erst sieht man ein, welcher Irrwahn es ist, die Produktionsverhältnisse als die Grundlage für das geschichtliche Geschehen anzusehen. Denn man kommt jetzt darauf, wirklich die Tatsachen zu vergleichen, nicht Analogien zu verbreiten. Man schaut jetzt in der richtigen Weise hin und sieht ein, dass, wenn der Stoffwechsel untergraben wird im menschlichen Organismus, der Kopf leidet, dass also jedes Mal, wenn das Ethische, das Religiöse, das Erkenntnisleben untergraben wird, im sozialen Organismus nicht ein gesunder Stoffwechsel wirkt und das Wirtschaftsleben dann zugrunde gehen muss. Vom Wirtschaftsleben hängt gar nichts ab, sondern primär hängt alles ab von Anschauungen, von Ideen, von dem geistigen Leben der Menschen.

Und so wie unser Kopf eigentlich fortwährend stirbt – ich habe das in andern Vorträgen ausgeführt –, so wie wir unseren Kopforganismus nur dadurch unterhalten, dass er in fortwährendem Absterben ist, gegen das sich der übrige Organismus auflehnt, so ist es mit dem Wirtschaftsleben. Das Wirtschaftsleben ist dasjenige, welches den geschichtlichen Fortgang der Menschheit fortwährend zum Absterben bringt, das nicht etwa das übrige aus sich hervortreibt, sondern nur den Tod von allem hervorbringt.

Und dieser Tod muss fortwährend wieder ausgeglichen werden durch dasjenige, was im geistigen Organismus hervorgebracht wird. Also gerade das Umgekehrte ist wahr. Wer im materialistischen Sinne behauptet, das Wirtschaftsleben sei die Grundlage von dem, was fortschreitet, sagt nicht das Wahre. Die Wahrheit ist, daß das Wirtschaftsleben die Grundlage dessen ist, was immer wiederum in Etappen abstirbt und dessen Absterben vom Geiste aus ausgeglichen werden muss. So vorzugehen, wie jetzt in Rußland vorgegangen wird, bedeutet, der Welt zum Absterben zu verhelfen. Es gibt keine andere Möglichkeit, wenn man in dieser Weise fortarbeitet, als der Welt zum Absterben zu verhelfen, aus dem einfachen Grunde, weil in dem, was man da verrichtet,  die Gesetzmäßigkeit des Absterbens drinnen  liegt.« (GA 197, Stuttgart, 24. Juni 1920, S. 83 f.)

Damit erledigt sich auch der zweite Teil des Zanderschen Irrwahns (»und deshalb das ›Eingreifen des Geisteslebens‹ in die Wirtschaft für selbstverständlich.«)

Doch wie verhält es sich mit der Verschwörung, eine Diktatur der Eingeweihten mit Hilfe des trojanischen Pferdes der Dreigliederung zu errichten?

Dazu müssen die Ausführungen Steiners, auf die Zander sich beruft, näher betrachtet werden. In der Tat ist Steiner der Auffassung, dass die Dinge und Wesenheiten, die jenseits der Schwelle des Alltagsbewusstseins liegen, nur von jemandem erforscht werden können, der diese Schwelle überschreitet. Wer die Biodiversität des Amazonasgebietes erforschen will, muss sich in dieses Amazonasgebiet begeben. Wenn er aber von seinen Forschungen berichtet und diese in eine verständliche Sprache kleidet, dann kann jeder sie verstehen. Er kann sogar aus seinen Beobachtungen Gesetze ableiten, die jeder verstehen kann, der diese Gesetze denkend nachzuvollziehen vermag.

Ebenso verhält es sich mit den Geheimnissen von jenseits der Schwelle. Diejenigen, die sie erforschen, werden sie in eine verständliche Sprache übersetzen und sofern dies geschieht, können sie auch verstanden werden. Und wer sich seines Verstandes bedient, kann diese Ideen nicht nur verstehen, er kann sie auch überprüfen.

»Diejenigen«, so Steiner, »die aus der Initiation etwas wissen über soziale Ideen«, haben die Verpflichtung, »diese sozialen Ideen der Menschheit mitzuteilen, und die Menschheit wird sich entschließen müssen dazu, über die Sache nachzudenken. Und durch Nachdenken, bloß durch Nachdenken mit Hilfe des gesunden Menschenverstandes, wird schon das Richtige herauskommen.« Nicht mehr also ist nötig, als über die sozialen Ideen – beispielsweise die Idee der sozialen Dreigliederung – nachzudenken. Entscheiden müssen die Menschen, die diese Ideen mit ihrem gesunden Menschenverstand prüfen, was sie damit anfangen wollen.

Bereits 1905 hat Steiner in seinem Aufsatz »Theosophie und soziale Frage« eine solche vollkommen nachvollziehbare Idee veröffentlicht, das sogenannte soziale Hauptgesetz:

»›Das Heil einer Gesamtheit von zusammenarbeitenden Menschen ist um so größer, je weniger der einzelne die Erträgnisse seiner Leistungen für sich beansprucht, das heißt, je mehr er von diesen Erträgnissen an seine Mitarbeiter abgibt, und je mehr seine eigenen Bedürfnisse nicht aus seinen Leistungen, sondern aus den Leistungen der anderen befriedigt werden.‹« Alle Einrichtungen innerhalb einer Gesamtheit von Menschen, welche diesem Gesetz widersprechen, müssen bei längerer Dauer irgendwo Elend und Not erzeugen. –

Dieses Hauptgesetz gilt für das soziale Leben mit einer solchen Ausschließlichkeit und Notwendigkeit, wie nur irgendein Naturgesetz in bezug auf irgendein gewisses Gebiet von Naturwirkungen gilt.« (GA 34, hier unter dem Titel Geisteswissenschaft und soziale Frage)

Was hat all dies mit der Errichtung einer Diktatur der Eingeweihten zu tun?

Die Ausführungen Steiners im Zusammenhang:

»Ich möchte sagen, in ihrer Urgestalt können die Dinge und Wesenheiten, die jenseits der Schwelle liegen, eben nur von demjenigen beobachtet werden, der diese Schwelle überschritten hat. Aber dieses Überschreiten der Schwelle ist ja ein wichtigstes Ereignis des persönlichen Lebens. Es ist auch ein Ereignis des persönlichen Lebens, das in ein besonderes Licht rückt, wenn man es, wie ich jetzt eben getan habe, in so nahe Beziehung zu bringen hat zu der sozialen Frage. Die soziale Frage, das deutet schon ihr Name an, ist eine Sache von Menschengruppen, Menschenzusammenhängen; das Geheimnis der Schwelle ist eine Sache der Individualität. Man kann sagen: Niemand ist eigentlich unmittelbar in der Lage, wenn er das Geheimnis der Schwelle kennt, es einem andern unmittelbar mitzuteilen. ...

So ist in gewisser Beziehung das Geheimnis der Schwelle individuelle Sache eines jeden einzelnen Menschen, und dennoch liegt die Notwendigkeit vor, dass von jenseits der Schwelle gerade die wichtigsten Ideen für das soziale Werden geholt werden. Heute ist es ja überhaupt mit dem Geheimnis der Schwelle so eine eigene Sache, denn heute ist wenig Vertrauen von Mensch zu Mensch. Das ist ja etwas, was furchtbar geschwunden ist unter den Menschen, das Vertrauen von Mensch zu Mensch, und es stünde um unser soziales Leben ganz anders, wenn nur ein wenig größeres Vertrauen von Mensch zu Mensch vorhanden wäre ...

Es wäre, wie Sie daraus ersehen können, diese Sache eine ziemlich hoffnungslose, wenn nicht etwas anderes der Fall wäre. Denn man könnte sagen: Also kann zum Beispiel die soziale Frage überhaupt nur von Initiierten gelöst werden. – Man wird aber den Initiierten aus dem Mangel an Vertrauen, das heute der Mensch dem Menschen entgegenbringt, eben einfach nicht glauben ...

Und wäre nicht etwas anderes der Fall, so wäre wirklich jene Hoffnungslosigkeit berechtigt, von der ich Ihnen gesprochen habe ...

Es ist ja heute so, dass dasjenige, was sozial fruchtbar ist an Ideen, eigentlich nur gefunden werden kann von den wenigen Menschen, welche sich gewisser spiritueller Fähigkeiten bedienen können, die die weitaus überwiegende Mehrzahl der Menschen heute nicht gebrauchen will, trotzdem sie in jeder Seele liegen ...

Aber diese wenigen, die werden sich die Aufgabe setzen müssen, dasjenige, was sie herausholen aus der geistigen Welt gerade mit Bezug auf soziale Ideen, mitzuteilen. Sie werden es übersetzen in die Sprache, in die eben die geistigen Wahrheiten, die in einer anderen Gestalt jenseits der Schwelle geschaut werden, übersetzt werden müssen, wenn sie populär werden sollen. Sie können populär werden, müssen aber zuerst in eine populäre Sprache übersetzt werden ...

Derjenige, der sich wirklich seines gesunden Verstandes, nicht des wissenschaftlich verdorbenen, aber des gesunden Menschenverstandes bedienen will, der kann jederzeit, wenn er auch nicht finden kann dasjenige, was nur der Initiierte finden kann, er kann es prüfen, er kann es am Leben erproben, und er wird es einsehen können, nachdem es gefunden ist. Und diesen Weg werden für die nächste Zeit die sozial fruchtbaren Ideen zu nehmen haben. Anders wird man nicht vorwärtskommen. Diesen Weg werden die sozial fruchtbaren Ideen zu nehmen haben. Sie werden da und dort auftreten. Man wird zunächst selbstverständlich, solange man nicht geprüft hat, solange man nicht seinen gesunden Menschenverstand darauf angewendet hat, jeden beliebigen marxistischen Gedanken mit einem Gedanken der Initiation verwechseln können. Aber wenn man vergleichen wird, nachdenken wird, wirklich den gesunden Menschenverstand auf die Dinge anwenden wird, dann wird man schon zu der Unterscheidung kommen, dann wird man schon einsehen, dass es etwas anderes ist an Wirklichkeitsgehalt, was aus den Geheimnissen der Schwelle von jenseits der Schwelle hergeholt wird, als dasjenige, was ganz aus der Sinnenwelt herausgeholt ist wie zum Beispiel der Marxismus ...

Diejenigen, die aus der Initiation etwas wissen über soziale Ideen, werden die Verpflichtung haben, diese sozialen Ideen der Menschheit mitzuteilen, und die Menschheit wird sich entschließen müssen dazu, über die Sache nachzudenken. Und durch Nachdenken, bloß durch Nachdenken mit Hilfe des gesunden Menschenverstandes, wird schon das Richtige herauskommen. Das ist so außerordentlich wichtig, dass das, was ich eben jetzt gesagt habe, wirklich angesehen werde als eine fundamentale Lebenswahrheit für die nächsten Zeiten, unmittelbar von der Gegenwart schon angefangen! ...

Man kann so etwas sagen; wenn die Menschen es nicht prüfen wollen, so werden sie es einfach nicht glauben. Aber an dem Unglauben an solche Dinge hängt das furchtbare Geschick der Gegenwart. Das ist ein solcher Richtsatz, den aufzunehmen außerordentlich wichtig ist für die Gegenwart und die nächste Zukunft.

Einen anderen Richtsatz finden Sie in der angefangenen Abhandlung über ›Theosophie und soziale Frage‹, die ich vor Jahren in ›Lucifer-Gnosis‹ veröffentlicht habe, einen Richtsatz, von dem ich mich überzeugt habe, dass er von den wenigsten Menschen mit dem vollen Gewicht genommen wird.

Ich habe da auf etwas aufmerksam zu machen versucht, was als ein soziales Axiom wirken soll. Darauf habe ich aufmerksam gemacht, dass schon einmal in jeglicher sozialer Struktur nichts Gedeihliches herauskommen kann, wenn das Verhältnis eintritt, dass der Mensch für seine unmittelbare Arbeit entlohnt wird. Soll eine gedeihliche soziale Struktur herauskommen, so darf das nicht sein  ... dass der Mensch bezahlt wird für seine Arbeit. Die Arbeit gehört der Menschheit, und die Existenzmittel müssen den Menschen auf anderem Wege geschaffen werden als durch Bezahlung seiner Arbeit. ...

Das ist es, was das notwendigste soziale Prinzip ist, dass das Erträgnis der Arbeit von der Beschaffung der Existenzmittel völlig getrennt wird, wenigstens auf einem gewissen Gebiete des sozialen Zusammenhangs. Solange nicht diese Dinge klar durchschaut werden, solange kommen wir zu nichts Sozialem ...

Denn gerade der Arbeitsertrag muss von der Beschaffung der Existenzmittel in einer gesunden sozialen Ordnung völlig getrennt werden. ... Und kein Ideal des sozialen Zusammenhanges, sondern der Widerpart des sozialen Zusammenhanges ist es, wenn dieser soziale Zusammenhang so ist, dass der Mensch nicht arbeitet für die Gesellschaft, sondern für sich. Das ist die Übertragung des unegoistischen Prinzips auf die soziale Ordnung.« (GA 185a, Dornach, 24.11.1918)

Laut Zander pflanzte Steiner seiner Kirchengründung die Theosophie ins Herz.

Auf S. 445-447 f schreibt Zander:

»Steiner pflanzte seiner Kirchengründung die theosophische Tradition ins Herz. Natürlich hat er keinen Katechismus geschrieben ... Gleichwohl hat er der Christengemeinschaft Identität verbürgende Lehren in die Gründungsvorträge eingeschrieben.«

Im Folgenden führt Zander 10 solche »Lehren« auf.

1. Das Übersinnliche. ... Also nicht primär Gott, sondern das Übersinnliche, nicht Glauben, sondern Wissen. Höhere Erkenntnis und nicht Tradition oder Bibel sollten ... das Herzgewächs der christengemeinschaftlichen Theologie bilden. Dass sie gleichwohl von Gott sprechen dürfe und er es auch selbst tat, was auch ein Zugeständnis Steiners, des Eingeweihten, an seine Kirchenchristen.

2. Der Christus. In der Christengemeinschaft sollte der göttliche Christus präsent sein, der menschliche Jesus war dem alten Steiner zu wenig ...

3. Der Kultus. Die Feier der Christengemeinschaft war vor allem ›Kultus‹ ... Er war für Steiner eine objektive Größe aus dem Jenseits der Geschichte.

4. Das Erleben. Kult war für Steiner nicht Denken, sondern ›das Erleben der unmittelbaren Gegenwart der geistigen Welt, der Anwesenheit der Götter‹ ...

5. Sakramente. ›Der Christus‹ sei in den Sakramenten wirkmächtig.

6. Objektivität. Die Sakramente deutete Steiner nicht als Zeichen, wie es markant in der reformierten Theologie geschieht, sondern als Wirkungen, die, über katholische Vorstellungen hinausgehend, unabhängig vom Individuum und seiner Zustimmung wirken sollten.

7. Hierarchie und Egalität. Eine Kirche, der eingeweihte Priester vorstehen, verträgt keine demokratischen Verfahren.

8. Dogmenfreiheit. Die Priester sollten, wie alle Anthroposophen ... und auch Laienmitglieder der Christengemeinschaft, Dogmenfreiheit genießen ...

9. Selbsterlösung. ›Erlösung oder Selbsterlösung, das ist das aut – aut‹ ... dekretierte Steiner.

10. Apokalypse. ... Es sei »eine objektive Erkenntnis der Tatsachen: Dass die Kirchen dem Untergang geweiht sind. Außer die katholische Kirche natürlich, die eben weiter bekämpft werden muss.‹«

Die Christengemeinschaft war, wie bereits bemerkt, nicht Steiners Kirchengründung. Es ist nicht zu eruieren, inwiefern die von Zander aufgezählten 10 Punkte  spezifische Lehren der Theosophie enthalten sollen. Als »Lehren« oder »Dogmen« der Christengemeinschaft lässt sich dieses völlig unsystematische Sammelsurium jedenfalls nicht erkennen, ganz abgesehen davon, dass die Rede von Lehren oder Dogmen auch Punkt 8, der von Zander zugestandenen Dogmenfreiheit, widerspräche.

Zu Punkt 1.

Steiner hielt es mit dem Wort »Gott« gemäß dem zweiten Gebot Mose:

»Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht eitel im Munde führen; denn der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen eitel im Munde führt.«

Er hat sich sogar explizit auf dieses Gebot berufen:

»Wer immerfort auf der Zunge den Ruf führt ›Herr, Herr‹ oder ›Christus, Christus‹, der braucht noch nicht ein richtiger Christ zu sein. – Der Anthroposophie wirft man oftmals vor, dass sie weniger als die äußeren Religionsbekenntnisse von Christus spricht. Ich sage dann oftmals zu denjenigen, die der Anthroposophie vorwerfen, dass sie weniger von dem Christus spricht: Aber es gibt ein altes Gebot, das auch von den Christen anerkannt wird, aber beim ewigen Reden von dem Christus nicht berücksichtigt wird: ›Du sollst den Namen deines Gottes nicht eitel aussprechen.‹ Das ist eines der Zehn Gebote.

Wer immerfort von dem Christus nur spricht, ihn immerfort im Munde führt, sündigt wider die Heiligkeit des Christus-Namens.

Anthroposophie möchte in alledem, was sie tut und ist, christlich sein. Daher kann man ihr den Vorwurf nicht machen, dass sie zu wenig von dem Christus spricht, denn das Bewusstsein, dass der Christus lebt, ist in allem, was sie bringt. Und sie will nicht immer ›Herr, Herr‹ auf den Lippen führen, sie will um so mehr christlich sein, je weniger sie fortwährend von Christus reden will.« (GA 226, Kristiania, 21. Mai 1923)

Zu Punkt 2.

»Der menschliche Jesus war dem alten Steiner zu wenig«. Ein blasphemische Aussage nicht gegenüber Steiner, sondern gegenüber Christus, auch aus dem Munde eines Katholiken. Kann sich denn der Katholik mit dem menschlichen Jesus begnügen? Ruht nicht die Kirche auf dem Fels des Gottessohnes der Mensch geworden ist, der den Tod auf sich genommen hat und am dritten Tage von den Toten auferstanden ist, um aufzufahren in den Himmel und seinen Sitz einzunehmen auf dem Thron zur Rechten des Vaters? Dass man eine Jesuitengemeinschaft auf Jesus begründen kann ist klar, aber kann man eine »Christengemeinschaft« auf dem menschlichen Jesus begründen?

Zu Punkt 3.

Der Kultus war für Steiner eine »objektive Größe aus dem Jenseits der Geschichte«. Ist das als Vorwurf gemeint? Wäre das Gegenteil, ein Kultus aus dem Diesseits, als rein menschliche Erfindung, etwa vorzuziehen? Versteht denn die katholische Kirche ihren Kultus als menschliche Erfindung? Wurde er nicht durch Christus selbst mit den Worten eingesetzt: »Nehmt, das ist mein Leib. Das ist mein Blut des neuen Bundes, das für viele vergossen wird.« Vollzieht sich im katholischen Kultus etwa nicht die Wandlung von Brot und Wein in Fleisch und Blut Christi? Nimmt der Gläubige nicht durch die konsekrierte Hostie den Leib Christi in sich auf und vereinigt sich mit diesem?

Zu Punkt 4.

»Kult als Anwesenheit der Götter«. Die Quelle dieser Äußerung ist schleierhaft. Wie verstand Steiner den Kultus?

»Dasjenige, was sich in den Kultformen, seien sie nun gegeben in der Zeremonie, seien sie gegeben im Worte, ausspricht, das ist ein Abbild von wirklichen Erlebnissen; allerdings nicht von wirklichen Erlebnissen, die hier auf der Erde durchgemacht worden sind, sondern von wirklichen Erlebnissen in jener Welt, die der Mensch in seinem vorirdischen Dasein durchmacht, wenn er auf dem zweiten Teile des Weges zwischen dem Tode und einer neuen Geburt ist, aus jener Welt, die der Mensch durchschreitet von jenem Zeitpunkte, der da liegt in der Mitternachtsstunde des menschlichen Daseins zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, bis zum Herabsteigen zum Erdenleben.

In dem Gebiete, das da der Mensch durchmacht, liegt die Welt, liegen die Ereignisse, liegen die Wesenhaftigkeiten, die ein wirkliches Abbild finden in den echten, wahren Kultformen.

Was empfindet daher derjenige, der den Kultus miterlebt, mit dem andern, mit dem er von irgendeinem Karma zusammengeführt wird – und das Karma ist so verwickelt, dass man durchaus überall Karma voraussetzen darf, wo wir mit Menschen zusammengeführt werden?

Gemeinsame Erinnerungen an das vorirdische Dasein erlebt er mit ihm zusammen. Das taucht in den unterbewussten Tiefen der Seele auf. Wir haben, bevor wir zur Erde heruntergestiegen sind, zusammen eine Welt durchlebt, die hier im Kultus vor unserer Seele auf Erden steht.

Das ist eine mächtige Bindung, das ist ein wirkliches Hereinholen nicht nur der Bilder, sondern der Kräfte der übersinnlichen Welt in die sinnliche. Das ist aber ein Hereinholen derjenigen Kräfte aus der übersinnlichen Welt in die sinnliche, die den Menschen intim angehen, die verbunden sind mit den intimsten Hintergründen der menschlichen Seele.

Deshalb bindet Kultus, weil im Kultus heruntergetragen ist aus den geistigen Welten dasjenige, was Kräfte dieser geistigen Welten sind, weil der Mensch das in seinem Erdenleben vor sich hat, was überirdisch ist. Nicht hat er es vor sich in dem rationalistischen Worte, das das Vergessen an die geistige Welt bewirkt, auch in den unterbewussten Seelengründen, sondern er hat es vor sich in dem lebendigen Bild, das kraftdurchsetzt ist, das nicht bloß Sinnbild, das nicht totes Bild, das Kraftträger ist, weil er dasjenige vor sich hat, was zu seiner geistigen Umgebung gehört, wenn er nicht im irdischen Leibe ist.

Eine umfassende, ins Geistige hinüberzielende gemeinsame Erinnerung, das ist es, was die gemeinschaftsbildende Kraft des Kultus ist.« (GA 257, 27.02.1923)

Zu Punkt 5.

›Der Christus‹ sei in den Sakramenten wirkmächtig.

Wer wirkt denn in den Sakramenten gemäß den Vorstellungen der katholischen Kirche? Wenn im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes getauft wird, wer wirkt in diesem Sakrament?

Zu Punkt 6.

Die Sakramente seien nicht bloß Zeichen, wie in der reformierten Theologie, sondern als Wirkungen, die, über katholische Vorstellungen hinaus, unabhängig vom Individuum und seiner Zustimmung wirken sollen.

Was nun? Hat Zander diese Frage autoritativ so entschieden, dass beide Interpretationen, über die sich die beiden Großkirchen entzweiten, gleich wahr sind? Und lehrt die katholische Kirche nicht, dass die Sakramente »ex opere operato« wirksam sind, das heißt, unabhängig von der persönlichen Verfassung oder Seelenhaltung des Priesters?

Zu Punkt 7.

Die Priester der Christengemeinschaft sind nicht »eingeweiht«, sondern »geweiht«. Und werden die Priester der katholischen Kirche etwa gewählt?

Zu Punkt 8.

Soll die Dogmenfreiheit etwa ein Vorwurf sein?

Zu Punkt 9.

Wenn man der Frage nach Erbsünde, Gnade und Erlösung nachgeht, wie sie von Steiner im zweiten Theologenkurs behandelt wird, offenbart sich, wie grauenhaft verlogen Zander auch mit den heiligsten Fragen des christlichen Lebens umgeht.

Sehen wir uns seine Behauptungen im einzelnen an.

Erlösung oder Selbsterlösung: das ist das entweder – oder.

In Wirklichkeit sagt Steiner das Gegenteil:

»Erlösung oder Selbsterlösung, das ist das aut-aut, das eben auftritt. Man glaubt, man könne die Anthroposophie einfach als unchristlich bezeichnen, weil man meint, sie müsse von einer Selbsterlösung des Menschen sprechen. Nun, die Sache liegt nicht so. Dieses aut-aut ist eigentlich für die Anthroposophie gar nicht so, wie man es annimmt, vorhanden.« (GA 343, 4. Oktober 1921, Dornach 1993, S. 334)

»Um dieser Erbsünde entgegenzuwirken, meine lieben Freunde, da gibt es keine Selbsterlösung, da gibt es eben nur die Erlösung durch den Christus, die Erlösung durch den Anblick des durch das Mysterium von Golgatha gehenden Christus ...

So, meine lieben Freunde, kann es keine andere Erlösung von der Erbsünde geben als diejenige durch den Christus Jesus; die anderen Sünden sind Folgesünden. Die individuellen Sünden werden von dem Menschen begangen, weil er eben durch die Erbsünde schwach sein kann, zur Sünde hinneigen kann. Diese individuellen Sünden finden ihren Ausgleich in dem, was durch Selbsterlösung erreicht werden muss; sie müssen durch Selbsterlösung im Verlaufe des irdischen oder überirdischen Lebens ausgeglichen werden. Dasjenige aber, was die Ursünde ist, die Mutter aller übrigen Sünden, das konnte nur durch die Erlösungstat des Christus aus dem Menschengeschlechte herausgenommen werden.« (GA 343, 5. Oktober 1921, Dornach 1993, S. 400-402)

Auch wenn es so scheint, als würde Steiner hier die »Selbsterlösung affirmieren«, scheint es nur so, denn er fährt fort:

»Erlösung von der Erbsünde bedeutet, ein solches Verhältnis zu dem historischen Christus zu haben, der durch das Mysterium von Golgatha gegangen ist, dass dieses Verhältnis auf geistig-seelische Art ebenso wahr durch unsere Adern pulst, wie auf physische Art das Blut durch unsere Adern pulst.

Das ist die Kraft, das ist die Stärke, die man die Glaubenskraft und die Glaubensstärke nennen kann. Nicht einen abstrakten Begriff soll man suchen für den Glauben, sondern diese Stärke, diese Kraft soll man suchen für den Glauben. Glauben heißt, in seiner Seele zu dem Christus hin eine solche Stärke und eine solche Kraft zu finden, dass diese seelische Kraft, diese seelische Stärke so groß ist wie dasjenige, was die Blutsbande in uns bewirken können. Dann finden wir den Weg zu dem einheitlichen Christus der ganzen Menschheit, zu jenem einheitlichen Christus, der durch das Ereignis von Golgatha auch die wirkliche objektive Ursache für jeden subjektiven Erlösungsvorgang ist.

Dann aber suchen wir nicht mehr in äußeren Zeichen den Erlösungsvorgang, dann suchen wir im Gegenteil auch durch die Sakramente dasjenige, was die reale Beziehung der Menschenseele zu dem Christus ist ...

Dann suchen wir auch nicht auf eine abstrakte oder mystische Art ein Verhältnis zu einem Christus, der uns entschwindet, dann gründen wir im Menschengeist und im Menschenherzen und im Ganzmenschlichen ein wahlverwandtschaftliches Verhältnis zu dem Christus, wie wir ein blutsverwandtschaftliches Verhältnis haben zu dem Leben des Vatergottes, insofern sich dieses Leben eben in dem Blute der Menschheit, das heißt in dem Lebensschöpferischen der Menschheit auf dem physischen Gebiete ausdrückt.

Damit habe ich versucht, die subjektive Seite des Erlösungsgedankens vor Sie hinzustellen. Ich glaube nicht, dass man in der heutigen Zeit aus anderen Voraussetzungen, aus anderen Antezedenzien heraus zu einem objektiven Verstehen des subjektiven Erlösungsgedankens kommen kann. (GA 343, 5. Oktober 1921, Dornach 1993, S. 404-405)

Auch wenn also der Mensch das seinige dazu beitragen muss, sich von den Sünden zu entsühnen, die er begangen hat, so ist die Voraussetzung dieser Möglichkeit seines subjektiven Beitrags, also der sogenannten Selbsterlösung, die objektive Tatsache der Erlösung der Menschheit durch Christus.

Zu Punkt 10.

»Die Kirchen sind dem Untergang geweiht, außer die katholische, die deshalb bekämpft werden muss.«

Zander verweist hier auf den obskuren Raubdruck des ersten Priesterzyklus aus den 1980er Jahren und erwähnt im Vorbeigehen, der Text in GA 342 weiche davon »leicht ab«. Die »leichte Abweichung« besteht darin, dass Steiner in GA 342 nirgends davon spricht, die katholische Kirche müsse bekämpft werden!

Der Text stammt aus einer Diskussion, in der Steiner die Frage eines Teilnehmers beantwortet. Der Kontext ist der folgende:

Steiner führt zu einer früheren Frage aus:

»Und so glaube ich allerdings, dass diejenigen, die dadurch, dass sie theologische Studien durchgemacht haben und die Möglichkeit haben, als Priester zu wirken, das auch tun sollten. Es ist schon notwendig, dass gerade derjenige, der Theologie studiert hat, als Priester wirken sollte, weil wir das so notwendig brauchen.«

Ein Teilnehmer wirft ein: » ... dann aber auch innerhalb der Kirche?«

Steiner antwortet: »Innerhalb der Kirche? Ich möchte doch bei diesem bleiben, was ich gesagt habe. Man kann innerhalb der Kirche bleiben, wenn man die Mitglieder von jetzigen kirchlichen Gemeinschaften allmählich herausführen kann; man kann also sich der Begründung von freien Gemeinden zuwenden. Ich glaube ja nicht, dass die Kirche als solche in irgendeiner Form reformiert, regeneriert werden kann, das ist nicht der Fall. Die Kirchengemeinschaft ist so korrumpiert, dass wir nur darauf rechnen können, dass man die ... [lückenhafte und unverständliche Wiedergabe des Textes in der Nachschrift] herausführt und mit ihnen etwas Neues gründet... [weitere Lücke]. Dagegen an eine Reform der Kirche selbst zu denken, da darf ich schon sagen – das ist nicht bloß meine Meinung, sondern das ergibt eine objektive Erkenntnis der Tatsachen –, dass diese Kirchengemeinschaften dem Untergang geweiht sind. Außer der katholischen Kirche natürlich, die eben weiter so begriffen werden muss, dass sie durchaus nicht dem Untergang geweiht ist, weil sie mit ausgebreiteten Mitteln arbeitet und daher als etwas ganz anderes angesehen werden muss.« (GA 342, Besprechung Stuttgart, 13. Juni 1923)