Zanders Essay über Steiners »Rassentheorien« krankt an einem grundlegenden Missverständnis: der Projektion des biologistischen Rassenbegriffs des 20. Jahrhunderts in den theosophischen Rassenbegriff.

Auf S. 241-242 schreibt Zander:

Seine |Steiners] Rassentheorien, die er praktisch vollständig nach seinem Eintritt in die Theosophische Gesellschaft im Jahr 1900 formulierte, sind in diese Kosmologie eingebaut: Die Rassen werden als materialer Teil der Evolution des Geistigen verstanden, wobei es, auch hier folgt Steiner der theosophischen Tradition, zu einer Hierarchisierung von Rassen, von »keimenden« (GA 104, 89), also von blühenden und absterbenden Völkern kommt, Wertungen, die weitgehend kongruent mit denjenigen Blavatskys sind. In diesem theosophischen Horizont beschreibt er detailliert die »planetarischen« Runden der Kosmogenese und benennt darin auch minutiös die Rassen der Weltgeschichte, die sich am leichtesten in einem tabellierten Überblick erfassen lassen:

1. Saturnzustand

2. Sonnenzustand

3. Mondenzustand

4. Erdenzustand

– (1.) polarische Wurzelrasse

– (2.) hyperboräische Wurzelrasse

– (3.) Lemurier

– (4.) Atlantier

– Rmoahls [sic! müsste heißen: »Rmoahals«]

– Tlavatli-Völker

– Tolteken

– Ur-Turanier

– Ur-Semiten

– Akkadier

– Mongolen.

– (5.) arische (GA 11,32) oder nachatlantische Wurzelrasse

– Altindische Unterrasse (7227-5067 v.Chr.)

– Urpersische Unterrasse (5057-2907 v.Chr.)

– Ägyptisch-chaldäische Unterrasse (2907-747 v.Chr.)

– Griechisch-lateinische Unterrasse (747 V.-1413 n.Chr.)

– Fünfte nachatlantische Unterrasse (1413-3573 n.Chr.) -> die zukünftige Unterrasse (3573-5733 n.Chr.)

– weitere nachatlantische Untertassen [sic! müsste heißen »Unterrassen«] (5733-7893 n.Chr.)

– (6.) zukünftige nachatlantische Wurzelrasse

– (7.) weitere nachatlantische Wurzelrasse.

5. Jupiterzustand

6. Venuszustand

7. Vulkanzustand

Aus dem theosophischen Hintergrund stammt die Struktur dieses Modells: die Planetenzustände und die Differenzierung in Wurzel- und Unterrassen sowie die Spezifizierung der Rassen in Untergruppen zu jeweils sieben Einheiten gibt es schon bei Blavatsky und Sinnet, die Parallelisierung von Bewusstseinsfortschritten im Fortgang der planetarischen Verkörperungen ebenfalls.«

Die von Blavatsky stammenden Begriffe der »Wurzelrassen« (»rootraces«) und »Unterrassen« (»subraces«) stellen schlimmstenfalls einen terminologischen Missgriff dar. Denn diese sogenannten Rassen haben gar nichts mit den biologischen Menschenrassen des 20. Jahrhunderts zu tun. Es handelt sich um Vorfahren der heutigen Menschheit, die nur weit entfernt, wenn überhaupt, mit dieser verwandt sind. Statt von »Rassen« wäre es angemessener, von »Wesensarten« oder von Zeiträumen zu sprechen, wie Steiner dies später getan hat, in denen sich bestimmte Wesensarten entwickelten.

Dies zeigt schon ein oberflächlicher Blick in die Charakterisierungen der sogenannten Wurzelrassen durch Blavatsky. Dasselbe gilt für Steiner.

In ihrer »Geheimlehre« schrieb Blavatsky über die ersten vier »Wurzelrassen«:

»Die Menschen waren während der ersten und zweiten [Wurzel-]Rasse keine physischen Wesen, sondern bloße Rudimente der zukünftigen Menschen; Bhutas, die aus Bhutadi hervorgingen, dem Ursprung oder dem Ursprungsort, aus dem die Elemente entsprangen.« (S. 114)

»Für die ersten dreieinhalb Wurzelrassen finden wir die astralen Schatten der Vorfahren, der lunaren Pitri, als die gestaltenden Kräfte in den Rassen, die die körperliche Form bilden und sie allmählich zur Vollendung treiben ... « (S. 116)

»Die erste Menschen[wurzel]rasse bestand also einfach aus den Bildern, den astralen Doppelgängern ihrer Väter, die die Bahnbrecher oder die am meisten vorgeschrittenen Wesenheiten aus einer vorhergehenden, jedoch niedrigeren Sphäre waren, deren Schale jetzt unser Mond ist.« (S. 121)

»... diese ungeschlechtliche [Wurzel-]Rasse, die zweite [Wurzel-Rasse], die Väter der Schweißgeborenen ... die dritte [Wurzel-]Rasse, die eigeborenen Androgynen ...« (S. 122-123)

» ... nachdem die erste  [Wurzel-]Rasse die zweite [Wurzel-Rasse] durch Knospung erschaffen hat ... bringt die zweite die dritte hervor, die selbst in drei verschiedene Abteilungen zerfällt, die aus verschiedenartig erzeugten Menschen bestehen. Die ersten zwei von diesen sind hervorgebracht auf eine ovipare Art ...

Während die ersten Unterrassen der dritten Menschheit ihre Art durch ein gewisses Ausschwitzen von Feuchtigkeit und Lebensflüssigkeit fortpflanzten, deren zusammenrinnende Tropfen eine eiförmige Kugel bildeten ..., änderte sich bei den späteren Unterrassen die Fortpflanzungsart ... Die Kleinen der früheren Unterrassen waren gänzlich geschlechtslos ... jene der späteren Unterrassen wurden androgyn geboren. In der dritten [Wurzel-]Rasse fand die Trennung der Geschlechter statt. Die Menschheit war zuerst ungeschlechtlich, wurde dann hermaphroditisch oder doppelgeschlechtlich, und schließlich begannen die Menschen enthaltenden Eier allmählich ... Wesen hervorzubringen, in denen ein Geschlecht das andere überwog und schließlich männliche und weibliche Individuen mit nur einem Geschlecht.«

»Zuerst kommen die Selbstexistierenden auf diese Erde ... Aus diesen gehen hervor:

1. die erste [Wurzel-]Rasse, die ›Selbstgeborenen‹, die die (astralen) Schatten ihrer Vorfahren sind. Der Körper war bar allen Verstandes. Das innere Wesen (die Monade) war zwar innerhalb der irdischen Gestalt, aber nicht mit ihr verbunden.

2. Aus der ersten [Wurzel-]Rasse ging hervor die zweite, genannt die ›Schweißgeborenen‹ und die ›Knochenlosen‹. Diese ist die zweite Wurzelrasse, begabt von den Erhaltern (Rakshasas) und den inkarnierenden Göttern (den Asuras und Kumaras) mit dem ersten ursprünglichen und schwachen Funken (dem Keim der Intelligenz).

Aus diesen geht ihrerseits hervor:

3. die dritte Wurzelrasse, die ›Zweifältigen‹ (Androgynen). Die ersten Rassen derselben waren Schalen, bis schließlich die letzte von den Dhyani ›bewohnt‹ (beseelt) wird.« (S. 174)

»Jene dritte und heilige [Wurzel-]Rasse bestand aus Menschen, die auf ihrem Höhepunkt beschrieben wurden als ›gewaltige Riesen von göttlicher Stärke und Schönheit und Verwahrer aller Geheimnisse von Himmel und Erde.‹« ... (S. 181)

»Mit der vierten [Wurzel-]Rasse erreichen wir die rein menschliche Periode. Jene, die bisher halbgöttliche Wesen waren, selbst eingekerkert in Körper, die nur dem Anschein nach menschlich waren, wurden physiologisch verändert und nahmen sich Weiber, die gänzlich menschlich und schön anzusehen waren, aber in denen sich niedrigere materiellere Wesen, wenn auch siderische Wesen verkörpert hatten.« (S. 297)

»Die arischen Rassen zum Beispiel, die jetzt von dunkelbraun, beinahe schwarz, rot-braun-gelb bis hinab zur weißesten Milchfarbe variieren, sind nichtsdestoweniger alle von ein und demselben Stamm, der fünften Wurzelrasse, und entspringen aus einem einzigen Vorfahren, der in der indischen Exoterik den generischen Namen Manu Vaivasvata trägt. Der letztere ist ... jene generische Persönlichkeit, der Weise, der vor mehr als 18 Millionen Jahren gelebt haben soll und auch vor 850.000 Jahren, zur Zeit des Versinkens der letzten Überreste des großen atlantischen Kontinents, und der auch jetzt noch in seiner Menschheit leben soll.« (S. 259-261)

Die »erste Wurzelrasse« bestand also laut Blavatsky aus »astralen Schatten« und war bar allen Verstandes.

Die »zweite Wurzelrasse« bestand aus »schweißgeborenen« und »knochenlosen« Wesen.

Die »dritte Wurzelrasse« bestand aus »gewaltigen Riesen von göttlicher Stärke und Schönheit, und pflanzte sich durch »Ausschwitzen von Feuchtigkeit und Lebensflüssigkeit fort«, »deren zusammenrinnende Tropfen eine eiförmige Kugel bildeten« Diese »war zuerst ungeschlechtlich, wurde dann hermaphroditisch oder doppelgeschlechtlich« Aus diesen hermaphroditischen Wesen entwickelte sich die Zweigeschlechtlichkeit.

In der »vierten Wurzelrasse« verkörperten sich siderische (also himmlische) Wesen, von niederer materieller Art.

Die »fünfte Wurzelrasse«, die »arische«, die von dunkelbraun, beinahe schwarz, rot-braun-gelb bis hinab zur weißesten Milchfarbe variiert, stammt aus einem einzigen Stamm und entspringt aus einem einzigen Vorfahren. Die atlantischen Vorfahren der Menschheit gingen in einer globalen Flut unter und eine neue Menschheit, die fünfte,  »arische Wurzelrasse«, entstand aus einem Vorfahren.

Bei Steiner bestanden die ersten beiden Phasen der Erdentwicklung, Polaris und Hyperboräa, aus Feuer- und Gaszuständen, innerhalb derer die primitiven »Vorfahren der heutigen Menschheit« in ebensolcher Form existierten (das heißt als wärme- und gasförmige Wesen, nicht aber in flüssigem oder festem Zustand).

Über die polarischen Wesen führt Steiner aus: »Die Erde war eine große Ätherkugel, viel, viel größer als unsere heutige Erde, umgeben von geistiger Substanz, und in dieser geistigen Substanz waren enthalten die zukünftigen Menschenseelen. Unten in der dünnen Materie der Ätherkugel war etwas Dichteres vorhanden, nämlich Millionen von schalenförmigen Gebilden. Das waren die ... Menschenkeime« (Steiner 1906/1970, GA 95, S. 92).

Über die hyperboräischen: Diese zweite »Wurzelrasse« pflanzte sich eingeschlechtlich (hermaphroditisch) fort und glich, wie die Tiere und Pflanzen dieser Zeit, Quallen und Algen (Steiner 1906/1970, GA 95, S. 94). Dieser »Menschenvorfahr« war eine hermaphroditische Qualle mit Augen.

Selbst noch die Beschreibungen der physischen Eigenschaften der atlantischen Menschheit lassen keinen Vergleich mit irgendeiner heutigen »Rasse« zu:

Während der atlantischen Zeit »da konnten wir Menschen ... nur solche weichen Knorpel haben wie heute die Haifische. Und durch Lungen konnte man auch nicht so atmen wie heute. Da musste man eine Art von Schwimmblasen haben und eine Art von Kiemen; so dass also der Mensch, der da lebte, seiner äußerlichen Gestalt nach halb Mensch und halb Fisch war ...

Da kommen wir in eine Zeit zurück, wo es weder die heutigen Menschengestalten gegeben hat, noch heutige Elefanten, noch Rhinozerosse, noch Löwen, noch Kühe, noch Ochsen, noch Stiere, keine Kängurus; alles das hat es noch nicht gegeben. Dagegen hat es, könnte man sagen, fischähnliche Tiere gegeben – nicht so wie die heutigen Fische, schon menschenähnlich –, halb menschenähnliche, halb fischähnliche Tiere ...

Das hat es also gegeben. All die heutigen Gestalten von Tieren hat es nicht gegeben. Dann hat sich die Erde allmählich verwandelt in die Gestalt, wie sie heute ist ... Die mehr unvollkommenen dieser Fischmenschen wurden Kängurus, die ein bisschen vollkommeneren wurden Hirsche und Rinder, und diejenigen, die am vollkommensten waren, wurden Affen oder Menschen ... So dass man vielmehr sagen kann, der Affe stammt vom Menschen ab, als der Mensch stammt vom Affen ab ...

Die ... alten Atlantier, die hatten in ihrem wässrigen Kopf gerade eine sehr hohe Stirne, und dann kam, als dies zurückging, zuerst die niedrige Stirn, und die wuchs sich nach und nach wiederum aus zu den höheren Stirnen. Das ist eben eine Zwischenzeit, wo die Menschen so waren wie der Neandertalmensch ...« (Steiner 1924, GA 354, S. 65-69).

Zwischen den atlantischen Menschen und den heutigen gibt es keinerlei Ähnlichkeit. Steiner spricht von einer vorgeschichtlichen Zeit. Die damals lebenden Wesen hatten mehr Ähnlichkeiten mit solchen Kreaturen, die man als »gemeinsame Vorfahren« der heutigen Tier-und Menschenwelt in längst vergangenen geologischen Perioden bezeichnen kann. Die einzige Beziehung zur gegenwärtigen Entwicklungsepoche ist der Neandertaler, aus dem die heutige Menschheit jedoch nicht hervorgegangen ist.

Aus der fünften Unterrasse der atlantischen Zeit, den »Ursemiten«, ging laut Steiner die »fünfte Wurzelrasse«, die »arische« oder »kaukasische« hervor:

»Die fünfte Unterrasse, die wir die Ursemiten nennen und die ihren Hauptsitz in dem heutigen Irland hatten, bildete die erste Keimanlage für unsere gegenwärtige kaukasische oder, wie wir sie auch in der Geisteswissenschaft nennen, arische Menschenrasse.« (GA 54, Berlin, 9. November 1905)

»Diese fünfte Wurzelrasse wird gewöhnlich die arische Rasse genannt und umfasst als erste Unterrasse die alte indische Rasse, welche sich auf dem Boden Südasiens entwickelte ...

Nachher finden wir in Vorderasien die altpersische Rasse, die ihre Religionslehren und ihre Kultur von Zarathustra erhalten hat. Nur Nachklänge davon sind die späteren Zarathustra-Kulturen Asiens. Dann finden wir als dritte Unterrasse die ägyptisch-chaldäisch-babylonisch-assyrischen Volksstämme, aus denen sich nach und nach die semitisch-jüdische Kultur entwickelt. Dann geht als vierte Unterrasse hervor die griechisch-lateinische Kultur in Südeuropa, bis zum Aufgange der germanischen Völker in Nord-, Mittel- und Westeuropa. Zwei weitere folgen noch. Sieben Unterrassen bilden zusammen eine Wurzelrasse.« (GA 93 a, Berlin, 26.Oktober 1905) –

Aber diese »Unterrassen« der nachatlantischen Zeit kann man nicht mehr als »Rassen« (im Sinne der atlantischen »Rassen«, die wiederum mit jenen der Rassenbiologie des 20. Jahrhunderts nichts zu tun hatten) bezeichnen, sondern man muss von »Kulturen« oder Kulturzeiträumen sprechen (siehe weiter unten) Die atlantischen Menschen (oder Rassen) sind heute auf der Erde nirgends mehr zu finden:

»In dem atlantischen Zeitalter konnte der Mensch die Lebenskraft beherrschen. In der lemurischen Zeit gehörte es zu den Kräften des Menschen, die tierischen Samenkräfte zu beherrschen, und es kam sogar dazu, dass der Mensch, der Lemurier, diese tierischen Samenkräfte dazu verwandte, tierische Formen in menschliche umzuwandeln. Mit jeder solchen magischen Wirkung des Menschen auf die Samenkräfte ist verbunden eine Einwirkung, eine Entfesselung der Feuerkräfte. Wenn nun solcher Wille böse wird, dann werden die schlimmsten Kräfte der schwarzen Magie entfaltet und aufgerufen. Und heute noch werden die schlimmsten Kräfte auf der Erde dadurch entfesselt, dass schwarze Magier Unfug treiben mit solchen Kräften, die im allgemeinen der Menschheit entzogen sind. Kräfte sind das, gewaltige und heilige, die in den weisen Händen würdiger Lenker zum höchsten und reinsten Dienste der Menschheit verwendet werden können.

Der Mensch verliert jetzt allmählich die Fähigkeit, seinen Leib zu formen. Knorpel und Knochen, die harten Teile gliedern sich ein, und immer ähnlicher wurde der Mensch seiner heutigen Gestalt. ... Es ist daher begreiflich, dass für den Forscher der alte Atlantier nicht zu finden ist.« (GA 109, 10. Juni 1909)

Was hat es für einen Sinn, von einer »Rassentheorie« im biologistischen Sinn zu sprechen, wenn die meisten der genannten »Rassen« überhaupt nicht mehr auf der Erde zu finden sind?

In der nachatlantischen Zeit, seit Beginn der urindischen Kulturepoche (etwa dem 8. Jahrtausend vor Christus) stellt aber die Entwicklung von Kulturen das treibende Prinzip der Entwicklung dar. Alles, was von atlantischen Rassen noch übrig geblieben ist, stellt lediglich ein »Überbleibsel« dar und wird durch die Kulturentwicklung überformt.

»Was wir heute Rassen nennen, das sind nur noch Überbleibsel jener bedeutsamen Unterschiede der Menschen, wie sie in der alten Atlantis üblich waren. So recht anwendbar ist der Rassenbegriff nur auf die alte Atlantis. Daher haben wir, da wir rechnen mit einer wirklichen Entwickelung der Menschheit, für die nachatlantische Zeit gar nicht den Begriff der Rasse im eminentesten Sinne gebraucht. Wir sprechen nicht von einer indischen Rasse, persischen Rasse und so weiter, weil das nicht mehr richtig ist. Wir sprechen von einem altindischen Kulturzeitraum, von einem altpersischen Kulturzeitraum und so weiter.« (GA 117, München, 4. Dezember 1909)

Zander projiziert in wertfreie, ontologische Aussagen moralische Wertungen hinein.

Auf S. 241 schreibt Zander:

» ... folgt Steiner der theosophischen Tradition, zu einer Hierarchisierung von Rassen, von ›keimenden‹ (GA 104, 89), also von blühenden und absterbenden Völkern kommt, Wertungen, die weitgehend kongruent mit denjenigen Blavatskys sind.«

Die Aussage, es gebe »aufblühende« und »absterbende« Völker, in ihrer Jugendzeit oder ihrem späten Alter stehende Völker, stellt keine moralische Wertung, sondern lediglich eine Beschreibung, eine Aussage über eine mögliche Eigenschaft eines Volkes dar.

Wenn man sagt, die alten Sumerer oder alten Ägypter hätten als Völker unterschiedliche Entwicklungsphasen durchlaufen, eine Jugendzeit, eine Reifezeit und seien schließlich ab- oder ausgestorben, ist dies eine ontologische Aussage, die empirisch überprüft werden kann. Es ist eine Aussage, die sich auf einen bestimmten Zeitpunkt der Entwicklung der betreffenden Völker bezieht, insofern diese Träger bestimmter Kulturzustände waren. Sie ist also in einem doppelten Sinn kontextbezogen: wenn die Kulturformen, deren Träger die betreffenden Völker zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt sind, »verblühen«, können die betreffenden Völker trotzdem weiterexistieren und auch ihre Kulturen, wenn auch in einer anderen Form. Solche Aussagen können nicht auf die Nachfahren der betreffenden Völker übertragen werden (die »alten Ägypter« sind nicht mit den »heutigen Ägyptern« identisch). Sie stellen keine moralische Bewertung oder Beurteilung dieser Völker dar. Dies gilt auch, wenn sich die Aussagen auf gegenwärtig existierende Völker beziehen (das »deutsche Volk«, das »französische Volk« befindet sich »in seinem Jugendalter« oder »in seinem Reifezustand« oder im »Absterben«). Auch diese Aussagen beziehen sich auf bestimmte Kulturzustände in bestimmten historischen Zeiträumen und sind nicht auf andere Zeiträume übertragbar.

Zander behauptet zu Unrecht, Steiners Rassentheorie sei sozialdarwinistisch und unterstellt erneut Hierarchisierungen.

Auf S. 242-243 schreibt Zander:

»Die sozialdarwinistischen Konsequenzen des evolutionistischen Denkens greifen bei Steiner ähnlich rigide wie bei seinen theosophischen Vorbildern. Seine Hierarchisierungen nimmt er auf dem Hintergrund einer hochreduktiven Rassentheorie vor, die von drei oder fünf Rassen ausgeht – weiße Europäer, schwarze Afrikaner und gelbe Asiaten, sowie als ›Seitenzweige‹ rote Indianer und braune Malayen66: Die Indianer hält er für eine ›degenerierte Menschenrasse‹ im ›Hinsterben‹ (GA 105, 106f.).

Anmerkung 66 verweist auf: GA 349, 53; 62 (1923). Außerdem wird auf GA 105, 10.08.1908.

Der Vortrag vom 10. August 1908 (GA 105) bezieht sich auf die atlantische Zeit, nicht auf die Gegenwart. Die »degenerierten Rassen« von denen die Rede ist, sind Rassen der atlantischen Zeit. Die Indianer sind »Überbleibsel« der atlantischen Zeit (ebenso wie alle anderen nachatlantischen »Rassen«). Der Begriff der »Degeneration« bezieht sich auf ihre atlantischen Vorfahren, nicht auf die heutigen Indianer. Steiner sagt nicht, »die heutigen Indianer sind degeneriert«, sondern »sie waren degeneriert« – jene Gruppen von Menschen der atlantischen Zeit nämlich, deren »Knochensystem« sich nicht ausreichend an die sich wandelnden klimatischen Verhältnisse anpasste:

»Denken wir uns ein gewisses atlantisches Menschenstadium, wo der Mensch schon entgegengeht seiner späteren Verhärtung in den Knochenleib hinein. Ich muss mich hier populär ausdrücken. Es musste nun wiederum von Seiten der leitenden Geister achtgegeben werden, dass die Knochen nicht zu schnell verhärteten. Es musste in der atlantischen Entwickelung das Knochensystem während einer gewissen Zeit genügend weich bleiben, so dass es umgestaltet werden konnte. Aber wir wissen, auf allen Stufen blieben Wesenheiten zurück. So blieben ziemlich spät dadurch Menschheitsgruppen zurück, dass sich das Knochensystem zu früh verhärtete. Da arbeiteten die Prinzipien so, dass das Formprinzip einen starken Sieg davontrug, indem es eine Gruppe von Menschen in der Form erhielt, in der sie war. Was musste die Folge davon sein? Man kann wohl auf der Erde etwas verhärten, zurückhalten, aber die ganze Erdenentwickelung geht darüber hinweg, so dass, was so künstlich zurückgehalten wird, dann später Zeiten antrifft, zu denen es nicht mehr passt. Es kamen Zeiten, wo die Luft sich mehr vom Wasser gereinigt hatte, wo die klimatischen Verhältnisse anders geworden waren, da passte das Stehengebliebene nicht mehr hinein. Solche Gruppen von Menschen, bei denen das Knochensystem sozusagen zuviel abgekriegt hatte, blieben dann als degenerierte Menschenrasse zurück. Sie konnten sich nicht mehr hineinfinden in die Verhältnisse der nachatlantischen Zeit; und die letzten Überbleibsel davon sind die amerikanischen Indianer. Sie waren degeneriert.« (Stuttgart, 10. August 1908, GA 105)

Auch der Vortrag vom 3. März 1923 bezieht sich auf die Rassen der atlantischen Zeit. Hier ist von Wanderungen weißer, gelber und brauner Rassen der atlantischen Zeit die Rede. Die schwarze Rasse wanderte nach Amerika, wurde kupferrot und starb aus. Die gelbe wanderte nach Osten, wurde braun und starb aus. Es kann sich also nicht um die gegenwärtigen schwarzen, roten, gelben und braunen »Rassen« handeln, da diese ja nicht ausgestorben sind. Die »weiße Rasse« der atlantischen Zeit wanderte nach Nordindien und bildete die uraltindische Kultur aus. Auf die weiße Rasse der atlantischen Zeit bezieht sich der Satz: »Die weiße Rasse ist die zukünftige, die am Geiste schaffende Rasse.« Dieser Satz bezieht sich nicht auf eine gegenwärtige europäische weiße Rasse, wie Zander unterstellt. Die präsentische Redeweise in diesem Vortrag erklärt sich aus der stilistischen Anpassung an die sprachlichen Gepflogenheiten des Publikums (Bauarbeiter am Goetheanum). Bei dieser »weißen Rasse« der Atlantis handelt es sich um die »Ursemiten«, aus denen die gesamte nachatlantische Menschheit hervorgegangen ist. »Die fünfte Unterrasse, die wir die Ursemiten nennen und die ihren Hauptsitz in dem heutigen Irland hatten, bildete die erste Keimanlage für unsere gegenwärtige kaukasische oder, wie wir sie auch in der Geisteswissenschaft nennen, arische Menschenrasse.« (GA 54, Berlin, 9. November 1905) »Diese fünfte Wurzelrasse wird gewöhnlich die arische Rasse genannt und umfasst als erste Unterrasse [Kultur] die alte indische Rasse [Kultur], welche sich auf dem Boden Südasiens entwickelte ... «, sie umfasst auch alle weiteren Kulturen, die sich an diese erste anschlossen (siehe weiten oben).

Daher muss das folgende Zitat auf die atlantische Zeit und das Ende der atlantischen Zeit zwischen dem 10. und dem 8. Jahrtausend vor Christus bezogen werden:

»Und so ist es wirklich ganz interessant: Auf der einen Seite hat man die schwarze Rasse, die am meisten irdisch ist. Wenn sie nach Westen geht, stirbt sie aus. Man hat die gelbe Rasse, die mitten zwischen Erde und Weltenall ist. Wenn sie nach Osten geht, wird sie braun, gliedert sich zu viel dem Weltenall an, stirbt aus. Die weiße Rasse ist die zukünftige, ist die am Geiste schaffende Rasse. Wie sie nach Indien gezogen ist, bildete sie die innerliche, poetische, dichterische, geistige indische Kultur aus. Wenn sie jetzt nach dem Westen geht, wird sie eine Geistigkeit ausbilden, die nicht so sehr den innerlichen Menschen ergreift, aber die äußere Welt in ihrer Geistigkeit begreift.« (Dornach, 3. März 1923, GA 349)

Ebensowenig wie die Unterstellung, Steiner habe die »Indianer als degenerierte Menschenrasse« bezeichnet, trifft Zanders Behauptung über die sogenannten »Neger« zu.

Auf S. 243 schreibt Zander:

»›Die Neger‹ etwa gehören für Steiner zu einer ›degenerierten‹, ›zurückgebliebenen‹ Rasse (GA 105,106), zu den ›letzten Überbleibseln‹ vergangener Zeiten (GA 105, 107) mit einem ›starken Triebleben‹, und sie sind deshalb ›auf Rennen und auf die äußere Bewegung aus, die von den Trieben beherrscht ist‹ (GA 349, 55). Aus dieser evolutionären Zurückweisung dekretiert Steiner kulturelle Inferiorität: ›Soll der vollkommene Geist ebensolche Voraussetzungen haben wie der unvollkommene? Soll Goethe die gleichen Bedingungen haben wie ein beliebiger Hottentotte?‹ (GA 8,47).«

Auch hier missachtet Zander vollständig den zeitlichen und ideellen Kontext, in dem die betreffenden Aussagen stehen, bzw. auf den sie sich beziehen. Die Thesen über die »Neger« zieht er sogar aus drei unterschiedlichen Texten zu höchst unterschiedlichen Themenkreisen zusammen, die aus den Jahren 1902, 1908 und 1923 stammen. Steiner kann schon allein deswegen nicht aus »evolutionärer Zurückweisung kulturelle Inferiorität dekretieren«, weil der Vordersatz, aus dem Zander diesen Schluss zieht aus dem Jahr 1923 stammt, die Schlussfolgerung hingegen aus dem Jahr 1902. Die zweite Aussage kann schon rein logisch nicht die Konsequenz der ersten sein.

Aber auch hier handelt es sich, wie bei den Indianern, überdies um eine Missachtung des Zeitkontextes, auf den die Aussagen sich beziehen. Der Vortrag in GA 105 bezieht sich, wie schon für die Indianer gezeigt, auf Rassen der atlantischen Zeit, nicht auf heutige. Auch der Vortrag in GA 349 bezieht sich nicht auf gegenwärtige »Neger«, sondern ebenfalls auf die atlantische Zeit.

Das Zitat »Soll der vollkommene Geist ebensolche Voraussetzungen haben wie der unvollkommene? Soll Goethe die gleichen Bedingungen haben wie ein beliebiger Hottentotte?« enthält überhaupt keine Aussagen über Rassen, daher auch keine solchen über kulturelle Inferiorität von Rassen. Stattdessen ist in diesem Zitat von der Entwicklung der geistigen Individualität des Menschen durch eine Reihe der Reinkarnationen die Rede. Goethes Geist hat sich aus einem unvollkommenen Zustand in einen vollkommenen entwickelt. Der »Hottentotte« ist ein sprichwörtliches, metaphorisches Bild für diesen unvollkommenen Zustand.

Etwas ausführlicher entwickelte Steiner den zugrundeliegenden Gedanken in einem öffentlichen Vortrag 1906 in Berlin:

»In jedem Menschen offenbart sich eben ein geistiger Wesenskern, der nicht herausgeboren ist aus der physischen Vererbung, sondern hineingeboren ist in sie. Wenn Sie diesen geistigen Kern nicht auf Vater und Mutter, Ahnen und Urahnen zurückführen können, so müssen wir ihn auf etwas Geistiges zurückführen können. Geistig-Seelisches stammt von Geistig-Seelischem.

Da gibt es nur die Idee der Entwickelung, die Idee der wiederholten Verkörperung. Das Wesen, das dem Kinde seine Züge eindrückt, war schon da, war wiederholt schon da im Körper. Da finden Sie eine Erklärung für das Geistig-Seelische genauso, wie Sie für den Regenwurm eine Erklärung finden, wenn Sie sagen, der Regenwurm ist aus einem Regenwurm entstanden und nicht aus Schlamm oder Sand. Einmal war etwas Unvollkommenes da, auf das wir aber in diesem Vortrage nicht eingehen können.

Wie erklärt nun die Geisteswissenschaft das Vollkommene und das Unvollkommene auf dem seelisch-geistigen Gebiet? So wie das kleine Plasmodientier – nach Haeckelscher Manier – durch einfache Lebensbedingungen entstanden ist, und wie sich das folgende Tier nach und nach durch Entfaltung der äußeren physischen Gestalt gebildet hat, so können wir von einer vollkommenen Seele sagen, sie hat sich aus einer unvollkommenen Seele, die allmählich vollkommener geworden ist, nach und nach gebildet. Der unvollkommene Wilde mit seiner kindlichen Seele hat uns diejenige Gestalt unserer Seele bewahrt, durch die wir durchgehen mussten, um uns zu der geistigen Gestalt unserer Seele hinaufzuheben. Oder vergleichen Sie die Seele eines europäischen Durchschnittsmenschen mit der Seele eines Menschen, wie ihn Darwin noch getroffen hat. Die Seele eines heutigen Menschen hat Begriffe von Gut und Böse, von Recht und Unrecht, von Falsch und Wahr. Darwin wollte einmal einem Wilden, der noch Menschenfresser war, klarmachen: Du darfst nicht Menschen fressen, das ist schlecht, das darf man nicht tun. –

Da schaute ihn der Wilde kurios an und sagte: Ja, woher kannst du das wissen, du müsstest ihn doch erst gefressen haben. Wenn wir ihn gefressen haben, dann wissen wir, ob er gut oder schlecht war. –

So haben Sie eine unvollkommene Seele, die sich durch die Entwickelung immer vollkommener und vollkommener gestalten wird. Unsere Seele kommt nicht bei jedem einzelnen als Baby zur Welt, sondern diese Seele hat sich erst in unvollkommenen Verkörperungen entwickelt, wo sie nichts anderes begriffen hatte von Gut und Schlecht als das Angenehme und das Unangenehme für den Gaumen und dergleichen. Durch solche Stufen hindurch hat sie sich entwickelt und ist durch viele Verkörperungen immer lernend bis zu unserer Stufe heraufgeschritten. Wir tragen unsere Seele in uns mit den Fähigkeiten und Kräften, die wir haben, mit dem Schicksal, das sie erleidet. Wir werden genauer sehen, wenn wir wiederkommen in einer andern Verkörperung auf der Erde; wir werden immer vollkommener auf der Erde erscheinen, bis jene Stufe kommt, auf der wir geeignet sind, zu einem höheren und göttlicheren Dasein aufzusteigen, von dem wir heute nicht zu sprechen brauchen.

Es gibt gewiss noch andere Erklärungen des Daseins als die Lehre von der Wiederverkörperung, aber diese einzig und allein kann dem Menschen die Daseinsrätsel lösen. Ein Daseinskern tritt uns entgegen in jenem Menschen, von dem wir sagen, dass er durch viele Leben, durch wiederholte Leben durchgeht. Während der materialistisch Gesinnte uns sagt, Geist und Seele seien nur ein Anhängsel zum Körper, seien nur aus dem Körper herausgebildet, die Gedankenvorstellungen und die Sprache seien nur eine höhere Ausbildung dessen, was auch im Physisch-Tierischen uns entgegentritt, während der Materialist uns klarmacht, dass unsere erhabensten sittlichen Ideale, unsere heiligsten religiösen Gefühle nichts anderes seien als die Ergebnisse unserer physischen Organisation, zeigt uns die geisteswissenschaftliche Weltanschauung, dass dies alles, was in unserer Seele ruht, unser ewiger Wesenskern ist, der sich im Gegenteil von Stufe zu Stufe seinen Körper gestaltet und gebildet hat. Das Körperlich-Physische stammt aus dem Geistig-Seelischen: das ist die Lehre der geisteswissenschaftlichen Weltanschauung, die immer klarer und klarer werden wird, je tiefer Sie sich in diese Weltanschauung hineinleben.« (15. Februar 1906, GA 54)

Mit anderen Worten: Goethe war selbst einmal ein der Homophagie huldigender Wilder, der sich durch zahlreiche Inkarnationen hindurch zu jenem Zustand der Kultivierung emporgearbeitet hat, in dem die Vorstellung Menschen zu essen, instinktiven Ekel hervorruft. Letztlich dient der gesamte Gedankengang lediglich der Illustration der Idee, dass eine mit reichen Gaben und Fähigkeiten ausgestattete Individualität sich diesen Reichtum durch frühere Erfahrungen geistiger Selbstbildung erworben hat und nicht aus der physischen Vererbung ableitbar ist. – Dieser Gedanke widerspricht in Wahrheit dem Rassismus, denn dieser hat ja gerade die Genialität aus der physischen Vererbung, aus Vater und Mutter, Ahnen und Urahnen abgeleitet.

Angeblich kompensierte Steiner seine »Angst vor der schwarzafrikanischen Kultur mit der »trotzigen Behauptung europäischer Überlegenheit«.

Auf S. 243 schreibt Zander:

»Was Steiner hier als weite Perspektive aus der Höhe anthroposophischer Kosmogenese darstellt, erweist sich bei näherem Hinsehen als unbewältigter Kulturkonflikt, in dem sich die Angst vor der ihm fremden schwarzafrikanischen Kultur in der fast trotzigen Behauptung europäischer Überlegenheit Bahn bricht:

›[...] wir geben diese Negerromane den schwangeren Frauen zu lesen, da braucht gar nicht dafür gesorgt zu werden, dass Neger nach Europa kommen, damit Mulatten entstehen; da entsteht durch rein geistiges Lesen von Negerromanen eine ganze Anzahl von Kindern in Europa, die ganz grau sind, Mulattenhaare tragen werden, die mulattenähnlich aussehen werden!‹ (GA 348, 189)

Die Postulierung universeller geistiger Zusammenhänge wird zum Einfallstor für Ängste, so dass für Steiner die Abschottung bis zur geistigen Romanzensur hin die Folge ist. Politisch gesagt: ›Die Negerrasse gehört nicht zu Europa, und es ist natürlich nur ein Unfug, dass sie jetzt in Europa eine so große Rolle spielt.‹ (GA 349,53)

Das erste Zitat aus GA 348 ist insgesamt als ein Spiel mit Metaphern zu verstehen. Es beinhaltet nicht eine Kritik an der schwarzafrikanischen Kultur oder an den Mulatten (Mischlingen), sondern eine Kritik an der europäischen Zivilisation und am Kolonialismus.

Der »Negerroman« handelte von »Negern« (»Batouala, Véritable roman négre« von René Maran (1887-1960), als Sohn guyanesischer Eltern in Bordeaux aufgewachsen, Regierungsbeamter in der Zentralafrikanischen Republik.)

Zwar spricht sich Maran in seinem Nachwort gegen den Kolonialismus aus, und wirft den europäischen Kolonisatoren geistige Mediokrität und moralischen Verfall vor, gleichzeitig bestätigt er aber durch das Bild, das er vom Leben der Afrikaner entwarf, deren Vorurteile. Die Schwarzen werden in seinem Buch als faul, dumm und sexbesessen dargestellt. Außerdem wird die weibliche Beschneidung darin verherrlicht. Sexuelle Orgien werden als Beispiel eines naturnahen afrikanischen Lebens geschildert, das frei von den Verirrungen der westlichen Zivilisation sei. Mit anderen Worten: das Buch ist ein Beispiel für den in Europa zu Beginn der 1920er Jahre grassierenden »Negerkult«, der die kolonialistische Unterdrückung und Entwürdigung im Gestus der kulturellen Aneignung fortsetzte und überbot. Die ironische Pointe besteht darin, dass der Verfasser selbst Schwarzer war.

Der Roman ist für Steiner eine Metapher der geistigen Verwüstung, die der Kolonialismus in der Welt anrichtete und der Verlogenheit, die darin bestand, dass die Kulturen der kolonialisierten Völker zu Vorbildern der europäischen Erneuerung stilisiert wurden. »Der Mulatte« ist eine Metapher für diese geistige Verwüstung, ebenso das »mulattenähnliche Kind«.

Auch der Satz: »Die Negerrasse gehört nicht zu Europa, und es ist natürlich nur ein Unfug, dass sie jetzt in Europa eine so große Rolle spielt«, stellt eine Kritik am Kolonialismus dar, der indigene Völker entwurzelt und mit Gewalt an fremde Lebensschauplätze verpflanzt.