Offizielle Materialien zu Helmut Zanders Biographie

Helmut Zander hat in Köln, München und Bonn Sozialwissenschaften, Geschichte und katholische Theologie studiert und ist Inhaber zweier Doktorate der Universität Bonn in Politikwissenschaften und in katholischer Theologie.

Seine Habilitation erwarb er an der Humboldt-Universität Berlin mit einer wissenschafts- und religionshistorischen Arbeit zur »Geschichte der Anthroposophie«. Nach Lehr- und Forschungstätigkeiten an der Ruhr-Universität Bochum und der Humboldt-Universität war er Inhaber einer Vertretungsprofessur in Religionswissenschaft an der Universität Zürich und wechselte ab dem Herbstsemester 2011 an die (katholische) Universität Fribourg in der Schweiz, um an der Fakultät für katholische Theologie Religionsgeschichte, vergleichende Religionswissenschaft und interreligiösen Dialog zu unterrichten.


Wissenschaftlicher Werdegang

1991 bis 1999 – Mitglied im DFG-Forschungsprojekt »Weltbildwandel« an den Universitäten Bayreuth und Erlangen; Leitung: Prof. Dr. Walter Sparn. Hier Leiter des Teilprojektes »Minoritäre Gemeinschaften um 1900« (1994-1999). Dabei: Finanzierungsarrangements, Projektkoordination, interdisziplinäre Vernetzung, Veranstaltung wissenschaftlicher Tagungen

1999 bis 2001 – Habilitationsstipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft

2002 Habilitation an der Humboldt-Universität Berlin: »Geschichte der Theosophie und Anthroposophie, 1884 bis 1945«; Venia legendi für neuere und neueste Geschichte

2002 bis 2004 Bearbeiter des Forschungsprojektes »Gesellschaftliche und politische Praxis der Anthroposophie«. Förderung: Fritz Thyssen-Stiftung

2006 bis 2007 – Vertreter des Lehrstuhls für Wissenschaftsgeschichte (Prof. Dr. Rüdiger vom Bruch) an der Humboldt-Universität zu Berlin

2008 – Universität Siegen, Forschungsprojekt »Historische Tiefengrammatik der ›Mediengesellschaft‹«

Gesellschaftspolitische Tätigkeit

1989 bis 1990 – Koordinator der Forschungsgruppe Gentechnologie des Bundesministers für Forschung und Technologie. Organisatorische Leitung und inhaltliche Zuarbeit: Programmatische Koordination, Konferenzen, Abschlußberichte, Pressepräsentation

2005 bis 2006 – Koordinator des Forschungsprojektes »Integrationspotentiale und Konfliktfelder religiöser Vielfalt in Nordrhein-Westfalen« an der Ruhr-Universität Bochum

1988 bis heute – Ehrenamtliches Mitglied im Foyer für Gespräche zwischen Kirche, Gesellschaft und Politik (www.dasfoyer.de) – Das Foyer für Gespräche zwischen Kirche, Gesellschaft, Politik ist ein vertrauliches Forum, durch das der deutsche Katholizismus Einfluss auf die politische Meinungsbildung zu nehmen versucht. »Unterstützt« wird die Arbeit des Foyers von einem »Kooperationskreis«, der sich aus Vertretern des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken, der Katholischen Akademie in Berlin, der Deutschen Provinz der Jesuiten und des Katholischen Büros für die Deutsche Bischofskonferenz zusammensetzt.


Zander pflegt sich in den Nachworten seiner Bücher über seinen wissenschaftlichen Werdegang und seine intellektuelle Biographie auszulassen.

Hier die Erzählungen aus seiner Dissertation »Reinkarnation und Christentum. Rudolf Steiners Theorie der Wiederverkörperung im Dialog mit der Theologie« von 1993/95 und seinem Buch »Anthroposophie in Deutschland« 2007.


»Reinkarnation und Christentum«

Nachwort (1995)

Die vorliegende Arbeit wurde am 22. Dezember 1993 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn als Dissertation angenommen.

...

Meine Arbeit ist im Schnittpunkt mehrerer Lebenskreise entstanden, von denen ich – nach einigem Zögern – einige nennen möchte: Zum einen, um im Dank ein wenig der erhaltenen Hilfe zurückzugeben. zum andern jedoch, um auch den Hauch eines Verdachts auszuräumen, daß es möglich sein könnte, eine solche Arbeit ohne ein soziales Netz zu bewältigen.

Danken möchte ich Herrn Professor Wilhelm Breuning, an dessen Bonner Oberseminar ich viele Jahre teilnehmen konnte und der mich, als deutlich wurde, daß ich mich von im engeren Sinn dogmatischen Fragen entfernte und stärker fundamentaltheologische Probleme zum Tragen kamen, ohne Zögern zu Professor Hans Waldenfels hat ziehen lassen, aber dabei weiterhin mit seinem Rat zur Verfügung stand.

Herr Professor Waldenfels hat mich bereitwillig in seinen DoktorandInnenkreis aufgenommen und mir große Freiräume in der Gestaltung der Arbeit belassen, zugleich aber an wichtigen Stellen bei der Problemfokussierung zur Seite gestanden; dafür sei ihm herzlich gedankt. Seinem kontextuellen und dialogoffenen Ansatz, der sehr wohl um die Verankerung in der katholischen Konfession des Christentums weiß, ist diese Arbeit verbunden.

In seinem Oberseminar konnten mehrfach Schlüsselprobleme des systematischen Ansatzes diskutiert werden, nicht zuletzt mit nichteuropäischen Kommilitonen (wobei ich besonders an Bomiface Amu denke), die manche der eurozentrischen Fragen, die sich gerade in einer Auseinandersetzung mit der Anthroposophie in den Vordergrund schieben, relativiert haben.

Herr Professor Friedel Bitter hat dankenswerterweise das Koreferat übernommen und die Arbeit aufmerksam und kritisch gegengelesen. Seine Anregungen und Monita habe ich gerne in der Überarbeitung aufgenommen.

Meine Arbeitsstelle war in den letzten Jahren im DFG-Projekt »Weltbildwandel« in Bayreuth, im theologischen Einzelprojekt von Professor Walter Sparn. Hier wurden wichtige Fragen zum Hintergrund und Umfeld Rudolf Steiners diskutiert und methodologische Fragen gewälzt, von denen diese Dissertation profitiert. Den Mitgliedern der theologischen Arbeitsgruppe – Professor Volker Drehsen, Christian Henning, Christian Kahrs, Bernhard Plé (als Soziologe) und Uwe Stenglein-Hektor – verdanke ich viele Anregungen. Herrn Sparn danke ich nicht zum wenigsten für die weitgehenden Freiheiten der Arbeitsgestaltung innerhalb des Projekts, für sein wohltuend unerbittliches Insistieren in Fragen systematischer Konsistenz und für das überaus offene ökumenische Klima, in dem gleichwohl das Bewußtsein von Pluralität in Differenz seinen Ort hatte. Daß die Bayreuther Stelle die ökonomische Grundlage für die Arbeit der letzten Jahre war, zähle ich nicht zu den Marginalien einer »wissenschaftlichen« Existenz.

Zwei Freundinnen, die aus sehr unterschiedlichen Perspektiven diese Arbeit begleitet haben, möchte ich eigens erwähnen: Friedl Brunckhorst hat in ausdauernden Diskussionen manches schnelle Urteil in Frage gestellt und mich vor vielen schein­klaren Urteilen bewahrt. Petra Ritter hat mich aus ihren Erfahrungen heraus immer wieder ermutigt, aus der vielen Theorie nun endlich ein lesbares Buch zu machen.

Für ein wesentliches Stück Bodenhaftung haben die FreundInnen vom Bonner »Foyer der Jesuiten« gesorgt, die mich aus der manchmal dünnen Luft des Denkens in Systemlogiken immer wieder auf die Erde der politischen Realität zurückgeholt haben. Daß ich mich damit nicht zwischen zwei Stühlen, sondern an dem einen Tisch unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit fühle, merkt man dieser Arbeit, wie ich hoffe, wenigstens an einigen Stellen an.

Hans Casper, Referent für theologische Grundfragen im Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, verdankt die Arbeit manch nachdenkliche Frage und stille Unterstützung. In Bonn gab es außerdem hilfreiche Gespräche mit llas Körner-Wellershoff und Elke Trefz-Winter.

In vielen Gesprächen mit AnthroposophInnen ist mir klargeworden, wieviel Herzblut für sie in der Überzeugung oder der Hoffnung auf »wiederholte Erdenleben« steckt. Meine per saldo sehr kritische Analyse von Rudolf Steiners Reinkarna­tionskonzeption wird manche enttäuschen; ich hoffe, daß wenigstens der Eindruck des Versuchs einer fairen Auseinandersetzung bleibt

Der Verband der Diözesen Deutschlands hat durch seine bereitwillige finanzielle Unterstützung sichergestellt, daß diese Arbeit einem breiten Leserkreis zugänglich gemacht werden kann. Auch dafür: Vielen Dank.

Last not least: Es gibt kaum ein Problem, das Verena Kessel, meine Frau, nicht mitbedacht oder mit ausgestanden hätte. Aber damit ist, wie jeder weiß, der in einer guten Beziehung lebt, nur die Oberfläche von dem benannt. was man schreiben kann. Der Dank reicht viel weiter.

Gewidmet ist dieses Buch unserer Tochter Gesche, die durch ihr Erscheinen den Schlusspunkt unter diese Arbeit eingefordert hat und seit diesem Jahr die wissenschaftlichen Eskapaden ihrer Eltern frohgemut begleitet.

Bonn, im Oktober 1994


»Anthroposophie in Deutschland«

Nachwort (2007)

Fertiggeworden ist diese Arbeit nur, weil persönliche Unterstützung und institutionelle Förderung eine glückliche Verbindung eingegangen sind. Ich danke an erster Stelle Walter Sparn, protestantischer Theologe an der Universität Erlangen, der mir in zwei Projekten der Deutschen Forschungsgemeinschaft an den Universitäten Bayreuth und Erlangen finanzielle Förderung, Forschungsfreiheit und freundschaftliche Intellektualität zugeeignet hat. Rüdiger vom Bruch, Historiker an der Humboldt-Universität in Berlin, hat das Risiko auf sich genommen, die Betreuung für einen Teil dieser Arbeit als Habilitationsschrift zu übernehmen.

Jeder weiß natürlich, daß es die Institution einer »Betreuung« rechtlich nicht gibt, aber jeder ahnt, daß Verfahrensrecht und faktische Durchsetzung zwei unterschiedliche Welten sind. Dies sind keine leeren Worte: Als ich versuchte, ein Thema im Umfeld dieses Buches als Habilitationsschrift einzureichen, wurde mir an einer Universität beschieden, daß kulturwissenschaftliche Themen der Solidität harten wissenschaftlichen Arbeitens nicht genügen, an einer zweiten hieß es schlicht, Esoterikforschung sei unseriös, an einer dritten wurde klar, daß der Politikhistoriker in der Fakultät einem »weichen« Thema nicht zustimmen würde. Mit Hilfe von Herrn vom Bruch war hingegen die Einwerbung eines Habilitationsstipendiums der Deutschen Forschungsgemeinschaft möglich (nachdem hier ein erster Antrag gescheitert war). Den Mitgliedern der Philosophischen Fakultät I der Humboldt-Universität in Berlin danke ich im Angesicht solcher Fallstricke für das faire Habilitationsverfahren. Derartige Berührungsängste besaß der geheime Nestor der religionswissenschaftlichen Esoterikforschung in Deutschland, Karl Hoheisel, Religionswissenschaftler an der Universität Bonn, nie. Ihm verdanke ich nicht nur einen Teil meiner Interessen an diesen Fragen, sondern auch die Unterstützung für ein Forschungsprojekt bei der Fritz Thyssen-Stiftung, die bereit war, die Erforschung der Anwendungsfelder der Anthroposophie zu finanzieren und schlußendlich auch die Druckkosten großzügig bezuschußt hat.

In dieser Arbeit steckt nicht nur das in Anmerkungen belegte Wissen anderer Forscherinnen und Forscher, sondern auch das in Gesprächen gewonnene. Ich denke dabei nicht zuletzt an wissenschaftliche Kolloquien, auf denen ich Teilbereiche zur Diskussion stellen konnte: Zur Theologiegeschichte um 1900 in den Kolloquien mit Walter Sparn in Bayreuth und Erlangen; zur Wissenschaftsgeschichte in Berlin im Oberseminar bei Rüdiger vom Bruch sowie auf Einladung von Mike Murphy und Wouter Hanegraaff in Esalen; zur Esoterikgeschichte am Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene in Freiburg im Breisgau bei Eberhard Bauer sowie im Oberseminar von Karl Hoheisel in Bonn; zur Medizin am Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch-Stiftung bei Robert Jütte in Stuttgart; und zur Pädagogik am Lehrstuhl für Historische Pädagogik der Humboldt-Universität Berlin bei Elmar Tenorth. Schließlich mußte jemand über den in Jahren gewachsenen Text kritisch lektorieren. Winfried Heide aus Münster hat sich dieser entsagungsvollen Arbeit angenommen, die meisten Einzelkapitel sind darüber hinaus von Freunden und Freundinnen und interessierten Menschen, die an den jeweiligen Stellen genannt sind, gegengelesen worden.

Zu den Anthroposophen, denen der Gegenstand meiner wissenschaftlichen Neugier ein Zentrum ihrer Existenz ist, habe ich im Laufe der Jahre Kontakte bekommen, durch die ich die Überzeugungen hinter meiner Theorie über Anthroposophie schätzen gelernt habe (über die üblen, glücklicherweise seltenen Polemiken decke ich lieber den Mantel des Schweigens). Ich denke etwa an die Vortragseinladung zur Eröffnung des Hamburger Priesterseminars der Christengemeinschaft durch Frank Hörtreiter, insbesondere aber an die Sitzungen des Frankfurter Arbeitskreises Anthroposophie und Theologie, zu denen Wolfgang Kilthau eingeladen hat. Bei diesen Treffen stand das wechselseitige Lernen und Kennenlernen im Mittelpunkt, und aus diesen Treffen habe ich sehr viel mitgenommen. Ich denke auch an Herrn Tolani vom Archiv der Theosophischen Gesellschaft Adyar in Madras, der mit großer Geduld nicht nur meinen Wünschen nach Archivalien, sondern auch meinen Fragen begegnet ist.

In den letzten Jahren war ich auch immer häufiger auf dem Dornacher Hügel. Meine erste Anlaufstelle, die Rudolf Steiner-Nachlaßverwaltung, die mir bei meinen ersten Anfragen verschlossen blieb, hat sich unter Walter Kugler auch Außenkontakten weit geöffnet, und ich verdanke den dortigen Gesprächen im Zusammenhang mit Besuchen von Studierenden manche Einblicke in Detailfragen der Archivbestände und von Steiners Biographie. Irritierenderweise hat mir aber niemand, auch nicht bei Gesprächen auch unter vier Augen, auf den Zahn gefühlt oder beherzt nach meinen Arbeitsfeldern und Interessen gefragt. Sehr intensive Kontakte haben sich hingegen mit den Bibliothekaren der Bibliothek im Goetheanum ergeben. Ich danke insbesondere Willi Baumeier, aber auch seinen Kollegen Jan Pohl und Imre Boejtes, die mir unermüdlich Bücher und Schriften aus den Magazinbeständen herangeschafft haben. Ohne diese anthroposophische Literatur, die ansonsten praktisch unerreichbar ist, wären viele Detailanalysen nicht möglich gewesen. Ich danke auch Uwe Werner, dem Archivar des Goetheanum, für die mir zur Verfügung gestellten Materialen, die ich auch dann noch mit großer Offenheit erhielt, als deutlich wurde, wie weit ich in meinen Überzeugungen von der Anthroposophie entfernt bin. Seinen größten Dienst hat er allerdings der Anthroposophie mit seiner Geschichte der »Anthroposophen in der Zeit des Nationalsozialismus« erwiesen, der bislang einzigen Arbeit, mit der Anthroposophen auf hohem wissenschaftlichem Niveau in die Erforschung und Deutung ihrer eigenen Geschichte eingegriffen haben. Ganz am Schluß hat sich ein intensiver Austausch mit Robin Schmidt von der »Forschungsstelle Kulturimpuls « am Goetheanum ergeben, und ich kann nur bedauernd festhalten: Wäre er mir mit seinem profunden historischen Wissen und seiner undogmatischen Offenheit doch früher begegnet! Meine Deutung der Anthroposophie wäre dann in jeder Hinsicht verständnisvoller ausgefallen.

Ich habe einen Wunsch und eine Hoffnung im Blick auf die Anthroposophie. Ich fände es schön, wenn sich die Bibliothek, die sich in den letzten Jahren rasant modernisiert hat, stärker auf Forschung und Außenperspektiven einlassen würde. Das müsste etwa zu Folge haben, daß auch Literatur von Nichtanthroposophen über Anthroposophie so umfassend angeschafft würde, wie man Anthroposophica sammelt. Für die Bereitschaft zur offenen Auseinandersetzung wäre dies ein wichtiges Zeichen. Meine Hoffnung hingegen läßt sich nicht so leicht einwerben: Ich wünsche mir, daß Anthroposophen und Anthroposophinnen diese Arbeit nicht als Schwert des Scharfrichters, sondern als wissenschaftliche Analyse lesen. Dies ist selbstverständlich nicht sine ira et studio abgegangen: Ich habe beispielsweise Steiner das Verschweigen und die Verdrängung seiner theosophischen Initiationsphase nachgetragen, ebenso seine Unwilligkeit, »höhere« Einsicht und die »Niederungen« der zeitgenössischen Abhängigkeiten in ein kritisch reflektiertes Verhältnis zu setzen, auch seine autoritären Ansprüche, namentlich wenn sie nicht offen diskutiert wurden, habe ich sehr kritisch kommentiert.

Aber es ging mir nicht um eine Hinrichtung Steiners, sondern um den Versuch, zu verstehen, wie sein Werk zu einer kulturellen Potenz im alternativen Milieu aufstieg. Die Herausarbeitung etwa der hoch autoritären Strukturen in seinem Werk und häufig auch im Umgang mit Menschen ist in dieser Perspektive ein Versuch, zuerst einmal historische Fakten zu sichern. Darüber muß man dann streiten, aber die Frage, die Anthroposophen primär umtreibt, was dies nämlich für das gegenwärtige Selbstverständnis der Anthroposophie bedeutet, ist eine ganz andere; die Rezeption und Transformation der Weltanschauung Rudolf Steiners unter Anthroposophen ist noch ungeschrieben.

Viele Anthroposophen empfinden auch die historische Kontextualisierung als Ignoranz gegenüber den geistigen oder praktischen Impulsen Steiners, aber ich bin weiterhin der Meinung, daß man Steiners Grenzen und eben auch Leistungen nur im gesellschaftlichen Kontext versteht. Dahinter steht meine Überzeugung, daß man historisch-kritisch Forschung nicht gegen spirituelle Weisheit ausspielen darf. Wer im intellektuellen Diskurs westlicher Gesellschaften ernstgenommen werden will, muss sich dieser radikal kritischen – und das heißt im Wortsinn weiterhin: prüfenden – Analyse stellen. In dieser fehlenden Offenheit gegenüber der historischen Kritik scheint mir ein Grund für die sich beträchtlich spreizende Schere zwischen praktischer Akzeptanz und intellektueller Marginalisierung der Anthroposophie zu liegen. Sicher, die Aufnahme dieser Kritik wird vermutlich scharfe anthroposophieinterne Auseinandersetzungen um die kanonische Geltung von Steiners Werk und um die Hermeneutik seiner Interpretation aufbrechen lassen, aber die europäische Religionsgeschichte der Neuzeit zeigt, daß dieser Weg nicht zur säkularisierenden Eliminierung von Religionen und Weltanschauungen führte.

Hinsichtlich der wissenschaftlichen Debatte in der universitären scientific community hoffe ich, daß die Geschichte marginaler oder »esoterischer« Gruppen ein Teil allgemeinen Geschichte und Kulturanalyse wird. Vielleicht ist es für eine Übergangszeit, bis dieses Forschungsfeld auch in Deutschland etabliert ist, sinnvoll, feste Organisationsstrukturen, etwa Lehrstühle oder Forschergruppen, einzurichten, um eine Art intellektueller Anschubfinanzierung zu leisten.

Auf Dauer scheint es mir sinnvoller, das Thema dezentral in der Geschichtswissenschaft, Religionswissenschaft, Theologie, europäischen Ethnologie oder der Germanistik und im Rahmen der Erforschung der »hegemonialen« Kultur zu verankern, weil eine Trennung der »Esoterik« von der umgebenden Kultur schlicht nicht möglich ist.

Gewidmet ist dieses Buch meiner Frau, Verena Kessel, die unsere ménage à trois vor einem »gnostischen« Schicksal bewahrt und unser Leben lebenswert erhalten hat.

Bonn, am 28. April 2006 | Helmut Zander